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Ein Vorwort

(mit interessanten Mitteilungen eines Uranusbewohners)

Es wurde mir der Auftrag gegeben, ein Vorwort zu diesem Buch der besten Detektivgeschichten zu schreiben. Und da traf es sich ganz gut, daß grade einer der kürzlich bei uns gelandeten Uranusbewohner bei mir zum Besuch war. Wir saßen in meinem violetten Glaspavillon, in dessen Mitte meine Axolotls im großen Aquarium herumschossen. Es war der Herr Praxistas vom Uranus, der mir gegenüber saß – in seinem großen Schaukelstuhl, als der Auftrag anlangte. Ich fragte gleich den Herrn Praxistas:

»Sagen Sie mal, Verehrtester, gibt es denn auf dem Uranus auch Detektivgeschichten? Ich weiß ja, daß es natürlich Verbrecher bei Ihnen nicht gibt. Doch – ich denke mir, es könnte da etwas Analoges geben. Verzeihen Sie, wenn ich mich in meinen Vermutungen irre. Irren ist menschlich.«

»Sie haben«, versetzte Herr Praxistas rasch, »nicht nötig, sich zu entschuldigen. Ich kenne ja jetzt das Erdgetriebe ziemlich genau. Und da weiß ich gleich, was Sie möchten. Warten Sie ein wenig. Sie sollen ganz interessante Dinge erfahren. Geben Sie mir nur erst eine Ihrer bekannten Meterzigarren in Schraubenform.«

»Mit Vergnügen!« erwiderte ich und rollte ihm den großen Zigarrentisch zu.

Da der Herr zehn Arme und Hände von verschiedener Länge hatte, konnte er sich mit Leichtigkeit selber bedienen, und bald brannte die Schraubenförmige, und zitronengelbe Dampfwolken wirbelten zu den violetten Glaswänden empor.

Unser Heizteppich verbreitete eine angenehme Temperatur.

Mr. Praxistas aber begann gemächlich:

»Sie wissen, daß wir auf dem Uranus nicht Staaten haben – sondern unsäglich viele Gesellschaften. Die Direktoren dieser Gesellschaften machen natürlich einander Konkurrenz und versuchen, das Leben auf dem Uranus immer entzückender zu gestalten. Dazu sind natürlich sehr komplizierte Maschinen nötig. Es gibt Maschinen, die uns nur die Luft umändern; sie sind nicht leicht zu bedienen. Der Ingenieur erster Güte ist hier nicht zu umgehen. Es gibt auch Maschinen, die uns zuweilen mit Flüssigkeiten besprengen – so wie man hier mit Parfüms besprengt wird. Das erfordert auch sehr vortreffliche maschinelle Einrichtungen – und abermals Ingenieure. Immer wieder müssen sich die Gesellschaftsdirektoren an die Ingenieure wenden, die auch für Heizung, Kühlung, für unsre Pastetenzubereitung und für die unzähligen Getränke da sein müssen. Diese Ingenieure sind nun so kostbar wie bei Ihnen die Diamanten. Die Ingenieure sind bei uns die klügsten Leute und verrichten eigentlich alle notwendige Arbeit. Das ist natürlich ein großer Unsinn, daß grade die klügsten Köpfe Arbeit für die Dümmeren verrichten müssen. Darum ist es ganz natürlich, wenn mal die Klugen sagen: Laßt mich in Ruh'; ich will mal ein bischen in der Welt herumreisen. Da denken dann gleich die Gesellschaftsdirektoren, der müde Ingenieur wolle ausrücken. Und darum brauchen auch wir Detektivs auf dem Uranus. Verstehen Sie schon?«

Ich sagte:

»Noch nicht ganz! Wenn die Herren müde sind, muß man ihnen doch Urlaub geben.«

»Schon! Schon!« versetzte Mr. Praxistas heftig rauchend, »die Aufgabe der Uranusdetektivs ist aber: durch denkbar größte Liebenswürdigkeit den Urlaub zu verkürzen. Es ist keine kleine Aufgabe! Unsre Detektivs müssen unsäglich viel Liebenswürdigkeit zur Verfügung haben. Und die Ingenieure dürfen gar nicht merken, daß sie von Detektivs umgeben sind. Mit Gewalt können die bei uns nichts machen. Es ist immer fatal, wenn die Klugen allein die Arbeit verrichten müssen.«

»Warum müssen sie?« fragte ich, »können die Direktoren nicht selber die Bedienung der Maschinen erlernen?«

»Wo denken Sie hin?« rief der Herr vom Uranus, »jahrelange Studien gehören dazu. Und alles ginge zugrunde, wenn die Herren Ingenieure mal wirklich streikten. Ein Glück ist dabei nur, daß sie durch die Streikerei auch zugrunde gingen. Darum lassen sie schon die Streikerei bleiben. Aber – stellen Sie sich die Sammetpfötchen vor, die die Uranusdetektivs haben müssen. Und setzen Sie die Erddetektivs mit ihren festen Händen dagegen. Einen größeren Gegensatz kann man sich ja gar nicht denken.«

Ich hatte diese Rede stenographiert – und ich konnte sie daher wörtlich wiedergeben.

Wir sprachen noch verschiedenes über andre Dinge, deren Wiedergabe ja auch recht interessant wäre, hier aber zu weit ab führen würde.

Herr Praxistas schnallte dann wieder drei Rollschuhe mit Akkumulatoren an drei seiner zwanzig Beine, zog seinen Leopardenfellrock über den ganzen Rumpf und verabschiedete sich herzlich.

»Wollen Sie sich«, fragte ich höflich, »nicht noch eine Schraubenzigarre anstecken?«

»Oh,« rief er da, »Sie wollen wohl Detektiv auf dem Uranus werden! Lassen Sie nur! So liebenswürdig zu werden, wie unsre Detektivs – das gelingt keinem Erdenwurm.«

»Rauchen Sie doch!« bat ich.

»Sie sind sehr plump!« rief er da.

Doch er steckte sich noch eine Schraube an und sagte im Fortrollen:

»Auf der Erde muß man sich an die vielen Schrauben gewöhnen. Auf dem Uranus muß man sich, wenn man ein kluger Ingenieur ist, an die vielen Liebenswürdigkeiten der Detektivs gewöhnen. Auf Wiedersehen, mein Herr!«

Ich sah ihm lange nach. Er sauste dahin wie ein Pfeil, und ich rief tiefaufatmend aus:

»Oh, die Kontraste!«

Paul Scheerbart.


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