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Der Geruchsinn der Insekten.

Von J. Winterhalter.


Zu den dunkelsten Capiteln der naturwissenschaftlichen Erkenntniß gehört die Frage über diejenige Art der Sinneswahrnehmung, die wir als Riechen bezeichnen. Wir wissen zwar, daß die Stoffe, die wir durch den Geruchsinn wahrnehmen wollen, in einem gasförmigen Zustand vorhanden sein müssen, aber damit ist noch gar nicht gesagt, wie diese Gase auf die Riechnerven einwirken, um die Geruchsempfindung hervorzurufen. Der Sitz der Geruchsempfindung kennzeichnet sich uns bei den Säugethieren leicht durch dasjenige Organ, welches wir Nase nennen. Schwieriger ist seine Bestimmbarkeit schon bei den Vögeln, da sich bei ihnen für das bloße Auge kaum irgend eine Besonderheit zeigt. Und diese äußeren Kennzeichen nehmen immer mehr ab, je tiefer wir in die Thierwelt hinabsteigen, so daß wir bei den Insecten durch das reine Ansehen kein Organ anzugeben im Stande sind, das sich durch seine Gestaltung als Riechorgan darthäte.

Daß die Insecten riechen, daran dürfte wohl Niemand zweifeln, wissen wir doch aus der Erfahrung, daß faulendes Fleisch die Fliegen anlockt und Kampher die Motten vertreibt. Dafür wird aber die Frage desto brennender, mit welchen Körpertheilen sie riechen, da wir ja an ihnen kein äußerliches Gebilde bemerken, in das wir den Sitz der Geruchsempfindung zu verlegen berechtigt sind.

Von vornherein liegt die Annahme nahe, daß der Sitz des Geruchssinns in der Nachbarschaft der Athmungswerkzeuge zu suchen ist. Ist es doch die erste Bedingung für die Geruchswahrnehmung, daß der Luftzug über die Oberfläche des Geruchsorgans hinwegstreicht, damit diese mit den riechenden Stofftheilchen in Berührung gebracht wird. Dabei muß aber daran erinnert werden, daß Insecten nicht wie wir durch den Mund athmen, sondern durch eine Reihe von längs der Körperseiten gelegenen Löchern, die in die Tracheen oder Athemröhren hineinführen. Die Tracheen verzweigen sich durch den Körper, so daß sich der Gasaustausch des Blutes nicht an einer bestimmten Stelle, sondern auf der ganzen Tracheenbahn vollzieht.

Darnach mußte es wahrscheinlich sein, daß der Sitz des Geruchssinns sich bei den Ausführungsgängen der Tracheen befindet. Das erste einschlägige Experiment hierüber stellte Lehmann an. Er bohrte Löcher in die Wandungen von Glasflaschen, setzte dann verschiedene Insecten mit dem Hinterleib voran in diese Löcher und befestigte sie hier mit einem Wachsring, so daß der Kopf und der Brustkorb außerhalb der Flasche blieben, der Hinterleib aber in sie hineinragte. Dann füllte er die Flaschen mit verschiedenen starken Gerüchen, wie von verbrannten Federn und Schwefel, und beobachtete nun die Insecten. Da die Thiere auffallende Bewegungen ausführten, so schloß er, daß sie den Geruch mittelst der Haut um die Luftwege empfänden.

Das Experiment scheint auf den ersten Blick vollständig den Beweis zu erbringen, daß der Geruchssinn in der Nähe der Tracheen liegt. Allein es lassen sich doch dagegen gewichtige Gründe geltend machen. Nehmen wir einmal den Fall an, es würden in unsere Luftwege Rauch oder Dampf eingeführt, ohne daß sie mit unseren Geruchsnerven in Berührung kämen, so würden sie sicherlich auf die Schleimhäute einen Reiz ausüben, der uns zu Bewegungen veranlaßte, die eingeathmeten Rauchmassen wieder auszustoßen.

Wir sehen diesen gedachten Vorgang sich in Wirklichkeit jedesmal abspielen, wenn ein Raucher unversehens den Rauch seiner Cigarre verschluckt hat. Die Folge des ausgeübten Reizes ist ein Husten mit dem mehr oder weniger eine Erschütterung unseres Brustkorbes verknüpft ist.

Genau so könnte es sich aber mit den Insecten verhalten, an denen Lehmann seinen Versuch anstellte. Auch in ihren Luftwegen wird der Dampf von brennenden Federn seine reizende Wirkung äußern und als wahrnehmbare Bethätigung dieses Reizes werden wir die auffallenden Bewegungen ansehen dürfen. Gestützt wird die Ansicht, daß der Geruchssinn sich nicht in der Nähe der Tracheen befindet, durch die Beobachtung, daß weniger stark riechende Stoffe wie Honig und faulendes Fleisch auf Bienen und aasfressende Käfer einen gleichen Einfluß nicht ausüben. Zudem aber ergaben sich aus der wissenschaftlichen Untersuchung der betreffenden Körpergegend durchaus keine Anhaltepunkte, die hier das Vorhandensein eines Geruchsorgans vermuthen ließen.

Man ist sodann bestrebt gewesen, den Sitz des Geruchssinns in der Nähe der Mundtheile oder im Munde selbst zu entdecken, da sich der Geruch ja bei der Auswahl der Nahrung in hervorragender Weise betheiligt. Diese Bestrebungen hat Perris mit einem kleinen Experiment hinfällig gemacht. Er bestrich einfach die ganze Mundpartie seiner Versuchsthiere mit Gummi arabicum und die Insecten rochen trotzdem so gut wie früher.

Erst in der neueren Zeit ist man dahin gelangt, die Fühler als die Träger der Geruchsorgane zu betrachten und hat durch Experimente hierüber Aufschluß zu geben gesucht. Hören wir, was Forel über seine Versuche berichtet, die er mit Wespen vornahm. »Nachdem ich,« schreibt er, »drei Wespen hatte hungern lassen, schnitt ich der einen beide Fühler, der zweiten den ganzen Vordertheil des Kopfes bis an die Augen und außerdem noch den Rest des aus der Schnittfläche herausgezogenen Schlundkopfes ab. Die dritte ließ ich unverletzt. Nach einer kleinen Weile tauchte ich den Kopf einer Stecknadel in Honig und näherte die Nadel den ruhig dasitzenden Wespen. Erst bei einer Entfernung von 1 Centimeter wurde die unbeschädigte Wespe aufmerksam. Sobald sie aber den Honig gewittert hatte, wendete sie ihre Fühler nach der Nadel und bewegte sie hin und her. Zog man die Nadel langsam zurück, ohne sie von der Wespe berühren zu lassen, so sah man das Insect folgen und den Honig lecken, sobald es ihn erreichte. Die Wespe, bei der ich die Vorderseite des Kopfes weggeschnitten und demzufolge alle Sinnesorgane der Mundhöhle entfernt hatte, benahm sich genau so wie die unverletzte. Sie witterte den Honig aus der nämlichen Entfernung wie jene, wendete ihre Fühler der Nadel zu und folgte ihr. Ließ man sie die Nadel erreichen, so versuchte sie zu fressen, natürlich umsonst, da sie keinen Mund mehr hatte. Die Wespe ohne Fühler betrug sich aber ganz anders. Sie blieb ruhig sitzen, man mochte ihr die Nadel so nahe bringen, wie man wollte, sie merkte nicht das Geringste von Honig. Man mußte ihn unmittelbar mit ihrem Munde in Verbindung bringen, bevor sie ihn merkte, dann aber fing sie an zu fressen.«

Derselbe Forscher experimentirte auch mit Fliegen. »An einem Julivormittag,« berichtet er, »legte ich einen in Verwesung begriffenen Maulwurf unter eine Glocke von Drahtgaze vor mein Fenster. Bald erschien eine weibliche Aasfliege und bemühte sich unter das Drahtgeflecht zu kommen, fand aber keinen Zugang. Ich fing sie und trug ihre beiden Augen mit dem Rasirmesser ab. Sogleich flog sie kreuz und quer durch meine Stube, stieß an die Decke und Wände und fiel schließlich auf den Boden. Das wiederholte sich zwei bis drei Mal, bis ich sie abermals fing, ihr einen Flügel abschnitt und sie darauf in die Nähe des zugedeckten Maulwurfs setzte. Die Fliege wurde ruhig, ging auf den Maulwurf, den ich mittlerweile aufgedeckt hatte, zu, suchte auf ihn hinaufzuklettern, was ihr auch gelang, tastete mit ihrem Rüssel an dem Kadaver herum, bis sie eine offene Stelle am Kopfe fand, wo ich das Gehirn des Maulwurfs herausgenommen hatte. Da machte sie halt, saugte mit ihrem Rüssel an zwei oder drei Flecken, bis sie auf einmal ihre Legröhre hervorstreckte und im Nu drei oder vier Larven ablegte. Jetzt haschte ich die Fliege wieder und schnitt ihr sorgfältig die beiden Fühler ab. Von diesem Augenblick an kümmerte sie sich bei wiederholten Versuchen nicht mehr um den Maulwurf als um einen Stein oder ein Stück Holz. Setzte ich sie neben den Kadaver, so versuchte sie durchaus nicht nach ihm hinzukriechen, sie hatte ihr Orientirungsvermögen verloren und versuchte nicht ein einziges Mal Larven abzulegen. Als ich sie in eine Schachtel that, legte sie endlich ein paar Larven ab. Nicht lange darauf,« fährt Forel fort, »kam eine kleinere weibliche Fliege angeflogen. Ich fing sie und schnitt ihr beide Flügel ab. Nachdem sie den Maulwurf bemerkt hatte, versuchte sie an verschiedenen Stellen Eier auf ihn zu legen. Endlich fand sie die Verletzung, steckte ihre Legeröhre hinein und setzte ein Ei ab. Da fing ich sie wieder und schnitt ihr die beiden Fühler ab. Von dem Augenblick legte sie nicht mehr und nahm von dem Maulwurf keine weitere Notiz. Kurz, sie betrug sich, obwohl noch im Besitze ihrer beiden Augen, genau so wie die vorige Fliege.«

Nach diesen Versuchen dürfte es zweifellos sein, daß bei den Wespen und Fliegen das Geruchsorgan in den Fühlern seinen Sitz hat. Diesen Befund darf man aber nicht ohne Weiteres verallgemeinern, wie eine Beobachtung Newports zeigt. Er experimentirte mit einem Schwimmkäfer, den er absichtlich in einem halb mit Wasser gefüllten Gefäß drei Tage hatte hungern lassen. »Nachdem diese Zeit verstrichen war,« berichtet er, »befestigte ich ein Stückchen rohes Fleisch an das Ende eines Drahtes und führte es einige Male an den Seiten des Thieres vorbei, namentlich in der Nähe der Luftlöcher, wo ich sogar für kurze Zeit mit meiner Bewegung halt machte. Das Insect schien trotzdem nichts davon gewahr zu werden, blieb vielmehr während der ganzen Zeit völlig ungestört an seiner Stelle im Wasser. Darauf wurde das Fleisch sehr nahe an den Fühler gebracht, aber ohne die geringste Bewegung in diesem Organ hervorzurufen, während der Käfer wohl anfing, seine Palgen sehr lebhaft zu bewegen, als ob er die Gegenwart von irgendeiner Sache wahrgenommen hätte.«

Es sei hier bemerkt, daß die Palgen jene Anhänge an beiden Seiten des Kopfes sind, die man wohl für verkümmerte Fühler ansehen darf.

»Darauf wurde das Fleisch,« fährt der Forscher fort, »sehr nahe an den einen Fühler gelegt, und das Insect zog sich sofort zurück, als ob es dadurch belästigt würde. Jetzt wurde das Fleischstück auf einen Zoll Entfernung unmittelbar vor den Käfer gebracht und sofort kamen die Palgen in lebhafte Bewegung und das Thier stürzte vorwärts, packte das Fleisch und begann es gierig zu verschlingen. Am folgenden Tage wurde das nämliche Experiment und mit demselben Erfolge einige Male wiederholt, aber bei dieser Gelegenheit wurden die Fühler so heftig mit dem Fleische berührt, daß der Käfer sie endlich unwillig nach hinten an die Seiten des Brustschildes einschlug.«

Aus der Bewegung der Palgen und der Gier, mit der das Thier bei diesem Versuch auf das Fleisch zustürzte, scheint also hervorzugehen, daß bei den Schwimmkäfern der Geruchssinn nicht in den Fühlern, sondern in den Palgen localisirt ist. Vielleicht hängt diese Eigenheit mit der Lebensweise dieser Insecten im Wasser zusammen, wo ja der Geruch eine viel unbedeutendere Rolle spielt als in der Luft.

Der Geruchssinn ist im Leben der Insecten sicher von viel größerer Bedeutung als bei vielen anderen Thieren. Der Geruch leitet die Insecten nicht nur zu den Nahrungsmitteln, deren sie bedürfen, sondern er macht sie wahrscheinlich auch auf Feinde und Gefahren aufmerksam. Hierfür ist eine Beobachtung ein Beleg, die Perris an dem Weibchen von Dinatus, einer einzellebenden Wespe, machte. Diese Wespe bedeckt, wenn sie auf die Suche nach Beute wegfliegt, den Zugang zu ihrem Nest mit etwas Sand. Perris suchte sich nun zwei Nester aus und zerwühlte während der Abwesenheit der Besitzerinnen die Umgegend des einen mit einem Stöckchen, das andere deckte er mit seiner ziemlich warmen Hand zu. Das erste Weibchen war etwas verwirrt, als es wieder anflog. Es lief herum, bewegte seine Fühler lebhaft hin und her und brauchte etwas länger als sonst, um den Eingang zum Nest zu finden. Von dem anderen Weibchen bemerkt Perris: »Es schien für den ersten Augenblick außerordentlich überrascht. Meine Hand, die stark transpirirte, hatte auf dem Sand einen Geruch hinterlassen, der es offenbar frappirte und über den es sich klar zu werden bemühte. Denn sobald es an der Stelle anlangte, die meine Hand bedeckt hatte, stutzte es in seinem Laufe und seine Fühler berührten rasch abwechselnd den Sand. Das arme Insect mattete sich ab, indem es vorwärts und wieder zurückmarschirte, es lief über sein Nest weg, ohne es zu merken, es kreuzte hin und wieder mit seinen Füßen die kleinen Löcher, in die es vorher seine Fühler gesteckt hatte, um das Innere zu untersuchen. Es machte halt, um seine Fühler zu putzen, so wie man sich die Augen reibt, um besser sehen zu können: Alles umsonst!

Entmuthigt flog es von dannen, um nach einigen Augenblicken wiederzukommen und seine Untersuchungen von Neuem zu beginnen. Dieses Mal, vielleicht schwebte es nicht mehr so in Angst, oder seine Fühler hatten eine bessere Spurkraft gewonnen, oder vielleicht hatte die warm scheinende Sonne die Ausdünstungen meiner Hand inzwischen verflüchtigt, dieses Mal gelang es ihm aber doch, nach einem großen Aufwand von Zeit und Geduld, sein Nestchen wiederzufinden.«

In dieser Schilderung ist es schon leise angedeutet, daß der Geruch für die Insecten auch einen Wegweiser abgibt, dem sie folgen, um die gewohnte Straße nach ihren Futterplätzen einzuhalten oder den Rückweg nach ihrem Bau zu finden. Eingehende Studien hierüber sind namentlich von Lubbork bei den Ameisen gemacht worden, der vermuthet, daß sie ihre frische Fährte von älteren unterscheiden können. Forel sah ebenfalls diese Fähigkeit bei ihnen stark entwickelt. Er nahm eine Ameise, die im Begriffe stand, in ihr Nest zurückzukehren, und stellte sie einen Meter weit hinter ihren Kameradinnen in der Marschlinie, der sie gefolgt waren, auf. In allen Fällen, wo er diesen Versuch vornahm, bemerkte er, wie die Ameise nach einem Augenblick des Schwankens im Stande war, der Richtung, die die übrigen Ameisen eingeschlagen hatten, zu folgen.

Diese Beobachtungen veranlaßten Forel, weiter zu erkunden, welcher Sinn wohl der Ameise unter solchen Umständen zu statten käme. Er betont, daß man das Vorhandensein eines besonderen Richtungssinnes nicht annehmen dürfe und, daß in den zu seiner Beobachtung gekommenen Fällen die Ameisen, wenn sie ihren Weg finden sollten, unbeschädigte Fühler haben mußten. Er neigt daher zu der Ansicht, daß die Fähigkeit, die Richtung nach dem Neste wiederzufinden, dem Geruchssinn entspringt. Er meint ferner, der Geruch könne den Insecten sogar dazu dienen, sich einen Begriff von Raum zu bilden und in ihrem Bewußtsein eine gewisse Localisirung desselben hervorzurufen. »Eine Ameise«, sagt er, »unterscheidet vermuthlich die Eindrücke ihres rechten von denen ihres linken Fühlers. Sie unterscheidet auch und kennt mittels ihres Fühlers die beiden Seiten des Weges, so daß sie sich, wenn sie plötzlich an irgend eine Stelle des ihr bekannten Terrains versetzt wird, mit Hilfe ihrer Fühler sich unter den umgebenden Gegenständen zu orientiren vermag und weiß, in welcher Richtung ihr Nest liegt, so wie wir uns unter ähnlichen Umständen durch das Auge und durch die Erinnerung zurechtfinden.«

Damit ist aber der Wirkungsbereich des Geruchsinns noch nicht abgeschlossen, er kommt vielmehr noch in bedeutendem Maße in dem Geschlechtsleben der Insecten in Betracht.

Und auch die über diesen Punkt gesammelten Beobachtungen weisen auf's Zwingendste darauf hin, daß er seinen Sitz in den Fühlern hat.

Balbiani experimentirte mit eben ausgekrochenen Männchen des Seidenschmetterlings, die er von vornherein von den Weibchen getrennt gehalten hatte. Er theilte die Männchen in zwei Abteilungen, von denen er eine jede in eine besondere Dose einschloß. Den einen Theil der Männchen ließ er unbeschädigt, dem anderen schnitt er die Fühler an der Wurzel ab. Näherte er nun die Dose mit den unbeschädigten Männchen einem Tische, auf dem eine Schachtel mit Weibchen stand, so bewegten sich die Männchen lebhaft und schlugen auf mehrere Meter Entfernung mit den Flügeln. Wenn er dagegen die fühlerlosen Männchen den Weibchen näherte, sah er sie ruhig bleiben und nicht im Mindesten durch die weibliche Nachbarschaft erregt werden.

Dazu paßt eine Bemerkung Milne-Edwards vortrefflich, der erwähnt, daß die Entomologen oft beobachtet haben, wie männliche Nachtschmetterlinge von weither kamen, angelockt durch ein Weibchen ihrer Art, das in Wald oder Feld gefangen und in eine Schachtel gepackt in die Stadt geschafft worden war. Auch Forel machte eine ähnliche Erfahrung. Als nämlich einige Exemplare von Puppen des kleinen Nachtpfauenauges in seiner Stube ausgekrochen waren, stellte sich alsbald ein Schwarm männlicher Individuen dieses Schmetterlings an seinem Fenster ein, die sofort, als das Fenster geöffnet wurde, in die Stube flogen.

Im Einklang mit diesen Wahrnehmungen steht es denn auch, daß bei allen Insectenordnungen die Männchen weit entwickeltere Fühler besitzen als die Weibchen. Dieses Gesetz zeigt sich namentlich dann recht ausgeprägt, wenn sich die Weibchen von den Männchen durch ihre Lebensweise unterscheiden, wenn sie langsam und träge sind und sich an versteckten Orten aufhalten, so daß die Männchen um so mehr alle ihre Sinne anstrengen müssen, um ihre Genossinnen zu finden.

Die Thatsache, daß bei der Mehrzahl der Insecten die Fühler als Träger des Geruchssinnes befunden wurden, mußte die Forscher dazu anspornen, diesen Apparat auf seine anatomische Beschaffenheit mit den Hilfsmitteln der Wissenschaft zu untersuchen. Denn es ist klar, daß wenn in den Fühlern wirklich der Sitz des Geruchssinns localisirt ist, auch Organe vorhanden sein müssen, die durch ihren Bau sich als Geruchswerkzeuge ausweisen. Solche Organe hat man denn auch in geringer oder größerer Anzahl auf den Fühlern entdeckt. Obgleich diese Gebilde in ihrer äußeren Gestaltung vielfach von einander abweichen, so sind sie doch nach einem Grundplan gebaut. Ueber die Oberfläche der Fühler sind nämlich kleine Stäbchen, die Riechstifte, vertheilt, die sich im Grunde kleiner Grübchen befinden. Dies ist die gewöhnliche Form. Mitunter sind die Stifte auch im Innern des Fühlers eingeschlossen und verrathen sich nur durch die Grübchen, oder sie liegen, statt aus dem Boden der Grube hervorzuspringen, in einer Rinne versteckt. An diese Riechstifte treten nun Nervenfasern, welche die durch die Riechstifte aufgenommenen Geruchsempfindungen fortleiten.

Daß diese Organe wirklich Geruchswerkzeuge sind, beweist nebenbei der Umstand, daß sich die Grübchen bei denjenigen Insecten, die am schärfsten riechen, am zahlreichsten vorfinden. So zeichnen sich unter den Fliegen alle Arten, welche von verwesendem Fleische leben, durch eine große Zahl von Riechgruben aus. Die blaue Schmeißfliege hat 24 zusammengesetzte Riechgruben, andere Arten derselben Gattung haben 100 und mehr, während Volucellen, die Blumen besuchen und eine gänzlich andere Lebensweise führen, an jedem Fühler nur 2 oder 3 derartige Organe besitzen. Die Hymenopteren verfügen über eine besonders große Menge von Riechgruben. Hauser zählt ihrer gegen 14 000 bei der Biene und zwischen 13 000 und 14 000 bei der Hornisse. Bei den Käfern ist ihre Anzahl im Allgemeinen gering, aber der Maikäfer hat im weiblichen Geschlecht doch 35 000 und im männlichen Geschlecht 39 000 Grübchen an jedem Fühler.

Wie wir sehen, erreicht der Geruchssinn bei den Insecten eine Bedeutung, die in keinem Vergleich mit der Verwerthung dieses Sinnes in unserem eigenen Leben steht. Während er bei uns nur nebensächlich in Betracht kommt, tritt er bei den Insecten fortwährend bei den wichtigsten Lebensverrichtungen in Mitwirkung, so daß es nicht allzu gewagt erscheinen dürfte, ihn in der Insectenwelt als den ersten und hervorragendsten Sinn zu bezeichnen.

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