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Die Reise um die Erde.

Erzählung von Ernst Otto Hopp.


I.

Wenn du von der Wasserseite her dich an einem Morgen, der Licht und Glanz und Glut hat, der alten Hansestadt Stralsund näherst, scheint sie aus den Fluten wie eine Königin des Meeres emporzutauchen; Masten und Spitzen von Thürmen und grün schimmernden Kuppeln verleihen ihr einen großartigen Anblick. Wie ein Venedig des Nordens, glanzvoll und herrlich, liegt sie mit ihren mächtigen Kirchen am Sunde, der das pommersche Festland von dem lieblichen rügenschen Eiland trennt, zwischen den großen Teichen, die sie von der Landseite her fast abschließen, und der kleinen Insel im Gellen, die ihren Namen nach den Dänen führt, welche manch ein blutiges Gefecht vor den Thoren von Stralsund und in den Gewässern um Rügen ausgekämpft haben. Aus der weitab liegenden Geschichte dämmern große Namen auf: Wallenstein – Niels Juel – der große Kurfürst und der zwölfte Karl – und der Sund und die trutzigen Festungswerke hallen von Dampf und Geschrei und den Rufen im männermordenden Streite wider. Dann kommt eine neue Geschichtsära – es blitzen die Bajonnette einer französischen Division auf, und da kommt Schill angesprengt, der kühne und lustige und leider nie ganz nüchterne Husar, der in der Fährstraße vom Pferde sank – hernach wird es still und immer stiller. Mit den abziehenden Schweden kehrt die nationale Gesinnung wieder, aber nicht das frische Leben, das sie mitgebracht hatten, und die Handelsthätigkeit; Stralsund zehrt vom alten Ruhme und zehrt nicht nur die Zinsen, sondern auch das Capital allmälig auf. Die Fahrrinne versandet, und der Hafen verödet; immer kleinlicher wird die Lebenaussicht, und die Spötter sagen schon, daß das Gras in den Straßen wächst.

Vor einigen Jahrzehnten, zu der Zeit als in Stralsund noch einige Schiffe gebaut wurden, lief dort ein dreimastiges Vollbarkschiff vom Stapel, das nicht einem Manne, sondern, wie es heute so vielfach gebräuchlich ist, einer Gesellschaft der unternehmendsten Bürger gehörte. Die Hauptstützen des für waghalsig geltenden Unternehmens waren zwei Brüder, die vom Urgroßvater her Häuser und Grundstücke und Schiffsparten besaßen und für wohlhabend, wenn nicht für reich galten. Nach ihnen taufte man das große schöne Schiff »die zwei Brüder.« Die beiden Haupttheilhaber besorgten sich einen Capitän, der für tüchtig galt, und heuerten die nöthige Mannschaft; sie selber aber blieben ruhig in ihren Comptoiren hinter den Hauptbüchern sitzen und addirten 178 mit 135 und noch viele andere Ziffern und gingen am Abend zu Brachtz, um dort Bier zu trinken und Sooleier zu essen, wie es stadtüblich war, und überließen das Schiff, nachdem sie die erste Fracht besorgt, seinem weiteren Schicksal.

Aber nicht von diesen zwei Brüdern, deren Lebenslauf sich nach »Philisterweise« gleichmäßig und ohne Katastrophen abspann, soll hier die Rede sein, sondern von zwei andern Brüdern, die auf dem guten Stralsunder Vollschiff »die zwei Brüder«, der eine als zweiter Steuermann, der andere als Vollmatrose Dienst genommen hatten. Es waren dies Adalbert und Eduard Palm. Der ältere, Adalbert, hatte eben sein Steuermannsexamen auf der Stralsunder Navigationsschule glücklich abgelegt und war frischweg nach der Prüfung auf den »zwei Brüdern« angenommen und verpflichtet worden; der jüngere, Eduard, der, wie es hieß, vielleicht ein ganz klein wenig leichtlebiger und lockerer war, hatte es noch aufgeschoben, sich abfragen zu lassen. Obwohl er in allem Praktischen tüchtig Bescheid wußte und als Matrose nicht nur wegen seiner Wagehalsigkeit, sondern auch seiner Verläßlichkeit halber geschätzt wurde, hatte er doch eine besondere Scheu, sein Wissen der Theorie zu bekennen, er glaubte, »darin etwas rostig geworden zu sein.« Die beiden Brüder waren wortkarg und verschlossen, echte und mächtige plattdeutsche Jungens. Als Adalbert mit der Prüfung durch war, hatten beide sich in den stillen Hafen eines guten alten Wirthshauses begeben und einige Quart von schönem, steifem Grog in ihrer Freude genossen. Geredet hatten sie nicht viel dabei und keine Toaste ausgebracht, sie hatten sich nur öfters liebevoll dabei angesehen, umso freundlicher, je mehr Alkohol sie verzehrten. Nein, viel Wesens machten Leute ihres Schlages nicht, sie prunkten auch gar nicht mit ihren Gefühlen; aber hätte Jemand Uebles über Eduard geredet, und Adalbert hätte es gehört, so hätte es an einer Auseinandersetzung nicht gefehlt, und Eduard war gewißlich bereit, seinem Bruder Adalbert jederzeit denselben Liebesdienst zu leisten. Es war möglich, daß sie sich um Kleinigkeiten zankten, und daß sie verschiedener Meinung waren; allein wo es irgendwie darauf ankam, hielten sie fest zusammen. Bei Balgereien zwischen den Strandträgern und den Matrosen, wie sie in Stralsund früher üblich waren, kämpften sie Schulter an Schulter, und bei einer Messerstecherei mit den Danskens, die sich in Stettin ereignete, hatte Eduard den Adalbert herausgehauen; ein paar tüchtige Narben, die beiden zum Andenken geblieben waren, erzählten von diesem Zusammentreffen und Zusammenhalten. Dabei sahen sie sich so ähnlich, daß schon ein scharfes Auge dazu gehörte, sie zu unterscheiden; Eduard war eine Kleinigkeit höher und Adalbert eine Kleinigkeit dicker, auch war der ältere von beiden um eine Schattirung dunkler.

Das gemeinsame Leid des Familienlebens hatte es bewirkt, daß sich beide noch dichter an einander schlossen, wie es sonst wohl der Fall gewesen wäre. Ueber Frau Palm, die Stiefmutter, war wenig Erfreuliches zu berichten, denn sie genoß eines bösen Leumundes seit je. Den alten Vater Palm hatte die zweite Frau in die Grube hineingeärgert; so lange sie noch leidlich jung war, erregte ihr lockerer Lebenswandel Anstoß, und als ihre Reize verblüht waren, legte sie sich auf den Betrieb von allerlei »anonymen« Geschäften, die oft hart an die Grenze streiften, wo die Schicklichkeit aufhört und die Einsicht oder das Interesse der hohen Polizei beginnt. Ihre Spelunke, die in einer entlegenen Ecke der Hafengasse stand, war ein Schlupfwinkel für seefahrendes Gesindel, das Muscheln, gestohlene Tauenden und allerhand verheimlichten oder bei Seite gebrachten Kram bei ihr versetzte und verhandelte. Dabei war ihr Grog abscheulich und ihre Gemächer waren nicht sehr appetitlich. Ihre keifende und hadernde Stimme war weithin vernehmlich und leicht kenntlich; sie übte in ihrem Viertel eine Art Herrschaft aus, denn Jedermann fürchtete sie. Selbst der gestrenge und würdevolle Herr Bürgerworthalter, dessen schmuckes altes Giebelhaus nicht sehr entfernt lag, ging ihr aus dem Wege; gegen ihre gewandte Zunge und ihre rücksichtslosen Manieren konnte er nicht aufkommen. Die Sehnsucht der beiden Brüder nach dem stiefmütterlichen Heim war darum auch eine geringe; sie beeilten sich gewöhnlich, den Staub von ihren Pantoffeln zu schütteln und wieder in die Ferne zu schweifen, da nichts Gutes nahe lag. Und wie mancher Weinreisende und Weinhändler sich weislich davor hütet, sein eigenes Getränk zu genießen, so waren auch die beiden Brüder Palm sehr vorsichtig darin, die Gastfreundschaft der »Alten« nicht zu sehr und zu lange zu mißbrauchen. »Ein höllisches Gebräu, das die Alte wieder einmal an den Mann zu bringen sucht!« sagte Eduard. Adalbert nickte und zeigte mit dem Daumen über die Schulter. Das hieß soviel, als sie wollten zu C. J. Rasmus gehen und etwas Besseres genießen. »Es ist nur gut, daß sie nicht unsere Mutter ist,« brummte Adalbert, als sie an dem weißgescheuerten Birkentisch bei der genannten Firma saßen. »Stimmt!« fügte Eduard hinzu.

Es war übrigens hohe Zeit, daß die beiden Brüder auf »die zwei Brüder« gingen und in See stachen. Denn der Satan der Uneinigkeit, der Eifersucht und des Hasses hatte sich in Gestalt eines gar lieblichen und holdselig lächelnden jungen Mägdleins zwischen die Beiden geschoben. Tilda Eggers war eine Verwandte der Alten und von Frau Palm vor etlichen Monaten aus christlichem Mitleid bei sich aufgenommen worden! Da das Christenthum der Frau jedoch längst etwas brüchig geworden war, hatten diejenigen vielleicht Recht, die der Ansicht waren, Tilda sei in die Spelunke gekommen, um dort die Rolle eines Magneten zu spielen. Tilda war zwar nicht schön, vielmehr etwas derb und kräftig, aber unzweifelhaft war sie noch ziemlich jung und lustig und wohlgemuth. Inwiefern sie mit Frau Palm verwandt war, blieb freilich ein nie entdecktes Geheimniß; aber sie hatte ganz entschieden ein weites und großes Herz und bewillkommnete auch den räudigsten Schiffsfahrer, der vorsprach, mit einem glücklichen Humor, an den diese oft umhergestoßenen und windverwehten Gesellen gar nicht gewöhnt waren. Man konnte ihr eigentlich gar nichts Böses nachsagen, sie ermunterte Jeden und wurde gegen Jeden, der sie härter bedrängte, zurückhaltender, um am nächsten Tage, sobald er wieder vorsprach, aufs Neue das ganze volle Geschützfeuer ihrer verheißenden Blicke auf ihn spielen zu lassen. War Adalbert nicht daheim, so bevorzugte sie entschieden Eduard, und waren beide anwesend, so half sie sich dadurch aus der Klemme, daß sie sich im Haushalt zu schaffen machte, Gläser spülte, einen Schinken abkochte oder Heringe wässerte. So lange die beiden Brüder sich auf dem Lande aufhielten, kam es nicht zu Tage, wen sie bevorzuge; Tilda vertheilte ihre Gunst so gerecht, und immer nur an den einen gerade Anwesenden, daß die Geister keine Veranlassung hatten, auf einander loszuplatzen. Es war nur eine kleine Verstimmung eingetreten, ein Riß, der sich jeden Augenblick erweitern konnte; denn Adalbert wußte und ahnte es, daß Eduard insgeheim Tilda den Hof mache, sich um ihre Gunst bewerbe und ihr nachstelle, und Eduard war natürlich völlig darüber im Klaren, daß Adalbert es auf das Mädchen abgesehen habe. Bei irgend einer Gelegenheit konnte es darüber zu einem Zusammenstoß und dann zu einer fürchterlichen Explosion kommen. Glücklicherweise war die Ausrüstung des Barkschiffes »die zwei Brüder« gerade, als es zwischen den beiden brüderlichen Nebenbuhlern am schlimmsten stand, beendet; der Capitän, Herr Reuter, war schon eingetroffen, und nun begann der Dienst an Bord. Tilda's Bild verschwand wie in einer Versenkung, und als eine Woche später das Schiff die Wimpel hißte und sich vorsichtig aus dem Hafen und der Meerenge bei Rügen herausmanövrirte, um nicht etwa gleich beim Anbeginn sitzen zu bleiben, waren auch die lodernden Gefühle der beiden Brüder Adalbert und Eduard Palm bereits merklich abgekühlt und Friede und Eintracht kehrten schnell zurück.

Eines stillen Nachmittags, als das Schiff sich bereits um das Cap Skagen gewandt hatte und quer durch die Nordsee bei einer mäßigen und günstigen Nordostbrise steuerte, betrat Eduard von ungefähr die Koje seines Bruders Adalbert, der seine kleinen Habseligkeiten gerade in einer passenderen Form wegstaute. Dabei fiel ein Kästchen auf den Boden und aus dem Kästchen flatterte eine Photographie hervor, die so liegen blieb, daß man die Persönlichkeit, die auf ihr dargestellt war, in Muße betrachten konnte. Es war Tilda's Bildniß. »Sieh! Sieh!« sagte Eduard, und ein Lächeln glitt über seine Züge. Mit großer Eilfertigkeit drehte er sich aus dem engen Raum heraus, erschien nach einigen Augenblicken wieder und schwang in der Rechten ebenfalls ein kleines photographisches Kunstwerk, das er, ohne weiter ein Wort zu verlieren, dem Bruder überreichte. Adalbert blickte es an, ja, das war genau dasselbe Bild, und als er auch die Rückseite betrachtete, fand er dort genau dieselben Worte verzeichnet: »Tilda ihrem lieben guten Eduard zum Andenken,« was auf seinem Exemplar mit der kleinen Variante »Adalbert« stand. Die beiden großen stiernackigen, dunkelblonden Menschen sahen sich einen Augenblick an, vor ihrem geistigen Auge stieg die Vaterstadt empor, die Spelunke der keifenden Stiefmutter und das liebevolle junge Dämchen, das sein Herz mit so rührender Freigebigkeit und naiven Großmuth verschenkte. Um den Mund der beiden Männer zuckte es; ein verschämtes Lächeln kräuselte ihre Lippen.

Adalbert ergriff zuerst das Wort. »Eduard,« sagte er »ich will dir was sagen, mein Junge, aber sag' es Keinem wieder.« Er pfiff durch die Zähne, zeigte auf seinen photographischen Schatz, schüttelte den Kopf und begann bedächtig das theure Andenken in viele kleine Stücke zu zerreißen, die er sorgfältig sammelte, um sie eine Minute später in die Nordsee zu versenken. Er hatte seine Anrede nicht beendet, wie das so seine Gewohnheit war; aber das machte gar nichts, Eduard hatte begriffen, was er sagen wollte. »Es war den Aerger nicht werth,« bemerkte der jüngere Palm einfach, »und wir sind beide –«

Hier hielt auch er inne, als sei es Schade, noch weitere Worte zu verlieren, und ahmte dem Bruder nach, indem er Tilda's Conterfei mit der warmen Widmung nach Möglichkeit zerkleinerte. Damit war die Sache abgemacht. Fortan ward der Name Tilda zwischen ihnen nicht mehr erwähnt; sie sprachen vom Capitän, vom ersten Steuermann, Herrn Wedemeyer, der verdrießlich und kränklich war, von der Aussicht, wann sie in den Canal gelangen möchten, von der Schiffskost und noch mehreren anderen Dingen; aber das freundliche Mädchen aus der Hafengasse, das die beiden Brüder so lange am Narrenseil geführt hatte, war für sie todt.

Das Schiff glitt ohne Fährlichkeit und aufregende Abenteuer durch den Canal in das weite atlantische Meer hinaus und kam richtig nach der üblichen Zeit in Baltimore und einige Wochen später in Neu-Orleans an. Es war im Hochsommer, und das gelbe Fieber wüthete in der Stadt. Der Capitän, Herr Reuter, ward zu einem Festessen bei dem Handlungshause eingeladen, an das er den größten Theil seiner Ladung abzugeben hatte. Er war ein sparsamer Herr, der an Bord als Muster der Mäßigkeit galt, mit den Leuten oft unnöthig herumnörgelte und zu den Schiffscapitänen gehörte, von denen immer zwölf auf ein Dutzend gehen; aber sobald ihn seine Rheder oder deren Geschäftsfreunde bewirtheten, bemühte er sich auf das Aeußerste, um sich für seine Entsagung zu belohnen. Er war der Ansicht, daß man die Freuden des Lebens, wenn sie gratis geboten werden, gründlich auskosten und den Becher bis zum Grund leeren muß. Schade um jeden Tropfen, der im Gefäß bleibt! Natürlich erkrankte er an den Folgen seiner Unmäßigkeit jedesmal auf kürzere oder längere Frist, und da sein Körper gerade in der Mississippistadt sehr zur Unzeit wenig Widerstandskraft besaß, erhaschte ihn der gelbe Tod. Nach zwei Tagen gab es keinen Capitän Reuter mehr, er lag auf dem dortigen deutschen Friedhof, und ein schleuniges Avancement erfolgte. Herr Wedemeyer wurde Schiffsführer, Adalbert Palm erster und Eduard zweiter Steuermann, letzterer natürlich nur provisorisch und unter der Voraussetzung, daß er später auch die Prüfung bestehen werde, die vorgeschrieben und unerläßlich war. In Neu-Orleans war des bösen Fiebers wegen der Schiffsverkehr gering und Frachten waren sehr begehrt; schon nach zwei Wochen erhielt das Stralsunder Barkschiff volle Ladung nach Havanna und von da nach Rio de Janeiro, der brasilischen Hauptstadt. Als sie in der am schönsten gelegenen Stadt der Erde glücklich angelangt waren, schied der verdrießliche Herr Wedemeyer aus dieser Zeitlichkeit; ein Anfall der Malaria, jener unsichtbaren Fiebergeister, die sich so oft gerade auf die Nordlandsgäste stürzen, bereitete ihm ein jähes Ende. Die beiden Brüder Palm wurden jetzt Capitän, resp. erster Steuermann. Sie schwankten, ob sie nicht unter den Umständen geradenwegs wieder nach Hause kehren sollten; aber da sich gerade eine Frachtgelegenheit bot, fuhren sie nach Buenos Aires und erbaten sich dorthin Verhaltungsmaßregeln, indem sie zugleich mittheilten, daß sich wahrscheinlich eine vortreffliche Gelegenheit, nach Valparaiso und anderen chilenischen Hafenplätzen lohnenden Transport zu vermitteln, demnächst finden werde. Die Antwort traf umgehend ein, sie sollten in Gottes Namen das Schiff weiter expediren, von Chile aus aber heimkehren, da in Chile oder Peru zweifelsohne Rückfracht nach Europa zu gewärtigen sei, u. s. w.

So standen »die zwei Brüder« jetzt unter dem Commando zweier Brüder, und da beide Palm vorsichtig und aufmerksam waren und keine besonderen Unfälle mehr hatten, umsegelten sie das gefürchtete Cap Horn und gelangten im nächsten Frühling wohlbehalten an die amerikanische Westküste. Die Zahl ihrer Besatzung hatte sich nicht verändert, wohl aber die Qualität; denn in Buenos Aires hatten sich nicht weniger denn fünf Leute von weiterer Dienstpflicht befreit und französischen Abschied genommen. An ihre Stelle war ein minderwerthiges Menschenmaterial getreten, zwei spanisch redende Matrosen und drei deutsche, die für international gelten konnten und darum nicht viel taugten.

II.

Während des längeren Aufenthaltes zu Buenos Aires und im Verkehr mit den beiden spanischen Matrosen, die sie dort geheuert, hatten sich die Brüder Palm, nunmehr Capitän und Steuermann, einigermaßen genügende Kenntnisse der spanischen Sprache angeeignet, die für den Seefahrer und Handelsmann weit nützlicher erscheint, als die wenig verwendbare, in Deutschland immer noch viel gelernte französische. Sie hatten bald Gelegenheit, sich weiter im Spanischen auszubilden, denn von Valparaiso erhielten sie einen Transport von über zweihundert indianischen Arbeitern, die sie nach Coquimbo überzuführen hatten, wo die Leute zur Arbeit in den Silberwerken und Kupferminen bestimmt waren.

Es war ein prachtvoller Sommermorgen; unter einer lebhaften Nordwestbrise kreuzte das Schiff in respectvoller Entfernung von der düstern und felsigen, vielfach zerrissenen und zerklüfteten Küste.

»Sonderbare Passagiere!« bemerkte Adalbert, der eben mit Eduard den Morgenimbiß einnahm. »Europäische Gesichter sind es nicht; sieh nur die dunklen, stillen Augen an!«

»Und dazu die mächtigen Nasen! Nun, wenn man mit ihnen in Streit geräth,« sagte Eduard, »kommt man nicht in Verlegenheit, man weiß wenigstens, wo man sie leicht treffen kann; aber stark sind sie gerade nicht. Ich glaube, es gehen immer so an drei oder vier auf einen kräftigen Deutschen.«

In diesem Augenblick erscholl ein lautes Geschrei von dem Oberdeck her, auf dem der größte Theil der Arbeiter, die gewöhnlich als »Indios« bezeichnet wurden, Platz gefunden hatte. Man hörte ein Hin- und Herlaufen von Männern und ein eifriges Hin- und Hergerede.

»Steuermann, sieh einmal auf einen Augenblick nach dem Rechten!« sagte Adalbert.

Eduard Palm machte sich auf den Weg und kehrte nach einer Weile zurück, indem er sich, wie gewöhnlich, wenn er in einer kleinen Verlegenheit war, an den Haaren zupfte.

»Weißt du, Capitän,« sagte er, »das ist ein dummer Handel mit den Leuten. Da stehen die drei spanischen Aufseher, der eine mit einer unangenehmen Rindshautpeitsche, inmitten der Indios und haben zwei junge Bursche vor, die kaum zwanzig Jahre alt sein mögen. Die jungen Menschen haben wahre Milchgesichter und sehen kümmerlich aus, und soviel ich vernehmen kann, handelt es sich um einen angeblichen Contractbruch. Die Aufseher sagen, daß sie dieselben schon einmal im Bergwerk gehabt haben, sie behaupten, die beiden gehen immer wieder durch, nehmen Handgeld und benutzen freie Passage, haben aber sonst noch nie gearbeitet. Die Angeschuldigten leugnen dies, und die andern Indios auch; aber die Aufseher schwören mit verbissener Wuth darauf, sie wollten den Lumpen eine tüchtige Tracht Prügel verabreichen und sie an den Mast binden zum warnenden Exempel. Das ist Alles recht schön – vielleicht habe ich es auch nicht ganz richtig verstanden – aber ich denke, wir dürfen das nicht leiden, Capitän!«

»Komm' mit!« sagte Adalbert kurz. »Du bist doch nicht ohne Waffen, Steuermann?«

»Ei bewahre!« entgegnete Eduard. »Unter dem Gesindel muß man sich vorsehen.«

Adalbert nickte, schnallte sich den kurzen, schweren Schiffssäbel um, steckte in jede Tasche seiner Jacke eine Pistole, deren Schlösser er vorher sorgsam geprüft hatte, und setzte die Mütze auf, die zum Zeichen seiner Würde mit einem breiten goldschimmernden Rande besetzt war. Dann gingen beide nach dem Schauplatze des Streites.

Es war ungefähr so, wie Eduard es geschildert hatte; nur daß die Aufseher bereits zu Thätlichkeiten übergegangen waren und die beiden schwächlichen Menschen mit Hieben und Püffen zu regaliren begonnen hatten. Die Schaaren der broncefarbigen Arbeiter, die rund umher standen und saßen, murrten in dumpfer Erregung. Es konnte zu einem allgemeinen Aufstand kommen, und dann war auch die Besatzung des Schiffes gefährdet.

»Halt! Sennor!« rief Adalbert dem einen der Aufseher zu, der ein scharf markirtes Gesicht zeigte und unter Verschwendung einer Sündflut von Schimpfwörtern – im Süden, und besonders in den Ländern spanischer Zunge ist man reich daran – immer von Neuem auf die beiden zitternden braunen Gestalten eindrang – »halt, Sennor!«

Doch der erregte Mann, der mit haßfunkelnden Augen seine Opfer anblickte, kehrte sich nicht an den Ruf.

Jetzt riß dem deutschen Capitän der Geduldsfaden. Mit starkem Arm ergriff er den tobenden und wüthenden Mann, der sich vergebens von dem eisernen Griff loszumachen strebte. Adalbert drängte ihn ein wenig abseits, während sich Eduard so in die Gruppe hineinschob, daß er die Streitenden vollends trennte.

Eine tiefe Stille trat ein.

»Auf diesem Schiff,« sagte Adalbert in etwas gebrochenem, doch allgemein verständlichem Spanisch, »bin ich der Capitän und mir muß gehorcht werden. Ich dulde keinen Streit, ganz besonders aber kein Prügeln.«

Mit lebhafter Gesticulation und beredter Zunge suchte ihm der Aufseher den Fall auseinanderzusetzen, und seine beiden Amtsgenossen stimmten ihm bei, wenn auch in minder erregter Weise.

»Es ist möglich, daß dies Alles richtig ist,« fuhr Adalbert fort, »aber ich verstehe nicht ganz, warum dies auf meinem Schiffe ausgemacht werden soll. Dies ist ein königlich preußisches, ein deutsches Fahrzeug, und hier ist kein Gerichtshof. Habt Ihr etwas gegen diese beiden Menschen, so führt sie vor die Obrigkeit und laßt sie nach Euren Gesetzen bestrafen – am Abend sind wir, so Gott will, in Coquimbo.«

Der Aufseher remonstrirte immer noch und fuchtelte mit den Händen in der Luft umher; die schwere Peitsche hatte ihm Eduard mit sicherem Griff entwandt.

»Ruhig!« donnerte jetzt Adalbert, der anfing, ärgerlich zu werden, »hier wird nicht geschlagen! Noch ein Wort, und ich lasse Euch wegen Widersetzlichkeit krumm schließen. Steuermann, gebt mir die Peitsche!«

Die Mienen der braunen Arbeiter drückten Freude und Triumph aus, als der Capitän das Marterinstrument in Empfang nahm und es in seine Cajüte trug. Der Steuermann Eduard blieb zurück, um weitere Ausschreitungen sofort im Keime zu ersticken. Es ereignete sich indeß nichts mehr und das Schiff langte am Spätabend glücklich in Coquimbo an.

Und doch hatte das Ereigniß seine Folgen. Als Capitän Palm am nächsten Tage nach Ausschiffung der Fracht in der Dämmerung das Land betrat, folgten ihm zwei Männer wie Schatten überall hin, und als er in die Thür einer Schenke eintrat, blitzte ein Messer auf, das ihm den landesüblichen Poncho, den Mantel, den er angelegt hatte, zerschnitt und ihn leicht an der Schulter verwundete – die Thäter entsprangen. Der Haß der in der Ausübung ihrer Rachegelüste gestörten Aufseher hatte den Capitän heimgesucht. Um weiteren Angriffen, die ja möglich sein konnten, sicherer zu begegnen, blieb Adalbert in der Schenke sitzen und sandte eine Zeile auf das Schiff an seinen Bruder Eduard, er möge sich bewaffnen und mit ihm in dem Wirthshause, das er ihm angab, zusammentreffen. Als er den Boten, den er entsandt hatte, ablohnen wollte und aufblickte, gewahrte er einen der jungen Indios, die er vor schmählicher Mißhandlung gerettet hatte. Der junge Mann wies unter Betheuerungen seiner lebhaften Dankbarkeit das Geldgeschenk zurück. Als Eduard eingetroffen war, kam auch der Inhaber der Schenke, ein alter, doch noch rüstiger Mann, der Großvater der beiden jungen Indios, zum Vorschein.

Der Greis erwies sich in seiner Weise als wohlunterrichtet, klug und zurückhaltend; er faßte bald ein gewisses Vertrauen zu den beiden Deutschen und thaute etwas auf. Seine Enkel hatten ihm mitgetheilt, was sich auf dem Schiff ereignet hatte.

»Es ist kein Wort wahr von dem, was Euch die Aufseher geklagt haben,« sagte er, »nur der Haß überwintert grüner als die Cypressen; da sie mir vor der Hand nichts anhaben können, suchen sie mich in meinen Enkeln zu treffen – sie werden sich wohl hüten, die Sache vor das Gericht zu bringen. Ah! Sie wissen auch, warum sie mich hassen; aber erst wenn die Zeit erfüllt ist, wird die Rache sie treffen, es ist noch zu früh …« Murmelnd und nickend entfernte sich der Alte.

Von solchen geheimnißvollen Andeutungen ging der alte Mann in den nächsten Tagen allmälig zu vertraulicherem Gespräch über. Der Aufenthalt des Stralsunder Barkschiffes in Coquimbo verlängerte sich; die Kupferbarren, die nach Callao übergeführt werden sollten, um von dort mit einem Dampfer weiterbefördert zu werden, waren noch nicht angekommen, und der Transport aus dem Bergwerk in die Stadt nahm im besten Falle noch eine Reihe von Tagen in Anspruch. Capitän und Steuermann der »zwei Brüder« erschienen häufig in der Herberge, die sonst nur von den eingeborenen Arbeitern besucht zu werden pflegte, und hatten sich jederzeit der freundlichsten Aufnahme und freigebigsten Bewirthung zu erfreuen. Heute war es eine Flasche köstlich duftenden Rums, die ihnen der dankbare Alte vorsetzte, morgen eine mit den herrlichsten Bananen angefüllte Schüssel, am nächsten Tage der saftige Braten eines jungen Rindes. Die mäßige Bezahlung stand entschieden in keinem Verhältniß zu der Güte des Gebotenen. Auch für die Sicherheit seiner Gäste sorgte der Greis. Wenn Capitän und Steuermann am Abend bei ihm einkehrten, war oft bis zum Hafen eine Reihe von broncefarbigen Spähern aufgestellt, die Wache hielten, daß in den dunkeln und schmutzigen Straßen kein neuer Angriff auf sie stattfinden konnte. Eine Art geheimer Polizei war organisirt worden und schützte sie. So einfach und ärmlich die geräumigen Zimmer waren, so deutete doch Manches auf einen versteckten Reichthum hin, und die Bergwerksarbeiter, die von Zeit zu Zeit, wahrscheinlich an den Zahltagen, in größerer Menge einkehrten, behandelten den alten Mann, als ob er ein Fürst wäre, der sich im Incognito-Stande gefiele und die Rolle des armen Mannes nur aus Laune zu spielen übernommen habe.

Die beiden Brüder Palm gewöhnten sich im Laufe der Tage an seine zuerst etwas unverständlich klingende Sprechweise. In der verantwortungsreicheren Stellung, die sie jetzt einnahmen, entwickelten sich bei ihnen die besseren Eigenschaften, die in ihnen schlummerten; sie wünschten nicht, der großen Schaar der so oft betrunkenen, habsüchtigen, beutegierigen und rohen Capitäne und Steuerleute beigesellt zu werden, die von ihrer Mannschaft, dem Abhub der Menschheit, angesteckt, theilnahmslos und ohne etwas zu lernen die Welt durchwandern und geistig verkommen heimkehren. Wie fast in jeder Hafenstadt des Südens gab es auch in Coquimbo mehrere Häuser, in denen die Seeleute, die Bergwerksbeamten und weißen Arbeiter ihren Verdienst pünktlich und regelmäßig abzuladen pflegten, in denen jauchzendes Toben, Musik und Tanz und widerliche Völlerei zu finden waren, in denen die Besucher den abgegriffenen Becher der Lust schwangen und aus ihm schwelgten, um nachher vielleicht kränklich traurige Jahre zu verbringen. Der jüngere, Eduard, unternahm eines Tages eine Recognoscirungsreise in das Gebiet der Chansonnettencafés, wo schlechter französischer Champagner für enorm theures Geld verschänkt wurde und eine Farobank ihr Unwesen trieb; aber er kehrte sehr bald zurück. »Vor diesen lumpigen Messerstechern fürchte ich mich zwar nicht besonders,« meinte er, »aber viele Hunde sind des Hasen Tod. Ich merkte es bald, daß ich nicht dorthin paßte; wäre ich noch eine Stunde länger geblieben, so hätte ich mich mit dem internationalen Gaunerthum umherschlagen müssen. Einen dänischen Capitän haben sie gestern ausgezogen und dann wegen unordentlichen Betragens gar noch in's Gefängniß stecken lassen wollen. Aber ein reiches Land muß es hier sein,« fügte er auf spanisch hinzu, da der alte Wirth zu ihnen herangetreten war, »selbst die zerlumpten Strolche tragen Silber in den Taschen, nicht wahr, Gevatter?«

Ein leises Lächeln spielte um den Mund des alten Mannes.

»Silbers genug, daß Ihr Euer Schiff damit vollladen könntet, Sennor,« sagte er, »und das ist es, warum die Bergwerksbesitzer und weißen Fabriksleute mich hassen. Sie wissen es, daß der alte Tokan, den sie Guzman nennen, mehr weiß, als sie alle zusammengenommen; aber seine Lippe ist versiegelt, und von ihm hören sie nichts weiter, als: es kann nicht sein.«

»Warum denn,« frug jetzt Adalbert Palm, »benutzt Ihr es nicht, wenn Ihr so viel vom Silber wißt? Geld ist Macht – warum errichtet Ihr Euch nicht einen herrlichen Palast und warum haltet Ihr Euch nicht hundert Diener und Rosse?«

»Ich stamme von den alten Herrschern ab,« entgegnete der Alte würdevoll, »in meinen Adern fließt das Blut der alten Inkas. Aber warum es nicht sein kann? Sieh dir unser Volk an und blicke auf meine Enkel, und du weißt die Antwort. Meine Söhne sind lange todt, und deren Söhne sind schwächlich und werden meine Jahre nicht erreichen. Ihnen frommt auch das Silber wenig; bald würde man es ihnen rauben, und ich würde den Fluch der alten Götter auf mich laden, wenn ich das Geheimniß der Berge den weißen Unterdrückern mittheilen wollte. Es geht nicht, Väterchen, es kann nicht sein.«

Er saß in stummem Brüten da und sah apathisch, traurig in's Leere.

Als die »zwei Brüder« endlich die Anker lichteten, überbrachten ihnen die beiden Enkel den Scheidegruß des Alten. Er bestand in einem roh gezimmerten, mit einem Lamafell umwickelten Kasten von ganz ungewöhnlicher Schwere. Als die beiden Palm ihn öffneten, fanden sie in dem Behälter einem mächtigen Silberblock, einen traubenförmigen, wunderbar blinkenden Schatz, der keinem Silberofen, sondern dem Heiligthum der Natur entstammte und von ganz bedeutendem Werthe sein mußte.

Capitän und Steuermann sahen sich erstaunt an. »Der alte Mann ist am Ende gar kein Narr,« sagte Eduard, »sondern vielleicht einer der reichsten Leute der Erde. Wollen wir uns von ihm an Kindesstatt annehmen lassen, Capitän?«

Adalbert schüttelte den Kopf. »Er würde doch nur das Eine antworten,« bemerkte er: »Es geht nicht, Väterchen, es kann nicht sein.« Aber er hat dafür gesorgt, daß wir ihn nicht vergessen werden.«

III.

Nachdem die »zwei Brüder« ihre Ladung in der peruanischen Hafenstadt Callao abgesetzt hatten, bot ihnen ein dortiges Handelshaus eine andere Menschenfracht an. Aus Guyaquil waren einige sechzig chinesische Kulis angekommen, die mit mehr denn zweihundert anderen Kulis, welche mit dem nächsten englischen Postdampfer erwartet wurden, auf Pflanzungen in der Nähe von Arica Verwendung finden sollten. Der Auftrag gefiel den beiden Brüdern nicht sonderlich; wenn auch keine Unbotmäßigkeit dieser modernen Arbeitssclaven zu erwarten war, so stand es doch fest, daß diese unsaubersten aller Menschen das gute Stralsunder Schiff in einen Zustand der Unreinlichkeit versetzen würden, der erst nach andauernder harter Arbeit beseitigt werden konnte. Sie forderten daher für die Fahrt einen besonders hohen Preis; aber zu ihrem Erstaunen nahmen die Rheder ohne ein Wort der Widerrede an. Erst nach Abschluß des Contracts erfuhren sie, warum dies geschehen. Die Beförderung bis nach Arica geschah auf Staatskosten, und da kam es, ganz besonders den Rhedern, auf einen hohen Preis gar nicht an. Eine bedeutende Menge Proviant, in wohlgefüllten großen Wasserfässern, gepökeltem Rind- und Schweinefleisch, Biscuits und Conserven aller Art bestehend, wurden an Bord genommen; auch fehlte es nicht an Reis, der bekanntesten und beliebtesten Kost der Chinesen, an Zucker, Kaffee, Thee und allerhand Spirituosen; von diesen Provisionsstoffen wurden eine so große Masse mitgenommen, weil dieselben nicht nur während der kurzen Dauer der Fahrt, sondern auch späterhin auf lange Monate zur Ernährung der Kulis, wie der Aufseher und weißen Arbeiter, dienen sollten.

Die Lebensmittel waren längst verstaut, als endlich der sehnlich erwartete Dampfer erschien. Die zopftragenden Menschen wurden, ohne das Land betreten zu haben, sofort an Bord der »zwei Brüder« ausgenommen, und nach dem Aufenthalt weniger Stunden schwamm das tüchtig beladene Schiff unter einem scharfen Nordwestwinde schnell nach Süden. Das war ein Schnattern, ein Tosen und Gewühl! Die bedürfnißlosen Menschen hatten sich indeß wohl oder übel bald eingerichtet, Capitän und Steuermann, von des Tages Last und Hitze tief ermüdet, suchten frühzeitig die Ruhe. Da der Wind stetig und steif blies, war keine Gefahr zu fürchten; der zweite Steuermann stand nebst einem der Matrosen am Ruder. Nach Mitternacht wollte Eduard Palm ihnen die Ablösung bringen.

Aber bevor die Mitternacht herangekommen war, traten grauenhafte und unerwartete Ereignisse ein.

Eduard Palm hatte die für den ersten Steuermann bestimmte Cajüte verlassen und war zu seinem Bruder in das Capitänsgemach gezogen. Es lag ein bestimmter Grund hierfür vor. An die Capitänscajüte schlossen sich mehrere durch Holzverschläge getrennte Abtheilungen, in denen verschiedene Wassertonnen, ein Posten Wein und Spirituosa und eine reiche Auswahl des besten Proviants Platz gefunden hatten. Um diesen werthvollsten Theil der Fracht in besserer Obhut zu behalten, hatte Adalbert angeordnet, daß sein Bruder Eduard für die Dauer der Fahrt bei ihm Wohnung nehmen solle. Einer von beiden hatte stetig ein scharfes Auge auf diese Vorräthe zu richten, da es bei dem Menschengedränge und dem Tumult, der an Bord herrschte, recht wohl möglich war, daß die nach alkoholhaltigen Getränken und feineren Victualien lüsternen Matrosen unbemerkt die Fässer anzapften und einen Theil der Fracht entwendeten. Diese ganz vernünftige und natürliche Anordnung wurde die Veranlassung zur Rettung der Brüder Palm.

Die elfte Stunde mochte herangekommen sein, als Adalbert aus tiefem Schlafe erwachte; er hatte, halb traumbefangen, sonderbare Geräusche vernommen, ein Hin- und Hertrampeln vieler Füße, ein Toben, Aechzen und Ringen – erstickte Rufe – endlich fiel sogar ein Schuß. Letzterer brachte auch Eduard auf die Füße. Sie machten sofort Licht und kleideten sich eilig vollends an; aber die Thür der Cajüte war von außen verschlossen. Schon wollten sie, in der richtigen Erwartung, daß da draußen Unheilvolles geschehe oder schon geschehen sei, mit dem Handbeil die immerhin nicht allzu massive Thür einhauen und sich befreien, als ihnen eine leise Stimme in dem verdorbenen englisch-chinesischen Mischdialect zurief, sie möchten sich ruhig verhalten.

Es war der chinesische Schiffskoch, den sie bereits vor dem Eintreffen der Kulis in Callao an Bord genommen hatten.

»Ich Euch eingeschlossen – Li-Sang, der Koch.«

»Ja, zum Teufel!« schrie Adalbert, »wozu denn? Was geht denn hier vor? Da soll doch – –«

»Still!« unterbrach ihn der Koch, »Ihr besser ganz still sein. Schiff genommen von Chinesen. Chinaleute Mannschaft alle ermordet und in's Meer geworfen.«

Ein jähes Entsetzen befiel die beiden Brüder.

»Und was wollen die Rebellen nun beginnen?« rief Adalbert mit einer Stimme, die ein wenig heiser klang.

»Schiff nach China bringen,« lautete die wenig tröstliche Antwort, »nach Westen segeln. Nicht öffnen! Vertheidigt den Eingang. Ich Euch retten, wenn es geht!«

Mit diesen Worten verschwand der Koch. Adalbert und Eduard sahen sich eine Weile schweigend an. Dann rafften sie sich auf und handelten nach ihrer Weise mit Thatkraft und Umsicht. Sie rollten zwei der größten und solidesten Fässer aus den Verschlagsabtheilungen vor die Thür, so daß dieselbe nicht leicht erbrochen werden konnte. Hierauf rüsteten sie ihre Waffen, an denen sie einen wahren Ueberfluß besaßen. Sechs- und fünfläufige Revolver und mehrere Pistolen standen zu ihrer Verfügung, außerdem Handbeile, eine Axt und zwei schwere Stutzsäbel; auch mehrere gute Büchsen waren da und eine Fülle von Patronen für die Gewehre und Pistolen.

»So leicht sollen sie uns lebend nicht fangen,« meinte Eduard. »Wir können hier eine Weile ein hübsches Feuergefecht unterhalten.« Sie blieben die ganze Nacht hindurch gerüstet und durch einige Gläser weißen Malagaweins, den sie im Verschlage fanden, gestärkt, erwarteten sie das Morgenlicht; aber der neue Tag brach an und Niemand störte sie.

Die aus Guyaquil gekommenen vierundsechzig Kulis waren schlecht behandelt worden und hatten durch Hunger und Nässe gelitten; sie befanden sich in feindseliger und verzweifelter Stimmung. Unglücklicherweise waren die neuangekommenen Kulis aus demselben engeren Stammlande und redeten denselben Provincialdialect wie jene; sie konnten sich daher leicht verständigen, und da an der Spitze der aus Guyaquil Gekommenen ein paar beherzte und waghalsige Männer standen, überredeten sie den großen Schwarm zum Aufstand, der nicht ohne Geschick entworfen und ausgeführt worden war. Jeder Matrose wurde von einem Dutzend Mongolen umringt und durch die Menge an der Vertheidigung verhindert; mit Stangen und Hölzern, die sie an Bord des Schiffes fanden, schlugen sie die Nichtsahnenden zu Boden und warfen die vom Schlage Betäubten sofort in's Meer. Nur wenige waren im Stande gewesen, sich längere Zeit zu widersetzen – ein kurzer, erbarmungsloser Kampf!

Gegen Mittag erst erschien ein lärmender Haufe der Sieger vor der Cajütenthür; an ihrer Spitze stand der Koch Li-Sang als Wortführer.

»Ich ihnen sagen, Capitän das Schiff in die Luft sprengen, wenn Chinaleute die Thür erbrechen,« meinte Li-Sang.

»Sehr gut,« erwiderte Adalbert, »laß sie bei dem Glauben. Uebrigens sind wir wohlversehen mit Flinten und Revolvern. Sie sollen uns in Frieden lassen, dann wollen wir nicht schießen.«

Um die dramatische Wirkung zu vermehren, ließen Capitän und Steuermann ein paar Hähne knacken. Der wohlbekannte Ton machte die Aufrührer stutzen; sie zogen sich von der Thür etwas zurück. Der Koch theilte ihnen auf chinesisch mit, was der Capitän gesagt hatte. Einige der Verständigeren wünschten, der Capitän und der Steuermann möchten die Leitung des Schiffes übernehmen; aber der große Haufe fiel lärmend ein, die weißen Menschen seien alle Hunde und Verräther. Man traute ihnen nicht und beließ es bei dem Abkommen gegenseitiger Duldung, keine Partei solle angreifen. Dann verlief sich der Schwarm nach nutzlosen und wortreichen Debatten.

Was Adalbert und Eduard gefürchtet hatten, trat indes bald ein. Das Schiff schlingerte heftig und stampfte furchtbar durch eine hochgehende See, weil die Chinesen nicht die geringste Ahnung von der Schiffahrtskunde besaßen. Am nächsten Tage steigerte sich die scharfe Brise zu einem Sturm, und die »zwei Brüder« wurden arg umhergestoßen. Die Chinesen waren nicht einmal im Stande gewesen, alle Segel einzuziehen, und die Folgen zeigten sich bald. Der Hauptmast knickte um und hing mit dem Segelgewirr halb über Bord; das Schiff legte sich auf die Seite. In dieser großen Noth schrie der Steuermann Eduard nach dem Koch, der endlich erschien; er rieth ihm dringend an, den Mast unverzüglich zu kappen und durch Durchhauen der Taue die Segel unschädlich zu machen. Dies begriffen die Chinaleute und handelten demgemäß; das Schiff erholte sich, da auch der Sturm etwas nachließ. Allein das gute Fahrzeug trieb jetzt bereits als ziemlich hilfloses Wrack den Stillen Ocean hinauf und hinab.

Auf den Sturm folgte eine Zeit, in der nur mäßig starke Winde wehten. Die geringe Leinwandfläche, die das Schiff jetzt noch entfalten konnte, sicherte nur ein langsames Fortkommen. Bald fuhren sie nach Norden hinauf, bald mehr nach Süden hinunter, die »zwei Brüder« beschrieben fortwährend Zickzacklinien auf dem Meer und waren nach Monaten kaum über das östliche Drittel der ungeheuren Wasserfläche gelangt. Eduard gab ihnen mehrmals Rathschläge; aber theils wurden dieselben gar nicht befolgt, theils ungenügend ausgeführt. Die Meuterer begnügten sich damit, das Bugsprit stets nach Westen gekehrt zu halten.

Capitän und Steuermann, die jetzt ein a. D. hinter ihren Namen setzen konnten, wechselten mit den Nachtwachen ab; bald merkten sie jedoch, daß dieselben überhaupt überflüssig geworden waren. Die Chinesen hielten ihren Pact und schritten nicht zum Angriff, da sie sich vor der Energie der beiden wohlbewehrten Männer fürchteten. Wahrscheinlich trug der Koch Li-Sang dazu bei, daß man keinen Versuch machte, die beiden Gefangenen zu überrumpeln und zu vernichten; er hatte seinen Landsleuten Wunderdinge erzählt von der Tapferkeit und der Stärke der beiden Deutschen. In der Cajüte, hatte er ihnen mitgetheilt, seien so viele Patronen und Pulvervorräthe angehäuft, daß ein Sturm auf dieselbe zum allgemeinen Verderben gereichen müsse. Die Brüder Palm begnügten sich damit, die Thür wohlverschanzt zu halten und genau aufzumerken, daß man die Holzwände nicht beschädigte, die sie von den Rebellen trennten. Beide nährten sich von den reichlich vorhandenen Conserven; allmälig beseitigten sie die Holzwände der schrankartigen Abtheilungen, indem sie dieselben zerschlugen und zur Feuerung benutzten. Als das Holz verbraucht war, nahmen sie Arac, den sie zur Heizung der Spirituslampe verwendeten, um sich Thee und Kaffee zu bereiteten. Wein und Spirituosen besaßen sie im Ueberfluß; aber sie genossen die vorhandenen Getränke in mäßiger Weise, um sich gesund und lebenskräftig zu erhalten.

Die Chinesen waren nur so lange mäßig, als sie die Rumfässer nicht entdeckt hatten. Als dies jedoch eines Tages eingetreten war, folgten wüste Scenen, welche die beiden Brüder durch ein Loch beobachteten, das sie in die Thür geschnitten hatten; den Blicken der Chinaleute blieb die kleine Oeffnung verborgen. Zank und Mißhelligkeiten traten ein, und Raufereien erfolgten, bei denen zwei Kulis erstochen wurden. Eine Sturzsee riß ein paar Tage darauf fünf Chinesen weg, die sich unvorsichtiger Weise dort aufgehalten hatten, wo der Sturm die Schanzbekleidung zerstört hatte. So verminderte sich die Zahl der mongolischen Seefahrer langsam und stetig; mehrere erlagen den Wirkungen des Rums, und als eine Periode der Windstille eintrat, starben innerhalb einer Woche mehr denn ein Dutzend, unter ihnen leider auch der Koch Li-Sang, der sich an den starken Getränken zu sehr gelabt hatte und nun die Strafe für seine Gier erlitt. Durch den Tod des Kochs schwand fast jede Möglichkeit einer Verständigung, denn Niemand von den Kulis verstand eine europäische Sprache.

Adalbert und Eduard führten ein Schiffstagebuch, in das sie jedes auch noch so geringfügige Erlebniß gewissenhaft eintrugen; außer dem Leben und Treiben der Chinesen war indeß wenig zu verzeichnen. Drei oder viermal tauchte ein Segel in der Ferne auf; ein Schiff versuchte Signale mit den »zwei Brüdern« auszutauschen, stand aber bald davon ab, da die Chinesen sie natürlich nicht zu erwidern vermochten. Eine Schaar fliegender Fische erhob sich, von denen mehrere auf das Deck niederfielen; ein Hai sah mit glasigem Auge zu ihnen auf, oder ein Wal zeigte seinen Springbrunnen in der Ferne. Dann kam wieder Tage lang nichts – nichts, und nichts zeigte sich, als der graue Himmel und das graue Gewässer und die starre Eintönigkeit der unendlich erscheinenden Fläche, die wüst und leer vor ihnen lag. Das Weihnachtsfest feierten Capitän und Steuermann durch ein stilles Glas, das sie der fernen deutschen Heimat weihten. Sie glitten an manchen mit herrlichem Grün geschmückten stillen Eilanden entlang, und es war fast wie ein Wunder, daß sie nicht in der Nacht auf eine Klippe oder an einen Strand rannten; aber das Schiff war jetzt fast ganz der Strömung allein anheimgegeben, die sie an den Inseln vorüberführte. So dicht streiften sie mehrmals Atolls und Laguneninseln, daß sie die weißen Kämme der Brandung und die hohen Cokosnußpalmen aus ihrem Gefängniß erblicken konnten.

Um sich auf alle Fälle ein letztes Mittel der Rettung zu sichern, hatten sie die Seitenwand der Cajüte eingesägt, so daß die durch Knebel festgehaltenen Bretter leicht beseitigt werden konnten; aber die erste Insel, an der sie ganz dicht vorüberfuhren, war klein und menschenleer, vielleicht auch wasserlos; vor einer zweiten spielten die Haie in solchen Scharen, daß Adalbert und Eduard es vorzogen, ihr Gefängniß nicht zu verlassen. Dann kam wieder eine Zeit der Windstille; der Ocean kam ihnen wie eine gallertartige Masse vor, in der das Schiff, nur selten leise schaukelnd, wie gebannt festlag, und wieder starben die Kulis massenhaft dahin – einundzwanzig Todte hatte Adalbert in der Woche gezählt. Bis dahin hatte die mongolische Horde leidlichen Humor gezeigt, sie lagen die ganzen Tage mit einer Art Hazardspiel beschäftigt auf dem Verdeck; allmälig begannen jedoch die Lebensmittel nicht gerade auszugehen, aber sich zu verschlechtern. Die Biscuits wurden so trocken und steinhart, daß man sie aufweichen mußte, um sie genießbar zu machen; der Reis, der von der Nässe gelitten hatte und, niemals umgeschaufelt, in dichten Massen in einer Seitenkammer aufgespeichert lag, war dumpfig und ungesund geworden, von den Conserven war Manches verfault und verschimmelt, und in mehreren Wasserfässern hatten sich Würmer gezeigt.

Die Mannschaft war jetzt völlig demoralisirt; die Hälfte war krank, die andere Hälfte muthlos, verzagt und gleichgiltig geworden. Mit apathischen Gesichtern, auf die der Tod bereits seinen Stempel geprägt hatte, kauerten sie an den Schiffswänden und um den Stumpf des Mastes herum, und oft erscholl Nachts das eintönige Grablied, der Todtengesang, durch den das Hinscheiden eines Landsmannes angezeigt wurde. Diese Lieder machten einen grausigen Eindruck auf die beiden Deutschen, die hart mit dem Leben rangen.

Sie richteten sich gegenseitig auf und ließen nicht nach, eine gewisse Thätigkeit zu entfalten. Die vorhandenen Vorräthe wurden von ihnen abgestaubt, neu geordnet, gezählt; das Wasser ward sorgfältig bedeckt und gehütet, und haushälterisch fast nur noch zum Trinken benutzt; einen Theil hatten sie allmälig abgekocht und in leere Flaschen gefüllt, eine Reserve, die nicht verderben konnte. Abwechselnd bereiteten sie täglich die Mahlzeiten, so gut sie es vermochten, und täglich wurde in der Frühe ein Capitel aus der Schiffsbibel vorgetragen. Dann ergänzten und vervollständigten sie das Tagebuch, reinigten das Gemach, ließen einen Strom frischer Luft aus dem Cajütenfenster eintreten und putzten die Waffen, bis sie spiegelblank waren, und besserten die schadhaft gewordenen Kleidungsstücke aus. So spannen sich die Tage in unerfreulichem Gleichmaß ab.

Endlich aber kam es doch wie eine stille Verzweiflung über sie. Kein Wechsel der Scenerie fand statt – keine Aussicht auf Erlösung winkte – nichts wie die Unendlichkeit von Wolken und Wasser, der unbarmherzige stahlgraue Himmel – Nachts die Sterne, die über dem Ocean still und mitleidslos blinkten – der Wind, der seufzend über das Schiff hinzog, das von Gespenstern bemannt zu sein schien, ein zweiter fliegender Holländer – Sonnenuntergang und Sonnenaufgang mit ihren Farbenspielen, aber wie in einer Wüste – Nebelschatten, die in grotesken Formen zur Dämmerungszeit über die Tiefe wallten und wogten, sich emporreckten und wieder niedersanken, stumm, grauenvoll – und immer bleierner das Dasein – die sterbenden Menschen, die wie Schemen aus einer anderen Welt über das Verdeck hinschlichen, matt und lebensmüde –

»Adalbert!« schrie Eduard eines Tages auf, »ich halte es nicht mehr aus. Komm' mit hinaus! Es drängt mich nach Luft und Licht, ich muß etwas thun! Wir wollen Beile und Revolver nehmen und das ganze elende Gesindel, das uns hier eingesperrt hält, zusammenschießen und niederhauen und in's Meer stürzen. Sie können uns keinen ernstlichen Widerstand mehr leisten.«

»Nein,« sagte Adalbert »das können sie nicht; aber willst du bis in die Knöchel in Blut waten? Kannst du es über dich bringen, diese erbärmlich ausgemergelten Schufte zu morden? Es wäre Mord, Eduard, nichts als Mord, denn sie thun uns nichts, sie trachten uns gar nicht nach dem Leben. Laß ab! Denke an die Heimat! Es ist doch möglich, daß wir noch einmal den Rauch wieder aufsteigen sehen können aus einem deutschen Schornstein.«

Erschüttert drehte Eduard sich um. »Ja,« erwiderte er, »Bruder Adalbert, wir müssen wohl aushalten – laß es gut sein, es überkam mich so – – die Oede lastet auf mir wie ein Centnergewicht. Laß mich einen Psalm lesen, wie unsere lange schon verstorbene Mutter das in großer Herzensnoth that – – –«

Und sie lasen laut das uralte Wort des Sängers der Vorzeit, daß die Menschen sind wie ein Gras, das doch bald welk wird.

Aber der Tag der Rettung für die Schwergeprüften kam.

Wieder waren sie in eine Gegend des Oceans gelangt, in der sich, oft zur Rechten, wie zur Linken, Eilande zeigten mit Palmenhainen und Korallenriffen und donnernder Brandung. Es war am Nachmittag. »Der Schnabel des Schiffes,« sagte Eduard, »hält gerade auf eine Insel los; natürlich wird er sich im letzten Augenblick wieder seitwärts wenden. Doch es wäre möglich – Adalbert, machen wir uns fertig!«

Sie vertheilten die Last gleichmäßig unter sich, den Silberschatz aus Chile, die Schiffsbibel und das Tagebuch, etwas Wäsche und eine Auswahl der nöthigsten Lebensmittel, endlich Waffen und Patronen. Das zum Schutz gegen das Wasser in Wachsleinwand geschlagene Gepäck trugen sie auf dem Rücken, festverschnürt; so hatten sie die Arme frei, wenn sie auch schwerbelastet waren. Die Verhältnisse lagen, wie es schien, außerordentlich günstig; eine lange Sandbank zog sich bis in's Meer hinein, und es war Ebbezeit; hinter dem Sande lag ein todter Arm des Meeres, seichtes Wasser mit abgestorbenen Korallenbänken, und dahinter das grüne feste Land. Langsam glitt das Schiff, nur der Strömung gehorchend, auf die Spitze der sandigen Zunge zu und beschrieb fast einen rechten Winkel, um dieselbe zu umgehen – sie hatten den Rahmen des Cajütenfensters bereits ausgehoben und paßten auf. »Jetzt!« raunte Eduard und sprang in's Meer; Adalbert folgte einen Augenblick später. Da sie beide tüchtige Schwimmer waren, hatten sie trotz ihrer schweren Belastung unter Aufbietung aller Kraft in wenigen Minuten das tiefe Wasser durchschnitten und den festen Boden unter ihren Füßen. Von den Chinesen liefen vier oder fünf, die das auffällige Plätschern gehört hatten, zusammen und sahen die beiden weißen Männer, die auf dem sandigen Vorsprung standen, mit den Händen in der Luft umherschwenkten und ein deutsches Hurrah! nach dem andern erschallen ließen. Der Anblick war so eigenartig, daß die ganze mongolische Besatzung aus ihren Schlupfwinkeln hervorkroch – Flinten besaßen sie nicht, und die paar Pistolen, die sie hatten, waren längst verrostet, so konnten ihnen die Chinaleute nicht mehr schaden, auch wenn sie gewollt hätten.

Die beiden Weltwanderer hielten still, um wieder Athem zu schöpfen. »Eduard,« sagte Adalbert, der das langsam abschwimmende Stralsunder Schiff mit kritischem Auge musterte, »ich sage dir, mein Junge, es war die höchste Zeit. Ich habe es schon seit einigen Tagen bemerkt, daß die »zwei Brüder« leck sind, leck und marode – ich wollte nur nichts sagen, um dich nicht zu beunruhigen. Das Fahrzeug zieht Wasser und schleppt sich nur so fort; bei dem nächsten ordentlichen Wind fällt es in die große Tiefe. Gott sei den armen gelben Zopfträgern gnädig, sie werden nie in ihr Blumenland zurückgelangen.«

Sie standen noch eine Weile und sahen dem Schiffe nach. »Jetzt gibt es an Bord wieder einen Freudentag,« sagte Eduard, »es ist noch leidliches Wasser da und viel guter Portwein, Madeira und Arak – es wird ihr letztes Gelage sein – sie können wenigstens in die Ewigkeit hinübertaumeln.«

Sie wandten sich landwärts und durchwateten leicht das flache Wasser; Eduard sprang leichtfüßig voran, der bedächtigere Capitän a. D. folgte; dann ging es in das Dickicht hinein.

IV.

Der Weg durch das verschlungene Gewirr des Uferwaldes war schwierig; langsam bahnten sich die glücklich Geretteten ihren Pfad durch Mithilfe des Beils und des kurzen Stutzsäbels. Als sie eine Strecke zurückgelegt hatten, hielten sie an und setzten ihre Waffen auf alle Fälle in Stand; die Revolver erhielten frische Patronen, die sie in einem fest verschlossenen Kästchen geborgen und vor der Nässe bewahrt hatten. Vögel huschten vor ihnen auf, Sträucher entfalteten ihre Blüthen – ein langentbehrter Anblick! Daß die Insel bewohnt sei, hatte ihnen ein dünner Rauchstreifen verrathen, den Adalbert bereits vom Schiff aus wahrgenommen hatte. »Natürlich werden hier Wilde sein, vielleicht Menschenfresser und bösartige Gesellen,« bemerkte der ältere Bruder, »immerhin ist es besser, hier in der grünen Wildniß zu sterben, als dort an Bord mit den widerlichen gelben Räubern zu verfaulen.«

»Ich denke noch gar nicht an's Sterben,« rief Eduard, »wenn sie nicht gar zu zahlreich sind, nehmen wir es mit ihnen auf, wir sind gut bewaffnet, und diese Insulaner haben selten gute Feuerwaffen, ein paar verrostete alte Musketen vielleicht aus einem englischen Kriegsschiff, für die sie gewöhnlich nicht einmal Munition besitzen – und es gibt auch friedfertige Seelen unter ihnen. Jedenfalls ist Wasser hier, eine Quelle muß in der Nähe sein, es wird hier so sumpfig –«

Nach kurzer Frist hatten sie eine munter sprudelnde Quelle erreicht, wuschen sich darin und erquickten sich an dem frischen Naß, das ihnen Nektar dünkte. »Steuermann, wie lange dauerte die Fahrt von Callao bis hierher?« fragte der Capitän.

»Es fehlen zwei Tage an dreizehn Monaten.«

»Lange hat es gedauert,« sagte Adalbert und setzte dann mit einem sarkastischen Lächeln hinzu: »Aber auf der Reise um die Erde sind wir doch ein gutes Stück weiter gekommen.«

Sie waren allmälig aus dem Walde in ein Grasfeld gelängt, auf die Höhe. Zur Rechten lag ein Dorf unter ihnen.

»Wollen wir den Stier bei den Hörnern packen und geradenwegs in die Ortschaft hineinmarschiren?« frug Eduard.

»Nein,« entgegnete Adalbert nach kurzem Bedenken, »wir wollen hier oben bleiben; sieh, dies Terrain ist leichter zu vertheidigen. Noch etwas weiter hinauf steht so etwas wie eine verlassene Hütte. Für die Nacht werden wir dort oben bleiben, nachdem wir uns ein bischen eingerichtet haben.«

*

Die dramatisch bewegten Scenen aus ihrer Weltwanderung hatten mit der Ankunft auf dem Eiland – es war eine der Marschall-Inseln – ein Ende. Die Wilden, die dort hausten, nahmen sie freundlich auf; sie bemerkten bald, daß die beiden weißen Männer stark und wachsam waren, daß sie nichts Unrechtes vollbrachten, aber auch nichts Unrechtes duldeten. Wären die beiden Ankömmlinge weniger kräftig und energisch gewesen, so hätte man ihnen vielleicht nachgestellt und sie erschlagen; aber an diese lebensfrischen blonden Reckengestalten wagten sie sich nicht heran, da sie weder besonders muthvoll, noch mehr als gewöhnlich hinterlistig waren. Es bedurfte keiner großen Anstrengung für die beiden Brüder, um sich im Lauf der Jahre eine gesicherte und angesehene Stellung zu verschaffen, sie beherrschten das Eiland, soweit es sich um ein Herrschen bei den ursprünglichen Verhältnissen der Insulaner handeln konnte.

Sie heirateten auch, wie es Landessitte war und bald spielte ein Schwarm nackter brauner Kinder um sie herum. Sie ackerten und pflanzten und legten neue Kokospalmhaine und Bananenwäldchen an und lehrten die Wilden Alles, was sie selbst verstanden. Die Hütten wurden allmälig größer und geräumiger, die Zäune fester, die Wege sicherer; etwas von dem Fleiße, der Strebsamkeit und der Thatkraft der früheren Schiffer ging auch auf die braunen Menschen über, doch immerhin war es nur eine geringe Wendung zum Bessern. Die Entwicklungsgeschichte der Menschheit hält einen langsamen, fast unmerklichen Schritt inne. Diese Kinder der Natur führen auf ihren Blumeninseln am liebsten ein Traumleben, aus dem sie nur die Sorge um das Nöthigste aufrüttelt.

Adalbert und Eduard Palm vernahmen dort manches Jahr in ihrer Weltabgeschiedenheit den Donnerton der Brandung und das Säuseln der majestätischen Baumkronen; sie sahen ein schier grenzenloses Blühen und Vergehen vor sich und bemerkten dabei kaum das leise Verrinnen der Zeit. Ein Walfischfängerschiff landete, und weiße Männer erschienen vor ihnen; aber ihr Herz hielt noch lange fest an dem Kreise der Ihrigen, an ihrem kleinen Besitzthum, an ihren selbstübernommenen Pflichten. Endlich, da ihre Haare sich schon zu färben begannen, da sie bereits Enkelkinder auf den Knien schaukelten, kam auch ein deutsches Schiff an – eine andere Zeit war angebrochen, und Deutschland streckte seine mächtige Hand nach diesem Theil Oceaniens aus. Ein Lächeln der Freude spielte um ihre Lippen, als sie aus dem Munde der Landsleute wieder deutsche Laute vernahmen, und ein plötzliches Heimweh überkam sie. Die Träume der Jugend waren ihnen längst verblaßt, aber die Erinnerung war noch nicht todt. Sie machten zu Gelde, was sich verkaufen ließ; einem Kaufmann, der ihnen freie Rückfahrt vermittelte, überließen sie ihren Vorrath an Kopra. Den für die Insulaner ziemlich nutzlosen Silberschatz aus Chile, ein paar Dutzend feiner Matten und eine herrliche Muschelsammlung nahmen sie mit sich.

An einem schönen Herbstmorgen fand ihre Reise um die Erde ein Ende; im Morgenroth waren sie dereinst ausgezogen, im Abendschein kehrten sie heim. Der letzte Schimmer der untergehenden Sonne lag auf den mächtigen Kirchen von Stralsund, als zwei graubärtige hohe Männer, die Niemand kannte, an der Fährbrücke landeten und wie traumverloren durch die Hafengasse schritten. Die keifende Stiefmutter, wie die leichtherzige Tilda lagen schon lange unter dem Rasen. Bald saßen sie, wie vor sechsunddreißig Jahren, in dem Ladenstübchen von C. J. Rasmus und tranken sich schweigend und freundlich zu.

Hinter den Brunnenanlagen in Stralsund steht ein zierliches Häuschen mit einem hübschen Garten. Dort kann der Spaziergänger zwei weißköpfige Greise gewahren, die thätig in ihrem wohlgepflegten Besitzthum schalten und walten. Ihre Reise um die Erde hat etwas länger gedauert, als die der »Weltbummler« des gewöhnlichen Schlages; und nun werden sie sich bald zur letzten Reise rüsten.

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