Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Capitel.


Dorn besuchte von nun an Adelen täglich. Er war auch oft ihr Begleiter auf ihren Promenaden, ihr Nachbar an der Table d'Hôte, er sah sie jene tausend kleinen Extravaganzen begehen, die ihr das Beiwort: emancipirt, verschafft hatten, jenes rücksichtslose Nichtachten bestimmter Formen, jenes unbedachte Aussprechen jedes aufsteigenden Gedankens, jene Hingebung an jede noch so bizarre Laune. Er fühlte sich verwundet durch ihren Witz, auch wenn er nicht auf ihn gemünzt war, ihr Uebermuth that ihm weh, denn beides, Witz wie Uebermuth entsprangen nicht wirklicher Heiterkeit des Gemüthes, und sie galten dem Vorurtheil für Bosheit und Koketterie.

Eine Frau muß das Urtheil nicht scheuen, dachte er, aber sie muß auch das Vorurtheil nicht herausfordern.

Er beobachtete Adelen scharf, aber nicht mit jener kalten Ueberlegenheit, die das Secirmesser an den Charakter legt, ihn zu einem Studium auszubeuten, sondern mit all' der Unbefangenheit, die, auf kleinen Zügen aufmerksam verweilend, in ihnen den Schlüssel zu weiteren Offenbarungen findet, eine Beobachtung, die in diesem besondern Fall noch dem Quell warmer Freundschaft, verwandtschaftlichen Interesses entsprang. Dorn, der Seelen schilderte, verstand es auch in ihnen zu lesen und die Schönheit derselben zu erkennen, wo sie sich auch unter siebenfachem Schleier verbarg.

Das Verbergen störte ihn nicht, aber das Entstellen. Ein weiblicher Geist nach männlicher Ungebundenheit ringend, machte ihm denselben unschönen Eindruck, wie eine Frauengestalt in männlicher Kleidung.

Ihm that nichts so weh als vergebliches Streben, als das Versinken eines edlen Geistes in Kleinigkeiten, als das Zersplittern von Riesenkräften an Zwergarbeit. Sich von äußerlichem Zwange befreien und sich willenlos vom Geschick treiben lassen, das kam ihm vor wie ein mühsames Steineklopfen, um sich eine Straße zu bauen, an deren Ende eine undurchdringliche Felswand die ganze Arbeit unnütz macht.

Adele klopfte aber Steine Tag für Tag, statt die Flügel wachsen zu lassen, welche ihr Geist von der Natur empfangen und die sie leicht hätten über jeden Felsen emportragen können. Dorn gab sich Mühe, ihr die verborgenen Schwingen zu zeigen. Sein Interesse für Adele wuchs im Umgange mir ihr.

»Können Sie nichts thun, ihr eine andere Richtung zu geben?« sagte er einst zu Rosetten, aber in Adelens Gegenwart und nachdem er gegen diese eben alle seine Beredsamkeit erschöpft, sie von dem Nichtigen ihres Treibens zu überzeugen.

»Ich?« lachte diese, »ich gehe selber nur, wie der Wind mich treibt. So sagt wenigstens Adele immer.«

»Ja, lieber Waldemar,« fügte diese in demselben Tone hinzu, »wir sind Beide Schiffe ohne Steuer, und wie der Wind sich in unser Segel setzt, so gehen wir.«

»Ach,« sagte er ärgerlich, »Eure Segel sind weiblicher Unverstand, und die treibende Kraft ist Opposition, die Opposition gegen die Gesetze und Gebräuche der Schifffahrt. Euch thäte ein Steuer noth!«

»Das heißt wohl, ein Steuermann?« fragte Rosette, deren kokette Naivetät manchmal mit der Thür in's Haus fiel.

»Es ist so schade um Dich,« fuhr Dorn, ohne die Frage zu beachten, zu Adele gewendet, fort; »Du stehst in Gefahr, Dein besseres Selbst an ein Nichts zu verlieren, in Gefahr, in die hohlste Oberflächlichkeit des Lebens zu versinken. Du verschwendest Deine Jugend, und Dein Alter wird eine Wüste sein!«

Er schwieg. Eine kleine Pause trat ein, in der er überlegte, ob er sich nicht zu hart und schonungslos ausgesprochen, und Rosette dem Gedanken nachhing, daß er wohl recht haben könne, daß er klüger sei als alle Männer, die sie bisher gesehen, und daß seinem Willen zu folgen eben keine Schande sein würde.

Endlich sagte Adele:

»Ich besitze in meinem Album ein kleines Bildchen, das mir besonders zur Seele spricht. Es stellt weiter nichts dar als einen Baum, ganz einsam stehend auf öder Haide. Ein Schwarm Vögel zieht darüber hin, das Land, wo der Baum steht, ist zu wüst, es gelüstet keinem der kleinen Schiffer der Luft, sein Nest in seinen Zweigen zu bauen. Der Baum ist schön in seiner Kraft, die grüne Zweige treibt in der traurigen Einsamkeit. Er kümmert sich nicht um Wind und Wetter, nicht um den Gesang der Vögel, der ja doch verhallt, wenn der Sommer vorübergeht, nicht um den Sonnenschein, der sich von jeder kleinen Wolke verdunkeln lassen muß. Er kümmert sich um nichts und Niemand kümmert sich um ihn. Er ist doch nun einmal der einsame Baum, ist weder der grüne Zweig, den der Jäger sich an den Hut, noch die Rose, die der Wandersmann sich in das Knopfloch steckt, oder welcher der Dichter Lieder singt.«

Adelens Stimme war einer unbeschreiblich weichen Modulation fähig, sowie ihre Züge eines sehr sanften Ausdruckes. Wenn sie so ruhig dastand wie jetzt, so ernst und aus der Seele heraussprechend, streifte sie wenigstens für den Augenblick sehr nahe an Dorn's Ideal der Weiblichkeit.

Er sah sie gerührt an, ihm schwoll das Herz, sie kam ihm so hülfsbedürftig vor, und er sann, wie ihr zu helfen sei.

»Du bist angegriffen, Adele,« sagte Rosette, »dann wirst Du immer schwermüthig, Dich hat der gestrige Ritt ermüdet, er war auch kein Spaß. Wissen Sie schon, daß Adele die Wette gewonnen hat?« wendete sie sich an Dorn.

»Ja, ich weiß es,« sagte dieser in abweichendem Tone, während Adele an's Fenster trat und, als berühre sie das eben Gesagte gar nicht, die Melodie eines Liedchens trällerte. Ihr Gesicht flammte jedoch dabei, und Aerger und Scham stritten in ihrer Seele.

Sie mußte es sich selbst eingestehen, daß es leichtsinnig, ja, daß es für eine Dame unpassend gewesen sei, auf eine Wette einzugehen oder vielmehr sie zu veranlassen, die nur durch einen Parforceritt gelöst werden konnte, aber sie hatte sich in einem Anfall muthwilliger Laune und weil der Widerspruch sie gereizt, dazu verleiten lassen. Sie wußte auch wohl, daß Dorn's heutiges Gespräch hauptsächlich durch diese Extravaganz veranlaßt war, obgleich er derselben mit keiner Silbe erwähnte.

»Ach, warum sprichst Du nur von der dummen Wette,« sagte sie, sich zu Rosetten umwendend. »Ich schlug sie vor, weil mir im Augenblick kein besserer Zeitvertreib einfiel, ich will's nicht wieder thun, aber was ist daran gelegen? Wenn ich auch zuweilen etwas Ungewöhnliches unternehme,« fügte sie, sich stolz aufrichtend und Dorn mit einem raschen Blick streifend, hinzu, »etwas wirklich Unrechtes habe ich noch nie gethan, und noch nie hat sich Jemand erlaubt, die mir schuldige Achtung zu verletzen.«

Mit diesen Worten verließ sie das Zimmer.

»Schade, ewig schade um sie!« seufzte Dorn, »warum nimmt sie sich die Frauenkrone vorn Haupt! Kein echter Mann kann je vor ihr niederfallen!«

 

Es war am Abend des eben geschilderten Tages, daß Dorn, in eine poetische Arbeit vertieft und ganz den Gedanken an dieselbe hingegeben, an seinem Schreibtisch saß. Er hatte sich erst spät von Adelen getrennt, hatte sie erst aus dem Cursaal, in dem sie den Abend gemeinschaftlich in großer Gesellschaft verlebt, nach Hause begleitet, ein Recht, das er ausschließlich in Anspruch nahm und das ihm eben so gern von Adelen gewährt wurde. Dieses kurze vertrauliche Zusammensein mit ihr entschädigte ihn meist für die unbehaglichen Gefühle, mit denen er sie den Tag über ihr Wesen zersplittern sah. Dann hörte sie auf, Weltdame zu sein, und nur die geistreiche Frau blieb. Ja, unter dem Einfluß seines belebenden Gespräches, angehaucht von der milden Kühle des Abends und der lockenden Schönheit desselben hingegeben, streifte sie alle die künstliche Ungebundenheit ab, die sie sich angewöhnt, vergaß den herausfordernden Ton, warf mit einem Wort die Waffen fort, mit denen sie usurpirte Rechte vertheidigen zu müssen glaubte, und sprach so schlicht und einfach, so warm und natürlich aus der Seele heraus, daß Dorn immer wieder an ihre Weiblichkeit glaubte und wenn er sie hundertmal des Tages dagegen sündigen sah. Er meinte, das Bild, das er dann von ihr mit sich nahm, sei ihr ähnlicher als sich selbst. Er vertiefte sich meist eine Weile in dies Bild, bis es dann in irgend einer andern seiner Gedankenschöpfungen unterging.

Auch diesmal hatte er es nicht mit in diese hinübergenommen und war nur ganz in die Arbeit vertieft, als ihn der Ruf seines Namens daraus emporschreckte. Er meinte Adelens Stimme erkannt zu haben, doch wie sollte das möglich sein! Mitternacht war längst vorüber, wie konnte er Adelen noch um diese Zeit im Freien vermuthen, ja, wie sollte sie in den entlegenen Theil der Promenade kommen, in der seine Wohnung lag, und dennoch! Der Ruf ertönte wieder, mit gedämpfter Stimme zwar, aber doch lauter als vorher.

Dorn stürzte an's Fenster, er riß es auf, aber anstatt des wohlbekannten weißen Gewandes, das Adele meist zu tragen pflegte, sah er die Gestalt eines Mannes, einen leichten Sommermantel um die Schultern geschlagen,« den Strohhuts auf dem Kopf, im Schatten der Bäume stehen.

Dennoch war er es, der Dorn's Namen gerufen, der ihn jetzt wiederholte, und zwar auf's Neue mit Adelens Stimme.

Das Fenster, aus dem Dorn hinaussah, war nur wenige Fuß vom Boden entfernt, Dorn sprang, ohne sich zu besinnen, hinaus und stand im nächsten Augenblick neben dem Rufenden.

»Ich bin es ja, Waldemar,« sagte dieser wieder, und eine kleine Hand griff nach der seinen und ein zitternder Arm suchte die Stütze seines stärkeren. »Bringe mich nach Hause,« bat Adele, sich sichtlich bemühend, ruhig zu sprechen, aber die Stimme bebte ebenso wie die feine Gestalt, und ohne zu überlegen, was er that, schloß Dorn sie in seine Arme, als könne nur so allein er sie schützen. Sie ließ es sich gefallen, sie schmiegte sich wie ein erschrockenes Kind, das Zuflucht in den Armen der Mutter sucht, in die seinen und brach in krampfhaftes Schluchzen aus,

»Um Gottes willen, Adele, was ist geschehen?« rief Dorn erschrocken, »wie kommst Du hierher, wie vor Allem kommst Du zu dieser Kleidung? Was hat diese Unbesonnenheit, dieser Fastnachtsscherz zu bedeuten?«

Sie unterdrückte ihre Thränen, sie richtete sich aus seinen Armen empor, lächelte und sagte:

»Es ist weiter nichts, ich habe mich nur geängstigt, ich bin betrübt und empört zugleich. Die Welt ist so schlecht, so verderbt. Ist sie es nicht, Waldemar, wenn eine anständige Frau, der das Herz voll ist zum Zerspringen, es nicht einmal wagen darf, in den Mondschein hinauszuflüchten, um mit ihren Gedanken allein zu sein, ohne sich der Unverschämtheit zudringlicher Gecken auszusetzen? Ich trug ja schon ihrer Verderbtheit Rechnung und nahm zur Männerkleidung meine Zuflucht, um unbelästigt zu bleiben, da man den Rock in dieser elenden Welt mehr respectirt, als das Gottesgeschöpf, das ihn trägt, aber selbst die Kleidung der Herren der Welt schützte mich nicht vor der Anmaßung der Dreistigkeit derselben!«

Dorn ließ unwillkürlich Adelen los, zornglühend sagte er:

»Wer hat es gewagt Dich zu beleidigen, wo finde ich den Elenden?«

»Halt, halt!« sagte sie, ihn zurückhaltend und sich wieder auf seinen Arm lehnend, »ich will keine Rache. Ich will auch keine Hülfe, ich habe mir schon selbst geholfen. Ich bin nur so albern, Nerven zu haben, die Nerven eines Weibes, und deshalb zittere ich vor Unwillen, auch vor Angst und mag nicht allein bleiben. Du mußt mich nach Hause begleiten!«

Und wieder sank ihr Haupt an seine Brust, und ein abermaliger Thränenausbruch verrieth ihre aufgeregte Stimmung. Dorn wurde weich um's Herz. Er meinte etwas zu fühlen, was der Zärtlichkeit einer Mutter für ihr Kind glich. Er wollte beruhigen, trösten und wußte nicht wie. Da schlang er seinen Arm fester um die schöne Weinende und küßte sie heftig auf Stirn und Mund.

»Du sollst mich jetzt nicht küssen,« sagte sie, sich losmachend, in unwilligem Tone, »jetzt nicht. Was Ihr Männer doch ungeschickt seid! Dreinschlagen oder küssen, etwas Anderes versteht Ihr nicht. Bring mich nach Hause, Waldemar!«

Er gehorchte halb beschämt und schweigend. So schritten sie mit einander auf dem einsamen Pfade dahin, der nach dem von dem Brunnenhause und Cursaal etwa eine Viertelstunde entfernten Städtchen führte, in dessen Mittelpunkt Adelens Wohnung lag.

Nach einer Weile fragte Waldemar sie:

»Hast Du den erkannt, der Dich zu belästigen wagte, und – wirst Du ihn mir nennen?« fuhr er fort, als sie bejahte.

»Nein, ganz gewiß nicht,« sagte sie fest. »Ich habe ihm meine Verachtung gezeigt und werde sie ihm ferner zeigen, das ist mir Genugthuung genug. Es änderte nichts an der Sache, wenn Du ihn zur Rechenschaft zögest, und mir selbst brächte es keinen Gewinn, weder für mich noch vor der Welt. Jetzt bin ich unschuldig, aber eine tiefe Schuld fiele auf meine Seele, würde ich die Veranlassung zu Kampf und Blutvergießen. Du magst ja selbst nicht meinen Namen in den Mund der Leute gebracht sehen. Du weißt, mich kümmert ihr Gerede wenig, aber wenn sie von mir sagten: sie hat ihres besten Freundes Leben auf das Spiel gesetzt um der Caprice eines nächtlichen Spazierganges willen, nein, Waldemar, das möchte ich nicht von mir sagen lassen!«

Er hätte mancherlei entgegnen können; Ort und Zeit schienen ihm aber so wenig günstig dazu als Adelens Stimmung. Letztere berücksichtigend, gab er ihr auch das mit sichtlicher Angst von ihr verlangte Versprechen, nicht weiter nach dem Urheber ihres Verdrußes zu forschen, sie auch nicht mehr nach demselben zu fragen. Sie wurde, nachdem er ihr die Erfüllung ihres Wunsches zugesagt, viel ruhiger und schien, als sie ihre Wohnung erreicht hatten, sich völlig von ihrem Schreck erholt zu haben. Dorn geleitete sie die Treppe hinauf bis in ihr Zimmer, er wollte sie in völliger Sicherheit wissen.

Rosette kam ihnen entgegen. Auch sie war in männlicher Kleidung.

»Ich wollte mich eben auf den Weg machen, Dich zu suchen! Warum bliebst Du so lange fort, warum ließest Du mich nicht mit Dir gehen?«

Adele gewahrte den mißbilligenden Blick, den Dorn auf Rosette warf. Sie biß sich auf die Lippen und sagte dann mit erkünsteltem Trotz:

»Sollen wir die schönen Sommernächte nur vom Fenster aus genießen, weil wir Frauen sind und zwei Drittel der Männer Tageslicht brauchen, um sich cavaliermäßig gegen Damen zu benehmen? Durch diese Kleidung schützen wir sie und uns vor Ungebühr.«

Dorn antwortete nicht, Rosette sah ihn erst befremdet an, dann lachte sie laut auf.

»Haben Sie daran etwas zu tadeln?« fragte sie. »Ist es nicht eine ganz unschuldige kleine Verkleidung und höchst vortheilhaft, wenn man sich amüsiren will? Man fühlt sich so sicher in dem Anzug, und wenn man sich nicht, wie es mir zuweilen geht, im Dunkeln vor Gespenstern fürchtet, hat man sonst gar nichts zu besorgen. Ach, Sie glauben gar nicht, wie köstlich wir uns schon auf diese Weise amüsirt haben. Es hält uns Jeder für Studenten in dem Anzuge, denn er macht lächerlich jung. Ach, ich glaube, so harmlos amüsiren sich Studenten nicht. Wir brauchten die Maske nur, um zu schwärmen, obgleich das eigentlich nicht mein Fach ist. Aber sehen Sie doch nicht so griesgrämig aus, Herr Dorn, sehen Sie uns doch an, kleidet uns die Tracht nicht? Sind wir nicht ein paar schöne hoffnungsvolle Knaben?«

Dorn zuckte mit den Achseln.

»Schönheit ist Harmonie,« sagte er, »und die fehlt, wo die Kleidung nicht in dem richtigen Verhältniß zu denen steht, die sie tragen. Ich bitte Dich, Adele,« wendete er sich an diese, »geh nicht wieder um diese Zeit und in diesem Anzuge spazieren. Du siehst, der Rock gilt nicht für den Mann, und eine Dame respectirt man nicht im Männerrock. Versprich es mir, laß künftig wenigstens diese Kundgebung Deiner Freiheit!«

»Ich binde mich nie durch Versprechen,« sagte sie abweisend und fügte dann freundlicher hinzu: »Geh jetzt lieber Freund, ich habe heute zum ersten Mal die Erfahrung gemacht, daß ich des Schutzes bedurfte. Eine Ausnahme jedoch stößt nicht die Regel um, ich kann also meine Ansicht noch nicht für überwunden erklären. Aber genug davon. Nochmals habe Dank und gute Nacht!«

Dorn ging seufzend. Erst als er fort war, erfuhr Rosette den Vorfall, so weit Adele ihn mitzutheilen für gut fand. Sie behandelte das Ganze als eine Bagatelle. Sie war erkannt worden, ein Zudringlicher hatte ihr seine Gesellschaft aufgezwungen, hatte sich erlaubt, sie mit Betheuerungen seiner Liebe zu verfolgen. Ihre Verachtung nicht bemerkend, oder ihr Schweigen wohl gar für Ermuthigung haltend, war er kühner geworden, hatte es versucht, ihre Hand zu ergreifen, da war sie entflohen und erst unter Dorn's Fenster wieder zur Besinnung gekommen.

»Aber wer, wer war es?« fragte Rosette.

Adele antwortete, daß sie zu erschrocken gewesen, um ihn sich anzusehen, und daß sie die Stimme nicht erkannt habe.

Rosette erging sich noch eine Weile in allerlei Vermuthungen, während Adele, den Kopf auf die Hand gestützt, gedankenvoll dasaß. Plötzlich richtete sie sich fast heftig auf:

»Was hat er neulich in Beziehung auf mich gesagt? Wie war es doch? Ein echter Mann könnte nicht vor mir niedersinken, weil, weil –«

»Weil Du Dir die Krone der Frauen vom Haupte nähmst,« ergänzte Rosette. »Dummes Zeug das, eine Redefloskel, einen Augenblick dachte ich, es wäre etwas dahinter, aber es ist nichts. Er weiß selbst nicht, was er damit meint.«

»O, das weiß er wohl,« sagte Adele, »er meint alle die zarten, holden Eigenschaften, die man vereinigt Weiblichkeit nennt. Darin hat er recht, aber das ist ein Irrthum, nur in einer Form diesen Zauber anerkennen zu wollen«

»Ich denke auch noch etwas Anderes,« sagte Rosette, jetzt auch ernst werdend, und wenn das war, glänzte in dem Chaos ihrer Gedanken auch mitunter ein Licht, »ich denke, Weiblichkeit ist Liebe, und Liebe ist im Herzen, der Kopf hat nichts damit zu thun. Wir Beide haben aber noch nicht geliebt, Adele, es ist seltsam, daß es noch nicht geschah, aber deshalb fehlt uns die Krone. Wie soll man sie aber erringen! An den unvollkommenen Männern hat man zu viel zu tadeln, und die vollkommenen tadeln uns zu viel. Ich glaube, freiwillig liebt man nicht, und wie ist man dazu zu zwingen?«

»Durch Liebe!« sagte Adele träumerisch, »ein Feuer entzündet das andere.«

»Nicht immer,« fiel Rosette ein.

»Nein, Du hast recht, nicht immer,« bestätigte Adele. »Mein Vergleich war schlecht. Die Liebe ist kein Feuer, keine Flamme, sie ist ein Lichtstrahl, und nur die Seele öffnet sich ihr, die den Strahl zu reflectiren vermag. Zieht aber sein Licht an ihr vorüber, so bleibt es dunkel in der Seele und –«

»Dann zündet man Kerzen an und amüsirt sich in dem Schein derselben,« endete Rosette den Satz, wieder zu ihrem leichtsinnigen Tone zurückkehrend. »Es ist immer besser, gar nicht lieben, als unglücklich lieben. Dazu sind wir Beide zu klug, nicht wahr, Adele? Wir haben genug an unserer Freundschaft. Zudem bist Du ja eine Frau, es fehlt uns also auch nicht an einem Titel, der uns mehr Recht giebt zu thun und zu lassen, was wir wollen, als wenn der Mann, von dem Du ihn hast, dabei wäre. Von dem Recht profitire ich mit und verlange kein anderes. Wenn Du also nicht heirathest, nun, dann sehe ich die Nothwendigkeit für mich nicht ein.«

»Ich heirathe nicht wieder, das steht fest!« versicherte Adele. –

 

Zur gewohnten Zeit waren die beiden Damen am nächsten Morgen auf der Promenade, von demselben Cortège jugendlicher und nicht jugendlicher Anbeter umgeben, wie immer. Dorn machte Keinem derselben den Platz an Adelens Seite streitig.

Er war also nicht dabei, als Adele nach der eben geschilderten Nacht ihren gewohnten Morgenspaziergang machte, in scheinbar so heiterer, ungezwungener Laune, als habe der helle Strahl des Tages den unangenehmen Vorfall der Nacht vollständig aus ihrem Gedächtniß verlöscht. Sie benahm sich ganz in der gewohnten Weise. Sie blieb der Mittelpunkt des sie umgebenden Hofstaats, so lange sie Lust dazu hatte; sie fertigte Jeden, mit dem sie nicht sprechen wollte, kurz ab, sie fesselte den, der ihr zusagte, aber Alles in der feinen, gehaltenen Art, die dem Zurückgesetzten ein Gefühl der Kränkung erspart und den Gunstbeweisen jede tiefere Bedeutung nimmt. Dennoch glühte das Gesicht des jungen französischen Vicomte, der einer ihrer eifrigsten Verehrer war, hoch auf, als sie ihn auf einmal in die Unterhaltung zog, diese dann geschickt auf einen Punkt lenkte, der die Theilnahme der Uebrigen ausschloß und sie mit dem Vicomte isolirte. Als das geschehen, nahm sie einen rascheren Schritt an, und als sie ihre Begleitung eine große Strecke hinter sich gelassen hatte, sagte sie, plötzlich eine eisige Miene annehmend, in stolzem, hochfahrendem Tone zu ihm:

»Wann werden Sie abreisen, Herr Graf?«

Er stutzte, lächelte und entgegnete dann ruhig:

»Für's Erste noch nicht, gnädige Frau.«

»Ich wünsche aber, daß Sie abreisen,« fuhr sie fort. »Meine Cur ist noch nicht zu Ende, Sie werden nicht verlangen, daß ich Ihnen Platz machen soll, und werden begreifen, daß Ihr Anblick mir verhaßt ist.«

Der Franzose zuckte die Achseln.

»Sie wollen nicht?« fragte sie unwillig.

» Mille fois pardon, nein, mir gefällt es hier!«

»Gut,« sagte sie, »so blamire ich Sie öffentlich. Die Welt soll erfahren, daß Sie unter der Maske eines Cavaliers ein Gesicht tragen, das unverhüllt einer Dame zu zeigen schon eine Beleidigung für diese ist.«

»Gnädige Frau,« entgegnete der junge Mann, zwar durch die in seinem Antlitz aufsteigende Röthe seine Erregtheit verrathend, aber doch vollkommen Herr derselben, »Sie vergessen, daß wir Männer in der bevorzugten Lage sind, durch Niemand anders blamirt werden zu können, als durch uns selber, und daß selbst unsere unverkennbare Schuld einen Schatten auf die unschuldigste Dame wirft, wenn sie durch ein öffentliches Enthüllen derselben auch nur den indirectesten Antheil daran verräth. Ich kann mich also ohne Scheu der Gefahr aussetzen, durch Sie blamirt zu werden.«

»O, diese Welt!« brach Adele los. »Gut,« sagte sie dann nach einer Weile, »so werde ich einen andern Weg einschlagen. Die Männer, die keine Achtung vor der Unschuld der Frauen haben, die ihre Thaten in das Dunkel der Nacht hüllen, zählen selten zu den Tapferen. Sie scheuen die Verantwortung, die der helle Tag ihnen abfordert, Waffnen Sie sich also, mein Herr, denn ich werde Rechenschaft von ihnen fordern lassen, zehnfache, wenn es sein muß, bis Sie gehen, denn: Sie oder Ich

»Bewaffnen Sie ganz Deutschland, gnädige Frau, ich bin ein Franzose!« rief der junge Mann mit Selbstgefühl.

Adele lachte verächtlich.

»O ja, ich weiß,« sagte sie, »daß die Bravour Ihrer stolzen Nation auf demselben Standpunkte steht, wie die Moral derselben, sie scheut vor nichts zurück. Sie wähnt sich unbesiegbar; aber, Gott sei Dank, sie ist es nicht, und den Pact mit dem Bösen vernichtet wohl auch einmal gelegentlich das Schwert des Rechts in einer kräftigen, ehrlichen, deutschen Faust. Ich meine, Sie könnten solche Momente in Ihren Geschichtsbüchern finden!«

»Ja,« sagte der Franzose, »aber die Niederlage hat uns nicht kleiner, der Sieg Ihr Vaterland nicht größer gemacht, und ich fürchte, unsere persönliche Fehde würde nicht anders enden. Vertragen wir uns lieber! Was habe ich denn Schlimmes gethan?«

»Was Sie gethan haben, Sie –« sie konnte nicht weiter sprechen, Thränen stürzten plötzlich heiß aus ihren Augen.

Der Franzose sah sie erschrocken an, sie nahm sich zusammen. »Ich habe geglaubt,« sagte sie ruhiger, »die Atmosphäre der Sittlichkeit sei so rein, daß lichtscheue Thaten sie aus innerer Nothwendigkeit fliehen müßten. Ich habe geglaubt, daß das Weib mit dem Bewußtsein seiner Seelenreinheit so sicher vor den Augen Gottes dahinwandle wie ein Kind an der schützenden Hand der Mutter. Diesen Stolz haben Sie zerbrochen, diese Sicherheit zerstört. Sie haben mich behandelt wie eine Ihrer leichtsinnigen Landsmänninnen, und ich bin eine deutsche Frau!«

Durch die abermalige Herabsetzung seiner Nationalität beleidigt, erwiderte der junge Mann, nun auch in einen etwas heftigen Ton verfallend, mit ziemlicher Gereiztheit:

»Wir halten die deutschen Frauen im Allgemeinen hoch, aber wir suchen sie nicht in der Nacht auf der Straße in Männerkleidung. Darin liegt eine so starke Abweichung von deutscher Sitte, daß diejenige, die sie vertreten zu können glaubt, wenigstens nicht meine Landsmänninnen des gleichen Benehmens wegen schmähen sollte. Bei uns ist die Prüderie so wenig volksthümlich, daß ein Vergessen ihrer Gesetze kaum ein Vergehen ist.«

Adele antwortete nicht. Sie fühlte sich so tief herabgewürdigt, daß sie nicht Worte fand, es auszudrücken. Die Waffen des Zornes halfen ihr nicht den überlegenen Feind besiegen, es blieb ihr nichts übrig als Thränen, um ihrer Bewegung Luft zu machen. Sie gab sich auch nicht erst die Mühe, sie zu unterdrücken, sie ließ sie strömen und zog nur den Schleier herunter, den Anblick ihrem Begleiter sowohl wie den Vorübergehenden zu verbergen.

»Ich möchte Sie bitten, gnädige Frau, werden Sie wieder heftig!« rief der Franzose, »ich werfe mich sonst hier rücksichtslos zu Ihren Füßen Sie um Verzeihung zu bitten. Gegen Thränen kämpft kein Mann, denn sie zeigen uns, gegen wen wir uns bewaffnet haben. Wahrhaftig, ich hatte keine Beleidigung im Sinn, als ich gestern Ihre Einsamkeit störte, ich glaubte sogar durch Ihre eigenen Worte dazu ermuthigt zu sein.«

Sie sah ihn erstaunt an.

»Sie schilderten einmal,« fuhr er fort, »das Entzücken einer einsam verlebten Stunde, nur beschützt von dem dunkeln Fittig einer träumerischen Sommernacht. Ich beklagte Ihre Strenge, Ihre Kälte, die Keinen würdig finden wollte, ihm den Flug an Ihrer Seite in das Zauberland der Poesie zu gestatten. Wissen Sie nicht mehr, was Sie mir da sagten?«

»Nein,« entgegnete sie.

»Sie sagten,« fuhr er fort, »Zeuge kann nur der sein, den man als sein ganzes volles Ich empfindet. Dann wäre es kein Rausch, kein Traum mehr, sondern eine verklärte Wirklichkeit. Das sagten Sie mir, der ich Ihnen meine Huldigung in jedem Wort, jedem Blick bewies. War es zu kühn von mir, in dieser Antwort eine Aufforderung zu sehen?«

»Ja, wahrlich, das war es!« rief sie aus, »ich hatte nicht an Sie gedacht, Ihre Eitelkeit mißverstand mich.«

»Ihre Liebenswürdigkeit, gnädigste Frau, hatte meine Eitelkeit wenigstens genugsam genährt, um sie zu dem Mißverständniß zu verleiten,« antwortete der Franzose, abermals gereizt, fuhr aber dann in ruhigem, Tone fort:

»Ich habe Sie seitdem jeden Abend auf den lieblichsten Punkten der Promenade gesucht, nicht weil mich das Mißverständniß meiner Eitelkeit zu einem Schritt veranlaßte, der Ihnen Mißachtung zeigen sollte, sondern weil meine Leidenschaft mich zu einem Geständniß hinriß. Ich fand Sie nicht, denn ich suchte Sie nicht in der seltsamen Verkleidung. Als ich Sie gestern erkannte, stutzte ich allerdings, aber – ich muß es offen gestehen – mein Muth zu dem Geständniß wuchs. Sie haben mir gestern nicht erlaubt es zu sagen, ich wiederhole es heute: ich liebe Sie, Adele!«

»Ich will Ihre Liebe nicht, ich will Achtung von den Männern!« unterbrach ihn Adele.

»Wenn ich Sie liebe, verletze ich diese nicht,« entgegnete der Franzose.

»Nun gut, so enden wir diese Scene,« sagte Adele, »sie kann zu nichts führen. Ich liebe Sie nicht und werde Sie nie lieben. Ist es aber wahr, daß Sie mich achten, daß Sie es sich nicht erlauben, mich um einer von der gewohnten Sitte abweichenden Freiheit willen gering zu schätzen, so erweisen Sie mir den Ritterdienst und reisen Sie ab. Sie haben mich so tief gedemüthigt, daß es mir unerträglich ist, Sie zu sehen, und ich will nicht gehen, weil, wenn das Abenteuer der Nacht ruchbar wird, und das wird es werden, meine Abreise wie ein Eingeständniß der Schuld aussehen könnte. Es ist mir sonst ziemlich gleich, was die Welt über mich sagt, mein Bewußtsein erhebt mich über alle Verleumdung, aber jetzt, gerade jetzt, will ich ihr in's Angesicht schauen. Sie soll es mir von der Stirn lesen, daß ich unschuldig bin. Ich bitte Sie noch einmal, reisen Sie ab.«

Sie bat mit hinreißender Wärme. Ihre Augen schwammen in Thränen. Sie hatte den Schleier wieder emporgehoben und sah den jungen Mann flehend und mit sichtlicher Angst in den Zügen an.

Es war nicht das Gefühl innerer Beschämung allein, das sie veranlaßte, so dringend auf seiner Abreise zu bestehen, es war die Angst, Dorn könne dem Helden des nächtlichen Abenteuers auf die Spur kommen und sich trotz seines Versprechens bewogen fühlen, denselben zu strafen. Sie zitterte vor den Folgen eines solchen Unternehmens. So theuer wollte sie die Stunde nicht bezahlen, in der sie, der Sitte zum Hohn, in die Einsamkeit flüchtete, um manchen in ihr aufgeregten Sturm der Gefühle dort zu beruhigen.

»Schlagen Sie es mir ab?« sagte, sie zitternd, als er schwieg.

»Nein,« entgegnete er, »Ihrer sanften Bitte, Ihren Thränen vermag ich nichts abzuschlagen. Ich werde gehen, obgleich ich Ihr Verlangen nicht begreife.«

»O Dank, tausend Dank!« sagte sie.

Sie waren während der letzten Worte stehen geblieben. Die zu ihnen gehörende Gesellschaft hatte sie eingeholt.

»Ich empfehle mich den Herrschaften,« sagte der Franzose, »ich habe der Frau Baronin schon meinen Kummer geklagt, jetzt mitten in der Saison von hier abberufen zu werden. Ich habe Briefe aus meiner Heimath, die Mutter meiner Braut ist schwer erkrankt, sie bedarf des Trostes.«

»Ihre Braut? Sie sind verlobt?«. sagte einer der Herren.

»Das hat Ihnen Niemand anmerken können,« meinte Rosette naiv.

»Ich sprach nur mit Frau von Stern von meiner Liebe,« versicherte der Franzose und verbeugte sich dann vor Adelen.

Sie reichte ihm ganz ungezwungen und freundlich die Hand, die er ehrfurchtsvoll küßte und sich dann empfahl.

»Die Frau ist doch zu ungenirt,« sagte eine am Arm ihres Gemahls vorübergehende Dame, »auf offener Promenade läßt sie sich die Hand küssen!«

»Bah, mein Kind,« entgegnete jener mit der eheherrlichen Rücksichtslosigkeit, die bei manchen Männern und manchen Frauen gegenüber die natürliche Folge genauerer Bekanntschaft ist. »Bah, vielleicht thätest Du es auch, wenn Deine Hand nur etwas kleiner und nicht gar so roth wäre!«

 

Adele hatte richtig vermuthet. Ihr nächtliches Abenteuer blieb nicht unbekannt, nicht unbesprochen, und sie natürlich und mit Recht nicht ungetadelt. Dorn war außer sich darüber, sie nahm es ihm gegenüber von der leichten Seite und belächelte seinen Zorn.

Bisher wenig von den Damen aufgesucht, wurde sie jetzt oft auffallend vermieden. Auch das wollte sie nicht merken. Dorn machte vergebliche Versuche, sie zu bewegen, ihren Aufenthalt abzukürzen, sie verstand seine Absicht und wurde bitter.

»Es braucht sich Niemand um mich zu kümmern, der sich durch mich herabgesetzt glaubt,« sagte sie.

Natürlich gab Dorn diesem bittern Wort keine Folge. Er behandelte sie nur mit um so größerer Achtung, hielt sich mehr wie je zu ihr und sicherte sich dadurch die Möglichkeit, sie von mancher ferneren Extravaganz abzuhalten. Bei dem Einfluß, den er durch seine hervorragenden geistigen Eigenschaften auf die Meinung Anderer übte, hob sein zartes und tactvolles Benehmen gegen Adele diese schneller über die Angriffe einer feindseligen Partei empor, als ihre eigene Unschuld es je vermocht hätte. Sie empfand die Wirkung seines Benehmens, und wenn auch ihm dankbar dafür, fühlte sie sich doch tief verletzt dadurch. Gegen Rosette sprach sie sich darüber aus.

»Kann man denn nichts sein durch sich selbst?« sagte sie, »muß immer erst ein Mann kommen, uns in der Welt auf den gehörigen Platz zu stellen? Wenn ich mir doch selbst genug bin wie ein Mann, so soll man mich auch wie einen solchen gewähren lassen.«

»Ja, wenn sie es nur glaubten, daß Du Dir selbst genug bist,« meinte Rosette, »aber das ist es eben; wenn die Henne auch versuchen will zu krähen, es hält sie Keiner für einen Hahn. Sie kann's einmal nicht.«

Trotz dieser derben und sarkastischen Unterbrechung ihres Gedankenfluges, ließ sich Adele nicht von ihrer Höhe herabziehen. Im Gegentheil, die gelegentlichen Blitze von gesunder Vernunft in Rosetten schraubten meist ihre Stimmung höher.

»Kind,« sagte sie fast ärgerlich, »ein Hahn will ich nicht sein, aber ein Adler, der freien Flug hat zur Sonnenhöhe!«

»Freilich, dem Adler thut der Fuchs nichts,« bemerkte Rosette trocken, »aber weiter hätte man auch nichts davon. So hoch oben ist man schrecklich allein! Da folgen Einem kaum die schärfsten Augen.«

»Was ist auch an blöden Blicken gelegen!« sagte Adele.

Sie war doch ungemein erbittert durch die jüngste Erfahrung, mehr als sie es zugeben wollte. Sie hatte sich mit Trotz gewaffnet, aber auch der hielt nicht vor. Nachdem kaum vierzehn Tage nach dem Vorfall verflossen, sagte sie zu Dorn:

»In acht Tagen reise ich ab. Ich wollte die Saison über hier bleiben, aber ich habe meinen Entschluß geändert.«

»Und wo gehst Du hin?« fragte er.

»Nach Wien, wo ich meinen Winteraufenthalt zu nehmen gesonnen bin. Und Du, was wirst Du beginnen?«

»Ich weiß es noch nicht,« entgegnete er. »Vorläufig bleibe ich noch hier. Meine bleibende Existenz ist, wie Du weißt, Berlin, aber bevor es Winter wird, kehre ich dorthin nicht zurück, und was ich bis dahin unternehme, hängt noch von Zufälligkeiten, wenn Du willst von Laune ab.«

»So trennen wir uns also in acht Tagen auf's Neue,« sagte Adele schwermüthig.

»Ja,« versetzte er, »aber laß uns jetzt noch nicht daran denken. Laß uns vergessen, daß der Tag ein Ende hat, daß der Sommer ein Traum ist und daß mitten in diesem oft flachen Leben ein Fels steht, den wir Abschied und Scheiden nennen, ein Fels, an den man hundertmal mit dem Kopf anrennt und an dem man sich auch gelegentlich einmal das Herz zerbricht!«

 

Dorn stand jedoch dem Fels viel näher, als er es im Augenblick glaubte. Als er Adelen verlassen und in seine Wohnung zurückgekehrt war, fand er die neueste Badeliste in seinem Schreibtisch. Er las die Namen der Tags vorher angekommenen Fremden: »Frau Artefeld nebst Sohn und Dienerschaft« war der erste Name, der ihm in die Augen fiel.

Obgleich es schon zu einer ziemlich späten Abendstunde war, stürzte er augenblicklich zu Adelen zurück. Sie erschrak über sein verstörtes Aussehen.

»Was ist geschehen?« fragte sie ängstlich.

»Nichts, aber ich muß morgen schon abreisen,« entgegnete er, »ich komme, um Abschied zu nehmen. Willst Du mir gestatten, Dich jetzt noch auf einem Spaziergange zu begleiten?« fuhr er, ihre ängstliche Miene gewahrend, fort, »so will ich Dir sagen, was mich vertreibt. Aber wir müssen allein sein.«

»Rosette ist im Theater,« sagte Adele und nahm Hut und Mantille, sich zum Ausgange anzuschicken. Als sie eine Weile neben einander fortgeschritten waren, sagte Dorn auf einmal:

»Das Recht der Freundschaft, das Du mir eingeräumt, ist mir so lieb geworden, daß ich das erste Erforderniß derselben, offenes Vertrauen, nicht verletzen möchte. Mir ist zudem das Herz zu voll. Ueberwundener Zorn, vergessener Haß wachen wieder auf und beflecken mit ihrem giftigen Hauch eine Erinnerung, die ich mir gern rein erhalten möchte. Mir ist, als müßte ich den Kampf noch einmal durchfechten, den heißen Kampf, der mir das Glück der Liebe verschloß, um mich der Muse in die Arme zu werfen. Ich glaubte, ich wäre längst Sieger, aber vermag das unerwartete Zusammentreffen mit ihr, die allein mein Unglück verschuldet, einen solchen Sturm in mir zu erregen, so muß ich mich auf's Neue, muß ich mich sicherer gegen denselben waffnen! Die Muse allein vermag es nicht, mich zu schützen, laß mich die Freundschaft, Deine Freundschaft, Adele, anrufen!«

Und nun floß die Geschichte seiner Jugendliebe und der Begebenheit, die derselben ihr Ziel geraubt, von seinen Lippen, und keine Falte des Herzens blieb ihr, deren Freundschaft er anrief, verborgen.

Er schilderte ihr Elisabeth mit all' dem Feuer, all' der Begeisterung, mit der die Phantasie längst den Blicken entschwundene Bilder zu verklären vermag, und mitten in dies farbenglühende Bild hinein stellte er die gehässige Gestalt der Frau, die mit kaltem Hohn sein Glück vernichtete.

Ohne ein Wort, ohne auch nur einen Ruf des Erstaunens in seine Erzählung zu mischen, hörte Adele ihn an, nur manchmal wechselte die Farbe ihrer Wangen, und sie preßte die Lippen zusammen, als bekämpfe sie einen heftigen Schmerz, den sehen zu lassen ihr Stolz sich sträubte.

Eine fast zornige Erregung, die jedoch eben so schnell bekämpft wurde, malte sich aber in ihren Zügen, als Dorn seine Erzählung mit der unerwarteten Bitte schloß, Adele möchte dem Freundschaftsbündniß, das sie Beide geschlossen, die Weihe geben, die sie Beide, ihn und sie berechtige, gemeinsam allen schmerzlichen Erinnerungen zu trotzen und in einem vereinigten Schicksal so viel Ersatz für das von jedem Einzelnen bisher verfehlte Leben zu suchen, so viel Glück, als in der Natur einer so ruhigen Empfindung läge.

»Ich fühle es, wie schwer es mir werden wird, Deinen Umgang zu entbehren,« schloß er. »Ich bin seit jenen vergangenen Jugendtagen nie so glücklich gewesen wie jetzt mit Dir, selbst in dem stets erneuten Kampf um Principien des Lebens liegt ein erhöhter Reiz desselben. Es ist seltsam, seit ich mit Dir zusammen bin, fühle ich, daß die Erinnerung mich krank macht, und der Dichter noch mehr als der Mensch bedarf der vollen Gesundheit der Seele. Fort von hier muß ich; der Anblick der verhaßten Frau treibt mich fort, aber es reißt ein Band, wenn ich gehe. Ich werde das Alleinsein mehr denn je fühlen, und auch Du, Adele. Wollen wir uns nicht das ruhige Glück, das in unserm Zusammensein gelegen, sichern für immer? Du verlierst und verirrst Dich in der Welt, mir fehlt ein Gegenstand ausschließlicher Sorge, einer, der Gefühle und Gedanken nach außen lenkt, wenn der Geist müde ist, im Reiche der Phantasie zu verweilen. Du bedarfst des Führers, ich der Freundin. Die Natur knüpfte das Band der Verwandtschaft zwischen uns, laß es uns fester schürzen, laß uns bescheidenes Glück nicht verschmähen, weil der Himmel uns das Schönste versagte. Der Baum auf öder Haide soll aufhören Bild Deines Lebens zu sein, laß einen müden Wanderer in seinem Schatten ruhen. Gieb mir das holde Glück häuslichen Familienlebens, Du findest darin die Weiblichkeit wieder, die Dein Herz zwar nie, die nur Dein übermüthiger Geist zuweilen zu verleugnen strebt.«

»Nein,« sagte sie so ruhig und kalt, daß er sich wohl überzeugen mußte, ein fester Entschluß dictire die Antwort, »nein, wir müssen uns nicht heirathen. Aus Freundschaft für Dich werde ich nicht mein ganzes Wesen ändern, solche Opfer bringt Freundschaft nicht, und Dir wird es leichter werden, Deiner Freundin Thorheiten zu vergeben, als Deiner Frau. Du mußt auch nie heirathen, wenn Du nichts Anderes verlangst als Freundschaft und nichts Anderes zu geben vermagst. Heirathen muß man nur aus Liebe, denn wenn man liebt, ist nicht erst die Rede davon, was Einer dem Andern sein kann oder will, man ist sich Alles, das ist's.«

»Du opferst die Zukunft der Vergangenheit,« warnte Dorn, »wem bringt das Opfer Gewinn? Dich führt Dein Herz irre –«

»Und Dich die Phantasie,« unterbrach sie ihn rasch.

Sie schritten nun schweigend neben einander her, bis sie die Thür von Adelens Wohnung erreicht hatten. Sie lud ihn nicht ein mit hinauszukommen, Abschied nehmend gaben sie sich die Hände.

»Muß ich Dich nun künftig meiden, Adele?« fragte Dorn. »Ehe der Wunsch, Deine anregende holde Persönlichkeit unauflöslich mit meinem Schicksal zu verknüpfen, klare Gestalt in mir gewann, träumte ich von einem ferneren Gedankenaustausch, wenn wir getrennt wären, oder von einem gemeinsam zu verlebenden Winter. Muß ich den Traum aufgeben?«

»Mein Gott, warum?« sagte sie freundlich. »Es liegt ja nichts Kränkendes für Dich in meiner Weigerung, kein Schmerz, der zu überwinden wäre. Unsere Freundschaft wird doch solchen kleinen Täuschungen gewachsen sein!«

»Ich möchte Dich auch nicht gern wieder aus den Augen verlieren,« fuhr er, einen Seufzer, der unwillkürlich in ihm aufsteigen wollte, unterdrückend, fort; »dürfen wir auch nicht von anderen Banden ein Glück hoffen, ist das vorbei – das schlichte der Verwandtschaft halten wir in Ehren.«

Adele bejahte mit kaum hörbarem Tone. Nun drückten sie sich die Hände, er bat sie, Rosetten zu grüßen, dann ging er und sie stürzte in ihr Zimmer hinaus, wo sie sich auf's Sopha warf und lange und heftig weinte. So fand sie Rosette.

»Herr Gott, was ist Dir? Warum weinst Du, Liebchen?« fragte sie.

»Ich weine,« sagte Adele, »weil es etwas in der Welt giebt, das man Verwandtschaft nennt. Es macht so blind, so bornirt, so kalt. Ich wollte, ich wäre mit keinem Menschen verwandt! – – Waldemar läßt Dich grüßen, er reist morgen früh ab,« setzte sie nach einer Weile hinzu.

»Und darum weinst Du, darum bist Du so außer Dir?« sagte Rosette, Adelens Gefühle auf einmal erkennend und diesen gegenüber zur Eifersucht gereizt. »Du liebst ihn also und hast es mir nicht einmal gesagt, Du wirst ihn heirathen, und das weiß ich schon, dann hat unsere Freundschaft ein Ende. Heirathen, das ist so gut wie sterben. Ich werde nicht so egoistisch sein, Dich hindern zu wollen, aber ich verliere Dich, das weiß ich, und das werde ich nie verschmerzen!«

»Rosette, sei nicht unvernünftig!« bat Adele. »Es ist weder von Liebe noch von Heirath die Rede.«

Rosettens Gesicht klärte sich auf.

»Es ist wahr, er hat Dich auch so oft getadelt,« sagte sie, »er hat Dich lieb, weil Du seine Verwandte bist, ach, deshalb schmähtest Du auch eben alle Verwandtschaft. Gott, ich war so erschrocken über Deine Thränen, daß ich mir gleich das Schlimmste dachte. Sei nicht böse, Liebchen, und gräme Dich auch nicht, daß Du Dorn nicht besser gefällst.«

»O nein, ich gräme mich gar nicht,« versicherte Adele.

»Ich glaube es,« fuhr Rosette fort, »wenn Dir etwas daran läge, ihm zu gefallen, so gar schwer wäre es ja nicht. Du dürftest ja nur so sein, wie er es gern hat.«

»Nein,« erklärte Adele mit großer Festigkeit, »das würde ich nie; Kann er mich nicht so lieben, wie ich bin, mit allen meinen Fehlern, so soll er es gar nicht.«

»Er soll es auch nicht, ich liebe Dich viel mehr!« versicherte Rosette. »O Gott, was hätte ich anfangen sollen, wenn Du Dich mit Dorn verlobt hättest. Ich wäre natürlich nicht bei Dir geblieben, aber die Trennung hätte mich getödtet. Sieh nur, wie ich zittere bei dem bloßen Gedanken!«

Sie zitterte wirklich heftig und die Thränen liefen ihr über die Wangen, und Adele küßte und streichelte sie und war tief gerührt über die treue Hingebung und Liebe, hinter der sich doch, ohne daß Beide etwas davon ahnten, gar so viel Egoismus verbarg.


 << zurück weiter >>