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Italienische Novellen. Erster Band
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Masuccio

Um 1465

Der unschuldige Mörder

Zur Zeit des hochseligen Königs Don Ferrando von Aragon glorreichen Andenkens, der das Zepter des Königreichs Kastilien mit ruhigem Regimente führte, war in Salamanca, der alten und sehr edeln Stadt dieses Königreichs, ein Minoritenmönch namens Magister Diego von Revalo, der nicht minder in der thomistischen als in der scotischen Lehre unterrichtet war und darum aus den übrigen erlesen und mit einer nicht unbedeutenden Belohnung bestellt wurde, in den würdigen Hörsälen der berühmten Hochschule derselben Stadt Vorlesungen zu halten. Damit setzte er sich in einen wunderbaren Ruf und machte seine Wissenschaft bekannt durch das ganze Reich; überdies hielt er manchmal auch kleine Predigten, die mehr nützlich und notwendig als fromm waren. Da er aber jung, ziemlich schön und sehr lustigen Sinnes, darum den Liebesflammen ausgesetzt war, geschah es, daß ihm eines Tages während der Predigt ein ganz junges Weib von wunderbarer Schönheit auffiel, namens Donna Cattarina, die Gattin eines der vornehmsten Ritter der Stadt mit Namen Misser Roderico Dangiagia. Als der Magister sie sah, gefiel sie ihm auf den ersten Blick, und Herr Amor gab ihm zugleich mit dem Bilde der Frau die Liebeswunde in sein schon beflecktes Herz. Von der Kanzel herabgestiegen ging er in seine Zelle, warf alle theologischen Gründe und sophistischen Beweise in eine Ecke und gab sich ganz den Gedanken an das holde junge Weib hin. Und obgleich er die Vornehmheit der Frau wohl kannte und wußte, wessen Gattin sie war, und welche Tollheit er unternehmen würde, er sich auch oft zu überreden suchte, diesen Weg nicht einzuschlagen, so sprach er doch manchmal zu sich: »Wo Amor seine Gewalt äußern will, da sucht er niemals Gleichheit des Blutes; denn wenn diese erforderlich wäre, würden große Fürsten nicht beständig auf Prisen an unsern Küsten ausgehen. Denselben Freibrief nun muß Amor uns erteilt haben, hohe Minne zu fühlen, da er ihnen zugesteht, sich so tief herabzulassen. Die Wunden, welche Amor schlägt, empfängt keiner mit Vorbedacht, sondern unversehens; wenn mich daher dieser Gewaltige wehrlos überrascht hat, so hilft es nichts, sich gegen seine Schläge zu verteidigen; da ich nicht Widerstand leisten kann, werde ich mit allem Recht besiegt, und so geschehe mir denn als seinem Untertanen, was da will, – ich will den harten Kampf bestehen; und folgt der Tod, – nun, so werde ich erlöst von aller Pein, und wenigstens von dieser Seite geht mein Geist mit hoher Stirn einher, daß er seine Strebungen nach einer so erhabenen Stelle zu richten gewagt hat.«

Nach diesen Worten wandte er sich nicht mehr zurück zu den Gegengründen; vielmehr nahm er Papier und schrieb unter vielen tiefen Seufzern und heißen Tränen einen passenden zierlichen Brief an die geliebte Frau, worin er zuerst ihre mehr göttlichen als menschlichen Reize pries, dann ausführte, wie er dermaßen von diesen umstrickt sei, daß er entweder ihre Gunst oder den Tod erwarte, und zuletzt bei aller Anerkenntnis dessen, daß er in Anbetracht ihres hohen Standes nicht verdiene, daß sie ihm Gelegenheit zu einer Zusammenkunft gebe, sie doch flehentlich bat, ihm Zeit und Ort anzugeben, daß er mit ihr im geheimen sprechen könne, oder ihn wenigstens als ihren Diener anzunehmen, da er sie zur einzigen Gebieterin über sein Leben erkoren habe. Er schloß den Brief mit noch vielen andern Floskeln, machte ihn zu, küßte ihn wiederholentlich und gab ihn einem Chorknaben mit der Weisung, wem er ihn heimlich zuzustellen habe. Dieser ging, wohin ihm befohlen war, kam in das Haus und fand die edle junge Frau im Kreise ihres zahlreichen weiblichen Gefolges sitzen. Er grüßte sie höflich und sagte zu ihr: »Mein Meister empfiehlt sich Euch und bittet Euch, ihm ein wenig von dem feinen Mehl zu Hostien zu schicken, wie Euch dieses Briefchen des weitern vermelden wird.«

Die Dame war gescheit genug, um gleich beim Anblick des Briefes zu merken, was die wirkliche Absicht dabei war. Sie nahm und las ihn, und obgleich sie sehr sittsam war, mißfiel es ihr doch nicht, daß jener sie liebte, und da sie sich für die schönste unter den Frauen hielt; freute sie der Brief, in dem sie ihre Schönheit so hoch erhoben sah; denn sie hatte mit der Erbsünde auch die angeborene Leidenschaft aller übrigen Glieder des weiblichen Geschlechts überkommen, welche samt und sonders der Meinung sind, ihr ganzer Ruf, Ehre und guter Name bestehe einzig und allein darin, daß sie geliebt, umbuhlt und ob ihrer Schönheit gepriesen werden, und die viel lieber für schön und lasterhaft, als für noch so tugendhaft und häßlich gelten möchten. Nichtsdestoweniger beschloß diese Frau, weil sie alle Mönche ernstlich und nicht ohne Grund haßte, nicht nur dem Magister in keiner Weise nachzugeben, sondern auch ihm nicht einmal eine freundliche Antwort zu gewähren, und zugleich nahm sie sich vor, diesmal auch ihrem Gemahl nichts von der Sache zu sagen. Nachdem sie sich in diesem Plane befestigt hatte, wandte sie sich zu dem Mönchlein und sagte zu ihm, ohne die geringste Verlegenheit merken zu lassen: »Du kannst deinem Meister sagen, daß der Herr meines Mehls es ganz für sich allein will; darum soll er sich anderswoher welches zu verschaffen suchen. Auf den Brief brauche ich nicht zu antworten. Verlangte er es aber doch, so soll er es mir zu wissen tun, und sobald mein gnädiger Herr nach Haus kommt, will ich dann sorgen, daß er eine Antwort bekommt, wie es für sein Ansinnen sich gehört.«

Als der Magister die strenge Antwort erhielt, verminderte sich darum seine Liebesglut nicht im mindesten; vielmehr wuchs seine Leidenschaft zugleich mit dem Verlangen zu nur um so größeren Flammen; und um sich nicht von dem begonnenen Unternehmen zurückzuziehen, begann er, da das Haus der Frau ganz nahe bei dem Kloster war, sie so zudringlich mit seinen Werbungen zu verfolgen, daß sie nicht an ein Fenster treten, nicht in die Kirche oder sonst aus dem Hause gehen konnte, ohne daß der begehrliche Magister ihr immer in den Weg kam, weshalb denn in kurzem nicht nur die Leute in der Nachbarschaft die Sache merkten, sondern auch fast alles in der Stadt davon Kunde erhielt. Unter solchen Umständen überzeugte sich die Frau, daß sie den Handel vor ihrem Gemahl nicht länger mehr verbergen dürfe; denn sie fürchtete, wenn er es von jemand anderem höre, könnte sie in Gefahr kommen und er sie überdies für untreu halten. Nachdem sie sich mit diesem Gedanken vertraut gemacht hatte, erzählte sie, als sie eines Nachts bei ihrem Manne war, ihm die ganze Geschichte Punkt für Punkt. Der Ritter, der sehr ehrenfest und heftig war, entbrannte in solchem Zorn, daß er sich kaum enthalten konnte, auf der Stelle hinzugehen und mit Feuer und Schwert das Kloster samt allen Mönchen zu zerstören. Er mäßigte sich aber doch ein wenig, lobte die Sittsamkeit seiner Frau gar sehr und gab ihr auf, dem Ritter zu versprechen, sie wolle ihn in der folgenden Nacht ins Haus kommen lassen, auf irgendeine Art, wie es ihr am besten gefalle, damit er zugleich seiner Ehre genugtun könne und seine teure geliebte Frau nicht ferner beflecken lasse; für das übrige wolle er selber sorgen.

So mißlich auch der Frau die Sache vorkam, indem sie bedachte, wohin dies führen könne, so sagte sie doch, um dem Willen ihres Mannes nachzukommen, sie wolle es tun; und da das Mönchlein immer wiederkam und mit neuen Künsten den harten Stein zu erweichen trachtete, sagte sie: »Empfiehl mich deinem Meister und sag ihm, die große Liebe, die er zu mir trage, und die heißen Tränen, die er, wie er mir immer schreibt, für mich vergieße, haben Platz gegriffen in meinem Herzen, so daß ich nun viel mehr ihm angehöre als mir. Und da unser freundlicher Stern gewollt hat, daß heute Herr Roderico aufs Land gegangen ist und über Nacht aus sein wird, so soll er mit dem Schlag drei Uhr heimlich zu mir kommen, und ich will ihm Gehör geben, wie er es wünscht. Doch bitte ich ihn, keinem Freund oder Bekannten, so genau er auch mit ihm stünde, die Sache anzuvertrauen.«

Das Mönchlein zog übermäßig heiter von dannen und brachte die erfreuliche Botschaft seinem Herrn; dieser aber war der glücklichste Mensch von der Welt, indem er bedachte, wie nahe die gegebene Frist schon heranrücke. Als diese kam, versah er sich wohl mit Düften, um nicht mönchisch zu riechen, dachte auch, das Klostergewand könne durch guten Atem unterwegs gewinnen, und genoß daher die besten und feinsten eingemachten Früchte, legte seine gewohnten Kleider an und begab sich so an die Tür seiner Geliebten. Er fand sie offen, trat ein und wurde im Dunkeln wie ein Blinder von einer Dienerin in einen Saal geführt, wo er die Frau zu finden und von ihr freundlich empfangen zu werden meinte, stattdessen aber den Ritter fand mit einem getreuen Diener, die ihn ohne viel Widerstreben packten und in aller Stille erdrosselten. Als Meister Diego tot war, reute es den Ritter ein wenig, seine gewaltigen Arme mit dem Tode eines Minoriten befleckt zu haben; doch da er sah, daß hier Reue so wenig half als ein ander Mittel, dachte er in Rücksicht auf seine Ehre und auch aus Furcht vor dem Zorn des Königs darauf, den Toten aus dem Hause zu schaffen, und es fiel ihm ein, ihn in sein Kloster zu bringen. Er packte ihn daher seinem Diener auf den Rücken, und so schleppten sie ihn in den Garten der Mönche; von dort drangen sie in das Kloster selbst ein und trugen den Leichnam an das Örtchen, wohin die Mönche aus gewissem Erleichterungsbedürfnis zu gehen pflegten. Zufällig fand sich nur ein einziger Sitz bereit, denn die andern waren zugrunde gerichtet, wie denn, wie wir beständig sehen, der größte Teil der Mönchsklöster mehr Räuberhöhlen gleicht als Wohnsitzen der Diener Gottes. Auf diesen Sitz ließen sie ihn nun nieder, grade als ob er ein Bedürfnis befriedigte, machten sich hinweg und gingen nach Hause.

Als nun der Herr Magister so dasaß, grade wie wenn er einer überflüssigen Leibesbürde sich entladen wollte, befiel einen andern jungen und rüstigen Bruder um Mitternacht der dringende Wunsch, an den besagten Ort zu gehen, um seine Notdurft zu verrichten. Er zündete ein Lichtlein an und eilte auf die Stelle zu, wo Meister Diego im Tode hingesetzt worden war. Sobald er ihn erkannte, zog er sich, nicht anders denkend, als er lebe, ohne ein Wort zu sagen, zurück, weil zwischen ihnen beiden aus Gott weiß welchem mönchischen Neid und Mißgunst eine unauslöschliche tödliche Feindschaft stattfand. Er wartete daher abseits, bis er meinte, der Magister könne mit dem Geschäft fertig sein, das er gleichfalls zu verrichten im Sinne hatte; da er aber immer noch wartete und nicht bemerkte, daß der Magister sich rühre, andererseits aber ihn selbst die Not immer gebieterischer drängte, sagte er mehrmals bei sich selbst: »Bei Gott, der Bursche bleibt aus keinem andern Grunde so fest sitzen und will mich nicht hinlassen, als um mir auch hierin seine Feindschaft zu zeigen und die böse Gesinnung, die er gegen mich hegt! Aber es soll ihm nicht gelingen: denn ich will aushalten, solange ich kann, und wenn ich sehe, daß er auf seinem Eigensinn beharrt und fest bleibt, so will ich doch, obschon ich auch anderswohin gehen könnte, ihn zwingen, von hier wegzugehen, er mag wollen oder nicht.« Der Magister, der bereits an einem harten Fels Anker geworfen hatte, rührte sich nicht im mindesten, bis endlich der Mönch es nicht mehr aushalten konnte und wütend rief: »Nun aber, da sei Gott vor, daß du mir solche Schmach antust und ich es so hinnehme!«

Da ergriff er einen großen Stein, trat nahe zu ihm hin und beehrte ihn mit einem solchen Schlag auf die Brust, daß er zurückfiel und kein Glied mehr rührte. Als der Bruder bemerkte, wie er nach dem gewaltigen Stoß sich nicht mehr erhob, fürchtete er, ihn mit dem Stein bereits umgebracht zu haben; er wartete eine Weile, hoffte und war in großer Sorge; endlich aber trat er zu ihm hin und schaute ihn beim Lichte genau an, wo er denn sich vollkommen überzeugte, daß er schon tot sei, und nicht anders dachte, als er habe ihn auf die angegebene Weise umgebracht. Er war deshalb bis zum Tod betrübt, indem er fürchtete, wegen ihrer Feindschaft werde der Verdacht alsbald auf ihn fallen und er darüber ums Leben kommen. Darum beschloß er mehrmals, sich selber aufzuhängen; bei reiflicher Überlegung jedoch nahm er sich vor, ihn aus dem Kloster zu tragen und auf die Straße zu werfen, um jeden etwaigen Verdacht von sich abzuwälzen, den man sonst aus der angegebenen Ursache hätte fassen können. Indem er nun diesen Plan ausführen wollte, fiel ihm weiter ein, wie öffentlich und unaufhörlich der Magister Donna Cattarina mit seinen unzüchtigen Zumutungen verfolgte, und er sagte bei sich selbst: »Wo kann ich ihn leichter hinbringen, um zugleich mich von allem Verdachte zu befreien, als vor die Tür des Herrn Roderico? Einmal, weil dies so nahe ist, und dann, weil man gewiß annehmen wird, er sei des Ritters Weibe nachgeschlichen, und dieser habe ihn umbringen lassen!«

Diese Überlegungen bestärkten ihn in seinem Vorhaben. Er lud mit großer Mühe den Leichnam auf den Rücken und trug ihn vor die besagte Tür, aus der er wenige Stunden zuvor als tot herausgetragen worden war. Dort ließ er ihn und kehrte, ohne von jemand beachtet zu werden, in das Kloster zurück. Obgleich er nun für seine Rettung hinreichend gedeckt schien, wollte er sich doch noch unter irgendeinem Vorwand auf ein paar Tage von hier entfernen, ging also in diesem Gedanken auf der Stelle nach der Zelle des Guardians und sagte zu ihm: »Mein Vater, ich habe vorgestern, da ich kein Lasttier hatte, den größten Teil unserer Einforderung in Medina im Hause eines unserer Freunde gelassen; darum möchte ich mit Eurem Segen nun hingehen, das übrige zu holen, und dazu die Stute des Klosters mitnehmen. Wenn's Gottes Wille ist, komme ich morgen oder übermorgen wieder.« Der Guardian gab ihm nicht allein die Erlaubnis, sondern lobte ihn sogar sehr wegen seiner Sorgfalt. Als der Bruder diese Antwort erhalten hatte, packte er seine Siebensachen zusammen, zäumte die Stute auf und erwartete nur den Anbruch des Morgens, um fortzureiten.

Herr Roderico, der die Nacht wenig oder nicht geschlafen hatte und doch wegen der Geschichte in Besorgnis war, entschloß sich, da nun der Tag herankam, seinem Diener aufzutragen, er solle um das Kloster hergehen und lauschen, ob wohl die Brüder den Magister tot gefunden haben, und was sie darüber sagen. Als der Diener aus dem Hause trat, um auszurichten, was ihm aufgetragen worden war, fand er daselbst den Meister Diego vor der Tür sitzen, daß es aussah, als hielte er eine Disputation. Das jagte dem Knechte nicht geringen Schrecken ein, wie man nur über einen Leichnam erschrecken kann; er fuhr zurück, rief alsbald seinen Herrn und konnte kaum die Worte hervorbringen, um ihm zu sagen, der Leichnam des Magisters sei vor ihr Haus zurückgebracht worden. Der Ritter verwunderte sich höchlich über diesen schlimmen Fall, der seinen Besorgnissen neue Nahrung gab. Nichtsdestoweniger tröstete er sich mit der gerechten Sache, die er zu führen glaubte, und faßte den mutigen Entschluß, geradezu zu warten, was die Sache für Folgen haben werde. Damit wandte er sich zu dem Toten und sagte: »So mußt du denn der ewige Pfahl im Fleisch meines Hauses sein, von dem ich dich weder lebendig noch tot zu entfernen vermochte! Aber dem zum Trotz, der dich hierhergebracht hat, soll es dir nicht gelingen, wieder herzukommen, es wäre denn auf einem Vieh, wie du selbst eins in der Welt gewesen bist.« Nach diesen Worten trug er dem Diener auf, aus dem Stalle eines Nachbars einen Hengst herbeizuholen, den sein Besitzer für das Bedürfnis der Stuten und Eselinnen der Stadt hielt, und der zu haben war wie die Eselin von Jerusalem. Der Diener ging in größter Eile hin und führte den Hengst herbei mit Sattel und Zaum und allem sonstigen Zubehör in bester Ordnung; und wie der Ritter früher beschlossen hatte, setzten sie den besagten Leichnam auf das Pferd, machten ihn beritten und banden ihn fest, gaben ihm eine eingelegte Lanze und den Zaum in die Hand, als wollten sie ihn in die Schlacht schicken, und führten ihn endlich in diesem Aufzuge vor das Tor der Kirche der Mönche, wo sie ihn anbanden, worauf sie sofort heimkehrten.

Dem Mönche schien es nunmehr Zeit, die vorgenommene Reise anzutreten; er machte daher zuerst das Tor des, Klosters auf, bestieg sodann seine Stute und ritt hinaus. Als er aber den Magister auf die besagte Weise vor dem Tore fand, so daß er in allem Ernst meinte, er drohe ihm mit seiner Lanze den Tod, ward er plötzlich von so großer Angst erfaßt, daß er in Gefahr kam, tot vom Pferde zu sinken. Dabei überfiel ihn ein gewaltiger gräßlicher Gedanke, der Geist des Mannes müsse nämlich in seinen Körper zurückgekehrt sein, und er sei ihm zur Strafe gesetzt, um ihn allenthalben zu verfolgen nach dem Glauben mancher Toren. Während er sich in dieser Täuschung und Furcht befand und nicht wußte, welchen Weg er einschlagen sollte, witterte der Hengst die Stute, schob seine gewaltige Keule vor und wollte wiehernd der Stute zu Leibe gehen, welche Bewegungen denn den Mönch immer mehr in Angst setzten. Dennoch faßte er sich und wollte die Stute ihres Weges führen; diese aber drehte ihr Hinterteil gegen den Hengst und fing an auszuschlagen, so daß der Mönch, der nicht der beste Reiter war, fast herabfiel; und um den zweiten Stoß nicht abzuwarten, preßte er die Beine fest zusammen, drückte dem Tier die Sporen in die Seiten, hielt sich mit beiden Händen an dem Saumsattel fest, ließ die Zügel schießen und vertraute das Pferd der Willkür des Zufalls. Sobald nur dieses die Sporen fest in seine Flanken drücken fühlte, war es gezwungen, vorwärts zu laufen und ungezügelt den Weg einzuschlagen, der eben vor ihm lag. Als der Hengst sich so seine Beute entwischen sah, zerriß er in der Wut das schwache Band und lief der Stute eiligst nach. Der arme Mönch, der sich so den Feind im Rücken merkte, wandte sich um und sah ihn mit eingelegter Lanze wie einen rechten Turnier kämpf er auf ihn zueilen. Da verscheuchte er die erste Angst mit der zweiten und fing an in voller Flucht zu rufen: »Helft! Helft!«

Auf dieses Geschrei und durch das Getöse der ohne Zügel dahineilenden Rosse fuhr, da es nun heller Tag geworden war, alles an die Fenster und Türen, und jeder meinte in Erstaunen, er müsse vor Lachen bersten bei dem Anblick einer so ungewohnten und seltsamen Jagd zweier berittener Minoritenmönche, welche beide gleich tot aussahen. Die Stute lief ungeleitet bald da-, bald dorthin durch die Straßen, welcher Weg ihr am gelegensten kam; hinter ihr aber unterließ der Hengst nicht, sie wütend zu verfolgen, und ob der Mönch nicht mehrmals nahe daran war, von der Lanze getroffen zu werden, braucht man nicht zu fragen.

Ein großes Getümmel von Leuten verfolgte die beiden beständig unter Geschrei, Zischen und Heulen und rief: »Greift sie!« Die einen warfen Steine nach ihnen, die andern schlugen den Hengst mit Stöcken, und jedermann suchte die beiden zu trennen, nicht sowohl aus Teilnahme für die Fliehenden, als in dem Wunsche, zu erfahren, wer die beiden seien, die man bei dem schnellen Rennen nicht erkennen konnte. Nach längerem Umherjagen lenkten sie zufällig auf ein Stadttor zu, bei welchem sie eingefangen, der Tote und der Lebendige zugleich festgenommen und zu großer Verwunderung aller Leute erkannt wurden. Man führte sie beide auf ihren Pferden in das Kloster, wo die Mönche sie mit unsäglichem Schmerz empfingen. Sie ließen den Toten begraben und für den Lebenden die Folter bereiten. Als diese aber fertig war, gestand er, weil er nicht die Qual aushalten wollte, offen, er habe ihn umgebracht, aus dem oben angeführten Grund; aber er könne sich nicht vorstellen, wer den toten Magister auf diese Weise auf das Pferd gesetzt habe. Wegen dieses Geständnisses wurde er zwar mit der Folter verschont, aber in ein strenges Gefängnis gebracht. Es wurde sogleich durch den Pfarrer zu dem Bischof der Stadt geschickt, um ihm die heiligen Weihen abnehmen zu lassen und ihn dem weltlichen Richter überliefern zu können, der ihn nach der Vorschrift der Gesetze als Mörder aburteilen sollte.

Zufällig war in diesen Tagen der König Ferrando nach Salamanca gekommen; diesem wurde die Geschichte auch erzählt, und obgleich er ein sehr gesetzter Fürst war und den Vorfall sowie den Tod eines so berühmten Gelehrten aufrichtig bedauerte, so gewann doch das Spaßhafte der Sache bei ihm die Oberhand, und er lachte mit seinen Baronen so heftig darüber, daß er sich nicht mehr aufrecht halten konnte. Als nun der Zeitpunkt herankam, wo man zu der ungerechten Verurteilung des Mönchs schreiten sollte, regte sich in Herrn Roderico, der ein sehr tugendhafter Ritter war und bei dem König hoch in Gunst stand, die Wahrheitsliebe; er dachte, sein Schweigen würde allein eine so große Ungerechtigkeit veranlassen, und er entschloß sich, lieber im Notfalle zu sterben, als die Wahrheit über eine solche Angelegenheit zu verbergen. Er trat daher vor den König, während viele Barone und Leute aus dem Volk um ihn versammelt waren, und sprach: »Gnädiger Herr, das strenge und ungerechte Urteil, das über den Minoriten gefällt worden ist, und die Kenntnis der wahren Sachlage bewegen mich, die über einen so schweren Unfall obschwebende Frage zu entscheiden. Wenn daher Eure Majestät dem verzeihen will, der aus gerechtem Anlaß den Meister Diego ums Leben gebracht hat, so will ich denjenigen alsbald hierher kommen lassen und mit unzweifelhafter Wahrheit den Hergang der ganzen Sache bis ins einzelne erzählen.«

Der König, der ein gar gnädiger Herr und sehr begierig war, die Wahrheit zu hören, gewährte huldvoll die verlangte Verzeihung, und sobald der Ritter diese hatte, erzählte er vor dem König und allen übrigen Umstehenden vom Anfang an das Verliebtsein des Magisters in seine Frau und alle Briefe und Botschaften, die er ihr gesandt, und was er dann mit ihm angefangen bis zuletzt Punkt für Punkt. Der König hatte das Zeugnis des Mönchs schon vorher gehört, und da diese Berichte in der Hauptsache zusammenstimmten, er auch Herrn Roderico für einen rechtschaffenen Ritter ohne Falsch hielt, maß er ihm ohne weitere Prüfung in allem unbedingt Glauben bei und überdachte mit Verwunderung und Betrübnis, manchmal auch mit sittsamem Lachen diese vielbewegte seltsame Geschichte. Um es jedoch nicht dahin kommen zu lassen, daß die unbillige Verurteilung des unschuldigen Mönchs vollzogen würde, ließ er den Guardian und den armen Mönch selber vor sich kommen. Der König verkündete ihnen dann in Gegenwart seiner Barone, der übrigen Adligen und anderer Leute seines Gefolges, wie die Sache in Wahrheit sich begeben habe, und befahl deshalb, daß der zu einer verschärften Todesstrafe verurteilte Mönch unverzüglich in Freiheit gesetzt werde. Sobald dies geschehen war, kehrte derselbe mit wiederhergestelltem guten Namen höchst erfreut nach Hause zurück. Herr Roderico erhielt die bedungene Verzeihung wirklich und erntete in bezug auf seine ganze Handlungsweise in dieser Angelegenheit das größte Lob. Die Kunde von dem wunderbaren Ereignis aber ward in wenigen Tagen durch die schnelle Fama zum großen Ergötzen aller im ganzen Königreiche Kastilien verbreitet.

Sallust im Nonnenkloster

In der edlen und alten Stadt Marsico ist ein sehr berühmtes Nonnenkloster, das hoch in Ehren steht, und in dem vergangenes Jahr nicht mehr als zehn Nonnen waren, alle jung und mit großer Schönheit begabt. Sie lebten zusammen mit einer alten Äbtissin von gutem und heiligem Lebenswandel, die, wenngleich sie selbst ihre blühende Jugend nicht umsonst vertan hatte, doch fortwährend auf ihre Schar einredete, sie dürften nicht mit der Zeit zusammen ihr jugendliches Alter verlieren und verbrauchen. Mit unzähligen Gründen setzte sie ihnen auseinander, daß kein Schmerz jenem gleichen könne, den der empfinde, der einsehen muß, er habe seine Zeit vertan, und der inne wird, wie Reue wenig oder nichts gutzumachen vermöge. Obgleich sie damit auch nicht allzuviel Mühe hatte in Anbetracht der sehr guten allgemeinen Gesinnung der Nonnen, so waren doch unter den andern zwei aus edler Familie und mit wunderbarem Verstände begabt. Die eine von ihnen, obwohl sie nicht Klara hieß, werde ich den Namen ändernd Klara heißen, und zwar verdientermaßen, wenn wir betrachten, wie gut sie, als es nötig war, ihre Tat klar zu waschen wußte; die andere werde ich selbst taufen und Agnes nennen. Sei es nun, daß sie schöner als die andern waren oder vielleicht beflissener, den Ermahnungen und Befehlen ihrer Priorin zu folgen, – als sie sahen, daß der Bischof der Stadt mit hartherzigen und ausdrücklichen Verfügungen jedem, wer immer es auch sei, das Betreten jenes Klosters und die Unterhaltung mit den Insassen verboten hatte, so beschlossen sie, alldem zum Trotz nicht so zu verbleiben, sondern mit um so größerem Eifer und Fleiß all ihren Verstand auf ungewöhnliche und verschiedenartige Mittel zu wenden, um ihre sinnlichen Gelüste befriedigen zu können. Sie verfolgten solche Gedanken weiter mit der Wirkung, daß in kurzer Zeit ihr gut bebauter Boden viele Früchte in Form schöner Mönchlein hervorbrachte. Untereinander schlössen sie eine unlösliche Freundschaft und einen ewigen Bund und lernten so meisterlich die zu behandeln, die geschoren werden müssen, daß man eher hätte von Hautabziehen als von Scheren sprechen können.

Da diese ihre Tätigkeit nicht allzu verborgen blieb, sondern viele davon hörten, so wurde sie unter andern auch dem Herrn Bischof bekannt. Dieser ging eines Tags nach diesem ehrwürdigen Ort, vielleicht um ihn zu reformieren, als es geschah, daß auch er sich von dem Liebreiz und der Schönheit der Klara heftig ergriffen fand. Nachdem er viele Verfügungen und neue Anordnungen erlassen hatte, kehrte er anders nach Hause zurück, als er weggegangen war. Er begann dort zu schreiben und Sonette zu dichten und tat seiner Klara kurz und bündig kund, daß er sich ganz vor Liebe nach ihr verzehre. Klara hielt ihn mehrere Tage hin, um seine Leidenschaft noch mehr zu entflammen, sah aber schließlich, daß der Herr Bischof ein von einem schlechten Maler gemachtes Gesicht habe und vielleicht konterfeit nach den Vorfahren Adams und überdies unwahrscheinlich geizig und somit sehr ungünstig für die Raffgier der Klara war, und beschloß, ihn auf ihre kleine Liste der Gefoppten zu setzen.

Der Herr Bischof wurde das inne und sah sich in seiner Liebe zum besten gehalten, da sie für andere offen, Klara aber für ihn verschlossen und betrüblich war, und beriet sich, wie er in Erfahrung zu bringen vermöchte, wer es sei, dem ihr Sinnen gelte; und wie ein Liebhaber, dem wenige Wege verborgen sind, untersuchte er den Fall sorgfältig und fand, daß der ehrwürdige Prior von Sankt Jakob sich mit Schwester Agnes vergnügte und Klara mit einem andern sehr reichen Priester, der Don Janni Sallust hieß, in die Seligkeit einging; ferner, daß sie fast jede Nacht zusammen ausgingen, um sich mit ihren vorerwähnten Liebsten zu ergötzen. Er ließ sich über jede Einzelheit genau unterrichten, da er vorhatte, die beiden genannten Künstler auf jeden Fall in die Hand zu bekommen, nicht nur um sie auf die beste Art aus dem weichen Pfühl zu reißen, in dem sie waren, sondern auch um sich für die Kränkung zu rächen, die sie damit ihm antaten, den das Glück mehr begünstigt und dem es leichter geworden war, den Bischofshut als die Gunst der Klara zu erlangen.

Jede Nacht ging er persönlich mit einer großen Schar seiner gierigen Kleriker dort herum, um sein doppeltes Verlangen befriedigen zu können. Eines Nachts, als der Prior dort herauskam, fiel er in den feindlichen Hinterhalt, ward ergriffen und vor den Priester Kaiphas gebracht; zitternd vor anderem als vor Kälte, sagte er, bevor er noch nach irgend etwas gefragt worden war, vielleicht weil er dachte, mit dem Anschuldigen des Gefährten würde er die Wut des Bischofs von sich ablenken, er habe niemandem Böses getan, sondern nur Don Janni Sallust ins Kloster begleitet und ihn mit der Klara in der Zelle gelassen. Der Bischof war nicht wenig froh, den Prior gefaßt zu haben, und nicht weniger begierig, auch des Gefährten habhaft zu werden. Er schickte jenen gut gefesselt nach Hause, brachte seine Kanoniere in Ordnung, um das Kloster von Amts wegen zu betreten, und beschloß, so es ihm möglich wäre, ohne irgendwie Gefahr zu laufen, den Sallust festzunehmen.

Agnes, die wachsam und besorgt zurückgeblieben war und gehört hatte, wie der Prior verhaftet wurde, war als gute Kameradin, obwohl der Schmerz ihr das Herz zerriß, sowie sie gehört, daß der Bischof hereinzukommen suchte, schnellstens in die Zelle der Klara gelaufen und hatte ihr kurz erzählt, was sich zutrug. Wenn Klara diese Nachricht auch mit dem größten Unwillen anhörte, so verlor sie doch, da sie erkannte, welches Übel ihr daraus erwachsen mußte, keine Zeit mit Gefühlen; sondern verschlagen und beherzt, wie sie war, wußte sie sofort Rat und dachte sich von so offensichtlicher und gefährlicher Unreinheit zu befreien. Sie hieß den Priester aufstehen, der zum Glück seine Armbrust schon entladen und viele schöne Treffer ins Ziel gemacht hatte, und ließ ihn sich bereit halten, stürzte geschwind zur Zelle der Äbtissin und rief sie mit erschrecklicher Stimme und sagte: »Hochwürdige Frau, laufet, eine Schlange oder ein andres schlimmes Tier ist unter Eure Hühnchen geraten und frißt sie alle auf!«

Die Äbtissin, die als Alte, als Fromme und als Frau sehr geizig war, sprang trotz ihrer Altersbeschwerden sofort aus dem Bett und lief im Wolfstrab zu ihrem Hühnerstall.

Klara, die auf der Lauer stand, sah, daß ihr Einfall gelungen war, zog ohne Verzug den Priester aus ihrer Zelle, faßte ihn am Hemdzipfel und zerrte ihn, die Kleider um den Hals, mit hastigen Schritten, wie ein Tier zum Schlachthaus, in die Zelle der Äbtissin, ließ ihn sich in deren eignes Bett legen und kehrte schneller als der Wind in ihre eigne Zelle zurück, fast im selben Augenblick, in dem der Bischof mit seiner Schar das Kloster betreten hatte und in den Schlafraum gelangt war. Zufällig traf er sich mit der Äbtissin, die mit einem Stock in der Hand, fröhlich, keine Schlange gefunden zu haben, und also siegreich zurückkam, den Bischof, der schneidend dareinblickte, ganz erschreckt anschaute und so zu ihm sprach: »Gnädiger Herr, was soll dieser Lärm zu dieser Stunde?«

Der Bischof, der mit der Wildheit seines fürchterlichen Angesichtes die Bären erschreckt hätte, wandte sich zu ihr, erzählte ihr alles genau und schloß, daß er gesonnen sei, auf jede Art den Sallust und die Klara in die Hand zu bekommen.

Die Äbtissin war tief schmerzlich berührt von dem, was geschehen war, beteuerte, soweit es ihr möglich war, ihre Unschuld und antwortete, er möge nach seinem Willen tun, und sie würde mit allem zufrieden und einverstanden sein.

Der Bischof, den es sehr schmerzte, noch mehr Zeit zu verlieren, begab sich mit seiner Schar und der Äbtissin schnurstracks zur Zelle der Klara. Sie pochten an die Tür und riefen, sie solle öffnen. Klara, die keineswegs geschlafen hatte, tat doch so, als ob sie sich ganz verschlafen erhebe und sich erst anziehen müßte, rieb sich die Augen, kam an die Tür, und ohne irgendwie erschreckt zu erscheinen, fragte sie lächelnd: »Was soll eine solche Armee bedeuten?«

Obwohl der Bischof sie mehr als sich selbst liebte, die ihm im Scheine so vieler Lichter noch schöner als sonst erschien, antwortete er darauf, um ihr große Furcht einzuflößen: »Wie, Aufsässige, wir sind hier, um dich als eine gottlose Frevlerin zu strafen, und du sprichst spottend, als ob wir nicht wüßten, daß Sallust diese Nacht mit dir zusammenlag und noch da drinnen ist ?«

Die Äbtissin, so klug sie war, erregt über der Klara günstiges Geschick, schalt jene, bevor sie irgend etwas geantwortet hatte, zuerst mit vielen rohen Worten und wollte dann wütend beinahe Hand an sie legen.

Klara, die ihren Bären schon in der Höhle der andern untergebracht hatte, antwortete der Äbtissin ein wenig wegwerfend folgendermaßen: »Hochwürdige Frau, Ihr seid allzu voreilig und versucht entgegen aller Rechtlichkeit und allem Pflichtgefühl meine Ehre zu beschmutzen. Aber ich hoffe zu Gott und zum glorreichen heiligen Thomas, in dessen Diensten wir stehen, daß der hochwürdige Herr nicht von hier weggehen wird, bevor er mit den Sünden anderer meine Unschuld klar erkannt hat; und der, der Susanna errettete vor der falschen Beschuldigung nichtswürdiger Priester, wird mich vor der Gemeinheit erretten, die man auf mich häuft.« Mit erheuchelten Tränen und großem Zorn sagte sie darauf: »Tretet ein, räuberische Wölfe, wenn ihr es durchaus wollt!«

Der Bischof, der es für sicher hielt, daß der Priester darinnen sei, ging sofort mit all den Seinen hinein und suchte an Stellen, wo auch ein Hase kaum Platz gehabt hätte; als er ihn auf keine Weise finden konnte, ging er voll Zorn und Wut hinaus und sagte: »Ihr könnt daran glauben, wir werden ihn finden und keinen Raum ununtersucht lassen!«

Als man so weit war, die Zellen aller Nonnen zu durchsuchen, sagte die Äbtissin: »Hochwürdiger Herr, bei Gott, suchet überall und beginnet mit meiner Zelle!«, und ähnlich sprachen alle andern Nonnen, die bei dem Lärm herbeigelaufen waren. Der Bischof schien zu begreifen, zu welchem Zweck die Äbtissin sprach, beauftragte zwei von seinen Leuten, sie sollten in die Zelle der unschuldigen Äbtissin gehen und dort so tun, als ob sie suchten, da es ein Ort war, auf den er keinen Verdacht hatte, um schnell zu den andern kommen zu können. Jene traten ein und sahen, daß das Bett etwas erhaben war, erkannten, daß da ein Mensch sei, zogen ihm die Tücher vom Rücken und fanden den armen Sallust halbtot; als sie ihn erkannt hatte, hielten sie ihn sofort fest wie Fanghunde und schrien: »Ecce homo!« Auf diesen Lärm kam der Bischof, und alle, die um ihn waren, gingen sogleich hinein und fanden den Priester im Hemd im Bett der Äbtissin liegen. Jeder vermag sich leicht vorzustellen, wie sehr sie darüber alle verwundert waren; am meisten die schmerzlich betrogne Äbtissin, die völlig erstarrt und verblüfft von diesem Ereignis dastand, sich besann, diesen Mann nicht in ihrem Bett gelassen zu haben, und nicht wußte, ob sie das, was sie sah, für einen Traum oder für Wirklichkeit halten sollte, da es ihr schien, als sei Abstreiten wie Zugeben gleichermaßen unmöglich.

Als Donna Klara sah, daß das Geschehnis der Ausweg sei, der zum gewünschten Ziele führe, kann man sich leicht vorstellen, in welchen garstigen und abscheulichen Worten sie gegen den Bischof losbrach und auch gegen die arme und genasführte Äbtissin, wobei sie unter anderm sagte: »Beim Kreuz des Erlösers, ich werde morgen zu meinen Eltern schicken, daß sie mich aus diesem öffentlichen Bordell nehmen, Wo man nachts Priester in den Betten derer trifft, die andern das gute Beispiel geben sollten! Diese alte Teufelshure! Möchte doch eine Flamme vom Himmel fahren und sie wunderartig von der Erde hinwegbrennen!« Und mit diesen und andern ähnlichen Worten ging sie in großem Ungestüm in ihre Zelle, schloß sich darinnen ein und ließ den Bischof mit allen übrigen übertölpelt draußen stehn.

Dessen große Wut verwandelte sich in Schmerz und Beschämung; er wandte sich zu dem leidenden Priester, ließ ihn sogleich wie einen Räuber fesseln und kehrte nach Hause zurück, ohne sich weiter von der gebrochenen und schmachbedeckten Äbtissin und den andern Nonnen zu verabschieden.

Den andern Morgen machte er Miene, den Prozeß anberaumen zu wollen, um den Prior und den Priester zum Feuertode zu verurteilen, und tat dann so, als ob gute Freunde seine heftige Wut gemildert hätten, und so verwandelte sich das Feuer, dem er die Schänder übergeben wollte, zusammen mit den andern drohenden Martern in jenes sehr wohlklingende Fließen von Florentiner Goldstücken. Und dieses war von so einzigartiger Wirkungskraft, daß es jene nicht nur vom verdienten Tode freimachte, sondern außer der Sündenvergebung ihnen Vollmacht gab, weiter durch die schon von ihnen durchfurchten Meere zu fahren und auch durch jede andere See, die ihnen begegnen mochte, ohne jede Strafe, unter der Bedingung jedoch, daß sie als gehorsame Söhne dem Herrn Bischof den schuldigen Zehnten entrichteten, damit Gott ihre Güter vermehre und vervielfältige. So geschah es denn, daß die weise Klara mit ihrer hurtigen Abwehr sich den Schlingen des Bischofs entzog und dadurch, daß sie die Schuld auf eine andere schob, die sie mit dem Feuer bedroht hatte, aus der gefährlichen Lage unbefleckt herauskam.

Die Witwe in Trauer

In den Jahren, in denen unsere Stadt Salerno unter der Herrschaft des ruhmreichen Papstes Martin V. stand, war dort ein überaus großer Verkehr, und unzählige Kaufleute aller Nationen kamen da fortwährend zusammen. Aus diesem Grunde siedelten sich dort viele auswärtige Handwerker mit ihrem ganzen Anhang an, und unter andern begab sich auch ein guter Mann aus Amalfi, der Trofone genannt wurde, dorthin, um einen Gasthof zu betreiben. Er brachte seine Frau mit sich, die von großer Schönheit war, übernahm einen Gasthof in der Straße unserer Landverwaltung und mietete noch ein anderes Haus in der Gegend des Neutors, einem hochehrbaren und so abgelegenen Stadtteil, daß keiner ohne sehr künstliche Gründe dort vorbeikommen konnte. Als er dort seine Frau und seine Familie untergebracht hatte, geschah es, daß sich in diese junge Frau ein Edelmann der Stadt von hochangesehener Familie verliebte, dessen Namen ich aus guten Gründen beschlossen habe zu verschweigen. Dieser war von heftigster Liebe entbrannt, wußte jedoch einmal wegen der örtlichen Lage kein Mittel, sein Sehnen zu erfüllen, noch konnte er andrerseits wegen der ungewöhnlichen Überwachung durch den sehr eifersüchtigen Gatten es wagen, mit ihr in Verbindung zu treten. So dachte er sich der Geschicklichkeit einer gewissen Frau zu bedienen, die zu seinem Haushalt gehörte und die in der ganzen Stadt herumkam, da sie mit verschiedenem kleinen Frauenkram hausierte. Dieser offenbarte er eines Tages seine Wünsche und beauftragte sie unter großen Versprechungen mit dem, was nötig war.

Sehr zufrieden, ihm dienen zu können, ging sie stracks weg, durcheilte mehrere Stadtteile und kam dann in den der jungen Frau; während sie nun bald diese, bald jene Frau einlud, von ihren Sachen zu kaufen, kam sie schließlich an ihre Haustür, in der jene stand, und sagte, da sie noch in keinerlei Beziehungen waren, folgendes zu ihr: »Und du, schöne Frau, willst nichts von diesen meinen zierlichen Sächelchen kaufen? Ich weiß wohl, wenn ich so schön und jung wäre, wie du bist, würde ich jeden Tag neue Sachen kaufen und das, was die Natur geschaffen, mit der Kunst verbinden, so daß mir niemand gleichkommen könnte.«

»O weh!« sagte die junge Frau, »du willst mich zum besten haben!«

Die Alte antwortete: »Bei Gott, ich sage die Wahrheit, wenn ich dir mitteile, daß man in diesem ganzen Land davon spricht, daß du die schönste Frau in diesem Königreiche bist. Und wenn auch einige Edeldamen an einem Ort, an dem ich mich heute befand, mehr von Neid als Vernunft bewegt, deine Schönheit heruntermachten, um die ihre ins Licht zu setzen, und sagten, du habest kein gutes Blut, und ähnliche Dinge, wie sie zu reden pflegen – denn wahrhaftig treten ja allen die Augen aus dem Kopf, wenn eine von unsresgleichen wirklich schön ist –, so gab ihnen dort doch ein Jüngling aus vornehmem Haus – ich weiß nicht, ob du ihn kennst – die verdiente Antwort, und er schloß damit, daß keine von ihnen genügend schön sei, um dir die Schuhriemen lösen zu dürfen.«

Die junge Frau antwortete: »Gott behüte Euch! Wenn es nicht unziemlich wäre, wüßte ich gerne, wer die Damen waren und wer der edle Jüngling, der mich verteidigte.«

Die Alte, die ihr Gewebe umsichtig spann, antwortete: »Von den Frauen will ich jetzt schweigen, um von niemandem Schlimmes zu sagen; aber den jungen Mann will ich dir gerne nennen –«, und ohne Antwort abzuwarten, nannte sie ihn mit Vor- und Familiennamen und fügte hinzu: »Was er mir außerdem noch sagte, will ich dir nicht bekannt machen, wenn du mir nicht vorher schwörst, es geheim zu halten.«

Die junge Frau war, wie das zu sein pflegt, voll Verlangen, es zu wissen, und versprach ihr, nichts zu verraten. Nicht ohne große Geschicklichkeit begann nun die Alte folgendermaßen: »Mein Töchterlein, ich kann dir vor allem nur das anraten, was dir Ehre macht, und darum darf man nicht auf das achten, was die Männer sagen! Er sagte mir, daß er dich mehr als sich selbst liebe, und so sehr ist er von dir bezaubert, daß er mir schwor, er habe nicht nur den Schlaf verloren, sondern er könne auch keine Nahrung mehr zu sich nehmen. Er verzehrt sich wie eine brennende Kerze. Obschon ich dich erinnerte und erinnere, daß du die Ehre und den guten Ruf bewahren mußt, da wir kein größeres Gut auf dieser Welt besitzen, so werde ich doch nicht verschweigen, daß es mir die größte Sünde, die man begehen könnte, zu sein scheint, einen solchen Jüngling von solch lobenswerten und angenehmen Sitten, solch artigem Benehmen, solcher Freigebigkeit und Ehrbarkeit elend sterben zu lassen. Er wollte mir einen reizenden kleinen Ring geben, den ich dir von ihm überbringen sollte; doch besorgt um dich, wollte ich ihn für diesmal nicht nehmen; wenn du aber wüßtest, was er von dir begehrt, – ich bin überzeugt, du könntest ihn leicht und ohne deine Ehre irgendwie anzutasten, zufrieden stellen. Er sagte, er wolle nichts anderes von dir, als daß du einwilligst, von ihm geliebt zu werden, und daß du zur Belohnung dafür etwas geneigt seiest, ihn zu lieben, und daß du, wenn er dir manchmal eines seiner Geschenke schicke, es um seiner Liebe willen anzunehmen und es zu tragen dich herabließest. Dies, mein Töchterlein, scheinen mir recht leichte Sachen zu sein, und du wie jede andere junge Frau müßten sie tun, damit die Blüte der Jugend nicht ungepflückt vorübergeht, da doch das Kosten der süßen Früchte die Ehrbarkeit verbietet.«

Die junge Frau hörte diese einnehmenden Worte, und die kluge Botin entwickelte so viele Beweisgründe vor ihr, daß es ihr schien, sie sei, obschon sie natürlich sehr züchtig war, vom Schicksal gezwungen, ihn treu zu lieben, wobei sie infolge ihrer angebornen Sittsamkeit in keiner Weise beabsichtigte, deren Grenzen zu überschreiten. Sie wandte sich zu der Alten und sagte zu ihr: »Nun, gute Frau, kehret zurück zu dem Edelmann und sagt ihm, daß ich aus Liebe zu seinen Tugenden sehr zufrieden bin, ihn als meinen einzigen Liebhaber anzunehmen, und daß das allein von mir ihm genügen müsse; sagt ihm, daß er ja darauf achte, verschwiegen zu sein, und nicht in den Fehler der meisten jungen Leute verfalle, die, wenn sie unter Kumpanen sind, sich nicht nur mit dem, was sie tun, sondern auch mit Sachen brüsten, die sie nie sahen, und teilt ihm mit, daß ich lieber sterben wollte, als daß mein Gatte etwas erführe, der jeden andern an Eifersucht übertrifft!«

Da erschien es der Alten, daß sie auf den ersten Ansturm nicht wenig erreicht habe, und so sah sie die Sache auf gutem Wege und antwortete folgendermaßen: »Mein Töchterlein, du sprichst klug; aber du sollst wissen, daß er zu seinen andern einzigartigen Vorzügen auch völlig verschwiegen ist. So wahr Gott mich möge selig sterben lassen; – als er mir die Sache enthüllte, ließ er mich mehr als hundertmal schwören, sie geheim zu halten; er zitterte wie ein Rohr im Winde und wechselte tausendmal in der Stunde die Farbe. Darum wird diese Rücksicht dich nicht abhalten, ihn zu lieben; aber sicher wird es einmal dazu kommen, daß du vor dir selbst dich rühmen wirst, den schönsten, verschwiegensten und jeder Tugend teilhaftigen Verehrer auf dieser Erde zu haben. Und wenngleich das, was du ihm gewährst, genug ist und er mich um nichts anderes bat, werde ich doch nicht aufhören, zu bedauern, daß du deine blühende Jugend so elend verlieren willst; wenn dir das Schicksal und deine Eltern einen so häßlichen und gewöhnlichen Mann als Gatten gaben, so sind das Gründe, daß nicht auch du dir selbst feind sein sollst, sondern einen Weg zu finden weißt, um dich zu vergnügen; denn es gibt keinen so schlimmen Kummer, als erst im Alter andern Sinnes zu werden.« Und dann sagte sie scherzend: »Weißt du, was ich ihm von dir bestellen werde? Daß es ihm schön zum Schaden gereichen wird, wenn er nicht Mittel und Wege findet, mit dir zusammen zu sein.«

Auf diese Worte erwiderte die junge Frau ziemlich unwillig: »Bei meinem Glauben, du wirst dich schwer hüten, ihm so etwas zu sagen; es muß ihm schon bei weitem genügen, wenn du ihm sagst, was ich dir aufgetragen habe.«

Die Alte sagte: »Ich bitte dich, werde nicht gleich böse und wundere dich nicht über meine Hartnäckigkeit! Ich schwöre dir auf dieses Kreuz, daß er sich töten wird, wenn ich ihm keine gute Nachricht bringe. Wenn ich dich ihm auch so ans Herz legen werde, wie ich vermag, damit er mir die angenehme Antwort glaubt, die du mir gegeben hast, so zeige dich ihm morgen in der Augustinerkirche, und er wird, während er sich die Nase putzt, sagen: ›Ich lege mich dir ans Herz!‹, und du antwortest ihm, während du dir die Haare aus dem Gesicht streichst: ›Und ich mich dir!‹ So werdet ihr die Zeit verbringen, bis euch das Glück einen besseren Weg zum Vergnügen gezeigt hat.«

Worauf die junge Frau erwiderte: »Auch ich will entgegenkommend sein! Empfehlt mich ihm zahllose Male, sagt ihm, er soll zur Frühmesse kommen, und daß ich nicht lange in der Kirche verweilen kann!«

So ging schließlich die Alte fort, und die Junge blieb mit nie gekannten Gefühlen im Herzen zurück, in dem sie nun infolge der meisterlichen Worte der Alten unaufhörlich einen Wurm nagen fühlte. Die Alte fand gleich den Liebhaber und erzählte ihm alles der Reihe nach ganz genau mit der verabredeten Abmachung.

Überaus glücklich über diese Nachrichten, stand er am anderen Morgen früh auf, begab sich zum verabredeten Ort und fand dort die junge Frau, die sich schöner herausgemacht hatte, als sie von Natur aus schon war; sie erwies ihm nicht nur sehr hohe Gunst außerhalb allen Herkommens, sondern er blieb auch, als er die versprochene Antwort mit dem gegebenen Zeichen gesehen, fröhlicher, als er je gewesen war.

Als kurz darauf die Frau weggegangen und er nach Hause zurückgekehrt war, begann er darüber nachzusinnen, auf welche Weise es ihm vergönnt sein möge, die letzte Liebesfrucht zu pflücken. Nachdem er dazu mannigfaltige und verschiedene Wege ersonnen, legte er sich entschieden auf einen fest; mochte kommen, was da wolle, er beschloß, sich in ihrem Hause einzufinden, und zwar auf eine solche Art und Weise, daß sie gezwungen war, ihm das zuzugestehen, wovon sie nur in der Sehnsucht den Vorgeschmack zu kosten begonnen hatte. Er vertraute sich gewissen Edelleuten aus Capuana an, die dorthin gekommen waren, um mit ihrem Verwandten, dem Erzbischof, ein Fest zu feiern.

Eines Abends sandte er spät zu einem verabredeten Ort Pferde wie Maulesel, soviel sie brauchten. Er selbst war als Witwe mit Kapuze und Schleier verkleidet, und mit zwei ähnlich verkleideten Jungen saßen sie auf gemieteten Wagen, worauf sich der ganze Zug, sowie es Nacht war, zu Pferde gegen die Stadt zu bewegte. Als sie zur Landverwaltung kamen, erschien Trofone, wie es Brauch der Wirte ist, an der Straße und sagte: »Meine Herren, wollen Sie übernachten?« Worauf einer antwortete: »Gewiß! Habt Ihr gute Ställe und Betten?«

»Jawohl, gnädiger Herr«, sagte der Wirt, »steigt ab: ihr werdet bestens bedient werden!«

Jener zog ihn beiseite und sagte: »Höre, Wirt, dein guter Ruf hat uns hierher geführt, und darum ist es erforderlich, daß wir von dir jene Sicherheit bekommen, die unser Fall erheischt. Wisse denn, wir haben hier die Tochter des Grafen Sinopoli, die eben durch den Tod des seligen Herrn Gorello Caracciolo, ihres Gatten, verwitwet ist, um sie so trauernd, wie du siehst, zu ihrem Vater zurückzubringen. Aus Rücksicht auf die Sittsamkeit werden wir sie nur sehr ungern, da es keine andere Möglichkeit gibt, heute nacht im Gasthof schlafen lassen; jedoch müssen wir dich ersuchen, dich freundlichst sehr zu bemühen, uns eine gutbeleumundete Frau zu finden, mit der zusammen sie diese Nacht mit ihren beiden Mägden verbringen kann, und wir werden das Doppelte von dem bezahlen, was es kostet.«

Darauf erwiderte der Wirt: »Mein Herr, hier in der Gegend kenne ich niemand, der dazu geeignet wäre; trotzdem biete ich Euch alles an, was ich vermag: Ich habe nämlich mein eigenes Haus ein wenig entfernt von hier, wo meine noch recht junge Frau wohnt; wenn es Euch recht ist, könnte sie mit ihr zusammen verbleiben, und das Entgelt dafür sei Euch überlassen.«

Der Edelmann wandte sich an die Frau und sagte: »Sehet, Donna Franzeska, mir scheint, Ihr würdet bei weitem besser im Hause dieses tüchtigen Mannes in Gesellschaft von Frauen untergebracht sein als hier unter uns.«

Sie erwiderte mit verstellter Stimme, daß es ihr recht sei.

Der Wirt ließ ihnen von einem Burschen den Weg zeigen und eilte schnellstens voraus in das Haus, rief seine Frau und befahl ihr, schleunigst das Zimmer herzurichten, da eine verwitwete Gräfin jugendlichen Alters heute hier nächtigen müsse. Die junge Frau, deren Gedanken meilenweit von Betrug waren, antwortete reinen Herzens: »Mein Gemahl, du kennst das Haus: dennoch wird man machen, was irgend möglich ist.«

»In einer guten Stunde«, sagte der Wirt, »mache ihr warmes und wohlriechendes Wasser, dessen sie wohl sehr bedürfen wird, da alles voll von Schlamm ist.«

Unterdessen war die Dame mit zwei Edelleuten angekommen, die ihr beim Aussteigen halfen und sie am Arm mit den zwei Dienerinnen in das Zimmer führten; dort angelangt machte sie Miene, sich zu entkleiden, und verabschiedete die, die sie hergeleitet hatten. Darum erschien es auch dem Wirt unziemlich zu bleiben, und er wandte sich mit folgenden Worten an seine Frau: »Ich lege dir die Bedienung dieser Dame besonders ans Herz; bereite mit größter Sorgfalt das Abendessen und alles zum Schlafen; schließt von innen recht gut ab; ich werde in den Gasthof gehen, um ihre und andere Gesellschaften zu bedienen, die mich erwarten.«

Nach dieser Anordnung verließ er sie und schloß sie zur größeren Sicherheit auch noch von außen ein, gab den Schlüssel einem der Begleiter und ging mit ihnen zusammen zum Gasthof zurück.

Die junge Frau verblieb mit dem Liebhaber, den sie wirklich für eine Frau hielt; beflissen, ihr zu dienen, half sie ihr, sich auszuziehen. Es schien ihr ewig zu dauern, bis sie sehen konnte, ob sie schön sei; sie entfernte selbst die Hüllen, die ihr das Gesicht verbargen, sah sie aufmerksam an, und kaum bot sich ihr das Bild ihres Geliebten dar, so trat sie furchtsam und schamhaft zurück und wagte nicht mehr, ihm nahezukommen. Er sah sie ganz außer sich dastehen, befürchtete Gefahren, die oft durch die Unbedachtheit junger Frauen möglich sind, und darum schien es ihm sehr an der Zeit, sie mit seiner List bekanntzumachen. Er nahm sie an der Hand, schloß sie in den Arm und begann folgendermaßen zu ihr zu sprechen: »Mein süßestes Leben, ich bin dein treuer Liebhaber für immer, und bin auf diese Weise hierher geführt, da es wegen der großen Eifersucht deines Gatten und deiner hohen Züchtigkeit keinen andern Weg gab. Nur dieser blieb, der mir vom Gott der Liebe mit sehr großer Hoffnung eröffnet und gezeigt wurde. Und so führte er mich, wie du siehst, in deine anmutigen Arme, und ich flehe dich an: laß mich meine brennende Leidenschaft um unserer beider Ehre und Zufriedenheit willen zärtlich stillen! Wende dich in Frieden und Ruhe deinem einzigen und glühendsten Diener zu und pflücke auch du die süßen und so beseligenden Früchte unserer Jugend, wie es eine sehr kluge Frau machen würde!«

Die junge Frau, obwohl sie, noch ganz entrüstet, mehrmals ihre Kräfte umsonst angewandt hatte, um aus seinen Händen zu entkommen, da sie wohl wußte, daß das Schreien sie mit ewiger Schande bedecken würde, und da ihr noch dazu jener von Anfang an sehr gefallen hatte, beriet sich schnell mit sich selbst und entschied, ihm das zu gewähren, was sie, wenn sie gekonnt hätte, ihm zuweilen nicht versagt hätte. Sie wandte sich ihm zu und sagte: »Wenn der geringe Verstand meines Gatten Euch hierher geführt hat, so beabsichtige ich nicht, Euch zu meiner Schande von hier fortzujagen; da ich in Eure Hand gegeben bin, so brauche ich nichts anderes zu sagen, als Euch um Gottes willen und bei der Ritterlichkeit, zu der Ihr durch Euren Adel verpflichtet seid, zu bitten, daß Euch meine Ehre anempfohlen sei, wenn ich Eure Sehnsucht erfülle.«

Der Liebhaber war über diese Worte hochentzückt, küßte sie innig und sagte, sie brauche nicht zu zweifeln, weil er jederzeit, wenn es nötig wäre, das eigne Leben für die Bewahrung ihrer Ehre und ihres guten Rufes einsetzen würde. Mit solchen und andern sehr süßen und schmeichelhaften Worten besänftigte er sie, und bevor sie jenen Ort verließen, kosteten sie die erste Frucht ihrer Liebe. Dann nahmen sie eine leichte Mahlzeit ein, gingen zu Bett und verbrachten, von der gleichen Leidenschaft hingerissen, die ganze Nacht in seligem Entzücken; auch verabredeten sie untereinander eine noch behutsamere Weise, sich zu genießen.

Beim Morgengrauen ließen die Gefährten die Wagen anspannen, stiegen zu Pferde und kamen zusammen mit dem Wirt zu dem Haus; sie fanden die Dame reisefertig; sie stieg sogleich ein, der Wirt wurde über Gebühr bezahlt, und wenn sie sich auch gegen Kalabrien in Marsch setzten, so kamen sie doch abends mit großem Vergnügen und Feste wieder nach Hause. Der Liebhaber belohnte endlich die geschickte Botin und erfreute sich lange Zeit glücklich mit der jungen Frau. Möge auch dir Amor einen so fröhlichen Ausgang gewähren, so wie du es am meisten begehrst!

Der geprellte Vater

(Shakespeare, Der Kaufmann von Venedig)

Herr Thomas Mariconda, ein sehr bekannter und galanter Kavalier und seinerzeit in unsrer Stadt nicht wenig angesehen, vergnügte sich, als er hochbejahrt war, nach altem Brauch damit, unzählige und ausgezeichnete Geschichten zu erzählen, und brachte sie nicht ohne große Redegabe und mit unglaublichem Gedächtnis zum Vortrag. Unter anderm erinnere ich mich, daß ich ihn in meiner Kindheit als wahre Geschichte erzählen hörte, wie nach dem Tode Karls III. in unserm Königreiche ein großer und langwieriger Krieg ausbrach wieder wegen der Unterdrückungen, die das Haus Anjou beging; in dieser Zeit lebte in Neapel ein Edelmann aus Messina, der Wilfred Seccano hieß, ein sehr ergebener Anhänger des Hauses Durazzo. Eines Tages ritt er durch die Stadt, als er in einem Fenster ein wunderschönes Mädchen sah, die Tochter eines alten Kaufmanns, auf dessen Namen ich mich nicht mehr recht besinne; sie gefiel ihm über die Maßen gut, und er war sogleich heftig in sie verliebt. Und wie es ihrer beider gutes Glück wollte, als das junge Mädchen, das Carmosina hieß, merkte, daß sie dem Edelmann gefiel, und obwohl sie nie gewußt hatte, was Liebe sei, noch kaum je einen andern Mann gesehen hatte, da geschah es – ein vielleicht unerhörter Fall –, daß im selben Augenblick eine Flamme gleicherweise in zwei Herzen entbrannte, und zwar dermaßen, daß keiner mehr schien fortgehen zu können, während sie einander anstarrten; nach einiger Zeit schieden sie trotzdem, von Ehrbarkeit und Furcht bewogen, nicht ohne schwere und gleiche Pein voneinander.

Herr Wilfred erkannte, daß die Liebe sie beide unversehens überwältigt hatte, und daß nur die geeignete Gelegenheit fehlte, um ihren einmütigen Wünschen Genüge zu tun. Nach Art der Liebenden ging er zunächst ganz darin auf, herauszufinden, wer das Mädchen sei und wessen Tochter. Bald hatte er den Vater erfahren und hörte, daß er sehr alt, eifersüchtig und geizig über die Maßen war, und zwar so sehr, daß er, um von niemandem um die Hand seiner einzigen Tochter angehalten zu werden, diese ständig im Haus eingeschlossen und schlechter als eine billige Sklavin hielt. Als der Edelmann von allem wohlinformiert war, begann er, um einen Vorwand zu haben, durch jene Gegend zu gehen und wenn nicht das Mädchen, so doch wenigstens die Mauern des Hauses zu sehen, sich bald der einen, bald der andern ihrer Nachbarinnen als Verliebter zu zeigen; daher wurde er von vielen für nichts als einen Windbeutel gehalten, und seine Klugheit und Weisheit wurden vom dummen Haufen lächerlich gemacht. Er kümmerte sich wenig darum, sondern verfolgte seinen vorgefaßten Plan und begann schlauerweise einen vertraulichen Umgang mit dem Vater dadurch, daß er häufig und ohne irgend Bedarf daran zu haben zu sehr teuren Preisen von dessen Waren kaufte und überdies, um ihn noch mehr zu ködern, fast jeden Tag andere Hofleute zu ihm in den Laden brachte, so daß er ihm ständig bare Einnahmen verschaffte; da dieser an dem Edelmann und seinen Gefährten sehr viel verdiente, brachte er ihm solche Freundschaft entgegen, daß sich fast jeder verwunderte. Als der Edelmann mit seinem Plan zum Ziel kommen wollte, schloß er sich eines Tages mit ihm in sein Lager ein und begann folgendermaßen: »Da ich in meinen Angelegenheiten Rat und Hilfe brauche, weiß ich mich nunmehr an niemand andern als an Euch zu wenden, der ich Euch wegen Eurer Güte wie meinen eignen Vater liebe und verehre; darum zögere ich nicht, Euch alle meine Geheimnisse anzuvertrauen! Wisset denn, daß es schon viele Jahre her ist, seit ich von meinem Vater weggegangen und hier durch die Liebe zum König und die Kriegsverhältnisse festgehalten bin, so daß mir bisher nicht Urlaub gegeben wurde, nach Hause zu fahren. Jetzt aber, seit einiger Zeit, bittet er mich in vielen Briefen und Botschaften, ich möchte, bevor seine Tage zu Ende gehen, kommen, um ihn wiederzusehen. Da ich seinen flehentlichen Bitten nicht widerstehen kann, habe ich beschlossen hinzureisen; wenn ich dort eine kurze Zeit gewesen bin, will ich sofort in den Dienst des Königs, meines Herrn, zurückkehren. Da ich nun niemand habe, dem ich mich besser als Euch anvertrauen könnte in diesem wie in jedem andern Fall, möchte ich, daß Ihr mir gewisse Sachen bis zu meiner Rückkehr verwahrt; außer diesem mache ich mir am meisten Sorge um eine Sklavin: so schwer es mich auch wegen ihrer Güte ankommt sie zu verkaufen, so wäre ich andrerseits doch dazu gezwungen, weil ich dreißig Dukaten brauche. Wenn mich auch bei meiner Ehre keiner meiner Freunde wegen einer so kleinen Summe abweisen würde, so habe ich dennoch beschlossen, weil ich so unentschieden bin, da ich nur bei Euch Sicherheit finde, Euch wegen dieses Geldes zu belästigen und Euch die Sklavin zu lassen, und wenn in der Zeit, bis ich zurückkomme, Ihr eine Gelegenheit findet, sie zu dem Preis von siebzig Dukaten zu verkaufen, den sie mich kostet, so handelt, als ob sie Euch gehöre!« Der mehr habgierige als kluge Alte, ganz erfüllt von Gedanken an den Nutzen, der ihm aus dem erbetenen Dienst erwachsen konnte, erkannte in keiner Weise die List und erwiderte, ohne sich zu überlegen, folgendermaßen: »Lieber Wilfred, so groß ist die Liebe, die ich für Euch hege, daß ich nicht Nein sagen könnte, was auch immer Ihr von mir fordern würdet, wenn ich es nur irgend vermöchte; darum bin ich gern bereit, Euch mit dem Gelde zu dienen, das Ihr braucht, und ich werde die Sklavin für Euch bewahren, damit Ihr sie nicht schlecht verkaufen müßt; wenn Ihr heil zurück seid und ich mit ihr zufrieden bin, werde ich Euer Konto so bereinigen, daß Ihr nicht anders als mein eigner Sohn behandelt werdet.«

Der Edelmann war sehr fröhlich über die Antwort und sagte: »Ich hoffte nichts anderes von Euch, und Euch zu danken schiene mir übertrieben; aber gebe Gott, daß eine für uns beide günstige Gelegenheit Euch die Früchte unserer Freundschaft beschere!« Damit schied er von ihm, stieg zu Pferd und ritt nach seiner Gewohnheit durch das Stadtviertel seiner Geliebten, und zum guten Glück – wie vielleicht beider gemeinsame Schicksalslose es zu ihrer gleichen Glückseligkeit bestimmt hatten – sah er das Mädchen ein wenig sich am Fenster zeigen, sich dann scheu zurückziehen und ihn freundlich und teilnahmsvoll anschauen; er sah sich nach allen Seiten um, erblickte niemand und sagte ihr, da er keine Zeit hatte, länger zu sprechen: »Meine Carmosina, tröste dich: ich habe Anstalten getroffen, dich bald aus dem Gefängnis herauszuholen!« und ritt mit Gott davon.

Das junge Mädchen hatte die Worte des Liebhabers gut verstanden und war sehr zufrieden darüber; und obwohl es ihr nicht in den Kopf ging, daß etwas Gutes daraus entstehen sollte, so hoffte sie doch, von ruhiger Zuversicht erfüllt, und wußte nicht worauf.

Als der Edelmann nach Hause gekommen war, ließ er die Sklavin kommen und sagte zu ihr: »Meine Anna, die Sache ist zwischen uns schon besprochen und geregelt; aber gib acht, daß du klug vorgehst bei dem, was zu tun sein wird!« Und obwohl jene äußerst geschickt war, so durchgingen sie noch mehrmals zusammen den ausgeheckten Plan. Und wie nun wenige Tage später alles bereit war, ging er zu dem alten Kaufmann und sprach so zu ihm: »Wie unangenehm es mir ist, für einige Zeit Eure so ersprießliche Freundschaft zu entbehren, dafür sei Zeuge der, der alle Geheimnisse kennt! Da ich aber diese Nacht aufbrechen muß, damit meine Reise ordnungsgemäß verläuft, so bin ich gekommen, um Abschied von Euch zu nehmen und außerdem das Geld abzuheben, das ich von Euch erbat, und lasset nun das Pfand holen, von dem Ihr wißt!«

Der Alte, der Gott um nichts anderes gebeten und schon befürchtet hatte, es könne ihn gereut haben, war darüber sehr vergnügt. Er zählte ihm die dreißig Dukaten ohne weiteres auf und schickte nach der Sklavin, die er mit gewissen andern Sachen des Edelmanns in sein Haus brachte.

Als der Abend kam, wurde der Edelmann von dem Kaufmann und andern Freunden an das Gestade des Meeres begleitet; er umarmte alle, nahm Abschied und schiffte sich auf einem Segelschiffe ein, das nach Messina ging. Sie waren noch nicht weit vom Hafen, so ließ er sich in ein Boot setzen, wie er mit dem Kapitän ausgemacht hatte, und ließ sich nach Procida bringen, wo er sich im Hause eines Freundes erholte und bis zur dritten Nacht verblieb. An dem mit der Sklavin verabredeten Termin brach er mit einigen sizilianischen Gefährten auf, die jede große Gefahr auf sich zu nehmen entschlossen waren, und fuhr nach Neapel; auf heimlichen Wegen gingen sie in die Stadt, und er verbarg sich mit seinen Gefährten in einem Hause, das an jenes des Kaufmanns angrenzte und in jenem Jahr infolge des schlimmen Krieges leer von Bewohnern geblieben war, und dort verblieben sie, ohne ein Geräusch zu machen, bis zum folgenden Tag.

Die sehr kluge Sklavin war, als sie in das Haus des Kaufmanns gekommen war, von Carmosina fröhlich empfangen worden, und als diese wußte, wem sie gehöre, wurde sie mit ihr rasch sehr vertraut. Da die Kürze der Zeit sie drängte, eröffnete sie ihr mit erstaunlicher Geschicklichkeit und meisterlichen Worten genau den Beweggrund ihres Kommens. Wie sie zuvor mit ihrem Herrn ausgemacht hatte, bestärkte sie jene Schritt für Schritt mit ihren Reden, das Abenteuer mutig zu bestehen, damit sie beide eines stetigen Seelenfriedens und der Glückseligkeit teilhaftig würden. Das Mädchen, das aus vielen Gründen das größte Verlangen nach dem Edelmanne trug, ließ die Sklavin sich nicht in langen Reden wiederholen, sondern sagte ihr, sie sei bereit, jeder ihrer Forderungen Folge zu leisten und allen Anordnungen ihres Herrn sich zu fügen, den sie liebe wie ihr eignes Leben. Darauf sagte die Sklavin: »Mein Töchterchen, wenn du einige Sachen mitnehmen willst, stelle sie bereit, damit es heute nacht losgehen kann! Wisse, daß mein Herr und sein Diener mit ihren Gefährten nach dem Zeichen, das ich heute sah, im Nachbarhause sind, in welches wir, wie du weißt, leicht von unserm Hof aus gehen können.«

Als das Mädchen gehört hatte, in wie kurzer Zeit sie fortkommen sollte, küßte sie jene hundertmal und antwortete, sie habe an Eignem weder wenig noch viel, aber sie habe die Absicht, vom Vermögen ihres überaus geizigen Vaters etwas mitzunehmen, und zwar wesentlich mehr, als er hinreichend zu ihrer Mitgift gehalten hätte. In diesem Beschluß bestärkt, öffneten sie, als es Mitternacht schlug und der Alte und alle andern schliefen, eine Truhe und entnahmen an Schmuck und Geld für mehr als fünfzehnhundert Dukaten, gingen leise damit über den Hof und kamen dahin, wo der Edelmann wartete. Sie wurde von ihm mit größter Freude in den Arm genommen und heiß geküßt, und ohne weiter etwas zu unternehmen – denn der unsichere Ort ließ es nicht zu –, begaben sich alle auf die Straße; sie gingen dem Meere zu, und nachdem sie heimlich durch eine Mauerlücke hinter den Fleischereien die Stadt verlassen hatten, fanden sie ihr Fahrzeug nicht nur bereit und ausgerüstet, um schnell zu fahren, sondern fast zum Fliegen geeignet; alle stiegen ein, die Ruder wurden ins Wasser gebracht, und in wenigen Stunden befanden sie sich auf Ischia. Der Edelmann mit seiner Begleitung stellte sich dem Herrn jener Insel vor, der sein besonderer Freund war, so wie er es vorher mit ihm ausgemacht hatte, und sie wurden sehr wohl aufgenommen und geehrt. Als sie dort waren, schienen sie in Sicherheit zu sein, und so kosteten sie die süße erste Frucht ihrer gegenseitigen Liebe, und mit nicht weniger Vergnügen des einen wie des andern genossen sie dort glücklich ihren Raub.

Als der Tag anbrach, fand der alte Vater weder die Tochter noch die verpfändete Sklavin und bemerkte schließlich den Raub des Geldes und der Juwelen, weswegen er keine geringere Bitterkeit fühlte, und jeder kann sich vorstellen, wie groß sein Schmerz, sein Klagegeschrei und sein Kummer war; auch ist es nicht verwunderlich, daß er mehrmals Anstalten traf, um sich aufzuhängen; so blieb er, vom Schaden und der Schande überwältigt, weinend im Hause eingeschlossen.

Das verliebte Paar lebte fröhlich auf Ischia, und da sie sich ständig vergnügten, wurde das Mädchen schwanger. Das freute den Edelmann sehr und gab ihm Gelegenheit, gut und freimütig zu handeln und gleichzeitig Gott, die Welt und sich selbst zufriedenzustellen. Durch Vermittlung des Herrn von Ischia sandte er zum Vater der Carmosina und zu seinen Verwandten; als jene zusammengekommen waren und einige Verträge mit einander abgeschlossen hatten, nahm der Edelmann mit Erlaubnis des Königs und zur allgemeinen Zufriedenheit und Freude aller Neapolitaner sie zu seiner rechtmäßigen Gattin; nachdem so aus dem verstohlenen sinnlichen Liebesspiel eine kirchlich gesegnete Ehe geworden war, kehrten sie nach Neapel zurück und erfreuten sich dort, solange sie lebten, großer Glückseligkeit. Auch der eifersüchtige, geizige und törichte Alte söhnte sich, nachdem er den Schaden davongetragen, mit dem aus, was geschehen war.

Ein belohnter Betrüger

Unser Salernitaner Landsmann Angelo Pinto war nach dem, was die Alten, die ihn kannten, erzählen, seinerzeit der größte Meister darin, andere durch ausgefallene Streiche hinters Licht zu führen, und nie soll es in Italien einen gegeben haben, der ihm gleichgekommen wäre. Dieser nun, nachdem er viele Länder inner- und außerhalb Italiens durchforscht und fast überall sein Handwerk betrieben hatte, kam zu der Zeit nach Florenz, als unser gottesfürchtiger, heiliger Bernhard dort predigte. Zu ihm strömte der größte Teil der Toskaner, da sich ständig so viele handgreifliche Wunder ereigneten, die er vollbrachte, und auch wegen des weithin verbreiteten Rufes seines vollkommenen Lebenswandels.

Unter der Menge der Zuhörer traf sich zufällig eines Tages der genannte Angelo mit einem andern jungen Salernitaner, der Bischöflein genannt wurde und in der Wissenschaft des Angelo Pinto ein für sein Alter schon sehr gelehrter Schüler war. Sie erkannten sich und tauschten in Erinnerung an die Heimat viele Zärtlichkeitsbeweise und erzählten sich gegenseitig viel von dem, was ihnen zugestoßen war. Schließlich sagte das Bischöflein: »Mein Angelo, ich bin hierher gekommen, um einen schönen Fischzug zu tun, und habe noch niemand gefunden, dem ich mich anvertrauen möchte und der ein paar hundert Gulden besäße.« Und er erzählte ihm seinen Plan, der dem Angelo überaus wohlgefiel, welcher erwiderte, er sei sofort bereit, sich mit Geld und all seiner Begabung an diesem bemerkenswerten Streiche zu beteiligen. Und um diesen Gedanken nicht länger aufzuschieben, nahm er einen sehr großen Beutel mit kleineren Fächern rings herum und legte fünfhundert Golddukaten hinein, die ihm von einer viel größeren Summe, die er durchgebracht hatte, übriggeblieben waren; sie sonderten die Venezianer Münzen von den Florentinern und alle andern nach ihrer Prägung in verschiedene Fächer, zählten sie alle und schrieben das Ergebnis auf einen Fetzen Papier, den das Bischöflein sorgfältig verwahrte, um ihn, wenn nötig, bei der Hand zu haben. Schließlich wiederholten sie sich nochmals, was sie mit kluger Vorsicht auszuführen hatten. Nachdem der heilige Bernhard am andern Morgen gepredigt hatte und in seine Zelle ging, folgte ihm Angelo mit dem Beutel auf der Brust, als Pilger verkleidet, warf sich ihm zu Füßen und bat, ihm gnädigst kurzes Gehör zu schenken, da die Sache keinen Aufschub dulde. Als ihm dieser gütig geantwortet hatte, er sei bereit, begann er weinend folgendermaßen zu ihm zu sprechen: »Mein Vater, höret, daß ich vor wenigen Tagen in Rom volle Vergebung meiner fast unverzeihlichen Sünden erlangt habe, und wenn ich auch in den vormaligen Stand der Unschuld zurückversetzt wurde, in dem ich nach dem Empfang der heiligen Taufe war, so wurde mir dennoch zum Ausgleich meiner schändlichen Verbrechen als zusätzliche Buße aufgegeben, zum heiligen Jakob von Compostella zu pilgern. Ich befand mich auf diesem Wege, als ich gestern hier anhielt, um Eure heiligen Worte zu hören. Da warf mir der Teufel, vielleicht gereizt, weil ich mich seinen Klauen entzogen hatte, eine Schlinge vor die Füße, mit der er mich an der Gurgel aufgehängt hätte: und zwar war es dieser Beutel, den ich in der Hand halte, in dem gut fünfhundert Dukaten sind. Damit zusammen hat er mir all meine unsägliche Not zum Bewußtsein gebracht, hat mich meine drei schlechtgekleideten Töchter sehen lassen, die in heiratsfähigem Alter und recht schön sind; auch habe ich alle die möglichen Gefahren erwogen, die für sie aus diesem Mangel an Mitteln erwachsen könnten; er bestärkte mich aus diesen und vielen andern Gründen, umzukehren und mit meinen armen Angehörigen das große Gut zu genießen, das mir das Glück in den Schoß geworfen hat. Ich aber habe, wohlgewappnet mit dem Schilde des Heiligen Geistes, dergleichen Versuchungen Widerstand geleistet, indem ich nur daran dachte, daß jeder große Schatz nichts ist im Verhältnis zur Seele, die Gott mit seinem kostbarsten Blute erlösen wollte. Mit diesem Vorsatz bin ich zu Euch gekommen und bitte Euch um Gottes willen, nehmt dieses Geld und verkündet es morgen, wenn Ihr prediget, dem Volke; denn ich zweifle nicht, daß sich der Eigentümer finden wird; und wer Euch die Kennzeichen, die daran sind, nennen kann, dem gebt es wieder; und wenn Ihr nicht der Ansicht seid, daß ich dafür mit gutem Gewissen einen Finderlohn nehmen könne, so flehe ich Euch an, Ihr wollet meine Armut dem Volke dieser Stadt ans Herz legen, wie und auf welche Weise es Eurer väterlichen Güte richtig erscheint!« Der glorreiche Heilige hörte den Mann sprechen, der sich mit so viel Scheinheiligkeit aufputzte, sah, daß das Geld seinen Worten entsprach, überdachte alles gründlich, und da ihm der Mann alt schien und von gutem Aussehen, schenkte er seinen Worten nicht nur zweifellosen Glauben, sondern ihm schien es ein unerhörtes Wunder zu sein, daß er in dieser von wölfischem Geiz und unersättlicher Geldgier verdorbenen und zerrütteten Welt eine menschliche Seele von solcher Vortrefflichkeit gefunden habe. Nachdem er mit vielen wundervollen, lobenden Aussprüchen seine erprobte Tugend gepriesen hatte, sagte er zu ihm: »Mein Sohn, ich weiß nicht, was ich dir sagen könnte, es sei denn, daß, wenn du selbst Christus gekreuzigt hättest, dir, nachdem du so einzigartig Gutes getan, vergeben würde, ohne noch eine Pilgerfahrt zu machen. Gleichwohl bestärke ich dich darin, die beabsichtigte Fahrt fortzusetzen, und sei guter Hoffnung, daß Gott diese Guttat nicht unbelohnt lassen wird: ich meinerseits werde morgen das Nötige tun, wie du selbst sehen wirst, und in einer Weise, daß ich hoffe, mit der Gnade meines Schöpfers bald deiner Armut größere Hilfe bringen zu können – und mit bestem Gewissen –, als die war, die der verdammte Feind Gottes vor dir ausgebreitet hatte, um dich in die Verdammnis zu stürzen.«

Angelo dankte ihm vielmals für sein Erbarmen und ganz besonders für das Angebot, anderntags beim Volke für ihn bitten zu wollen; er ließ ihm den Beutel voll Gulden und sagte: »Mein Vater, weiset mich an, wie ich mich verhalten soll: denn nicht, um mich zu brüsten, sondern um die Wahrheit zu sagen, muß ich Euch mitteilen, daß ich von edler Abkunft bin, und sehr ungern, könnte ich es irgend anders machen, würde ich mich hier erkennen lassen, wie ich Almosen erbitte.«

Der heilige Bernhard glaubte ihm leicht, hatte noch mehr Mitgefühl mit ihm und ordnete an, er solle aus der Zelle seines Gefährten nicht weggehen.

Als der neue Tag gekommen war, stieg er nach seiner Gewohnheit auf die Kanzel, wechselte das vorher bestimmte Thema und sagte: » Fecit mirabilia in vita sua: quis est iste et laudabimus eum?« Sodann fügte er hinzu: »Bürger dieser Stadt, mir ist soeben ein wunderbares Geschehnis zuhanden gekommen, mehr ein Wunder als menschliches Handeln, und darum erschien es mir richtig, von der Ordnung der versprochnen Predigten abzuweichen und euch über den Text zu sprechen, den ihr gehört habt. Es kam nämlich einem armen Manne, der zur Abbüßung seiner Sünden zum heiligen Jakob pilgerte, vorgestern morgen im Straßenstaub eine Börse zwischen die Füße, ja vielleicht war sie ihm vom Teufel gezeigt, eine Börse mit ein paar hundert Gulden; darüber hatte er viele Versuchungen und Anfechtungen infolge seiner ungemeinen Armut und beim Gedanken an seine daheim gelassenen Angehörigen, die er nur mit Mühe ernähren kann, und an sein anderes unermeßliches Elend; schließlich aber, gestärkt von der Liebe zu Christus, hat er sie im Zeichen des Kreuzes alle besiegt und verjagt und kam bitterlich weinend zu mir und hat mir jene Börse voll Gulden gebracht, die ich in Verwahrung habe. Ich weiß nicht, was der heilige Petrus oder auch unser himmlischer Franziskus, dieser einzigartige Verächter weltlicher Schätze und Nachahmer Christi, mehr hätten tun können als nichts für sich selbst haben zu wollen, denn dies, da er den Schatz gefunden, nur zu trachten, ihn seinem Eigentümer wiederzugeben. Um wieviel mehr können wir darum diesen rühmen, der in das Weltleben verwickelt ist, bettelarm ist, für Töchter sorgen muß und dabei von edler Abkunft, so daß ihm die Scham verbietet, Almosen zu erbetteln, und der so tugendhaft handelte! Daher scheint es mir nur seinem Verdienst allein gemäß zu sein, wenn die Kirche den eurer Mildtätigkeit vorgeschlagnen Text bestätigen kann: ›Er hat wunderbare Dinge in seinem Leben vollbracht‹.«

Und dann begann er mit erhobner Stimme: »Und ihr, räuberische Wölfe, gierige Geizhälse, Wüstlinge, besudelt mit allem Schmutz dieser betrügerischen Welt, täglich geht ihr, um Wucher zu treiben, hinterhältige Verträge zu schließen und üble Gewinne zu machen. Mit euren Betrügereien haltet ihr eure Nächsten in Abhängigkeit, beraubt die Kirchen, mißbraucht das Gut der Unmündigen, trinkt das Blut der Armen, führt die Testamente nicht aus, und mit tausend anderen übelsten Machenschaften entfernt ihr euch von Christus und folgt den Lehren des Teufels!«

Auf diese Weise erzürnte sich der alte Heilige; und entflammt von christlicher Liebe, ermüdete er schließlich vom Reden, beruhigte sich ein wenig, kam dann wieder auf seinen Text und sagte: »Das Lob, das man jenem verdientermaßen spenden müßte, könnte ich weder mit der Feder schreiben noch mit der Zunge künden; trotzdem will ich, daß ihr ein einziges Kennzeichen seiner Gutherzigkeit und Reinheit vernehmt: Als er mit mir sprach, legte er und legt noch großen Wert darauf, daß er keinen Finderlohn begehren will für das gefundene Geld, da er glaubt, er könne ihn nicht mit gutem Gewissen empfangen. Darum, liebe Leute, wer jenes Geld verloren hat, der komme zu mir, sage mir die Merkmale des Beutels und die Anzahl der Gulden mit ihrer unterschiedlichen Anzahl nach der Prägung, die schon voneinander gesondert sind, und nehme ihn, ohne einen Pfennig zu zahlen, zu sich mit Gottes Segen! Doch ich werde nicht aufhören, euch zu ermahnen, der Lehre unseres Erlösers Jesu zu folgen, der will, daß, wie jedes Übel mit Barmherzigkeit gestraft werde, auch keine Guttat unbelohnt vorübergehe. Ich denke denn, meine Kinder, daß dieser arme Edelmann einigen Entgelt erhalten muß für seine bewährte Tugend, und da es auch mir notwendige Pflicht scheint, euch seine Armut ans Herz zu legen, so bitte ich alle, die sich zum triumphierenden Banner des Kreuzes Christi bekennen, jeder einzelne lege auf diesen Mantel das an Wohltat nieder, was ihm Gott eingibt. Aber keiner gebe einen Pfennig, damit nicht bei so viel tausend Menschen, wie ich hier sehe, so wenig gesammelt wird, daß es nicht genügt, um ihn von der Sorge zu befreien; darin bestärke ich euch und erkläre, daß dies viel besser ist als Hospitälern zu helfen oder irgendwelchen andern Bettlern.«

Nachdem er so gesprochen, hatte er seinen Mantel kaum auf die Erde geworfen, als sich schon alles Volk mit dem größten Gedränge, das man je sah, vorschob und jeder sein heiliges Almosen reichte; auf diese Weise wurde den ganzen Tag über von den Gefährten des heiligen Bernhard der Mantel offengehalten, um Almosen zu empfangen, so daß am Abend sich gutgemessen an die tausend Gulden gesammelt fanden.

Unterdessen hatte sich das Bischöflein in einen Genueser Kaufmann verkleidet, deren Sprechweise er ausgezeichnet kannte, trat vor und schrie in der großen Menge hartnäckig sehr heftig und laut, schaffte sich Platz und warf sich weinend zu Füßen des heiligen Mönches und sagte folgendermaßen zu ihm: »O Herr, das Geld gehört mir, und hier oder anderswo werde ich Euch ganz genau die Merkmale nennen, die ich alle aufgeschrieben habe«, und er zog die Aufzeichnungen heraus, die er zu diesem Zweck aufgehoben hatte, und gab sie ihm in die Hände. Mit freundlichem Gesichte sagte ihm der heilige Bernhard: »Mein Sohn, du hast mehr Glück, dein Geld wiederzufinden, als du Verstand hattest, es gut zu verwahren; jedoch komm mit mir und laßt uns sehen: wenn es deines ist, gebe ich es dir, ohne daß es dich einen Heller kostet.«

Er segnete das Volk, begab sich dann in seine Zelle, nahm das Geld heraus und fand es übereinstimmend mit der Aufschreibung des Bischöfleins und gab es ihm mit Vergnügen zurück.

Nachdem dieser es hatte, ging er stracks dahin, wo die Genossen des Angelo wohnten, und wie verabredet verließen sie alle zusammen Florenz und erwarteten an einem bestimmten Ort den Meister. Diesem wurde am andern Morgen das genannte Geld vollständig ausgehändigt und durch Vermittlung des Heiligen von bestimmten Bankiers, die ihn verehrten, damit der Streich ganz vollendet sei, in Gold gewechselt. Er verwahrte das Geld auf seinem Leibe und verabschiedete sich mit der Erlaubnis und dem Segen des Heiligen. Bald kam er dahin, wo die Gefährten ihn erwarteten, und alle begaben sich mit größter Fröhlichkeit nach Pisa. Dort teilten sie freundschaftlich untereinander die Beute, und dann ging jeder seines Wegs. Man darf versichert sein, daß sie ihre Tage beendigten, indem sie sich ständig auf andrer Leute Kosten vergnügten.

Die unglücklichen Liebenden

(Shakespeare, Romeo und Julia)

Dieser Tage erzählte ein sehr glaubwürdiger Sienese im Kreise schöner Frauen, es sei nicht langer her, daß in Siena ein junger, wohlgekleideter und schöner Mann aus guter Familie mit Namen Mariotto Mignanelli glühend in ein schönes Mädchen verliebt war, die Ganozza hieß. Sie war die Tochter eines bekannten und sehr geschätzten Bürgers, ich glaube aus dem Hause Saraceni, und im Verlauf der Zeit erlangte er, daß auch er von ihr aufs brennendste geliebt wurde. Nachdem sie ihre Augen geraume Zeit an den zarten Blüten der Liebe geweidet hatten, begehrten sie beide von deren süßesten Früchten zu kosten und versuchten es auf vielen und verschiedenen Wegen. Da sie keinen sicheren finden konnten, beschloß das Mädchen, das nicht weniger klug als schön war, ihn heimlich zum Gatten zu nehmen, so daß sie, sollte widriges Geschick ihnen den Genuß verwehren, einen Schild gehabt hätten, den begangenen Fehler zu decken. Um vollendete Tatsachen zu schaffen, wurde ein Augustinerfrater mit Geld bestochen, der heimlich die Trauung vollzog. Die auf diese Weise geschaffenen Verhältnisse gaben ihnen Sicherheit, und unter nicht geringerem Wohlgefallen des einen wie der andern ging ihr heftiges Verlangen vollkommen in Erfüllung.

Nachdem sie diese heimliche und zum Teil erlaubte Liebe einige Zeit glückselig genossen hatten, geschah es, daß ihr boshaftes und feindliches Geschick sich gegen all ihr gegenwärtiges und zukünftiges Sehnen wandte und zwar dadurch, daß Mariotto eines Tags mit einem andern ehrbaren Bürger der Stadt in Streit geriet, und von Worten kam es zu Tätlichkeiten, und schließlich ging es so weit, daß Mariotto jenen mit einem Stock am Kopf verletzte, an welcher Wunde er in wenigen Tagen starb. Mariotto verbarg sich deswegen, und da er vom Gericht eifrig gesucht und nicht gefunden wurde, so wurde er vom Rat und vom Stadtvogt nicht nur zum ewigen Exil verurteilt, sondern er wurde auch als Rebell verbannt.

Wie groß und wie heftig der Schmerz der beiden unglücklich Liebenden und heimlich Neuvermählten war, wie bittere Tränen wegen dieser langen und nach ihrem Dafürhalten ewigen Trennung flossen, darüber kann wirklich nur urteilen, wer selbst derartige Qualen durchlitten hat; ja, so wild und herb war ihr Schmerz, daß beim letzten Abschied mehrmals der eine im Arm des andern längere Zeit für tot gehalten wurde. Als sie jedoch ihrem Schmerze also seinen Lauf gelassen hatten, schöpften sie Hoffnung, daß es ihm mit der Zeit durch irgend welchen möglichen Umstand gestattet würde, in die Heimat zurückzukehren. Von gleichem Willen beseelt, beschlossen sie, daß er nicht nur aus der Toskana, sondern aus Italien fortginge und sich nach Alexandria begäbe, wo ein Onkel von ihm lebte, der Nikolaus Mignanelli hieß, ein großer Handelsherr und weithin bekannter Kaufmann. Mit der bescheidenen Hoffnung und Vereinbarung, sie möchten sich auf so große Entfernung Briefe senden können, trennte sich das verliebte Paar unter Tränen, die nicht enden wollten.

Der arme Mariotto hatte einem seiner Brüder alle seine Geheimnisse anvertraut und ihn vor allem inständig darum gebeten, ihn genauestens und ständig über alles auf dem Laufenden zu halten, was seiner Ganozza zustieße. Nachdem er diese Anordnungen getroffen, brach er auf und schlug den Weg nach Alexandria ein. Nach angemessener Zeit kam er dort an, fand den Oheim, wurde von ihm freudig und liebevoll aufgenommen und teilte ihm alles mit, was ihm zugestoßen war. Dieser hörte mit Bedauern nicht so sehr, daß er einen Totschlag begangen, als vielmehr, daß er so viele Verwandtschaft beleidigt habe. Als ein sehr kluger Mann wußte er, daß das Wiederaufrühren des Vergangenen kaum mehr als gar nichts helfe, bemühte sich mit ihm zusammen, Frieden darüber zu finden und daran zu denken, mit der Zeit ein geeignetes Heilmittel zu beschaffen. Er ließ ihn an seinen Handelsgeschäften teilnehmen und unterhielt ihn mit großer Liebe unter fast ständigem Weinen mehr und mehr Zeit bei sich. Aber es verging nicht ein Monat, ohne daß er mehrere Briefe von seiner Ganozza und seinem Bruder empfing, was in solch einem verzweifelten Fall und bei solchem Fernsein für jeden von beiden eine wunderbare Tröstung war.

Als nun die Sache so weit gediehen war, da begab es sich, daß Ganozzas Vater von vielen und vielmals aufgefordert und angehalten wurde, sie zu verehelichen, und da sie unter verschiedenen Vorwänden sich mit keinem einverstanden erklärte, wurde sie schließlich vom Vater gezwungen, einen Gatten zu nehmen in der Art, daß ein Abweisen nicht mehr möglich war. Von diesen heftigen Auseinandersetzungen war ihr niedergeschlagenes Gemüt unaufhörlich so beunruhigt worden, daß ihr der Tod sehr viel lieber gewesen wäre als derart zu leben. Dazu kam, daß sie jede Hoffnung auf Rückkehr ihres teuren heimlichen Gatten eitel befunden, und da es nichts geholfen hätte, dem Vater die Wahrheit zu enthüllen, sondern ihr dies nur noch mehr Verdruß eingebracht hätte, so nahm sie sich vor, auf eine nicht nur seltsame, sondern gefährliche und grausame Art, von der man wohl noch nie erzählen hörte, so vielen Verfehlungen Genüge zu tun, wobei sie Ehre und Leben aufs Spiel setzte. Von großem Mut beseelt, sagte sie dem Vater, sie würde sich jedem seiner Wünsche fügen, und sandte sofort zu jenem Priester, der die Sache zuerst angezettelt hatte, enthüllte ihm unter großer Vorsicht, was sie vorhatte zu tun, und verlangte, daß er sie mit hilfreicher Hand unterstützte. Wie es jener Leute Art ist, zeigte er sich, als er das gehört hatte, etwas verwundert, furchtsam und langsam; aber sie machte ihn mit der Zauberkraft von Goldstücken mit dem Bild des Täufers kühn und mutig und willens, die Unternehmung männlich durchzuführen. Wegen der Eile, zu der sie ihn antrieb, ging der Bruder sehr rasch ans Werk und mischte selbst wie ein in diesem Beruf erfahrener Mann aus verschiedenen Pulvern bestimmter Zusammensetzung einen gewissen Trank zusammen, der so beschaffen war, daß, wer ihn eingenommen, nicht nur für drei Tage in Schlaf verfiel, sondern auch von jedermann für tot gehalten wurde. Er wurde der Frau überbracht, die, nachdem sie erst durch einen eignen Boten ihren Mariotto von alledem, was sie vorhatte, ausführlich unterrichtet und von dem Frater vernommen hatte, was sie zu tun habe, mit großer Freude dies Getränk zu sich nahm.

Es dauerte nicht lange, da überkam sie eine solche Erstarrung, daß sie wie tot zur Erde stürzte; darüber erhoben ihre Mägde ein sehr großes Geschrei, und der alte Vater lief mit vielen andern Leuten bei dem Lärm herbei. Als er seine einzige und von ihm so sehr geliebte Tochter schon tot fand, ließ er eilends Ärzte kommen, um sie mit jedem nur möglichen Mittel ins Leben zurückzurufen, und da es keiner vermochte, wurde von allen als sicher angenommen, daß sie an einem plötzlichen Schlaganfall gestorben sei. Darum hielt man sie den ganzen Tag und die folgende Nacht im Hause und bewachte sie sorgfältig; aber man beobachtete keine Anzeichen als die des Todes, und so wurde sie den folgenden Tag unter unendlichen Schmerzen des niedergebrochenen Vaters, unter Weinen und Klagen von Verwandten und Freunden und überhaupt aller Sienesen, mit einem prächtigen Leichenbegängnis in einem ehrenvollen Grab in der Kirche des heiligen Augustinus beigesetzt. Gegen Mitternacht wurde sie von dem ehrwürdigen Frater mit Hilfe eines Gefährten dem vorgefaßten Plan gemäß aus dem Grabe herausgeholt und in seine Kammer verbracht; schon nahte die Stunde, da das in seiner Wirkung genau berechnete Getränk seine Kraft verzehrt hatte, und mit Feuer und andern notwendigen Praktiken führte er sie unter größten Schwierigkeiten wieder ins Leben zurück. Als sie wieder im Vollbesitz ihres früheren Bewußtseins war, ging sie wenige Tage darauf, als Mönch verkleidet, mit dem guten Frater nach dem Hafen von Pisa, wo die Galeeren aus Aiguesmortes, die nach Alexandria fuhren, anlegen mußten. Sie fanden eine, die eine solche Überfahrt vorhatte, und schifften sich darauf ein.

Und es begab sich, da die Seereisen wegen widrigem Wetter oder neuer Geschäfte der Kaufleute viel länger zu dauern pflegten, als die Reisenden es wünschten, daß diese Galeeren aus verschiedenen Gründen erst mehrere Monate später als üblich ankamen. Gargano, Mariottos Bruder, hatte, um die Aufträge, die ihm sein teurer Bruder hinterlassen, auszuführen, sofort in mehreren und verschiedenen Kaufmannsbriefen den vom Mißgeschick verfolgten Mariotto unter allergrößtem Bedauern von dem unvorhergesehenen Tod seiner Ganozza in allen Einzelheiten unterrichtet und wo und wie sie beweint und begraben wurde und wie nach kurzer Zeit der alte und liebenswerte Vater aus diesem Leben schied. Diesen Nachrichten war das widrige und Verderben bringende Geschick viel günstiger als dem Boten der schmerzerfüllten Ganozza. Wohl um den armen Liebenden den herben und blutigen Tod, der sie ereilen sollte, zu bereiten, wurde der Bote Ganozzas auf einem Schiff, das mit Getreide nach Alexandria ging, von den Korsaren ergriffen und getötet. So hatte Mariotto keine andern Nachrichten als die seines Bruders und hielt sie für ganz gewiß. Wie sehr er von dieser herzzerreißenden Kunde und mit Grund betrübt und niedergeschlagen war, bedenke das, Leser, wenn irgend Mitgefühl in dir ist! Sein Schmerz war von solcher Art und Natur, daß er beschloß, er wolle auf keinen Fall mehr am Leben bleiben. Weder Zureden noch Tröstungen seines lieben Oheims vermochten etwas über ihn, und er entschied sich schließlich, nachdem er lange und bitterlich geweint hatte, nach Siena zurückzukehren; sollte ihm das Glück irgend günstig sein und nichts von seiner Rückkehr verlauten lassen, so wollte er sich verkleidet zu Füßen der Grabstätte niederwerfen, wo er seine teure Ganozza beigesetzt glaubte, und dort so weinen, als ob seine Tage zu Ende wären; und sollte er unglücklicherweise erkannt werden, so schien es ihm ganz erwünscht, wegen Totschlag hingerichtet zu werden, da er dachte, jene sei schon tot, die er mehr als sich selbst liebte, und von der er ebenso geliebt worden war. Fest entschlossen erwartete er die Abfahrt der venezianischen Galeeren nach dem Westen, und ohne seinem Oheim ein Wort zu sagen, bestieg er sie und ging mit größter Befriedigung dem vorbestimmten Tod entgegen.

Er kam in kürzester Zeit in Neapel an und begab sich, so schnell er konnte, von dort nach der Toskana und betrat, als Pilger verkleidet und von niemandem erkannt, Siena. Er begab sich in ein nicht sehr besuchtes Spital und, ohne seiner Familie irgendeine Nachricht zu geben, ging er zu passender Stunde in die Kirche, wo seine Ganozza begraben war, und weinte bitterlich vor ihrem Grabe. Wenn er gekonnt hätte, wäre er gerne in das Grab gegangen, damit er sterbend jenen überaus zarten Körper, an dem lebend sich zu erfreuen ihm nicht beschieden war, für ewig mit dem seinen vereine. Alle seine Gedanken waren fest auf die Ausführung dieses Vorhabens gerichtet. Um nicht in dem Zustand des ewigen Klagens und Jammerns zu bleiben, besorgte er sich behutsam bestimmte Eisen und verbarg sich eines Abends zur Vesper in der Kirche. In der kommenden Nacht mühte er sich ab, bis er den Deckel des Grabes auf Stege gelegt hatte; und als er im Begriffe war, hineinzusteigen, geschah es, daß der Sakristan, der die Frühmesse läuten ging, ein gewisses Geräusch hörte, und da er hinging, um nachzusehen, fand er jenen in diesem Vorhaben begriffen. Da er glaubte, es sei ein Dieb, der die Toten plündern wollte, schrie er laut: »Auf den Dieb! Auf den Dieb!« und alle Mönche liefen herbei. Sie faßten ihn, öffneten die Tore, und viele verschiedne Laien kamen heran. Der arme Liebende, obgleich er in erbärmlichste Lumpen gehüllt war, wurde sofort als Mariotto Mignanelli erkannt, und bevor Tag wurde, war ganz Siena erfüllt davon, daß er dort festgehalten wurde.

Als die Neuigkeit an den Stadtrat kam, befahl er dem Stadtvogt, daß er nach ihm ginge und schnell ausführe, was die Gesetze und die Verfassung befahlen. So wurde er ergriffen und gefesselt zum Gerichtsgebäude gebracht. Er wurde gefoltert und bekannte, da er nicht vielen Qualen ausgesetzt sein wollte, genauestens den Grund seines verzweifelten Wiederkommens. Obwohl man allgemein mit ihm das größte Mitgefühl hatte und die Frauen bitterlich unter sich weinten, da sie in ihm der Welt einzigen vollkommenen Liebhaber sahen und jede ihn mit ihrem eignen Blut freigekauft hätte, so wurde er nichtsdestotrotz vom Gerichte verurteilt, am nächsten Morgen den Kopf zu verlieren. Und so wurde es zu der bestimmten Zeit ausgeführt, ohne daß er sich von Freunden oder Verwandten konnte schützen lassen.

Die unglückseligste Ganozza gelangte unter der Führung des genannten Fraters nach mehreren Monaten und nach vielen und mannigfaltigen Mühseligkeiten nach Alexandria. Sie begab sich in das Haus des Herrn Nikolaus, dem sie sich bekannt machte und sagte, warum und weshalb sie gekommen sei, und alles erzählte, was ihr begegnet war. Dieser war zur gleichen Zeit erfüllt von Staunen und Bedauern, nahm sie in Ehren auf, ließ sie als Frau kleiden und verabschiedete den Mönch. Dann sagte er der vom Schicksal geschlagenen jungen Frau, wie und in welcher Verzweiflung über die erhaltene Nachricht ihr Mariotto, ohne ihm irgendein Wort zu sagen, abgereist war, und wie er ihn als Toten beklagt habe, da er nur um zu sterben fortgegangen sei. Ob dieser neue große Schmerz der Ganozza wirklich alles, was ihr und ihrem Geliebten bisher widerfahren, übertraf, wenn man alles in Betracht zieht, das möge bedenken jeder, der denken kann und muß; nach meinem Urteil jedoch wäre alles Reden darüber unzulänglich. Als sie wieder zu sich gekommen war, beriet sie sich mit ihrem neuen Vater, und sie vergossen brennende Tränen über den verschiedensten Gesprächen; sodann wurde beschlossen, daß Herr Nikolaus und sie auf schnellstem Wege nach Siena gehen sollten, um mit den Mitteln, die nur in letzter Not erlaubt waren, wenigstens die Ehre der Frau zu retten, mochten sie Mariotto lebend oder tot auffinden. Die Geschäfte wurden so wenig schlecht wie möglich übergeben, die Frau in einen Mann verkleidet, es fand sich eine gute Überfahrt, und so segelten sie mit günstigem Winde. Bald kamen sie an die toskanischen Gestade, stiegen in Piombino an Land und begaben sich von dort heimlich nach einem Landgut des Herrn Nikolaus bei Siena.

Wie sie nach den Neuigkeiten fragten, erfuhren sie, daß ihr Mariotto drei Tage vorher enthauptet worden war. Als sie die gräßliche Nachricht erhalten hatten, blieben sie, obwohl sie es immer schon für gewiß gehalten, nichtsdestoweniger, da es nunmehr unumstößliche Tatsache geworden, beide und jeder für sich wie tot und völlig niedergeschlagen, woraus man entnehmen kann, in welchem Maße schrecklich das Begebnis war. Die Klagen und das heftige Wehgeschrei Ganozzas waren so leidenschaftlich, daß sie ein Marmorherz zum Mitleid gerührt hätten. Vom Herrn Nikolaus wurde sie unablässig getröstet und voller Mitgefühl klug beraten. So faßten sie den Entschluß, nach solchem Verlust nur noch an die Ehre der großen Verwandtschaft zu denken und zu erlangen, daß die Ärmste sich heimlich in ein sehr frommes Kloster einschlösse, um dort ihr Unglück, den Tod des teuren Liebsten zusammen mit ihrem Elend bitterlich zu beweinen, solange ihr noch Leben zugestanden sei. So wurde es sehr behutsam gemacht und vollständig verwirklicht; sie gab dort niemandem, es sei denn der Äbtissin, irgendeine Auskunft über sich und beendete unter inneren Schmerzen und blutigen Tränen, bei wenig Speise und ohne Schlaf, ihren Mariotto ständig anrufend, in kürzester Zeit ihre elenden Tage.

Der Barkenführer

Vor einigen Jahren lebte in Venedig ein junger Edelmann namens Herr Alessandro, welcher lustwandelnd zufällig eine sehr schöne junge Frau erblickte, die die Gattin eines Seemanns war mit Namen Rado von Cattaro; und da sie ihm sehr wohl gefiel, schickte er ein altes Mütterchen nach ihr, um mit ihr zu sprechen. Die junge Frau aber, der Alessandro gleichfalls gefallen hatte, hielt die Abgesandte nicht mit langen Unterhandlungen auf, sondern sagte zu ihr, sie sei ihrerseits bereit, die Wünsche des jungen Mannes zu erfüllen; nur sehe sie kein sicheres Mittel, denn ihr Mann lasse sie bei Nacht nie allein, und bei Tag möge sie ihn nicht im Hause empfangen aus Rücksicht auf die Nachbarschaft, weil in derselben Straße so viel Leute wohnen, daß man nicht aus- noch eingehen könne, ohne bemerkt zu werden.

Als Alessandro die Geneigtheit der Frau vernahm, besann er sich, was zu tun sein möchte, daß sie damit zufrieden sei. Endlich ließ er das junge Weib von seinem Plane unterrichten, und als es ihm Zeit schien, ließ er Rado zu sich in sein Haus berufen. Nachdem er ihm sehr geschmeichelt hatte, denn er war sein Freund, bat er ihn, er möchte ihm den Gefallen erweisen, ihm am nächsten Abend mit seiner Gondel zu dienen, da er eine Zusammenkunft verabredet habe mit einer Edelfrau, in die er heftig verliebt sei. Rado, welcher sehr wünschte, ihm zu dienen, antwortete, er sei bereit, ihn zu führen, wohin er befehle, und sobald es Nacht wurde, kam er, um ihn in seiner Barke abzuholen, nachdem er seiner Frau gesagt hatte, sie möge ihn erst spät erwarten. Alessandro stieg also in die Barke und ließ sich von Rado an einen Landungsplatz bringen, wo die Alte ihn erwartete, und zwar gegenüber von Rados Haus, das aber einen andern Landungsplatz hatte, so daß man zu Wasser nicht dahin gelangen konnte, als auf einem starken Umweg, während es zu Lande nur ein paar Schritte waren.

Sobald nun Alessandro dort angekommen war, gab er Rado die Weisung, ihn zu erwarten. Er trat in das Haus der Alten und schlüpfte sofort durch ein Gäßchen zu dem jungen Weibe hinüber, von der er mit größter Freude empfangen wurde. Auch führten sie ihre Liebe zu einem anmutigen Ziele, so daß ihnen nichts zu wünschen übrigblieb, und setzten unter sich das Nötige für die Zukunft fest, worauf Alessandro auf dem nämlichen Wege in die Barke zurückkehrte, in welcher Rado, ohne Schlimmes zu ahnen, indem er ihn erwartete, eingeschlafen war. Er erwachte nun, nahm Alessandro in die Barke, und während sie nach seinem Hause hinsteuerten, fragte er ihn unterwegs, ob er nun seine Sehnsucht ganz gestillt habe. Alessandro bejahte es und fügte hinzu: »Ich kann dir noch überdies versichern, daß ich mich nicht erinnere, je in meinem Leben eine solche Lust genossen zu haben; denn außer ihrer Schönheit hat sie mich auch noch so mit Liebkosungen überhäuft, daß ich nicht begreife, wie ich von ihr loskommen konnte.«

Darauf antwortete Rado: »Herr, als ich daran dachte, was für ein Vergnügen Ihr jetzt mit Eurer Geliebten haben müsset, kam mich so gewaltige Fleischeslust an, daß ich mehrmals versucht war, nach Hause zu gehen und meinem Weibe eins zuzusetzen; aber ich fürchtete, Ihr möchtet zurückkommen und mich nicht finden, und deshalb bin ich geblieben.«

Als Alessandro dies hörte, überlegte er, in welche Gefahr er geraten wäre, wenn jener unvermutet sich nach Hause begeben hätte, und alsbald fiel ihm ein anderes sicheres Mittel ein, um die Gefahr zu vermeiden, in die er früher oder später zu großem Schaden hätte geraten können. Er sagte daher lachend zu Rado: »Ich wußte gar nicht, daß du verheiratet bist; sonst hätte ich dich nach Hause geschickt; du hättest ja zu bestimmter Stunde wieder zurücksein können.«

Rado antwortete: »So, das habt Ihr nicht gewußt, daß ich vor einigen Tagen ein schönes Mädchen aus einer guten Familie geheiratet habe?«

»Nein,« Versetzte Alessandro, »das wußte ich nicht; aber die Frauen, so schön sie sind, hat man zu Hause, weil man sie nötig hat: darum darf man jedoch nicht unterlassen, auch draußen fremd Brot zu suchen. Und da du dich so geduldig heute benommen hast, hoffe ich morgen abend meine Liebste nebst einer nicht weniger schönen Gefährtin in der Barke umherzuführen, und diese wird sicherlich gegen dich gefällig sein.«

Rado antwortete ganz heiter, das nehme er gern an, bedankte sich auch sehr, und unter diesen Gesprächen hatte er Alessandro an sein Haus gebracht und kehrte nun zurück zu seinem Weibe. Sobald es aber Tag war, tat Alessandro der jungen Frau zu wissen, was er für den folgenden Abend im Sinn habe, und bestellte verabredetermaßen den Rado, der die Barke mit einer Verdeckung als Zelt ausgestattet hatte. Er fand sich bei Alessandro ein und führte ihn an den gewohnten Ort, wo er den Bescheid erhielt zu warten, denn er werde sogleich mit den Mädchen in der Barke zurück sein. Sobald Alessandro zu seiner Geliebten gekommen war, erzählte er ihr von der bestandenen Gefahr, und daß er derselben vorbeugen wolle durch die Veranstaltung, die er ihr durch die Alte habe mitteilen lassen. Er ließ sie daher sogleich ein seidenes Kleid anziehen, das er ihr schon vorher bei Tage geschickt hatte, und verhüllte sie so, daß Rado sie nicht erkennen konnte, wenn sie in die Barke kamen.

Als Rado den Alessandro mit einer einzigen Frau kommen sah, sagte er zu ihm: »Herr, wo ist denn die meinige, die Ihr mir gestern abend versprochen habt?«

Alessandro antwortete: »Sie konnte nicht kommen wegen eines eingetretenen Hindernisses. Aber du sollst dich dennoch nicht über mich beklagen können, und ich glaube, diese hier wird für uns beide genügen; wenn ich mit ihr fertig bin, überlasse ich sie dir, und obschon ich deine Gattin nicht kenne, so glaube ich doch, daß diese ein nicht weniger schönes und sauberes junges Weib ist als sie.«

»Das glaube ich gern«, antwortete Rado; »aber das könnte ich nicht übers Herz bringen, Euch so in Euer Gehege zu kommen!«

Alessandro aber versetzte: »Sei nicht so seltsam! Wenn ich es nicht gern täte, so hätte ich es nicht zu dir gesagt, und du würdest es auch nicht tun dürfen. So aber soll es dich nichts kosten, als an einem Festtage ein Fischfrühstück, wozu ich ein paar gute Humpen mitbringen will.«

Rado schlug das Anerbieten nochmals aus, Alessandro aber beharrte durchaus bei seinem Willen, und so gab denn Rado doch endlich auch nach. Er ließ daher die Barke stehen, nahm die Zither in die Hand und fing an zu spielen; Alessandro ging währenddessen unter Rados Zelt und gab sich seiner Lust hin beim Tone der Zither, die Rado spielte. Und nachdem er mit seinem Geschäft zu Ende war, sagte Alessandro zu Rado: »Nun mach und nimm auch dein Teil! Aber hüte dich, daß du mir nicht versuchst, sie erkennen zu wollen, denn sie ist aus einer ehrenwerten Familie, und ich habe ihr weisgemacht, du seiest ein hiesiger Edelmann!« Darauf antwortete Rado: »Darum kümmere ich mich nicht, denn ich will ja doch auf keine Weise eine Verwandtschaft mit ihr anknüpfen.«

Nach diesen Worten ging er zu der Frau hinein, und nach kurzer Zeit kehrte er zu Alessandro zurück und sagte zu ihm: »Herr, das ist in der Tat ein ganz artiges Mädchen. Es war mir gerade, als läge ich bei meinem Weibe, so viel Ähnlichkeit hat sie mit ihr im Fleische und im Atem. Deswegen will ich Euch denn auch gern mit Fischen aufwarten für die Artigkeit, die Ihr mir bewiesen.«

Alessandro lachte und trieb in großem Jubel allerhand Scherz mit ihm, bis sie endlich die Frau wieder an die Stelle zurückbrachten, wo sie sie aufgenommen hatten. Jeder ging sodann nach Hause, und Rado fand seine Frau, welche tat, als wäre sie sehr ärgerlich, und anfing, ihn auszuschelten und ihm Vorwürfe zu machen, daß er sie auf solche Art allein lasse. Er entschuldigte sich aber und legte alles dem Alessandro zur Last.

Am nächsten Sonnabend nun veranstaltete Rado seinem Versprechen gemäß dem Alessandro und seinen Freunden das Frühstück. Alessandro hatte diesen die ganze Geschichte vorher erzählt. Sie lachten daher viel darüber und wurden allmählich dem Rado zur Last, indem dieser und jener seinen Witz darüber riß, wiewohl zu Alessandros großem Verdruß, bis Rado endlich den Schwank merkte, weshalb er voll Unwillen nach Hause eilte, um seiner Frau übel mitzuspielen. Alessandro aber hatte es noch zu rechter Zeit gemerkt und die Frau auf die Seite schaffen lassen. Als daher Rado sie nicht traf, lief er voll Scham und Schmerz ganz verzweifelt davon, und Alessandro genoß von nun an in aller Sicherheit seine schöne Frau.

Veronica

Ich erinnere mich, öfters von einem uralten Großvater als vollkommene Wahrheit erzählen gehört zu haben, wie zur Zeit Karls II. in Salerno ein sonderbarer Ritter lebte aus edler Familie, namens Misser Mazzeo. Er war Oberrichter und reicher an Geld und Gut als irgendeiner seiner Landsleute. Als er schon betagt war, starb ihm seine Gattin, und es blieb ihm von ihr nur eine einzige Tochter namens Veronica, ein sehr schönes und verständiges Mädchen, die aber, entweder wegen der übergroßen Liebe, die der Vater zu ihr als seinem einzigen braven Kinde hegte, oder weil sie für irgendeine hohe Verbindung aufgehoben wurde, obschon viele sie zur Frau verlangten, doch noch immer unverheiratet zu Hause war. Nun war aber von ihrer Kindheit an ein adeliger Knabe namens Antonio Marcello immer im Hause aus- und eingegangen unter dem Vorwande einer weitläufigen Verwandtschaft, welche zwischen ihm und der Frau des Ritters bestand, und Veronica hatte auf diese Art eine solche Liebe für ihn gefaßt, daß sie gar keine Ruhe davor hatte. Antonio war zwar ein gescheiter und sehr gesitteter Jüngling und ward von dem Vater des Mädchens als braver Sohn geliebt; aber da er die Geschichte doch vortrefflich merkte und als ein junger Mensch gegen die Angriffe der Liebe sich nicht mit seiner schwachen Einsicht schirmen konnte, entbrannte er von gleicher Glut, und da die Gelegenheit ihrem gemeinsamen Wunsche günstig war, so kosteten sie ungestört die süßesten Früchte der Liebe. Obgleich sie nun aber in der Fortsetzung dieser Genüsse mit der größten Klugheit zu Werk gingen, so war ihre Vorsicht doch nicht stark genug, den großen Schiffbruch zu umgehen, der ihnen von dem neidischen Geschick bereitet war; denn als sie eines Nachts ganz vergnügt und arglos beisammen waren, begab es sich, daß sie durch einen nicht vorher in Rechnung gezogenen Zufall von einem Diener des Hauses gesehen wurden, welcher plötzlich den Ritter herbeirief und ihm den ganzen Vorfall erzählte. Dieser ging voll Zorn mit seinen Dienern dahin, wo die Liebenden waren, die gerade auf dem Gipfel ihrer Lust ohne Widerstand festgenommen wurden. Antonio aber, der sehr kräftig und mutig war, rang sich gleich wieder aus ihren Armen los, bahnte sich mit dem Schwert in der Hand den Weg und kehrte so, ohne von jemand erkannt oder verletzt zu werden, nach Hause zurück.

Misser Mazzeo blieb bis in den Tod betrübt zurück, da er sah, wohin die Sache gediehen war, und wollte nun von der Tochter wissen, wer der entflohene Jüngling sei. Sie aber war vorsichtig und kannte ihres Vaters Wesen wohl und dachte, er werde, um seine alten Tage nicht in solchem Kummer hinzubringen, ihm das Leben auf keine Weise schenken. Da ihr nun das Leben ihres Geliebten teurer war als das ihrige, gab sie ihm nach einiger Überlegung zur Antwort, sie wolle lieber jede Qual, jeden Tod selber erdulden, als den Jüngling entdecken. Der Vater entflammte sich zur Wut, und als er nach vielen verschiedenen Martern sie doch hartnäckig auf ihrer Weigerung beharren sah, faßte er, so sehr die Gewalt der natürlichen Neigung widerstrebte, doch mit großer Mannhaftigkeit zuletzt den Entschluß, sie umzubringen. Er befahl daher sogleich, ohne sie weiter sehen zu wollen, zweien seiner vertrautesten Diener, sie auf eine Barke zu schleppen, einige Meilen ins Meer hinaus zu führen und dann ins Wasser zu werfen. Obgleich diese es ungern taten, banden sie sie doch, um zu gehorchen, schnell und führten sie an das Meeresufer.

Während sie jedoch die Barke zurechtmachten, kam einem von ihnen das Mitleid; er versuchte auf eine geschickte Art seinen Genossen, der mit nicht weniger Widerstreben als er an einer so grausamen Handlung teilnahm; ein Wort gab das andere, und so faßten sie am Ende den gemeinsamen Entschluß, wenn sie auch selbst dafür den Tod erleiden sollten, nicht allein ihr das Leben zu schenken, sondern auch sie in Freiheit zu setzen. Sie banden sie daher los und sagten ihr, wie sie aus Mitleid den rohen Urteilsspruch des Vaters nicht an ihr vollziehen wollten; zum Lohn für diese Wohltat baten sie sie, derselben nach ihrem ganzen Werte zu gedenken, wenn sie das Vaterland verlassen habe und dereinst ihr Vater ihre Handlungsweise erführe. Das arme Mädchen, das so von ihren eigenen Dienern ihr Leben als Geschenk annehmen mußte, fühlte wohl, daß eine Danksagung weit nicht zum Lohn für eine solche Tat hinreiche, und flehte daher zum Vergelter alles Guten, daß er ihnen eine so unschätzbare Gabe ersetzen möge; und nachdem sie sich von ihrer großen Angst und dem Schrecken ein wenig erholt hatte, versprach und schwor sie ihnen bei der Rettung, die sie ihr zuteil werden ließen, sich auf eine Art zu benehmen, daß kein Lebender, geschweige ihr unbarmherziger Vater, je von ihr Kunde erhalte. Sie schoren ihr daher die Haare, verkleideten sie mit ihren eigenen Laken, so gut sie konnten, in männliche Tracht, gaben ihr das wenige Geld, das sie bei sich hatten, wiesen ihr den Weg nach Neapel und trennten sich von ihr unter Tränen. Ihre Kleider brachten sie mit nach Hause und versicherten ihrem Gebieter, sie hätten sie umgebracht und mit einem großen Stein um den Hals etwa zehn Meilen auf dem Meer in die Tiefe versenkt.

Das unglückliche Fräulein, das nie aus der Stadt gekommen war, ward fast bei jedem Schritte mutloser schon bei dem Gedanken, daß sie ihren Antonio nun verlasse ohne Hoffnung, ihn wiederzusehen, und viele eitle Gedanken an die Rückkehr gingen ihr durch den Kopf; aber in Erinnerung an die empfangene Wohltat und zugleich ihr gegebenes Versprechen, hatte die Dankbarkeit, diese Blüte jeder Tugend, in ihr eine solche Kraft, daß sie jeden zuwiderlaufenden Plan verjagte. Darum nahm sie den Weg unter die Füße, obwohl sie nicht sehr gewohnt war, zu Fuß zu gehen, befahl sich in Gottes Schutz und ging, ohne selbst zu wissen wohin. So wanderte sie den ganzen Rest der Nacht über weiter mit großer Beschwerde. Gegen Tagesanbruch befand sie sich bei Nocera, wo sie zu einigen Gesellschaften stieß, welche nach Neapel gingen, und sie gesellte sich vertraulich zu ihnen. Dabei war unter anderen ein calabrischer Edelmann, der dem Herzog von Calabrien ein paar Sperber überbrachte. Diesem gefiel des Jünglings Aussehen, und er fragte ihn, woher er sei und ob er in Dienste gehen wolle. Veronica, die in ihrer Kindheit durch Nachahmung einer in ihrem Hause wohnenden alten Apulierin viele Wörter dieser Mundart gelernt hatte, fiel es ein, sich derselben beständig zu bedienen, und sie antwortete: »Misser, ich bin ein Apulier, und ich bin aus keiner andern Absicht von Hause fortgegangen, als um Dienste zu suchen. Da ich aber der Sohn eines edeln Vaters bin, möchte ich mich nicht gern zu niedrigen Diensten verstehen.«

Der Calabrier sagte: »Würde es Euch anstehen, einen Sperber zu versorgen?«

Diese Frage kam Veronica sehr gelegen, da sie im Hause ihres Vaters nicht nur einen, sondern viele mit großer Zärtlichkeit besorgt hatte. Sie antwortete ihm daher, sie habe sich von Kindheit auf mit nichts anderem beschäftigt. Nachdem sie so noch manches hin- und hergesprochen, wurden sie einig, daß sie ihm unterwegs einen Sperber übernehme. Als sie in Neapel angekommen waren, wurde sie von ihrem Herrn besser angetan, so daß sie wirklich ganz wie ein schmucker Schildknappe aussah, und, sei es Fügung des Schicksals oder daß ihr anmutiges Äußere ihn rührte, es begab sich, als man dem Herzog die Sperber überreichte, daß dieser zugleich mit den Sperbern den Apulier haben wollte, der so gut mit ihnen umzugehen wußte. So geschah es auch; er wurde auf die Liste der Hausdienerschaft gesetzt und ihm ein neapolitanischer Edelmann beigesellt. Er gab sich auch so viel Mühe, sich gut aufzuführen und seinen Dienst recht zu versehen, daß er in kurzer Zeit die Gnade seines Gebieters in einem Maße erwarb, daß er zu den höchst geehrten und begünstigten gehörte, und auf diese Weise ging es in zunehmendem Glücke weiter, bis es dem Schicksal gefiel, seinen Angelegenheiten eine andere Bahn vorzuzeichnen.

Der alte Vater, der in unerträglichem Schmerz zurückgeblieben war, mußte sich, da die Sache den Weg in den Mund des Gerüchts gefunden hatte, die meiste Zeit zu Hause verschlossen halten und führte so dort oder zuweilen auf einem Landgut ein einsames und düsteres Leben. Antonio aber, nachdem er mit bittern, blutigen Tränen den Tod seiner Veronica beweint und bejammert hatte, war durch vorsichtige Erkundung zu der Überzeugung gelangt, daß der Ritter nie habe erfahren können, wer der entflohene Jüngling war. Um nun jeden Verdacht von sich zu entfernen und überdies von Mitleid gerührt, besuchte er ihn einige Tage nach dem Vorfall, wie wenn er beständig die zärtlichste Liebe für sein Haus fühlte, begleitete ihn meistens auf das Land und bezeugte sich gegen ihn wie ein leiblicher gehorsamer Sohn mit größter Nachgiebigkeit und Teilnahme. Misser Mazzeo wußte dies besonders hoch zu schätzen, da es ihm schien, Antonio sei der einzige, der ihn in der mißlichen Lage nie verlassen habe. Aus diesem Grunde und wegen der eigentümlichen Vorzüge des Jünglings fühlte er sich genötigt, ihn wie seinen eigenen Sohn zu lieben, und er wandte ihm so sehr alle Neigung seines Herzens zu, daß er keine Stunde ohne seinen Antonio bleiben konnte. Da er nun sah, daß dieser in solchem Gehorsam und solcher Dienstwilligkeit mit Ehrerbietung und Liebe fortfuhr, entstand in dem Herzen des Ritters, dieweil ihn sein unseliges Los ohne Erben gelassen hatte, der Wunsch, ihn im Leben und im Tod zum Sohn anzunehmen. Dieser Gedanke reifte zum Entschluß, und als er seine letzte Willensmeinung aufsetzte, bestellte er seinen Antonio zum Erben aller seiner fahrenden und liegenden Habe und gesegnete auch bald darauf das Zeitliche.

Antonio sah sich nun im Besitz einer so großen Erbschaft und zog in das Haus des Ritters ein, und es war keine Stelle, die ihn an seine Geliebte erinnerte, auf der er nicht geweint und geseufzt hätte. Es kam ihm nicht aus dem Sinn, daß sie lieber habe den Tod erdulden, als ihn entdecken wollen; und von dieser Liebestat durchdrungen und noch viele andere schöne Eigenschaften seiner Veronica erwägend, faßte er bei sich den Plan und Entschluß, sich nie zur Eingehung einer Ehe verstehen zu wollen.

Unterdessen geschah es, daß der Herzog beschloß, eine Reise nach Calabrien zu machen. Dies war dem Apulier über die Maßen lieb, angesehen daß er nicht allein sein Vaterland wiedersehen, sondern auch wieder gelegenheitlich irgend etwas von dem Geliebten und dem Vater vernehmen durfte, den Veronica doch durchaus nicht zu hassen vermochte; denn um sich nicht irgendwie zu verraten, hatte sie vermieden, nach ihnen zu fragen, und daher nie etwas von ihnen erfahren. Als sie in Salerno ankamen, wurde das Gefolge des Herzogs nach Stand und Würden in verschiedenen Häusern untergebracht, und das Schicksal, welches Veronica von den langen Bedrängnissen und Leiden, die sie erduldet, befreien und mit ihrem Antonio in Freude versetzen wollte, fügte es, daß durch eine ganz zufällige unabsichtliche Anordnung dem Antonio Marcello das Los zufiel, den Apulier samt seinem Genossen in sein Haus aufnehmen zu müssen.

Welche Wonne dies Veronica bereitete, kann jeder selbst beurteilen. Sie wurden von Antonio sehr ehrenvoll und freundlich aufgenommen, und am Abend bereitete er ihnen eine kostbare Mahlzeit. In demselben Gang, wo er sich meistens mit seiner Geliebten zu vergnügen pflegte, faßten sie nun einander ins Auge; es stellte sich ihm eine Weile das Bild seiner Geliebten, und indem er ihres Lebens und Todes gedachte, begleitete er alle seine Worte mit heißen Seufzern. Veronica, die sich so in ihr eigenes Haus geführt sah, war zwar sehr erfreut, ihren treuen Liebhaber so im Besitz von allem zu sehen; aber da sie weder den Vater noch jemand von der zur Zeit ihres Scheidens hier anwesenden Dienerschaft erblickte, erfaßte sie eine natürliche Wehmut; sie wünschte Aufschluß zu haben, und doch scheute sie sich zu fragen. Während sie so unentschlossen bei Tisch saß, fragte ihr Genosse Antonio, ob das im Gang abgemalte Wappen das seinige sei. Antonio antwortete: nein, vielmehr gehöre es einem sehr würdigen Ritter namens Misser Mazzeo, dem Oberrichter, der, dieweil er in seinem Alter keine Kinder gehabt, ihn zum Erben aller seiner Güter eingesetzt habe, weshalb er denn als ein angenommener Sohn nicht nur die Besitzungen, sondern auch den Namen des Hauses und das Wappen wie von seinem leiblichen Vater sich zu eigen gemacht habe.

Als Veronica diese Kunde vernahm, fühlte sie sich plötzlich so erheitert, daß sie nur mit Mühe die Tränen zurückhielt. Doch tat sie sich Gewalt an, um die Mahlzeit nicht zu stören. Als diese aber vorbei war, konnte sie nicht länger warten, ihr unbestrittenes Besitztum, das ihr das günstige Geschick bis hierher aufbewahrt hatte, in ihre offenen Arme aufzunehmen. Sie faßte daher Antonio bei der Hand, verließ ihren Begleiter und die andere Gesellschaft, und sie traten in ein anderes Gemach. Dort wollte sie einige Worte sprechen, die sie vorher ausgedacht hatte, um zu sehen, ob er sie wiedererkenne; aber die Freude ihres Herzens und die Tränen ließen ihr nicht zu, den Mund aufzutun, vielmehr sank sie kraftlos ihm in die Arme und konnte nur hervorbringen: »O mein Antonio, ist's möglich, daß du mich nicht kennst?«

Er, der, wie schon gesagt, bereits seine Veronica zu erkennen gemeint hatte, war nun, da er die Worte hörte, plötzlich von der Richtigkeit seiner Vermutung überzeugt und sagte, von größter Rührung überwältigt: »Ach, so lebst du denn noch, mein Herz?«

Nach diesen Worten sank auch er über sie hin. So hielten sie sich lange stumm umarmt, und da sie wieder zu sich kamen und sich ihre seitherigen Schicksale erzählten, erkannte Antonio, daß das für sie beide so erfreuliche Ereignis nicht verheimlicht werden dürfe. Sie verließen daher das Zimmer, und obwohl es spät war, schickte Antonio schleunig aus und beschied die ganze Verwandtschaft Veronicas und seine eigene, sie möchten sich wegen einer Sache von höchster Wichtigkeit in sein Haus verfügen. Sie kamen sogleich heran, und sobald sie versammelt waren, bat er sie, sie möchten ihn zum Palast des Fürsten begleiten, denn er beabsichtige mit ihrer Erlaubnis von der Gnade des Herzogs die Wiedereinsetzung eines früher dem Misser Mazzeo angehörigen adeligen Lehens zu erbitten, das, schon seit Jahren in fremdem Besitz befindlich, dem rechten Eigentümer, weil er unbekannt gewesen, keinen Nutzen getragen habe.

Alle gingen gern mit ihm hin, und sobald sie vor dem Fürsten standen, nahm er seine Veronica bei der Hand, und vor allen Anwesenden erzählten nun die beiden ihre frühern und neuern Begegnisse Punkt für Punkt, ohne etwas auszulassen, und erklärten sodann, wie sie schon zu Anfang ihrer Liebe sich durch ihr feierliches Wort und beiderseitige Zustimmung geheiratet, und daß sie beabsichtigen, mit Genehmigung seiner fürstlichen Gnaden vor so würdigen Zeugen diesen Ehebund öffentlich anzuerkennen. So sehr sich der Herzog mit seinen Baronen und der ganzen Verwandtschaft und allen andern Einheimischen und Fremden darüber verwunderte, als sie diese seltsamen Begebenheiten vernahmen, so war es doch jedem sehr erfreulich zu sehen, welches gute und ehrenvolle Ende die Sache nahm, und das Verfahren Antonios sowie das würdige Benehmen Veronicas wurde von allen gelobt. Der Herzog entließ sie mit großer Freude nach Hause und veranstaltete am andern Morgen eine feierliche prunkvolle Messe, der er selbst mit vielen Adeligen und andern Leuten beiwohnte. Bei derselben wurde zur allgemeinen Freude unserer Salernitaner Veronica dem Antonio nach Stand und Würden angetraut. Sie teilten sehr große Geschenke aus und lebten in Glück und Reichtum, von inniger Liebe und schönen Kindern erfreut, lange Zeit ungestört bis an ihr Ende.


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