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Ein Herr in Griechenland, der ein großes Königreich besaß, hatte einen Sohn, den er sorgsam auferziehen, in den sieben freien Künsten unterrichten und zu einem gesitteten Leben anleiten ließ. Eines Tages nahm dieser König eine Menge Goldes, gab es dem Sohne und sprach: »Verwende dies nach deinem Wohlgefallen!« Zugleich befahl er den Edelleuten am Hofe, ihm keinerlei Anleitung über den Gebrauch des Goldes zu geben, jedoch sein Benehmen sorgfältig zu beobachten.
Jene gehorchten und standen eines Tages mit dem Jünglinge, der seinen Gedanken nachhing, an den Fenstern des Palastes, als einige Leute des Weges zogen, deren Tracht und Ansehen von Reichtum und Adel zeugte. Der Weg lief am Fuße des königlichen Palastes hin. Der Jüngling befahl, den ganzen Zug der Vorbeireisenden anzuhalten und vorzuführen. Man gehorchte, und die Fremden wurden im Beisein der Edelleute vor den Jüngling geführt; und einer derselben, der am beherztesten und gewandtesten schien, trat vor und fragte: »Herr, was ist zu Euerm Befehl?« Der Königssohn fragte ihn nach seiner Heimat und seinem Stande, worauf jener erwiderte: »Herr, mein Vaterland ist Italien; ich bin Kaufmann und Herr eines großen Vermögens, das ich nicht der Sorge meiner Vorfahren, sondern meiner eigenen Betriebsamkeit verdanke.«
Der Jüngling wandte sich nun zu dem Zweiten, der zwar mit edlem Anstande, aber mit dem Ausdruck des Kummers und der Verlegenheit dastand, und befahl ihm vorzutreten, weil er sich unter der Menge verbarg, worauf er, jedoch nicht mit dem Selbstvertrauen des ersteren, vortrat und fragte: »Herr, was befehlt Ihr?« Der Jüngling versetzte: »Nenne mir deine Heimat und deinen Stand!« Und jener entgegnete: »Herr, ich bin König von Syrien und habe mich so betragen, daß meine Untertanen mich vom Throne stießen.« Da nahm der Jüngling all sein Gold und schenkte es dem vertriebenen Könige.
Diese Handlung ward bald im ganzen Palaste bekannt. Die Ritter und Barone beratschlagten sich laut darüber, und der ganze Hof hallte wider von der Verwendung jenes Goldes. Auch der König erfuhr den Vorgang und ließ sich die an die Fremden gerichteten Fragen und ihre Antworten von Wort zu Wort erzählen. Dann berief er den Sohn und stellte ihn in Gegenwart vieler Barone über die Verwendung des Geldes zur Rede. »Welchen Grund hattest du, welche Rücksicht bewog dich, den unbeschenkt zu lassen, der durch seinen Fleiß vieles erworben, und alles dem zuzuwenden, der das Seinige durch seine Torheit verloren hatte?«
Der weise Jüngling entgegnete: »Herr, ich gab dem nichts, der mich nichts gelehrt hatte; auch beschenkte ich weder den einen noch den andern: was ich gab, war nicht Geschenk, sondern Lohn. Der Kaufmann lehrte mich nichts: ich war ihm also zu nichts verpflichtet; der andere aber, eines Königs Sohn und vor einst im Besitz einer Krone, dessen Unbesonnenheit Ursache war, daß ihn seine Untertanen verstießen, lehrte mich, wie ich mich zu betragen habe, daß die Meinigen mir nicht dermaleinst ein Gleiches tun: für eine so heilsame Lehre empfing er noch zu geringen Lohn.«
Da rühmte der König und alle Anwesende des Jünglings Verstand und hegten große Erwartungen von seiner Jugend und der Weisheit, womit er bei reiferen Jahren regieren werde, da er bei so zartem Alter schon so hohe Beweise seiner Einsicht gegeben. Briefe flogen durch das Land, den Vorfall Baronen und Edlen zu melden, und großer Hader entstand unter den Weisen.
In Alexandria, das im Gebiet der Romania liegt – es gibt nämlich zwölf Städte des Namens Alexandria, die Alexander im März vor seinem Tode gründete –, in jenem Alexandria gibt es Straßen, wo die Sarazenen stehen, welche Essen verkaufen. Und man sucht die Straßen nach den saubersten und leckersten Speisen ab, wie man bei uns nach Tüchern sucht.
An einem Montag stand ein sarazenischer Koch, welcher Fabrat hieß, in seiner Küche: da kam ein armer Sarazene in die Küche mit einem Brot in der Hand. Geld hatte er nicht, um jenem etwas abzukaufen. Daher hielt er das Brot über den Kochtopf und fing den Rauch auf, der daraus hervorstieg, und das Brot wurde von dem Rauch durchdrungen, der aus dem Essen kam, und er biß hinein und verzehrte es auf diese Weise bis zum Schluß. Dieser Fabrat hatte an diesem Tage kein Glück mit dem Verkaufen; daher empfand er dies als Beschimpfung und Belästigung, ergriff den armen Sarazenen und sagte zu ihm: »Bezahle mich für das, was du von mir genommen hast!«
Der Arme antwortete: »Ich habe nichts anderes aus deiner Küche genommen als Rauch.«
»Für das, was du von mir genommen hast, bezahle mich!« sagte Fabrat.
Sie stritten sich so sehr, daß die Kunde von diesem neuen plumpen und bisher noch nie dagewesenen Streit zu dem Sultan gelangte. Und der Sultan versammelte seine Weisen wegen dieser ganz unerhörten Sache und schickte nach jenen Männern. Dann legte er den Weisen den Streitfall vor. Die sarazenischen Weisen begannen zu tüfteln, und der eine meinte, der Rauch gehöre nicht dem Koch, wofür er viele Gründe angab: »Man kann den Rauch nicht empfangen, und er fällt auf die Speise zurück; und er hat auch nicht das Wesen oder die Eigentümlichkeit, daß er nützlich sei: daher braucht er nicht zu bezahlen.«
Andere sagten: »Der Rauch war noch in Verbindung mit dem Essen, war also in dessen Herrschaft, und hervorgebracht wurde er von seinem Eigentum. Und der Mann steht doch da, um von seinem Gewerbe zu verkaufen; und wer davon nimmt, der muß, wie es Brauch ist, bezahlen.« So gab es da viele Ansichten.
Endlich wurde folgende Entscheidung gefällt: »Da er dasteht, um seine Lebensmittel zu verkaufen, du aber und andere, um sie zu kaufen«, sagten sie, »darum mache du, gerechter Herr, daß du ihm in gerechter Weise seine Lebensmittel ihrem Werte entsprechend bezahlen läßt. Wenn seine Küche, wo er verkauft, indem er nützliches Eigentum hergibt, wofür er nützliches Geld einzunehmen pflegt, nun aber Rauch verkauft hat, welches der flüchtigste und vergänglichste Teil der Küche ist, so laß Herr, eine Münze erklingen und denke, die Bezahlung sei durch den Klang erfolgt, den sie erzeugt!«
Und so entschied der Sultan, auf daß es gehalten würde.
Ein Bürger von Bari begab sich auf eine Wallfahrt und ließ dreihundert Goldstücke bei einem seiner Freunde unter folgenden Abmachungen: »Ich werde gehen, wie es Gott gefallen wird. Und wenn ich nicht zurückkehren sollte, so gib das Geld für meine Seele; und wenn ich bis zu einem bestimmten Termin zurückkehre, so wirst du mir davon geben, was du willst.«
Darauf pilgerte er auf seine Wallfahrt, kam zu dem verabredeten Zeitpunkt zurück und verlangte seine Goldstücke wieder. Der Freund antwortete: »Erzähle doch unsere Abmachung!« Der Pilger wiederholte sie ihm genau.
»Du hast gut gesprochen«, sagte der Freund, »da, zehn Goldstücke will ich dir wiedergeben; die übrigen zweihundertneunzig behalte ich mir.«
Da begann der Pilger zornig zu werden, indem er sagte: »Was ist das für eine Treue? Du nimmst mir mein Hab und Gut auf falsche Weise.«
Und der Freund antwortete sanft: »Ich tue dir keinerlei Unrecht; und wenn du meinst, daß ich dir doch Unrecht tue, so laß uns vor Gericht gehen!« Dagegen wandte er nichts ein, und der Sklave von Bari war Richter. Er hörte die Parteien an, formulierte die Streitfrage; dann ergab sich folgender Urteilsspruch, und so sprach er zu dem, der die Goldstücke zurückhielt: »Gib zweihundertneunzig Goldstücke dem Pilger zurück, und der Pilger soll dir die zehn Goldstücke geben, die du ihm wiedergegeben hast. Denn die Abmachung lautete folgendermaßen: ›Das, was du willst, wirst du mir wiedergeben.‹ Nun willst du aber die zweihundertneunzig Goldstücke: also gib sie ihm wieder, und nimm die zehn, die du nicht willst!«
Einem König wurde ein Sohn geboren. Die weisen Astrologen sahen voraus, daß er sein Augenlicht verlieren würde, wenn er nicht zehn Jahre ohne das Licht der Sonne leben würde. Daher ließ der König ihn in dunklen Höhlen aufziehen und hüten. Nach der angegebenen Zeit ließ er ihn hervorholen und ließ vor ihn viele schöne Juwelen und sehr hübsche Mädchen bringen, wobei man ihm alles mit Namen nannte; und man sagte ihm, die Mädchen wären Teufel. Und dann fragte man ihn, was ihm von all diesen Dingen am meisten gefiele, worauf er antwortete: »Die Teufel«. Da wunderte der König sich sehr und sagte: »Was für ein Tyrann ist doch Frauenschönheit!«
Der Kaiser Friedrich war ein höchst edler Herr, und was nur Mut und Tugenden hatte, strömte von allen Seiten an seinen Hof, denn er war willig im Geben und aller adeligen Sitte voll. Wer sich durch irgendeine Gabe auszeichnete, kam zu ihm, und so sah man Kunstsänger, Spielleute und Schönredner, Lanzenbrecher, Fechter und viel anderes Volk bei ihm verkehren.
Eines Tages stand der Kaiser vor gedeckten Tafeln und ließ schon das Wasser zum Handwaschen reichen, so daß man sich nur noch zu Tische zu setzen hatte, als drei Meister der Negromantie mit drei Dienern erschienen und sich dem Kaiser sofort vorstellten. Dieser fragte: »Wer ist der Meister von euch dreien?«
Einer von ihnen trat vor und sagte: »Ich bin es, Herr.« Der Kaiser bat ihn, seine Künste zu zeigen, worauf sie ihre Kreise zogen und ihre Beschwörungen begannen. Der Himmel fing an sich zu trüben, ein plötzlicher Regen goß nieder, häufige Donnerschläge und Blitze folgten sich, und die Welt schien im Sturm vergehen zu wollen. Darauf fiel ein Schloßenhagel, so dick und schwer, daß die Ritter in die Gemächer nach allen Seiten flohen. Bald klärte sich das Wetter wieder auf, und die Meister baten um Urlaub und Lohn.
Der Kaiser sprach: »Fordert!«
Diese forderten den Grafen Richard von St. Bonifacio, der zunächst bei dem Kaiser stand, und sagten: »Herr, befehlt dem Grafen, daß er uns gegen unsere Feinde zu Hilfe komme!«
Der Kaiser ersuchte ihn freundlich, ihnen zu willfahren. Der Graf machte sich mit ihnen auf den Weg. Sie führten ihn in eine schöne Stadt. Hier zeigten sie ihm viele stolze Ritter und schöne Pferde; auch verschafften sie ihm herrliche Waffen und sagten: »Alles dies ist zu Euerm Befehl.« Die Feinde boten sich zur Schlacht; der Graf schlug sie und befreite das Land. In zwei andern siegreichen Schlachten gelang es ihm, sich das ganze Reich zu unterwerfen. Darauf vermählte er sich und zeugte Kinder und beherrschte das Land viele Jahre in Frieden. Es verging eine lange Zeit, ehe die Meister zurückkehrten: der Sohn des Grafen zählte schon vierzig Jahre, der Graf selbst war ein alter Mann geworden. Die Meister traten vor den Grafen: sie erkannten sich wieder. Die Meister fragten: »Beliebt es Euch, zu dem Kaiser zurückzukehren?« Der Graf antwortete: »Das Reich wird seitdem seinen Herrn mehrmals gewechselt haben, alle Leute würden mir unbekannt sein; wohin sollte ich kehren?« Die Meister lächelten und sagten: »Wir bestehen darauf, Euch zurückzuführen.«
Sie begaben sich auf den Weg und kamen nach langer Reise an den Hof. Sie fanden den Kaiser und seine Barone, die eben mit dem Wasser zum Handwaschen fertig wurden, welches man umhergereicht hatte, als der Graf sich mit den Meistern entfernte. Der Kaiser bat ihn zu erzählen, was er ausgerichtet habe.
Da sprach der Graf: »Seit ich von hier weggegangen bin, habe ich ein Weib genommen und Kinder von vierzig Jahren gezeugt und in drei Feldschlachten den Sieg erfochten. Die ganze Welt müßte sich erneut und umgestaltet haben; mit welchen Dingen geht dies zu?«
Der Kaiser vernahm seine Erzählung mit großem Vergnügen, so auch seine Ritter und Barone.
Herr Azzolino hatte einen Erzähler, welcher ihn in den langen Winternächten unterhalten mußte. Eines Abends nun hatte der Erzähler großes Verlangen zu schlafen, Azzolino aber bat ihn, ihm etwas vorzuplaudern. Da begann der Erzähler eine Geschichte von einem Bauer, welcher seine hundert Gulden im Beutel hatte. Der ging auf einen Markt, um Schafe zu kaufen, und bekam zwei um einen Gulden. Als er mit seinen Schafen heimkehrte, war ein Fluß, über den er gekommen war, unterdessen durch einen heftigen Regen stark angeschwollen. Da stand er am Ufer und schaute hinüber, bis er einen armen Fischer erblickte mit einem ganz unglaublich kleinen Nachen, so daß niemand hineinging als der Bauer und ein einziges Schaf auf einmal. Der Bauer fing also an, mit einem Schafe überzusetzen, und fing an zu rudern. Der Fluß war breit. Er rudert und kommt hinüber.
Der Erzähler hielt inne und sprach nichts mehr.
»Nun, was machst du?« fragte Herr Azzolino. »Fahre fort!«
Der Erzähler antwortete: »Gnädiger Herr, laßt erst die Schafe hinüberkommen, und dann wollen wir die Geschichte weiter erzählen.«
Die Schafe wären aber in einem ganzen Jahre nicht hinübergekommen. Und so konnte er gut in Ruhe schlafen.
Wilhelm von Bergdam war ein edler Ritter in der Provence zur Zeit des Grafen Raimondo Berlinghieri. Eines Tages begab es sich, daß die Ritter sich rühmten, und Wilhelm prahlte, es sei kein Edelmann in der Provence, den er nicht aus dem Sattel gehoben und bei dessen Frau er nicht geschlafen hätte. Und das sagte er vor den Ohren des Grafen.
Da versetzte der Graf: »Und mich auch? Wie?«
Wilhelm sagte: »Euch, Herr? Ich will es Euch sagen.« Ließ sein Streitroß kommen, gesattelt und wohlgegürtet, schnallte die Sporen an und setzte den Fuß in den Bügel. Dann besann er sich eine Weile, sagte zum Grafen und sprach: »Euch, Herr, begreife ich nicht mit und nehme Euch nicht aus.«
Damit stieg er zu Pferde, gab ihm die Sporen und ritt von dannen.
Der Graf war sehr erzürnt, daß er nicht zu Hofe kam. Eines Tages kamen Frauen zu einem vornehmen Gastmahl zusammen: sie schickten nach Wilhelm von Bergdam aus; die Gräfin war auch dabei; und sie sprachen: »Nun, sag' uns, Wilhelm, warum hast du die provenzalischen Frauen so beschimpft? Das sollst du schwer büßen.«
Jede hatte ein Messer unter dem Kleide. Die Sprecherin fuhr fort: »Sieh, Wilhelm, wegen deiner Vermessenheit mußt du sterben.«
Wilhelm hub an und sprach, als er sah, daß er so in die Falle geraten war: »Nur um eines bitte ich euch, ihr Frauen, tut mir's zuliebe und gewährt es!« Die Frauen antworteten: »Bitte, nur nicht um deine Freilassung!«
Da hub Wilhelm an und sprach: »Gnädige Frauen, ich bitte mir aus, daß diejenige von euch, die am wenigsten keusch ist, mir den ersten Streich versetze.«
Da sah eine die andere an; aber keine wollte angreifen, und so kam er für diesmal durch.
Ein Arzt in Toulouse nahm eine vornehme Dame aus Toulouse zur Frau, die Nichte des Erzbischofs. Er vollzog die Ehe mit ihr. In zwei Monaten bekam sie ein Mädchen. Der Arzt grämte sich deswegen nicht, sondern tröstete die Frau und setzte ihr die wissenschaftlichen Gründe auseinander, daß das Mädchen wohl seine Tochter sein könne. Und mit diesen Worten und mit freundlichen Mienen brachte er es dahin, daß die Frau über seine Gesinnung in die Irre ging. Während der Entbindung erwies er ihr große Ehre; nach der Entbindung sagte er zu ihr: »Gnädige Frau, ich habe Euch geehrt, so sehr ich konnte. Ich bitte Euch, aus Liebe zu mir jetzt in das Haus Eures Vaters zurückzukehren. Und Eure Tochter werde ich in großer Ehre halten.«
So gingen die Dinge weiter, als der Erzbischof erfuhr, daß der Arzt seiner Nichte den Abschied gegeben habe. Er schickte nach ihm, und weil er ein einflußreicher Mann war, sprach er kräftige Worte zu ihm, die mit Hochmut und mit Drohungen gemischt waren. Als er genug gesprochen hatte, antwortete der Arzt und sprach folgendermaßen: »Herr, ich nahm Eure Nichte zur Frau, indem ich glaubte, mein Reichtum sei hinreichend für die Ernährung meiner Familie; und es war meine Absicht, jedes Jahr ein Kind zu bekommen, und nicht mehr. Nun hat aber die Frau begonnen, Kinder in zwei Monaten auf die Welt zu bringen; ich bin aber nicht so wohlhabend, daß ich sie ernähren könnte, wenn das so weiterginge, und für Euch wäre es keine Ehre, wenn Eure Verwandtschaft in Armut käme. Daher bitte ich Euch um die Gnade, sie einem reicheren Manne zu geben, als ich bin, damit Euch keine Schande bereitet wird!«
Zu den Zeiten König Johanns war in Atri eine Glocke, die ein jeder, dem großes Unrecht geschah, läuten ging, worauf der König seine dazu bestellten Weisen versammelte und Recht sprach. Als diese Glocke lange bestanden hatte, geschah es, daß das Ende des Stranges verschlissen war, so daß man eine Zaunrübe daran gebunden hatte. Nun hatte ein Ritter aus Atri ein edles Roß, das so gealtert war, daß es keine Dienste mehr leisten konnte, und um es nicht beköstigen zu müssen, ließ es der Herr frei umherlaufen. Das hungrige Pferd geriet mit dem Maul an jene Zaunrübe und wollte sie abweiden: die gezogene Glocke begann zu läuten. Sogleich versammelten sich die Richter und sahen die Bitte des Pferdes, das um Recht zu flehen schien. Sie urteilten, daß der Ritter, dem es in der Jugend gedient habe, es im Alter zu ernähren verbunden sei. Da ward es ihm von dem König bei schwerer Strafe anbefohlen.
Der Kaiser Friedrich ließ eines Tages einen vornehmen Edelmann wegen irgendeiner Missetat aufhängen, und um die gerechte Strafe in ein helles Licht zu stellen, ließ er ihn von einem vornehmen Ritter bewachen mit Androhung schwerer Buße, wenn er ihn abnehmen ließe.
Als aber der Wächter etwas nachlässig war, wurde der Gehenkte weggetragen. Als jener das merkte, ging er mit sich zu Rate, aus Furcht, er möchte den Kopf verlieren. Es war Nacht, und indem er so nachsann, fiel es ihm ein, in eine Abtei zu gehen, die nahe dabei lag, um zu erfahren, ob er jemand finden könne, der kürzlich gestorben wäre, damit er diesen an die Stelle des Entwendeten an den Galgen hinge.
In der Abtei fand er eine Frau, jammernd mit zerrauften Haaren und aufgelösten Kleidern. Sie klagte sehr, war ganz trostlos und weinte um ihren teuren Gatten, der desselbigen Tages gestorben war. Der Ritter redete sie freundlich an und fragte: »Edle Frau, was ist das für ein Treiben?«
Die Frau antwortete: »Ich liebte ihn so sehr, daß ich nie mehr Trost empfangen will; sondern in Klagen will ich meine Tage beschließen.«
Da sagte der Ritter zu ihr: »Liebe Frau, wo ist Euer Witz? Wollt Ihr hier vor Schmerz umkommen? Durch Jammer und Tränen könnt Ihr den Toten doch nicht wieder ins Leben rufen. Welche Torheit ist es darum, Euch so zu gebärden! Macht es vielmehr so: Nehmt mich zum Mann! Ich bin unverheiratet. Und rettet mir dadurch mein Leben: denn ich bin in Gefahr und weiß nicht, wo ich mich verbergen soll. Ich habe nämlich auf Befehl meines Herrn einen Ritter bewacht, der gehenkt war, und die Leute seiner Familie haben mir ihn entwendet. Zeigt mir Rettung, wenn's Euch möglich ist: so will ich Euer Gatte werden und Euch in Ehren halten.«
Sobald die Frau solches hörte, verliebte sie sich in diesen Ritter und sprach: »Ich will tun, was du mir gebietest; so groß ist die Liebe, die ich zu dir trage. Nehmen wir diesen meinen Gatten aus dem Grabe, bringen ihn hin und hängen ihn an die Stelle des Entwendeten!«
Damit hemmte sie ihre Klage, half den Gatten aus der Gruft ziehen und half gleichfalls den Toten aufhängen.
Der Ritter aber sagte: »Liebe Frau, jener hatte einen Zahn weniger im Munde, und ich fürchte, wenn man wiederkäme, um ihn zu besichtigen, so möchte ich davon Schande erleben.«
Als sie das hörte, brach sie ihm einen Zahn aus dem Munde, und wenn noch etwas anderes erforderlich gewesen wäre, so hätte sie es auch getan. Als der Ritter sah, wie sie mit ihrem Gatten umgegangen war, sagte er: »Liebe Frau, da Ihr Euch so wenig aufrichtig um den bekümmert habt, den Ihr so sehr zu lieben schienet, so würdet Ihr Euch noch viel weniger um mich redlich bekümmern.«
Damit ließ er sie und ging seinen Geschäften nach; sie aber hatte die Schmach und Schande.
Der Berg Arimini ist in Burgund, und dort lebt ein Herr namens Messer Roberto, und es ist eine große Grafschaft. Die alte Gräfin und ihre Kammerfrauen hatten einen einfältigen Türhüter; der war sehr groß von Gestalt und hieß Baligante. Eine der Kammerfrauen fing an bei ihm zu schlafen; dann offenbarte sie es einer andern, so daß es weiter ging bis zur Gräfin. Als die Gräfin hörte, daß er sehr groß gemessen war, schlief sie auch bei ihm. Der Herr spähte es aus. Er ließ ihn ermorden und ließ aus dem Herzen einen Kuchen machen und brachte ihn der Gräfin und ihren Kammerfrauen, und sie aßen ihn. Nach dem Essen kam der Herr, um den Hof zu machen, und fragte, wie die Torte gewesen sei.
Alle antworteten: »Gut.«
Da antwortete der Herr: »Das ist kein Wunder, daß Baligante euch lebend gefallen hat, wenn er euch noch tot gefällt.«
Als die Gräfin und die Kammerfrauen dies merkten, schämten sie sich und sahen wohl, daß sie ihre Ehre für diese Welt verloren hatten. Darum wurden sie Nonnen und machten ein Kloster, welches das Kloster der Nonnen von Berg Rimino hieß. Das Haus nahm zu und ward sehr reich. Und dies erzählt man als wahre Geschichte:
Dort ist die Sitte, wenn ein Edelmann vorbeikam mit vielem Gerät, den luden sie ein und erwiesen ihm die größte Ehre. Und die Äbtissin und die Schwestern kamen ihm entgegen, und die, die ihm am besten gefiel, die wartete ihm auf und begleitete ihn zu Tisch und zu Bett. Am Morgen stand sie auf, suchte ihm Wasser und Handtuch, und wenn er gewaschen war, bot sie ihm eine leere Nadel und einen Seidenfaden. Nun mußte er, wenn er sich losmachen wollte, den Faden in das Öhr stecken, und wenn ihm das dreimal hintereinander mißlang, nahmen ihm die Frauen alle seine Habe und gaben ihm nichts zurück; wenn er aber den Faden dreimal in die Nadel brachte, so gaben sie ihm nicht nur sein Gerät zurück, sondern schenkten ihm auch noch schöne Kleinodien.
An dem Hofe von Puy Notre Dame in Provence wurde ein edles Fest angeordnet, als der Sohn des Grafen Raimon zum Ritter geschlagen ward und viele Edlen einlud. Da kamen ihm zuliebe so viele dahin, daß an Silber und Gewändern Mangel ward und der junge Graf die Ritter seines Landes entblößen mußte, um die fremden Hofleute auszustatten, womit nicht alle sich zufrieden bezeigten.
Eines Tages ward das Fest angeordnet und ein jähriger Sperber auf eine Stange gesetzt. Wer sich nun an Mut und Habe reich genug wußte und den erwähnten Sperber auf seine Faust nahm, der war verbunden, den Hof jenes ganze Jahr lang zu unterhalten. Die Ritter und Edelknappen, die fröhlich und wohlgemut waren, dichteten schöne Kanzonen, sowohl die Weise wie die Worte, und vier Merker waren bestellt, welche die gelungenen in Ansatz brachten und die übrigen den Dichtern zur Verbesserung empfahlen. So verbrachten sie die Zeit und sprachen viel zum Ruhm ihres Herrn und priesen seine Söhne als ritterlich und wohlgezogen.
Nun geschah es, daß einer dieser Ritter, den wir Messer Alamanno nennen wollen, ein Mann von großer Tapferkeit und Trefflichkeit, eine sehr schöne Edelfrau der Provence liebte, Dame Grigia, und zwar so geheim, daß ihn niemand bewegen konnte, sie kundzugeben. Die Edelknappen von Puy aber verbanden sich, ihn irrezuführen und zum Prahlen zu verleiten; sie sagten zu gewissen Rittern und Baronen: »Wir bitten euch, es beim nächsten Turnier so einzurichten, daß ein jeder großspreche.« Sie dachten nämlich: Der Ritter ist ein trefflicher Kämpfer und wird sich jenes Tages im Turniere hervortun und vor Freude in Hitze geraten; die Ritter werden sich alsdann rühmen, und dann wird auch er sich nicht enthalten können, mit seiner Dame zu prahlen. So leiteten sie es ein, und als der Tag des Turniers kam, gewann der Ritter den Preis der Waffen und geriet vor Freuden außer sich. Als man des Abends sich ausruhte, fingen die Ritter zu prahlen an: der eine mit schönen Damen, ein anderer mit schönem Waffenspiel, ein dritter mit schönem Schloß, dieser mit schönem Habicht, jener mit schönem Abenteuer. Da konnte der Ritter sich nicht enthalten, mit seiner schönen Dame zu prahlen. Als er nun heimging, um sich wie gewöhnlich mit ihr zu erfreuen, verabschiedete ihn die Edelfrau. Der Ritter geriet vor Schrecken außer sich, schied von ihr und der Gesellschaft der Ritter, floh in einen Wald und verschloß sich so heimlich in eine Einsiedelei, daß niemand davon erfuhr. Wer da die Betrübnis der Ritter, Frauen und Fräulein gesehen hätte, wie oft sie den Verlust eines so edeln Ritters beklagten, der hätte gewiß Mitleid gehabt. Eines Tages geschah es, daß sich die Edelknappen von Puy auf der Jagd verirrten und zu der besagten Einsiedelei gelangten. Er fragte sie, ob sie von Puy seien? Sie antworteten ja, und er erkundigte sich nach Neuigkeiten. Da fingen die Edelknappen an, ihm zu erzählen, wie es dort üble Neuigkeiten gebe, indem man um eines geringen Fehltritts willen die Blume der Ritterschaft verloren und seine Dame ihn verabschiedet habe, und wie niemand wisse, was aus ihm geworden sei: es sei aber für nächstens ein Turnier angekündigt, zu dem sich viele Edeln einfinden würden, und da dächten sie, er habe ein so edles Herz, daß er, wo er auch sei, erscheinen werde, um mit ihnen zu turnieren. Auch hätten sie Wachen von großer Gewalt und Klugheit ausgestellt, welche ihn sogleich festhalten würden, und so hofften sie Ersatz ihres großen Verlustes.
Da schrieb er einem vertrauten Freunde, er möge ihm am Tage des Turniers heimlich Roß und Waffen senden, und hierauf schickte er die Edelknappen weg. Der Freund erfüllte das Verlangen des Einsiedlers: am Tage des Turniers sandte er ihm Roß und Waffen, und dieser befand sich jenen Tag in dem Gewühl der Ritter und trug den Preis des Turniers davon. Die Wachen hatten ihn gesehen und erkannt, und sogleich trugen sie ihn auf den Händen zu großer Lust daher. Die Gesellschaft in ihrer Freude schlug ihm den Helmsturz vor dem Gesichte nieder und bat ihn inständigst, ein Lied zu singen. Er aber antwortete: »Ich singe nicht eher, bis ich Frieden von meiner Dame habe.«
Da wandten sich die edeln Ritter an die Edelfrau und baten sie inständig, ihm zu vergeben. Die Dame antwortete: »Sagt ihm, ich würde ihm niemals vergeben, wenn er nicht durch hundert Barone, hundert Ritter, hundert Edelfrauen und hundert Fräulein mich um Gnade bitten ließe: diese müßten alle einstimmig Gnade rufen, ohne zu wissen, wer sie gewähren solle.«
Der Ritter, der große Klugheit und Geschicklichkeit besaß, wußte, daß die Zeit heranrücke, wo ein großes Fest gefeiert werden sollte, zu dem viele Edle herbeiströmen würden. Meine Dame, dachte er, wird zugegen sein und außerdem so viel Ritter und Damen, als sie zum Gnaderufen verlangt. Er erfand nun eine sehr schöne Kanzonette, und am Morgen begab er sich an einen erhöhten Platz und begann jene Kanzonette so gut er's verstand zu singen, und er verstand es vortrefflich. Sie lautete etwa so: »So wie der Elefant, wenn er gefallen ist, sich nicht erheben kann, bis ihn andere mit dem Ruf ihrer Stimme erheben, so tue auch ich: denn mein Vergehen ist mir so schwer und drückend, daß der Hof von Puy mir vergällt ist. Und wenn die Bitte tadelloser Liebhaber mich nicht wieder aufhebt, so komme ich nie wieder auf die Füße. Möchten sie geruhen, dort für mich um Gnade zu rufen, wo meine Bitten nichts fruchten, usw.« Hierauf schrien alle, die auf dem Platze waren, um Gnade, und die Edelfrau verzieh ihm, und hiermit erlangte er ihre vorige Gunst wieder.
Der König von Frankreich führte Krieg mit dem Grafen von Flandern; zwei Schlachten waren schon geschlagen, in denen viel gute Ritter und eine große Menge Volks von beiden Seiten den Tod gefunden, gewöhnlich aber der König den kürzern gezogen hatte. Um diese Zeit pflegten zwei Blinde auf der Straße vor Paris zu stehen, um Almosen zu ihrem Lebensunterhalt zu sammeln. Unter diesen entspann sich ein lebhafter Streit: den ganzen Tag sprachen sie über den König von Frankreich und den Grafen von Flandern. Einer sagte zu dem andern: »Höre, was sagst du? Ich sage, der König wird siegen.« Der andere erwiderte: »Nein, der Graf«; und er setzte dann hinzu: »Es wird geschehen, was Gott gefällt.« So stritten sie jeden Tag über den Ausgang der Kriegsbegebenheiten.
Ein Edelmann vom Hofe, der mit seinen Leuten jene Straße ging, blieb eines Tages stehen, um den Streit der Blinden mit anzuhören; dann begab er sich an den Hof zurück und erzählte dem König zu großer Belustigung der Anwesenden, wie die beiden Blinden den ganzen Tag über ihn und den Grafen in Streit lägen. Der König lachte und schickte einen Edelknecht ab, um dem Streit zuzuhören und sich zu merken, wer von beiden das eine und wer das andere behaupte. Dieser ging, horchte genau auf und stattete dem König Bericht ab.
Alsbald berief der König seinen Seneschall und befahl ihm, zwei große Brote aus feinem Mehl backen zu lassen. Bevor sie in den Ofen kämen, solle er in das eine zehn Goldstücke in geraumer Entfernung voneinander verbergen, in das andere aber nichts: wenn sie dann gar seien, solle der Edelknecht sie den beiden Blinden um Gottes willen schenken, und zwar das mit dem Gelde demjenigen, der den Sieg des Königs von Frankreich behaupte, das andere dem, der der Meinung sei, Gottes Wille werde geschehen.
Der Edelknecht tat nach den Königs Befehl. Als der Abend kam, kehrten die Blinden nach Hause; der, welchem das Brot ohne das Geld zuteil geworden war, sprach zu seiner Frau: »Gott hat uns heute wohlbedacht: genießen wir seiner Gaben!« Sie setzten sich und aßen das Brot rein auf, so wohl schmeckte es ihnen. Der andere Blinde, der das goldbeschwerte Brot erhalten hatte, sprach am Abend zu seinem Weibe: »Frau, laß uns dieses Brot aufbewahren und morgen verkaufen, damit wir etwas Bargeld in die Hände bekommen: wir können ja heute von den Brotscheiben zehren, die wir erbettelt haben.«
Am Morgen standen sie auf, und jeder begab sich mit seiner Frau dahin, wo sie gewohnt waren, zu stehen und die Vorübergehenden anzusprechen. Als sie dahin kamen, sprach der eine, der sein Brot verzehrt hatte, zu seinem Weibe: »Frau, unser Gefährte dort, der wie wir von Almosen lebt und mit dem ich immer streite, hat doch auch ein Brot von dem Edelknecht des Königs erhalten?« – »Allerdings«, antwortete die Frau. – »Nun wohlan«, fuhr jener fort, »so gehe doch zu seiner Frau und höre, ob sie es verkaufen wollen? Du kannst schon etwas daran wenden: das unsrige schien mir sehr schmackhaft.« – »Denkst du denn«, entgegnete die Frau, »sie werden es nicht ebensogut wie wir zu essen verstanden haben?« – »Wer weiß ?« entgegnete der Blinde; »vielleicht haben sie es aufbewahrt, um einige Batzen dafür zu lösen, und sich nicht getraut, es zu verzehren, wie wir taten, weil es so schön war und so groß und weiß.«
Da die Frau den Willen des Mannes vernahm, ging sie zu der Frau des andern und fragte, ob sie das Brot, das ihr der Edelknecht des Königs geschenkt, schon verzehrt hätten, und wenn es noch da sei, ob sie gewillt wären, es zu verkaufen? »Wir haben es noch«, gab jene zur Antwort, »ich werde fragen, ob mein Mann es verkaufen will, wie er gestern abend sagte.«
Gleich darauf kehrte sie zurück und erklärte, sie wolle es verkaufen, allein nur für vier Silberbatzen Pariser Geld, die es wohl wert sei. Der Handel ward richtig, und sie kehrte mit dem erkauften Brote zu ihrem Manne zurück, der sich freute, als er es hörte. »Heute abend«, sagte er, »werden wir wieder so gut leben wie gestern.«
Der Tag verging, die Blinden begaben sich nach Hause. »Laß uns zu Nacht speisen«, sagte der eine, der das Brot gekauft hatte, zu seiner Frau. Sie nahm ein Messer, um das Brot anzuschneiden: schon bei der ersten Scheibe fiel ihr ein Goldstück vor die Füße; sie schnitt weiter, und jede Scheibe enthielt eine Goldmünze. Der Blinde hörte den Klang und fragte, was das sei, was er klingen höre, und die Frau erzählte ihm, was sie gefunden. Der Blinde bat sie, weiterzuschneiden, und als alles zerschnitten und jede Scheibe durchsucht war, fanden sich die zehn Goldstücke, welche der König befohlen hatte einzubacken. Der Blinde wußte sich vor Freude kaum zu lassen: »Siehst du nun«, sprach er zu seiner Frau, »daß ich die Wahrheit sagte, daß Gottes Wille geschehen muß, und daß es nicht anders sein kann? Nun weißt du doch, daß unser Gefährte täglich mit mir streitet und sagt, der König werde siegen; ich aber sage, Gottes Wille wird geschehen.« Darauf begaben sie sich zur Ruhe.
Am Morgen standen sie auf, um ihrem Gefährten die Nachricht von dem Glücksfunde mitzuteilen. Aber der König hatte schon beizeiten hingesandt, um zu erfahren, wie es mit dem goldbeschwerten Brote gegangen sei; denn tags zuvor hatte er nicht nachforschen lassen, weil er dachte, sie würden es noch nicht verzehrt haben. Der Edelknecht verbarg sich hinter einem Pfeiler, um von den Frauen nicht gesehen zu werden. Als nun die Blinden an die Stelle kamen, wo sie gewohnt waren, ihren Stand zu haben, begann der eine, der das Brot erkauft hatte, den andern beim Namen zu rufen. »Noch immer behaupte ich«, fuhr er dann fort, »es wird geschehen, was Gottes Wille ist. Gestern kaufte ich ein Brot für vier Pariser Silberbatzen; darin fand ich zehn Goldstücke von gutem Gepräge, und so hatte ich einen guten Abend und werde auch ein gutes Jahr haben.« Wie dies der andere hörte, erschrak er heftig und beteuerte, nicht länger mit ihm streiten zu wollen, denn das Recht sei zu offenbar auf des Gegners Seite, und Gottes Wille müsse geschehen.
Dies hörte der Edelknecht, kehrte eiligst an den Hof zurück und hinterbrachte dem Könige seine Neuigkeiten, und was die beiden Blinden unter sich gesprochen hätten. Darauf ließ sie der König vor sich kommen und sich den ganzen Hergang von ihnen erzählen: wie jeder das ihm bestimmte Brot von dem Edelknecht erhalten und der eine das seinige dem andern verkauft habe; wie sie vorher lange Zeit miteinander gestritten und der, welcher behauptet, der König werde siegen, das Geld nicht erhalten, sondern der andere, der der Meinung gewesen, Gottes Wille müsse geschehen. Daran ergötzte sich der König weidlich mit seinen Baronen und Edelleuten: »Wahrlich«, rief er aus, »dieser Blinde hat recht: der Wille Gottes muß geschehen, und alles Volk der Erde kann kein Tüttelchen daran ändern.«
Ein reicher Edelmann hatte einen einzigen Sohn, und als er herangewachsen war, schickte er ihn in den Dienst eines Königs, damit er daselbst Artigkeit und edle Sitten lerne. Weil er sich nun bei dem König sehr beliebt machte, faßten einige Neid gegen ihn und bestachen einen der vornehmsten Ritter des königlichen Hofes durch Geld und gute Worte, daß er auf folgende Weise den Untergang des Jünglings anstiftete. Eines Tages berief dieser besagte Ritter diesen Knaben heimlich zu sich und sagte ihm, was er ihm nun mitteilen werde, tue er wegen der großen Liebe, die er zu ihm trage; und darauf sagte er zu ihm: »Mein liebster Sohn, unser Herr, der König, liebt dich mehr als alle seine Diener; aber er hat sich geäußert, daß du ihm durch den Atem deines Mundes gar sehr beschwerlich fallest. Sei daher um Gottes willen klug, und wenn du ihm den Trank reichst, halt Mund und Nase so mit der Hand zu und wende dein Gesicht auf die Seite, daß dein Hauch den König nicht belästige!«
Als der Jüngling dies einige Zeit tat und der König deshalb sehr ärgerlich war, berief er den Ritter, der jenem diese Anweisung gegeben hatte, und befahl ihm, wenn er den Grund davon wisse, ihm selbigen ungesäumt zu sagen. Dieser gehorchte dem König, kehrte aber die Sache ganz um, denn er sagte, jener Knabe könne den Hauch aus dem Munde des Königs nicht mehr ertragen. Deshalb beschied der König auf das Anstiften jenes Barons einen Ziegelbrenner und befahl ihm, den ersten Boten, den er an ihn absende, in den glühenden Ofen zu werfen; und wenn er es nicht tue oder diese Sache irgend jemand offenbare, drohte er ihm eidlich, er werde ihm den Kopf abhauen. Der Ziegelbrenner versprach ihm, alles willig zu vollbringen, steckte einen großen Ofen an und wartete ängstlich, bis der komme, der diese Strafe verdient habe.
Am folgenden Morgen wurde der unschuldige Knabe von dem König zu dem Ziegelbrenner geschickt mit dem Auftrag, ihm zu sagen, er solle ausführen, was der König ihm befohlen habe. Er ritt hin und war schon nahe bei dem Ofen, als er zur Messe läuten hörte. Er stieg daher vom Pferd, band es am Kreuzgang der Kirche an und hörte andächtig die Messe. Daraufging er nach dem Ofen und sagte zu dem Ziegelbrenner, was ihm der König befohlen hatte.
Der Ziegelbrenner aber gab ihm zur Antwort, er habe schon alles getan. Der Hauptanstifter jener Bosheit nämlich war, um die Sache zu beschleunigen, hingegangen und hatte den Ziegelbrenner gefragt, ob er die Sache ausgeführt habe. Dieser sagte ihm, er habe den Befehl des Königs noch nicht vollzogen, werde es aber alsbald tun. Daher packte er diesen und warf ihn unverzüglich in den brennenden Ofen.
Der Jüngling kehrte daher zum König zurück und meldete, es sei geschehen, was er befohlen habe. Darüber verwunderte sich der König und forschte sorgfältig nach, um zu erfahren, wie die Sache gegangen sei. Und als er den wahren Hergang entdeckt, hieb er alle die Neider, die den unschuldigen Jungen betrogen hatten, in Stücke und sagte dem vorbemeldeten Jüngling alles, wie es sich zugetragen hatte. Darauf machte er ihn zum Ritter und schickte ihn mit vielen Reichtümern zurück in sein Land.
Ein junger Mann von Florenz war in Liebeslust entbrannt zu einem artigen Jungfräulein. Sie aber liebte nicht ihn, sondern liebte aus der Maßen einen andern Jüngling, welcher sie zwar auch liebte, doch nicht so heftig wie jener, der offenbar alles andere über ihr vergaß und sich wie wahnsinnig in seiner Begier verzehrte, zumal an Tagen, wo er sie nicht zu sehen bekam. Das tat einem seiner Gesellen leid, und er veranstaltete, daß er ihn wegführte zu einem sehr schönen Landgut, das er besaß, und dort verweilten sie in Ruhe vierzehn Tage. Inzwischen überwarf sich das Mädchen mit ihrer Mutter, schickte ihre Magd aus und ließ sie mit dem sprechen, welcher sie liebte, daß sie mit ihm davongehen wolle. Dieser war sehr froh. Die Magd sprach: »Sie will, Ihr sollt zu Pferd an das Haus kommen, wenn es schon ganz Nacht ist. Sie wird tun, als ginge sie in den Keller hinunter. Dann müßt Ihr an der Haustüre bereit sein, und sie springt Euch hinten aufs Pferd. Sie ist leicht und kann gut reiten.«
Er antwortete: »Gut, es ist mir recht.« Als sie es so verabredet hatten, ließ er große Vorbereitungen treffen auf einem Landhause, das ihm gehörte. Und es waren daselbst seine Genossen zu Pferd, und er hieß sie am Tore warten, damit man es nicht schließe. Dann machte er sich mit einem schönen Roß auf den Weg und ritt an das Haus. Sie hatte aber noch nicht kommen können, weil die Mutter sie zu sehr bewachte. Darum ging jener weiter und zu seinen Gesellen zurück. Der andere aber, der sich um sie verzehrte, fand auf dem Lande keine Ruhe. Er stieg zu Pferd, und sein Geselle konnte mit allen Bitten ihn nicht zurückhalten, noch vermochte er ihn, seine Begleitung anzunehmen. Als es Abend ward, gelangte er an die Stadtmauer; alle Tore waren schon zu; aber er eilte so lange umher, bis er auf das Tor traf, wo jene standen. Er ritt hinein und nahm seinen Weg nach dem Hause der Liebsten, nicht in der Absicht, sie zu besuchen oder auch nur ihren Anblick zu genießen, sondern allein um die Straße wiederzusehen. Er stellte sich dem Hause gegenüber auf, als der andere kaum vorübergeritten war; da öffnete das Mädchen die Tür, rief ihm mit heller Stimme und hieß ihn, das Pferd heranrücken. Dieser war nicht lässig und tat, was sie wollte; sie aber sprang ihm geschickt hinten aufs Pferd, und so ritten sie von dannen.
Als sie an das Tor kamen, ließen die Gesellen des andern sie unangefochten hindurch, denn sie erkannten sie nicht; denn wäre es der gewesen, den sie erwarteten, so hätte er gehalten. Die beiden ritten wohl zehn Meilen, bis sie an eine sehr schöne Wiese kamen, die von sehr hohen Tannen umgeben war. Sie stiegen ab und banden das Roß fest, und er hub an sie zu küssen. Nun erkannte sie ihn, merkte das Unglück und fing an bitterlich zu weinen. Er aber versuchte unter Tränen sie zu trösten und ihr solche Ehre zu erweisen, daß sie ihre Tränen trocknete und anfing, ihm hold zu werden, da sie sah, daß das Glück sich für ihn entschieden hatte, und sie umarmte ihn. Der andere ritt unterdes mehrmals hin und her, bis er die Eltern des Mädchens gewaltigen Lärm machen hörte und durch die Magd vernahm, daß die Jungfrau schon fort sei. Er war bestürzt, kehrte zu seinen Gesellen zurück und sagte es ihnen. Sie aber antworteten: »Wir sahen ihn wohl sie vorüberführen, aber wir erkannten sie nicht, und es ist schon so lange her, daß sie schon weit auf dieser Straße gekommen sein können.« Sie setzten ihnen sogleich nach und ritten fort, bis sie sie in ihrer Umarmung schlafend fanden. Sie betrachteten sie im Scheine des Mondes, der indessen aufgegangen war; aber es tat ihnen leid, sie zu stören, und sie sagten: »Wir wollen warten, bis sie aufwachen, und dann tun, was uns obliegt.«
Sie warteten so lange, bis sie auch der Schlaf überfiel und alle hinsanken. Die andern wachten inzwischen auf und sahen, was geschehen war. Sie verwunderten sich, und der Jüngling sprach: »Diese Leute sind so artig gegen uns gewesen, daß wir sie um Himmels willen nicht beleidigen dürfen.«
Er stieg daher zu Pferd, und sie warf sich auf ein anderes von den besten, die daselbst standen, und so ritten sie von dannen. Die Schläfer erwachten und waren sehr erzürnt, daß sie die Verfolgung nicht fortsetzen konnten