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Italienische Novellen. Erster Band
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Ungenannte Verfasser

Der dicke Tischler

In der Stadt Florenz versammelte sich im Jahre 1409 eines Sonntagabends eine Gesellschaft junger Leute zum Nachtessen im Hause eines florentinischen Edelmannes namens Tommaso de Pecori, eines ehrenwerten, rechtschaffenen, heiteren Mannes, der ein großer Freund der Geselligkeit war. Als man nach Tische um das Feuer herumstehend über dies und jenes plauderte, wie es bei dergleichen Veranlassungen unter Bekannten zu geschehen pflegt, sagte einer von ihnen: »Was soll nur das heißen, daß diesen Abend Manetto Ammannatini nicht herkommen wollte, und daß wir ihn durchaus nicht heranzubringen vermochten?«

Der besagte Manetto war und ist noch ein Verfertiger von ausgelegten Holzarbeiten und hatte seine Bude am Platze San Giovanni. Er galt für einen der besten Meister in der besagten Holzarbeit sowohl als in Verfertigung von Werkzeugen für die Arbeitstische der Frauen. Dabei war er ein ganz angenehmer Mensch, eher arglos als schlau, etwa achtundzwanzig Jahre alt, und weil er derb und groß gebaut war, nannte man ihn den Dicken. Er war sonst immer gewohnt, sich in der obengenannten Gesellschaft einzufinden, die aus lauter fröhlichen und lebenslustigen Leuten bestand; diesen Abend aber, seien es anderweitige Geschäfte oder Grillen, wie er sie manchmal hatte, oder was sonst immer, obgleich man es ihm oft gesagt hatte, wollte er sich nicht bereden lassen hinzugehen. Als daher jene überlegten und sich besannen, was schuld daran sein möge, aber keinen Grund auffinden konnten, kamen sie einstimmig zu dem Schusse, es könne nichts anderes als Grillenfängerei von ihm gewesen sein. Sie hielten sich dadurch ein wenig für beleidigt, und der Sprecher von vorhin sagte deshalb: »Aber warum spielen wir ihm nicht einmal einen Streich, damit er sich nicht daran gewöhnt, um seiner Grillen willen uns ganz zu vernachlässigen?«

Darauf erwiderte ein anderer: »Was können wir ihm aber anhaben, als daß wir ihn eines Abends die Zeche bezahlen lassen oder sonst eine Lumperei?«

Es war unter dieser Tischgesellschaft einer namens Filippo di Ser Brunellesco, dessen Verdienst, wie ich glaube, damals und jetzt bekannt ist. Dieser ging vertraut mit dem Dicken um und kannte sein Wesen genau. Er war ein feiner Kopf, und nachdem er eine Weile bei sich nachgesonnen und seine Phantasie hatte spielen lassen, begann er also: »Hört, liebe Freunde, wenn wir Lust haben, da fällt mir etwas ein, eine so hübsche Posse, die wir dem Dicken spielen können, daß wir davon den größten Spaß hätten. Mein Plan besteht nämlich darin, daß wir ihm weismachen, er sei aus sich selber herausgetreten und in einen andern verwandelt, er sei nicht mehr der Dicke, sondern sei ein anderer geworden.«

Hierauf wandten zwar die andern ein, dies sei unmöglich auszuführen; Filippo aber führte ihnen seine Gründe und Beweise an und wußte durch seinen scharfen Verstand ihnen dieselben so überzeugend zu machen, daß sie zuletzt nicht mehr an der Ausführbarkeit des Planes zweifelten. Sie verständigten sich daher über die Art und Weise, wie jeder ihn auf den Glauben zu bringen suchen solle, er sei ein gewisser Matteo, der auch zu ihrer Gesellschaft gehörte, und die Sache nahm am nächsten Abend ihren Anfang in folgender Gestalt.

Filippo di Ser Brunellesco, der bekannter mit dem Dicken war als die übrigen, trat zu der Stunde, da die Handwerker ihre Läden zu schließen pflegen, in die Bude des Dicken ein und plauderte eine Weile mit ihm, bis verabredetermaßen ein kleiner Knabe eilig gelaufen kam und fragte: »Kommt hierher nicht zuweilen Filippo di Ser Brunellesco? Und ist er vielleicht jetzt da?« Filippo trat auf ihn zu, sagte, ja, er sei der Mann, und fragte den Knaben, was er begehre. Darauf antwortete der Knabe: »Ihr sollt so schnell Ihr könnt nach Hause kommen, denn vor zwei Stunden hat Eure Mutter ein großes Unglück gehabt, und sie ist halbtot. Deswegen kommt nur bald!«

Filippo stellte sich an, als wäre er heftig betrübt über diesen Unfall, und rief: »Gott steh' mir bei!«

Damit nahm er Abschied von dem Dicken. Der Dicke sagte teilnehmend: »Ich will mit dir gehen, im Fall du etwas nötig hast. Das sind Fälle, in denen man seine Freunde nicht schonen muß.«

Filippo bedankte sich und sprach: »Ich nehme dich jetzt nicht mit; aber wenn ich etwas brauche, so will ich es dir sagen lassen.«

Filippo ging und schlug anscheinend den Weg nach seiner Wohnung ein, bog aber um und begab sich nach dem Hause des Dicken, das der Kirche der Santa Reparata gegenüberlag. Er öffnete die Tür mit einem Messerchen, ein Verfahren, das er gut verstand, trat ins Haus und schloß sich innen mit dem Riegel so fest ein, daß niemand hineingelangen konnte. Der Dicke hatte eine Mutter, die dieser Tage nach Polverosa gegangen war, wo sie ein Gütchen besaß, um dort eine Wäsche zu veranstalten; sie konnte jeden Tag zurückkommen.

Der Dicke ging, nachdem er seine Bude geschlossen hatte, seiner Gewohnheit nach einigemal auf dem Platze San Giovanni auf und ab, den Kopf mit Gedanken an Filippo erfüllt und von lauter Mitleid mit dessen Mutter. Eine Stunde nach Sonnenuntergang sagte er bei sich selbst: »Nun bedarf Filippo heute meiner doch nicht mehr, da er noch immer nicht nach mir geschickt hat.« Er beschloß also, nach Hause zu gehen; und als er vor seiner Tür, zu der man zwei Stufen in die Höhe trat, angelangt war und wie sonst aufschließen wollte, gelang es ihm nach mehrmaligen Versuchen nicht. Da merkte er, daß von innen der Riegel vor sei. Er klopfte an und rief: »Wer ist denn oben? Mach mir auf!«

Er war der Meinung, seine Mutter sei vom Dorfe zurückgekommen und habe die Tür aus irgendwelcher Vorsicht oder in Gedanken von innen geschlossen. Filippo, der drinnen war, trat an die Spitze der Treppe und sagte: »Wer ist unten?« Dabei ahmte er die Stimme des Dicken nach. Dieser aber entgegnete: »Mach mir auf!«

Filippo tat, als halte er den Pochenden für jenen Matteo, in den sie den Dicken glauben machen wollten, daß er verwandelt sei; sich selbst aber stellte er als den Dicken dar und sagte: »Ei, Matteo, geh mit Gott! Ich bin heute gar nicht aufgelegt, denn eben war Filippo di Ser Brunellesco in meiner Bude, und da wurde ihm gemeldet, seine Mutter sei seit zwei Stunden am Tode. Das hat mich für den ganzen Abend betrübt gemacht.«

Und nach innen gewendet fügte er hinzu: »Monna Giovanna (denn so hieß die Mutter des Dicken), macht, daß ich zu essen bekomme! Es ist doch gar zu arg: vor zwei Tagen solltet Ihr schon wieder da sein und kommt nun erst heute nacht!«

So sagte er noch einige verdrießliche Worte und ahmte dabei immer die Stimme des Dicken nach. Als der Dicke so rufen hörte und dabei doch seine eigene Stimme zu vernehmen glaubte, sagte er: »Was heißt denn das? Kommt es mir doch vor, der da droben sei ich, der da sagt, Filippo sei in seiner Bude gewesen, als man ihm ankündigte, seine Mutter befinde sich nicht wohl. Und überdies schwatzt er mit Monna Giovanna. Wahrhaftig, ich bin ganz von Besinnung.«

Er trat die beiden Stufen wieder hinab und stellte sich zurück, um zu den Fenstern hinaufzurufen. Da kam verabredetermaßen einer namens Donatello hinzu, ein Marmorbildhauer und guter Freund des Dicken; und wie er so in der Dämmerung vorüberging, sagte er: »Guten Abend, Matteo! Suchst du den Dicken? Er ist gerade eben ins Haus hineingegangen.«

Nach diesen Worten ging er seiner Wege. War nun der Dicke vorher voll Verwunderung, so stand er nun, wie er hörte, daß Donatello ihn Matteo nannte, ganz verblüfft und ging wieder auf den San Giovanniplatz, indem er zu sich sagte: »Ich will so lange hier bleiben, bis jemand vorbeigeht, der mich kennt, und mir sagen kann, wer ich eigentlich bin. Bin ich denn Calandrino, daß ich so geschwind ein anderer geworden bin, ohne es zu merken?«

Und während er so halb von Sinnen dastand, kamen nach Abrede vier Diener des Handelsgerichts nebst einem Notar und mit ihnen ein Gläubiger jenes Matteo, für welchen der Dicke schon auf dem besten Wege war sich zu halten. Der Gläubiger trat dicht zum Dicken heran, wandte sich zu dem Notar und den Bewaffneten und sagte: »Führt mir hier den Matteo hinweg! Dieser ist mein Schuldner. Siehst du wohl, ich habe deine Spur so lange verfolgt, bis ich dich endlich erwischt habe.«

Die Gerichtsdiener und der Notar nahmen ihn fest und schickten sich an, ihn hinwegzuführen. Der Dicke aber wandte sich an den, der ihn greifen ließ, und sprach: »Was habe ich mit dir zu schaffen, der du mich festnehmen läßt? Sage, sie sollen mir die Freiheit geben! Du nimmst mich für einen andern, denn ich bin nicht der, für den du mich hältst, und du begehst schweres Unrecht, daß du mir diese Schmach antust, während ich gar nichts mit dir zu schaffen habe. Ich bin der dicke Tischler und nicht Matteo und weiß nicht, für was für einen Matteo du mich ausgibst.«

Hiermit wollte er anfangen, sich zu widersetzen, da er groß und sehr kräftig war. Sie fielen ihm aber rasch in die Arme und hielten ihn; der Gläubiger trat vor ihn hin, faßte ihn scharf ins Auge und sagte: »Wie? Du hast nichts mit mir zu schaffen? So? Ich sollte den Matteo, meinen Schuldner, nicht kennen und nicht wissen, wie der dicke Tischler aussieht? Du stehst in meinem Schuldbuche, und ich habe das Urteil gegen dich schon ein Jahr lang erwirkt trotz deiner Schliche. Du hast ganz recht, wie ein Schuft zu sagen, du seiest nicht Matteo; du wirst aber schon lernen müssen, mich zu bezahlen, statt, dich zu einem andern zu machen. Führt ihn nur hinweg, und wir wollen sehen, ob du derselbe bist.«

Unter solch heftigem Gezänk führten sie ihn auf das Handelsgericht, und weil es fast schon die Zeit des Abendessens war, trafen sie weder unterwegs noch an Ort und Stelle jemand an, der sie kannte. Dort angelangt schrieb der Notar scheinbar einen Verhaftbefehl auf Matteos Namen ein; man brachte ihn ins Gefängnis, und wie er hineintrat, drängten sich die andern Gefangenen, die den Lärm bei seiner Ankunft vernommen hatten und ihn öfters Matteo nennen hörten, ohne ihn zu kennen, heran und sagten alle: »Guten Abend, Matteo, was soll denn das bedeuten?«

Als der Dicke sich von allen diesen Leuten Matteo nennen hörte, schien es ihm fast ausgemacht, daß er es sei, und er sagte, nachdem er ihren Begrüßungen geantwortet hatte, ganz verwirrt: »Ich soll da einem, der mich hat festnehmen lassen, eine Summe Geldes geben, aber ich will mich morgen bei guter Zeit losmachen.«

Die Gefangenen sagten: »Du siehst, wir sind eben beim Abendessen. Halt es mit uns, und dann morgen früh magst du dich freimachen. Aber wir können dir aus Erfahrung sagen, daß man hier immer länger bleibt, als man glaubt.«

Der Dicke speiste mit ihnen, und nach der Mahlzeit räumte ihm einer den schmalen Rand seines Lagers ein, indem er sagte: »Matteo, richte dich heute nacht hier ein, so gut du kannst! Morgen früh, wenn du loskommst, so ist es gut; wo nicht, so schickst du nach deinem Hause um eine Decke.«

Der Dicke dankte ihm; sie legten sich nieder, um zu schlafen; er aber begann im stillen folgende Überlegungen: »Was will ich machen, wenn ich einmal aus dem Dicken der Matteo geworden bin? Und das kommt mir nun ziemlich gewiß vor nach all den Zeichen, die ich gesehen habe. Schicke ich nach Hause zu meiner Mutter und der Dicke ist dort, so machen sie sich lustig über mich, und man wird sagen, ich sei verrückt geworden. Auf der andern Seite scheint es mir aber doch immer noch, ich sei der Dicke.«

Und unter solchem Selbstgespräch, bald seiner Sache gewiß, daß er Matteo, bald, daß er der Dicke sei, kam der Morgen heran, fast ohne daß er geschlafen hatte. Als es Tag wurde, erhob er sich, trat an das Fensterchen an der Tür des Gefängnisses und dachte, er müsse gewiß eines Menschen habhaft werden, der ihn kenne. Während er so wartete, trat in das Handelsgericht ein junger Mann namens Giovanni di Messer Francesco Rucellai, der auch zu jener Gesellschaft gehörte und an dem Abendessen sowie an der spaßhaften Verschwörung teilgenommen hatte. Er war ein guter Bekannter des Dicken, der für ihn eben einen Himmel zu einer heiligen Jungfrau anfertigte, und erst gestern war er eine gute Weile bei ihm in der Bude gewesen, um die Arbeit zu beschleunigen, und der Dicke hatte ihm versprochen, ihm in vier Tagen den Rahmen vollständig zu liefern. Wie nun Giovanni in das Gerichtshaus getreten war, streckte er seinen Kopf in den Flur, auf den das Fenster der Gefängnisse ging, das in jener Zeit zu ebener Erde war, und wo sich der Dicke befand. Sobald er Giovanni erblickte, lächelte er und sah ihn an; Giovanni sah ihn auch an und sagte, als ob er ihn niemals gesehen hätte: »Was lachst du, Freund?«

Der Dicke, dem es vorkam, er werde von jenem nicht erkannt, sagte: »Oh, ich lache über weiter nichts. Sagt mir, kennt Ihr nicht einen, den man den Dicken nennt, der gleich dort hinten am Platz San Giovanni wohnt und ausgelegte Holzarbeiten macht?«

»Ei freilich«, sagte Giovanni. »Ich kenne ihn wohl. Er ist mein guter Freund, und gerade will ich zu ihm gehen wegen einer kleinen Arbeit, die er mir macht.«

Der Dicke fuhr fort: »Ach, so tut mir doch den Gefallen, da Ihr ohnehin zu ihm gehen müßt, und sagt ihm: Es sitzt im Handelsgericht einer deiner Freunde gefangen und bittet dich, du möchtest ihm doch den Gefallen tun, einen Augenblick bei ihm vorzusprechen.« Giovanni sagte, indem er ihm fortwährend fest ins Gesicht sah und nur mit Mühe das Lachen verhalten konnte: »Das will ich gern tun.«

Damit ging er weiter seinen Geschäften nach. Der Dicke aber blieb am Fenster des Gefängnisses und sagte bei sich selbst: »Nun kann ich sicher sein, daß ich nicht mehr der Dicke, sondern daß ich Matteo geworden bin. Verwünscht sei mein Schicksal! Denn wenn ich die Sache sage, so werde ich vollends für närrisch gehalten, und auf der Gasse laufen mir die Kinder nach; sage ich aber nichts, so können noch hundert Mißverständnisse vorkommen, wie das von gestern abend, daß ich festgenommen wurde; so bin ich also auf jeden Fall übel daran. Wir wollen aber doch sehen, ob der Dicke kommt. Wenn er kommt, so erzähle ich es ihm, und wir werden sehen, was das heißen soll.«

Er wartete in dem Wahne, dieser werde kommen, eine geraume Zeit; als er aber nicht kam, trat er zurück, um einem andern Platz zu machen, und stierte das Pflaster zu seinen Füßen an oder blickte mit gefalteten Händen auf zur Decke. Es war dieser Tage in dem besagten Gefängnisse schuldenhalber auch ein Richter in Haft, ein ganz wackerer Mann, ebenso durch den Ruf seiner allgemeinen Bildung als seiner Gesetzkunde bekannt, dessen Name aus Achtung vor ihm hier verschwiegen werden soll. Dieser kannte zwar den Dicken nicht; doch da er ihn so schwermütig sitzen sah und sich einbildete, er sei um seine Schuld betrübt, gedachte er ihn ein wenig zu trösten und sagte zu ihm: »Ei, Matteo, du bist ja so trübselig, als ob es dir geradezu an den Hals ginge, und doch ist nach dem, was du sagst, deine Schuld gering. Man muß sich nicht im Unglück niederdrücken lassen. Warum schickst du nicht nach einem deiner Freunde oder Verwandten aus und suchst deinen Gläubiger zu bezahlen oder dich irgendwie mit ihm zu verständigen, damit du auf freien Fuß kommst und den Mut nicht ganz und gar verlierst?«

Als sich der Dicke so wohlmeinend trösten hörte, entschloß er sich, dem Manne seine Not zu klagen. Er zog ihn in einen Winkel des Gefängnisses und hub an: »Obgleich Ihr mich nicht kennt, werter Herr, so kenne ich doch Euch wohl und weiß, daß Ihr ein braver Mann seid. Ich habe daher beschlossen, Euch den Grund zu sagen, warum ich so schwermütig bin. Ihr sollt nicht glauben, daß eine kleine Schuld mir solches Leid erregt; es ist etwas anderes.«

Darauf erzählte er ihm von Anfang bis zu Ende alles, was ihm begegnet war, fast unter lauter Tränen, und bat sich zweierlei von ihm aus, daß er erstens mit niemand von dieser Sache spreche, und sodann, daß er ihm irgendeinen guten Rat oder Hilfe in seiner Not erteile. Er setzte hinzu: »Ich weiß, daß Ihr lange Zeit studiert habt und viele alte Bücher und Geschichten gelesen habt, in denen mannigfaltige Ereignisse beschrieben sind. Fandet Ihr wohl jemals eine Geschichte darin, welche dieser gleicht?«

Als der wackere Mann diese Rede vernommen und still bei sich erwogen hatte, meinte er, es sei von zwei Fällen nur einer möglich: entweder sei jener närrisch geworden, oder die ganze Sache sei nur eine Posse, – wie es auch war. Er antwortete also schnell, er habe vielerlei der Art gelesen, wie nämlich aus einem Menschen ein anderer geworden sei, und dies sei gerade kein unerhörter Fall.

»Ich hatte«, fügte er hinzu, »früher selbst einen Bauern der Art, dem dieses begegnete.«

Der Dicke seufzte schwer und wußte gar nicht, was er sagen sollte, wenn das so wäre.

»Das nämliche«, fuhr der Richter fort, »liest man von den Begleitern des Odysseus und von andern, welche die Circe verwandelt hat. Allerdings ist, soviel ich höre und nach dem, was ich auch gelesen habe, wenn ich mich recht erinnere, schon mancher wieder zu seiner vorigen Gestalt zurückgekehrt; aber das geschieht doch selten, zumal wenn die Sache lange ansteht.«

Darauf sagte der Dicke: »Sagt mir nun aber, wenn ich Matteo geworden bin, wie ist es dann mit dem alten Matteo?« Der Richter antwortete: »Notwendigerweise muß aus ihm der Dicke geworden sein.«

»Gut«, sagte der Dicke. »Ich möchte ihn doch auch ein bißchen sehen, um meine Neugier zu stillen.«

Unter diesen Gesprächen war es fast Nachmittag geworden, als zwei Brüder dieses Matteo in das Handelsgericht kamen und den Notar der Kasse fragten, ob nicht hier ein Bruder von ihnen gefangen sitze namens Matteo, und wegen welcher Summe man ihn festgenommen habe; sie seien seine Brüder und wollten für ihn bezahlen, um ihn aus der Haft zu befreien. Der Notar der Kasse, der um den ganzen Handel wußte, da er ein guter Freund des Tommaso Pecori war, bejahte die erste Frage, tat, als blättere er in seinem Buche herum, und sagte: »Er ist hier wegen so und so viel auf Ansuchen von dem und dem.«

»Gut«, sagten sie, »wir wollen ihm ein paar Worte sagen und alsdann für die Herbeischaffung des Geldes sorgen.«

Und auf das Gefängnis zugehend sagten sie zu einem, der am Fenster stand: »Sage doch dem Matteo drinnen, es seien zwei von seinen Brüdern hier, welche kommen, um ihn zu befreien! Er solle ein wenig herkommen.«

Während die Brüder hineinschauten, erkannten sie nur zu gut jenen Doktor, der mit dem Dicken sprach. Als der Dicke die Meldung vernommen hatte, fragte er noch den Doktor, was denn aus seinem Bauern geworden sei, und als er ihm sagte, er sei nicht mehr in seine frühere Gestalt zurückgekehrt, machte sich der Dicke doppelt so trübe Gedanken, trat an das Gitter und grüßte sie. Darauf begann der ältere der beiden Brüder solchergestalt zu sprechen: »Du weißt, Matteo, wie oft und viel wir dich ermahnt haben, von dem schlechten Lebenswandel abzulassen, den du seither geführt hast. Du weißt, wir haben dir täglich gesagt: ›Du gerätst tagtäglich in Schulden, heute bei diesem, morgen bei jenem, und bezahlst nie einen Menschen; denn die liederlichen Ausgaben, zu denen dich Spiel und andere Dinge verleiten, machen, daß du nie einen Heller in der Tasche hast.‹ – Nun haben sie dich vollends eingesteckt. Du weißt, daß wir die Mittel haben, und du weißt, wir können jeden Tag für dich bezahlen. Du aber hast seit einiger Zeit, einen wahren Schatz vergeudet für deine Lumpereien, und darum sagen wir dir alles Ernstes, wenn es uns nicht um unsere Ehre wäre und um deine Mutter, die uns keine Ruhe läßt, so ließen wir dich hier ein wenig mürbe werden, damit du in dich gingest. Für diesmal jedoch haben wir uns entschlossen, dich herauszuholen und für dich zu bezahlen, aber mit der Warnung, wenn du wieder einmal hier hineingerätst, so mußt du länger hierbleiben, als dir lieb ist. Damit genug! Damit wir aber bei Tag hier nicht gesehen werden, wollen wir heute abend um Avemaria dich abholen, wenn weniger Leute um den Weg sind, damit nicht jedermann Zeuge unsers Elends wird und wir uns um deinetwillen nicht noch mehr schämen müssen.«

Der Dicke gab ihnen gute Worte und versprach hoch und teuer, er wolle in Zukunft ein ganz anderes Leben führen, als er seither getan, und sich hüten, solchen Unfug zu treiben und ihnen so viel Schande ins Haus zu bringen. Er bat sie um Gottes willen, sie möchten ihn ja doch abholen, sobald es Zeit sei. Sie versprachen es zu tun und gingen hinweg; er aber zog sich zurück und sagte zu dem Richter: »Es kommt immer besser bei mir, denn eben Bind zwei Brüder des Matteo dagewesen, eben jenes Matteo, mit dem ich verwechselt werde, und haben mit mir gesprochen gerade, als wäre ich Matteo, und haben mich ernstlich ermahnt, aber dabei gesagt, sie wollen um Avemaria kommen, um mich abzuholen. Und,« fügte er hinzu, »wenn sie mich aus dem Gefängnis wegführen, wo soll ich alsdann hin? In mein Haus kann ich nicht zurück: denn wenn dort der Dicke ist, was soll ich sagen, will ich nicht für einen Narren gehalten werden? Und es scheint mir ganz gewiß, daß der Dicke dort ist; denn wäre er nicht zu Hause, so hätte ja meine Mutter mich suchen lassen, während jetzt, wenn sie ihn vor sich sieht, sie diesen Irrtum nicht gewahr wird.«

Der Richter hielt das Lachen nur mit großer Mühe zurück und hatte über die Geschichte eine außerordentliche Freude.

»Geh ja nicht dorthin«, sagte er, »sondern folge denen, die sich für deine Brüder ausgeben! Du wirst bald sehen, wohin sie dich führen, und was sie dann mit dir anfangen.«

Während sie so zusammen sprachen, kam der Abend heran; die Brüder erschienen und stellten sich, als wenn sie den Gläubiger und die Kasse befriedigt hätten. Da erhob sich der Notar von seinem Sitze mit den Schlüsseln des Gefängnisses und sprach hinein: »Wer von euch ist der Matteo ?«

Der Dicke trat vor und sagte: »Ich bin es, mein Herr!« Der Notar betrachtete ihn aufmerksam und sagte: »Diese deine Brüder haben deine Schuld für dich bezahlt; du bist demnach frei.«

Darauf öffnete er das Tor des Gefängnisses und sprach: »Geh deines Weges!«

Der Dicke trat heraus, und da es schon sehr dunkel war, machte er sich mit jenen auf den Weg nach ihrer Wohnung bei Santa Felicita, wo man nach San Giorgio hinaufgeht. Als sie dort angekommen waren, führten sie ihn in ein Zimmer zu ebener Erde und sagten zu ihm: »Verweile hier, bis es Essenszeit ist!«

Sie taten, als wollten sie ihn der Mutter nicht unter die Augen bringen, um sie nicht zu betrüben. Nicht weit vom Feuer war ein kleines Tischchen bereitet. Einer der Brüder blieb bei ihm am Kamin sitzen; der andere ging zum. Pfarrer von Santa Felicita, ihrem Seelsorger, der eine ehrliche Haut war. Zu diesem sagte er: »Lieber Herr, ich komme zu Euch mit dem Vertrauen, wie es ein Nachbar zum andern haben soll. Ihr müßt wissen, daß wir drei Brüder sind, und darunter ist einer, welcher Matteo heißt. Dieser wurde gestern wegen einiger Schulden, die er gemacht, im Handelsgericht verhaftet und hat sich nun die Gefangenschaft so zu Herzen gezogen, daß es uns vorkommt, er sei fast nicht mehr richtig im Kopfe; indes scheint er nur in einem einzigen Punkte zu wanken, in allen andern ist er noch ganz der alte Matteo; die schwache Seite ist nämlich die, daß er sich in den Kopf gesetzt hat, er sei ein anderer geworden, als Matteo. Habt Ihr je eine so tolle Geschichte gehört? Er sagt geradezu, er sei ein gewisser dicker Tischler, welcher seine Bude hinter San Giovanni hat und bei Santa Maria del Fiore wohnt. Das können wir ihm durchaus nicht aus dem Kopf bringen. Wir haben ihn daher aus dem Gefängnis befreit, nach Hause geführt und in eine besondere Stube gebracht, damit seine Narrheiten nicht weiter unter die Leute kommen; denn Ihr wißt wohl, wer einmal aus diesem Horn geblasen hat, der wird, wenn er auch aufs beste zu seinem Verstande zurückkehrt, doch immer gefoppt. Und wenn es unsere Mutter bemerkte, ehe er wieder zur Besinnung kommt, könnten allerlei Unannehmlichkeiten daraus entstehen. Die Frauen lassen sich gar leicht erschrecken; sie ist alt und kränklich. Und darum, um es kurz zu machen, wollen wir Euch bitten, aus Erbarmen mit nach unserm Hause zu kommen, damit Ihr mit ihm sprecht und versucht, ihm seine Einbildungen aus dem Sinne zu bringen. Wir würden Euch zeitlebens dafür dankbar sein.«

Der Priester war ein dienstfertiger Mann und erbot sich daher zu allem. Er sagte, wenn er mit ihm spreche, so werde er der Sache bald auf den Grund sehen; er wolle ihm schon so lange und so eindringlich zureden, daß er wohl hoffe, ihm die Sache aus dem Kopf zu treiben. Er machte sich gleich mit jenem auf den Weg nach dem Hause, und als sie vor das Zimmer kamen, wo sich der Dicke befand, trat der Priester hinein, und der Dicke, der in seine Gedanken vertieft dasaß, stand auf, sobald er ihn erblickte. Der Priester sagte zu ihm: »Guten Abend, Matteo!«

»Guten Abend und gute Zeit!« erwiderte der Dicke. »Was führt Euch zu mir?«

Darauf entgegnete der Priester: »Ich bin gekommen, um ein wenig bei dir zu bleiben.«

Sodann setzte er sich nieder und sagte zu dem Dicken: »Setze dich hier neben mich: ich will dir dann sagen, was mein Begehr ist.«

Der Dicke, um nicht zu widersprechen, setzte sich zu ihm hin, und der Priester fing an, ihm folgende Ermahnung zu halten: »Die Ursache, weshalb ich hierher gekommen bin, Matteo, ist, weil ich eine Sache vernommen habe, die mir ernstlich Kummer macht. Wie ich nämlich gehört habe, bist du dieser Tage schuldenhalber auf dem Handelsgerichte verhaftet gewesen, und wie es scheint, hast du dir dies so zu Herzen gezogen, daß du nahe daran bist, den Verstand zu verlieren. Unter andern Torheiten, die du, wie ich höre, begangen hast und noch begehst, sollst du auch behaupten, daß du nicht mehr Matteo seiest und durchaus ein anderer sein willst, ein Holzarbeiter, den man den Dicken heißt. Du bist sehr zu tadeln, daß du um einer kleinen Widerwärtigkeit willen einem so großen Schmerz in deinem Herzen Raum gibst, der dich in den Verdacht bringt, du seiest nicht recht bei dir, und der dich, was dir nicht eben zur Ehre gereicht, durch deine Hartnäckigkeit in diesem Punkte zum Gespötte der Menschen macht. Um sechs Gulden? Ist denn das so etwas Arges? Und noch überdies wenn sie bezahlt sind! Lieber Matteo«, sagte der Priester, ihm die Hand drückend, »ich wünschte in Wahrheit, du ließest davon ab, und ich bitte dich, daß du mir zuliebe das Versprechen tuest, von diesem Augenblicke an diese Narrheit aufzugeben und wieder an deine Geschäfte zu gehen, wie es einem rechtschaffenen Manne geziemt, und wie alle andern Leute tun. Du würdest damit diesen deinen Brüdern große Freude bereiten und jedem, der es gut mit euch meint, und mir selber. Ist denn dieser Dicke ein so großer Meister oder ist er so reich, daß du lieber er sein willst als du? Welchen Vorteil siehst du denn dabei, daß du dies tust? Vorausgesetzt auch, jener sei ein würdiger Mann, und er sei reicher als du (während er doch nach dem, was mir die Deinigen sagen, eher unter dir steht), so wirst du doch dadurch, daß du sagst, du seiest er, darum nicht seinen Wert noch seinen Reichtum erlangen. Erführe die Welt, daß du von Sinnen gewesen bist, selbst wenn du nachher wieder zum besten Verstände von der Welt gelangtest, und was du auch tun möchtest, man würde doch immer sagen, du seiest verrückt gewesen, und du wärest ein verlorener Mensch. Kurz, sorge, daß du ein Mensch bist und kein Vieh, und laß alle diese Possen schwinden! Darum bitte ich dich inständig. Was Dicker oder nicht Dicker! Mach es nach meiner Weise! Ich rate dir zu deinem Besten.«

Dabei schaute er ihm recht freundlich ins Gesicht. Als der Dicke ihn so liebreich hatte reden hören und die passenden Worte erwogen hatte, die er zu ihm gesprochen, zweifelte er nicht mehr daran, daß er Matteo sei, und antwortete ohne Bedenken, er sei bereit, in betreff dessen, was er von ihm verlange, sein möglichstes zu tun, indem er wohl einsehe, daß alle seine Reden nur auf sein Bestes abzwecken. Er versprach ihm, von nun an sich alle Mühe zu geben, daß er nicht mehr auf den Gedanken komme, ein anderer zu sein als er selbst, nämlich Matteo. Aber er bitte ihn nur um eine einzige Gunst, wenn sie gewährt werden könne, nämlich er möchte nur ein einziges Mal mit jenem Dicken sprechen, um sich vollkommen zu überzeugen.

Hierauf erwiderte der Priester: »Dies würde sich gar schlecht mit deinem Nutzen vertragen. Ich sehe wohl, daß du die Grillen noch immer im Kopfe hast. Was brauchst du überhaupt mit dem Dicken zu reden? Was hast du mit ihm zu schaffen? Je mehr du darüber sprichst, je mehr Leuten du diese Sache entdeckst, desto schlimmer ist es für dich, und desto mehr schadet es dir.«

Und in diesem Ton sprach er dem Dicken so lange zu, bis er sich endlich zufrieden gab und von dem Wunsche, mit ihm zu sprechen, abstand. Darauf ging er weg von ihm, erzählte den Brüdern, was er getan und gesprochen habe, und was Matteo ihm zugesagt. Darauf verabschiedete er sich von ihnen und kehrte in die Kirche zurück. Einer der Brüder drückte ihm einen Silbergroschen in die Hand, um die Sache noch glaubhafter zu machen, und dankte ihm für seine Mühe.

Mittlerweile, während der Priester den Dicken vornahm, war Filippo di Ser Brunellesco heimlich herbeigeschlichen und hatte sich unter unendlichem Gelächter in einem entfernten Zimmer von einem der Brüder alles wiedererzählen lassen, wie der Dicke aus dem Gefängnis gebracht worden war, was sie ihm unterwegs gesagt hatten und so fort. Er hatte in einen großen Becher ein Getränk gegossen und sprach zu einem der beiden Brüder: »Macht, daß Ihr ihm unter dem Nachtessen dies zu trinken gebt, entweder im Wein oder wie Ihr am liebsten wollt, ohne daß er es merkt. Es ist ein Schlaftrunk, auf den er so fest einschlafen muß, daß er es ein paar Stunden lang nicht fühlen würde, und wenn man ihn prügelte. Gegen fünf Uhr will ich dann wieder nachsehen, und wir besorgen dann das übrige.«

Die Brüder kehrten in die Stube zum Dicken zurück und setzten sich mit ihm ans Essen, als es schon drei Uhr vorüber war. Während sie so bei Tisch saßen, brachten sie ihm den Schlaftrunk so geschickt bei, daß er gar nichts davon merkte. Als sie fertiggespeist hatten und ein wenig am Feuer saßen, begann die Arznei so kräftig zu wirken, daß der Dicke mit aller Mühe die Augen nicht mehr offenhalten konnte vor schwerem Schlafe, der ihn bewältigte. Die andern sagten zu ihm: »Matteo, du scheinst ja vor Müdigkeit umzufallen. Du hast wohl heute nacht wenig geschlafen?«

Das hatten sie getroffen.

»Ich versichere euch«, erwiderte hierauf der Dicke, »daß ich mein Leben lang nicht so schläfrig gewesen bin. Es könnte nicht ärger sein, wenn ich einen Monat lang nicht geschlafen hätte. Ich will mich daher zu Bette legen.«

Er fing an, sich auszukleiden, hatte aber kaum noch Kraft, die Schuhe abzuziehen und sich auf das Bett zu werfen, so war er schon fest eingeschlafen und schnarchte wie ein Schwein.

Zur festgesetzten Stunde kehrte Filippo di Ser Brunellesco mit sechs seiner Gefährten zurück und trat in die Kammer, wo jener lag. Da sie bemerkten, daß er fest schlief, so nahmen sie ihn und legten ihn mit allen seinen Kleidern auf eine Tragbahre und trugen ihn nach seinem Hause, welches ganz leer stand, weil seine Mutter zufällig noch nicht vom Lande zurückgekehrt war. Sie trugen ihn an das Bett, legten ihn hinein und warfen seine Kleider an denselben Platz hin, wo er sie selbst hinzutun gewohnt war; doch ihn selbst kehrten sie mit dem Kopfe dahin, wo er sonst die Füße zu legen pflegte. Als dies geschehen war, nahmen sie die Schlüssel zu seiner Bude, die an einem Haken in seiner Schlafkammer hingen, machten sie auf, traten hinein und legten alle seine eisernen Werkzeuge an einen andern Ort, als wo sie bisher lagen. Alle Eisen an den Hobeln rissen sie aus dem Gestell und drehten die Schneide gegen oben und das Dicke nach unten. Ebenso machten sie es mit allen Hämmern und mit den Äxten, und in der ganzen Bude verwirrten sie alles auf eine Art, daß es schien, es hätten hunderttausend Teufel darin ihr Wesen getrieben. Endlich schlossen sie den Laden wieder ab, trugen die Schlüssel in das Zimmer des Dicken zurück, schlössen auch dort die Tür und gingen sodann jeder nach Haus, um zu schlafen.

Der Dicke, betäubt von dem Tranke, schlief diese ganze Nacht über, ohne je zur Besinnung zu kommen. Des andern Morgens aber, um die Zeit des Avemaria in Santa Maria del Fiore, hatte der Trank seine Wirkung vollendet: der Dicke erwachte, als es schon Tag war; und als er die Glocke erkannte und die Augen aufschlug, erkannte er bei der durch ein Zugloch einfallenden Helle, daß er in seinem eigenen Hause war, und als er sich aller frühern Ereignisse erinnerte, überfiel ihn das größte Erstaunen. Er erinnerte sich, wo er am vorigen Abend zu Bett gegangen war und wo er sich damals befand, und mit einemmal war er von Zweifeln bestürmt, ob er das alles geträumt habe, oder ob er jetzt träume. Bald schien ihm das eine wahr zu sein, bald das andere, und nach einem recht aus Herzensgrund hervorgeholten Seufzer rief er: »Gott steh' mir bei!«

Er sprang aus dem Bette, kleidete sich an, nahm die Schlüssel der Bude auf und rannte dahin. Als er aufgeschlossen hatte, sah er die ganze Werkstätte in Verwirrung, alle Eisen verkehrt und von ihrem Platz entfernt, worüber er nicht wenig sich verwunderte. Doch räumte er allmählich auf und rückte die Gegenstände wieder zurecht. Da kamen auf einmal die zwei Brüder Matteos, und als sie ihn so beschäftigt fanden, sagte einer von ihnen, gerade wie wenn sie ihn nicht kennten: »Guten Tag, Meister!«

Der Dicke drehte sich nach ihnen um, und als er sie erkannte, verfärbte er sich ein wenig, sagte aber dennoch: »Guten Tag und gutes Jahr! Was führt euch her?«

Einer von beiden sprach: »Ich will es dir sagen. Wir haben einen Bruder, namens Matteo; dieser wurde vor einigen Tagen verhaftet und ist aus Kummer darüber halb von Sinnen gekommen. So sagt er unter anderm, er sei nicht mehr Matteo, sondern der Meister dieser Bude, den man, wie es scheint, den Dicken heißt. Wir haben ihn nun sehr ermahnt und ihm auch gestern abend von dem Priester unserer Pfarre zusprechen lassen, der ein sehr braver Mann ist. Dem hatte er versprochen, sich diese Narrheit aus dem Sinn zu schlagen, so daß er auch mit dem besten Appetit zu Nacht speiste und in unserer Gegenwart zu Bett ging. Diesen Morgen aber hat er sich, ohne daß es jemand merkte, davongeschlichen, wir wissen nicht wohin. Deshalb sind wir hierhergekommen, um zu sehen, ob er wohl dagewesen ist, oder ob du uns nichts von ihm zu sagen weißt.«

Dem Dicken schwindelte es bei diesen Reden. Er erwiderte: »Ich verstehe nicht, was Ihr sagt, und begreife nichts von Euren Possen. Matteo ist nicht hierhergekommen, und wenn er sich für mich ausgibt, begeht er eine große Schurkerei. Bei meiner Seele, treffe ich einmal mit ihm zusammen, so will ich meine Lust an ihm büßen und will doch sehen, ob ich er bin oder er ich ist. Was zum Teufel ist das für ein Spuk die zwei Tage her!« Mit diesen Worten ergriff er voll Zorn seinen Mantel, zog die Tür des Ladens hinter sich zu, ließ jene stehen und lief unter heftigen Drohungen gegen Santa Maria del Fiore zu. Die Brüder machten sich hinweg, und der Dicke trat in die Kirche, wo er auf- und niederschritt, wie ein Löwe aussehend, so wütend war er über diese Geschichte. Unterdessen kam ein Handwerksgenosse von ihm eben dahin, der mit ihm bei dem Meister Pellegrino in Terma das Schreinerhandwerk erlernt hatte. Dieser junge Mann war schon vor mehreren Jahren ausgewandert und nach Ungarn gezogen, und es war ihm dort sehr gut ergangen durch die Unterstützung eines andern Florentiners, des Filippo Scolari, der sich lo Spano nannte und damals Generalkapitän des Heeres von Sigismund, dem Sohn König Karls von Böhmen, war. Dieser Spano nahm alle Florentiner gut auf, die sich durch Kenntnisse oder Geschicklichkeit irgend auszeichneten, da er ein sehr wackerer Mann war und seine Landsleute ganz besonders liebte, wie er denn auch von ihnen geliebt zu werden verdiente, da er sich gegen so viele wohltätig erwies. Um diese Zeit nun war jener nach Florenz gekommen, um sich zu erkundigen, ob er nicht von dort einen Meister seines Handwerks mitnehmen könne, weil er so viele Arbeiten übernommen hatte. Schon mehrmals hatte er mit dem Dicken davon gesprochen und ihn gebeten, mit ihm zu ziehen, wobei er ihm in Aussicht stellte, wie sie in wenigen Jahren reich werden könnten. Als er ihm hier wieder begegnete, sagte der Dicke: »Du hast mir schon mehrmals zugeredet, mit dir nach Ungarn zu ziehen, und ich habe es dir immer abgeschlagen. Jetzt habe ich um eines sonderbaren Unfalls willen und wegen einiger Mißhelligkeiten mit meiner Mutter den Entschluß gefaßt, mit dir zu ziehen, wenn du mich anders noch haben willst. Wenn es dir recht ist, so will ich morgen früh schon abreisen; denn bliebe ich noch länger, so könnte wieder etwas dazwischenkommen.«

Der junge Mann sagte zu ihm, es werde ihm sehr lieb sein; doch könne er morgen nicht schon abreisen, da er sonst noch Geschäfte habe; er könne aber ja morgen früh gehen, wenn er wolle, und ihn in Bologna erwarten, wo er auch in wenigen Tagen eintreffen werde. Der Dicke war damit zufrieden, und so wurden sie eins. Der Dicke ging daher in den Laden zurück, nahm viele von seinen Werkzeugen und einige Kleinigkeiten, die er fortbringen konnte, sowie einiges Geld, das er hatte. Als dies geschehen war, ging er nach Borgo San Lorenzo, mietete ein Pferd nach Bologna, stieg am folgenden Morgen auf und nahm seinen Weg dorthin, nachdem er einen an seine Mutter geschriebenen Brief zurückgelassen hatte, worin es hieß, sie möge alles, was im Laden zurückgeblieben sei, als Geschenk behalten; er gehe nach Ungarn; sie solle verkaufen, was sie finde.

Auf diese Art schied der Dicke von Florenz, erwartete in Bologna seinen Gefährten und reiste mit ihm nach Ungarn, wo ihre Geschäfte so gut vonstatten gingen, daß sie in wenigen Jahren durch die Gunst des genannten Spano nach ihren Verhältnissen reich wurden. Spano machte ihn zum Kriegswerkmeister, und er führte den Namen Meister Manetto von Florenz. Der Dicke kam später mehrmals nach Florenz, und als ihn Filippo di Ser Brunellesco um seine Auswanderung befragte, erzählte er ihm in bester Ordnung diese Geschichte und gab sie als Grund seines Weggehens von Florenz an.

Der Hauptmann von Norcia

Da ich mich bei der großen Sterblichkeit im Jahre des Herrn 1430 Geschäfte halber in Florenz aufhielt und gerade im Monat Juli wie gewöhnlich die größte Hitze herrschte, kam ich eines Tages auch einmal an die Loggia der Buondelmonti in Gesellschaft eines Venezianers Piero und mit Giovannozzo Pitti. Wir sprachen von Tagesangelegenheiten und besonders von der Pest, als einige gute Freunde zu uns traten, worunter Lioncino di Messer Guccio de'Nobili. Dieser unterbrach unsere Unterhaltung und sagte mit ganz heiterer Miene: »Lassen wir die Toten bei den Toten und die Ärzte bei den Kranken! Wir Gesunde aber wollen nach Freude trachten und lustig sein; sonst könnte es mit unserer Gesundheit auch nicht mehr zu lang dauern. Ich mache mich anheischig, wenn ihr mit mir kommen wollt, euch für den Rest des Tages Lust und Unterhaltung zu bereiten.«

Alle antworteten ihm, er möge einen Weg nach seinem Belieben einschlagen, wir werden ihm alle nachfolgen und gehorchen; und so wandte er sich denn zwischen Giovannozzo Pitti und Piero dem Venezianer nach der alten Brücke zu. Wir gingen hinüber, und er geleitete uns unter mannigfaltigen anmutigen Gesprächen nach dem Pittischen Garten, woselbst sogleich von Giovannozzo Pitti unter einer Jasminlaube, in deren Mitte ein feiner frischer Wasserstrahl aufschoß, ein Tisch bestellt wurde, voll von Früchten, wie man sie in dieser Zeit brauchte, nebst zwei Kühlgefäßen voll der besten weißen und roten Weine.

Als wir uns dort einige Zeit aufgehalten und alle erfrischt hatten, machte Piero der Venezianer mit einem lustigen Anfang unsere Aufmerksamkeit rege und begann die Geschichte von Madonna Lisetta, die ich sonst auch von ihm gehört und dir erzählt habe. Sie war aber um so ergötzlicher, als er alle Bewegungen und Gebärden der Frau und des Bauers nachmachte, mit Lachen und Weinen abwechslungsweise und zu gleicher Zeit, so daß wir die Sache selbst zu sehen und zu hören glaubten. Als er damit fertig war und wir eine gute Weile darüber gelacht hatten, wandte sich Lioncino noch in vollem Lachen zu ihm und sagte: »Piero, ich wünsche, daß unser so lange andauernder Streit endlich zur Entscheidung komme, und daß du dich überzeugest, daß ich besser erzählen kann als du. Diese wackern Männer, welche deine Geschichte gehört haben, werden so geduldig sein, auch eine von mir zu hören. Geben sie das Urteil, daß diese ergötzlicher ist als die deine, so werde ich mich fortan den Meister nennen; im entgegengesetzten Falle aber werde ich die Meisterschaft dir zugestehen.«

Piero erklärte sich einverstanden, Lioncino strich sich den Bart, trank einen Schluck und fing darauf also an: »Ihr kennt, glaube ich, alle den Bianco Alfani oder habt doch oft von ihm gehört. Er scheint auf den ersten Anblick noch jung, mag aber doch über vierzig Jahre auf dem Rücken haben; und wenn man ihm auch sogleich ansieht, daß er listig und boshaft ist, so paßt doch seine List mehr zu seinem scheinbaren Alter als zu seinem wirklichen, wie ihr erfahren könnt, ehe wir heute auseinandergehen. Er war von Jugend auf bis jetzt fast immer Aufseher im Schuldgefängnisse, wo er die armen Gefangenen auslöste und sich dadurch schon viel Geld erworben hat. Da er aber immer ein lustiger Bruder war und die Frauen gern sah, besonders die jungen, so blieb ihm wenig von seinem Erwerb übrig, und was er mit dem wenigen angefangen, das sollt ihr nun hören. Voriges Jahr pflegte er oft auf den Neumarkt zu kommen und hatte dort des Abends nach dem Essen immer einen Kreis von jungen Leuten um sich, die ihm nachliefen wie die Vögel der Eule, um seine Aufschneidereien und Geschichten zu hören, an welchen sie großes Gefallen fanden. Als wir nun eines Abends auch einmal auf unserm Bänkchen saßen, Herr Antonio der Hofnarr, Herr Niccolò Tinucci und ich, war jener Bianco nahe bei uns mit seiner Zuhörerschaft, wie gewöhnlich. Wir hörten ihre Gespräche mit an und fanden allmählich Vergnügen an seiner Einfalt und an dem, was jene Jungen zu ihm sagten. Wir hatten ihm so eine Weile zugehört, als Herr Niccolò zu uns sagte: Ich will euch einen Spaß machen. Voriges Jahr war hier ein gewisser Giovanni di Santi von Norcia Exekutor, mit dem dieser Strohkopf früher einmal, ich weiß nicht in welcher Angelegenheit, in Norcia war und deswegen so vertraut mit ihm wurde, daß ich, der ich genau mit jenem bekannt bin und ihn in Geschäften einiger Freunde oft besuchte, ihn fast immer, wenn ich hinkam, bei ihm antraf, und Giovanni hatte seine größte Lust an ihm und ließ ihn den Wahnsinnigen spielen, wie ihr diesen Abend es ihn habt ausführen sehen. Einstmals hatte ihn Giovanni mit irgendeinem unbedeutenden Geschäft beauftragt, denn er verwandte ihn zu dergleichen kleinen Dingen, und sagte: Geh, mein Bianco, und komm gleich wieder mit der Antwort, und sei versichert, ich will dich noch einmal für alle die Mühe entschädigen, die ich dir mache, und zwar mit etwas anderm als mit Zetteln oder sonstigen Lumpereien!

Wenn Ihr mich auch entschädigt, antwortete er, ich kenne vielleicht die Norciner nicht recht.

Kenne wen du willst! sagte Giovanni. Ich habe, da ich so zu Hause bin, überlegt, nicht zu ruhen, bis ich dich zum Hauptmann von Norcia gemacht habe.

Hört einmal, das wäre etwas! Und dazu wollte ich den Amtsstab nicht schlechter führen als Ihr den Eurigen. Gut, das wollen wir bald sehen.

Nur vorwärts! sagte Bianco und ging sehr heiter weg, wohin man ihn gewiesen hatte.

Als er weg war, brach der Exekutor in ein Gelächter aus und sagte zu mir: Was dünkt Euch, Herr? Der Mensch glaubt sicher, er werde unser Hauptmann, und ich weiß nicht, ob man ihn nur als Anführer der Häscher haben wollte. Aber wißt Ihr was? Wenn ich ihn in dieser Hoffnung bestärke, so macht das mir Spaß, und er besorgt mir doch meine kleinen Geschäftchen pünktlicher. Was sagt aber ihr dazu, daß sich diesem verrückten Menschen die Sache so fest in den Kopf gesetzt hatte, daß ich ihn später nie dort traf, ohne daß er auf das Kapitel kam und darüber gehänselt und geneckt wurde von allen Leuten im Hause bis auf die Häscher hinab, ohne daß er es je merkte. Ja, zuletzt, als Giovanni wegging und ich ihn bis an das Bad von Ripoli begleitete, kam er auch daher und erinnerte ihn beim Abschied sehr eindringlich daran. Der Freund sagte zu ihm: Sei gutes Muts! Ich werde dir mein Versprechen halten.

Und so zählte er darauf so gewiß wie auf den Tod nach den Worten, die er mir, als wir zusammen zurückkehrten, unterwegs mitteilte.

Als ich Herrn Niccolò angehört hatte, fing ich an zu lachen und sagte: Mit diesem Menschen ließe sich ein herrlicher Spaß anrichten, wenn es wahr ist, was Ihr da gesagt habt. Wenn wir ihm einen Brief schicken, als käme er von diesem Giovanni di Santi, und worin er ihn in der Sache bestärkt, so steigern wir ihn noch mehr in seiner Narrheit und kriegen hier des Abends tausend neue Dinge von ihm zu hören.

Ganz gewiß, sagte Herr Niccolò.

Hand ans Werk! rief Herr Antonio. Der Brief ist meine Sache, denn die norcische Mundart habe ich wohl besser weg als sonst einer von euch. Ihr übernehmt dann die Sorge der Zusendung, Herr! Morgen früh sollt Ihr ihn fertig haben.

Er hielt Wort, denn am andern Morgen brachte er einen Brief, den jedermann für von einem Norciner verfaßt erkannt hätte. Darin stand denn wirklich, ein Verwandter von ihm sei durchs Los zum Wahlmann des Hauptmanns bestellt worden und er hoffe gewiß, seine Wahl durchzusetzen; er solle aber noch nicht davon sprechen. Herr Niccolò ließ ihn von einem befreundeten Notar abschreiben und übersandte ihn durch einen vertrauten Eilboten, der eben vom Land kam und ganz mit Staub überdeckt war, so daß man ihm wohl ansah, daß er von weiterher kam. Er ging in die Straße dell'Orto hinter San Piero dem Größern, wo jener wohnte, fragte nach dem Hause, und es wurde ihm gezeigt. Er fand den Bianco an der Tür, machte ihm seine Reverenz und gab ihm den Brief.

Als er ihn gelesen hatte, nahm er ganz beglückt den Boten bei der Hand und führte ihn, er mochte wollen oder nicht, zum Abendessen. Als Bianco ihn nach Giovanni fragte, antwortete er ihm, wie er von dem Herrn unterwiesen war. Nachdem sie gegessen hatten, sagte der Bote, er wolle des andern Morgens bei guter Zeit aufbrechen, und er könne ihm eine Antwort mitgeben, wenn er wolle. Bianco setzte eine Antwort auf, gab sie dem Boten, und dieser brachte sie dem Herrn Niccolò, welcher uns besuchte und sie uns vorlas, und wir entnahmen daraus, daß jener der festen Hoffnung lebe. Überdies, als wir desselbigen Tages nach dem Schuldgefängnisse gingen, fanden wir, daß er bald zu diesem Gefangenen, bald zu jenem oder auch zu den Dabeistehenden bei jeder Gelegenheit sagte: Ich komme doch noch einmal weg aus diesem Spitzbubennest. Wahrlich, es wird nicht ein Monat umgehen, so wird man sehen, ob ich etwas oder nichts gelte. Außerdem machte er noch tausend andere Torheiten, die uns in unsern Gedanken bestärkten, weshalb wir denn die Sache weiter ausspinnen zu können glaubten. Wir schrieben von neuem einen Brief gleichfalls im Namen des besagten Giovanni und überschickten ihn durch denselben Boten einige Tage später. Bianco wurde darin benachrichtigt, daß er gewählt sei, und daß er ihm in einigen Tagen die Wahlurkunde zusenden werde. Er solle aber die Sache vollkommen in der Stille halten, bis die Urkunde erfolge. Auf diesen Brief erhielten wir alsbald Antwort, und in einer Weise, daß wir uns vornahmen, die Mystifikation auf die Spitze zutreiben. Darum verfertigte nach einigen Tagen Herr Niccolò eine Wahlurkunde nach seinem Geschmack. Diese wurde sofort mit einem großen Siegel, das wir von Ciave borgten, gesiegelt und dann in Begleitung eines Briefs, gleichfalls im Namen des besagten Giovanni, ihm durch den nämlichen Laufboten übersandt mit der Weisung, er solle sich am vierundzwanzigsten Juli in Pergola, drei Meilen von Norcia, einfinden und nur für Fahnen und Rüstung und einiges Tafelweißzeug sorgen; auf alles übrige wolle er selbst bedacht sein; vor allem aber solle er nicht vergessen, einen passenden Ritter mitzubringen.

Als der Bote zu ihm kam, zeigte er sich ganz heiter. Der Bote zog seinen Hut ab, überreichte den Brief und sprach: Wohl bekomme es Euch, gnädiger Herr!

Bianco las den Brief und war über den Anblick der Wahlurkunde so entzückt, daß er sich nicht zu fassen wußte. Er nahm den Boten mit nach Hause und schenkte ihm vierzig Groschen, wobei er ihm noch mehr zu geben versprach, sobald er in Norcia wäre. Sodann schrieb er ihm die Antwort und konnte es kaum erwarten, bis er auf den Neumarkt kam. Sobald er zu Abend gegessen hatte, ging er dahin, machte sich zu einer Gesellschaft, welche in unserer Nähe war, und unterbrach ihre Unterhaltung mit den Worten: Nun, glaubt ihr jetzt, daß man den Bianco kennt, oder meint ihr, er gelte nichts?

Man drehte sich nach ihm um und fragte ihn: Wie? Was gibt es Neues, Bianco? Was bedeuten diese Reden?

Er antwortete, seine Wahlurkunde in der Hand haltend: Wenn dieser Brief nicht lügt, so werde ich bald sehen, ob ich nicht einen Herrscherstab so gut führen werde als ihr da.

Endlich sagte er ihnen, wie er zum Hauptmann von Norcia erwählt sei, und begann großzusprechen; sie aber fingen an ihn zu ärgern, daß es ein wahres Fest war. Nachdem er eine Weile bei ihnen geblieben, sahen wir ihn auf uns zukommen, und er sagte, zu Herrn Niccolò gewendet: Unser Giovanni ist doch ein Ehrenmann, denn er hat, was er mir in Eurem Beisein versprochen, vollständig und ohne allzulange warten zu lassen mir erwirkt.

Er hielt das Papier in der Hand und sagte: Da haben wir die Geschichte.

Welche Geschichte? fragte Herr Niccolò.

Nun, sagte Bianco, die Wahl zur Hauptmannschaft von Norcia.

Auf Ehre?

Auf meine Ehre! Und wenn Ihr mir nicht glaubt, so lest selbst!

Herr Niccolò las und sagte dann: Es ist so. Er hat recht. Jetzt sorge nur für eines, Bianco, daß du dem auch Ehre machst, der dir solche Ehre erweist.

Und dabei ermunterten ihn alle, nur recht anständig hinzukommen. Sodann nach vielen andern Gesprächen trennten wir uns; er ging nach Hause, wir aber machten unserer Freude Luft, denn wir hatten uns kaum enthalten können zu lachen.

Am folgenden Morgen nun ging unser Bianco mit seiner Urkunde in der Hand (denn ohne diese, meinte er, würde man ihm nicht glauben) in ganz Florenz umher und rief sein neues Amt aus, auf das er nicht hätte gehen sollen. So ging es mehrere Tage fort, und obgleich er die Urkunde hatte, so war doch die Zahl derer, die ihm nicht glaubten, größer als die der andern. Als man aber sah, daß er die Fahnen machen ließ und Pferde kaufte, gab es doch viele, welche anfingen, ihm Glauben zu schenken, so sehr sie sich auch über die Sache wunderten. Nun begab es sich, als er das bare Geld, das er hatte, ausgegeben und er noch mehr brauchte, daß er in Verlegenheit zu kommen schien. Da fiel ihm aber ein, daß Herr Martino, damals Notar der Reformationen, ihn schon mehrmals mit dem Gesuch angegangen hatte, ihm ein Stück Land zu verkaufen, welches er hinter der Kirche des heiligen Markus besaß und womit der Notar eine ihm zugehörige Kapelle in der genannten Kirche beschenken wollte. Bianco hatte bisher nie eingewilligt; nun aber dachte er, dieses Mittel könne ihm die nötige Hilfe verschaffen. Er suchte daher sogleich den besagten Herrn Martino auf und sagte zu ihm also: Ihr habt von mir mein Stück Land bei Sankt-Markus kaufen wollen. Ich mochte mir nicht die Mühe geben, den Kauf abzuschließen, da wir gerade unsere böse Zeit hatten, und deswegen habe ich bis jetzt meine Zustimmung nicht gegeben. Nun aber kommt mir etwas dazwischen.

Dabei erzählte er ihm alles und sagte: Wollt Ihr, so setzt Ihr selber den Preis fest! Denn ich will nun lieber, so ungern ich daran gehe, mein Eigentum verkaufen und dem Ehre machen, der mich so zu Ehren bringt. Wenn ich wieder zurückkomme, so habe ich ohnedem Geld im Überfluß, und ich kaufe mir von meinen Zinsen Güter, die mehr wert sind als dieses Stück.

Als Herr Martino solches hörte, wünschte er ihm Glück und sagte: Man sieht dir wohl an, Bianco, daß du aus dem Hause der Alfani stammst, und daß dein Sinn dem deiner Voreltern gleicht. Du tust sehr wohl daran, dich ehrenhaft auszustatten, um dort anständig aufzutreten. Und damit dir nichts fehle, bin ich zufrieden, deinen Willen zu erfüllen, und mache du nur selbst den Anschlag! Kurz, sie wurden ohne große Schwierigkeit, da Herr Martino ein gescheiter und rechtschaffener Mann war, auf einen ganz billigen Kaufpreis handelseinig. Es ward noch an demselben Tag eine Anweisung aufgesetzt auf die Bank des Esau Martellini, wo er ihm das Geld auszahlen ließ, und sobald Bianco dieses hatte, brachte er alles, was ihm noch fehlte, in Ordnung.

Als nun die Zeit zum Aufzug herannahte, nahm er einen Richter, einen Ritter und einen Notar, die er nach Angabe der Wahlakte mitzubringen hatte, ingleichem Diener und Edelknaben. Einige Tage vor der Abreise ging er durch ganz Florenz mit seiner Dienerschaft hinter sich her, nahm Abschied von allen seinen Freunden und Bekannten und versprach allen, er wolle sich so brav halten, daß dieses Amt nicht das letzte sein werde.

Als nun der Tag der Abreise endlich gekommen war, schritten die Häscher zu Fuß vorauf, dann kam er selbst mit seiner übrigen Dienerschaft, im ganzen acht Berittene, und so schlug er den Weg gegen Arezzo ein. Dort angelangt besuchte er den Hauptmann und den Schultheißen. Das gleiche tat er zu Castiglione, zu Tortona und zu Perugia bei den Florentinern, die sich daselbst befanden. Als diese ihn so stattlich aufziehen sahen und hörten, wo er hinwolle, wunderten sie sich sehr, zumal da sie ihn kannten. Doch wurde ihm von allen aus Rücksicht auf seine Vaterstadt viel Ehre erwiesen. Er schied von Perugia und ritt nach Pergola, wo er gerade am vierundzwanzigsten, wie man ihm geschrieben hatte, ankam und vom Wirte freudig und gefällig aufgenommen wurde, wie es so Wirtssitte ist. Bianco stieg ab und brachte seine Gerätschaften in Ordnung, und da ihn der Wirt so gut ausgestattet sah, sagte er zu ihm: Edler Herr, wenn es erlaubt ist zu fragen, wohin geht Ihr als Regent?

Wie? Wohin ich gehe? entgegnete Bianco. Ich bin der Hauptmann von Norcia.

Der Wirt war ganz betroffen, besann sich ein wenig und sagte dann: Habt Ihr mich zum Narren? Der Hauptmann hat sein Amt angetreten vor noch nicht vierzehn Tagen; es ist ein wackerer Römer.

Geh mir, guter Freund! Geh! sagte Bianco. Du willst wohl sagen, der Schultheiß, denn der Hauptmann bin ich; und wenn du doch darüber im Zweifel bist, so lies hier!

Damit zog er die Wahlurkunde aus dem Busen und gab sie ihm in die Hand. Der Wirt, welcher etwas lesen konnte, verstand den Inhalt, kam fast auf den Gedanken, er habe geirrt, zuckte die Achseln und sagte: Gewiß bin ich diesen Abend nicht recht bei Sinnen.

Er brach das Gespräch ab, so gut er konnte, und ordnete das Nachtessen an. Bianco aber wandte sich an seine Beamten und sagte: Unser Wirt ist kein großer Gedächtniskünstler, da er den Schultheiß und den Hauptmann untereinander mengt.

Sobald sie aber angefangen hatten zu speisen und der Wirt dachte, es sei nun alles im Gang, überließ er die Bedienung der Gäste einem Neffen und seinen Dienern, bestieg eine Stute und ritt wirklich nach Norcia. Dort suchte er einen Gevatter auf und sagte: Gevatter, diesen Abend ist mir der seltsamste Fall von der Welt begegnet. Und er erzählte ihm alles.

Sein Gevatter aber hub an zu lachen und sagte zu ihm: Ich weiß nicht, wer von uns schwanger ist; aber das weiß ich, daß du ein dummes Vieh bist. Weißt du nicht, daß der Hauptmann am achten dieses Monats eingezogen ist? Der Schultheiß aber hat vor noch nicht drei Monaten sein Amt angetreten. Entweder führt dich dein Gast am Narrenseil, oder er ist selbst ein Narr.

Wie Teufels aber, sagte der Wirt, er hat mir ja die Wahlurkunde gezeigt!

Unter solchem Hin- und widerreden kam er auf den Marktplatz, wo das Gespräch fortgesetzt wurde. Sie gesellten sich zu noch einigen andern Städtern, von welchen die einen darüber Possen rissen, die andern sich verwunderten. Indes forderten ihn einige auf, den Stadtvorstehern die Sache anzuzeigen, und so ging er, von ein paar andern begleitet, dahin. Als diese den Vorfall vernommen hatten und sich nicht vorstellen konnten, was das bedeute, beschlossen sie, ihren Geheimschreiber zu ihm zu schicken, um zu hören, was an der Sache sei. Der Schreiber machte sich mit dem Wirte auf den Weg, sprach mit ihm Verschiedenes über diese Angelegenheit, und so gelangten sie endlich an die Herberge, als es schon ziemlich spät war.

Bei ihrer Ankunft ließ der Wirt zwei Fackeln anzünden und meldete dem Bianco, daß der Ratsschreiber von Norcia gekommen sei, ihn zu besuchen. Bianco hatte nichts vom Weggehen des Wirts gehört und glaubte sicher, jener komme, um ihm als dem Hauptmann aufzuwarten. Er ging ihm daher entgegen, sie zogen vor einander die Hüte und nahmen sich bei der Hand. Da wandte sich Bianco zu dem Wirte und sagte lachend: Nun, was sagst du, Wirt? Jetzt siehst du, wie genau du dir gemerkt hast, wie lange es her ist, seit der Hauptmann seinen Einzug gehalten hat!

Der Wirt antwortete: Ihr habt recht; aber Ihr werdet bald in noch größeren Zweifel geraten als ich.

Als der Ratsschreiber dies hörte, wäre er gern in Lachen ausgebrochen. Er war aber besonnen genug, an sich zu halten, wandte sich zu ihm und begann also zu sprechen: Edler Herr, meine Gebieter haben von Eurer Ankunft gehört, und wie Ihr erklärt, Ihr wollet als Hauptmann von Norcia Euren Einzug halten. Darob sind sie über die Maßen verwundert, sintemal und alldieweilen am achten laufenden Monats der Hauptmann von Norcia sein Amt angetreten hat. Sie schicken mich derohalb zu Euch, um zu erfahren, was dies bedeute, und welche Ursache Euch zu solchen Äußerungen bewegt.

Als Bianco diese Worte hörte, war er wie vom Donner gerührt und schien eher tot als lebendig. Er konnte kaum die Lippen bewegen und sagen: Habt ihr mehr als einen Hauptmann?

Nein, bei Gott, antwortete der Ratsschreiber. Darauf besann er sich eine Weile, und da es ihm schien, man habe ihn zum besten, und er der Meinung war, es könne dies von keiner andern Seite als von Norcia ausgehen, verwandelte sich sein Schmerz in Zorn; mit hochrotem Gesicht zog er seine Wahlurkunde aus dem Busen und sprach mit giftigem Tone: Wahrlich, wahrlich, wenn dies mir nicht lügt, so werde ich Hauptmann von Norcia werden; und wenn mir Unbill widerfährt, so gehöre ich einem Lande an, das mich nicht hilflos lassen wird.

Er geriet vollends ganz in Wut und rief: Meint ihr etwa, ihr habt es mit einem rohen Bergvolk zu tun? Ihr werdet sehen, daß die Bürger von Florenz aus einem andern Stoff gemacht sind als die Bergvölker. Wir haben dem Herzog von Mailand den Eigensinn vertrieben und ganz andern Leuten, die um ein gutes Stück gewaltiger aussehen als die Norciner. Glaubt nur nicht, wenn ihr mich habt hierher kommen lassen und ihr nachher das Amt einem andern gegeben habt, ich werde das so hinnehmen! Oder wenn ich nicht zur Zeit gekommen wäre, was zum Teufel hätten sie gemacht!

Außerdem sprach er noch tausend andere Torheiten, welche zu erzählen viel zu weitläufig wäre. Am Ende sagte er zum Ratsschreiber, der die Urkunde zu sehen begehrte: Geht, geht! Morgen früh komme ich zu Euren Herren, und dann will ich's ihnen zeigen; und wir wollen sehen, was sie dagegen vorzubringen Lust haben.

Als der Ratsschreiber ihn so sprechen hörte, hielt er den Mann für eine ganz neue Art von Wahnsinnigen und nahm, ohne sich mit ihm auf viele Weiterungen einzulassen, von ihm Abschied. Der Wirt begleitete ihn, und so kehrte er nach der Stadt zurück und berichtete dem Rat, wie die Sache abgelaufen sei. Sie wunderten sich, wußten sich aber gar nicht vorzustellen, was das sein solle, und sprachen: Der nächste Morgen wird es lehren und uns Aufschluß verschaffen über die Absichten dieses Menschen.

Bianco blieb mit seinen Beamten zurück; sie prüften hin und her die Wahlurkunde und die Worte, die sie gehört hatten, wußten sich aber die Sache nicht anders zu erklären, als daß die Norciner vom Papst oder von irgendeinem andern Fürsten gezwungen worden seien, nachdem sie ihm die Wahlurkunde bereits übersandt hatten, die Wahl auf einen andern zu lenken. Am Ende, als es schon sehr spät war, gingen alle schlafen. Bianco aber konnte die ganze Nacht über kein Auge zutun, vielmehr dachte er unaufhörlich über die Sache nach und konnte kaum erwarten, bis es Tag wurde, um zu erfahren, ob er Hauptmann sei oder nicht; und der Tag war nicht so bald erschienen, als er schon aufstand, mit seinem Gefolge zu Pferde saß und in die Stadt ritt.

Die Neuigkeit hatte sich schon allenthalben verbreitet, und alles lief auf den Straßen umher, um den neuen Hauptmann zu sehen, welcher aus Beschämung nicht wußte, wohin die Augen wenden, und mit gesenktem Haupt einherzog, als wäre ihm sein Weib ins Feuer gefallen. Am Hause der Stadtvorsteher angelangt, stieg er ab, trat hinein und ließ ihnen melden, er sei angekommen. Sie traten sogleich im Ratssaal zusammen, ließen ihn hereinrufen und luden ihn ein, sich neben ihnen niederzulassen. So blieb er eine Weile; dann erhob er sich und fing gemäß der unterwegs mit seinem Richter gepflogenen Verabredung also zu sprechen an: Ihr Herren, es sind etwa drei Monate, daß Giovanni di Santo, welcher voriges Jahr unser Exekutor war, mir schrieb, er wolle mich zu eurem Hauptmann erwählen lassen, bald darauf wieder, er habe meine Wahl bereits durchgesetzt, und endlich schickte er mir die Wahlurkunde, welche ich hier habe. Vom Wunsche beseelt, eurem Rate gefällig zu sein und Ehre zu gewinnen, wie stets meine Vorfahren solche zu besitzen gepflogen, entschloß ich mich herzukommen und euch zu dienen; ich habe mich deshalb auf die meinem Amte der mir überschickten Wahlurkunde zufolge zukommende Weise ausgestattet und bin hierher gereist mit dem Gefolge, das ihr hier seht, und nicht ohne große Unkosten, denn ich habe über zweihundert Goldgulden dafür ausgegeben. Gestern Abend nun hörte ich zuerst vom Wirte und dann von eurem Schreiber, daß ihr schon vor vierzehn Tagen das Amt einem andern gegeben habt, worüber ich verwundert und betrübt bin, so sehr unter solchen Umständen zu erwarten ist: denn das ist doch wohl nicht die Treue, die einer Gemeinde wie der eurigen ansteht, noch hat solches die Liebe verdient, welche beständig zwischen den Florentinern und euch stattgefunden. Auch sollt ihr nicht glauben, euren Hohn über einen der Geringsten ausgeschüttet zu haben: denn das Haus der Alfani gehört, ohne den andern zunahezutreten, zu den größten und ältesten unserer Stadt; darum werdet ihr euch solcher an mir verübten Unbill samt der Schande und dem Schaden nicht rühmen. Wolltet ihr jedoch Vorkehrung treffen, daß meiner Ehre kein Eintrag geschähe und ich meine Ausgaben nicht verlöre, so wollte ich in Hinsicht auf das bereits Geschehene mich beruhigen. Laßt es euch darum genehm sein, auf eure und auf meine Ehre Bedacht zu haben!

Nachdem er dies gesprochen, behändigte er dem Vorsitzer die Wahlurkunde und sagte: Dies ist es, was mich so zu sprechen veranlaßt.

Der Vorstand, als er sah, daß Bianco ausgeredet hatte, sagte zu ihm: Edler Herr, seid so gefällig, eine Weile draußen zu warten! Wir wollen uns hier unter uns beraten und Euch alsdann antworten.

Bianco zog sich in einen Vorsaal des Ratszimmers zurück und sagte dort zu seinem Richter: Ich wünschte nur, Ihr hättet mich gehört; denn ich versichere Euch, ich habe es ihnen auf eine Art gesagt, daß ich unmöglich glauben kann, sie werden nicht so oder anders auf ihre Ehre und damit zugleich auf die meinige bedacht sein. Ich habe recht wohl bemerkt, daß sie ihr Unrecht einsehen, und es war keiner unter ihnen, der vor Scham wagte, mir ins Gesicht zu blicken.

Die Vorsteher gingen zu Rate und ließen die Wahlurkunde vorlesen, bemerkten aber, daß sie nicht von der Hand ihres Ratsschreibers und durchaus gegen die bei der Wahl ihres Hauptmanns herkömmliche Form angefertigt war, insofern einmal mehr Besoldung und mehr Dienerschaft und ein Richter in Anspruch genommen wurde, den der Hauptmann nicht mitzubringen hatte; auch war die Urkunde nicht mit ihrem Siegel gesiegelt, und so ergab sich denn alsbald, daß man mit dem Manne bloß einen Scherz gespielt habe. Nachdem sie daher eine Weile darüber gelacht hatten, ließen sie ihn wieder hereinrufen, und sobald er sich niedergesetzt hatte, begann einer von ihnen im Auftrage der andern also: Edler Herr, der Rat fühlt sich durch das von Euch gehörte Anbringen und durch die Einsicht dieser von Euch vorgelegten Urkunde zur Verwunderung und zum Bedauern mit Euch bewogen. Wir wundern uns, denn wir können uns nicht vorstellen, wie man Euch einen solchen gewaltigen Spuk gespielt hat, und daß Ihr in so langer Zeit nicht darauf gekommen seid: denn weder seid Ihr jemals zu diesem Amte erwählt worden, noch ist diese Wahlurkunde hier ausgefertigt noch mit unserm Siegel versehen, noch ist sie auch nur in der Form der Urkunden gehalten, wie sie bei Erwählung zu einem solchen Amte bei uns gewöhnlich sind. Wir haben Bedauern mit Euch, da wir aus den von Euch gehörten Worten und aus Eurem Anblick Euch für einen wackern Mann halten zu müssen glauben; eben darum bedauern wir auch die Kränkung Eurer Ehre und den großen Schaden, in den Ihr, wie wir sehen, Euch durch die Sache versetzt habt. Wir wünschten in der Lage zu sein, Euch in dieser doppelten Hinsicht genügen zu können, sowohl in Betracht Eurer Person als aus Rücksicht auf Eure Vaterstadt, für die wir wie für jeden ihrer Bürger besondere Wohlgeneigtheit hegen. Aber alle Ämter, welche wir zu vergeben haben, sind gegenwärtig besetzt; auch nicht eine einzige Stelle ist zur Zeit frei. Wir sehen daher keine Möglichkeit, Euch in irgendeiner Weise unterstützen zu können. Das einzige, was wir für Euch haben, ist, daß wir unsern Schmerz über diesen Vorfall mit dem Eurigen vereinen. Schließlich aber müssen wir Euch auffordern, um Eurer eigenen Ehre willen zurückzukehren, so schnell Ihr könnt; denn je länger Ihr hier Euch aufhaltet, desto mehr müßte Eure Schande wachsen.

Hiermit schloß er. Bianco aber, als er diese seinen Erwartungen so sehr entgegengesetzte Antwort gehört hatte, war vom Schmerz ganz überwältigt und konnte einige Zeit keine Silbe vorbringen. Endlich aber sagte er mit Tränen in den Augen: Ihr Herren, das alles kann mir niemand anders angetan haben als der Verräter Giovanni di Santo, der mir auf solche Art die Dienste gelohnt hat, die ich ihm in Florenz erwiesen. Ich habe hier seine eigenhändigen Briefe. Habt wenigstens die Güte, nach ihm zu senden und mir von ihm Entschädigung für meine Verluste zu verschaffen: denn für die Schmach, die er mir angetan, will ich schon selbst Genugtuung erhalten, wenn Gott mir und meinen Brüdern das Leben schenkt, geh' es, wie es wolle!

Wenn es wahr ist, daß er die Schuld trägt, antworteten die Ratsherren, so werden wir ihn veranlassen, dir deinen Schaden zu ersetzen, und überdies wollen wir ihn für sein Vergehen so bestrafen, daß dir wenig Rache mehr übrigbleiben wird.

Wirklich schickten sie nach ihm, und er kam gleich darauf; denn er stand bei den andern Leuten auf dem Platze, um zu sehen, wer denn der neue Hauptmann sei. Als er aber beim Eintreten in den Ratssaal den Bianco sah, war er sehr verwundert. Einer der Herren erzählte ihm mit strengen Worten im Namen der andern die Veranlassung, aus der man nach ihm geschickt, und fragte ihn, welch ein Grund oder Anmaßung ihn bewege, den wackern Mann in Schande und Schmach zu bringen und noch dazu die Obrigkeit mit ins Spiel zu mischen. Als Giovanni dieses hörte, verwunderte er sich noch mehr und sagte: Gnädige Herren, allerdings, als ich Exekutor von Florenz war, erwies mir der hier anwesende Bianco viele Dienste, so daß ich ihm versprach, ihm nach meinem Vermögen zu diesem Amte zu verhelfen, und in der Tat halte ich mich ihm so sehr verpflichtet, und seine Verdienste sind der Art, daß ich, wenn das Los die Wahl auf einen gelenkt hätte, von dem ich hätte glauben dürfen, er werde mir gefällig sein, so hätte ich es auch gern getan. Aber von dem weitern Verlauf habe ich nie das mindeste gehört, und wenn ihr findet, daß ich je etwas davon gehört habe, so laßt mir den Kopf abschlagen!

Als Bianco dies hörte, zog er die Briefe aus dem Busen und sagte: Da seht, ihr Herren, mit welcher Stirn der Mann leugnet! Laßt ihn diese Briefe lesen und erforscht, ob sie von seiner Hand sind!

Die Ratsherren ließen die Briefe lesen, Giovanni aber erklärte, sie seien nicht von seiner Hand. Darum wurde er nach vielem Hin- und Herreden zwischen ihm, dem Rate und Bianco entlassen. Die Ratsherren wollten Bianco einigermaßen bezeugen, daß es ihnen leid um ihn tue, und verordneten, daß der Wirt von der Gemeinde zufriedengestellt werde und ihm nichts abnehme.

So machte sich denn Bianco in einer Stimmung, die sich jeder von euch leicht vorstellen kann, nach der Herberge auf den Weg; Giovanni begleitete ihn, und in der ganzen Stadt wies man ihn mit Fingern, und eines zeigte ihn dem andern wie ein Wundertier. Giovanni war mit ihm sehr betrübt über den Vorfall und fügte bei, daß in Betracht dessen, was geschehen sei, er nun keine Möglichkeit voraussehe, ihm erhalten zu können, was er ihm versprochen habe.

Im Wirtshaus angelangt beschloß Bianco, da es noch früh am Tage war, sogleich abzureisen; er nahm von Giovanni Abschied und schlug den Rückweg gegen Perugia ein. Er ritt ganz allein voraus; der Richter aber, welcher aus dem Gebiet von Perugia war, der Ritter und der Notar fingen an miteinander zu sprechen und sagten: Der hat uns mitgenommen und uns um unsere Stellen gebracht. Wenn er der Narr im Spiele gewesen ist, sollen wir auch darunter leiden?

Sie verabredeten unter sich, was sie zu tun haben, und ließen, ohne viel Worte mit ihm zu machen, sobald sie in Perugia waren, auf seine Pferde, sein Felleisen und seine sämtliche Habseligkeit Beschlag legen. Als Bianco dies sah, überhäufte er sie mit Bitten, aber umsonst. Endlich aber, als er sah, daß es schlecht aussehe, und daß er ihnen nachgeben müsse, verkaufte er dort drei Rosse, welche ihm gehörten, und die Rüstung, ja seine Kleider vom Leibe, obgleich er nur die Hälfte oder noch weniger von dem, was sie ihn gekostet hatten, daraus löste; denn da er genötigt war, die Sachen loszuschlagen, wurde er übers Ohr gehauen, und er gab sie dem nächsten besten hin. So blieb ihm von allem, was er mitgebracht hatte, nur noch die Fahne mit seinem Wappen übrig; er nahm sie von der Lanze, wickelte sie in ein ärmliches, zerlumptes Tuch und machte sich mit dieser Last auf dem Rücken zu Fuß nach Arezzo auf den Weg und ging sofort von Arezzo in das Casentinische nach Ortignano, wo er einige Verwandte hatte. Er schämte sich, nach Florenz zurückzukehren, und blieb deshalb dort viele Wochen im Schmerz über sein Mißgeschick und ohne zu wissen noch sich vorstellen zu können, wer ihm das angetan habe.

Da ihn jedoch der Wunsch, diesen aufzufinden, unaufhörlich stachelte, beschloß er endlich, nach Florenz heimzugehen, und er tat es auch. Wie er zu Hause anlangte, wunderten sich seine Brüder, die ihn so zu Fuß und unscheinbar ausgerüstet sahen, und fragten ihn, was das bedeute. Er erzählte ihnen alles ausführlich und schloß mit den Worten: Meine Brüder, ihr müßt mir beistehen, mich zu rächen.

Sie waren ebenso gesinnt wie er und schwuren alle dem den Tod, der ihnen diesen Schimpf angetan.

Bianco hielt sich einige Tage zu Hause oder doch in der Nähe, bis er wagte, sich in der Stadt zu zeigen. Als er sich jedoch bald gezwungen sah auszugehen, schritt er ganz verdutzt und mit gesenkten Augen durch die Straßen. Und wenn ihn seine Freunde oder Bekannte aufzogen und fragten, ob er sein Amt sobald schon abgewälzt habe, antwortete er mit schamglühendem Gesicht, er habe es aus guten Gründen nicht angetreten, sei vielmehr im Casentinschen gewesen bei seinen Verwandten. Dann tat er, als habe er viel zu tun, und brach die Unterredung so schnell als möglich ab. Durch die Leute aber, die von Norcia und von Perugia kamen, hörte man allmählich, welchen Ausgang die Sache genommen hatte, so daß in kurzem die ganze Stadt davon voll war und ihn jedermann zum Erbarmen quälte, wie ihr alle sehen und hören könnt. Wer es ihm aber am ärgsten machte, das waren ein paar Handwerksleute, denen er Geld schuldig war, und welche gehofft hatten, von seinem Diensteinkommen bezahlt zu werden. Nun aber fingen sie an, ihn zu drängen, und verlangten nun durchaus ihre Befriedigung. In der Verlegenheit, was zu beginnen sei, da er sein Stück Land an Herrn Martino verkauft hatte, veräußerte er an ihn auch zwei kleine Häuser, die er in der Straße San Gallo besaß, und die ihm derselbe Herr Martino eigentlich nur aus Gefälligkeit und Mitleid für ihn abnahm, wobei er ihn ermahnte, nachdem ihm Bianco die ganze Angelegenheit mitgeteilt hatte, nicht mehr davon zu sprechen noch weitere Nachforschungen anzustellen, da er, je mehr er die Sache berühre, um so mehr sich lächerlich mache; er suchte ihn auch in der Ansicht zu bestärken, die Täuschung könne von nirgend anders herkommen als von dem Schuldgefängnis, und das war denn auch die allgemeinste Ansicht von der Sache.

Sobald er nun das Geld erhalten hatte, befolgte er den Rat des Herrn Martino und befriedigte, ohne weiter nachzuforschen, seine Schuldner, und da er nicht fürder Hoffnung haben konnte, irgendwo als Regent unterzukommen, hängte er die ihm übriggebliebene Fahne in San Marco über dem Grabe seines Vaters auf, der wenige Jahre zuvor gestorben war. Dann kehrte er in das Gefängnis zu seinem frühern Berufe zurück. War er schon früher gegen die Gefangenen streng gewesen, so wurde er nun, da er sich von ihnen gekränkt glaubte und nicht näher wußte, von wem, vollends unerbittlich und machte sich's zur Aufgabe, um den rechten nicht zu verfehlen, allen miteinander so viel Unlust als möglich zu bereiten. Die Gefangenen ratschlagten daher oftmals miteinander und wußten nicht, wie der Sache abzuhelfen sei, bis Lodovico da Marradi, ein, wie ihr wißt, sehr verschlagener Mann, endlich zu ihnen sagte: Da wir ihn auf keine Weise milder gegen uns machen können, und da er doch dabei bleibt, wir seien die, die ihn nach Norcia geschickt haben, ohne sich durch irgendeine bisher geschehene oder noch zu geschehende Entschuldigung von dieser Ansicht abbringen zu lassen, da er im Gegenteil es täglich sich fester in den Kopf setzt und es uns büßen läßt, und da uns einmal unser Unstern an diesen bösen Ort geführt hat, wo wir seiner schlimmen Laune ausgesetzt sind, ohne uns dagegen wehren zu können, so wollen wir wenigstens eines tun, um in solcher Erniedrigung einigermaßen die Süßigkeit der Rache zu schmecken, die nach meiner Ansicht sonst alle Süßigkeiten von der Welt übertrifft. Wir wollen den Mann beim Weinzoll anzeigen, weil er, da er als Hauptmann nach Norcia ging, die Taxe nicht bezahlt hat. Das wird zur Folge haben, daß die Zollbeamten, um einen Spaß mit ihm zu haben, nach ihm senden und ihn aufziehen, worüber er sich halb zu Tode ärgert, und dann haben wir ihn doch, solange er dort ist, nicht auf dem Hals. Und wenn er auch darauf kommt, daß wir es gewesen sind, – schlimmer, als er es uns jetzt macht, kann er es uns doch nicht machen; und am Ende – wer guten Krieg führt, kriegt guten Frieden.

Alle waren damit einverstanden; Lodovico setzte eine Klage auf, und sie schickten diese durch einen Freund auf das Zollamt. Sobald die Beamten die Sache erfuhren, schickten sie mit großem Gelächter nach ihm aus. Sobald er kam, nahm einer im Namen aller das Wort und sagte: Bianco, man hat uns zur Anzeige gebracht, daß du als Hauptmann von Norcia von hier weggegangen seist, ohne die Taxe zu bezahlen. Du mußt sie also bezahlen und bist zur Strafe den doppelten Betrag zu erlegen schuldig.

Als er dies hörte, fing er an heftig zu weinen und sprach: Liebe Herren, habt Erbarmen mit mir!

Dann erzählte er ihnen den ganzen Hergang. Die Beamten stellten sich, als glaubten sie ihm nicht, und zerrten ihn eine gute Weile herum; endlich gaben sie ihm die Weisung, er solle ein andermal wiederkommen. So gelang dem Lodovico sein Plan vortrefflich; denn sooft die Beamten unter sich über die Geschäfte uneins waren und sahen, daß sie nicht gleich sich verständigen konnten, sagte einer oder der andere: Da wir hierüber nicht einig werden, wollen wir nach Bianco senden und zusehen, ob wir über seine Angelegenheit uns nicht einigen können. Sie ließen ihn kommen, behielten ihn eine Weile bei sich, machten sich Spaß mit ihm, solange sie Lust hatten, und ließen dann die Sache unentschieden. So dauerte es lange Zeit, daß man ihn immer bei der ersten Steuererhebung holen ließ, und auch später manchmal, wenn es ihnen einfiel, so daß ihm die Sache kein geringes Geschäft und Leidwesen machte, und überdies kostete es ihn einige Gulden, denn er brachte dem einen der Beamten Granaten, dem andern Kugeln oder Spindeln oder Spiegel, wie er glaubte, daß es ihnen angenehm sei.

Die Gefangenen, welche mit einem Zollboten verabredet hatten, daß sie Tag für Tag erführen, wie die Sachen stünden, konnten nicht satt werden, Lodovico für den von ihm erteilten Rat zu danken, da er ihnen so viel Vergnügen und Trost verschaffte, daß sie daneben alles andere geduldig ertrugen. Ich schweige davon, wie wir von dem Notar, den er mitnahm, alles pünktlich erfahren, und von dem Vergnügen, das uns die Geschichte oftmals bereitete, sowie von manchem Schabernack, den ihm die Gefangenen sonst noch antaten, weshalb er immer mit ihnen im Streit lebte und somit arm, bettelhaft, wunderlich und launisch wurde.«

Als Lioncino diese seine Erzählung beendigt hatte, wandte er sich lachend zu Piero dem Venezianer und sagte: »Nun wohlan, was willst du anfangen, Piero? Willst du nachgeben oder wie sonst auf deinem Kopf beharren? Gefällt dir meine Geschichte nicht besser als die deinige? Urteile selbst, ohne die andern zu behelligen!« »Nein, nein«, sagte Piero, »darum handelt es sich nicht; denn so schön und unterhaltend auch deine Novelle gewesen ist, so behauptet doch die meinige vor ihr weit den Vorzug, weil ich die Reden der in meiner Geschichte auftretenden Personen anders gehalten und wiedergegeben habe als du die der deinigen. Sodann enthält meine Novelle lauter Dinge, die auf einen Punkt abzielen, von dem man nie ohne Lachen spricht und der durchaus aller Hörer Ohren ergötzt; nicht also bei der deinigen. Indes haben wir uns dem Urteil dieser wackern und verständigen Männer unterworfen, und ich will demselben auf keine Weise ausweichen.«

Lioncino wandte sich darauf zu uns und sagte: »Ich wundere mich nicht über Piero, daß er hierin nicht mit mir einverstanden ist, denn es wäre dies ganz gegen seine Gewohnheit; aber in Betracht eurer Klugheit fürchte ich nicht, daß mir Unrecht geschehen könnte. Und um euch nicht durch Weitschweifigkeit zu belästigen, will ich nicht die vielen unterhaltenden Partien meiner Novelle hervorheben, sondern spreche nur die Ansicht aus, daß, da ihr den Bianco kennt und doch gewiß gehört habt, daß das wirklich sich begeben, was ich euch erzählt habe, daß euch dies weit mehr Spaß machen mußte als etwas in seiner Geschichte. Habt daher die Güte und urteilt nach eurem Gewissen!«

Es waren unter uns verschiedene Ansichten: die einen versicherten, die Novelle Pieros sei schöner, die andern, die Lioncinos, und da wir uns zu keiner bestimmten Entscheidung vereinigen konnten, versprachen wir Giovannozzo, es solle dies nicht das letzte Mal sein, daß wir uns hier zusammenfinden, und es wurde beschlossen, das nächste Mal, wenn wir wiederkommen, sollen noch zwei Geschichten erzählt und dann erst unser Urteil gesprochen werden. Die Krankheit nahm aber zu, Lioncino unterlag ihr auch, und wir wurden so davon erschreckt, daß die Gesellschaft nach allen Seiten zerstob. So blieb das Urteil ungesprochen, und ich berufe mich daher auf das deinige und das des geneigten Lesers.


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