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Geleitwort.

K Kraftstählende geistige Nahrung zur Belebung und Schärfung vaterländischen Empfindens soll unsere Sammlung bieten. Gewiß ist es löblich die Taten der Väter und Vorfahren zu achten und an ihnen die eigene Spannkraft zu härten. Unmittelbarer aber und eindringlicher wirken die Erlebnisse und Erfolge der Männer unserer Zeit; daran kann der Tüchtige ermessen, was heutzutage und künftig erreichbar ist, und welche Leistungen das Vaterland von ihm selbst erwarten darf.

Wer draußen auf weiter Fahrt und in fernen Landen Deutschlands Ansehen, Macht und Größe stützen und fördern hilft, wer echt deutsches Wesen auf dem weiten Erdenrund zur Geltung bringt, leistet für die Gesamtheit seiner Landsleute und für die Zukunft des Deutschtums beträchtlich mehr, als Dutzende daheim im engen Kreise wirkender Zeitgenossen.

Beschränkten Kleinsinn im deutschen Binnenvolk zu heben, den Blick auf überseeische, große Ziele zu lenken, war Lohmeyers warmherziger Wunsch bei Gründung dieser Sammlung. Die bisher erschienenen sechs Bände bieten mit ihren treu und schlicht geschilderten Selbsterlebnissen zahlreiche wertvolle Bausteine für die deutsche Kolonialgeschichte und mithin für die Entwicklung des Deutschen Reichs zur Weltmacht. Zwischen die bescheidenen, und doch sehr inhaltsreichen Berichte über todesmutige, heldenhafte Kämpfe und Kriegszüge in den Kolonien und im fernen Osten sind vielerlei lebenswahre und fesselnde Schilderungen fremder Länder und Völkerschaften mit eingeflochten. Die ganze Sammlung ist ein treues Bild des Lebens und Treibens in allen Erdteilen, auf allen Meeren. Es bleibt Lohmeyers unvergängliches Verdienst, zuerst den gesunden Gedanken zur Tat gemacht zu haben; echte, friedliche und kriegerische Reiseberichte in bunter Folge zu sammeln, so, wie sie durch keinerlei erdachte Abenteuergeschichten ersetzt werden können.

Allerdings gehörte Lohmeyer zu den unbeirrbaren Optimisten; er hoffte und strebte dafür, mit seiner Sammlung den vaterländischen Sinn, wie auch den Geschmack des Volkes und der Jugend an gutem, gesundem Lesestoff zu heben. Aber inzwischen ist doch die seichteste und meist recht alberne, immer unnütze, häufig auch schädliche Abenteurerliteratur sehr üppig ins Kraut geschossen, hat schon mancherlei giftige Wirkung ausgeübt und droht sogar unserer Sammlung das Leben zu verkümmern.

Gefälschte Nahrungsmittel läßt sich heutzutage der Dümmste nicht mehr aufschwatzen; aber gedruckter Schund wird noch vielerwärts für bare Münze genommen. Trotz unserer hervorragend tüchtigen deutschen Lehrerschaft fehlt vielen Volkskreisen vollständig das Unterscheidungsvermögen für gesunde und giftige Geistesnahrung. Sogar ein großer Teil unserer gebildeten Männer wie Frauen ist darin unselbständig, urteilslos und »leseblind«.

Da wäre es immerhin ein Verdienst ums allgemeine Wohl, wenn Freunde der von Lohmeyer geschaffenen Marine- und Kolonialbibliothek das Streben dieses prächtigen unvergeßlichen Mannes nach Schärfung des vaterländischen Gewissens fördern hülfen. Denn was nützt ein gutes Buch, wenn es zu wenig gelesen wird? Die große Masse des Volkes ist zwar wenig wählerisch in dem, was sie in ihren knappen Feierstunden liest; aber die meisten vernünftigen Menschen sind doch stets dankbar dafür, wenn sie auf gesunden Lesestoff hingewiesen und aufmerksam gemacht werden.

Bei der vaterländischen Eigenart dieser Sammlung ist es geradezu Pflicht des Verlegers wie des Herausgebers gegen den verstorbenen Lohmeyer und seine Familie, für weite Verbreitung der Bände alle erforderliche Sorge zu tragen. Mit jedem neuen Bande wird auch Lohmeyers vaterländisches Streben seinem Ziele näher geführt.

Der vorliegende sechste Band ist inhalts- und umfangreicher geworden, als die früheren; bei den beträchtlich vermehrten Herstellungskosten war deshalb auch eine Erhöhung des Ladenpreises nicht zu vermeiden, sollte die Lebensfähigkeit des Unternehmens nicht allzu sehr in Frage gestellt werden. Ernsthafte Werke können nicht mit dem riesigen Absatzgebiete ruppiger Piraten- und Detektivliteratur rechnen; denn die gescheiten Leser sind immer in der Minderzahl. Damit, wie auch mit der steigenden Verwilderung und Vergröberung des Geschmacks wird es wesentlich erschwert, die Fortführung solcher vaterländischer Sammlungen zu sichern. Ein quos ego und ein videant consules wären vielleicht noch nicht zu spät, wenn die Leiter der Jugend dem neuen Geschlecht den dauernden Nutzen gesunder, wie den bleibenden Schaden schlechter Geistesnahrung eindringlich und lebenswarm zu Gemüte führen wollten. Die Jugend ist lenksam und dankbar für gute Leitung; Vergiftung des Jugendgeistes aber schädigt das ganze Leben des Einzelnen wie des gesamten Volks.

Abwechselung und Anregung fehlt auch diesmal in den Beiträgen unserer Mitarbeiter nicht. Major Langheld, der kampfbewährte Truppenführer und ausgezeichnete Kenner Deutsch-Ostafrikas, schildert seinen berühmten Zug mit Emin Pascha nach Tabora; fast verschwinden die ungeheueren Schwierigkeiten des Unternehmens in der schlichten Art der Darstellung. Nur die Tatsachen sprechen. Ein lebendiges Bild der naiven Kriegsführung der Samoaner gibt Konteradmiral Schönfelder in seinem ersten Beitrag; tatsächlich erinnert dabei vielerlei an die geschwätzigen Helden des trojanischen Kriegs. Sein zweiter Beitrag berichtet von der wichtigen Friedensarbeit der deutschen Vermessungsschiffe in der Südsee. Da kann auch der Binnenländer erkennen, wie eine Seekarte entsteht. Sehr stimmungsvoll ist der Beitrag des Hauptmanns Bayer, des bekannten Verfassers des kürzlich erschienenen ausgezeichneten Werkes: »Mit dem Hauptquartier in Südwestafrika«; seine packende, frische Schreibweise wirkt belebend und sichert dem Werk dauernden Erfolg. Weitab von bekannten Wegen führt Oberleutnant Filchner, der berühmte Tibetforscher, den Leser in die lamaistischen Klöster; daß dieser Verfasser von »Ein Ritt über den Pamir«, »Das Kloster Kumbum in Tibet« und »Das Rätsel des Matschu« glänzend zu schildern versteht, ist bekannt genug. Fregattenkapitän Walther berichtet über die Anfänge unserer Kolonialentwicklung an der westafrikanischen Küste und gibt dabei zugleich ein gutes Bild von der Mitwirkung der Marine und von der Tätigkeit des berühmten Afrikareisenden Dr. Nachtigal, dem der Erwerb von Togo und Kamerun für das Deutsche Reich zu danken ist.

Der unermüdliche Weltreisende Dr. Wegener bietet eine seiner feinen, farbenfreudigen Schilderungen von den hawaiischen Inseln; er gehört zu den wenigen Glückskindern, die die Welt ganz nach eigener Wahl kreuz und quer durchforschen und ihre schönsten Wunder schauen dürfen.

Moderne Heldenmär kündet in schlichter, dem Steppenboden angepaßter Art Dr. Ohlemann; unwillkürlich wird man beim Lesen an Uhlands unvergängliche Verse erinnert:

»Als Kaiser Rotbart lobesam
Zum heil'gen Land gezogen kam,
Da mußt er mit dem frommen Heer
Durch ein Gebirge wüst und leer.
Daselbst erhub sich große Not,
viel Steine gab's und wenig Brot,
Und mancher deutsche Reitersmann
dort den Trunk sich abgetan;
Den Pferden war's so schwach im Magen,
Fast mußt' der Reiter die Mähre tragen.«

Allerdings statt des heiligen Landes muß man »Deutsch-Südwestafrika« einsetzen, und die durstigen deutschen Reitersleute saßen auf Kamelen. Indessen gute deutsche Schwabenstreiche teilten sie auch diesmal aus, zwar nicht gegen Türken, sondern gegen Hottentotten. Der kühne Führer des Kriegszugs, Hauptmann v. Erckert siegte mit seiner kleinen Schar gegen starke Feindeshorden, starb aber selbst mit vielen seiner getreuen und wackeren Kämpfer den Heldentod fürs Vaterland auf der wüsten afrikanischen Sandsteppe.

Eine lebensfrische Schilderung der wirtschaftlichen Entwicklung Südwestafrikas gibt Dr. Külz, der bekannte Schöpfer der südwestafrikanischen Selbstverwaltung. Zuversichtlich ist zu erwarten, daß seine scharfen und treuen Beobachtungen, die er auf vielen blühenden Farmen anstellte, unserer landwirtschaftlich wichtigsten Kolonie viele neue Freunde werben werden. Es ist erstaunlich und erfreulich zu hören, wie viel dort in kurzer Zeit schon geleistet ist. »In Südwest ist mit Arbeit und Ausdauer viel zu erreichen« – dieses Urteil des sachkundigen Mannes muß manchen Nörgler zum Schweigen bringen. Der Beitrag ist um so wertvoller, als man aus ihm erkennt, daß das viele deutsche Blut, mit dem die Ruhe im Lande erkämpft wurde, nicht umsonst geflossen ist; mehr und mehr verspricht das vielgeschmähte Land ein nützlicher Zuwachs zur heimischen Scholle zu werden. Daß sich schon jetzt Familien dort draußen wohl fühlen, zeigen die Schilderungen des Windhuker Haushalts und des Weihnachtsfestes in Südwestafrika, die Frau Rohrbach im eigenen Heim aufzeichnete; zuvor teilt sie noch Erlebnisse einer Pflegeschwester des Frauenvereins, des Fräulein Kühnhold, mit, die beim Ausbruch des großen Aufstandes in Otavi weilte und von der Grootfonteiner Schutztruppe glücklich gerettet wurde.

Mit schlichtester Bescheidenheit berichtet Kapitän Prager, der getreue Mitkämpfer Wissmann's, über eine seemännische Musterleistung, der wenige Seefahrten älterer wie neuerer Zeit hinsichtlich des zähen seemännischen Widerstandes gegen Sturm- und Seegefahr zur Seite zu stellen sind. Auch die Gefahren, die die kleinen Schiffe und ihre Besatzung an der Somaliküste zu bestehen hatten, wird der Binnenländer leicht unterschätzen, wenn er die ruhig-sachliche und einfach-natürliche Darstellung des tüchtigen und erfolgreichen Seemanns liest.

Bunte Bilder bringt Hauptmann Fritschi aus China, eigene Erlebnisse und Beobachtungen, wie auch manches über chinesische Bräuche und Sitten und zum Schluß sogar ein recht poetisches chinesisches Märchen; die frische, fesselnde Form des beliebten Erzählers ist geeignet, uns die Chinesen auch menschlich näher zu bringen, trotz vieler Gegensätze. Lebendig und ansprechend sind die malerischen Landschaftsschilderungen von Dr. Vaupel, die das deutsche Südseeparadies der Samoainseln dem Auge und dem Gemüt näher bringen.

Last not least – nicht nur zeitgemäß, sondern für unsere Sammlung von dauerndem Wert ist der prächtige Beitrag des Hauptmanns Koeppen. Er zeigt, wie auch der moderne Mensch mit den besten Hilfsmitteln unserer Zeit ein Sohn der Mutter Erde ist, und auch heute noch auf weiter Fahrt Beschwerden wie Gefahren zu überstehen hat, die kaum minder groß als zur Zeit der Kreuzzüge sind. Schilderungen kühner und kräftiger Männer der Tat zu lesen, ist immer herzerfrischend, sinnstärkend. Die unerhört schwierige Autofahrt ist so packend erzählt, daß man oft selbst mit schieben möchte, um das Benzinroß aus dem Sumpf zu holen. Da wird einem erst offenbar, was für verwöhnte und verweichlichte Menschen wir andern alle sind, deren Leben sich zumeist auf schön gepflasterten, sauberen Wegen zwischen dem bequemen Heim und der Amts- oder Geschäftsstube bewegt. Führt doch der ärmste Arbeiter in der Heimat ein weit müheloseres Leben, und kennt auch die zahlreichen Entbehrungen nicht, die alle die wackeren Kämpfer und Pioniere deutscher Art draußen auf weiter Fahrt als tägliche Selbstverständlichkeit hinnehmen.

Allen Mitarbeitern auch dieses sechsten Bandes gebührt herzlicher Dank, daß sie Lohmeyers Schöpfung fördern halfen; sicherlich würde der sinnige Dichter und Volksfreund seine helle Freude an den prächtigen Beiträgen gehabt haben. Zum Dank noch eine Bitte: möge jeder Freund der Sammlung in seinem Kreise mitwirken, daß sie mehr als bisher allerwärts zur gebührenden Geltung kommt.

Zwei berühmte Mitarbeiter unseres Werkes, die Exzellenzen Vizeadmiral Reinhold v. Werner und Wirklicher Geheimer Rat, Professor Dr. Georg Ritter v. Neumayer sind uns in diesem Jahre durch den Tod entrissen worden. Beide standen in hohem Alter, v. Werner im 84. und v. Neumayer im 83. Jahre, beide waren Freunde seit einem halben Jahrhundert, beiden schlug noch im hohen Greisenalter das Herz jugendfrisch und beiden galt das Wohl des Vaterlandes über alles in der Welt!

Wir können ihr Andenken nicht besser ehren, als daß wir danach streben, mit ihrem Eifer und in ihrem Sinne weiter zu wirken, bis auch uns frische Kräfte ablösen. Im Leben ist's wie im Kampf, die Lücken der Fallenden müssen gefüllt werden, damit der böse Feind das gute Werk nicht zerstören kann. Bücher würde es fordern, wollte man schildern, wieviel die beiden Freunde durch Schrift und Wort für die Macht, die Größe und auch den geistigen Ruhm des Vaterlandes gestritten und geschaffen haben. Zwei Männer der Tat von altem Schrot und Korn, echte Seemannsnaturen beide, und doch mit feinstem Verständnis für die Gegenwart und die Zukunft des Vaterlandes begabt.

Und woher stammte die Leistungsfähigkeit dieser bedeutenden Männer, die sie zu leuchtenden Lebensbeispielen für jeden guten Deutschen macht? Sie sammelten ihre Lebenserfahrung auf weiter Fahrt!

Berlin W., im August 1909.
Georg Wislicenus.


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