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Einiges aus den Klöstern Tibets.

Von Wilhelm Filchner.

Woher stammt der Lamaismus mit den sonderbaren Formen seines Kultus, seiner streng geregelten Hierarchie? Aus dem indischen Buddhismus? Oder war ihm bei seiner Entwicklung ein anderer Kultus Vorbild? Die wissenschaftliche Welt hat keine bestimmte Antwort auf diese Fragen. Und doch muß dem unbefangenen Beobachter die Ähnlichkeit der Kulthandlungen der Lamas und ihrer Rangabstufungen mit denen der katholischen Kirche auffallen – hatten sich doch schon die ersten katholischen Missionare in Tibet diese Ähnlichkeit nicht anders erklären können, als daß die lamaische Religion eine bewußte Schöpfung einer satanischen Travestie sei.

Der Wissenschaft ist es bisher nicht gelungen, auf Grund historischer Forschung einen innigen Zusammenhang der lamaischen mit der katholischen Religion zu finden. Ein übereifriger Beobachter, der aus einigen, wenn auch großen Ähnlichkeiten weitgehende Schlüsse ziehen wollte, würde bald in eine Sackgasse geraten. Schon allein ein Vergleich der beiden Systeme zeigt uns einen so starken Unterschied, daß wir die Annahme eines inneren Zusammenhanges zwischen der katholischen Hierarchie und dem Lamaismus ohne weiteres fallen lassen müssen.

Während die erstere die Organisation eines weltlichen Staatswesens mit einer weltlichen Bureaukratie darstellt, in der das Mönchtum eine unter- und eingeordnete Stellung einnimmt, ist der Lamaismus weiter nichts als eine Einteilung des Mönchtums in Rangstufen und entbehrt jeglichen Instituts von Weltgeistlichen. Auch die Parallele zwischen dem Dalai-Lama und der päpstlichen Würde ist rein äußerlicher Natur. Das Amt des Dalai-Lama hat sich folgerichtig aus der tibetischen Geschichte heraus als eine politische Schöpfung der mongolischen Kaiser gestaltet und wurde aus Gründen der Politik von den chinesischen Herrschern aufrecht erhalten. Mit diesen Worten führte der bekannte Gelehrte Dr. Laufer in New-York mein Buch »das Kloster Kumbum« in die Öffentlichkeit ein. Wir wollen uns in Nachfolgendem in das Land der Lamas versetzen und einen Blick in eines ihrer Klöster tun, deren Anzahl in Tibet eine sehr hohe ist.

Es gibt dementsprechend wohl schwerlich ein anderes Land auf der Erde, das eine so starke Priesterschaft aufweist, was seinen Grund in der Bestimmung hat, daß dort von drei Brüdern einer Lama werden muß. Je nach der Dichtigkeit der Bevölkerung, die in den verschiedenen Gebieten Tibets eine verschiedene ist, weisen einige Landesteile eine geringere, andere eine bedeutend höhere Zahl von Priestern auf; den größten Prozentsatz liefert der Süden.

Die Lama leben in Stärke von wenigen bis zu zehntausend Personen in Klöstern zusammen. Die Größe und Bedeutung von Klöstern richtet sich in erster Linie nach der Wohlhabenheit und Besiedelungsdichte der Umgegend und nach deren Wegsamkeit, so besonders im fruchtbaren Süden. Sonst dürften für die Anlage von buddhistischen Kultstätten die Gegenden in Betracht kommen, welche durch außerordentliche Naturerscheinungen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Doch trifft man auch Klöster an, die im oberen Teile von leicht zugänglichen Bergtälern, entfernt von den menschlichen Behausungen, in der schweigenden Einsamkeit der Berge entstanden. Aber auch diese Klöster sind den weltlichen Ansiedlungen meistens so nahe, daß ihnen durch diese eine dauernde, womöglich kostenlose Versorgung gesichert ist, und daß dem Volke das Opfern nicht allzusehr erschwert wird.

Sehen wir uns ein solches Kloster ein wenig an. Die Besichtigung eines einzigen genügt, da alle in einem Stile erbaut sind und einander gleichen. Nur durch ihre Lage unterscheiden sie sich: die einen sind amphitheatralisch an Berghängen errichtet, die andern um einen isolierten Hügel, vor einer steilen Felswand, in einem Engpaß oder nahe einem Flußübergang über einer Furt. Jedes Kloster besteht aus zwei Teilen, den Wohnstätten der Lamas und dem Tempelviertel. Meist bildet das letztere den Mittelpunkt der Klosteranlage und überragt das Kloster. Es enthält stets das Hauptheiligtum des Klosters, einen entweder dem buddhistischen Reformator Tsongkapa oder einem andern Heiligen geweihten Tempel. Die größeren Tempel liegen in Gruppen beisammen oder sind durch Höfe oder Durchgänge von einander getrennt. Sie sind aus Lehm oder gebrannten Ziegeln erbaut, mit Holzeinlagen an den Türen und flachen Dächern. Die Wände sind aufdringlich bemalt, in der Regel die obere Etage rot, die untere schwarz, vielfach mit bunten Arabesken verziert, von Säulengängen umgeben und mit buntschillernden Dächern bedeckt. Potanin, der russische Reisende, vergleicht ein solches Kloster zutreffend mit einem kleinen Dorfe Südrußlands, nur daß die typisch hohen Mauern der Kirchhöfe und die Glockentürme fehlen, die dort das charakteristische Moment bilden.

Wenn auch der bunte Wirrwarr der Tempel und Wohnstätten der Lamas mit den grellen Farben und der Überladenheit des Aufputzes unharmonisch und wenig weihevoll wirkt, so muß man doch das künstlerische Moment des Gesamteindrucks anerkennen. Die Hunderte von Lamas in ihren braunroten Gewändern und das aus Tibet herbeigeströmte, in farbenreichen lebhaften Gruppen gelagerte Volk, dazu die vielen bunten Gebetswimpel und Fahnen geben den buddhistischen Klöstern ein märchenhaftes Aussehen. Diesen Eindruck erhöht noch der geisterhafte Klang der Gongs und das ewig gleichmäßige Gebet, das vor den Tempeln und auf den Dächern der Priesterwohnungen hergeleiert wird, während melodische heilige Gesänge uns durch ihren Rhythmus gefangen nehmen.

Die Wohnstätten der Lamas bestehen aus einfachen, blendend weiß angestrichenen, kasernenartig langen Parterrebauten mit Mauerumfriedungen. In einer Häusergruppe wohnen 5-20 Lamas zusammen. Der Hof, in den man durch den Eingang gelangt, ist sauber und gerade groß genug, eine kleine Schafherde, die den Lamas Milch liefert, zu fassen. In jedem Hof trifft der Besucher ein Ma-ni an, das ist eine verzierte Stange, die mit Gebetswimpeln behängt ist. Diese Wimpel sind Tuchfetzen, die mit dem einzigen Gebet » om mani padme hum« beschrieben sind. Durch den Wind werden diese Tücher in Bewegung gesetzt und nach Annahme der Religiösen die darauf geschriebenen Gebete in das Weltall hinausgeblasen, wo sie dann nach oben steigen und dort zum Seelenheile des Errichters des Ma-ni registriert werden. Solche Ma-ni findet man nicht bloß bei den Wohnstätten und Tempeln der Lamas, sondern auch auf Pässen, Bergspitzen, Wegegabeln, Stegen, allüberall, wo buddhistischer Kult zuhause ist.

Dieses ewig gleich bleibende Gebet om mani padme hum (O du heiliges Kleinod im Lotos, Amen!) findet der Wanderer nicht nur auf Gebetswimpeln, er trifft es auch in Felsen eingemeißelt, in Steinplatten eingegraben, die dann zu Mauern aufgeschichtet werden; er findet es in Gebetsmühlen, in die Baumrinde eingekratzt, in die Blätter einiger heiliger Bäume eingeschrieben. In den Klöstern sehen wir den Lama die meiste Zeit auf der Plattform seines Wohnraumes sitzen und dies Gebet herleiern. Auch in mondhellen Nächten singt er mit heller Stimme sein om mani padme hum, während er getrocknete Wacholderblätter opfernd verbrennt.

Die höheren Lamas der Klöster haben bessere Wohnstätten mit kleinen Gärten und Blumenbeeten. Ihr Heim fällt durch höhere Bauart und ein giebelartiges Dachwerk auf.

Die höchsten Lamas wohnen in hübschen Baulichkeiten mit ein bis zwei Stockwerken und verfügen über mehrere buntbemalte Zimmer und Kammern mit Fenstern aus Holzgitterwerk, mit farbigem Papier verklebt, und bunten Gläsern. Meist haben sie eigene Dienerschaft, darunter häufig arme Lamas; viele führen ein eigenes Haus.

Jeder der Lamas hohen Ranges hat einen Karwa, d. i. ein Gebäude, in dem er Leute aus seinem Distrikt, die das Kloster besuchen kommen, empfängt. Der Karwa enthält den Haustempel, die Privaträume des hohen Lamas und einige Wohnzimmer.

Der höchste Priester des Klosters, der Khan-po (Weihbischof), die Inkarnation Buddhas, der über die Tausende von Lamas wie ein Alleinherrscher regiert, residiert im imposantesten aller Gebäude. Es fällt meist durch seine erhöhte Lage und Bauart auf, sowie durch seine rot bemalten Mauern. Nur in den seltensten Fällen verläßt der hohe Herr diese seine Residenz. In safrangelben Gewändern, gekrönt mit der glänzenden Mitra und von einem großen Gefolge begleitet, begibt er sich dann aus seinem Heim, um bei religiösen Amtsverrichtungen den Vorsitz zu führen oder sich an einer Prozession oder einem religiösen Feste zu beteiligen.

Das Innere der Wohnräume ist, abgesehen von den Häusern der höchsten Lamas, im allgemeinen das gleiche. Die Wände sind weiß getüncht und nur mit einem Heiligenbild oder einem anderen heiligen Gegenstand geschmückt; oder sie haben einen Bretterverschlag, der ebenso wie die Decke der Wohnräume mit Darstellungen aus chinesischen Märchen und Erzählungen, mit Blumen, Blumengruppen oder Blumenstöcken bemalt ist, wie wir sie in ähnlicher Weise in den Bauernstuben Tirols antreffen. Die Einrichtung ist recht ärmlich und für die Bequemlichkeit so gut wie gar nicht gesorgt; denn Stühle, Tische, bessere Nachtlager und Beleuchtungsvorrichtungen fehlen meistens ganz. Eine einzige Vorrichtung, der »Kang«, dient zu gleicher Zeit als Tisch, Bank, Nachtlager und – Ofen. Er ist nämlich ein antrittartiger, hohler Lehmaufbau von ½ m Höhe, der von der Hofseite her durch eine kleine Öffnung in der Lehmmauer geheizt wird, entweder mit Stroh oder mit Pferdemist. Bei Eintritt der Kälte einmal zum Glimmen gebracht, wird das Feuerungsmaterial den ganzen Winter hindurch in diesem Zustand erhalten. Aber der Kang ist, um seine übrigen Zwecke besser zu erfüllen, wenigstens mit Matten überdeckt. Einige chinesische Schalen und bunt bemalte Tsambaschüsseln bilden das ganze Kücheninventar. Erwähnt man noch ein paar Handwerksgerätschaften, einige schmutzige Kissen und ein tischartiges Gestell, so ist damit die durchschnittliche Ausstattung der Wohnräume erschöpft. Doch gibt es auch Lehmhäuser, die ohne jede weitere Einrichtung sind und dem armen Lama nur Schutz gegen Wind und Wetter gewähren.

Die meist zweistöckigen Wohngebäude der amtlichen Lamas unterscheiden sich von Häusern der gewöhnlichen Lamas wesentlich durch ihre rosaroten Wände und die kleinen Fenster nahe den flachen Dächern, welche die Wände um weniges überragen. Die leeren Fensterrahmen sind von innen verbolzt; die Fensterflügel verlaufen nach unten zu breiter, so daß sich bei geschlossenen Flügeln die Form eines Trapezes ergibt. Gewöhnlich haben diese Häuser auf der Hofseite im oberen Stocke eine schmale Veranda. Der obere Teil des Hauses wird von den Lamas als Wohnstätte benutzt; die unteren Räume enthalten die Ställe und die Magazine.

Den mit wenigen Ausnahmen vermögenden höheren Lamas fehlt es an nichts: sie haben bequeme Wohnungen inne und wissen ihren Besitz im Trocknen. Traurig ist dagegen das Los des armen niederen Klerus. Viele dieser Lamas sind so arm, daß die Arbeit ihrer Hände sie kaum der schwersten Nahrungs- und Bekleidungssorgen enthebt. Die Geschenke, die dem Kloster gemacht und vom Prior dem Ansehen der Mönche entsprechend verteilt werden, ändern nichts daran, wahrscheinlich, weil die höheren Lamas so viel für sich in Anspruch nehmen, daß für die niederen nichts mehr übrig bleibt. Und von seinem geringen Besitz muß der arme Lama auch noch abgeben, denn die Religion schreibt vor, daß er sein Hab und Gut, selbst wenn es noch so klein ist, mit Armen und Dürftigen teile. Daß dieser schöne Grundsatz auch tatsächlich durchgeführt wird, davon zeugt eine beträchtliche Zahl von Bettlern, die in Tibet eine wahre Klosterplage bilden. Da ist denn für den armen Lama folgender heilige Satz seiner Religion ein geradezu idealer: »Der Geistliche darf alles annehmen, was ihm dargebracht wird in der Absicht, daß dadurch der Geber Verdienst erwerbe.« Ja, die buddhistische Religion stellt geradezu für die Mönche als die allgemeinste Aufgabe außer Enthaltsamkeit auch Betteln hin. Und doch herrscht vielfach noch Mangel am Nötigsten.

siehe Bildunterschrift

Blick auf die Tempelstadt eines lamaischen Klosters

Außer den Wohnhäusern treffen wir im Wohnungsviertel noch die Küche an, in der für die gesamten Lamas Tee gekocht und Tsamba, eine Mischung von Tee und gerösteter Gerste, hergestellt wird. Ferner finden wir dort unzählige kleine Miaus, Tempelchen und Privatkapellen, in denen Hausaltäre und Götterbilder den Mittelpunkt der Andachtsübungen bilden. Auf den Altären thronen einige kleine, aus Ton und Messing hergestellte buddhistische Götter. Eigentümlich sind die davor aufgestellten kleinen Messinglampen; sie sind nämlich mit geschmolzener Butter gefüllt, in der ein schwimmender Docht brennt. Butter ist dasjenige Material, das am häufigsten geopfert wird; auch andere Eßwaren, wie kleine Päckchen schwarzen Zuckers, Bonbons, Obst und Getreide werden geopfert. Die überall herumhängenden Gebetsschärpen, Khataks genannt, schmale schleierähnliche Gewebestreifen, erfüllen den gleichen Zweck wie bei uns die aus Wachs hergestellten Figuren, Miniatur-Arme, -Beine etc., die an den Wallfahrtsplätzen geopfert werden. Zum Inventar dieser Kapellen gehören gewöhnlich noch metallene Wassergefäße und einige Bände buddhistischer Literatur, die so schmutzig sind, daß man kaum mehr die Schrift erkennen kann. Nicht immer entbehrt das Innere der Kapellen des Schmuckes; an den Eingängen und vor den Altären sind oft fein geschnitzte Gitter aus Holz und hübsch gearbeitete Eisengitter angebracht, und manchmal verzieren Fresken, die Heilige und Götter darstellen, die Wände. Auch trifft man hier wieder auf das Gebet » Om mani padme hum«; ein Lama hatte sich sogar ein Transparent mit diesem Gebet hergestellt. Im allgemeinen herrscht in den Kapellen ein mystisches Dunkel. Wohl absichtlich sind die Fenster mit Tüchern verhängt, um künstlich diesen Eindruck noch zu erhöhen.

Der Kultus vor den Altären besteht im Absingen von Gebeten. Zur Begleitung dient die Gebetsglocke und die Gebetstrommel. Letztere bestehen vielfach aus Menschenschädelkapseln, die mit Haut überspannt sind, auf welche eine an einem Faden befestigte Kugel, durch rasche Drehung der Hand in Bewegung gesetzt, schlägt. Um ihre heiser gesungenen Kehlen anzufeuchten, genießen die Lamas während dieser anstrengenden religiösen Übung ab und zu einen Schluck Tee.

Wenden wir uns nun nach der Besichtigung der Wohn- und Kultstätten der Lamas diesen selbst zu, so erhalten wir keinen besonders günstigen Eindruck, zunächst schon deshalb, weil selbst der flüchtige Beobachter die Lamas schon aus weiter Entfernung als ungewaschen erkennen kann. Ebenso wie sich über alle Behausungen eine dicke Schmutzkruste lagert, die bei der vorherrschend weißen Farbe der Wände markant zum Ausdruck kommt, so starren auch Gesicht und Hände der Bewohner von Schmutz. Die ursprüngliche Gesichtsfarbe der Lamas weist große Unterschiede auf; sie schwankt zwischen der unsrigen und der Negerfarbe. Vorherrschend ist die erstere, wenn auch stärker gebräunt und etwas gelblicher. Der Gesichtsausdruck ist dank der geistvollen religiösen Beschäftigung der Lamas mit wenigen Ausnahmen abgestumpft und indolent. Die charakteristische Haartracht der Mönche ist der kurzgeschorene Schädel. Haare, Bart und selbst die Augenbrauen werden geschoren und rasiert, da man sie als eine unreine Ausschwitzung der Haut betrachtet. Ein bestimmtes Gebot befiehlt den Priestern auch, sich die Nägel zu beschneiden und die Zähne zu putzen.

Denselben Mangel an Luxus und Bequemlichkeit, wie er in den Wohnungen herrscht, bemerkt man auch bei der Kleidung der Lamas. Im Winter sind diese bedauernswerten Leute nur auf Baumwollkutten angewiesen, die sie immer auf den Straßen beim Betteln und Wandern tragen. Es ist bei hoher Strafe verboten, den Bekleidungskodex des Klosters zu übertreten, und es gehört eine strenge Abhärtung von Jugend auf dazu, im Winter ohne Hosen und Socken – denn diese sind nicht gestattet – und ohne wärmende Kleiderzutat, wie Pelze usw., existieren zu können. Nur die Lamas in den Klöstern der nördlichen Mongolei dürfen Pelze tragen. Die Baumwollmäntel der Mönche sind ärmellose, grobe, rote, manchmal gelb gefütterte Kutten, die bis auf die Füße hinabreichen und um die Hüften mit einem gelben oder roten Gürtel zusammengehalten werden. Die niederen Lamas haben rotbraune, oft so sehr geflickte Kutten, daß sie den Eindruck von Bettlern und nicht von Priestern machen.

Die Klostergewandung besteht aus drei Teilen. Da ist zunächst das Unterkleid, das die Stelle des Beinkleides und des Hemdes vertritt. Es reicht bis auf die Waden und ist eine Art Kombination von einer Weste und einem Schurz.

Über das Unterkleid wird wie bei den Weibern um die Hüften ein Schurz gebunden, dessen reicher Faltenwurf immerhin ein bescheidenes Äquivalent für die wärmende Hose zu bieten scheint.

Als drittes Hauptbekleidungsstück kommt für jeden Lama der Koller in Betracht, der den Oberleib umschließt und auf der Brust offen steht. Statt der Ärmel sind von der Schulter bis zu den Hüften verlaufende Schlitze angebracht. Zur ständigen Bekleidung des Priesters gehört noch die Priesterbinde, ein 2 Fuß breites, einige Meter langes Stück rotes Tuch, das von der linken Schulter zur rechten Hüfte ähnlich wie eine Adjutantenschärpe gelegt wird.

Die höchsten geistlichen Würdenträger und der Dalai-Lama tragen außerdem noch den togaartigen Überwurf, einen weiten, faltigen, bis auf den Boden hinabreichenden Umhang, der so getragen wird, daß die rechte Schulter und der rechte Arm frei bleiben.

Die eben beschriebenen Kleidungsstücke haben bei den Anhängern Tsongkapas, des Begründers der neuen Sekte, gelbe Farbe, bei den Mitgliedern der roten, der alten Sekte, rote und zwar meist karmoisinrote Farbe. Der Koller und die Priesterbinden sind stets rot. Oft ist aber die Kleidung so verschmutzt, daß die Originalfarbe überhaupt nicht mehr zu erkennen ist. Diese Nachlässigkeit in der Kleidung ist eine beabsichtigte, denn eines der vielen Gesetze des Landes lautet: »Du sollst schmutzige und aus Lumpen zusammengeflickte Kleider tragen.«

In neuerer Zeit wurde dieser asketische Befehl abgemildert, und es scheint fast, als ob auch das strenge Regiment der Klosterzucht von der universellen Emanzipation angesteckt worden wäre. Diese neuere Bestimmung fügt nämlich mildernd hinzu: »Überflüssig sind baumwollene, leinene, seidene oder hanfene Kleider.«

Auch das übrige Besitztum des Lamas ist gesetzlich festgelegt und auf ein Minimum beschränkt, das dem Ideal des Diogenes schon recht nahe kommt. Er darf einen Almosentopf und eine Wasserkanne, einen Gürtel, ein Rasiermesser und eine Nähnadel besitzen. Das wichtigste Instrument ist für den »bettelnden Mönch« naturgemäß der Almosentopf (Pâtra), den er entweder in der Hand trägt oder am Gürtel befestigt hat. Es ist eine topfähnliche ovale Schale aus Holz oder Eisen, mitunter auch lackiert. Gewöhnlich werden chinesische, seltener japanische Erzeugnisse verwendet, aber auch der menschliche Schädel, dessen obere Kappe gerade die gewünschte Form hat, liefert solche Pâtras. Es scheint für den Lama nichts Unangenehmes zu haben, aus einem derartigen Gefäß seine Nahrung zu sich zu nehmen; sonst bestand diese Sitte eigentlich nur bei brahmanischen Priestern. Die eine Abbildung zeigt Tsongkapa, den Begründer der gelben Sekte, der ein solches Gefäß auf seinem Schoß trägt.

Die mongolischen und tibetischen Lamas führen als Wasserkanne ein kleines Kupferfläschchen, das Wasser enthält, mit sich. Es ist in einen kleinen Pulosack eingenäht und am Gürtel befestigt. In diesem Gürtel, der aus fußbreiten roten oder gelben Tuchstreifen besteht, bewahren sie außerdem ihr Geld und ihre Kostbarkeiten, falls solche vorhanden sind, auf. Andere Lamas schleppen Wassertöpfe aus Ton in verschiedenen Formen mit sich. Nach der Mahlzeit befeuchten sie mit dem Wasser Gaumen und Schlund, indem sie hiervon in die hohle Hand gießen und den Trank einschlürfen. Die Lamas behaupten, daß durch die Aufbewahrung in diesen Gefäßen das Wasser gereinigt werde und dieses Wasser somit segenbringender sei, als das unreine der Flüsse und Quellen.

Das Rasiermesser ist ein breitschaufliges Ungetüm, aber ziemlich scharf. Statt der Rasierseife wird Wasser benutzt, und man kann annehmen, daß eine solche Bartoperation nicht sonderlich wohltuend ist. Dennoch sind die Lamas gleich den Chinesen Meister der Rasiertechnik.

Der hohe Geistliche führt außerdem noch zwei gottesdienstliche Werkzeuge, die Gebetsglocke und den Gebetsszepter, mit sich. Bei kirchlichen Festlichkeiten tragen die höchsten Priester eine gelbe hohe Lamamütze mit langhaariger Raupe, die aus Wolle verfertigt und nicht unähnlich dem Helme eines antiken griechischen Kämpfers ist. Dies ist überhaupt die einzige Gelegenheit, bei welcher ein höherer Lama eine Kopfbedeckung trägt. Der niedere Priester ist stets barhäuptig. Nur im Sommer schützt er seinen nackten Schädel durch ein umgebundenes Tuch vor den intensiven Sonnenstrahlen.

Die Lamas der roten Kaste dürfen im Gegensatz zu den »gelben« Lamas Fleisch genießen, berauschende Getränke trinken und heiraten. Die Hauptnahrung aller Lamas besteht aus der Wurzel der Pflanze Potentilla anserina L., die Potanin Dschuma nennt, Butter, aufgekochter, gesäuerter Milch, Tee, geröstetem Gerstenmehl, Reis, Weizenmehl, Zucker u. dgl.

Die Haupttätigkeit der Lamas ist das unausgesetzte Hersagen des Gebets om mani padme hum. Welche Unsumme von Kraft und Intelligenz geht so der nutzbringenden Arbeit und dem Fortschritt verloren! Was könnten diese kräftigen Hände bei fleißiger, gesammelter Arbeit leisten! Ein großes Kapital schlummert in dieser künstlich brachgelegten Kraft.

Wenn man bedenkt, daß Tibet über Hunderte von solchen Klöstern verfügt, und daß in einzelnen Tausende von Lamas wohnen, in Lha-sa, der buddhistischen Metropole sogar an 32 000, wird man verstehen können, daß diese riesenhaften klösterlichen Ansiedlungen das tibetische Volk aussaugen und entkräften, aber auch beherrschen. Der in diesen Klöstern herrschende Kultus ist für sie somit ein wirksames Mittel geworden, die abergläubische Masse des Volkes zu fesseln und in ihrem Banne zu halten.

Dieser Umstand verleiht dem Lamaismus besondere Kraft, und bei den Vorgängen in Zentralasien und dem Erwachen großasiatischer Gedanken ist es zum mindesten interessant, die Zustände in der das Land und das Volk beherrschenden Kirche zu betrachten. Haben doch deren Intrigen und Gebote von jeher in die volkstümlichen und politischen Bewegungen und Kämpfe Hochasiens eingegriffen.


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