Victor Auburtin
Einer bläst die Hirtenflöte
Victor Auburtin

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Die Künstler

Bevor die Vorstellung beginnt, sitzen die Schauspieler im Restaurationsgarten des Hotels zur Linde um einen Tisch und trinken Bier. Die Vorstellung findet im Tanzsaal des Hotels zur Linde statt, und zwar wird heute »Der Herr Senator« gegeben.

Es sind ungefähr zehn Schauspieler um den runden Tisch, und der Bedeutendste von ihnen ist der große alte und dicke, der einen grauen Schlapphut trägt. Das wird der Heldenvater sein. Seitdem es eine Kunst gibt, haben immer alle Heldenväter graue Schlapphüte getragen.

Neben ihm sitzt die erste Liebhaberin mit hoch übereinandergeschlagenen Beinen und liest ein Buch aus der Leihbibliothek. Die Komiker sind auch da und der Charakterspieler mit der Malkontentfrisur.

Nur der jugendliche Liebhaber fehlt; der ist noch in der Stadt, wo er einer feinen Dame Deklamationsunterricht erteilt.

Alle diese Schauspieler mit Ausnahme der lesenden Liebhaberin sprechen laut durcheinander und fuchteln mit den Händen, und ihre Rede hat sehr viele rrs, denn sie reden von Grillparzer. Der Heldenvater hat Kainz im Burgtheater gesehen und erzählt nun, daß dieser Künstler auf der Bühne rote Schnabelschuhe getragen habe.

 

Die Bürger an den anderen Tischen wenden keinen Blick von dem Tisch der Schauspieler ab, und ihre Augen sind voller Scheu und voller Grauen und voll heimlicher Bewunderung.

Was sind das für Leute, die so stolze Mienen haben und die über so wilde, unbekannte Dinge sprechen, über Grillparzer und über rote Schuhe? Solche Leute durften früher nicht auf dem Kirchhof begraben werden, und ganz in Ordnung ist es auch heute immer noch nicht mit ihnen.

 

Hinterher steht der Heldenvater am Gartentor, raucht seine Zigarre zu Ende und blickt hoch und weit über alle Passanten in den Abendhimmel.

Er wird heute ein Senator sein, deshalb kann er so hoch und weit über alle Passanten in den Abendhimmel sehen.


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