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Viertes Capitel.


In der prachtvollen Allee uralter Linden, die von dem Curhaus in L***, die Gartenanlage der Promenade durchschneidend, sich in der waldigen Schlucht des Bergkessels verliert, wogte die Menge der Badegäste bunt durcheinander. Die Damen in strahlender Toilette, viele in auffallendem Putz, andere im höchsten Raffinement der Einfachheit ihren Begriffen von Eleganz Rechnung tragend. Wir wenden uns zu zweien der letzteren Sorte. Wie frisch gefallener Schnee glänzten ihre Kleider durch das tiefe Grün des sommerlichen Laubes, und die Veilchen auf dem Pariser Strohhut der Einen, die Rosen auf dem der Andern hätten Bienen und Schmetterlinge leicht mit ihrem künstlichen Frühling täuschen können, wäre nicht das Aroma der Lindenblüthen stark genug gewesen, sie vor der Täuschung zu bewahren und über den Farbenglanz der duftlosen Blüthen zu siegen.

Beide Damen fielen aber nicht nur durch ihre anspruchslose Einfachheit in's Auge, sie behaupteten auch durch sich selbst ein Recht, beachtet zu werden. Sie leuchteten nicht nur vermöge ihrer weißen Kleider aus der Menge hervor, auch die Natur hatte sie mit Vorzügen ausgestattet, welche leicht die Blicke der Vorübergehenden auf sich lenkten. Die Eine, die mit den Veilchen, fiel durch das Aristokratische ihrer Erscheinung auf, die Andere war blendend hübsch, aber mehr in dem pikanten Charakter einer Soubrette.

In der ersten Blüthe der Jugend stand Frau von Stern, denn diese erkennen wir in der eleganteren der Damen, allerdings nicht mehr. Die seit ihrem Aufenthalte im Seebade verflossenen Jahre waren nicht spurlos vorübergerauscht, aber sie hatte eins jener Gesichter, deren Schönheit unabhängig vom Reiz der Jugend ist. In ihren feinen Zügen lag Geist, aus ihren Augen strahlte warme und lebhafte Empfindung, und die lebensmüde Abgespanntheit, die anfangen wollte die schöne Stirn zu beschatten und den seinen Mund zu entstellen, hatte bis dahin noch kein größeres Recht errungen, als das einer vorübergehenden, wenn auch leider immer häufiger wiederkehrenden üblen Stimmung.

Rosette, ihre Begleiterin, besaß noch alle Frische der Jugend. Oberflächlicher als Adele, war sie auch leichter durch äußere Dinge zu erfreuen, und wenn auch die Blasirtheit ihrer Herrin oder vielmehr Freundin oft ein Echo in ihrer Seele weckte, so war der dadurch hervorgerufene Schatten so leicht, daß es nicht eines Sonnenstrahls, daß es höchstens einer hell brennenden Kerze bedurfte, ihn zu verscheuchen.

Gemüther, die sich für jeden Schimmer eines Glückes enthusiasmiren, erfassen nicht leicht ein wirklich tiefes und verstehen noch weniger es zu gewähren. Aber dafür gleitet auch Vieles an ihnen ab, was Andere tief beugen würde. Die Welt ist ihnen ein Garten, das Leben ein Frühlingstag, sie selber ein Schmetterling, der bunte Staub auf ihren Flügeln unvergänglich und die Blumen nur für sie da. Blumen aber giebt's Legionen, und welkt eine, blüht eine andere auf. Währte das Leben wirklich nur einen Frühlingstag, so wäre es etwas Reizendes um so eine Schmetterlingsexistenz; aber nicht das Leben, sondern die Jugend währt einen Tag, und wer mit Schmetterlingsflügeln in den Winter hinausflattern will, bezahlt den Irrthum leicht mit dem Leben.

Frau von Stern gehörte überall, wo sie war, zur höchsten Fashion, und waren ihr Ton auch noch so frei, ihre Lebensgewohnheiten noch so unabhängig von allgemeinen Vorschriften, daß sie von den meisten Damen als etwas ganz Besonderes betrachtet, von vielen belächelt oder bedauert, von anderen vermieden, und von denen, für welche Prüderie die höchste Moral ist, geflohen wurde, so konnte sie das Alles doch nicht von dem ersten Platz verdrängen.

In ihrer Freiheit war sie fein, in ihren Gewohnheiten, ihrer Unabhängigkeit trotzte sie höchstens der Sitte, und ihre vornehme Sicherheit, oder sichere Vornehmheit vielmehr, hatte sie bis dahin auch vor all' den Uebergriffen geschützt, denen diejenigen leicht ausgesetzt sind, die in ihrer Nichtachtung von Vorurtheilen gar zu unbekümmert das Urtheil herausfordern. Das machte ihr jedoch, wie gesagt, ihre bevorzugte Stellung in der Gesellschaft nicht streitig, eine Stellung, die kleinlicher Neid und Bekrittelungssucht zwar vielfach zu unterminiren versucht hatte, gegen die aber noch nie Jemand Sturm gelaufen war.

Auch an dem eben erwähnten Morgen war sie von einem zahlreichen Cortège umgeben, und als sie unbefangen plaudernd und völlig unbekümmert darum, daß ihr Cortège nur aus Herren bestand, die Allee auf und ab wandelte, forderte sie manchen mißbilligenden Blick, manche boshafte Bemerkung heraus.

Es ist ein ganz eigenes Licht, in dem solche Königinnen der Gesellschaft erscheinen. Wer unbefangen hineinsieht, findet meist weder etwas des Beneidens, noch etwas des Schmähens Werthes in dem Schimmer, scheut sich nicht, sich gelegentlich einmal in den Bereich dieses Lichtes zu stellen, und fühlt sich, wenn auch innerhalb desselben nicht heimisch, doch ihm gegenüber keineswegs ausgeschlossen. Die Menge flattert aber um solchen Hof der Galanterie wie die Motte um's Licht. Sie will hinein und verbrennt sich, weil die Mottenflügel eben nicht hoch genug tragen, die Wirkung des Lichtes von dem rechten Standpunkt aus zu sehen und zu empfangen. Wie die Motte über ihre verbrannten Flügel und über das Feuer, das sie verbrannt hat, denkt, sind wir nicht in der Lage zu beurtheilen, wie die Menge sich dabei benimmt, kann ein Jeder täglich sehen und daraus auf ihre Gedanken schließen.

Gleichviel, ob Liebreiz, Geist, Koketterie den Hofstaat um die Königin versammelt, ob das Herz, ob die Mode, ob der Zufall ihr den Thron erbaut, er wird immer für usurpirt gehalten, und die Dame, die ihn inne hat, wird immer den Neid wecken, der sich hinter Nichtachtung versteckt, wird die Splitterrichterin herausfordern, die sich Urtheil nennt, wird alle die beleidigen, die in einer umgestoßenen Form ein- für allemal eine verhöhnte Moral sehen.

Der weibliche Hofstaat solcher Herrscherinnen ist gewöhnlich schwach vertreten. Frauen wenden sich ab, Mütter warnen ihre Töchter, diese bleiben indignirt in der Ferne stehen, und sieht man tief in alle die zagenden, indignirten, moralisirenden Seelen oder Seelchen hinein, so würde man unter hundert wenigstens neunzig finden, bei denen mit der Gelegenheit auch der Wille kommen würde, den geschmähten Platz einzunehmen.

Adele vermißte den weiblichen Hofstaat nicht; sie suchte nicht Huldigung, sondern nur Unterhaltung, wer sie unterhielt, ob Mann, ob Weib, das galt ihr gleich.

Die Conversation, die sie eben geführt, schien nur eine leichte Fessel gewesen zu sein. Sie zerriß sie plötzlich, um sich auf einer der grünen Rasenbänke niederzulassen, mit denen die Badedirection mehr dem ländlichen Charakter der Landschaft als der Bequemlichkeit der Badegäste eine Concession gemacht zu haben schien.

Eine Brunnencur brauchen, elegant angezogen sein, sich nach einer erhitzenden Promenade auf einer Rasenbank ausruhen wollen und seinen Hofstaat dadurch zu gleichem Wagniß zwingen, ist eine arge Versündigung gegen die Gesetze der Gesundheit, der Toilette, der Nächstenliebe. Lebhafter Widerspruch erhob sich darum von allen Seiten gegen Adelens frevelhaftes Beginnen.

Das weiße Kleid, die Frische des Morgens, die Zartheit der weiblichen Natur – durch alle diese Einwürfe wurde der Widerspruch motivirt. Einer der Herren wollte seinen Plaid über den Rasen breiten, ein anderer einen Fauteuil aus dem Cursaal holen.

Adele wies lachend alle Anerbietungen zurück.

»Weiße Kleider können gewaschen werden,« sagte sie, »der frische Rasen ist mir lieber als Plaid und Fauteuil, und sollte ich krank werden, so giebt es ja Aerzte genug, die bereit sind, uns unter den Rasen zu befördern, wenn wir so armselig beschaffen sind, uns in keiner andern Weise mit ihm befreunden zu können.«

»Ihre Huldigung der Natur macht Sie rücksichtslos gegen Ihre eigene Person, gegen uns, gnädige Frau,« sagte einer der Herren, ein junger Franzose, Vicomte ***.

»Ich hoffe beide Sünden vertreten zu können,« entgegnete Adele mit leichtem Spott, »ja, ich muß sogar gestehen, daß ich nicht einmal in der Lage bin, die letztere zu begreifen.«

»Wenn Sie leiden, leiden wir dann nicht mit?« fuhr jener fort.

»Ich hoffe nicht und verspreche Ihnen im entgegengesetzten Fall mich nicht dieser Thorheit schuldig zu machen,« antwortete Adele in etwas abweichendem Tone.

»Sie sind grausam!« lautete die Erwiderung; »verachten Sie es, Mitleid zu fühlen, so gönnen Sie die Empfindung doch wenigstens jenen, die wie nach einer Gunst nach ihm streben.«

»Ach, von Mitleid sprechen Sie?« entgegnete Adele rasch, »ja, das will ich Jedem geben, dem darnach verlangt. Ich sprach von mitleiden, das heißt, in Gemeinschaft leiden, und das kann man nur mit denen, für die man sich auch von Herzen zu freuen vermag. Das Mitleiden mit uns kann man gleichfalls nur Solchen gestatten, die –aber,« unterbrach sie sich selbst, »wir werden ja viel zu ernsthaft für eine sogenannte gesellige Conversation. Wir wollen von anderen Dingen, oder wir wollen auch gar nicht sprechen. Ich wenigstens ziehe das Schweigen vor. Unterhalten Sie sich mit meiner Freundin. Sie versteht das, was man Schwatzen oder Plaudern nennt, besser als ich. Sprechen Sie mit ihr, ich höre gern zu.«

Sie nahm auch ganz gegen die allgemeine Sitte den Strohhut ab und lehnte ihr schönes dunkelhaariges Haupt an die Linde an, in deren Schatten die Rasenbank errichtet war, nickte Rosetten freundlich zu und vertiefte sich in den Anblick des Höhenzuges, der den Horizont in nächster Nähe begrenzte, über dessen Krone duftiger Morgennebel zerfloß und wie ein durchsichtiger, vom Sonnenlicht rosig gefärbter Hauch über der Ebene schwebte.

Der Franzose folgte der Aufforderung, mit Rosetten zu plaudern, nicht. Er blieb an den Baum gelehnt, unter dem Adele saß, stehen und versank gleichfalls in tiefes Nachdenken. Nach einer Weile sagte Adele halb herausfordernd zu ihm:

»Nun, Sie sprechen ja nicht?«

»Ich habe noch den Kinderinstinct, gnädigste Frau, der sich gegen grausame Gebote sträubt und sie wenigstens nicht weiter erfüllt, als es durchaus nöthig ist. So verurtheilte Ihr Befehl, nicht mit Ihnen zu sprechen, sondern mit Anderen zu plaudern, mich zum Verstummen.«

»Und was haben Sie gedacht während dessen?« fragte sie.

»Ich glaube, nichts. Ich gab mich nur der Empfindung des Alleinseins hin, wie Sie es thaten, gnädige Frau!« war die Antwort.

»Nein,« sagte sie, »allein ist man nie in Gesellschaft; vereinsamt wohl, aber nicht allein. Das Alleinsein ist ein viel seligeres Gefühl, denn während es uns von aller Welt loslöst, bevölkert der Geist die Leere um uns her mit tausend lieblichen Traumbildern der Vergangenheit oder Zukunft. Dazu muß es aber so still sein wie im Schlaf oder im Grabe, oder so still wie die Natur in lautlosen Sommernächten. Das Leben, wie es sich hier offenbart,« sie deutete auf die plaudernde Gruppe, die sie umgab und auf ihr leises Gespräch mit dem Franzosen nicht achtete, »ein solches Leben macht uns nur einsam, während es uns Gesellschaft aufdrängt.«

»Ich habe bisher nicht so subtil zwischen Einsamkeit und Alleinsein unterschieden,« bemerkte der Franzose lächelnd, »unsere leichtblütige Nation findet wohl Schätze, aber sie gräbt nicht darnach. Was uns zufliegt, das fangen wir, und daß wir es sehen und im Fluge erhaschen, ist unser Verdienst. Ich muß übrigens gestehen, daß ich den Genuß des Alleinseins in Ihrem Sinne bisher auch noch nicht einmal verstanden habe. Es mag auch gut für mich sein. Ich empfinde nun auch die Entbehrung nicht, die das Leben uns, die wir im Gewühl der Welt unsere Tage zu verbringen bestimmt sind, auferlegt, und unter der Sie leiden müssen. Allein zu sein, so wie Sie es meinen, wird Ihnen schwerlich – jemals gestattet sein.«

»Ich gestatte es mir selbst,« unterbrach sie ihn lebhaft, »wer hat mir sonst etwas zu gestatten?«

»Die Welt,« erwiderte er, »ich denke, man sieht in Deutschland sehr streng darauf, was sie gestattet oder nicht.«

»Ich nicht,« fuhr Adele fort. »Was gilt mir die Welt! Sie macht mich nicht glücklich; soll ich mir noch das einzige Gut, was ich besitze, die Freiheit der Handlung von ihr beschränken lassen? Die Welt! Ha, meinen Sie nicht, daß sie zu vielen, im Grunde sehr unschuldigen Dingen, die ich unbehindert zu thun mir erlaube, arg den Kopf schüttelt? Gerade wegen dieses Kopfschüttelns thue ich sie ja, und so mag sie denn fortfahren damit, wenn es ihr Vergnügen macht, mag allen Puder aus ihrem künstlichen Zopf streuen, mich in eine Wolke der Verleumdung zu hüllen – ein einziger Mondstrahl einer träumerischen Sommernacht lächelt mit himmlischer Glorie die Wolke fort. O, Sie glauben es nicht, wie schön es dann hier unter den schönen, dunkeln Bäumen ist, wie man bei jedem Geräusch in seligem Erschrecken zusammenfährt, wie jeder geisterhafte Lichtschein uns weiter lockt, welche Welt die Phantasie um uns her zaubert, wie die Gedanken in der Seele wachsen und reifen, wie man auf ihnen emporsteigt wie auf einer Riesenleiter, die in den Himmel führt. Dies Alleinsein ist Glück –«

»Und dies Glück Exaltation!« unterbrach sie der Franzose.

»Nennen Sie es, wie Sie wollen, es bleibt doch Glück, und nicht einen Tropfen dieses himmlischen Nektars möchte ich verschütten, weil die Welt sagt: der Trank wirke berauschend und der Rausch zieme uns Frauen nicht.«

»O,« sagte der Franzose, »wer könnte mit Recht etwas dagegen einwenden, wenn die Poesie den Kelch füllt und der Rausch der Begeisterung die Seele über die Kleinlichkeit der Welt emporhebt. Ich beklage nur die Welt oder irgend einen Einzelnen auf dieser Welt, oder auch Sie, gnädige Frau, daß Sie keinen Sterblichen würdig finden, ihm den Trank zu kredenzen, daß Geisterbeschwörung keinen Zeugen duldet.«

»Warum nicht?« entgegnete sie unbedacht, »es kann aber nur Der Zeuge sein, den man als sein ganzes, volles Ich empfindet. Das wäre kein Rausch, kein Traum mehr, sondern eine verklärte Wirklichkeit!«

Sie schwieg, sich, wie es schien, in dem eben angeregten Gedanken verlierend. Nachdem ihr Wort verhallt war, kümmerte sie der, zu dem sie es gesprochen, nicht weiter. Sie sah ihn nicht an, gewahrte auch die lebhafte Röthe nicht, die in das Antlitz des jungen Mannes gestiegen war, sah nicht den leuchtenden, dann ernst sie prüfenden und wieder wie in Siegesjubel aufflammenden Blick.

»Bleiben wir bis Mittag hier sitzen?« unterbrach Rosette Adelens Schweigen; »wenn es so sein soll, wollen wir wenigstens die Unterhaltung eine allgemeine sein lassen, wir haben uns schon ganz ausgesprochen.«

Ein scherzhafter Vorwurf der jungen Herren, die sie umringten, war die Antwort auf die Anklage.

»Ich habe schon dreimal dieselbe Schmeichelei hören müssen,« fuhr Rosette mit kokettem Schmollen fort, »soll man da nicht sagen dürfen, daß die Unterhaltung erschöpft ist? Ich liebe zudem Schmeicheleien nicht, ich bin nicht daran gewöhnt, im Walde aufgewachsen, wie ich es bin!«

»Ich denke, Sie haben den Wald gern mit der Welt vertauscht,« bemerkte der Franzose, sich in die Unterhaltung mischend, der Adele jedoch nicht einmal zuzuhören schien.

»Aber doch nicht der Schmeicheleien, oder der unbequemen Rasenbank, oder der Sonnenhitze wegen, die mich zur Mohrin brennen wird, wenn wir noch lange hier bleiben. Bin ich auch nicht sehr weiß, möchte ich doch nicht gerade schwarz werden,« sagte Rosette.

Es giebt junge Leute, gefällige oder unerfahrene junge Leute genug, die immer bereit sind anzubeißen, wenn ein hübsches, kokettes junges Mädchen die Angel nach einer Schmeichelei auswirft. So empfing denn Rosette auch den erwarteten Tribut, der ihrem frischen rosigen Teint willig gezollt wurde.

»Im Walde aufgewachsen, wie kamen Sie dahinein?« fragte naiv einer der Herren, der an demselben Morgen erst ihre Bekanntschaft gemacht hatte.

»Mein Vater war Förster,« sagte Rosette, »Oberförster,« fügte sie hinzu, einen raschen Blick auf Adele werfend und sich überzeugend, daß diese nicht zuhöre. »Er ist aber todt –«

»Und seitdem halten Sie sich bei der Frau Baronin auf?«

»Nein, er lebte noch, als ich meine Freundin das erste Mal besuchte. Er starb erst ein Jahr darauf und da – da machte es sich denn von selbst, daß ich bei Adelen blieb. Die Mutter wollte es selbst so. Die Mutter ist eben nicht reich,« fügte sie, einer Aufwallung von Ehrlichkeit folgend, um vielleicht vor sich selbst die Lüge mit dem Oberförster wieder gut zu machen, hinzu und erröthete dann über das Geständniß.

»Sind Sie verwandt mit Frau von Stern?« lautete die nächste Frage.

»Nein,« sagte sie lächelnd, »ich bin kein Stern –«

»Aber eine Blume,« entgegnete einer der Herren mit einem raschen Biß an den Angelhaken.

»Waldblumen, was gelten die in der Welt?« sagte Rosette mit betrübtem Gesicht, »ach und dann verblühen die Blumen so schnell, und die Sterne sind doch ewig.«

»Die Blumen kann man aber an's Herz drücken und die Sterne nicht,« sagte keck, wenn auch nur halblaut ein junger Mann, und sah ihr flammend in die Augen.

Nun hatte Rosette den Punkt erreicht, bis zu dem sie herausforderte, sie wendete sich mit einem zürnenden Blick ab:

»Gehen wir heute gar nicht weiter?« fragte sie auf's Neue, diesmal fast schmollend Adelen.

Diese sah zerstreut auf, aber ehe sie noch Rosetten antworten konnte, wurden ihre Blicke durch einen jungen Mann gefesselt, der, wenige Schritte von ihr entfernt stehend, sie mit musternder Aufmerksamkeit zu betrachten schien. Die Ungenirtheit, mit der er es that, konnte nur durch das Recht naher Bekanntschaft erklärt werden; oder sie nahm eine Freiheit des Tones in Anspruch, die an Unverschämtheit grenzte.

Diese letzte Annahme machte sich unbedingt zuerst bei Adelen geltend. Sie zog die Augenbrauen finster zusammen und wollte nach einem etwas wegwerfenden Blick auf den Neugierigen eben den Kopf abwenden, als eine, sie plötzlich wie ein Blitz durchzuckende Erinnerung sie zu einem zweiten Blick nach ihm hin veranlaßte. Dem Blick folgte ein halblauter Ausruf der Freude, ein hastiges Aufspringen von der Rasenbank, und im nächsten Moment flog sie, die Oeffentlichkeit des Schauplatzes nicht achtend und nur dem Impuls ihrer Gefühle folgend, in seine Arme, ihn mit der Unbefangenheit und Herzlichkeit eines Kindes heftig auf die Lippen küssend.

»Waldemar, lieber Waldemar!« sagte sie dann, ihn loslassend, »wo kommst Du her? Bist Du vom Himmel gefallen oder plötzlich aus der Erde gewachsen? Nein, vom Himmel gefallen, denn daher kommt doch nur die Freude!«

»Macht Dir unser Wiedersehen wirklich Freude, liebe Adele,« entgegnete der so freudig Begrüßte und so freundlich Angeredete, »so mußt Du schon der Erde das Verdienst dabei lassen. Ich komme nicht vom Himmel, sondern jetzt direct aus dem Hôtel, vor dem mich gestern die Post, wahrlich kein Fuhrwerk des Himmels, aber eins, das himmlische Geduld erfordert, abgesetzt hat.«

»Mag das sein, wie es will,« sagte Adele freundlich, »der liebe Gott schickt Dich mir doch, und nun komm, nun wollen wir uns erzählen!«

Sie schob ihren Arm in den seinen, sagte zu Rosetten: »Erwarte mich hier, oder auch zu Hause, wie Du willst, mein Kind,« grüßte die übrige Gesellschaft und schritt am Arm des Fremden an ihr vorüber die Allee hinunter.

Rosette sah ihr betroffen nach. Eine eifersüchtige Regung trieb ihr das Blut in die Wangen, ja, fast Thränen in die Augen. Sie unterdrückte die Regung mit einem leichtfertigen Scherz.

»Meine Freundin läßt sich entführen,« sagte sie, »am hellen, lichten Tage, vor unseren sichtlichen Augen, sie giebt mir ein gutes Beispiel!«

»Wollen Sie ihm folgen?« ging einer der jungen Herren auf den Scherz ein und bot ihr den Arm.

Sie nahm ihn an.

»Ich will mich wenigstens führen lassen, ich gehe nicht gern allein,« sagte sie, »aber bitte, nach Hause. Aber bei mir bleiben dürfen Sie dann nicht, und Sie werden es auch nicht wollen, denn ich bin verstimmt, wenn ich von Adelen getrennt sein muß. Ich kann ohne sie nicht leben!«

»Wie wird es aber werden, wenn Frau von Stern sich wieder verheirathen sollte? –« fragte Rosettens Begleiter.

»Das wird, das darf sie nicht,« unterbrach diese ihn heftig und fügte dann, über ihre Heftigkeit lachend, hinzu: »Sie will es auch nicht, ich ereifere mich unnütz. Sie sagt, die Männer sind doch nur liebenswürdig, während sie uns die Cour machen, als Ehemänner sind sie es nicht.«

»Das ist ein schlechtes Compliment für Frau von Stern's verstorbenen Gemahl,« bemerkte Rosettens Führer.

»Er hat auch kein besseres verdient,« versicherte Rosette, »und,« setzte sie neckend hinzu, »wer weiß, ob irgend Einer eines besseren werth ist.«

»Haben Sie eine so üble Meinung von unserm Geschlecht?« fragte der junge Mann, nicht wissend, ob er Rosetten naiv oder unhöflich finden sollte.

Wenn die Menschen nicht mehr Kinder sind, läßt es sich schwer unterscheiden, ob Naivetät wirklicher Herzenseinfalt entspringt oder ob sie Koketterie ist.

»Ich habe gar keine Meinung von Ihrem Geschlecht,« beantwortete Rosette die Frage ihres Begleiters, »ich mag überhaupt nicht Meinungen haben, denn sie schränken unsere Handlungen ein, und ich bin gern so, wie der Augenblick mich sein läßt, sehe Menschen und Dinge am liebsten in dem Licht, in dem sie gerade vor mir erscheinen.«

»Dann werden Sie aber oft Täuschungen ausgesetzt sein, werden oft Irrthümer einzusehen haben,« erwiderte der junge Mann, dem ihr Geschwätz Vergnügen machte und trotz seiner Oberflächlichkeit originell erschien. Die große Unbefangenheit, mit der sie Alles heraussagte, was ihr im Augenblick einfiel, belustigte ihn.

»Irrthümer einzusehen haben?« wiederholte Rosette die letzten Worte desselben, »wissen Sie, mit dem Einsehen gebe ich mich nicht ab, das ist langweilig, und ich weiß auch nicht, wozu es nützen soll? Doch höchstens dazu, daß man sich sagt: liebes Kind, Du bist dumm gewesen, Du hast unrecht gehabt. Wer wird denn aber so unhöflich gegen sich selber sein? Nein, nein, ich sehe nichts ein und will auch nicht unrecht haben!«

»Ich weiß nicht, wie Sie mit diesen Ansichten, um nicht Meinungen zu sagen, durch die Welt zu kommen gedenken, namentlich, wie Sie sie einst in der Ehe behaupten werden.«

»Durch die Welt komme ich damit schon eine Reihe von Jahren, denn ich bin vierundzwanzig Jahre alt, müssen Sie wissen,« versicherte Rosette, »nicht wahr, Sie sehen es mir nicht an? Aber nein, seien Sie still, ich will keine Schmeichelei hören,« unterbrach sie sich selbst, als sie sah, daß ihrem Begleiter eine Erwiderung auf den Lippen schwebte.

»Also in der Welt habe ich die Probe bestanden,« fuhr sie fort, »und der in der Ehe denke ich mich nicht auszusetzen. Es ist mein Ernst,« fuhr sie etwas heftig auf, ein spöttisches Lächeln auf den Lippen des jungen Mannes gewahrend, »ich bleibe immer bei meiner Freundin, ich könnte es nirgends besser haben.«

»Heirathet man denn, um es besser zu haben?« fragte der junge Mann, noch immer mit dem spöttischen Lächeln auf den Lippen, »ich glaubte, man thäte es aus Liebe und bedächte nichts Anderes dabei.«

»Kann sein,« versetzte Rosette, »ich habe keine Meinung hierüber. Mir hat noch kein Mann so imponirt, daß ich gedacht hätte, ihn lieben zu können.«

»Was nennen Sie eigentlich: keine Meinung haben?« fragte Rosettens Begleiter, »ich finde, Sie haben sehr bestimmte Meinungen und sehr sonderbare dazu.«

Rosette lachte.

»Ich weiß in einem Augenblick nicht, was ich im nächsten über diesen oder jenen Gegenstand denken oder sagen werde,« versicherte sie, »und das nenne ich: keine Meinung haben.«

»Und doch bestimmen Sie für Ihr ganzes Leben voraus, daß Sie nicht heirathen wollen, und warum? weil Sie der Meinung sind, daß kein Mann Ihnen imponiren könnte! Das ist doch nicht nur im Augenblick und für den Augenblick empfunden, und mögen Sie recht haben oder nicht, jedenfalls basirt dieser Vorsatz auf einer Meinung.«

»Und einer irrigen, nicht wahr?« unterbrach ihn Rosette. Der junge Mann nickte »Sehen Sie,« fuhr Rosette fort, »man darf nur irgend eine Meinung aussprechen, so kommt ein Anderer und sagt uns, daß wir uns irren. Deshalb will ich ja eben keine haben. Ich sage auch nicht, daß mir kein Mann imponiren könnte, es hat es nur noch keiner gethan. Ich glaube aber, ein Mann, der das nicht verstände, würde es schlimm mit mir haben, denn meinen Willen habe ich gern, so lange ich ihn nur irgend haben kann, und es ist doch hübscher, wenn die Frau gehorcht.«

Rosettens Begleiter lachte hell auf.

»Das steht ja bei Ihnen,« sagte er.

»Nein,« sagte sie, »ich gehorche nicht Jedem!«

»Ich glaub's,« stimmte der junge Mann, noch immer lachend, ihr bei.

Sie waren vor dem Hôtel angekommen, in dem Adele wohnte, und Rosette verabschiedete sich von ihrem Begleiter. Es lag ein so sonderbarer Ausdruck in seinem Gesicht, als er ihr seine Verbeugung machte, daß Rosette, die einen ganz glücklichen Instinct im Errathen der Meinungen Anderer hatte und nicht Dame genug war, um zurückhaltend zu sein, plötzlich losbrach:

»Soll ich Ihnen sagen, was Sie jetzt denken?«

Er sah sie neugierig an.

»Sie denken, ich habe Nachlese gehalten auf den Geistesfeldern meiner Freundin.«

»Nein,« unterbrach er sie. »Frau von Stern's Geistesfelder sind zwar cultivirt und üppig genug, auch die Nachlese für den Armen noch ergiebig zu machen, aber ich habe diese Felder in den hängenden Gärten, durch die Sie mich führten, nicht erkannt. Ich nahm die dort herrschende Cultur durchaus für Original.«

Rosette sah ihn zweifelnd an. Sie wußte nicht recht, ob er ihr ein Compliment oder eine Sottise hatte sagen wollen. In solchen Fällen glaubte sie aber immer lieber das erste, glaubte es also auch hier und verabschiedete sich mit einem freundlichen Gruß und geschmeicheltem Lächeln von ihrem Begleiter.

»Adele ist viel klüger und gewandter als ich,« dachte sie, als sie die Treppe hinaufging, »aber ich bin jünger und hübscher und dumm eben auch nicht, ich glaube, im Allgemeinen ziehen die Herren mich ihr vor. Bah, mir ist's gleich! Zum Lieben ist doch Keiner, und ob mir Einer mehr oder weniger die Cour macht, darauf kommt's nicht an. Es ist ja doch Alles nur Zeitvertreib.« –

 

Während dessen waren Adele und ihr Begleiter Arm in Arm die Allee hinuntergegangen, die am Ende der Promenade in das schattige Walddunkel des Thales einbiegt

Auf einmal sagte Adele: »Was führte Dich eigentlich hierher, Waldemar? Du siehst so blühend, so kräftig aus, daß Gesundheitsrücksichten Dich doch schwerlich zum Besuch eines Bades veranlaßt haben können. Wußtest Du, daß ich hier war?«

»Nein,« sagte er, »ich wußte es nicht.«

»Wie solltest Du auch!« unterbrach sie ihn halb wehmüthig. »Wir haben ja kaum etwas von einander gehört seit unseren frühsten, damals gemeinschaftlich verlebten Jugendtagen. Es ist eigentlich zu arg! So nah verwandt, so befreundet einst, und doch so außer allen Zusammenhang gerathen!«

»Mein umherirrendes Leben mag Veranlassung dieser scheinbaren Entfremdung gewesen sein,« entschuldigte er sich. »Scheinbaren, denn in Wirklichkeit war sie nicht vorhanden. Wir standen nur nicht in unmittelbarem Verkehr, aber von Dir gehört, an Dich gedacht habe ich oft.«

»Ich noch mehr von Dir,« sagte sie. »Freilich mußte ich die empfangenen Nachrichten mit der ganzen Welt theilen, und in den dichterischen Werken Waldemar Dorn's war nicht ein Wort, das nicht der Menge eben so gut gehört hätte als mir. Aber das ist ja Alles nur ganz natürlich. – Ich habe auch ein herumziehendes Leben geführt,« fuhr sie nach einer kleinen Pause fort, »auch ich habe nie lange an einem Orte Ruhe gehabt. Es bleibt aber immer seltsam, daß bei unserm beiderseitigen Umherirren wir uns nie zu einander verirrt haben.«

»Oder zu einander gefunden,« unterbrach er sie.

»Das noch lieber,« sagte sie freundlich.

»Ich erfuhr gestern Abend schon Deine Anwesenheit hier,« erzählte er, »trotz der alltäglichen Prosa des Lebens giebt es doch noch Leute genug, denen ein Stern nicht unbemerkt aufgeht.«

Adele sah den Sprechenden ernsthaft an.

»Bitte, Waldemar,« sagte sie, »mache Du es nicht wie die Anderen, gieb mir etwas Besseres als Schmeichelei.«

»Ich wollte nicht schmeicheln,« entgegnete er eben so ernsthaft, »ich wollte nur den richtigen Blick anerkennen und rühmen, der einen Stern selbst da herausfindet, wo es diesem beliebt, sich gelegentlich in falschem Licht zu zeigen.«

Sie verstand ihn augenblicklich.

»Was kümmert's mich, in welchem Licht man mich zu sehen glaubt. Ich lebe nicht für die Leute, ich lebe für mich.«

»Genügt Dir das?« fragte er.

»Nein, ich langweile mich dabei,« entgegnete sie, »aber was soll ich thun, für wen soll ich leben? Ach, Waldemar,« fuhr sie fort, »aus mir hat das Leben nicht viel Gutes gemacht, seit wir uns nicht gesehen haben!«

»Warum überläßt Du es dem Leben, Etwas aus Dir zu machen, warum machst Du Dir nicht aus ihm, was für Dich taugt?« sagte er lebhaft.

»Das wollte ich und will ich noch, und deshalb,« sagte sie erröthend, »macht sich, um Dein Gleichniß zu gebrauchen, der Stern nichts daraus, ob er in falschem Licht erscheint.«

Er schüttelte den Kopf.

»Verzeih es mir,« entgegnete er, »wenn ich es wiederhole: ich lobe die Leute, die den Stern erkennen, der sich in trübem Wasser spiegelt; der Stern selbst thut mir leid, und ich mache ihm einen Vorwurf daraus, daß er nicht lieber sein Antlitz in die klare Fluth taucht.«

Adele erröthete heftig, dann sah sie Dorn fest an.

»Was haben Dir denn die Leute von mir gesagt?« fragte sie.

»Ich will Dir nur das mittheilen, was ich selbst aus dem Gehörten schloß,« sagte er; »Du bist emancipirt, Adele!«

Sie lachte, nahm aber dann wieder eine ernste Miene an und sagte fast vorwurfsvoll:

»Du bist ein Dichter, Du schüttelst den irdischen Staub von Deinen Geistesschwingen, Du athmest freie Himmelsluft und willst dennoch, daß Andere in Fesseln ihr Leben dahinschleppen, daß sie im Staube verkümmern sollen?«

»Die Frauen,« fuhr er, ohne ihren Einwand zu beantworten, fort, »die Frauen verstehen unter Emancipation meist nichts Anderes, als eine Loslösung von bestimmten Formen, die Sitte und Gewohnheit ihnen auferlegt, als ein Heraustreten aus den häuslichen Grenzen, aus der schüchternen Zurückgezogenheit, die dem zarteren Geschlecht so wohl ansteht, in der sie leuchten wie das Sternenlicht unter dem verhüllenden Schleier der Nacht. Im vollen Tageslicht verbleichen die Sterne, Adele!«

»Oder das kurzsichtige Auge erkennt sie nur nicht,« entgegnete sie, »denn was Stern ist, bleibt Stern, gleichviel, ob verschleiert oder nicht. Soll aber, um dieses Verkennens willen, der Stern nur in der Finsterniß sein Lebenselement erkennen? So wollt Ihr es aber, Ihr scheelsüchtigen, auf Eure Herrschaft eifersüchtigen Männer, uns beschränken, damit Ihr um so größere Freiheit habt. Woher nehmt Ihr das Recht, uns Sittengesetze vorzuschreiben, die jeden freien Schritt hemmen? Aus unserm Innersten heraus müssen wir uns unsere Sitte schaffen, und, reinem Herzen entströmend, ist sie rein, paßt sie auch nicht an den Zollstab der Gewohnheit. Emancipirt! das Wort ist nur in Mißcredit bei Euch, weil es uns auf die eigenen Füße stellt und Ihr das Gängelband nicht loslassen wollt. Sag', ist es nicht gut, daß ich allein zu gehen vermag, und mußt Du gleich Schlimmes von mir denken, weil ich es thue? Wahr ist's, um das Gerede der Leute kümmere ich mich nicht, aber Du mußt es auch nicht thun. Hast Du vergessen, wie ich bin, oder meinst Du, ich bin anders geworden, so lerne mich kennen durch mich selbst, nicht durch das Geschwätz der Menschen!«

»Es giebt Frauen, über die Niemand spricht,« sagte Dorn, »so still, von der Menge unbemerkt, gehen sie durch das Leben. Unbedeutend braucht ihre Existenz deshalb nicht zu sein, und über das Unbedeutende wird oft eben so viel gesprochen, wie über das Hervorragende; aber ihr Thun ist zu still, um das Glockengeläut zu wecken, das immer nur ertönt, wenn man am Strang der Glocke zieht. Die Empfindungen wecken sie, aber nicht das Wort, Thränen und Lächeln zollt man ihnen, aber keinen lauten Lobgesang. Ich muß gestehen, solche Frauen sind für mich immer das Ideal der Weiblichkeit gewesen.«

Adele seufzte. Er fuhr fort:

»Es ist etwas Engelhaftes um ihr Sein, die höchste Weiblichkeit, die sich wie das Veilchen in's Verborgene flüchtet. Sie sind selten, leider! und der Cultus, den man ihnen widmet, wird hier und da schon Beschränktheit genannt. Dann giebt es andere Frauen, und ihre Zahl ist Legion, die man heute tadelt und morgen lobt, die jeden Tag ein anderes Gesicht zeigen und selbst nicht wissen, welches das rechte ist; noch andere, die sich, im ahnenden Gefühl ihrer Häßlichkeit vor sich und Anderen verschleiern, und wieder andere, Adele, die, im unerkannten Gefühl ihrer Schönheit, aus Uebermuth, aus Weltverachtung, aus langer Weile vielleicht, keck das Urtheil herausfordern, wenn sie ihm auch nichts zu bieten haben, als kleine, künstlich geschaffene Unvollkommenheiten, die ihrer innersten Natur widersprechen. Sie emancipiren sich, das heißt, sie schaffen sich Ketten, um sie zu zerreißen, und tragen sie dann zerrissen mit sich herum, damit sie einen Beweis für ihre Freiheit haben.«

»Du meinst, sie machen viel Lärm um nichts?« sagte Adele empfindlich.

»Mitunter ja,« stimmte er bei, »Ich beneide die Frauen nicht,« fuhr er fort, »die ihr Verhängniß fortreißt, aus ihrer Verborgenheit herauszutreten und die Welt zum Zeugen ihres Thuns zu machen. Geschieht es, so sollten die Motive dazu so überwältigend sein, als ihre dadurch bedingte Stellung ungewöhnlich und unbehaglich ist.«

»Ich bitte Dich, Waldemar,« sagte Adele sehr ernsthaft, »was sagen die Leute über mich, und was denkst Du von mir?«

»O Adele!« entgegnete er lebhaft, »ich denke nicht anders von Dir als damals, wo ich in Deinem Herzen nichts fand als Liebe zum Rechten und Schönen, als Streben nach wahrer Freiheit, als Sehnsucht und Frieden, wo wir von großen Dingen träumten, wo die Zukunft uns nur lachende Bilder des Glückes zeigte. Niemand sagt etwas über Dich, was meinen Glauben an Dich zerstören könnte, denn obgleich sie Alle von Dir sprechen, tastet doch Keiner die Reinheit Deines Charakters an.«

»Nun, dann laß sie doch sprechen,« sagte sie ungeduldig.

»Ich bin einen halben Tag hier, und Dein Name tönt mir aus dem Munde jedes Laffen entgegen,« erwiderte er, »das ist unerträglich! Sie ist emancipirt, heißt es, und worin besteht diese Emancipation? O, in lauter Dingen, die mit wirklicher, innerlicher Freiheit nichts zu thun haben, die nur ein Zerrbild der Freiheit schaffen. Du lebst ungebunden wie ein Mann.«

»Hast Du mich deshalb mißachten hören?« fragte sie.

»Nein,« sagte er.

»Nun so gönne mir meine Ungebundenheit, sie ist der einzige Lebensgenuß, den ich habe, und gewöhne Dich fortan, über mich sprechen zu hören. Das Leben gewährte mir nichts als Geld, was hätte ich davon, schaffte ich mir nicht die Genüsse durch dasselbe, auf die ich allein Werth lege. Ich reise gern. Soll ich zu Hause bleiben, weil mein Vater ein alter, nur hinter seinen Geschäften und Büchern lebender Mann ist und mich nie begleiten würde, und weil ich keinen Mann oder Bruder habe, seine Stelle zu ersetzen? Oder soll ich mir das erste beste ergraute Geschöpfchen als Duenna engagiren, die mich bei jedem Schritt hemmt und mich doch nicht mehr schützen kann, als ich's selber thue? Es ist mein größtes Vergnügen zu reiten! Soll ich's aufgeben, wieder, weil ich keinen Mann oder Bruder habe, mich zu begleiten, weil ich es allein thun muß oder in Gesellschaft fremder Herren, und die Prüderie in jedem jungen Manne einen Anbeter erblickt und fürchtet? Es ist ein Entzücken für mich, mitunter ein paar Stunden einer dämmerigen Sommernacht im Freien zu verträumen! Die Schicklichkeit verbietet's. Der arme Vogel soll in's Nest, weil im Dunkeln die Eulen und Fledermäuse ihren Tag feiern. Was habe ich mit den Eulen und Fledermäusen zu thun? Sie suchen ihresgleichen auf, nicht den, der nicht zu ihnen paßt. O, ich weiß sehr gut, welch ein Leben man mir vorschreibt! Ich bin eine Wittwe, ich stehe allein in der Welt, ich soll hübsch ehrbar in meinen vier Wänden bleiben, den Strickstrumpf zur Hand nehmen, auch wohl ein Buch, ja sogar ein recht schlechtes aus der schlüpfrigen Literatur des modernen Frankreich. Nur fein zu Hause gelesen, ist es erlaubt und natürlich weniger demoralisirend, als ein einsamer Spaziergang oder ein freier Flug durch die Welt, als ein fröhlicher Ritt über die blühende Flur oder in den Novembernebel hinaus, hinter dessen feuchten Schleiern schon die Stürme des Winters lauschen, uns mit leisen, ahnungsvollen Frostschauern durchrieseln und uns in der Ferne die hellen Flammen des Kamins in irgend einem gastlichen Schlosse zeigen, dessen erleuchtete Fenster dem schauerlich romantischen Ritt ein behagliches und ersehntes Ziel setzen.«

Ueber Dorn's Antlitz flog unwillkürlich erst ein heiteres, dann ein beifälliges Lächeln während Adelens Beschreibung.

Sie fuhr fort:

»Ich darf auch Gesellschaften geben und besuchen, Thees und Kaffees natürlich nur von Damen, weil ich eine Wittwe und noch jung bin. Verstoße ich schon so weit gegen die mir vorgeschriebene Lebensweise, einmal eine Reise zu machen, und zwar ohne die ältere Begleiterin, so muß ich wenigstens überall in der größten Verborgenheit bleiben, muß mir die Last auferlegen, meine eigene Oekonomie zu führen, oder darf mir höchstens das Essen aus dem Speisehaus holen lassen. Das ist mir aber Alles sehr langweilig und sehr unbequem, Waldemar.«

»Du zeichnest kein Bild, sondern eine Caricatur,« wandte dieser ein.

»Die doch ziemlich richtig die Umgebung und Lebensweise der Frauen schildert, von denen Niemand spricht, Waldemar!« sagte sie beziehungsvoll.

Er zuckte statt aller Antwort die Achseln.

»Sieh nur erst mit an, wie ich lebe und bin,« fuhr sie, wieder einlenkend, in freundlicherem Tone fort, »und dann wollen wir weiter darüber sprechen. Es ist wahr, ich finde Geschmack an Vergnügungen, welche die Männer für ihr Privilegium halten, ich setze mich über viele Rücksichten hinweg, weil ich sie kleinlich finde, ich habe meine eigene Form und Sitte, und sie tasten die Sittlichkeit nicht an. Ich spreche frei heraus, was ich denke, ich kann es, Waldemar, ich denke nichts Niedriges. Was thut's mir also, ob man von mir spricht? Es geschieht auch nur, weil ich bis jetzt noch ziemlich vereinzelt mit meinen Grundsätzen und Ueberzeugungen dastehe. Laß nur erst Mehrere es wagen, weiblich und selbstständig zugleich zu sein, innere Sittlichkeit in eine freiere, äußere Form zu bringen, und das Gerede wird verstummen.«

»Willst Du Proselyten machen, Adele?« fragte Dorn.

»O nein, wenigstens jetzt noch nicht,« entgegnete sie lebhaft. »Noch habe ich mit mir selbst genug zu thun, was kümmern mich die Anderen. Möglich, daß Langeweile, Lebensüberdruß, Unbefriedigung mich einmal dahin bringen, meine Lehre zu predigen, wenn die Kleinigkeiten, wegen deren Du mich tadelst, es verdienen, in ein System gebracht zu werden.«

»Sie verdienen es nicht,« unterbrach sie Dorn, »aber sie bedürfen der Aufmerksamkeit eines Dir befreundeten Herzens, Adele. Deine eigenen Worte beweisen nur zu sehr, daß nicht Freude am Leben, nein, daß Blasirtheit Dir Deine Lebensweise dictirt. Alle diese Kleinigkeiten, wie Du sie nennst, oder Kleinlichkeiten, wie man sie eigentlich im Vergleich zu dem, was sie bezwecken sollen, nennen müßte, die unwesentlichen Launen, die Dir den Weg zur Freiheit bahnen sollen, sind Verräther Deines Seelenzustandes. Du bist nicht glücklich, Adele! Das war mein erster Gedanke, als man mir sagte: Frau von Stern ist emancipirt.«

»Du bist ein Menschenkenner geworden, seit wir uns nicht gesehen haben,« spottete sie, »Du traust jetzt Deiner Einsicht mehr, als den Versicherungen Anderer, früher warst Du nur gläubig, nicht wissend.«

»Das Wissen stärkt aber den Glauben,« entgegnete er.

»Wo hast Du die Menschenkenntniß her, wie verträgt sich das Grübeln und Auslegen und Deuten, das Hineingreifen in die verstecktesten Räume des Herzens, wie verträgt sich das mit dem poetischen Flug in die Höhe?« fragte Adele.

»Es verträgt sich nicht nur damit, es gehört dazu,« entgegnete er. »Die Poesie schöpft man aus dem Leben, sie muß erst tief hineinschauen in die Welt, ehe sie über dieselbe hinwegträgt. Der Taucher holt auch die Perlen aus der Tiefe des Meeres. Ich war so lange nur ein poetischer Träumer, bis ich schauen und dadurch denken lernte und dann ein Dichter wurde.«

»Schauen – denken –« wiederholte sie. »Schaust Du auch in Dich hinein, denkst Du auch über Dich nach?«

»Gewiß,« sagte er, »wie sollte ich sonst Andere erkennen?«

»Und Du irrst Dich nie in Dir?« fragte sie.

»Wie könnte ich so vermessen sein das zu behaupten!« entgegnete er lebhaft. »Nur für den Willen kann ich einstehen; daß er jederzeit zur That wird, dafür leider nicht. Ich bin ein Mensch, Adele, und noch dazu einer, den die Natur sehr abhängig von seiner Phantasie gemacht hat, den dieser berauschend wirkende Geist, halb Dämon, halb Engel, immer wieder aus der richtigen Bahn lockt, ihm Bilder vor die Seele zaubernd, die wie Nebel zerfließen, sobald nur der Sonnenstrahl richtiger Erkenntniß erleuchtend hineinscheint.«

»Aber wie machst Du's, daß der Dämon zum Engel wird?« fragte sie.

»Ich beschwöre ihn mit meinem Wahlspruch: Klar denken, wahr sprechen!« entgegnete er.

»Ach, ich habe immer das Denken über mich zurückgewiesen!« rief sie aus. »Ich scheute mich vor dem Chaos; auf das ich traf.«

»Aus dem Chaos schuf Gott eine Welt!« unterbrach er sie lebhaft.

»Ja, und sie verleugnet noch heute ihren Ursprung nicht,« entgegnete sie bitter.

»Ihren göttlichen Ursprung, nein!« sagte er fest, absichtlich ihre Meinung mißverstehend.

»Für Manche blieb und bleibt sie ein Chaos!« behauptete sie.

Eine Weile schritten sie schweigend neben einander her, sie, mit jenen unsicheren Blicken in die Ferne schauend, denen man es deutlich anmerkt, daß sie sehen, ohne etwas Bestimmtes zu gewahren, er, sein Auge auf die schöne Frau geheftet, die feinen, geistreichen Züge derselben, den klaren, durchsichtigen, wenn auch farblosen Teint, die edel geformte Stirn mit Wohlgefallen betrachtend und dann leise seufzend über den Ausdruck von Abgespanntheit, der das anziehende Gesicht verdunkelte.

»Erzähle mir doch etwas von Deinem Leben, Adele,« bat er auf einmal.

»Von wo an?« fragte sie.

»Nun, von der Zeit unserer Trennung an,« sagte er, »denn da Du hartnäckig darauf beharrtest, keinen Briefwechsel mit mir einzugehen, hörte ja doch jeder andere Zusammenhang, als der einer völlig passiven Zuneigung, hörte jedes geistige Zusammenleben auf, und ich wußte von Dir nicht viel mehr, als wie es am Schluß jedes Märchens von den Helden desselben heißt: wenn sie nicht gestorben sind, leben sie heute noch.«

Sie lachte und sagte dann freundlich:

»Also von meinem Leben erzählen soll ich? Nun, das ist schnell gethan. Ich heirathete sehr jung, war zwei Jahre darauf Wittwe, ging dann zu meinem Vater zurück, der, um mich zu zerstreuen, mit mir nach Paris reiste und die Absicht hatte, mich nun ganz wieder in sein Haus aufzunehmen. Dieser Absicht entsprach ich nicht. Ich konnte die Einsamkeit, zu der mich seine Geschäfte bei Tage, konnte das gesellige Leben, zu dem mich seine Gewohnheit des Abends verdammte, nicht ertragen. Es war mir unmöglich, Abend für Abend für Andere Thee zu bereiten oder ihn in anderen Häusern bereiten zu sehen, und dabei immer dasselbe zu sprechen oder sprechen zu hören; es war mir unerträglich, Vormittagsbesuche zu machen oder zu empfangen, um die albernen Bedingungen einer albernen Etiquette zu erfüllen. Das nannte ich nicht leben, und ich sehnte mich darnach, zu leben. Mein Vater bedurfte meiner nicht. Sein Leben war geregelt ohne mich; wie ein Uhrwerk wurde es jeden Tag aufgezogen und lief jeden Abend ab, ich brachte nur Unordnung in den Mechanismus, und Ordnung war oder ist noch, wie Du weißt, meines Vaters Hauptleidenschaft.

Er machte aus Güte einige Einwendungen gegen meinen Vorsatz, sein Haus zu verlassen, und fühlte sich gewiß sehr erleichtert, als ich ging. Seine Fürsorge und Liebe, wie seine Begriffe von Anstand veranlaßten ihn, mir die alte Dame, die bisher sein Hauswesen geführt, als Ehrendame aufzudrängen. Mit diesem Bleigewicht an den Füßen flog ich in die Welt, kam natürlich nie höher als höchstens einen halben Fuß über den Boden und wurde so unbeschreiblich viel von Anstand unterhalten, von Schicklichkeitsregeln eingezwängt und gelangweilt, daß mir eine gewisse Art von Anstand und Schicklichkeit ganz unerträglich wurde und ich dem Himmel dankte, als er Bande löste, die ich aus mancher Herzensrücksicht nicht lösen wollte. Meine Ehrenwächterin war eine treue Seele, sie hatte meiner Mutter die Augen zugedrückt, hatte für meines Vaters und mein Wohlergehen gesorgt, hat mich lieb gehabt, obgleich ich meist Alles weiß fand, was sie schwarz nannte. Als sie von selbst ging, war ich sehr froh, obgleich ihr plötzliches Fortgehen mich im Augenblick in Verlegenheit setzte und ich, so lange ich mich in dieser Verlegenheit befand, sogar geneigt war, sie undankbar zu schelten. Seitdem habe ich nun völlig nach meinem Sinn gelebt, bin heute hier, morgen dort gewesen, habe mir meine Gesellschaft gewählt und mich mit dem Anstand begnügt, der wirklich etwas bedeutet und sich nicht bei genauem Hinsehen in lauter Form und Schein auflöst. Da hast Du mein Leben!«

»Dein äußeres Leben, Adele, aber Dein inneres?« sagte Dorn dringend.

»Das innere?« wiederholte sie, »ja, davon ist wenig zu sagen, dem fehlt der Centralpunkt, die Liebe. Ich weiß nicht recht, was ich lieben soll, und ohne eine Alles umfassende Liebe mag man sein Leben drehen und wenden wie man will, es ist doch nichts Rechtes damit anzufangen.«

»Was Du lieben sollst?« sagte er, »alles Schöne in der Welt, alles Große und Edle im Menschen, bis Dir Der begegnet, in dem Du alle Weltenschönheit, alle Menschenwürde und Größe offenbart siehst.«

»Ich bin ihm begegnet, und er schritt an mir vorüber,« sagte sie einfach und fuhr dann fort: »Siehst Du, Waldemar, nun beweise ich Dir doch, daß man Freundschaft halten kann, auch ohne geschriebene Worte. Was ich Dir jetzt eben gesagt, erfuhr noch nie Jemand von mir. Aber nun wirst Du mein Leben begreifen, da Du weißt, daß ich bei aller Erkenntniß der Weltenschönheit und Menschenwürde, bei aller warmen Begeisterung dafür, doch Einen zu wenig zum Lieben habe, um glücklich zu sein.«

»O, Adele!« sagte Dorn, »wie konnte der Eine so blind sein, an Dir vorüberzugehen.«

Ein Lächeln überflog ihr Antlitz, fast war es ein spöttisches Lächeln.

»Genug von mir jetzt,« sagte sie, »jetzt erzähle Du mir. Bist Du verheirathet? Aber nein, das kannst Du nicht sein, ein so wichtiges Ereigniß würdest Du mir mitgetheilt haben. Aber bist Du verlobt?«

»Nein,« antwortete er.

»Aber wie kommt das?« fragte sie ungeduldig.

»Ich bin auch nur einmal dem Wesen begegnet,« erwiderte er, »von dem ich glaubte, es würde eins jener stillen, sanften Geschöpfe werden, die durch die Welt gehen, ohne daß man von ihnen spricht. Eine jener lieblichen Frauen, die mit ihrer bloßen Existenz Allen wohlthun, ohne es nur zu wissen, die denen, die mit ihnen zu leben begnadigt sind, einen Spiegel reiner Seelenschönheit vorhalten, in den nur hineinschauen zu dürfen schon die Seele erhebt und erläutert. Die holde Erscheinung schwebte nicht an mir vorüber, aber als ich vor ihr niedersinken wollte, wirbelte man eine solche Wolke irdischen Staubes vor mir auf, daß ich mich selbst hätte verlieren müssen, um sie festzuhalten. – Ich habe sie seitdem nicht wiedergesehen,« fuhr er nach einer Pause fort, – »ich habe auch nichts von ihr hören wollen, obgleich es mir leicht gewesen sein würde, Nachricht von ihr zu erhalten. Sie ist an einen Kaufmann verheirathet und lebt in Deiner Vaterstadt, Adele.«

»Ah!« sagte sie, »deshalb bist Du nie wieder bei meinem Vater gewesen, obgleich er Dich so gern einmal wiedergesehen hätte, obgleich auch ich Dich um Deinen Besuch verschiedene Male gebeten habe.«

»Deshalb,« bestätigte er.

Adele versank in Nachdenken. Ihr Begleiter störte sie nicht darin, und schweigend setzten Beide den Weg fort, der sie nach der Promenade zurück und dann weiter bis zu Adelens Wohnung führte.

Auf Adelens Aufforderung folgte Dorn ihr in dieselbe.

»Ich gehe einer Scene entgegen, die ich pariren will,« sagte sie im Eintreten zu Dorn, »einer Scene der Eifersucht, aber ich denke, ich schlage gleich den ersten Sturm ab und habe dann Ruhe. – Still, still, Rosette,« wandte sie sich zu dieser, die ihr mit schmollendem Gesicht und verweinten Augen entgegenkam, »keine Vorwürfe, ich weiß, was Du sagen willst. Dies ist also mein sehr lieber Jugendfreund und naher Vetter, der Schwestersohn meiner Mutter, Waldemar Dorn, von dem ich Dir oft erzählt und an dessen schönen Büchern wir uns gemeinsam erfreut haben.«

»Ah!« sagte Rosette, und ihr Antlitz klärte sich ein wenig auf, obgleich sie noch immer mit etwas mißtrauischen Blicken den Freund und Vetter betrachtete.

»Und nun, Waldemar,« wandte Adele sich zu diesem, »thue mir den Gefallen und versichere dieser meiner eifersüchtigen Freundin, daß Du nie mein Anbeter gewesen bist, noch sein willst, daß Du mich lieb hast, ohne daß ich Dir gefalle, kurz und gut, daß nicht daran zu denken ist, daß wir uns heirathen. Wenn wir Beide ihr das nicht feierlich zuschwören, plagt sie mich von früh bis spät mit eifersüchtigen Grillen, bewacht und behütet sie mich, wie ein geiziger Vormund sein reiches Mündel, und benimmt sich bei jeder Gelegenheit höchst unvernünftig. Du kannst es glauben, sie hat mich schon mit viel schlimmeren Leuten, als Du bist, in Verdacht gehabt.«

»Wo viel Eifersucht, ist auch viel Liebe,« sagte Dorn, einigermaßen betroffen über diese baroke Art der Vorstellung und bemüht, den ihm wenig zusagenden Scherz zu enden und doch auf den heitern Ton desselben einzugehen. »Ich freue mich,« wendete er sich zu Rosetten, »meinen Wildfang von Cousine von so treuer Liebe behütet zu sehen, und hoffe, Sie erlauben mir Ihnen darin beizustehen. Wir wollen uns Beide verbünden, sie zu bewachen.«

Er reichte Rosetten die Hand hin, sie schlug ein, und alle Empfindlichkeit über Adelens rücksichtsloses Fortgehen vergessend, alle Vermuthungen und Befürchtungen für den Augenblick unterdrückend, ging sie in fröhlichster Weise auf das Gespräch ein, das Dorn mit vieler Gewandtheit auf harmlosere Felder lenkte.

Als er aufbrach um fortzugehen, sagte Adele:

»Du mußt uns recht oft besuchen, lieber Waldemar. Deine Bücher hat Rosette schon lieb, wenn sie auch die ernsteren Stellen darin überschlug, sie muß auch Dich lieb gewinnen –«

»Das heißt, auch in mir das überschlagen, was Ihnen nicht zusagt,« sagte Dorn freundlich zu Rosetten.

»Das thue ich bei Allen,« lachte diese, »und ich hoffe, bei Ihnen wird nicht so wenig übrig bleiben, wie bei vielen Anderen. Ich überschlage nur, was mich langweilt, ich lese nicht um zu lernen. Das habe ich in der Schule und zwar so rasch als möglich abgemacht.«

Dorn lächelte.

»Ich will auch nicht belehren,« sagte er.

»Und doch will ich Dich gerade dazu haben,« versicherte Adele »Früher verstandest Du es so gut, früher, als wir Kinder waren, Du den Lehrer spieltest und wir manche Stunde auf dem vorspringenden flachen Dach des Seitenflügels unserer Wohnung saßen und Du mir mit dem ernstesten Gesicht aus der Seelenlehre vorlasest und mich auf die Finger schlugst, wenn ich es nicht verstand und Du es mir nicht erklären konntest. Auch das Versemachen wolltest Du mir beibringen. Weißt Du noch, wie verzweifelt Du warst, als ich durchaus Mutter und Zucker reimen wollte und hartnäckig den gleichlautenden Klang beider Worte behauptete?«

»Du dachtest an die Süßigkeit der Mutterliebe und reimtest den Sinn, während ich das Wort gereimt haben wollte,« sagte er lächelnd.

»Nein, ich wußte nichts von der Harmonie zwischen Wort und Gedanken, ich hatte ein taubes Ohr und ein eigensinniges Herz,« entgegnete sie, »aber ich verspreche Dir jetzt ein feines Gehör und ein gehorsames Herz, wenn Du mich in der Kunst belehren willst, in dem Leben Harmonie zu finden und Moral mit einem andern Wort zu reimen als mit Qual.«


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