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Vom Donaustrande bis zum Griechischen Meer.

Von Eduard Förster.


Es war im Sommer vergangenen Jahres. Ich schwamm auf dem majestätischen Strome, dessen geringster Vorzug es gewiß nicht ist, das trotz Paris, Berlin und Petersburg noch immer unerreichte Wien auf seinem Ufer zu tragen. Das elegante Dampfboot, das mich aufgenommen, bewegte sich jedoch weit unterhalb der herrlichen Kaiserstadt, ungeheure grüne Tiefebenen rechts und links verriethen, daß wir uns auf ungarischem Grund und Boden befanden. Nur vor uns in der Ferne unterbrach ein zwar nicht allzu hoher, jedoch isolirter und steil aufgebauter Höhenzug die große Einförmigkeit. Auf seinem Rücken gewahrten wir, näher gekommen, ausgedehnte, aber altersgraue und halb verbröckelte Festungswerke mit Thürmen und Bastionen und dahinter eine weißglänzende Stadt, aus deren Häusermasse sogar schon ein spitzes Minaret, der erste Bote des unfernen Orients, aufragte. Wir hatten Belgrad vor uns, das einst so viel und heiß umstrittene Bollwerk in dem jahrhundertelangen Verzweiflungskampfe zwischen Kreuz und Halbmond. Die alte Stadt hat heutzutage freilich die Rolle gewechselt, sie ist zur Anfangsstation jener großen Schienenstränge geworden, welche die Balkanhalbinsel in friedlichem Wettbewerb der Cultur gewinnen sollen.

Jetzt legt unser Schiff auch bereits am Fuß des Festungsberges an. Wir steigen aus, empfangen von martialisch dreinblickenden Grenzsoldaten, die darüber wachen, daß wir uns nicht der leidigen Gepäckrevision entziehen. Dann stehen wir auf einer Straße, welche uns den ersten Vorgeschmack vom Morgenland beibringt. Kopfgroße, glatte Steine zwischen tiefen, kothigen Löchern so vereinzelt eingestreut wie die lieben Sternlein am nachtdunklen Himmel. Ist diese lateinische Zeile überwunden, so geht es keuchend auf mehr denn hundert Holzstufen empor. Um so größer ist die Ueberraschung oben. Da gibt es um die altehrwürdige Veste her einen prächtigen Park mit exotischen Gewächsen und ahnungsvollen Ausblicken in das zu Füßen wie eine Karte aufgerollte ungarische Flachland. Hinter der herrlichen Promenade schließt sich die Stadt an.

siehe Biildunterschrift

Alexander, König von Serbien.

siehe Biildunterschrift

Serbischer Bauer mit Sohn.

Belgrad ist zur Zeit in nichts mehr der schmutzige orientalische Ort von ehedem. Es präsentirt uns breite Straßen mit Trottoirs und modernen Prachtbauten rechts und links, in deren glänzenden Schauläden die Waren von ganz Europa prunken. Wer noch realere Genüsse sucht, findet selbst einen trefflichen Trunk böhmischen oder bayrischen Bieres in eleganten Kaffeehäusern.

Ich erlebte sogar eine imposante Machtentfaltung des jungen Staates. Man feierte die Niederlage auf dem Schlachtfelde von Kossowo-Polje, die vor mehr denn 500 Jahren dem altserbischen Kaiserreiche den Todesstoß versetzte – mein Gott, Siege, die man festlich begehen könnte, hat das Völkchen eben kaum aufzuweisen. Vor der Kathedrale hielten stramme Chasseurs zu Pferd, Officiere in goldstrotzenden Uniformen strömten in das Innere. Nun kam auch der König – nicht, wie ich erwartet hatte, ein blasser, scheuer Knabe, sondern eine stolze Jünglingsfigur mit knospendem Vollbart und echt adliger Haltung.

Wenig später schritt ich zu dem in der Niederung gelegenen Bahnhofe hinab. Dort kann man sehen, was für Wunder die Anlage der Orientbahnen inmitten der Wildniß hervorgezaubert hat. Hallen, Warteräume, langgestreckte Perrons, alles von elektrischem Licht erhellt, wie im Herzen von Europa, dazu ein internationales Reisepublicum, Engländer, Russen, Franzosen, die von fein uniformirten, sogar beim Coupiren Glacé-Handschuhe tragenden, französisch redenden und ebenso auch französisch höflichen Schaffnern in den prächtig aus gestatteten Coupés erster oder zweiter Classe untergebracht werden. Nur bei der dritten Classe guckte die Bärentatze der Uncultur noch durch. Fürchterlich zerlumptes Gesindel mit braunschwarzer Haut drängte sich dort hinter den mit Eisenstäben vergitterten Fenstern wie in einem Käfig. Eins der Coupés war sogar zu einem kleinen Harem improvisirt worden, denn dort hockten ausschließlich dicht vermummte Frauengestalten, und der gläubige Muselmann, der zufällig in die Nähe kam, wendete sofort den Kopf nach der andern Seite.

Doch da ein Pfiff, der Zug dampft in das unbekannte Land hinaus. Der Anfang der Fahrt heimelt wunderbar an. Wir durchschneiden einen weiten Forst uralter Eichen, in deren Schatten ganz ungenirt Hirsche und Rehe grasen. Das ist der berühmte Park von Topschidere. Die kleine Idylle hat jedoch auch Blut aufzuweisen, denn hier wurde seiner Zeit der Großvater des jetzigen Serbenkönigs, Milan III., von Verschwörern umgebracht.

Die dann folgende Landschaft bietet wenig. Es ist ein vielgewelltes, gut mit Mais, Hanf und dergleichen bestandenes, aber nur schwach bevölkertes Terrain. Charakteristisch für dasselbe sind die überall zerstreut in den Feldern stehenden Eichbäume, die das ganze wie einen Obstgarten erscheinen lassen. Weiter nach Süden zu ändert sich die Gegend. Ausgedehnte, saftig grüne Tabakpflanzungen geben ihr einen weicheren Ton, mehrfach zieht sich auch das Thal der Morawa, die das Land in seiner ganzen Länge durchschneidet und damit eine treffliche Naturtrace für den Schienenweg bot, schluchtartig zusammen und bildet Naturpforten, die auf einem so uralten Kampfesboden, wie diesem, selbstverständlich eine bedeutsame Geschichte haben. Bezeichnenderweise ist das Erdreich daselbst auch von Eisenocker roth gefärbt wie von geronnenem Blute.

siehe Biildunterschrift

Serbische Bäuerin.

Auch die menschlichen Ansiedlungen sind so tief im Innern Serbiens zahlreicher und ansehnlicher. Es grüßt uns vom Fuß eines Berges her das freundliche Alexinatz, noch vor 16 Jahren nach der Erstürmung durch die türkischen Horden der Schauplatz haarsträubender Greuel, und mehr noch überrascht uns Nisch, das Centrum von ganz Südserbien.

Dieses vielgenannte Zwinguri, das durch lange Jahrhunderte hindurch in der Hand des Islam war und in welchem dereinst in schroffstem Contraste dazu der Kaiser, der dem Christenthum die staatliche Sanction gab, Constantin der Große, geboren wurde, hat eine anmuthige Lage. In seine weite, wasserdurchrauschte Fruchtebene schaut der erste Vorposten des nicht mehr fernen Balkangebirges, die Suwa Planina, ein dem Matterhorn ähnlicher, kahler, wildzerschrundeter Felszahn von fast 8000 Fuß Höhe herein. Interessanter aber noch, als die Natur, ist daselbst das Werk von Menschenhand. Die ersten Fluthen des angrenzenden Orients schlagen hier so zu sagen in das letzte Stück Abendland herein. Die Straßen sind noch breit, die sauberen Häuschen unvergittert, wie in Ungarn, indeß sieht man in den völlig offenen Buden, die ihre Erdgeschoße bilden, bereits in das Thun und Treiben der Handwerker und Kaufleute, in Küchen und Backöfen hinein und neben serbischen Weibern in ihrer reichen Nationaltracht huschen verschleierte Türkinnen über die Gasse.

Für Kehle und Magen darf man dagegen in einer derartigen Provinzialstadt noch nicht viel erwarten. Die mit den neugeschaffenen großen Transitlinien durch die bisher so verschlossenen Balkanländer rauschende Cultur eilt zur Zeit noch an ihnen vorüber und berührt sie kaum mit dem Saum ihres Gewandes. So tragen die Hotels in Nisch wohl hochtrabende französische Namen und drinnen liegen reichhaltige Menüs auf, in Wahrheit unterscheiden sich diese Häuser jedoch bezüglich ihrer Leistungen von den elendesten deutschen Bauernkneipen nur durch die staunenswerth hohen Rechnungen, die der Gast erhält.

Nun, so gehen wir denn mit leichterer Börse, aber auch mit leichtem Herzen aus dieser Stadt weg, letzteres um so mehr, als unser von da ab die eigentlichen Glanzpartien der ganzen Fahrt warten. Die Scenerie erscheint bald nach der Abreise total verändert. Statt des meist offenen Terrains von vorher enge, dicht bewaldete Schlünde, in deren Tiefe die schrillen Pfiffe der Locomotive unheimlich widerhallen. Statt der in grelles Weiß gehüllten Figuren harmloser Landleute, welche bis dahin die grünen Felder belebten, jetzt nur noch da und dort verwilderte Zigeunerbanden oder Heerden schmutziger Schweine.

siehe Biildunterschrift

Albanesen.

Doch es kommt bald noch besser. Erst wenige Stunden sind wir unterwegs. Da rollen wir über ein kleines, trübgelbes Nebenflüßchen und passiren ein baufälliges Schilderhäuschen, vor welchem ein alter, griesgrämiger Soldat in abgeschabter Uniform baarfuß Wache steht. Das rothe Fez auf seinem kahlen Schädel sagt Alles: Wir sind in der Türkei angekommen. Und wollten wir's noch nicht glauben, so kommen alsbald auch einige Proben türkischer Wirtschaft unserem Verständniß zu Hilfe.

Wir halten vor dem Grenzbahnhofe, das Fegefeuer der Gepäckrevision, nirgends in der Welt so peinlich und rücksichtslos wie im Bereich des Halbmondes, beginnt. Ein Reisehandbuch und eine Schachtel mit Insectenpulver, zwei für einen Orientreisenden doch ganz unentbehrliche Dinge, erregen allgemeines Schütteln des Kopfes. Das erstere wird um und um gewendet, das letztere gar beschnüffelt und berochen, natürlich mit aller Vorsicht, denn das gelbliche Mehl könnte am Ende gar explodiren, und das in einem Lande, wo die lästigen Insecten, auf die das Präparat berechnet ist, eine leider so bedeutende Rolle spielen!

Doch die Zollplackereien wollen noch nicht einmal etwas bedeuten gegen Erscheinungen ernstester Art, mit denen wir es bald darauf zu thun haben. Der Zug setzt sich wieder in Gang, aber wie denn? – sind wir wirklich noch im civilisirten Europa? Die lange Flinte über dem Rücken schreitet der Bauer hinter seinem Pfluge und selbst die »göttlichen« Rinderhirten starren von Waffen. Da kann's freilich mit dem vielbesungenen griechischen Schäferleben noch nicht weit her sein. Natürlich kargen jetzt auch Einheimische, die mit uns etwa das Coupé theilen, nicht mit wahren Schauergeschichten. Da sind erst vor 8 Tagen in einem benachbarten Städtchen sechs Briganten standrechtlich erschossen worden, gestern wurde sogar ein echter Räuberhauptmann aus einer leeren Cisterne geholt, wohin die Blutspur aus einer Wunde die Späher gelenkt, auf einem Bahnhofe, den wir passirten, mußte wenig früher der Stationschef sein Leben unter Mörderhänden aushauchen, während seine durch die Hilferufe aufgeschreckte Frau vom Fenster aus zusah; ja, schließlich zeigte man uns selbst einen beiläufig deutschen Ingenieur, der im Vorjahre von einer Bahndräsine aus, auf der er fuhr, nach Niederschießung seines Gefährten ins Gebirge geschleppt und dann nur gegen hohes Lösegeld freigegeben worden war.

Unter solchen gruseligen Verhältnissen machte mir eine Kleinigkeit doppeltes Vergnügen. Auf jedem Haltepunkte deuteten die Schaffner ihre Bereitschaft zum Weiterfahren durch ein kräftiges deutsches »Fertig« an, obwohl doch kaum einer von ihnen unserer holden Muttersprache mächtig war. Die Erklärung lag freilich nahe, sie hatten das schneidige Commandowort aus der Zeit des meist von deutschen Ingenieuren geleiteten Bahnbaues beibehalten, jedenfalls ohne zu ahnen, daß dasselbe ihnen bei dem bilderreichen Orientalen auch zu einem Spitznamen verhelfen sollte. Denn geradeso wie die Türken den Kaffeewirth schlechtweg Kaffeedschi, und den Diener, der die Pfeifen unter sich hat, Tschibukischi nennen, so heißen jetzt jene Bahnbeamten im ganzen Lande »Fertigischi.«

siehe Biildunterschrift

Albanesin.

Es traten bald jedoch auch noch großartigere Dinge auf, um uns über die Rinaldo-Rinaldini-Geschichten hinwegzuhelfen. Wir fuhren die Wasserscheide zwischen Donau und Aegäischem Meere, eine niedrige und an sich interesselose Bodenschwelle, hinan. Aber droben, alle Wetter, unvermuthet ein ganzes Alpenpanorama, wie es etwa der genießt, welcher, aus dem flachen Norddeutschland kommend, sich der bayrischen Hauptstadt nähert. In weitem Bogen vor uns hinziehend eine himmelragende dunkle Gebirgsmauer, da und dort mit blinkenden Schneestreifen geziert. Das ist der nicht weniger als 10 000 Fuß hohe Schar Dagh, der König aller Erhebungen der Balkanhalbinsel, nur leider, wie man sich denken kann, eine noch wenig gekannte Größe.

Jetzt rollen wir auch schon auf der anderen Seite unseres Passes hinunter und sofort gibts auch einen reizvollen Vordergrund zu dem majestätischen Abschluß des Horizontes. Wir blicken in ein langgezogenes, breites, von den üppigsten Fruchtgefilden eingenommenes Thal hinab. In ihm fließt der Wardar, der uns fortan begleiten wird bis zu unserem fernen Ziel am Griechischen Meere.

In der Tiefe angekommen, neue Ueberraschung. Ueber einen isolirten Hügel breitet sich eine ansehnliche Stadt aus. Aus dem mehrfach von grünen Gärtchen unterbrochenen Häusermeere steigen wohl ein Dutzend spitzer Minarets empor. Das Ganze krönt ein altes, trutziges Kastell, das freilich von den ungeheuren Zinnen des Schar Dagh, die sich wie Coulissen dahinter aufthürmen, stark in Schatten gestellt wird. Wir sehen Uesküb, den malerischsten Ort wohl der ganzen europäischen Türkei, vor uns.

Das ist schön und doch noch immer steigern sich die Effecte. Wir sind nur erst eine kurze Zeit von Uesküb aus am Wardar-Flusse abwärts gefahren, da sehen wir rechts und links das Terrain gleich einem riesigen Kirchendache zu uns abfallen. Auf diesen beiden Hängen stehen nun zahllose braune Holzhäuschen mit rostrothen Ziegeldächern, alle sind überaus den baumlosen, völlig nackten Lehnen so eng zusammen gedrängt, daß wir mehr an die Panzerschalen eines colossalen Schuppenthieres denken möchten, denn an eine menschliche Ansiedlung. Der merkwürdige Ort, weniger schön als originell, führt den Namen Köprülü.

Es wird eben nunmehr mit jedem Schritt Alles um uns her so zu sagen türkischer, selbst der Feldbau. So sehen wir bald hinter der eben erwähnten Stadt große Flächen mit lauter hohen Stengeln bestanden, die oben dicke Kuppen tragen, Kobolden ähnlich, deren plumpe Köpfe auf spindeldürren Beinchen balanciren. Es sind Mohnpflanzungen, die dem träumerisch angelegten Morgenländer das geliebte Opium liefern.

Immerhin vollzogen sich aber doch die Uebergänge bisher mehr allmälig. Jetzt werden wir jedoch auch eine plötzliche und unvermittelte Bühnenverwandlung erfahren. Ein quer vor uns hingestreckter grünbebuschter Kalkrücken scheint mit einem Male die Welt abzuschließen. Erst wenn wir ganz nahe gekommen sind, entdecken wir in dem mächtigen Wall eine enge schwarze Spalte, in welche sich der eben noch so träge Wardar-Fluß brausend und tosend hinein verliert. Auch unser Dampfroß muß durch diese hohle Gasse, doch war man wegen ihrer so geringen Breite genöthigt, ihm eine Bahn in die senkrechten Felswände einzusprengen.

Diese wirklich großartige Passage trägt den bei den phantasiereichen Orientalen so beliebten Namen des Eisernen Thores. Eine Pforte und zwar eine solche, die in eine völlig neue Welt hinein führt, die Thürschwelle zwischen dem kalten Norden und dem warmen Süden, ist dieselbe allerdings. Denn sofort wenn die ganze beiläufig mehrere Stunden lange, bald erweiterte, bald wieder scharf zusammengeschnürte Flußenge hinter uns zurückgeblieben, sehen wir uns wie durch Zauberei in den »Garten der Hesperiden« hineinversetzt. Eine unermeßliche Fläche, die Wardar-Ebene, eines der gesegnetsten Stücke europäischer Erde, rollt sich wie eine Landkarte vor uns auf, Maulbeeren, Oliven, Mandeln, Feigen, Orangen, Myrthen, Lorbeeren, die zarten Kinder Floras, von denen wir bei uns unter Tannen nur träumen, begrüßen uns von allen Seiten.

Wir sind wie berauscht. Und doch das Beste kommt noch. Mit einem Male blitzt es hell in der Ferne vor uns auf und neben dem blinkenden Spiegel taucht eine himmelhohe Berggestalt empor, den Scheitel wie ein Greis im Silberhaar, mit leuchtender Schneelage bedeckt. Unsere Augen erblicken das Griechische Meer und den ehrwürdigen Götterthron Olymp. Wer sollte sich in einem solchen Augenblick nicht zurückversetzt fühlen in die schöne Zeit, wo er noch auf der Schulbank saß und seinen Homer studirte!

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Spaniolin.

Doch es bleibt uns wenig Zeit zum Träumen. Windschnell durchschneidet unser Zug das kleine Paradies, um dann in einen geräumigen Bahnhof hineinzulaufen, in welchem schon das Geschrei der Lastträger und das wilde Gezeter der um uns und unser Gepäck einen wahren Verzweiflungskampf kämpfenden Droschkenkutscher uns verrathen würde, daß wir einen der größeren türkischen Stapelplätze erreicht haben.

In der That sind wir unvermerkt an unserem Ziel, in Saloniki angelangt. Dasselbe bietet zugleich den Höhepunkt unserer ganzen Excursion. Freilich ist Saloniki nichts weniger als eine schöne Stadt in modernem Sinne, eher schmutzig, winklig und ruinenhaft, eben ein Stück Orient, aber noch so echt und unverfälscht, daß wer ein solches sehen will, viel besser thut, hierher zu gehen, als nach dem schon so vielfach von dem Firniß europäischer Gesittung überpinselten Stambul.

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Vornehme Griechin.

Das ganz unsagbar bunte Völkergewühl Salonikis, das ebenso Bulgaren von der Donau wie Griechen aus dem tiefsten Süden, Italiener von der Adria und Russen vom Schwarzen Meere aufzuweisen hat, besitzt zudem noch ein besonderes Specificum. Von seinen 100 000 Einwohnern sind nahezu drei Viertel Juden, aber nicht solche von dem bekannten mitteleuropäischen Schlage, sondern sogenannte Spaniolen, Abkömmlinge jener Israeliten, die einst unter König Ferdinand und seiner bigotten Gemahlin Isabella der Katholischen aus Spanien ausgetrieben wurden und sich nun hier unter Wahrung ihres Typus wie mancher Absonderlichkeiten bis heute erhalten haben. Beispielsweise findet man unter ihnen ganz im Gegensatz zu ihren Stammgenossen in der übrigen Welt nicht nur steinreiche Großkaufleute, sondern auch zahllose Handwerker und Taglöhner, namentlich Lastträger, die u. a. selbst ganze Claviere auf ihrem breiten Rücken befördern.

siehe Biildunterschrift

Tanzende Derwische.

So fesselnd aber auch Saloniki, das beispielsweise aus der Zeit, wo es noch ein Vorort des jungen Christenthums war, manche prächtigen, gegenwärtig freilich als Moscheen dienende uralte Kirchen sich bewahrt hat, in seinem Innern erscheint, wird es trotzdem von außen besehen immer noch den tiefsten Eindruck machen. Altersgraue, mit Zacken und Zinnen versehene Cyklopen-Mauern umrahmen noch die gewaltige Häusermasse, die, einem Ameisenhaufen vergleichbar, sich hoch an einem Hügel empor baut bis zur festen Akropolis auf der Spitze. Nach vorn aber bespült das weite, tief blaue Meer die belebten Straßen.

Steht man hier, am mächtigen Golf, wo sich einst die Triaren des Alterthums schaukelten, wo sich noch jetzt der alte Olymp in den Fluthen spiegelt, so wird das ganze untergegangene Hellenenthum wieder vor dem geistigen Auge lebendig.

Ich denke aber, gleichzeitig werden auch Zukunftsgedanken auftauchen, Gedanken an eine bereits im Anbrechen begriffene Zeit, wo diese ganzen in Todesschlaf befangenen Gebiete wieder erwachen, wo auf dem vorliegenden geschilderten großen Wege der Handel Oesterreichs und selbst Deutschlands hierher fluthen und Saloniki von Neuem werden wird, was es einst gewesen: der Haupthafen der gesammten griechischen Gewässer.

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