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Ein gefährlicher Fischräuber.

Naturwissenschaftliche Skizze von Professor Dr. W. Heß.


 

»Doch nicht mehr steigt das Federspiel,
Vorbei die Jagd mit Falk und Sperber,
Und traurig rauscht der Wald die Frage:
Wo bleiben sie, die frohen Tage?«

 

Die romantischen Zeiten der Reiherbeize, jenes aufregenden und poesiereichen Sportes, der im ganzen Mittelalter als eine ritterliche Hebung hochgeschätzt wurde, sind vorüber, aber das Wild, der stattliche Reiher, hat keinen Vortheil davon. Der erhebliche Schaden, welchen er durch Vertilgen zahlreicher Fische dem Menschen bringt, und die deshalb von den Fischerei-Interessenten erhobenen vielfachen Klagen haben zu einer energischen Verfolgung dieser Thiere theils durch Abschuß, theils durch Zerstörung der besetzten Horste Veranlassung gegeben. So wurden z. B. in den königlichen Forsten des Regierungsbezirkes Stade, wo zwei Reiherstände von Bedeutung im Forstorte Löh und Harseloh sich befinden, in den letzten sechs Jahren 3877 Reiher erlegt und im vorigen Jahre in Folge neuerer Verordnung 65 besetzte Horste mit 260 Jungen und Eiern zerstört.

Es ist daher sehr erklärlich, daß die Zahl der Fischreiher durch diese Verfolgungen sehr zurückgegangen ist. Dennoch aber ist er gegenwärtig noch gerade nicht selten geworden und überall, wo fischreiche Bäche und Flüsse sich durch die Thäler winden, eine gewöhnliche Erscheinung. Aber mit der Zeit wird er zum Heile der Fischzucht aus den Culturländern immer mehr zurückgedrängt werden. Der Naturfreund wird das Verschwinden des Reihers allerdings bedauern, denn er ist ein prächtiger Vogel, ein nicht geringer Schmuck der Landschaft.

In seinen Bewegungen ist der Reiher langsam und schwerfällig. »Gleichsam bedächtig schreitend ist sein Gang.« Im Fliegen wölbt er die langen, breiten, etwas abgestutzten Flügel sehr stark, legt den Kopf zurück, so daß der Hals S-förmig gebogen erscheint und streckt die langen Beine nach hinten aus. Beim Aufstiegen bewegt er die Schwingen sehr stark und namentlich, wenn er erschreckt wird, in lächerlicher Hast, ohne dadurch wesentlich größere Geschwindigkeit zu erzielen; auch speit er in solchem Falle, um sich leichter zu machen, die verschluckte Beute aus.

Früh des Morgens verläßt der Reiher den Baum, auf welchem er Nachtruhe hielt und fliegt über Schußhöhe in sein Jagdrevier. Lange kreist er dort hoch oben in der Luft und durchforscht die Umgebung erst recht gründlich, ehe er sich niederläßt. Mit gravitätischen Schritten schreitet er langsam das seichte Ufer der Gewässer entlang, watet auch wohl bis an den Bauch durch tiefere Stellen. Von Zeit zu Zeit bleibt er stehen, reckt den Hals hoch empor und schaut sich vorsichtig nach allen Seiten um, ob nicht eine Gefahr drohe.

Hat er eine geeignete Stelle zum Fischfang gefunden, so schreitet er langsam im seichten Wasser hin und her oder steht, den Hals zurückgebogen, so daß Kopf und Schnabel wagrecht auf der Gurgel ruhen, unbeweglich still, mit scharfem Blicke das Wasser durchspähend. Jetzt kommt arglos ein behendes Fischchen, eine flinke Forelle herangeschwommen. Blitzschnell stößt er den langen Schnabel in das Wasser und mit sicherem Griffe hat er sie erhascht. Einige kräftige Bisse genügen, sie zu tödten und den Kopf voran wird sie verschlungen.

So treibt es der Reiher den ganzen Tag über. Nichts entgeht seiner unausgesetzten Aufmerksamkeit. »Jede Bewegung im Wasser, unter ihm oder in dem ihn umgebenden Gestrüpp bemerkt sein reges Gaunergesicht, und stets sind bei aller scheinbaren Ruhe und Gleichgiltigkeit Raubsinn und Gier in ihm bereit, alles Lebende hinterlistig zu ermorden.« Denn wenn auch Fische seine Hauptnahrung sind, so nimmt er doch auch mit Fröschen, Muscheln, Insecten und deren Larven, Egeln und anderen Würmern vorlieb. Auch Vögel, alte und junge Sperlinge, junge Enten und Hühner u. s. w. verschlingt er, macht auch auf Schlangen, namentlich Nattern, Jagd und selbst das flinke Mäuschen ist, wenn er nichts Besseres erlangen kann, vor ihm nicht sicher.

siehe Biildunterschrift

Der Fischreiher.

Unersättlich ist seine Freßgier. Er stopft sich bis in den Hals voll. M. von dem Borne fand in Kropf und Magen eines Reihers zwölf handlange Karpfen; Baron von Droste-Hülshoff in einem anderen fünf je einen halben Fuß lange Aale. Bei der starken Verdauungskraft des Vogels, die so energisch ist, daß sie den ganzen Fisch sammt Schuppen und Gräten völlig auflöst und so rasch, daß sie häufige Nahrungszufuhr erfordert, kann man annehmen, daß er an einem Tage ein Schock solcher Fische verzehrt, und wenn er Junge hat, so wird die Zahl noch viel beträchtlicher sein.

Eine interessante Wechselbeziehung zwischen dem Huchen und dem Reiher erwähnt Professor Jäger. Der im Donaugebiete vorkommende Huchen ist ein arger Raubfisch. Sogar, wenn er gesättigt ist, kann er es nicht lassen, allen bei seinem Stande vorüberschwimmenden Fischen einen Biß zu versetzen. Der mehr oder minder schwer verwundete Fisch treibt dann als willenloses Spiel des strömenden Wassers abwärts. Dies weiß der Reiher sehr wohl. Er stellt sich unterhalb des Ortes, wo ein Huchen seinen Stand hat, dort auf, wo der Zug des Wassers gegen den seichten Strand in einem kleinen Falle über eine vorgeschobene Sand- und Geröllbank weggeht, und sammelt mit leichter Mühe die vom Huchen verletzten und von der Strömung ihm zugetriebenen Thiere.

Der Fischreiher ist außerordentlich scheu und mißtrauisch. Ein Fehlschuß sowie die Blitze und Donnerschläge eines nahen Gewitters versetzen ihn in die größte Angst. »Wir beobachteten,« erzählt Naumann, »an einem Feldteiche in einem Erdloche versteckt, ein paar Mal einige Fischreiher während solchen Wetters, und konnten uns über ihre Grimassen des Lachens kaum enthalten, als sie bei jedem heftigen, damals sehr schnell nach einander wiederkehrenden Blitze und Schlage mit Geschrei auffuhren, gerade in die Höhe sprangen und flogen, bei dem nächsten sich in der Luft fast überschlugen, umkehrten, sich wieder an's Wasser setzten und dies alles in, die höchste Angst verrathenden Abwechslungen wiederholten, so daß sie auch ein Fehlschuß nicht forttrieb, weil sie ihn vermuthlich für dasselbe Phänomen hielten. Sie benahmen sich gerade so, wie wenn fortwährend auf sie geschossen worden wäre, wie wenn aus jeder Richtung, wohin sie entfliehen wollten, immer wieder von Neuem Schüsse auf sie abgefeuert würden.«

Obgleich sonst ungesellig, mürrisch und streitsüchtig, horstet der Reiher doch gerne in Colonien und zwar nicht nur mit Seinesgleichen, sondern auch mit anderen Reiherarten, schwarzen Störchen, Kormoranen, sogar mit Staaren, Krähen u. s. w. zusammen. In Deutschland finden sich solche Colonien hauptsächlich in der Mark, in Pommern, Mecklenburg, Hannover u. s. w., und es gibt dort Reiherstände, welche hundert und mehr Nester zählen. Einzelne Paare nisten jedoch überall zerstreut.

Im April finden sich die Reiher bei ihrem Horste ein. Die meisten haben den Winter im warmen Süden verlebt, nur wenige bleiben im Winter bei uns. Der Horst befindet sich auf verschiedenen Bäumen, Eichen, Buchen, Fichten, Kiefern u. s. w., welche stets auf einer Höhe, niemals im Thale stehen, meist in der Nähe der Gewässer, zuweilen jedoch auch meilenweit von ihnen entfernt. Er ist ungefähr einen Meter breit, platt und kunstlos. Aeußerlich besteht er aus starken Reisern, welche nach dem Innern zu dünner werden und mit Rohrstengeln, Schilfblättern und Stroh vermischt sind, und ist mit einer geringen Lage von Haaren, Wolle, Federn und dergleichen ausgepolstert.

Ende April finden sich in ihm drei bis vier licht- oder blaßgrüne Eier von der Größe der Gänseeier, aus welchen nach drei Wochen die unbehilflichen, ungemein häßlichen Jungen ausschlüpfen. Dieselben sind äußerst gefräßig und scheinen von einem beständigen Heißhunger gepeinigt zu sein. Mit solch' gieriger Hast ergreifen sie die Beute, daß sie ihnen nicht selten wieder entgleitet und über den Rand des Nestes auf die Erde fällt. »Schon haben sie,« sagt Adolf Müller, »den stechendem Blick, umgeben von den hellen Augenwimpern und den schmutzig grünen Augenfeldern, schon zieht sich der bezeichnende schwarze Strich durch die Augen nach dem Nacken, der die Tücke des Gesichtsausdruckes noch vermehrt. Bald wird nach dem Stoßen der Fahnen aus sämmtlichen Kielen das Gefieder ihre unförmliche Blöße bedeckt haben und die Insassen auf die langen Ständer treiben. Bald darauf auch werden sich die flüggen Bewohner des Nestes mit unbehilflichen Flügelschlägen auf die nächsten Aeste ihres Standbaumes schwingen und von da aus die benachbarten Bäume besuchen, bis sie endlich nach sechswöchentlicher Pflege, von den Alten verlassen, ihre Schleich- und Diebeswege im nahen schilfbedeckten Riede oder in der Fluß- und Teichniederung selbst betreten, um eine zeitlang allabendlich wieder zur Nachtruhe auf den Nestrand zurückzukehren.«

In einer Reihercolonie sieht es zur Zeit, wenn die Jungen ziemlich erwachsen sind, nicht gerade einladend aus. Die dünnflüssigen, ätzenden, weißen Excremente bedecken Stämme und Aeste, so daß sie wie mit Kalk übertüncht erscheinen. Die zarten Zweige sind geknickt und abgebrochen. Die Blätter und Nadeln sind von den Excrementen ertödtet, so daß die Bäume sowie der Unterwuchs absterben. Professor Altum gibt eine anschauliche Schilderung einer solchen Colonie: Schon aus der Ferne war der Anblick überraschend. Die von den Reihern besetzte Bestandesfläche glich einem abgebrannten Dorfe, in dem die nackten Sparren etwa hie und da noch mit den Resten der früheren Strohdächer behangen in die Luft emporragen. In der Nähe enthüllten sich diese räthselhaften Stangen und Stümpfe als die Spitzen alter Eichen und die Strohklumpen als eine Menge Horste. Uebermäßig stark war der Stand nicht, denn er enthielt nur 91 besetzte Horste; aber letztere standen so dicht, daß eine der alten Eichen allein dreizehn derselben trug.«

Auf dem ebenfalls von den Excrementen weißen Boden liegen überall verwesende Fische, Frösche, Mäuse und andere Thiere, welche einen unerträglichen Gestank verbreiten, sowie zahlreiche Federn, zerbrochene Eierschalen und hier und da der Leichnam eines jungen Reihers, welcher aus dem Neste gefallen ist. Dazwischen kriecht und fliegt eine Menge des verschiedensten Ungeziefers.

Die Sorge für die Jungen läßt den Reiher oft seine Furchtsamkeit und Vorsicht vergessen und er fällt alsdann leichter dem Jäger zur Beute. Aber trotz der Liebe zu seinen Jungen, für die er unermüdlich sorgt und sich selbst die größten Entbehrungen auferlegt, wagt er nicht, sie zu vertheidigen, wenn ihnen Gefahr droht. »Auffallend,« sagt Baldamus, »ist die wirklich lächerliche Furcht dieser mit so gefährlichen Waffen ausgerüsteten Reiher vor allen Raubvögeln und selbst vor Krähen und Elstern. Die Räuber scheinen das auch zu wissen; denn sie plündern jene Ansiedelungen mit einer großartigen Unverschämtheit, holen die Eier und Jungen mitten aus dem dichtesten Schwarme heraus, ohne daß sie mehr als ein gräßliches Schreien, furchtsames Zurückweichen, einen aufgesperrten Schnabel und höchstens einen matten Flügelschlag zu erwarten haben. Wohl aber habe ich gesehen, daß ein ziemlich erwachsener junger Reiher mit gesträubtem Gefieder und aufgeblasener Kehle nach einer Elster stieß, welche ein auf dem Rande seines Nestes gestütztes Nachtreihernest plünderte. Auch gegen den Menschen setzen sich solche junge Reiher fauchend und stechend zur Wehre, aber nur dann, wenn sie, auf den äußersten Rand ihres Nestes gedrängt, zur Verzweiflung getrieben sind.«

Die Reiher erreichen ein verhältnißmäßig hohes Alter. Man hat gefangenen jungen Reihern einen Ring mit der Jahreszahl um die Ständer gelegt und ihnen die Freiheit wiedergegeben. Solche Thiere sind nach fünfzig bis sechzig Jahren wieder in die Gewalt des Menschen gerathen. So wurde im Mai 1723 zu Laxenburg ein Reiher gefangen, welcher einen Fußring von Ferdinand III. mit der Jahreszahl 1651 trug.

Zur Zeit der Reiherbeize wurden die Reiher in den sogenannten Reiherständen gehegt, um stets das Wild zu diesen Jagden zu haben. Einige derselben haben sich bis auf unsere Zeit erhalten, so z. B. der Reiherstand in dem Duberower Forst bei Königswusterhausen nicht weit von Berlin.

Zur Reiherbeize wurden früher ausschließlich Falken benützt, welche mit großer Mühe und Geduld zu derselben abgerichtet wurden. Die Jagd mit dem Falken ist sehr alt. Schon in den Nibelungen heißt es:

»Es träumte Kriemhilden in Tugend der sie pflag,
Wie einen wilden Falken sie zöge manchen Tag.
Den ihr zween Aaren erwürgten, daß sie das mußte seh'n,
Ihr könnt' auf dieser Erde kein größeres Leid gescheh'n.«

Auch Kürenberg (um 1150) erwähnt die Abrichtung des Falken in einem seiner Lieder:

»Ich zoch mir einen valken
mere danne ein Jahr
do ich in gezamete
als ich in wolte han,
und ich in sin gevidere
mit golde wol bewant,
er huop sich up vil hohe
und flug in anderin lant.«

Die Abrichtung des Falken zur Reiherbeize war im Mittelalter eine förmliche Wissenschaft und der Kaiser Friedrich II. schrieb in lateinischer Sprache eine Abhandlung über diese Kunst.

Die Erfindung des Pulvers und des Feuergewehrs verdrängten die Reiherbeize immer mehr und mehr und in den meisten Ländern ist sie schon längst unbekannt geworden. Nur in einzelnen Gegenden hat sie sich noch erhalten. So findet man die Jagd mit dem Falken noch in Nord-Bosnien. Indessen sind die Wanderfalken, welche man früher ausschließlich benutzte, jetzt dort sehr selten geworden. Im Jahre 1889 fand sich nur noch ein einziges Exemplar, der Stolz seines Besitzers. Man hat daher den Sperber abgerichtet und betreibt mit ihm die Jagd auf kleines Geflügel, welche wohl nur selten einträglich ist und wie die Reiherbeize nur als reines Vergnügen der Vornehmen betrachtet werden muß. Auch in Holland hat sich die Reiherbeize, namentlich in Geldern, noch erhalten und befinden sich dort noch zwei Falknereien mit gegen 50 Falken. In England hat man sich in neuerer Zeit der Reiherbeize wieder zugewandt, und Kaiser Wilhelm II. hat die Absicht, sie auch in Deutschland wieder einzuführen. Ob dadurch die alte Herrlichkeit der Beizjagden wieder neu entsteht? Wir glauben es kaum. In dem modernen Rahmen wird die Reiherbeize ein ganz anderes Bild gewähren wie in den entschwundenen Zeiten des alten Ritterthums.

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