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Mit dem Auto von Wladiwostok bis zum Baikalsee!

Im Verlag Ullstein & Co., Berlin erschien 1908: »Im Auto um die Welt«, von demselben Verfasser.

Von Hans Koeppen, Hauptmann und Oberquartiermeister-Adjutant im Großen Generalstabe.

Seit jeher hatten mich die Bände der Sammlung »Auf weiter Fahrt« mit besonderem Interesse erfüllt. Die vielen Erzählungen von Erlebnissen aus fernen Ländern, die sie brachte, hatten in mir oft den Wunsch lebendig werden lassen, auch einmal die Gelegenheit zu ergreifen, um über die engen Grenzen der eigenen Heimat hinaus in die weite Welt einen Einblick zu tun, von der ich so viel gelesen hatte, aber die selbst zu sehen, ihre uns so fremdartig anmutenden Völker und deren Sitten aus eigener Anschauung zu studieren, mir bis dahin nicht vergönnt gewesen war. Als ich dann Anfang 1908 meine Automobilfahrt um die Welt antreten sollte, war das Gefühl, mit diesem modernsten Verkehrsmittel in Gegenden zu gelangen, die bis dahin noch nie ein »Benzinroß« betreten hatte, eigenartig reizvoll für mich. Ich sollte nicht nur endlich meinen Wunsch erfüllt sehen, die weite Welt kennen zu lernen, sondern auch noch diesen Wunsch auf eine Weise zur Durchführung bringen, wie sie bis dahin noch nicht unternommen war. Wohl war ich mir der Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens bewußt, aber was reizt denn mehr, als bei einer solchen Reise mit unbekannten, noch nie dagewesenen Erscheinungen rechnen zu müssen? Erst die Gefahr macht eine Unternehmung interessant, Schwierigkeiten zu überwinden, dauernd mit Widrigkeiten aller Art kämpfen zu müssen, gibt solcher Fahrt erst den richtigen Reiz.

Als ich nach glücklicher Beendigung der Reise nach Deutschland zurückkehrte, war es mir ein Gefühl hoher Befriedigung, vom Verlag der Deutschen Marine- und Kolonial-Bibliothek aufgefordert zu werden, einen Beitrag zu ihrem nächsten Band über meine Erlebnisse zu schreiben. Gern folgte ich dieser Aufforderung, trotzdem ich mir bewußt war, daß eigentlich »koloniale« Fragen, die unser deutsches Volk interessieren, weniger bei meiner Fahrt berührt wurden.

Immerhin führte mich die Fahrt in manches fremde Land, wo Deutsche durch Fleiß und Energie sich Stellung und Vermögen erworben hatten, und wo es nicht zum wenigsten der deutschen Tatkraft zu verdanken ist, wenn Länder hier der Kultur erschlossen wurden, die nun Tausenden und Abertausenden als neue Heimat Verdienst und Unterhalt bieten. Ein wenig Koloniales hängt also doch mit meiner Fahrt zusammen, und es sollte mich freuen, wenn mein kleiner Aufsatz seinen Zweck erfüllte, Deutsche anzuregen, aus der Enge der Heimat hinaus höheren Zielen nachzustreben und dazu beizutragen, das Ansehen des deutschen Namens immer weiter in die Welt hinauszutragen.

Es ist mir natürlich nicht möglich, bei dem beschränkten Raum, der mir zur Verfügung steht, eine eingehende und erschöpfende Darstellung des Verlaufs meiner Fahrt zu geben, ich will daher nur einen Teil derselben zum Gegenstand meiner nachfolgenden Schilderung machen.

Das noch am wenigsten bekannte und moderner Kultur erschlossene und daher wohl um so interessantere Land, das ich auf meiner Weltumfahrt berührte, ist die Mandschurei. Nicht, daß ich in Amerika weniger unter den Schwierigkeiten der Verhältnisse gelitten hätte, im Gegenteil, die unbevölkerte Gegend der Rocky Mountains, wo oft tagelang keine Hilfe zu finden war, war mir als Automobilisten manchmal viel gefährlicher als die Mandschurei, wo Hilfe meist zu finden war, aber ich glaube, daß Asien und besonders China in seiner Eigenart mehr Anregung bietet, als das uns seiner Rasse nach verwandte Amerika. Ich werde daher die Fahrt von Wladiwostok bis zum Baikalsee zum Gegenstand meiner Betrachtungen machen.

Es war an einem recht kalten und unfreundlichen Maitage, dem 13., – was mich nicht störte, da ich dieser Zahl nicht, wie manche andere, eine besondere Bedeutung beimessen kann, – als ich nach 23 tägiger Überfahrt von Seattle aus endlich festen Fuß in Wladiwostok faßte.

Hier sollte die zweite Etappe der Fahrt beginnen, die ich mit zwei neuen deutschen Chauffeuren, die ich mir von Berlin nach W. auf dem Landwege hatte entgegen schicken lassen, fortsetzen sollte. Die letzte Seefahrt lag hinter uns, Wladiwostok war der Beginn des großen Finish durch Asien und Europa.

In meinen schon stark mitgenommenen Lederanzug gehüllt, das Gesicht von einem mächtigen Vollbart eingerahmt, wetter- und sonngebräunt, muß ich entschieden etwas wild ausgeschaut haben, als ich eiligen Schrittes dem einzigen deutschen Hotel Wladiwostoks zustrebte.

Ich mußte nicht mehr weit vom Hotel entfernt gewesen sein, als mir zwei gut gekleidete Herren entgegenkamen, die sich nach dem Glenlogan erkundigten, dem Schiff, mit dem ich gerade den Hafen erreicht hatte. Ich konnte ihnen daher die beste Auskunft geben und sie versichern, daß das Schiff wohlbehalten den Hafen erreicht habe, da ich selbst mit ihm gefahren sei.

Die beiden Landsleute musterten mich aufmerksam, sahen sich gegenseitig an, musterten mich von neuem und schienen nicht recht zu wissen, was sie aus mir machen sollten. Ich wollte ihnen daher entgegenkommen und fragte: »Erwarten Sie jemand mit dem Schiff?« »Jawohl, wir erwarten Oberleutnant Koeppen, wir sind die beiden Chauffeure, die mit ihm die Fahrt nach Paris fortsetzen sollen, und sind bereits seit dem 1. Mai hier.«

»Na, dann guten Tag«, war meine frohe Antwort, »der, den Sie suchen, bin ich.« Zunächst sah ich zwei sehr verdutzte Gesichter, dann sahen sich beide an, lachten, lachten aus vollem Halse und schienen mich für einen höchst originellen Witzbold gehalten zu haben. Erst allmählich konnte ich die Braven von der Wahrheit meiner Aussage überzeugen, und nun begrüßten sie mich hocherfreut, hatten doch die Guten 13 Tage in Wl. auf mich gewartet und brannten darauf, nach dieser langen Zeit unfreiwilliger Untätigkeit endlich an die Arbeit zu kommen. Nachdem ich meinem äußeren Menschen die sehr notwendige Verschönerung, bestehend in einer gründlichen Rasur des Vollbartes und Verkürzung des Haupthaares, hatte zukommen lassen, ging es ins Hotel, wo ein großer Stoß Postsachen aus der Heimat, die ersten Nachrichten von dort seit langer Zeit, zunächst meine Zeit ganz in Anspruch nahm. Und dann gings früh ins Bett; wenn man 23 Tage die Nächte in einem zu kurzen Kabinenbett bei stürmischer See verbracht hat, dann kann man den Wert eines bequemen Bettes schätzen, um so mehr, wenn man weiß, daß dies Vergnügen nur von kurzer Dauer sein wird. Dann stand mir auch gleich schon für den nächsten Tag genügend Arbeit in Aussicht, denn ich wollte den Aufenthalt in Wl. nicht unnötig ausdehnen, im Gegenteil, meine Chauffeure und ich brannten darauf, sobald als möglich die Fahrt fortzusetzen. –

Wladiwostok ist wohl eine der interessantesten Städte der Welt, sicherlich ist sie die bedeutendste des asiatischen Rußland, was sie in erster Linie ihrer Lage an dem großen Hafen zu verdanken hat. Er ist zwar in den Wintermonaten nicht eisfrei, hat aber sonst eine sehr günstige Lage. Als Kriegshafen hat er durch seine ihn einschließenden hohen Ufer das Recht, von der Seeseite aus als uneinnehmbar zu gelten.

Der ganze Handel mit Japan, China und Amerika konzentriert sich in erster Linie in Wladiwostok, von wo nun, nachdem das Riesenwerk der sibirischen Eisenbahn zu Ende geführt ist, ein reger Verkehr auch mit dem Hinterlande im Emporblühen ist.

Die Einfahrt in den Hafen ist äußerst malerisch. Das Becken liegt umringt von hohen, teilweise herrlich bewaldeten Bergen dem Beschauer in seiner ganzen Größe vor Augen, im Osten die am Berge angelehnte Stadt, mit ihren großen Gouvernementsgebäuden und Handelshäusern im Vordergrund am Hafen. Das Leben in der Stadt vereinigt in sich den übertriebenen Luxus der großen europäischen Städte mit dem ganzen Elend und der ganzen Verkommenheit echt chinesischer Armseligkeit.

Ich glaube, man wird kaum einen Volksstamm hier vermissen, und es ist für den Europäer ein eigenartiges, fesselndes Bild, in dem wogenden Getriebe der Promenaden neben der übereleganten Pariserin die hohe, kriegerisch aussehende Gestalt eines Tscherkessen lustwandeln zu sehen. Neben russischen Soldaten, die einen großen Teil der Bevölkerung ausmachen, sind Japaner, Kirgisen, Koreaner, Inder und Mongolen die Rassen, die man am häufigsten antrifft, das Deutschtum ist ebenfalls zahlreich vertreten und spielt im Handel ohne Frage die erste Rolle.

Am meisten wunderte ich mich über die vielen Inder, die ich in Wladiwostok traf, und über deren Tätigkeit ich mir kein rechtes Bild machen konnte. Besonders zahlreich, manchmal 40-50 Köpfe stark, traf ich sie morgens im Vorraum des Hotels, in dem ich während meines Aufenthaltes wohnte. Ich erkundigte mich bei dem Hotelbesitzer und erfuhr, daß diese Leute gekommen wären, um mit einem Engländer zu verhandeln, der in den nächsten Tagen nach Alaska ging, um Gold zu graben. Die Inder werden von Goldgräbern besonders gern als Aufseher genommen, da sie sich ihrer Ehrlichkeit wegen am besten dazu eignen. Da sich nun in Wladiwostok dauernd Goldgräber auf dem Wege nach Alaska befinden, war es mir allerdings nicht verwunderlich, daß die Inder so zahlreich hier vertreten waren.

Da vor nicht zu langer Zeit in Wladiwostok ein militärischer Aufstand ausgebrochen war, der allerdings an der Uneinigkeit der Marine mit dem Landheer gescheitert war, befand sich die Stadt noch im Belagerungszustand. Es gab wohl kaum einen Beamten in der Stadt, der nicht bei Ausübung seines Dienstes von einem bis an die Zähne bewaffneten Soldaten bewacht wurde. In der Post, den Banken und größeren Kaufhäusern, überall waren Militärwachtabteilungen aufgestellt, die für die Sicherheit der Werte und des Personals zu sorgen hatten. Ein Deutscher, der als Vertreter einer großen deutschen Handelsfirma dicht neben dem Marine-Gouvernementsgebäude wohnte, und in dessen Hause ich während meines dortigen Aufenthaltes die weitgehendste Gastfreundschaft genoß, erzählte mir von dieser gescheiterten Revolution. Danach hatte sich die ganze Besatzung Wladiwostoks, Marine und Landheer, hauptsächlich aufgehetzt durch jüdische Verbannte und Revolutionäre, verabredet, an einem bestimmten Tage die Gewalt in Wladiwostok an sich zu reißen. Durch eine Jüdin, die sich an Bord eines Schiffes der im Hafen liegenden Flotte nachts eingeschlichen hatte, war das Zeichen zum Anfang des Putsches zu früh gegeben. Den Offizieren gelang es, die Landbesatzung in die Hand zu bekommen und so die Flotte durch Feuer aus den Strandbatterien zum Schweigen zu bringen und Herr der Lage zu werden; allerdings waren einige Kriegsschiffe dem Feuer der Batterien zum Opfer gefallen. Mein Berichterstatter hatte die Beschießung von Wladiwostok und der Flotte aus nächster Nähe erlebt und war, da sich das Feuer der Schiffe in erster Linie auf das nicht weit von seiner Wohnung gelegene Marine-Gouvernement gerichtet hatte, nicht ohne Gefahr gewesen, auch selbst von der Beschießung betroffen zu werden. Was aus Wladiwostok geworden wäre, wenn der Aufstand in seinem ganzen Umfange zur wirksamen Ausführung gekommen wäre, ist nicht abzusehen. Jedenfalls wäre dieser Haupthandelsplatz des russischen Asiens für lange Zeit vernichtet gewesen und damit für Rußland ein kaum wieder zu hebender Schaden eingetreten. Daß die strenge Aufrechterhaltung des Belagerungszustandes auch jetzt noch notwendig ist, wurde mir von allen Seiten bestätigt, denn es gärt immer noch in Wladiwostok, und revolutionäre Elemente treiben nach wie vor heimlich ihre Propaganda.

Wie in allen russischen Städten des fernen Ostens, so ist auch in Wladiwostok nur die Hauptstraße gepflastert. Sie macht mit ihren schönen, großen Gebäuden und den imposanten Läden einen europäischen Eindruck. Die in die Hauptstraße einmündenden Querstraßen sind jedoch schon in einem Zustande vollständiger Verwahrlosung, daß es einem bei Regenwetter passieren kann, in ihnen mit einer Droschke stecken zu bleiben. Bis an die Achsen stecken die Wagen in dem breiartigen Schmutz, und für Fußgänger ist es an solchen Tagen nahezu unmöglich, die Straßen zu kreuzen. Und erst außerhalb des eigentlichen Stadtkreises, in den unsagbar elenden Chinesenansiedelungen mit ihren verbotenen, aber doch zahlreichen Opiumhöhlen! Wer nicht draußen stecken bleibt, der verschwindet, wenn seine Neugierde ihn trieb, das schöne Laster kennen zu lernen, in diesen Höhlen gelegentlich ganz von der Bildfläche.

Während in den vielen Vergnügungslokalen sich die elegante europäische Welt bis in den Morgen unterhält, ziehen draußen die Chinesen klappernd durch die dunkeln Straßen der Stadt, um auf diese Weise den bösen Geist zu vertreiben. Der hagere Kuli kaut seinen Knoblauch und kauert in irgend einer dunkeln Spelunke, um seinen Ziegeltee zu trinken und hier in einer Ecke den Beginn des kommenden Tages zu erwarten; der Weltmann sitzt in einem fashionablen Restaurant und bezahlt für ein Menu ein kleines Vermögen. Die Preise sind in Wladiwostok in jeder Beziehung ganz enorm hohe. In meinem Hotel, das höchstens auf der Stufe eines Hotels II. Ranges einer kleinen deutschen Provinzialstadt stand, hatte ich für zwei Zimmer mit Pension – für meine beiden Chauffeure und mich – 60 Rubel = 128 M. täglich zu zahlen, und ähnliche Preise zahlte man für alles, was das tägliche Leben forderte.

Gegensätze überall, Kultur und Barbarei – äußerste Armut und immenser Reichtum, Eleganz und Schmutz und auf der einen Seite fleißiges Streben der meistens deutschen Kaufleute und das laisser faire des bequemen Russen und der in Trägheit verkommenden Chinesen.

Das ist das schöne, teuere und interessante Wladiwostok, der Ausgangspunkt der Fortsetzung unserer Fahrt um die Welt. –

Meine Hauptaufgabe in Wladiwostok war, mich für die nun beginnende Fahrt durch die Mandschurei vorzubereiten und mich über den Charakter des Landes zu unterrichten. Die Vorbereitungen bestanden in erster Linie in der Einrichtung einer Benzin-Etappe, die ich mit Hilfe der sibirischen Bahn anzulegen beabsichtigte. Glücklicherweise war mit meinem Schiff, dem Glenlogan, Benzin von Amerika an das deutsche Kaufhaus von K. u. A. nach Wladiwostok geschickt worden. Auf dieses legte ich gleich Beschlag. Schwierig war nur die Frage, es rechtzeitig an die verschiedenen Bestimmungsorte zu bringen. Der sehr unpünktliche Bahnverkehr der nur eingleisigen sibirischen Bahn war wenig geeignet, mich an geregelten Verlauf dieser Etappeneinrichtung glauben zu lassen, um so mehr, da die Bahn sich weigerte, alles Benzin mit demselben Zuge zu versenden wegen der Explosionsgefahr des Stoffes. Schließlich erreichte ich letzteres, übergab den ganzen Vorrat einem in Wladiwostok gemieteten, arbeitslosen Deutschrussen, den ich später als Dolmetscher weiter mitnehmen wollte, und habe so bis Irkutsk auch keinerlei Schwierigkeiten mit der Benzinversorgung gehabt.

Mein erster Besuch in Wladiwostok galt dem Gouverneur, einesteils um mich als preußischer Offizier bei ihm zu melden, dann auch, weil ich hoffte, daß er mir in erster Linie bei der Durchführung meiner Fahrt dank seiner Stellung behilflich sein könnte. Exzellenz Pflug, eine große, schlanke Erscheinung mit weißem, am Kinn ausrasiertem Vollbart, der die deutsche Sprache meisterhaft beherrschte, empfing mich aufs liebenswürdigste in seinem Palais, zeigte sich lebhaft für meine Absicht, die Mandschurei und Rußland im Auto zu durchfahren, interessiert und erklärte mir, gern, soweit es in seinen Kräften stände, behilflich sein zu wollen. Aber er glaubte doch, daß er mir seine Besorgnisse, die er für ein Gelingen einer solchen Fahrt hätte, nicht vorenthalten dürfe. Er kannte persönlich nur den Teil der Strecke bis Pogranitschnaja, hatte aber über diesen nur das eine Urteil, »Unmöglich, bis dahin werden Sie nicht kommen können, denn Wege gibt es hier überhaupt nicht«. »Sehen Sie«, sagte er mir später beim Frühstück, zu dem er mich gütigerweise eingeladen hatte, »das ganze Land hier ist Sumpf und Wald, Wege kommen wohl mal vor als Verbindung einiger Militärstationen, aber selbst diese sind für schwere Wagen schon nicht oder nur sehr mühselig zu passieren, und ich glaube, ein schweres Auto muß sehr bald im Sumpf stecken bleiben. Und gerade die Jahreszeit wäre besonders ungünstig, da die andauernden Regenfälle und die eben beendete Schneeschmelze die Verhältnisse nur noch verschlechtert hätten. »Wenn auch, wie Sie sehen, mein Vertrauen zum Gelingen Ihres Planes nur sehr gering sein kann, so soll mich das nicht abhalten, Ihnen alles, was ich zur Erleichterung seiner Durchführung tun kann, für Sie zu tun«, das waren seine Worte, als ich nach einem sehr guten Frühstück sein Palais verlassen sollte. Und er hielt Wort. Ein Generalstabsoffizier seines Stabes suchte mich bereits desselben Abends in meinem Hotel auf und erklärte mir, daß er mich bis Pogran. auf Befehl des Gouverneurs begleiten sollte. Ich schloß bald mit dem äußerst liebenswürdigen und hilfsbereiten Hauptmann Appelgren, so hieß der Generalstabsoffizier, Freundschaft und habe es nie zu bereuen gehabt. Um auch für die weitere Fahrt schon jetzt vorzusorgen, schrieb ich noch denselben Tag an Exzellenz Tschitschagoff, den General-Gouverneur des Asiatischen General-Gouvernements Mandschuria, das in Progran. beginnt, und der seinen Sitz in Charbin hat, stellte ihm dasselbe wie Exzellenz Pflug vor und teilte ihm mit, wie dieser mir bis zur Grenze seines Befehlsbereichs behilflich sein wollte, ihn bittend, mir ebenfalls seine Unterstützung zu teil werden zu lassen. So war alles, nachdem meine tüchtigen Chauffeure, Fuchs und Neuberger, auch das Auto wieder ganz, hergerichtet hatten, in bester Ordnung, nur Karten konnte ich nirgends auftreiben, die gab es nicht von diesem Teile Rußlands. Dies konnte mich aber nicht stören, war ich doch kartenlos durch Amerika gekommen und hatte meinen Weg gefunden, warum sollte in Rußland schwieriger sein. –

Am 23. Mai morgens 9 Uhr setzte ich meinen Protoswagen in Bewegung, die zahlreichen Deutschen der Stadt hatten sich versammelt, um uns noch ein herzliches Lebewohl zu sagen.

Dem Ungewissen entgegen! – Wußten wir wie es enden würde? Wußten wir, was wir erleben würden in diesem entlegenen Teile Asiens, den wir bis Irkrutsk durchfahren sollten, der noch nie ein Automobil auf seinen Wegen, in seinen Sümpfen und Wäldern und Bergen gesehen hatte? Was uns die Zukunft auch bringen sollte, eins hatten wir uns alle fest versprochen, »kein Zurück«, möge es kommen, wie es wolle! – Der anhaltende Regen der letzten Tage hatte meine Erwartungen wegen der sogenannten Wege nicht zu hoch gespannt, wir waren auf das Schlimmste gefaßt, um so mehr, da ich ja schon in Wladiwostok auf den Straßen der Stadt einen Vorgeschmack dessen bekommen hatte, was mir bevorstehen würde. Ich war daher nicht weiter erstaunt, schon unmittelbar nach Verlassen der Stadt die unergründlichsten Wege vorzufinden. Da es auch bergauf und bergab ging und der Regen in unverminderter Heftigkeit niederströmte, kamen wir nur mühsam vorwärts. Den Weg begleitet auf beiden Seiten Wald, was der Landschaft ja sicherlich einen gewissen Reiz verlieh, für den Zustand der Straßen aber nur nachteilig wirken konnte, da jeder Sonnenstrahl, der die Wege hätte zeitweise auftrocknen können, dadurch ferngehalten wurde. Schon 3 km hinter Wladiwostok kam der erste längere Stopp. Wir mußten einen brückenlosen Bach passieren, was uns dazu zwang, selbst einen Übergang für das Auto herzustellen. Mit Hilfe freundlicher Passanten, die uns redlich halfen Bretter und Balken herbeizutragen, hatten wir diesen schneller als wir anfangs hofften, hergestellt, und weiter ging es in den immer dichter werdenden Wald. Nur langsam und mühsam, stets mit dem ersten Gang fahrend, krochen wir weiter, und nur zu häufig mußten wir den Wagen aus Sumpflöchern, aus denen er mit eigener Kraft nicht herauszukommen vermochte, mit Hilfe fremder Kräfte befreien. Das war verschiedene Male gut abgelaufen, bis wir gegen Mittag mitten im dichten Wald an eine Stelle kamen, wo plötzlich der Wagen bis an die Achsen versank. Hilfe war nicht in der Nähe, so daß wir uns entschlossen zu versuchen, allein den Wagen wieder flott zu machen. Zunächst fingen wir an den Wagen auszugraben, aber bald sahen wir das Vergebliche dieser Arbeit ein. Wir saßen im Moor, und je mehr wir gruben, je tiefer sank der Wagen ein. Nach vierstündiger vergeblicher Arbeit blieb nichts übrig, als uns nach fremder Hilfe umzusehen. Einige Kilometer zurück hatten wir ein kleines russisches Dorf passiert und dahin machte ich mich mit meinem liebenswürdigen Begleiter, Hauptmann Appelgren, auf, um zu sehen, ob wir dort Hilfe finden würden. Wir hatten Glück! Ein Deutschrusse, der hier einen größeren Bauernhof sein Eigen nannte, war sofort bereit mit einigen Ochsen zur Unfallstelle zu kommen, einige Leute aus dem Dorfe begleiteten ihn. Als wir zum Wagen zurückkehrten, hatten Neuberger und Fuchs diesen bereits abgepackt. Wir spannten die Ochsen an die hintere Achse und schafften mit vereinten Kräften das Auto rückwärts aus dem elenden Moorloch heraus. Mittlerweile war die Dämmerung eingebrochen, und da an ein Weiterfahren nachts gar nicht zu denken war, waren wir froh, bei unserem »Helfer aus dem Moor« auch noch ein recht angenehmes Nachtquartier zu finden. Auf dem Boden der »guten Stube« wurde uns ein Nachtlager hergerichtet, und bald hatte ich in Morpheus Armen alle Widrigkeiten dieses ersten Tages auf russisch-asiatischem Boden vergessen. Mit Sonnenaufgang ging es am nächsten Morgen weiter. Unverdrossen regnete es, was es nur konnte, und der im Freien gebliebene Wagen war ganz mit Wasser angefüllt. Zunächst mußten wir wieder unser Moorloch passieren, das wir dieses Mal aber vorher gehörig mit Hölzern und Steinen befestigten, sodaß wir ohne Schaden darüber wegkamen. Um die Räder hatte ich Ketten legen lassen, um ihnen in dem aufgeweichten Boden mehr Widerstand zu geben, eine Maßregel, die ich schon in Amerika schätzen gelernt hatte; ohne diese wären wir auf den Wegen überhaupt nicht vorangekommen. – Bis wir am 24. Mai bei einem furchtbaren Gewitterregen Nikolsk erreichten, war unsere Fahrt eine Kette von Steckenbleiben und Wegebauen auf dem trostlosen Pfad durch den Urwald, der nur zeitweise einen Blick auf das verschwimmende Meer gestattete. Nikolsk, die erste Stadt auf unserer Fahrt, hatten wir erreicht und damit in 54 Stunden 120 km zurückgelegt.

Nikolsk ist, genau wie Wladiwostok, eine Stadt von echt asiatischem Charakter. Sie hat eine sehr starke Garnison und regen Handel, da sie am Knotenpunkt der Bahn liegt, die von der transsibirischen nach Norden längs dem Ussuri nach Chabarowsk am Amur abzweigt. Ein sogenanntes Hotel nahm uns auf, und da bei dem ewigen Regen an Weiterkommen auf den Wegen nicht zu denken war, versuchte ich, die Erlaubnis zu erlangen, auf dem Bahndamm fahren zu dürfen. Ich hatte in Amerika schon kurze Strecken auf dem Bahndamm zurückgelegt, wenn ich Flüsse in Ermangelung von Fähren auf Eisenbahnbrücken passieren mußte und wußte daher, welch Vergnügen eigener Art solch eine Fahrt für ein Automobil ist, besonders wenn bei schlechten Stellen des Bahndamms die Schwellen hoch hervorstehen. Aber was sollten wir machen? Im Sumpf ist das Auto bewegungslos, die Kraft der hintern Räder wühlt den Wagen immer tiefer in den Boden ein, und schließlich bleibt nichts übrig, als Pferde vorzuspannen. Kleinere Strecken lassen sich ja mit Holz und Steinen befestigen, aber hier, wo es sich um viele hundert Meilen handelte, war ein solcher Wegebau ausgeschlossen. Wir begrüßten es daher mit großer Freude, als wir abends im deutschen Klub die Nachricht erhielten, daß uns erlaubt würde, auf dem Eisenbahndamm die Fahrt fortsetzen zu dürfen. Schon in aller Frühe des nächsten Tages traten wir die Weiterfahrt an. Kaum hatten wir jedoch das Hotel verlassen, als wir mitten auf der Hauptstraße Nikolsk in einem tiefen Loch versanken, das die weise Stadtverwaltung, scheinbar aus Sparsamkeitsrücksichten, durch Ausfüllen mit Mist zu verbessern versucht hatte. Ein ergötzliches Schauspiel, diese Mistbuddelei mitten auf der Hauptstraße von Nikolsk, an der sich die Einwohner der Stadt mit großem Eifer und Vergnügen beteiligten. Später sollte ich erfahren, daß die Straßen in den Städten fast durchweg in besonders schlechtem Zustand waren, was wohl in erster Linie dem dort herrschenden größeren Verkehr zuzuschreiben ist und dem vollständig mangelnden Interesse der Stadtverwaltung für diese. –

Schließlich gelangten wir aber glücklich auf den Eisenbahndamm, und es begann nun für meine Chauffeure ein Studium ganz neuer Art, das Kunstfahren zwischen den Schienen. Es ist nicht so einfach, auf dem Bahndamm zu fahren, jedes Abrutschen von den Schwellen bedeutet einen Aufenthalt von Stunden, um den Wagen in der losen Kiesbettung wieder auf die Schwellen zurückzubringen.

In Nikolsk hatten wir den Eisenbahndamm betreten, wir sollten ihn bis Charbin nicht wieder loswerden, und dieser Bahndamm war unsere einzige Rettung, und so furchtbar auch seine in Reparatur befindlichen Strecken waren, so kehrten wir doch immer, wenn wir ihn mal verlassen hatten, reumütig zu ihm zurück. Es war der Wall, der mit seinen ungeheuren Kies- und Erdmassen, mit seinen Brücken und Tunnels die hinterasiatische Wildnis von Wald, Sumpf und Berg mit Erfolg besiegt und einen festen Weg geschaffen hatte, auf dem die Kultur, wenn auch langsam und hinkend, so doch sicher ihren Triumpheinzug in die andere Wildnis halten kann, in die barbarische Verkommenheit chinesisch-mandschurischer Mißwirtschaft.

Ein Hauptnachteil des Fahrens auf dem Eisenbahndamm war die starke Abnutzung der Pneumatiks. Während die Räder der einen Seite zwischen den Schienen liefen, mußten die der anderen Seite dicht an der Außenseite der äußeren Schiene entlang fahren, um nicht von den Schwellen abzurutschen. Dabei kamen die Pneumatiks in häufige, unangenehme Berührung mit den scharfkantigen Laschen und Bolzen der Schienenverbindungen und wurden förmlich aufgeschnitten. Durch Wegnehmen der Kotflügel gelang es uns, da wir dann die Vorderräder besser übersehen und besser von den Schienen abbleiben konnten, diesen Schaden einigermaßen aufzuheben. Auch das Passieren der Weichenstellen hatte seine Schattenseiten, und geradezu entsetzlich wurde die Fahrt, wenn die Kiesschüttung zwischen den Schwellen fehlte und diese dann so hervorstanden, daß nur ein langsames, sprungweises Vorgehen von Schwelle zu Schwelle ein Weiterkommen ermöglichte. Daß diese letztere Fortbewegungsart dem Wagen nicht gerade heilsam sein konnte, wird wohl jedem, auch Nichtautomobilisten, einleuchten. An manchen Stellen war, um die Bahn zu reparieren, eine Hilfsstrecke auf lose gelegten Schwellen hergerichtet, die für den Fahrer das Schlimmste war, was man sich denken konnte. Kam der Wagen einmal mit seinen Rädern zwischen zwei solche Schwellen, dann blieb nichts übrig, als ihn mit Hebebäumen wieder auf die Schwellen zu bringen, eine zeitraubende, anstrengende Arbeit, bei der uns dann die bei dem Bahnbau beschäftigten Kulis und Koreaner eine willkommene Hilfe waren. Letztere machten uns überhaupt viel Spaß! Sie zeigten lebhaftes Interesse für unsere Maschine, deren Anblick ihnen ganz neu war. Grinsend kamen die gelben Zopfträger herbeigelaufen, besahen sich den Wagen von allen Seiten, um schließlich unter das Auto zu kriechen, hoffend, von hier aus besser in die Geheimnisse des Mechanismus eindringen zu können. Ja, ja, das war ein wunderbares Ding, das ohne Pferde und ohne Schornstein dennoch laufen konnte, aber sie schienen zufrieden zu sein, denn bald streckten sie den Daumen in die Höhe, um mit dem Wort, oder besser dem »Laut« »cho«, den Ausdruck ihrer höchsten Zufriedenheit uns ihre Anerkennung auszudrücken. Einen solchen gelben Zopfträger dazu zu bringen, ein Stück mit uns zu fahren, stieß jedoch stets auf den heftigsten Widerstand. So intelligent sie oft aussahen, und so zutraulich sie sich benahmen, hierzu fehlte ihnen doch das Vertrauen. Ein interessantes Erlebnis hatte ich hier noch mit einem der Kulis, einem frisch in die Welt schauenden, gescheiten Jungen von 28 Jahren. Er sprach nicht nur ganz gut Deutsch, er schrieb mir später auch einige Worte fehlerlos auf, in gleicher Weise das Englische beherrschend. Er wollte nach Hamburg fahren, um sich dort als Kellner zu verdingen, und hatte mir auch das Hotel genannt, in dem er seine neue Laufbahn zu beginnen beabsichtigte. – Auf der Bahn wurden wir wie ein richtiger, fahrplanmäßiger Zug behandelt. Auf den Bahnhöfen oder Ausweichestellen mußten wir oder ein entgegenkommender Zug warten, bis die Strecke frei war, was uns veranlaßte, sehr früh aufzubrechen, da auf dieser Strecke der transsibirischen Bahn der Zugverkehr in den Morgenstunden gering war. Überhaupt war es für uns nur möglich, auf dem Bahndamm zu fahren, weil nur wenig Züge hier täglich verkehren. Auf stark befahrenen Bahnstrecken wäre es einfach ein Unding gewesen. Landschaftlich bot die Fahrt viel schöne Anregungen. Die Bahn führt über den kleinen Chingan, einen ganz ansehnlichen Gebirgszug mit hohen, wundervoll bewaldeten Bergen und herrlichen Tälern. Viele Tunnel führen durch das Gebirge, und jedesmal, wenn wir wieder ans Tageslicht kamen, überraschte uns ein neues Bild landschaftlichen Reizes.

Es war 7 Uhr morgens am 27. Mai, als wir nach Überschreiten des höchsten Punktes uns in eleganten Serpentinen der Ebene und damit Pogranitschnaja näherten, der Grenzstation zwischen dem Küstengebiet und der Mandschurei. Ein großer Bahnhof mit einem sehr anständigen Wartesaal, der auch in betreff Verpflegung alles bot, was man erhoffen konnte, war ein willkommener Platz zu längerem Aufenthalt. Hier traf ich Rittmeister von Albrecht, der mir auf Befehl des General-Gouverneurs Tschitschagoff, auf meinen Brief hin, nunmehr als Begleiter auf meiner Fahrt durch die Mandschurei dienen sollte. Mein bisheriger Begleiter, Hauptmann Appelgren, fuhr von hier aus mit der Bahn nach Wladiwostok zurück. Einige Schwierigkeiten machte es zunächst, die Erlaubnis zu erhalten, weiter die Bahn benutzen zu dürfen, die von hier ab unter anderer Verwaltung steht. Ihr Direktor war Exzellenz von Horwath, und es hing nunmehr von seiner Erlaubnis ab, was kommen würde. Vorteilhaft war es für mich, daß Rittmeister Albrecht ein besonders naher Freund dieses Gewaltigen war. Wir sandten sofort ein Telegramm an Exz. Horwath nach Charbin mit der Bitte, uns weiter das Fahren auf dem Bahnkörper gestatten zu wollen.

Die Zeit des Abwartens der Entscheidung verbrachten wir bei gemeinsamem Frühstück, das wir unserm bisherigen Begleiter, Hauptmann Appelgren, zu Ehren gaben, der von Wladiwostok an getreulich alle unsere Mühen geteilt, mit uns gearbeitet, geschaufelt, erkundet, unter den ewigen Regen und Entbehrungen gelitten und uns zu herzlichem Dank verpflichtet hatte.

Mittags erhielten wir die bejahende Antwort aus Charbin, der Bahndamm stand uns wieder zur Verfügung, und ohne zu zögern brachen wir auf, um längs der mandschurischen Bahn das breite russische, von räuberischen Chungusen bevölkerte Okkupationsgebiet in der Richtung Charbin – Tschita bis zum großen Chingan-Gebirge zu durchqueren. Charbin blieb unser nächstes Ziel, unsere erste größere Etappe auf asiatischem Boden, wohin ich auch meine Reservesachen vorausgeschickt hatte. – Die russisch-mandschurische Bahn ist auf ihrer ganzen Strecke von Militär bewacht. Alle 5 Werst befindet sich ein kleiner Militärposten, der in Blockhäusern untergebracht ist und verhindern soll, daß die in dieser Gegend häufigen Chungusenhorden die Bahn zerstören. Für uns waren die Posten eine große Annehmlichkeit, sie bildeten unsere einzigen, aber sichern Hotels und nahmen die Konkurrenz mit denen großer Städte des östlichen Rußland vollständig auf. Sie waren vor allen Dingen sauber, was in Rußland schon was heißen will; die Mannschaftsstuben in den Blockhäusern waren große, helle Räume, wo wir in sauberen Betten stets ein vorzügliches Nachtlager fanden. Eine große Vorliebe der Russen für Blumen und frisches Grün machte sich auch hier überall bemerkbar. Es gab kaum eine Kaserne, wo nicht die Leute die Räume mit Blumen geschmückt hatten. Überall war die Aufnahme eine äußerst gastfreie und besonders dort, wo Offiziere den Posten kommandierten; überhaupt ist die Gastfreundschaft bei den Russen in hervorragender Weise ausgeprägt, bei Hoch und Niedrig fanden wir stets die freundlichste Aufnahme. Die Soldaten sorgten in rührender Weise für uns. Mit großen Menus konnten sie freilich nicht aufwarten. Wenn wir nicht zu unseren Konserven griffen, gab es meistens nur Eier, Kommisbrot und Tee, den die schlanken Kosaken in ihren großen Samowars trefflich herzurichten verstanden. In El-ho trafen wir auf einen großen Posten, der auch als Truppenübungsplatz eingerichtet war. Wir fanden dort in dem recht wohnlichen Kasino bei den Offizieren des 3. Eisenbahn-Regiments eine äußerst herzliche Aufnahme, und abends vereinigte uns ein Diner mit den Offizieren und ihren Damen. Ich hatte das Empfinden, daß diese Offiziere hier mit ihrem Los durchaus zufrieden waren und es nicht als eine Härte des Schicksals empfanden, so weit in die östliche Wildnis verschlagen zu sein. Von El-ho aus schloß sich noch ein Leutnant des Eisenbahn-Regiments uns an. Da ferner auch noch Beamte der Bahnverwaltung streckenweise uns begleiteten, zählte die Besatzung des Wagens jetzt durchschnittlich 6-7 Köpfe. Ich kann nicht behaupten, daß dadurch die Bequemlichkeit auf unserem Wagen sich gebessert hätte, im Gegenteil, da er nur über 2 Sitze verfügte, mußten 4-5 auf dem hinteren Teil des Wagens auf den dort verstauten Reserveteilen einen Platz suchen. Aber es war nicht so schlimm, wie es den Anschein hatte, denn zum Sitzen kamen wir nicht viel. Das anhaltend schöne Wetter schien die ganzen Arbeiterkolonnen der Bahnverwaltung mobil gemacht zu haben, und alle Augenblicke gerieten wir an große Strecken, wo der Kies zwischen den Schwellen herausgeschippt war. Da hieß es denn, zu Fuß marschieren und sehen, wie helfen, daß der Wagen ohne Schaden diese Stellen passieren konnte. Das waren stets auf die Nerven gehende Momente, und oft glaubte ich, der Wagen würde in der Mitte durchbrechen, wenn er seine kühnen Sprünge von Schwelle zu Schwelle ausführte. Schließlich mußte eine derartige Anstrengung aller Teile des Wagens seine üblen Wirkungen auf das ganze Getriebe haben, ich glaubte gezwungen zu sein, den Bahndamm verlassen zu müssen.

siehe Bildunterschrift

Selbstgebauter Weg übers Moor

siehe Bildunterschrift

Schwierige Bahnstrecke in der Mandschurei

Es war bei Tschinlinsa, als wir wieder eine lange Reparaturstrecke überwinden mußten, und ich daher den Entschluß faßte, seitwärts der Bahn eine Art Weg zu benutzen, um diesen Teil des Bahndammes zu umgehen. Ich sollte diesen Versuch der Emanzipation vom Kieswall bitter bereuen. –

Wir mochten etwa 2 km weit auf dem Wege ohne Unfall gefahren sein, als wir an ein ausgedehntes Moor kamen. Auf der nördlichen Seite stieg das Gelände jedoch an, zeigte teilweise trockene Grasbewachsung und schien daher auch, was den Untergrund anbetraf, zuverlässig zu sein. Ich entschloß mich daher, über diesen Hang fahrend das Moor zu umgehen. Vergebliche Hoffnung. Auch hier Sumpf und Moor, wo wir auch versuchten durchzukommen. Nachdem wir viermal stecken geblieben und nur mit großer Mühe wieder herausgekommen waren, gab ich das Nutzlose dieses Versuchs auf und kehrte, nachdem wir den ganzen Nachmittag auf diese Weise verloren hatten, reumütig wieder zur Station zurück. Also wieder auf den Bahndamm, was blieb uns auch anderes übrig? Es war dunkel geworden, als wir nach Tschinlinsa zurückkamen. Da hier nur eine kleine Ausweichestelle war, wollten wir noch bis zur nächsten Station – Sandawodi – fahren, um hier zu übernachten. Scheinwerfer hatten wir schon lange keine mehr, aber die Nacht war doch so hell, daß man wenigstens die groben Umrisse des Bahnkörpers unterscheiden konnte. Es war eine meiner nervenaufreibendsten Fahrten, die nun begann. Da wir keine telegraphische Verbindung von Tschinlinsa aus mit den nächsten Stationen aufnehmen konnten, schwebten wir dauernd in Gefahr, von vorn oder rückwärts mit einem Zuge zusammen zu stoßen, der uns, da wir keine Lichtsignale an unserm Wagen hatten, nicht hätte erkennen können. Eine Katastrophe wäre dann unvermeidlich gewesen, um so mehr, da an den Seiten des Bahndammes, der meist in das hügelige Gelände eingeschnitten war, kein Platz zum Ausweichen war. Am unruhigsten war aber bei der Fahrt unser guter Eisenbahner, denn er wußte, daß um 9 Uhr abends ein Zug von Sandawodi kommen mußte, hatte aber gehofft, wir würden die kurze Strecke bis dahin bewältigt haben und daher geschwiegen. In Wirklichkeit langten wir erst um 11 Uhr nachts auf der Station an. Hier erfuhren wir, wie wir nur einem Unglück unsere Rettung zu verdanken hatten. Auf einer Reparaturstelle lag der fällige Zug kurz vor der Station Sandawodi entgleist. – Dem einen sin Uhl, dem anderen sin Nachtigall! Wer weiß, was aus uns geworden wäre, wenn jenem Zug nicht dieses Unglück zugestoßen wäre. Unser Wagen hätte einer Begegnung mit dem Zuge unweigerlich zum Opfer fallen müssen.

Nun war aber auch für uns am nächsten Morgen eine Weiterfahrt auf der durch den entgleisten Zug gesperrten Bahnstrecke nicht möglich. Wir erlebten aber noch eine weit unangenehmere Überraschung, nämlich ein Telegramm, das uns mitteilte, daß weitere Benutzung des Bahndammes fernerhin nicht gestattet werden könnte, da der Zugverkehr durch uns zu sehr gestört würde. Wir hatten tags zuvor in der Tat einen Zug längere Zeit aufgehalten, in dem zu unserem Pech ein höherer Bahnbeamter gefahren war. Die Veranlassung hierzu war eine langwierige Pneumatik-Reparatur gewesen, die wir auf freier Strecke hatten vornehmen müssen. Der Beamte hatte telegraphisch nach Charbin gemeldet, daß fernere Erlaubnis für mein Automobil, den Bahndamm zu benutzen, einen unhaltbaren Zustand im Betrieb der Bahn zur Folge haben müßte. Mein energischer Begleiter, Rittmeister v. Albrecht, sandte sofort ein längeres Telegramm der Aufklärung an Exzellenz von Horwath nach Charbin mit der Bitte, das Verbot wieder rückgängig zu machen. Um aber nicht zu viel Zeit zu verlieren, entschlossen wir uns wieder, vorläufig einen der Bahn entlang führenden Weg zu benutzen. Es war das alte Lied – Sumpf und immer wieder Sumpf. Rittmeister v. Albrecht hatte aber dieses Mal auch für diesen Fall gesorgt. Auf dem Bahnkörper begleiteten uns Kulis mit Waggonets, auf denen sie reichlich Bretter und Balken verstaut hatten, und jedesmal, wenn uns eine besonders morastige Stelle zum Halten zwang, wurde mit deren Hilfe eine Art Knüppeldamm hergerichtet, auf dem wir dann »Pannenlos« die Stellen überwanden.

Dieser Tag sollte uns noch einen gefährlichen Zustand bringen. Es war kurz vor der Station Gaolin, als wir eine über einen etwa 30 m tiefen Abgrund führende Brücke passieren mußten, die auf halber Höhe eines Bergkegels lag. In der Dunkelheit konnten wir den Zustand dieser Brücke nicht erkennen, nahmen aber an, daß diese, da so nahe der Station gelegen, sicher in gutem Zustand sein würde. Wir waren wieder mal zu gutgläubig gewesen und hätten unsere Leichtfertigkeit auf ein Haar mit dem Leben bezahlen müssen. Wir hatten uns den steilen Berg mühsam hinaufgearbeitet, als wir in dem Augenblick, da das Auto sich mitten auf der Brücke befand, ein entsetzliches Krachen vernahmen, dessen Ursache wir in dem Augenblick gar nicht erkennen konnten. Neuberger, der am Steuer saß, wollte anhalten, um nach dem Grunde dieses Geräusches zu forschen, trat aber aus Versehen nicht auf die Fußbremse, sondern daneben auf den Akzelerator. Die Maschine, die plötzlich Vollgas bekam, machte einen tollen Sprung, um unmittelbar hinter der Brücke, wo der Weg wieder steil in die Höhe steigt, stehen zu bleiben. Dies alles dauerte nur einen kurzen Augenblick. Wir stiegen ab, um nach der Ursache des Geräusches zu forschen. Die Brücke war verschwunden, sie war samt Pfeilern und Balken in den Abgrund gestürzt, der dunkel zu uns heraufgähnte. Das Versehen Neubergers hatte uns das Leben gerettet, hätte er tatsächlich, wie beabsichtigt, auf die Fußbremse getreten, wären wir rettungslos mit in den Abgrund gestürzt und dort begraben worden. Der Schreck war uns allen in die Glieder gefahren, und als wir nach wenigen hundert Metern angesichts der Station in einem Moorloch versanken, ließen wir den Wagen wo er war, begaben uns zu Fuß nach der Station, um am nächsten Morgen erst an die Hebung unsers vielgeplagten Autos zu gehen.

Reichlich schachmatt krochen wir an diesem Abend in Kasanscho in die Kosakenbetten, und ein tiefer Schlaf ließ uns bald alle überstandenen Gefahren vergessen. Wir hatten jetzt 11 Tage ununterbrochener Arbeit hinter uns, und der Wunsch, bald Charbin zu erreichen und dann, wie behauptet wurde, bessere Wege zu finden, drängte sich immer mehr hervor.

Meine Chauffeure waren noch mit einer Reparatur am Motor beschäftigt, als am nächsten Morgen Rittmeister v. Albrecht ein Telegramm erhielt. Dieses besagte, daß Seine Hoheit der Großfürst Sergius Michailowitsch auf der Fahrt nach Wladiwostok mittags die nächste westliche Station passieren würde, und daß er den Wunsch geäußert hätte, unseren Wagen zu sehen. Da der Großfürst von Exzellenz Tschitschagoff und Horwath begleitet war, konnte mir diese Begegnung nur vorteilhaft sein, brachte sie mir doch die Gelegenheit, mit diesen beiden Herren persönlich wegen erneuter Erlaubnis, auf dem Bahndamm fahren zu dürfen, verhandeln zu können. Auch ein persönliches Bekanntwerden mit dem Großfürsten konnte mir nur vorteilhaft sein. Rittmeister Albrecht ließ sofort Pferde satteln, und während meine Chauffeure den Auftrag erhielten, nach beendeter Reparatur mit dem Auto nachzukommen, machten wir uns auf den Weg nach der bezeichneten Station. Bei Ankunft des Zuges meldete ich mich beim Großfürsten und den vorher genannten Herren und teilte ihm mit, daß mein Auto noch auf dem Wege nach der Station wäre, der an der Bahn entlang führe. Um nicht zu langen Aufenthalt zu haben, entschloß sich der Großfürst weiter zu fahren, lud mich ein ihn zu begleiten und während der Fahrt nach meinem Wagen Ausschau zu halten, da er ihn unbedingt zu sehen wünsche. Selbst Automobil-Sportsmann, zeigte er sich für meine Fahrt lebhaft interessiert und auch über ihren bisherigen Verlauf gut unterrichtet. Er bedauerte lebhaft die großen Schwierigkeiten, die uns die Mandschurei bereitet hatte und versprach mir für die Wiedererlangung der Erlaubnis, auf dem Bahnkörper fahren zu dürfen, behilflich sein zu wollen. Nach kurzer Zeit sah ich vom Coupéfenster aus meinen guten Protos, ächzend und stöhnend, vergeblich bemüht, aus dem Sumpf zu kommen, in den er mit beiden Hinterbeinen tief eingesunken war. Der Großfürst ließ den Zug sofort halten, stieg aus und besah sich mit viel Interesse den sich so wenig schön präsentierenden Wagen. Er sah den jammervollen Zustand des Weges, das tiefeingesunkene Auto, und als ich ihm mitteilte, daß diese Situationen unser tägliches Brot wären, wünschte er, daß Herr Horwath uns die Benutzung der Bahn wieder erlauben möchte, welchem Wunsche dieser auch sofort nachkam. Ein freundlicher Abschied, und fort dampfte der Zug nach Osten, und wir hatten ihn wieder, den lange vermißten Bahndamm, der uns so viel Herzeleid verursachte, ohne den wir nun aber einmal nicht leben konnten in dieser Wildnis mit ihren unergründlichen Sumpfwegen. An diesem Abend erreichten wir Imenpo, einen kleinen, wunderhübsch in einem bewaldeten Talkessel wie ein Schwarzwalddörfchen gelegenen Ort, wo wir im Hause des Ingenieurs Wischniakowski freundlichst aufgenommen und bewirtet wurden.

Es wurde mir nicht leicht, schon früh am nächsten Morgen diesen idyllischen Ort und seine gastfreundlichen Bewohner zu verlassen, aber wir drängten unserer ersten Etappe Charbin zu, und da hieß es nicht rasten. Eine Kosakensotnie, deren Führer, Leutnant von Maier, ich schon am Abend im Hause des Ingenieurs kennen gelernt hatte, begleitete uns, da nachts auf einer der nächsten Stationen ein Gefecht mit Chungusen stattgefunden hatte und man für unsere Sicherheit besorgt war. Von den Herrschaften war aber weit und breit nichts zu sehen, sie lieben das Tageslicht nicht für ihre Unternehmungen.

Die Bahnstrecke war wieder entsetzlich – überall wurde repariert. Infolge der dauernden großen Anstrengung des Motors häuften sich die Havarien zusehends. Federbrüche, Pneudefekte, kleine Schäden an der Maschine bereiteten uns dauernd Aufenthalt. Es war höchste Zeit, daß wir nach Charbin kamen, hinter dem wir dem Eisenbahndamm Lebewohl sagen konnten und in die mandschurische Steppe gelangten, die uns wie ein schöner Traum vor Augen lag.

Am 4. Juni abends bekamen wir endlich den breiten Sungari zu Gesicht, einen Nebenfluß des Amurs, an dessen Gestaden sich die interessante und nicht unbedeutende Stadt Charbin angebaut hat. Unsere erste Etappe hatten wir erreicht, das langersehnte Charbin, das 900 km Urwald von Wladiwostok trennt und das uns neue Kraft verleihen sollte zu der nun beginnenden zweiten Strecke Charbin-Tschita! – In Charbin hieß es Kräfte sammeln, ruhen und vorbereiten – d. h. wir blieben dort einen Tag, was wir um so lieber taten, als hier unser getreuer Begleiter Rittmeister von Albrecht mit seiner liebenswürdigen Schwester ein freundliches Heim bewohnte, in dem wir natürlich glänzend aufgenommene Gäste waren.

Charbin verdankt seine Bedeutung dem russisch-japanischen Krieg, wo es als Hauptwaffen- und Depotplatz im Rücken der zarischen Armee eine große Rolle gespielt hat. Es hat eine glückliche natürliche Lage im Mittelpunkt der Mandschurei dadurch, daß sich hier die alten chinesischen Poststraßen treffen, und daß der Sungari hier schiffbar wird. Seine Hauptbedeutung verdankt der Platz aber wohl dem Umstand, daß von hier aus die mandschurische Südbahn nach den großen Handelszentren Kirin, Mukden, Port Arthur und Peking abzweigt, was der Stadt zu schnellem Aufblühen verhalfen hat. Von den vier Stadtteilen, in die Charbin zerfällt, ist die Neustadt der schönste, der chinesische für Europäer der interessanteste. In der Neustadt macht sich der emporblühende Charakter der Stadt bemerkbar. Hier finden wir die großen, geschmackvollen und schönen Palais der obersten Beamten und die modernen Läden und Hotels. Die Chinesenstadt bleibt dagegen in trauriger Versunkenheit in Schmutz und Gestank ihrem Charakter treu. Ganz unglaublich ist auch hier wiederum der Zustand der Straßen. Am Bahnhof und auf den Hauptverkehrsstraßen ist mit Pflaster eine solide Grundlage geschaffen, aber fern ab vom Getriebe des täglichen Lebens ist es schlimmer als in den Dörfern Sibiriens. Besonders zeichnet sich das Chinesenviertel durch schlechte Straßen aus; dabei spielt sich das ganze Leben nur auf ihnen ab. Eigenartig berührt uns Europäer der »fahrende Raseur«. Da sich die Chinesen auch das Haupthaar bis zur Zopfwurzel abrasieren lassen, ist der »Doktor« dort eine sehr wichtige Persönlichkeit. Dieser fährt, ähnlich unseren Scherenschleifern, mit seinem Wagen die Straßen lang, und wer das Bedürfnis hat, sich verschönern zu lassen, hockt sich einfach auf die Straße, um dort die Prozedur vollziehen zu lassen. Ein Chinese kann stundenlang in der Hockstellung sitzen, ohne auch nur im geringsten zu ermüden. Mir war es schon beim langen Zusehen, wenn ich auf Marktplätzen die gelben Kerle hocken sah, so, als ob ich einen Wadenkrampf bekommen müßte; der Geruch in der Chinesenstadt ist geradezu infernalisch, wozu in erster Linie der geschmorte Knoblauch beiträgt, der eins der Hauptnahrungsmittel der Chinesen bildet. –

Mein erster Besuch galt Exzellenz Horwath, dem ich bei dieser Gelegenheit meinen Dank sagen wollte, daß er mir so gütig die Benutzung des Eisenbahndammes erlaubt hatte. Er lud mich mit meinen Chauffeuren zu einem sehr netten Diner ein und war der liebenswürdigste Wirt, den man sich denken konnte.

Die Verschiebung meiner Etappe bis Tschita machte viele Anordnungen und Gänge nötig. Bei der großen Ausdehnung, die die Städte der Mandschurei haben, waren solche Anordnungen stets sehr zeitraubend, und nur der Hilfe, die ich durch die Fürsprache der »Gewaltigen« hatte, wie Exzellenz Horwath und Tschitschagoff, verdanke ich es, daß alles noch verhältnismäßig glatt verlaufen ist.

In jeder Weise mütterlich sorgte für uns die Schwester unseres guten Rittmeisters von Albrecht. Sie hatte als Krankenschwester den russisch-japanischen Krieg mitgemacht, sich dort durch große Tapferkeit den russischen Schwerterorden neben manchen anderen Auszeichnungen erworben und war eine Dame, die an einen Platz wie Charbin mit ihrer Energie und Kriegserfahrung vorzüglich paßte. Sie war die rechte Frau auf dem rechten Platz, und ich habe sie bei dem kurzen Aufenthalt, den ich in ihrem gastfreien Hause in Charbin genossen habe, aufrichtig schätzen und verehren gelernt. –

Es regnete Bauernjungens, wie wir in meiner westfälischen Heimat zu sagen pflegten, als wir am 6. Juni Charbin verließen, um über die große, fast einen Kilometer lange Eisenbahnbrücke des Sungari unseren Weg nach Westen fortzusetzen und alsbald in die mandschurische Steppe einzutreten. Der Regen war für uns ja keineswegs eine Annehmlichkeit, aber wir setzten uns darüber hinweg, als wir sahen, daß die Steppe für uns dadurch keineswegs als Fahrstraße sich verschlechterte, im Gegenteil, wir hatten den Vorteil, keinen Staub schlucken zu müssen.

Landschaftlich bot der Weg bis Tsitsikar dem Auge nur wenig Reiz, es war eine recht öde, baumlose, grasbewachsene Hochebene, die wir zu durchqueren hatten, und der Gegensatz in der buschlosen Steppe gegen den Taiga-Urwald, unseren bisherigen ständigen Begleiter, war nicht gering. Aber wir atmeten dennoch auf, wir waren den Eisenbahndamm los und konnten uns nördlich von ihm in respektvoller Entfernung halten, ohne Gefahr zu laufen, in einem Sumpfloch stecken zu bleiben. Wir konnten auch endlich mal mit der 4. Übersetzung fahren und hatten an diesem ersten Tage trotz schlechten Wetters 200 km zurückgelegt, als wir abends in Siaochezy unser Nachtquartier bezogen. Den nächsten Tag schon früh morgens passierten wir bei Tsitsikar den Nonni, einen breiten Nebenfluß des Sungari. Diese echte Chinesenstadt ist von einer hohen Lehmmauer umgeben, zählt aber immerhin 80 000 Einwohner. Die Steppe wurde jetzt belebter. Wir trafen auf Herden von Kamelen und wilden Pferden, die von Mongolenreitern, einer Burjätenart, gehütet wurden, denen es, wie den Cowboys in Amerika, Spaß machte, auf ihren Ponys mit uns um die Wette zu reiten, während ihre Herden, geschreckt vom Geknatter des Motors, wie toll in die weite Steppe auseinanderstoben. Mit pfannenartigen Strohhüten gekleidet, schleiften diese drolligen Gesellen bei ihrem kecken Wettlauf eine am Sattel seitwärts befestigte 8-10 m lange Stange auf der Erde nach, eine Art Fangstock mit großem Haken am Ende, mit dem sie abirrende oder wilde Tiere zum Gehorsam bringen. –

Ein Stück Weltgeschichte sahen wir hier in einer Art Parodie! – Die Vorfahren dieser gelben Mongolenhirten halfen die Horden bilden, mit denen der große Tschingis-Chan im 13. Jahrhundert vom Amurgebiet aus Nordchina und Peking eroberte, Turkestan und ganz Südrußland unterwarf, während sein grausamer Enkel Batu das alte Moskau verbrannte und bis nach Schlesien vordrang, wo er 1241 den Deutschen die Schlacht bei Wahlstatt lieferte. Der Ort, an dem wir rasteten, hatte seinen Namen nach dem gewaltigen Eroberer, dessen Residenz nicht weit von dieser Stelle gelegen haben soll. –

Die Steppe begann allmählich ihren Charakter zu ändern. Das ausgesprochen flache Hochland verschwand mehr und mehr, und das Gelände fing an immer welliger zu werden. Gerippe und Kadaver gefallener Tiere lagen zahlreich umher, umringt von Adlern und Geiern, denen sie als willkommene Beute dienten. Das Gelände bekam immer ausgesprochenere Formen, immer höher wurden die Hügelreihen, und gegen Abend näherten wir uns einem immer deutlicher sich erhebenden Gebirgszug, dem großen Chingan, der in nordsüdlicher Richtung vom Amur auf Peking zu die Mandschurei von der Mongolei trennt.

Wir erreichten noch am selben Abend Pitlar, am Fuße des großen Chingan gelegen, wo wir bei einem russischen Offizier Aufnahme fanden.

Für mich hieß es die Frage klären, wie wir den großen Chingan überwinden sollten, der sich in einer Höhe von 1200 m ziemlich schroff erhebt. Nach Ansicht der russischen Offiziere in Pitlar war ein Überschreiten des Gebirges mit dem Auto auf dem einzigen Wege, der von Pitlar nach Westen führt, ausgeschlossen, sie schlugen mir vor, den Bahndamm zu benutzen und durch die 3 Wandtunnel die andere Seite des Gebirges zu erreichen.

Wieder auf den Bahndamm zurück? Nein, wenn irgend möglich wollten wir uns diese Qual ersparen. Als ich dann später von einem Bahnmeister auch noch erfuhr, daß in dem Tunnel die Schwellen gewechselt würden, stand mein Entschluß fest, diesen Weg keinesfalls zu wählen. Die Schrecknisse einer solchen Fahrt standen mir noch zu deutlich vor Augen. Ich machte mich sofort auf, noch in der Nacht einen Weg zu erkunden, der für unser Auto passierbar war. Eine wundervolle Vollmondnacht begünstigte meine nächtliche Erkundung.

Es war eine seltsam schöne Partie. Zu beiden Seiten des Weges stieg das Gebirge schroff und hoch an, an den Hängen mit Laubwald bestanden, untermischt mit Fliederbäumen, die gerade in herrlichster Blüte standen und ihren berauschenden Duft verbreiteten. Zur Seite des Weges stürzte vom Mondlicht silbern flimmernd ein frischer Gebirgsbach über die Felsblöcke, und sein helles Rauschen, nur zeitweise unterbrochen vom Schrei eines Raubtieres, begleitete wie liebliche Musik meine einsame Wanderung. Es war so recht eine Nacht geschaffen zum ruhigen Genießen dieser herrlichen Natur; ungestört wandern und die herrliche Luft in vollen Zügen einatmen, fern ab von jedem Geräusch menschlichen Getriebes: gibt es etwas Schöneres?

Trotzdem ich von den Anstrengungen der letzten Tage recht ermüdet die Wanderung angetreten hatte, der eigenartige Reiz dieses Ausflugs ließ mich bald alle Schläfrigkeit vergessen. Ich fand den Weg besser, als ich nach der Beschreibung erwarten konnte. Er war breit genug, hatte steinigen Untergrund und keine zu scharfen Kurven, unangenehm waren allerdings die vielen hoch hervorstehenden, im Boden festsitzenden Steine, über die wir mit unserem Schwungrad nur schlecht fortkommen konnten, und die stellenweise große Steilheit. Letztere konnte ich hoffen mit meinem Wagen, der ein besonders guter Bergsteiger war, wie ich in den Rocky Mountains festgestellt hatte, überwinden zu können; einige der vielen Steine mußten wir aber vorher mit Hilfe unsrer Spitzhacke beseitigen. Sehr befriedigt trat ich meinen Rückweg nach Pitlar an, und als ich im Morgengrauen das gastliche Heim des Hauptmanns betrat, lautete mein Bericht: Weg für Fahrzeuge brauchbar! –

Der große Chingan hatte es sich bis dahin wohl nicht träumen lassen, daß ein Automobil es wagen würde, seinen ehrwürdigen, alten Rücken zu erklettern. Aber es ging über Erwarten gut, und durch den herrlichen Fichtenwald knatterte im Morgengrauen am 10. Juni zum ersten Male ein Motor bis hinauf zur 1100 m hohen Paßhöhe, über die wohl schon manche wilde Chinesenhorde – mancher Verbanntentransport seinen Weg genommen hatte, heimkehrend von Morden und Sengen, mit Beute beladen oder hinausziehend in die Einöden und Bergwerke, um für immer der Heimat Lebewohl zu sagen. Auch hier ein Stück Geschichte, ein Zeuge aus vergangener Zeit des Ringens und Kämpfens asiatischer Völker.

Mit dem großen Chingan waren wir in die Mongolei übergetreten, und aufs neue breitete sich die Steppe vor uns aus, die hier, im Gegensatz zur Mandschurei, vollkommen baumlos und sandig ist. Es ist dieser Teil der Ausläufer des Schamo (Sandmeer), der großen Wüste Gobi, die in ihrer immensen Ausdehnung die Systeme des gewaltigen Hoangho und der Zuflüsse des Baikalsees und Amur voneinander trennt. Politisch gehört dieser Teil gleich der Mandschurei zu China, längs der Bahn läuft aber die russische Pachtzone, und in den Städten regiert die russische Militärverwaltung.

Um den nächsten Weg und in dem wenig übersichtlichen Gelände auch den sichersten zurückzulegen, beschloß ich, in der Hauptsache der Bahn entlang zu fahren und später mich längs des Argunlaufes zu halten, einem auf dem Chingan entspringenden Quellfluß des Amurs.

In Unur hatten wir infolge Federbruchs eine kleine unfreiwillige Pause. Ein Verwandter des dortigen Bahnhofsvorstandes, mit dem wir ins Gespräch kamen, schlug uns vor, nicht dem Laufe der Bahn zu folgen, die hier in mehreren großen Bogen einen beträchtlichen Umweg mache, sondern einen direkten Weg zu wählen, der auch ganz gut wäre. Ich bin im allgemeinen bei solchen Fahrten in fremden Ländern mehr dafür, sicher zu gehen, wenn es selbst mit Umwegen verbunden ist, aber der Mann war so bestimmt in seinem Auftreten, daß ich mich schließlich verleiten ließ, diesen näheren Weg zu wählen, auf dem er uns als Führer dienen wollte. Meine häufig gestellte Frage, ob dieser Weg auch keine sumpfigen Stellen hätte, die uns, weit ab von der Bahn, besonders unangenehm bei der vollständig fehlenden Hilfe sein mußten, verneinte er entschieden mit dem Hinzufügen, er wäre diesen Weg noch vor einigen Tagen gegangen.

Wir brachen also nach Jakschi auf dem genannten Wege auf. Der Weg war anfangs herrlich, und im stillen dankte ich dem Schicksal, das mir diesen Führer zugeführt hatte. Aber man soll nie den Tag vor dem Abend loben, denn das Unglück schreitet schnell. Plötzlich stand unser Wagen. Ich hatte hinten auf dem Wagen gesessen, den Blick nach rückwärts gerichtet, und sah nun, als ich mich umdrehte, einen breiten moorigen Bach vor uns, vor dem Fuchs gehalten hatte, da ihm die Sache nicht ganz geheuer war. Eine Brücke führte natürlich nicht über dieses Fließ, das auch für Wagen kein Hindernis bot, anders für ein schweres Automobil. Ich versuchte zunächst auf einem Umweg um das Fließ herumzukommen, was jedoch unmöglich war, da dies die Verbindung zweier großer Sumpfwiesen darstellte. Es blieb nur übrig eine möglichst gute, nicht zu breite Stelle zu finden, um dann mit einem Anlauf zu versuchen, durchzukommen. Nachdem wir die nach unserer Ansicht vorteilhafteste Stelle ausfindig gemacht hatten, erhielt Meister Fuchs den Auftrag, mit einem tüchtigen Anlauf den Graben zu nehmen. Jetzt nahte das Malheur. Schon die Vorräder sanken tief ein, wurden aber durch den Schwung wieder hochgefedert, wobei beide Vorderfedern ihr Zeitliches segneten, und kamen aufs Trockene, aber die mehr belasteten Hinterräder versanken unrettbar im tiefen Schlamm. Da stand er nun wieder, unser guter, treuer Protos, mitten in der öden baumlosen Steppe, hilflos und traurig wie seine Begleiter. Ohne fremde Hilfe war nichts zu machen. Holz oder Steine weit und breit nicht zu finden, um eine feste Unterlage herzustellen. Hier mußte wieder mal gezogen und geschoben werden, wozu unsere Kräfte aber allein nicht ausreichten. Da wir uns aber, um den Weg zu kürzen, weit von der Bahn entfernt hatten, war Hilfe nicht so leicht zu bekommen. Von der Bahn waren wir etwa 15 km entfernt, ein Weg führte nicht dahin, aber da mußte unser ortskundiger Führer aushelfen.

Rittmeister Albrecht, wie stets hilfsbereit und von schnellem Entschluß, machte sich sofort mit ihm auf den Weg, um in Jakschi die dort stehende Schwadron zur Hilfeleistung zu requirieren, in 4-5 Stunden, also noch am Nachmittag, konnten wir ihn zurückerwarten. Unsere verschiedenen Versuche, den Wagen flott zu machen, mit denen wir die Zeit des Wartens auszufüllen versuchten, hatten nur den einen Erfolg, uns todmüde zu machen, auf den Wagen blieben sie ohne jeden Eindruck. Wir gaben sie schließlich, da nutzlos, auf und vertrieben uns die Zeit damit, ein kleines Preisschießen mit unseren Revolvern zu veranstalten. Wir machten uns Scheiben aus Pappdeckeln, malten uns eine regelrechte Ringscheibe auf und verbrachten die Zeit des Wartens, so gut es ging und soweit es unser noch vorhandener Bestand an Munition zuließ, die wir natürlich nicht ganz verknallen konnten. Es wurde schließlich Abend, der Himmel bewölkte sich, ein feiner Regen begann niederzurieseln, von unserm guten Albrecht war weit und breit nichts zu sehen. Jetzt fing ich an unruhig zu werden. Albrecht war leichtsinniger Weise ohne Waffen weggegangen, sollte ihm etwas zugestoßen sein, oder hatte er sich samt seinem ortskundigen Führer verlaufen? Letzteres war eigentlich kaum anzunehmen. Was auch der Grund sein mochte, lange darüber nachzugrübeln, dazu war keine Zeit, hier mußte gehandelt werden, wenn wir nicht noch unbestimmte Zeiten in unserem elenden Moorbach zubringen wollten. Ich entschloß mich also, nunmehr mich selbst auf den Weg zu machen und entweder Albrecht zu finden oder Jakschi zu erreichen, um vom Ort Hilfe herbeizuholen. Die Nacht war nicht dunkel, da wir immer noch Mondschein hatten, der auch jetzt, wo der Himmel bewölkt war, eine gewisse Helligkeit verbreitete. Schwierig war die Orientierung, da kein Stern zu sehen war, und die Steppe mit ihren ewigen Hügeln und gleichmäßigen Formen, ohne Baum und Strauch gar keine Anhaltspunkte bot. Ich wußte nur, daß rechts von mir die Bahn entlang ging, sie mußte ich zuerst einmal erreichen, dann konnte ich ja nicht mehr fehlen. Ich steckte mir meinen neu gefüllten Revolver ein, gab meinen Chauffeuren noch einige Instruktionen und begann dann, mich scharf rechts haltend, meine Wanderung in die wegelose, endlose Steppe.

Es wurde Mitternacht; von Durst geplagt, da ich den Weg in meinem einzigen Kleidungsstücke, dem dicken Sweater und Lederanzug, zurücklegen mußte, fing ich an unter den Anstrengungen des Marsches hügelauf, hügelab zu leiden. Ich war todmüde Da ich die Nacht vorher wegen der Erkundung des Chingan nicht geschlafen hatte., hatte den ganzen Tag nichts gegessen und mußte alle Energie zusammen nehmen, um weiter zu kommen. Ich mußte nach meiner Berechnung wohl 20 km zurückgelegt haben, als ich plötzlich von einem überhöhenden Hügel aus in der Ferne Licht sah. Welch ein Jubel in meiner Lage, solch ein winziges Zeichen von einer Feuerstelle in die tiefe Nacht zu sich herabfallen zu sehen, welch ein köstlicher Richtpunkt für den in der wüsten Steppe Umherirrenden, welch eine anspornende Hoffnung für den halb Verdursteten und Erschöpften, nun bald zu Menschen zu kommen, die helfen können. Ich hätte am liebsten einen lauten Freudenschrei ausstoßen mögen. Vorwärts ging's mit frischem Mut, weg alle Müdigkeit, fort Durst und Hunger. Vom nächsten Hügel aus erblickte ich das Licht von neuem, es flimmerte, einem Sterne gleich, in weiter Ferne. Ich eilte den Hang hinunter und den nächsten hinauf und blieb betroffen stehen. Das Licht war fort. Ich mochte nicht daran glauben, daß irgend ein böser Geist mir plötzlich wieder das Licht gestohlen hatte, mein schönes Licht, und sprang zum nächsten höheren Hügel hinan, aber auch hier kein Licht zu sehen, es war und blieb verschwunden. Eine tiefe Hoffnungslosigkeit überkam mich. Die niederdrückendsten Vorstellungen verfolgten mich, mehr denn zuvor stellten sich nun, wo die Nervenanspannung nachließ, Durst und Müdigkeit ein, und rein mechanisch setzte ich meinen Weg in der einmal begonnenen Richtung fort. Was werden meine Chauffeure machen, wenn ich mich verirre? Und so töricht der Gedanke war, ich wurde ihn nicht wieder los. Werden sie mich nicht erst suchen, sondern die Fahrt auch ohne mich fortsetzen, nur an das Eine denken, unser Ziel? Schrankenlos wie die weite Steppe dehnte sich meine Phantasie. Da flimmerte ein neuer Hoffnungsstern über der nächsten Kuppe. Es war dieses Mal kein Licht, ich sah Reiter über die Steppe kommen, die sich deutlich gegen den Himmel abhoben. Das mußte Albrecht sein! – Ich hätte über meine Mutlosigkeit, die mich noch kurz vorher beschleichen wollte, lachen können. Da waren sie ja, die lang Gesuchten, und in Gedanken malte ich mir schon den Genuß aus, nun bald auf einem Pferderücken in schnellem Tempo unserer Unfallstelle entgegen zu reiten. Um mich bemerkbar zu machen, rief ich mit aller Kraft »Hurra«. Die Reiter, die anfangs eine von mir seitliche Richtung eingeschlagen hatten, stutzten und schlugen die Richtung auf mich ein. Je näher sie kamen, um so mehr erkannte ich, daß ich abermals in meiner Hoffnung getäuscht worden war. Die mir entgegen kommenden Reiter entpuppten sich als Chungusen, jenes elende Räubergesindel, das die ganze Mandschurei und Mongolei unsicher macht. Irgend eine Verständigung mit diesen gelben Gesellen war natürlich ausgeschlossen; ich versuchte, so gut es ging, durch Zeichen ihnen klar zu machen, daß ich mich verirrt hätte und den Weg nach Jakschi suchte. Sie schienen mich zu verstehen und machten mir ihrerseits durch Zeichen klar, daß sie erst Geld haben wollten. Auf diesen Wunsch einzugehen war natürlich für mich ausgeschlossen, denn holte ich erst meine wohlgefüllte Geldtasche heraus, so konnte ich sicher sein, keinen Kopeken davon wiederzusehen. Meine Lage begann kritisch zu werden, jedes Zögern meinerseits mußte mir zum Nachteil werden. Ich zog meinen Revolver blitzschnell aus dem Futteral, und mit hochgehobener Waffe auf sie zugehend, schienen nun auch sie einzusehen, daß ich ohne Kampf mich nicht ergeben würde. Jetzt kam die ganze Feigheit dieses lichtscheuen Gesindels zu tage. Rauben ja, das ist schließlich ihr Geschäft, aber dabei das eigene Leben aufs Spiel setzen, das scheint ihnen nicht zu passen. Ich hatte die Oberhand, und als sie das Knacken meines Revolvers vernahmen und kurz darauf der erste Schuß dicht über ihren Köpfen hinwegflog, rissen sie aus, diese 6 tapferen Chinesen und galoppierten davon, bis sie hinter dem nächsten Hügel meinen Blicken entschwunden waren.

siehe Bildunterschrift

Landung von einer Fähre im Wasser

siehe Bildunterschrift

Fahrt durch einen Fluß

Mich hatte dieses kleine Erlebnis wieder munter gemacht, und mit neuem Mut und frischer Kraft setzte ich meinen Weg fort.

Es war wohl 3 Uhr morgens, und der Tag begann bereits zu dämmern, als ich in der Ferne aufs neue ein Licht erblickte, diesmal ein rotes, zweifellos ein Signal der Eisenbahn in der Nähe einer Station. Mit Aufbietung meiner letzten Kräfte strebte ich diesem Lichte entgegen, in dem heißen Verlangen, endlich aus der ungemütlichen Situation erlöst zu werden. Noch eine halbe Stunde, dann sah ich den Eisenbahndamm und die Gebäude einer Station in dem heller heraufsteigenden Morgen auftauchen. Es war Jakschi, das Ziel war erreicht! Es war der glücklichste Moment meines Lebens, als ich in Schweiß gebadet die Station betrat. Nicht daß ich die Empfindung hatte, gerettet zu sein; dazu hatte das Gefühl der Furcht gefehlt, das ich während meines Marsches nie gehabt hatte. Aber ich empfand, daß etwas selten Unheimliches, Ungewöhnliches hinter mir lag, dessen seelische Torturen unerträglicher waren als die leiblichen Qualen des Durstes, und eine nie gekannte Freude am Dasein, am Leben beschlich mich. – Nachdem ich mit ungezählten Mengen Wasser meinen Durst gestillt hatte, ließ ich mir die Wohnung des Rittmeisters zeigen, um ihn aus süßen Träumen zu wecken. Er war nicht ungnädig trotz der frühen Störung und, nachdem ich ihm meinen Unfall auseinander gesetzt hatte, auch sofort bereit, mir zu helfen. Die Schwadron war im Handumdrehen alarmiert, mir selbst ein gutes Pferd gesattelt, und hinaus ging es in scharfem Ritt in den kühlen Morgen, der sich mit prächtigem Farbenspiel nun voll über die Steppe ausbreitete. Von meinem guten Rittmeister Albrecht hatte er nichts gehört und gesehen und mir machte dieser Umstand doch einige Sorge, ich mußte doch nun annehmen, daß er sicher irgend einen Unfall gehabt hatte. Sollte er vielleicht den Chungusen zum Opfer gefallen sein, denen ich doch ohne Waffe sicher auch unterlegen wäre? Ich hatte nicht viel Zeit, Gedanken nachzuhängen, denn nun mußte ich den Führer spielen, um die Schwadron an die Unfallstelle zu bringen. Gegen 6 Uhr erreichten wir letztere, Fuchs und Neuberger in tiefen Schlaf versunken. Die Schwadron hielt, es wurde abgesessen, und mit vereinten Kräften hatten wir unseren guten Protos bald auf dem Trockenen. Der Motor wurde angedreht, unseren hilfsbereiten Rittmeister luden wir ein auf unserm Auto Platz zu nehmen, und eskortiert von der Schwadron, langten wir bald in Jakschi an, von wo wir weitere Nachforschungen nach Albrecht und seinem ortskundigen Führer anstellen wollten. Zuerst wollten wir uns aber stärken, und ein reichliches Mahl, zu dem uns der Rittmeister einlud, mundete mir nach der langen Entbehrung und Arbeit trefflich. Wir waren noch beim besten Schmaus, als wir Wagengerassel hörten. Ich stürzte ans Fenster und sah zwei Wagen mit Soldaten heranbrausen, wie die Berliner Feuerwehr. Auf ersterem saß unser guter Albrecht, der auf unsere Rufe halten ließ und nun, mehr kriechend als gehend, uns entgegen kam. Höchst erstaunt uns hier zu finden, machte er seinem Herzen gleich Luft. »Oh, dieser verdammte Führer!« wetterte er, »diesen Kerl soll der Teufel holen. Keine Ahnung hat er von der Gegend, erst läßt er uns in den Sumpf fahren und dann führt er mich in die Irre, daß ich glücklich heute früh 3 Uhr auf einer Station 15 Werst von hier nach zwölfstündigem Marsch ankomme. Meine Füße sind so kaput, daß ich überhaupt nicht laufen kann.« Auch er griff, nachdem er sich durch einen Wodka gestärkt hatte, tüchtig zu, er schien auf seiner Wanderung ebenfalls nicht viel gegessen zu haben.

Ich freute mich ehrlich, den guten Rittmeister ziemlich heil wieder zu haben, der noch immer weidlich auf den Führer schimpfte, der ihn die ganze Nacht in der Steppe herumgehetzt hatte. – Ich konnte es ihm nicht verdenken, denn ich konnte es beurteilen was es hieß, noch dazu für einen Menschen, der, wie der Rittmeister, im Gehen wenig Training hatte, 12 Stunden durstend in der Steppe herum zu irren.

Nachdem ich ihm kurz über meine Erlebnisse berichtet hatte, bliesen wir frisch gestärkt zum Aufbruch. Unsern hilfsbereiten Rittmeister aus Jakschi und seine Schwester, die noch nie in einem Auto gefahren war, luden wir ein, uns bis zur nächsten Station zu begleiten, was sie auch gern taten. Wie die rasche Fahrt durch die Steppe der jungen Dame gefallen hat, erfuhr ich allerdings nicht persönlich, da sie und ihr Bruder den Wagen längst verlassen hatten, als ich in Chailar abends aus bleiernem Schlaf erwachte. Die beiden letzten Nächte mit allen ihren Anstrengungen hatten ihre Rechte nachträglich geltend gemacht.

Chailar ist eine recht ansehnliche Stadt, am oberen Argun gelegen. Hier steht das 1. Mandschurische Eisenbahn-Regiment, das uns zu einem Liebesmahl abends in den recht hübschen Räumen des Offizier-Kasinos einlud, in dem wir auch für die Nacht untergebracht worden waren. Die Offiziere dieses Regiments überboten sich in Aufmerksamkeiten, und als wir am 12. Juni schon 4 Uhr früh unsere Fahrt fortsetzten, gab uns der Adjutant des Regiments im Auftrage des Kommandeurs das Geleit. Mit Überschreiten des Argun sagten wir der Mongolei und damit dem Chinesenreiche, das wir 3 Wochen vorher in Pogranitschnaja betreten hatten, für immer Lebewohl und betraten nun Transbaikalien, das zwischen Argun und Baikalsee gelegene südsibirische Gebirgsland. Seine Hauptstadt Tschita war unser nächstes Ziel.

Wir hatten nunmehr Rußland erreicht, das Riesenreich, das wir in seiner ganzen Breite noch durchqueren mußten, ehe wir unser geliebtes Vaterland wiedersehn sollten.

Wenn auch der Charakter des Landes vorläufig steppenartig bleibt und erst ganz allmählich gebirgige Form annimmt, so merkte man doch bald, daß wir China verlassen hatten. Nur noch vereinzelt sahen wir Chinesen, während den Hauptteil der Bevölkerung hier die Burjäten ausmachen, ein den Chinesen ähnlicher buddhistischer Volksstamm. Von Zeit zu Zeit stößt man dann auf Kosakendörfer, die hier ihr von der Regierung ihnen überlassenes Land bestellen und ganz gute wirtschaftliche Erfolge haben. In einem solchen Kosakendorf machten wir abends Halt, und fanden, wenn auch nur ein Quartier unter freiem Himmel eines Hofes, ein recht genießbares Abendessen vor.

Der Herr Kosake war gerade vorher auf Jagd gewesen und seine bessere Hälfte servierte uns ein Birkhuhn, das ihrer Kochkunst alle Ehre machte. Bei herrlichem Wetter wurde dieses Göttermahl im Garten des Gehöfts eingenommen, den der blumenliebende Kosak sich mit großer Sorgfalt angelegt hatte. Am nächsten Tage erreichten wir nachmittags Nertschinsk, nachdem wir den zweiten Quellfluß des Amurs, den Schilka, auf einer etwas schwierigen Fähre überschritten hatten. Da dieser Fluß sehr flache Ufer hatte, mußte die Fähre ihres Tiefgangs wegen weit ab vom Ufer liegen und wir erst einen Teil im Wasser zurücklegen, ehe wir auf diese gelangen konnten. Diese kleinen Störungen konnten uns aber nicht mehr beunruhigen, wir hatten uns an diese und größere mittlerweile gewöhnt.

In Nertschinsk mußten wir leider von unserem liebenswürdigen Rittmeister v. Albrecht Abschied nehmen, seine Aufgabe hatte er mit dem Betreten Transbaikaliens erfüllt, für ihn hieß es zurück nach Charbin. Der Abschied fiel uns nicht ganz leicht. Wir hatten v. Albrecht als einen guten, stets hilfsbereiten und immer gutgelaunten Kameraden schätzen gelernt und verdankten seiner umsichtigen, energischen und nie ermüdenden Unterstützung viel auf dieser gemeinsam zurückgelegten schwierigen Etappe durch die Mandschurei und Mongolei. Er war das stets heitere Moment in unserm Quartett, was um so höher zu schätzen war, als die vielen Beschwerden und Ärgernisse der Fahrt unsere Stimmung nur zu häufig niederdrückten. Wir freuten uns aber zu sehen, daß auch ihm der Abschied nicht ganz leicht wurde, und seine Versicherung, am liebsten würde er mit uns bis Paris fahren, kam aus ehrlichem Herzen und bewies uns, daß er uns auch in den 3 Wochen lieb gewonnen hatte. Noch jetzt stehe ich mit v. Albrecht in lebhaftem Briefwechsel, und nie vergißt er es, in seinen Briefen der gemeinsam verlebten Zeit zu gedenken, die ihm stets in schöner Erinnerung bleiben werde. Er ist ein ganzer Mann. –

Ein Glas Champagner, ein letzter Händedruck, ein dreifaches Hurra, noch ein letztes Hüteschwenken, und während die Glocken der Nertschinsker Kathedrale das Pfingstfest einzuläuten begannen, ging es weiter in den Abend hinein, Tschita entgegen, der nächsten und letzten größeren Etappe vor Irkutsk. – –

Wir fuhren, bis die Dunkelheit uns zu kurzer Rast zwang, und mit Sonnenaufgang ging's weiter, hinein in den herrlichen Pfingstsonntag, der eine feierliche, friedliche Stimmung über das ganze Land zu verbreiten schien.

Die Fahrt in dem nun schon recht gebirgigen Gelände machte uns und unserem Protos viel Arbeit. Wieder mußte fleißig die Spitzhacke in Gebrauch treten, um die vielen hervorstehenden, hohen Steine zu beseitigen, die dauernd unser Schwungrad und damit unsere Kurbelwelle gefährdeten. Höhenkamm nach Höhenkamm in endloser Reihenfolge mußte passiert werden, als wir endlich, am Abend spät von der letzten Höhe vor Tschita die Stadt mit ihren hellfarbigen schönen Kirchen an dem Fluß gleichen Namens, umrahmt von dunkeln Bergen, hinter denen die Sonne eben blutigrot unterging, das ganze wie mit Gold übergießend, malerisch vor uns liegen sahen. – Eine neue Etappe war erreicht, die letzte vor Irkutsk, 2300 km hatten wir von Wladiwostok aus zurückgelegt und damit den sechsten Teil der Strecke Wladiwostok – Paris überwunden. Der größere lag also noch vor uns, den schwierigsten aber ließen wir zurück; je mehr wir nach Westen vordrangen, um so mehr konnten wir hoffen, auf bessere Verhältnisse zu stoßen. Tschita, welches die Hauptstadt von Transbaikalien ist, unterscheidet sich nicht wesentlich von anderen Städten ihres Ranges. Sie hat seinerzeit in der Geschichte des Verbannungssystems eine sehr bedeutende Rolle gespielt. Nach ihr wurden in den Jahren 1825-28 die meisten der jungen Edelleute verbannt, die einen vergeblichen Versuch machten, bei Gelegenheit des Regierungsantritts des Zaren Nikolaus im Dezember 1825 die russische Autokratie zu stürzen und eine konstitutionelle Regierungsform an deren Stelle zu setzen. Zwei von den Blockhäusern, in denen die sogenannten »Dezembristen« lebten, sind noch erhalten geblieben. Seitdem die Eisenbahn vollendet ist, werden die Verbannten mit ihr ihren Bestimmungsorten zugeführt, so daß man den Transporten auf dem großen Sibirischen Landwege, den wir zum Teil berührten, nicht mehr begegnet. Dagegen befanden sich fast in jedem gewöhnlichen Zuge, den sogenannten Postzügen, 2-3 vergitterte Gefangenenwagen, die von Soldaten bewacht, die Insassen zu den Minen bringen, in denen sie dann meistens bald eines elenden Todes sterben müssen. In Tschita hatte ich gehofft meine Etappe anzutreffen, die ich von Charbin nach hier verlegt hatte. Meine Kisten waren auch glücklich angekommen, nicht aber die zu ihrer Erlangung nötigen Frachtbriefe, die mir, da ich ihre Ausstellung in Charbin nicht abwarten konnte, bahnlagernd nach Tschita geschickt werden sollten. Ohne diese Ausweise war aber nichts zu bekommen, und ich brauchte einen Teil der Sachen, besonders Pneumatiks so notwendig. Es gab aber zunächst ein langes Hin und Her und dann Telegramme nach Irkutsk, um hier von der höchsten Stelle aus das Notwendige zu erlangen. Endlich, am folgenden Morgen kam Antwort, daß mir meine Sachen auszuliefern seien, und nachdem ich das Notwendige aus den Kisten herausgenommen hatte, schickte ich den Rest voraus nach Irkutsk. Ich habe von allen diesen Sachen nie mehr etwas gesehen und weiß heutigen Tages noch nicht, wo und wie sie verschwunden sind. –

Kurz nachdem wir die Stadt verlassen hatten, kamen wir nach Passieren des Tschita-Flusses in das Jablonoi-Gebirge, einem der vielen Höhenzüge, die sich dem gewaltigen Becken des Baikalsees vorlagern und von zahlreichen Wasserläufen durchschnitten werden. Wir folgten zunächst dem Laufe der Uda, einem Nebenfluß der zum Baikalsee gehenden Selenga, die eine Menge kleinere Nebenflüsse aus dem Gebirge erhält. Die Passage dieser vielen, wenn auch nicht breiten und tiefen, so doch sehr reißenden Gebirgsflüsse, die weder Brücken noch Fähren besaßen, war für uns eine Reihe lästiger, zeitraubender und auch den Motor gefährdender Aufenthalte.

Landschaftlich bot die Gegend dem Auge so viel des Schönen, daß wir diese häufigen Ärgernisse meist schnell wieder vergaßen. Die ganzen Bodenformen sind hier weit schroffer, als wir sie in der Mandschurei antrafen, und sind meist wohl vulkanischen Ursprungs. Größere Dörfer findet man seltener, meist sind es weit zerstreute einzelne Gehöfte, auf die man stößt, oder Niederlassungen von Burjäten, die sich zu kleinen Gemeinden zusammengeschlossen haben. Wir hatten wohl gut 200 km auf festen und trockenen Gebirgswegen zurückgelegt, als wir einen Höhenkamm erreichend, vor uns eine weite Wasserfläche sahen, die wir im ersten Moment schon für den Baikalsee hielten. Es war die Ebene, die uns noch von jenem letzten Höhenzug trennte, der den Baikalsee als letzte Wehr auf seinem Ostufer umgibt. Heftige Gewitterregen der letzten Tage hatten diese Ebene unter Wasser gesetzt, und so weit mein Auge reichte, ich entdeckte keinen Weg, keine Möglichkeit, diesen See zu überwinden. Ein heftiges Gewitter, das uns schon den ganzen Nachmittag gedroht hatte, fing an sich zu entladen, es begann zu dunkeln, was sollten wir also tun? Weiterfahren auf gut Glück? Es hätte wenig Wert gehabt und wahrscheinlich mit einem nächtlichen Kampieren in einem Moorloch geendet, wie bei Jakschi. Hier blieb nichts übrig, als den Tag abwarten, um dann zu erkunden, wo der beste Weg führen würde. Wir hatten kurz vorher ein kleines Burjätendorf seitwärts von der Straße liegen sehen, zu ihm wanderten wir nun, während wir den Wagen ruhig auf dem Wege stehen ließen. Es war das erste Mal, daß ich dieser Art Menschen einen Besuch abstatten sollte, und ich war höchst gespannt, wie sie uns für die Nacht aufnehmen würden. Die Aufnahme war nicht schlecht. Das Haupt der Gemeinde empfing uns freundlich, und mitleidig auf unsere total durchnäßten Sachen blickend, führte er uns in seinen Wigwam, wo um das inmitten des einzigen Wohnraums brennende, offene Feuer die ganze Familie, in Rauch gehüllt, hockte und Tee trank. Sonst bestand die einzige Möblierung aus breiten, an den Wänden entlanglaufenden Pritschen, ähnlich denen in unseren Wachtstuben, die mit Fellen bedeckt der Familie als Nachtlager dienten. Etwas lästig war die »Akustik« in diesem von so vielen Menschen bewohnten Raum. Aber das alles konnte uns nicht schrecken. Todmüde wie wir waren, freuten wir uns, einen trockenen Platz gefunden zu haben, wo wir einige Stunden ungestört schlafen konnten.

Am frühen Morgen des kommenden Tages sattelte mein Herbergsvater ein Pferd, mit dem ich auf Erkundung eines Weges ausritt. Den mir gebotenen Morgentrunk lehnte ich ab. Er bestand aus mit Ziegenmilch verdünntem Ziegeltee mit Hammelfett, eine Mschung, die mich nur wenig reizen konnte. Schon abends vorher hatte der Dorfälteste gemeint, der eigentliche Weg nach Werchne-Udinsk, der entlang der Telegraphenlinie geht, wäre wegen der Überschwemmung jetzt nicht passierbar. Er schlug vor, einen anderen, im Bogen nach Süden sich herumziehenden Weg einzuschlagen, der zwar einzelne sumpfige Plätze aufweise, aber doch im großen ganzen brauchbar sein würde. Seine Erkundung machte ich mir zur ersten Aufgabe und fand im allgemeinen auch die Angaben bestätigt. Schön war der Weg ja nicht, aber er war in den gegebenen Verhältnissen besser, als man erwartet hatte. Es regnete noch immer in Strömen, als ich um 6 Uhr von meinem Ritt zurückkehrte. Wir verabschiedeten uns von unseren Gastgebern und fuhren los zum Kampf gegen unseren ständigen Feind, den Sumpf, und erreichten am selben Abend Werchne-Udinsk, das am Einfluß der Uda in die Selenga inmitten hoher Berge sehr hübsch gelegen ist.

Hier stößt die alte chinesische Poststraße, die von Peking und Kalgan kommend die Wüste Gobi durchquert, auf die große sibirische Handelsstraße. Sie diente als Karawanenstraße zur Verschickung des Tees nach Europa, hat aber natürlich seit Eröffnung der Bahn an Bedeutung verloren.

Nachdem wir die Selenga auf einer 550 m langen Brücke überschritten hatten, kamen wir immer tiefer in die herrliche Gebirgslandschaft hinein, die sich dem Baikalsee östlich vorlagert. Die Ufer der Selenga sind hier steil und felsig, und während wir am hohen Hang entlangkletterten, stürzte unten der Fluß schäumend in Katarakten über die Felsen. Immer steiler und enger wurde der Weg, und nachdem wir noch die reißende Retschka unter mancherlei Gefahren passiert hatten, erklommen wir den Kamm des gewaltigen, wildromantischen Höhenzuges.

Wie ein Märchenbild lag vor unseren Augen der riesige Baikalsee! – Das also war es; das »heilige Meer« der Mongolen! –

Die endlose Fläche war stark bewegt und mit weißem Schaum bedeckt. Weit in der Ferne ragten schneebedeckte Gipfel gen Himmel, hinter denen wie eine große, feurige Kugel eben die Sonne versank, die Umrisse des Gebirges wie mit einem silbernen Band einfassend. In stummem Staunen hielten wir auf der Höhe und betrachteten andächtig diese Herrlichkeit der Natur! Es war das Gefühl, als ob ein geheimer Schauer den Leib durchrieselte, als ich die ganze Mächtigkeit der Natur auf mich wirken ließ. Wie winzig klein müssen wir klugen Menschen uns doch vorkommen, wir »Herren« der Erde, beim Anblick solcher erhabenen Größe! –

Kein Dampfer, kein Segelboot weit und breit, kein Haus und keine Menschen, nur Himmel und Wasser, Berge und Wälder soweit das Auge sah, vor uns die untergehende glühende Sonne, und neben uns in tiefer Waldschlucht die wild in die See stürzende Selenga, eine Majestät der Natur! –

Den Baikalsee hatten wir erreicht, nur noch wenige hundert Kilometer und wir erreichten Irkutsk, die erste große sibirische Stadt ohne jeden chinesischen Beigeschmack; Europa in Asien sollte uns hier das erste Mal deutlich vor Augen treten. Was weiter kam, will ich nur kurz erwähnen. Irkutsk verließen wir am 21. Juni und setzten unsere Fahrt über Tulun–Kansk–Tomsk–Kainsk–Omsk–Jekaterinburg–Perm–Kasan–Nischnij-Nowgorod–Moskau–Petersburg–Dünaburg–Kowno–Königsberg fort und erreichten am 24. Juli Berlin, und gerade ein halbes Jahr nach dem Beginn meiner Fahrt, am 26. Januar, also am 26. Juli abends kamen wir als die ersten in Paris, dem Ende unserer Weltumfahrt, an.

Vorstehendes sollte keine Erzählung sein, es ist lediglich eine kleine Skizze, herausgegriffen aus der Masse von Erlebnissen einer 25 000 km langen Autofahrt. »Auf weiter Fahrt«! ich glaube der Titel dieses Buches gab mir ein kleines Recht dazu, meine Erlebnisse in ihm zu Papier zu bringen. Sollten sie ein klein wenig Anregung in weitere Kreise bringen, Einzelnen Anregung geben hinauszugehen und den Gesichtskreis erweitern, mit offenen Augen die Welt ansehen, in der Fremde, ohne das Schürzenbändel der Mutter, nur auf sich selbst angewiesen arbeiten und sich helfen lernen, um dann erstarkt zurückzukehren, um seine Kräfte und Erfahrungen dem Vaterlande nutzbar zu machen, so ist erfüllt, was ich mit dieser kurzen Schilderung bezweckte.

»Wem Gott will rechte Gunst erweisen
Den schickt er in die weite Welt!«


Druck von Julius Beltz, Hofbuchdrucker, Langensalza.

 


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