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In Siena war ein Jüngling mit Namen Galgano, reich und von edlem Geschlechte, geschickt und durchaus in allem erfahren, mannhaft, rüstig, hochherzig, höflich und leutselig gegen jedermann. Dieser Galgano liebte eine Edelfrau aus Siena mit Namen Madonna Minoccia, die Gattin eines edeln Ritters, welcher Messer Stricca hieß. Darum trug besagter Galgano beständig an den Kleidern und sonst das Wahrzeichen seiner ebengenannten Geliebten und machte ihr zuliebe oftmals Turniere und Waffenspiele mit und veranstaltete kostbare Gastmähler. Bei alledem wollte ihn aber Madonna Minoccia niemals erhören, und Galgano wußte gar nicht mehr, was er noch tun und sagen sollte, als er sah, welche Grausamkeit in der Brust dieser seiner Gebieterin waltete, die er viel lieber hatte als sich selbst. Immer bei Festen und Hochzeiten war er hinter ihr her und hielt den Tag für verloren, an dem er sie nicht zu sehen bekommen. Oftmals schickte er an sie durch Mittelspersonen Geschenke und Botschaften, aber niemals wollte die Frau etwas in Empfang nehmen noch anhören, sondern war jedesmal härter als zuvor. So war der besagte Liebende lange Zeit von der heftigsten Liebe und Treue gequält, die er für diese Frau hegte, und oftmals beklagte er sich gegen Amor und sprach: »Ach, mein Gebieter, wie magst du es ertragen, daß ich liebe und nicht geliebt werde? Siehst du nicht, daß dies deinen Geboten zuwiderläuft?« So wollte er oft und viel im Gedenken an die Grausamkeit jener Frau sich der Verzweiflung hingeben. Aber doch beschloß er, sittsamlich das Joch so fortzutragen, bis es Amor einmal gefiele, ihn Gnade finden zu lassen, und gab die Hoffnung nicht auf. Er ließ sich angelegen sein, in Reden und Handlungen ihr gefällig zu sein; sie aber ward nur um so unbeweglicher.
Einstmals war Messer Stricca und seine schöne Gemahlin auf einem ihrer Güter bei Siena; der besagte Galgano kam auch vorüber mit einem Sperber auf der Faust und tat, als ginge er auf die Vogeljagd; er wollte aber nur die Frau sehen. So kam er denn an dem Hause vorbei, wo sie war, und als Messer Stricca ihn sah und sogleich erkannte, ging er ihm entgegen und nahm ihn freundschaftlich bei der Hand mit der Bitte, gefälligst mit ihm und seiner Gemahlin zu speisen. Galgano dankte ihm dafür auf das verbindlichste, bat aber, ihn für entschuldigt zu achten.
»Denn«, sagte er, »ich muß notwendig irgendwohin gehen.«
Darauf sagte Messer Stricca: »So nehmt wenigstens einen Trunk an!«
Der Jüngling aber antwortete: »Schönen Dank! Bleibt mit Gott! Ich habe Eile.«
Als Messer Stricca seinen Entschluß sah, ließ er ihn hinziehen und ging wieder ins Haus. Galgano aber, als er von Messer Stricca hinweg war, sprach bei sich selbst: »Ach, ich Unglücklicher, warum habe ich nicht angenommen? So hätte ich sie wenigstens gesehen, die mir teurer ist als die ganze Welt.«
Während er diesen Gedanken nachhing, steigt eine Elster auf. Darum ließ er den Sperber los; die Elster flog in den Garten Messer Striccas, und der Sperber packte sie in die Klauen. Als Messer Stricca und seine Frau diesen Sperber hörten, liefen sie an das Gartenfenster, und als die Frau die Geschicklichkeit bemerkte, womit der Sperber die Elster faßte, fragte sie, da sie es nicht wußte, wem der Sperber gehöre. Messer Stricca antwortete: »Dieser Sperber hat ein gutes Vorbild an seinem Herrn, denn er gehört dem trefflichsten und vollkommensten Jüngling in ganz Siena.«
Die Frau fragte, wer dies sei.
»Der Vogel gehört Galgano«, erwiderte ihr Gatte, »welcher eben vorübergegangen ist. Ich bat ihn, bei uns zu speisen, er nahm es aber nicht an. Fürwahr, es ist der anmutigste und rechtschaffenste Jüngling, den ich je gesehen habe.«
Sie gingen vom Fenster weg und begaben sich zu Tische. Galgano lockte seinen Sperber zu sich und entfernte sich ebenfalls. Die Frau aber merkte jene Worte und behielt sie im Sinne. Als daher einige Tage darauf Messer Stricca von der Gemeinde von Siena als Gesandter nach Perugia ging und seine Frau allein zu Hause ließ, schickte sie, sobald sie erfahren, daß ihr Mann weggeritten sei, eine Vertraute an Galgano und bat ihn, er möge gefälligst zu ihr kommen, sie wolle mit ihm reden. Als ihm die Botschaft ausgerichtet war, antwortete Galgano, er komme sehr gerne. Als nun Galgano hörte, daß Messer Stricca nach Perugia gegangen sei, machte er sich am Abend zu passender Stunde auf den Weg und ging in das Haus der Frau, die er weit mehr als seine Augen liebte.
Als er vor die Frau trat, grüßte er sie ehrerbietig; die Frau aber nahm ihn mit großer Freude bei der Hand, umarmte ihn und sprach: »Sei mir hundertmal willkommen, mein Galgano!«
Und ohne weitere Worte gaben sie sich mehrmals den Friedenskuß. Die Frau ließ sodann Zuckerwerk und Wein kommen, und nachdem sie miteinander gegessen und getrunken hatten, nahm ihn die Frau bei der Hand und sprach: »Mein Galgano, es ist Zeit, schlafen zu gehen. Gehen wir daher zu Bette!«
Galgano antwortete und sprach: »Madonna, ganz nach Eurem Gefallen!«
Als sie in die Kammer getreten waren, pflogen sie vieler schönen und anmutigen Gespräche, worauf die Frau sich entkleidete, zu Bette stieg und dann zu Galgano sagte: »Es scheint mir, du bist ganz verschämt und schüchtern. Was hast du? Gefalle ich dir nicht? Bist du nicht zufrieden? Hast du nicht, was du willst?«
Galgano antwortete: »O ja, Madonna, und Gott hätte mir keine größere Gnade erweisen können, als daß ich in Euren Armen ruhen darf.«
Während sie so hierüber sprachen, zog er sich aus und stieg in das Bett neben sie, nach der er sich so lange gesehnt hatte. Als er die Decke über sich gezogen, sagte er zu ihr: »Madonna, ich bitte Euch, mir eine Gunst zu gewähren.«
Die Frau antwortete: »Mein Galgano, begehre! Vorher aber wünsche ich, daß du mich umarmest.«
Er tat es.
»Madonna«, sagte er nun weiter, »ich wundere mich sehr, wie Ihr Eurem früheren Betragen zuwider heute mich habt holen lassen, da ich mich so lange Zeit nach Euch gesehnt und Euch nachgefolgt, wo Ihr mich nie sehen und hören mochtet. Was hat Euch jetzt umgestimmt?«
»Das will ich dir sagen«, antwortete die Frau. »Vor wenigen Tagen kamst du mit einem Sperber hier vorüber. Mein Mann sagte, er habe dich gesehen und eingeladen, mit uns zu speisen; du nahmst aber nicht an. Nun flog dein Sperber einer Elster nach, und als ich ihn sich so gut halten sah, fragte ich meinen Mann, wem er gehöre. Er antwortete mir, er gehöre dem trefflichsten Jüngling von Siena, und er habe an seinem Herrn ein gutes Vorbild; denn er habe nie einen vollkommeneren jungen Mann gesehen als dich, in jedem Stücke. Bei dieser Gelegenheit lobte er dich mir sehr, und als ich dich so loben hörte und die Neigung kannte, die du für mich hegst, nahm ich mir vor, dich holen zu lassen und meine Sprödigkeit gegen dich aufzugeben. Dies ist der Grund.«
Galgano versetzte: »Ist das ganz wahr?«
»Allerdings«, sprach die Frau.
»Und ist sonst kein Grund dabei?«
»Nein«, antwortete die Frau.
»Fürwahr«, sagte Galgano, »so verhüte Gott, daß ich Euerm Gatten, der mir so freundlichen Dienst erwiesen, eine Schmach antue!«
Er sprang schnell aus dem Bette, zog sich wieder an, nahm Abschied von der Frau und ging seiner Wege. Die Frau sah er in solcher Absicht nie wieder an, bewahrte aber Messer Stricca fortwährend ganz besondere Liebe und Hochachtung.
In Rom lebten in dem Hause der Savelli zwei Freunde und Gefährten, wovon der eine Bucciuolo und der andere Pietro Paolo hieß, beide von guter Herkunft und reich an zeitlichen Gütern. Diese beschlossen, der Studien wegen nach Bologna zu gehen, wo der eine bürgerliches, der andere kanonisches Recht hören wollte, und so nahmen sie Abschied von ihren Verwandten, kamen nach Bologna und studierten dort ihrem Vorsatze gemäß eine gute Zeit – der eine weltliches, der andere geistliches Recht. Und wie ihr wißt, hat das kanonische nicht den Umfang wie das römische, weshalb Bucciuolo, welcher das geistliche Recht studierte, früher fertig war als Pietro Paolo mit dem seinigen. Da er nun Lizentiat geworden war, beschloß er nach Rom zurückzukehren und sprach zu Pietro Paolo: »Lieber Bruder, da ich es nun zum Lizentiaten gebracht habe, bin ich entschlossen, nach Hause zu reisen.«
Pietro Paolo antwortete: »Ich bitte dich, laß mich nicht hier allein, sondern warte auf mich diesen Winter über; dann im Frühling reisen wir zusammen. Du kannst inzwischen eine andere Wissenschaft lernen: so verlierst du deine Zeit nicht.«
Bucciuolo war damit zufrieden und versprach, auf ihn zu warten. Die Zeit nicht zu verlieren ging also Bucciuolo zu seinem Meister und sprach: »Ich habe mich entschlossen, auf meinen Gesellen und Vetter da zu warten, und bitte Euch, mich unterdessen irgendeine andere schöne Wissenschaft zu lehren.«
Der Meister versetzte, er sei es zufrieden, und sprach: »Suche dir eine Wissenschaft aus, welche du willst, und ich will sie dich gern lehren.«
Da sprach Bucciuolo: »Lieber Meister, ich möchte gern lernen, wie man sich verliebt, und wie man sich dabei zu verhalten hat.«
Der Meister entgegnete lächelnd: »Das gefällt mir nicht übel. Du hättest nicht leicht eine Wissenschaft wählen können, womit ich zufriedener gewesen wäre. Begib dich also nächsten Sonntagmorgen in die Kirche der Minoritenbrüder, wenn alle Frauen dort versammelt sind, und gib wohl acht, ob eine ist, die dir wohlgefällt; und findest du eine, so folge ihr von weitem, bis du siehst, wo sie wohnt, und dann komm wieder zu mir! Und dies soll die erste Aufgabe sein, die du zu lernen hast.«
Bucciuolo ging, und am folgenden Sonntagmorgen fand er sich nach der Anweisung seines Meisters in der Minoritenkirche ein, um die Frauen zu mustern, welche sich zahlreich genug versammelt hatten. Unter ihnen sah er eine, die ihm sehr gefiel, denn sie war gar schön und reizend. Als sie daher die Kirche verließ, folgte ihr Bucciuolo und sah und merkte sich das Haus, wo sie wohnte, woraus die Dame abnahm, daß dieser Student im Begriffe sei, sich in sie zu verlieben. Bucciuolo ging zu seinem Meister zurück und sprach: »Ich habe getan, was Ihr mir sagtet, und eine gefunden, die mir sehr gefällt.«
Darüber hatte der Meister eine große Freude und lachte heimlich über Bucciuolo wegen der Kunst, die er lernen wollte. Dann sprach er zu ihm: »Jetzt mußt du suchen, zwei- oder dreimal täglich anständig an ihrem Fenster vorüberzugehen. Nur halte die Augen bei dir und laß niemand merken, daß du nach ihr hinblickst! Weide dich jedoch so lange an ihrem Anschauen, bis sie deine Neigung gewahrt, und dann komm wieder zu mir! Das soll deine zweite Aufgabe sein.«
Hierauf verließ Bucciuolo seinen Meister und begann mit kluger Vorsicht an dem Hause seiner Dame vorüberzugehen, bis sie deutlich erkannte, daß es um ihretwillen geschehe. Da fing sie an, auch nach ihm zu blicken, so daß Bucciuolo anfing, sich bescheiden vor ihr zu verneigen, was sie mehrmals erwiderte, woraus Bucciuolo schloß, daß die Frau ihn liebe. Er berichtete daher seinem Meister alles, worauf dieser antwortete und sprach: »Recht schön; ich bin mit dir zufrieden; bis jetzt hast du dich in allem wohlgehalten. Nun mußt du Mittel suchen, ihr eines jener Weiber zuzuschicken, die in Bologna mit Spitzen, Börsen und dergleichen hausieren. Laß ihr sagen, du stehest ganz zu ihren Diensten; es sei niemand auf der Welt, den du mehr liebest als sie; du seiest gern bereit, alles für sie zu tun, was ihr gefalle. Dann wirst du hören, was sie dir antworten läßt! Und je nachdem du dann von ihr Bescheid erhältst, so komm wieder hierher und erzähle es mir, und ich werde dir sagen, was du weiter zu tun hast.«
Bucciuolo begab sich schnell hinweg und machte eine Hausiererin ausfindig, die zu diesem Behuf ganz tauglich war.
»Ihr könnt mir einen außerordentlichen Dienst leisten«, sprach er zu ihr, »für den ich Euch gut bezahlen will, so daß Ihr mit mir zufrieden sein sollt.«
Die Krämerin antwortete: »Ich will tun, was Ihr von mir fordert, denn ich lebe nur von dem, was ich mir verdiene.«
Darauf gab ihr Bucciuolo zwei Gulden mit der Erklärung: »Nun, so bitte ich Euch, daß Ihr mir heute einmal in die Straße Mascarella geht, wo eine junge Frau namens Madonna Giovanna wohnt, die ich über alles in der Welt liebe. Empfehlt mich ihr und sagt ihr, ich sei bereit, alles für sie zu tun, was ihr angenehm sein könnte! Das könnt Ihr dann in allerlei süße Worte einwickeln, wie sie Euch gewiß einfallen. Darum bitte ich Euch, so sehr ich weiß und kann.«
Die Alte sagte: »Laßt mich nur machen! Ich will schon den rechten Zeitpunkt finden.« »Geht«, antwortete Bucciuolo; ich erwarte Euch hier.«
Die Alte setzte sich gleich mit einem Korb voll Waren in Bewegung und ging damit zu der Frau, die sie unter der Türe sitzen fand, begrüßte sie und sprach sodann: »Madonna, ist Euch vielleicht etwas unter diesen meinen Waren gefällig? Nehmt keck heraus, was Euch gefällt!«
Dabei setzte sie sich zu ihr und begann, ihr Schleier, Börsen, Schnüre, Spiegel und anderes dergleichen vorzuzeigen. Nachdem sie vielerlei gesehen hatte, gefiel ihr unter allem besonders eine Börse, und sie sagte: »Wenn ich Geld hätte, würde ich gern diese Börse kaufen.«
Die Verkäuferin entgegnete: »Madonna, darauf braucht Ihr durchaus keine Rücksicht zu nehmen. Wählt, was Euch von meinem Krame irgend gefällt! Es ist mir alles schon bezahlt.«
Die Frau wunderte sich über diese Worte und über die besondere Freundlichkeit der Alten und fragte sie: »Was wollt Ihr damit sagen, gute Frau? Was bedeuten diese Worte?«
Die Alte sprach darauf ganz weinerlich: »Das will ich Euch wohl sagen. Ein Jüngling namens Bucciuolo hat mich hergeschickt. Er liebt Euch und ist Euch mit ganzer Seele ergeben. Es ist nichts auf der Welt, das er nicht für Euch tun würde, wenn es in seiner Macht stünde, und er läßt Euch sagen, daß ihm Gott keine größere Gnade erzeigen könnte, als wenn er ihm ein Gebot von Euch zukommen ließe. In der Tat, mir kommt es vor, als ob er sich ganz verzehrte vor lauter Begierde, mit Euch zu sprechen; und doch habe ich vielleicht nie einen rechtschaffeneren jungen Mann gesehen als ihn.«
Als die Frau diese Worte hörte, würde sie ganz rot im Gesicht und sagte, zu der Alten gewendet: »Wenn mich nicht die Rücksicht auf meine Ehre davon abhielte, so wollte ich Euch übel genug zurichten. Schämst du dich nicht, du garstige Alte, einer ehrbaren Frau solche Botschaft zu hinterbringen? Gott möge dich dafür strafen!« Bei diesen Worten nahm die junge Frau das Querholz der Tür zur Hand und wollte sie damit schlagen. »Wenn du je wieder hierher kommst«, rief sie, »so werde ich dich so bedienen, daß nicht mehr viel von dir zu sehen ist.«
Das Mütterchen nahm also behende ihren Kram zusammen, ging ihrer Wege und hatte große Angst, sie möchte jene Stange verschmecken, hielt sich auch nicht für sicher, als bis sie wieder bei Bucciuolo angelangt war. Als Bucciuolo sie vor sich sah, fragte er sie, was sie bringe und wie seine Sache stehe.
»Schlecht steht sie«, antwortete die Alte; »in meinem Leben bin ich nicht so erschrocken. Kurzum, sie will nichts von dir hören noch sehen. Und hätte ich mich nicht schnell aus dem Staube gemacht, so hätte ich wahrscheinlich eine Türstange zu verspüren gekriegt, die sie in der Hand hatte. Was mich betrifft, so habe ich keine Lust mehr zu ihr zurück, und ich rate auch dir, dich nicht mehr mit diesen Dingen zu befassen.« Bucciuolo blieb ganz trostlos zurück; dann begab er sich schnell zu seinem Meister und erzählte ihm, was ihm begegnet sei. Der Meister tröstete ihn und sprach: »Beruhige dich, Bucciuolo! Kein Baum fällt auf den ersten Streich. Geh heut abend noch einmal vorbei und gib acht, was sie dir für ein Gesicht macht, und ob sie aufgebracht scheint oder nicht! Dann komm wieder und sag es mir!«
Bucciuolo machte sich auf und ging nach der Wohnung seiner Geliebten. Diese hatte ihn nicht so bald erblickt, als sie geschwind ihrem Mädchen rief und sprach: »Geh dem Jungen dort nach und sag ihm in meinem Namen, daß er mich heut abend besuche und ja nicht ausbleibe!«
Das Mädchen kam zu ihm und sprach: »Mein Herr, Madonna Giovanna bittet Euch, sie diesen Abend zu besuchen, denn sie wünscht Euch zu sprechen.«
Bucciuolo war betroffen; doch antwortete er und sprach: »Sag ihr, ich werde mit Freuden kommen.«
Alsdann kehrte er schnell zu seinem Meister zurück und hinterbrachte ihm alles. Der Meister wunderte sich und fing an, heimlich zu argwöhnen, ob dies nicht gar seine eigene Frau sei, wie sie es in der Tat war.
»Schön«, sprach er zu Bucciuolo, »und wirst du hingehen?«
Bucciuolo antwortete: »Freilich.«
Da sprach der Meister: »Wenn du dann zu ihr gehst, so rufe doch erst bei mir an!«
Bucciuolo sagte: »Es soll geschehen.«
Damit ging er. Die junge Frau aber war wirklich die Gattin des Meisters. Bucciuolo wußte das nicht; aber der Meister fing schon an Eifersucht zu empfinden, denn er schlief den Winter über in der Schule, um noch bei Nacht den Studenten Vorlesungen halten zu können, und die Frau war zu Hause allein mit ihrer Magd. Der Meister dachte: »Ich möchte doch nicht, daß der auf meine Kosten studierte. Ich muß doch sehen, dahinterzukommen.«
Am Abend kam Bucciuolo und sagte: »Meister, ich gehe jetzt.«
Der Meister sagte: »Nun ja, so sei klug!« Bucciuolo entgegnete: »Laßt mich nur machen!« Damit verließ er den Meister. Er hatte sich einen dichten Panzer umgeschnallt, ein scharfes Schwert unter dem Arm, einen guten Dolch an der Seite; so ging er nicht wie ein Unbedachtsamer. Als er weg war, folgte ihm der Meister auf dem Fuß, ohne daß Bucciuolo etwas davon merkte. Er kam an die Tür der Dame, und kaum hatte er angeklopft, so schloß sie ihm auf und ließ ihn ein. Als der Meister merkte, daß es seine Frau war, geriet er ganz außer sich und sprach: »Nun sehe ich wohl, der studiert auf meine Kosten.«
Gleich beschloß er, ihn zu ermorden, lief nach der Schule zurück, ergriff ein Schwert und einen Dolch und kam in großer Wut wieder an das Wohnhaus mit dem Vorsatz, sich an Bucciuolo zu vergreifen. Vor der Türe angelangt, begann er mit Ungestüm zu klopfen. Die Frau saß eben mit Bucciuolo am Feuer, und da sie an die Türe klopfen hörte, dachte sie gleich, es sei der Meister, nahm den Bucciuolo und versteckte ihn unter einem Haufen ungetrockneter Wäsche, der auf einem Tische neben dem Fenster lag. Dann lief sie zur Tür und fragte, wer da sei.
Der Meister antwortete: »Mach auf! Du kannst dir's wohl denken, schlechtes Weib das du bist!« Die Frau schloß auf, und da sie ihn bewaffnet sah, rief sie: »O Himmel, Herr, was soll das?« Der Meister sprach: »Du weißt wohl, wen du im Hause hast!«
»Ich Unglückliche«, sagte sie, »was sprichst du? Bist du von Sinnen? Sucht nach, und wenn Ihr jemand findet, so vierteilt mich! Wie sollte ich jetzt anfangen, was ich doch nie getan habe? Hütet Euch, lieber Herr, daß Euch nicht der böse Feind etwas vorspiegelt, so daß Ihr um Eure Seligkeit kommt!«
Der Meister ließ eine Kerze anzünden und begann im Keller zwischen den Fässern zu suchen, stieg dann empor und suchte die ganze Kammer durch, unter dem Bette, durchstach den Strohsack nach allen Seiten und ließ mit einem Worte auch den kleinsten Winkel des Hauses nicht undurchforscht, ohne daß er doch Bucciuolo finden konnte. Seine Frau ging ihm dabei immer mit dem Licht in der Hand zur Seite und sagte oft: »Lieber Meister, schlagt ein Kreuz, denn gewiß hat Euch der Feind Gottes versucht und Euch eine Sache vorgespiegelt, die nimmermehr geschehen kann; denn wenn nur ein Haar an meinem Leibe nach so etwas verlangte, so brächte ich mich selber um. Darum bitte ich Euch um Gottes willen, laßt Euch nicht betören!«
Wie nun der Meister Bucciuolo nicht fand und die Frau fortwährend so reden hörte, maß er ihr fast Glauben bei, blies bald darauf seine Kerze aus und ging wieder nach der Schule. Die Frau riegelte sodann geschwind die Türe zu, zog Bucciuolo unter der Wäsche hervor, fachte ein helles Feuer an, bei dem sie dann einen großen fetten Kapaun verspeisten und mehrere Sorten Wein tranken. Während sie so eine vortreffliche Abendmahlzeit hielten, sagte die Frau wiederholt: »Siehst du, dieser mein Mann hat sich nicht träumen lassen, wo du seist.«
Nach vielen Scherzen und Kurzweilen nahm ihn die Frau bei der Hand und führte ihn in die Kammer, wo sie miteinander zu Bett gingen und sich in jener Nacht das Vergnügen verschafften, welches beide Teile wünschten, und einander wiederholt gesegneten. Und da die ersehnte Nacht vorüber war und der Morgen anbrach, stand Bucciuolo auf und sagte: »Madonna, ich muß nun von Euch scheiden. Habt Ihr mir noch irgend etwas zu gebieten?« »O ja«, sagte sie, »daß du diesen Abend wiederkommst!« Bucciuolo sagte: »Das soll geschehen.« Hierauf nahm er Abschied, ging hinaus und kehrte zur Schule zurück, wo er zu dem Meister sagte: »Ich habe Euch etwas zu erzählen, worüber Ihr genug lachen werdet.«
»Wieso?« antwortete der Lehrer.
»Gestern abend«, sagte Bucciuolo, »als ich bei ihr im Hause war, siehe, da kommt der Mann, sucht das ganze Haus durch und weiß mich doch nicht zu finden. Sie hatte mich unter einem Berg von Wäsche versteckt, die noch getrocknet werden sollte, und kurzum, sie wußte so klug zu sprechen, daß er endlich hinwegging; so daß wir nachher einen dicken Kapaun verzehrten und feine Weine tranken mit der größten Heiterkeit und Wonne, die Ihr Euch nur denken könnt, und so blieben wir munter und machten uns gute Zeit bis zum Morgen. Da ich nun die ganze Nacht wenig geschlafen habe, will ich mich jetzt zur Ruhe legen, denn ich habe ihr versprochen, diesen Abend wieder zu ihr zu kommen.«
Der Meister sagte: »Wenn du hingehst, so künde es mir doch an!«
Bucciuolo antwortete: »Herzlich gern!«
Darauf verließ er ihn. Der Meister aber war ganz von Zorn entbrannt, daß er sich vor Schmerz nicht zu fassen wußte und den ganzen Tag nicht imstande war, eine Vorlesung zu halten, so sehr war sein Herz in Anspruch genommen. Immer dachte er daran, wie er ihn am nächsten Abend erreichen werde, und borgte sich einen Panzer und eine Pickelhaube.
Als es an der Zeit war, begab sich der sorglose Bucciuolo zu seinem Lehrer und sagte: »Jetzt gehe ich.«
Der Meister sprach: »Geh nur und komm morgen früh wieder und erzähle mir, wie es dir ergangen ist!«
Bucciuolo antwortete: »Das will ich tun.«
Dann machte er sich ungesäumt auf den Weg nach dem Hause der Frau. Der Meister aber legte alsbald seine Waffen an, folgte dem Bucciuolo fast auf dem Fuße und gedachte ihn noch unter der Tür zu erwischen. Die Frau aber hatte ihren Liebhaber erwartet, ließ ihn ein und verschloß die Tür wieder.
Der Meister kam im Augenblick darauf und begann zu pochen und einen gewaltigen Lärm zu machen. Die Frau löschte schnell das Licht aus, schob den Bucciuolo hinter sich, schloß die Tür auf und umarmte ihren Gemahl, während sie mit dem andern Arm den Bucciuolo hinausschob, ohne daß ihr Mann es merkte. Dann fing sie an zu schreien: »Herbei, herbei, der Meister ist toll geworden!« Dabei hielt sie ihn fest umschlungen.
Die Nachbarn liefen auf den Lärm herbei, und da sie den Meister so bewaffnet sahen und die Frau rufen hörten: »Haltet ihn, denn er ist übergeschnappt vom vielen Studieren!«, glaubten sie es und waren der Überzeugung, daß er von Sinnen sei. Sie fingen daher an und sprachen: »Ei, Meister, was soll das bedeuten? Geht zu Bette, um auszuruhen, und strengt Euch nicht weiter an!«
Der Meister sagte: »Wie soll ich zur Ruhe kommen, wenn das schlechte Weib einen Mann im Hause hat, den ich selbst hereinschleichen sah?«
Da rief die Frau: »Ich unglückliches Weib! Fragt alle diese Nachbarn, ob sie mir den geringsten Fehltritt nachsagen können!«
Da antworteten Männer und Frauen aus einem Munde: »Meister, habt doch nicht solche Gedanken! Es ward ja nie eine bessere Frau geboren als diese, von reinem Sitten und unbefleckterm Ruf.« »Was?« rief der Meister. »Wenn ich nun selbst einen hereinschleichen sah und weiß, daß er hier ist ?«
Unterdessen kamen zwei Brüder der Frau. Da fing sie gleich an zu weinen und sprach: »Liebe Brüder, seht her, mein Mann da ist übergeschnappt und will mich ums Leben bringen, weil er behauptet, ich habe einen Mann im Hause. Ihr wißt doch wohl, daß ich nicht derart bin, daß man mir derlei vorwerfen kann.«
Die Brüder sprachen: »Wir wundern uns sehr, wie Ihr unsere Schwester hier ein schlechtes Weib nennen dürft. Was bringt Euch denn heute so plötzlich gegen sie auf, da sie doch schon so lange mit Euch zusammenlebt?«
Der Meister erwiderte: »Ich sage Euch, es ist einer hier im Hause, und ich habe ihn selbst gesehen.«
»Wohlan«, antworteten die Brüder, »laßt uns ihn suchen! Und finden wir ihn, so wollen wir so bei ihr aufräumen und sie dergestalt bestrafen, daß Ihr zufrieden sein sollt.«
Einer der beiden rief die Schwester beiseite und sprach: »Sage mir die Wahrheit, hast du einen im Hause?«
Die Frau erwiderte: »Weh mir, was sagst du? Der Heiland bewahre mich davor und gebe mir eher den Tod, ehe ich auch nur mit einem Härchen mich so etwas gelüsten lasse. Weh, soll ich jetzt begehen, was nie eine aus unserm Hause beging? Schämst du dich nicht, mich nur danach zu fragen?«
Den Bruder beruhigte dies sehr, und sie begannen nun zugleich mit dem Meister Haussuchung zu halten. Der Meister stürzte plötzlich auf jene Wäsche los und durchbohrte sie, als fechte er mit Bucciuolo, denn er glaubte, da sei er verborgen.
»Hab' ich's euch nicht gesagt«, rief die Frau, »daß der Meister übergeschnappt ist? Die Waschleinwand zu verderben, die ihm nichts zuleide getan hat!«
Da sahen die Brüder, daß der Meister von Sinnen sei; und nachdem sie alles genau durchsucht und nichts gefunden hatten, sagte der eine: »Er ist verrückt.«
Und der andere sprach: »Meister, in der Tat, lieber Meister, Ihr habt sehr unrecht, unsere Schwester als ein schlechtes Weib hinzustellen.«
Darüber geriet der Meister in die äußerste Wut, weil er wußte, was er gesehen hatte, und begann sich mit höchst leidenschaftlichen Worten gegen sie auszulassen, wobei er immer das bloße Schwert in der Hand hielt. Da nahmen die Brüder jeder einen derben Stock in die Hand und prügelten den Meister so reichlich durch, bis sie ihm die beiden Stöcke auf dem Rücken zerbrochen hatten. Dann knebelten sie ihn als einen Verrückten, der, wie sie sagten, vom allzuvielen Studieren übergeschnappt sei, und hielten ihn die ganze Nacht gebunden, während sie sich mit ihrer Schwester zur Ruhe begaben.
Am Morgen ließen sie einen Arzt rufen; der verordnete, ihm an der Feuerseite ein Bett zu machen, und befahl, man solle ihn mit niemand reden lassen, ihm auch auf nichts antworten und ihn so lange fasten lassen, bis er wieder bei Verstand wäre; was denn auch pünktlich vollzogen wurde. Das Gerücht verbreitete sich durch Bologna, der Meister sei ein Narr geworden; jedermann bedauerte ihn deshalb, und einer sagte zum andern: »Gewiß, ich habe es schon gestern bemerkt, denn er war nicht imstande, unsere Vorlesung zu halten.«
Ein anderer sagte: »Ich sah es ganz, wie er ein anderer Mensch wurde.«
Und also erklärten ihn allesamt für einen Verrückten und verabredeten, ihn miteinander zu besuchen.
Bucciuolo wußte von alledem nichts und kam zur Schule, um dem Meister auch seine neuesten Erlebnisse mitzuteilen. Dort angelangt, erfuhr er denn, daß der Meister verrückt geworden sei. Bucciuolo erstaunte und betrübte sich darob gar sehr und begleitete die andern nach dem Hause des Meisters. Da begann er aber sich über die Maßen zu verwundern, ja er sank fast in Ohnmacht, als er erkannte, wie es um die Sache beschaffen sei. Damit aber niemand etwas merke, ging er mit den andern hinein. Im Saale angelangt, sah er den Meister ganz erschöpft und gefesselt am Feuer im Bett liegen. Die Studenten drückten dem Meister alle ihr Beileid aus und erklärten ihm, wie sehr sie sein Unglück bedauerten. Als aber die Reihe an Bucciuolo kam, sagte er zu ihm: »Lieber Meister, Ihr tut mir leid wie mein Vater, und wenn ich Euch in irgend etwas gefällig sein kann, so gebietet über mich wie über einen Sohn!«
Der Meister antwortete und sprach: »Bucciuolo, Bucciuolo, lauf mit Gott von dannen! Du hast auf meine Kosten studiert.«
Die Frau fügte hinzu: »Achtet nicht auf seine Worte, denn er faselt und weiß selber nicht, was er spricht.« Bucciuolo aber ging hinweg, suchte Pietro Paolo auf und sagte: »Lieber Bruder, gehab dich wohl! Ich habe nun so viel gelernt, daß mir der Appetit vergangen ist.« Darauf reiste er ab und kam glücklich nach Rom.
In Neapel war eine edle Dame, Frau Corsina genannt, aus Capovana gebürtig, und einem vornehmen Ritter vermählt, namens Ramondo del Balzo. Nach Gottes Willen geschah es aber, daß sie Witwe ward und ein einziger Sohn ihr verblieb, Carlo geheißen, der in Sprechen und Tun auffallend seinem Vater Messer Ramondo glich, weshalb ihn die Mutter zärtlich liebte und ihn nach Bologna schicken wollte, da zu studieren und ein tüchtiger Mann zu werden, was sie auch tat. Die Mutter gab ihm einen Lehrer bei, versah ihn mit Büchern und allem, was er bedurfte, und schickte ihn in Gottes Namen nach Bologna, wo sie ihn manche Jahre auf ihre Kosten hielt und mit allem Nötigen ausstattete. Der Jüngling studierte auch dort mit vielem Erfolge und ward in kurzer Zeit ein tüchtiger Gelehrter; und fast alle andern Studierenden Bolognas wollten ihm wohl seiner guten Eigenschaften und des schönen und anständigen Lebens wegen, das er führte. Nun geschah es, daß dieser Jüngling, als er sich ausgebildet und die Würde eines Lizentiaten der Rechte erlangt hatte, eben nach Neapel zurückzukehren gedachte, als er einer tödlichen Krankheit verfiel. Alle Ärzte Bolognas bemühten sich um seine Heilung und Rettung, wußten aber den Weg dazu nicht zu finden. Da nun Carlo sah, daß ihm nicht zu helfen sei, sprach er zu sich selber: »Ich traure und betrübe mich nicht so sehr um mich als um meine trostlose Mutter, die alles an mich gewandt hat, was sie besaß, in der Erwartung, daß ich sie dereinst dafür entschädigen würde: ohne Zweifel hoffte sie, ich würde die Stütze ihres Alters sein und die Ehre unseres Hauses aufrechtzuerhalten wissen. Wenn sie nun hört, daß ich gestorben sei und sie mich nicht einmal habe wiedersehen können, das wird ihr gewiß ein tausendfacher Tod sein.« So nahm er sich seine Mutter mehr zu Herzen als sein Sterben. Indem er nun diesen Gedanken nachhing, glaubte er ein Mittel gefunden zu haben, daß sich seine Mutter über seinen Tod nicht betrübe, und schrieb ihr einen Brief dieses Inhalts: »Liebe Mutter, ich bitte Euch, mir doch ein Hemd zu schicken, das von der Hand der muntersten, kummerfreisten und schönsten Frau in ganz Neapel genäht sei.«
Diesen Brief erhielt die Mutter, die sich, sobald sie ihn gelesen hatte, sogleich aufmachte, Erkundigungen einzuziehen, wo sie eine Dame, die von allem Kummer frei sei, in kurzer Zeit fände: das letzte schien das Schwierigste, da sie doch voll Eifer war, ihrem Sohn zu dienen. Nun suchte sie so lange, bis sie eine Dame fand, die ihr schön und heiterer schien, als sie sich eine zu finden getraute. Demgemäß begab sich Frau Corsina zutraulich in das Haus dieser jungen Frau, die sie sehr freundlich empfing und sie tausendmal willkommen hieß. Da sprach Frau Corsina zu ihr: »Ihr erratet wohl nicht, warum ich zu Euch komme. Aus keinem andern Grunde, als weil ich bei mir erwogen habe, daß Ihr die heiterste Frau in ganz Neapel seid und meines Erachtens am wenigsten mit Kummer und Trübsal zu schaffen habt, und darum wollte ich Euch um eine große Gefälligkeit ersuchen, nämlich, daß Ihr mir mit eigener schöner Hand ein Hemd säumen möchtet, das ich meinem Sohne schicken will, der mich darum gebeten hat.«
Die junge Frau versetzte: »Ihr hättet bei Euch erwogen, sagt Ihr, ich sei die glücklichste Frau in ganz Neapel?« »So ist es«, sprach Frau Corsina.
»So will ich Euch denn zeigen«, fuhr jene fort, »daß gerade das Gegenteil der Fall ist, indem ich Euch den Beweis liefere, daß nie ein unglücklicheres Weib geboren ward, die mehr Herzeleid und Kummer hatte als ich. Und damit Ihr Euch davon überzeugt, so kommt mit!« Hiermit nahm sie die Fremde bei der Hand und führte sie in ein Vorzimmer und zeigte ihr einen Jüngling, der mit dem Hals an einem Balken hing.
»O Gott, was ist das ?« rief Frau Corsina.
Die junge Frau holte einen tiefen Seufzer herauf und sprach: »Frau Corsina, das war ein trefflicher Jüngling, der sich in mich verliebt hatte. Mein Gemahl fand ihn eines Tages bei mir und hing ihn hier auf, wie Ihr ihn da seht, und was mich noch mehr schmerzt, jeden Abend und jeden Morgen zeigt er ihn mir, und ich muß ihn sehen: urteilt selbst, ob es mir beschwerlich und schmerzlich ist, ihn jeden Abend und jeden Morgen sehen zu müssen. Deshalb, wenn Ihr aus einem andern Grunde wünscht, daß ich Euch das Hemd nähe, so will ich es gerne tun, aber nicht, weil ich die glücklichste Frau sei: ich bin vielmehr die unseligste und beklagenswerteste, die je auf der Welt gelebt hat.«
Hierüber wunderte sich Frau Corsina sehr und sprach: »Ich sehe wohl, daß es keine Frau gibt, die nicht Leid und Kummer trage, und die am meisten, die am heitersten scheint.« Und so nahm sie Abschied von der jungen Frau, ging nach Hause und schrieb ihrem Sohne, er möge entschuldigen, daß sie ihm das Hemd nicht schicken könne, denn sie finde keine, die nicht Kummer und Leid habe, so viel sie nur tragen könne.
Wenige Tage darauf aber meldete ihr ein Brief den Tod ihres Sohnes; da sprach sie als eine verständige Frau zu sich selber: »Ich sehe wohl, daß es keine Frau in der Welt gibt, die keinen Kummer hätte. Auch die Jungfrau Maria hatte Kummer, die doch die Frau aller Frauen war. Darum will ich mich zufrieden geben, da ich sehe, ich bin es nicht allein. Gott verzeihe ihm und vergesse meiner nicht!«
Und hiermit beruhigte sie sich und lebte zufrieden und glücklich.
Es lebten einst in Florenz – und sie leben noch heute – zwei sehr vornehme Familien, von denen die eine sich Buondelmonti, die andere Acciaiuoli nennt. Ihre Häuser liegen einander gerade gegenüber in einer Straße, die Borgo Santo Apostolo heißt; und beide sind gute, alte Familien. Nun geschah es, daß sie infolge eines bestimmten Streites, der zwischen ihnen entstand, Todfeinde wurden, so daß beide Teile immer mit den Waffen ausgingen, indem sie sich voreinander vorsahen, und alle waren von der äußersten Wachsamkeit.
Nun gab es im Hause der Acciaiuoli eine verheiratete Frau, die die keckste und schönste junge Frau von Florenz war und Nicolosa hieß; und ein junger Mann von den Buondelmonti hatte sich stark in sie verliebt. Die Dame konnte nicht in ihr Schlafzimmer gehen, ohne daß er sie von einem seiner Fenster aus gesehen hätte, das gerade gegenüber lag, und oft hatte er sie im Sommer ganz nackt gesehen, wie sie sich aus ihrem Bett erhob. Da dieser Buondelmonte nun von Liebe zu ihr entbrannt und doch mit ihrem Gatten verfeindet war, wußte er nicht, was er machen sollte; aber eines Tages kam er auf den Gedanken, mit einem Mädchen dieser Frau Nicolosa zu sprechen, und so tat er auch. Wie er eines Tages dieses Mädchen auf den Markt gehen sah, rief er sie an und bat sie, ihm einen Gefallen zu tun, wobei er aus seiner Geldtasche sechs Groschen herausnahm und sagte: »Kaufe dir für dies Geld, was du willst!«
Das geldgierige Mädchen nahm es und sagte: »Was wollt Ihr von mir?«
Buondelmonte erwiderte: »Ich bitte dich, mich Frau Nicolosa zu empfehlen und ihr in meinem Namen zu sagen, daß ich kein anderes Glück in der Welt habe als sie, und daß sie so freundlich sein möchte, Mitleid mit mir zu haben.«
»Wie sollte ich ihr das sagen?« antwortete das Mädchen; »denn Ihr wißt doch, daß ihr Gatte Euer Feind ist?«
»Mach du dir deswegen keine Sorge«, beruhigte Buondelmonte sie, »sage es ihr trotzdem, und laß mich wissen, was sie dir antworten wird!«
»Es wird geschehen«, sprach das Mädchen.
Nun geschah es, daß eines Tages, als die Dame zusammen mit dem Mädchen am Fenster stand, das Mädchen tief seufzte, worauf die Dame sie fragte: »Was hast du?«
»Gnädige Frau, ich habe nichts«, erwiderte sie.
»Ich will, daß du es mir sagst«, fuhr die Dame fort, »denn ohne Grund seufzt man nicht so stark.«
»Verzeiht mir, gnädige Frau,« entgegnete das Mädchen, »aber ich werde es Euch nie sagen.«
»Du wirst es doch tun«, sagte die Dame, »sonst bin ich mit dir böse.«
Das Mädchen antwortete: »Da Ihr durchaus wollt, daß ich es Euch sage, so werde ich es Euch sagen. Die Wahrheit ist, daß dieser Buondelmonte, der hier gegenüber wohnt, mich mehrmals gebeten hat, Euch einen Auftrag von ihm auszurichten, und ich habe es bis jetzt noch nicht gewagt, es zu tun.«
»Nun, was hat denn dieser verwünschte Kerl zu dir gesagt?« fragte die Frau.
»Er hat mir gesagt, ich sollte Euch mitteilen, daß es keinen Menschen auf der Welt gebe, den er lieber hätte als Euch, und daß es nichts gäbe, was er nicht für Euch tun würde, – so groß ist die Liebe, die er für Euch empfindet; und Ihr möchtet die Freundlichkeit haben, ihn als Euren vertrautesten Diener anzunehmen, da er auf der Welt keinen anderen Gebieter hat als Euch. Und er sagt, daß er es für die größte Gnade halten würde, wenn er etwas tun könnte, was Euch gefiele.«
Die Frau antwortete ihr: »Wenn er mit dir noch ein einziges Mal sprechen wird, wirst du ihm ins Gesicht schlagen; und komm mir nicht mehr mit solchen Geschichten: denn du weißt genau, daß er der Feind meines Mannes ist.«
Das Mädchen zögerte nicht lange, ging hinaus, winkte Buondelmonte und sagte zu ihm: »Kurz und bündig, sie will von Euch nichts wissen.«
Buondelmonte erwiderte: »Wundere dich darüber nicht: denn so machen es die Frauen zuerst immer. Aber sobald du Gelegenheit hast und du sie gut gelaunt findest, sagst du ihr dasselbe noch einmal und fügst hinzu, daß ich ganz verrückt nach ihr bin; und ich verspreche dir, du sollst einen besseren Rock tragen als den da.«
»Laßt mich nur tun«, war ihre Antwort.
Als eines Tages Frau Nicolosa sich anschickte, ein Fest zu besuchen, und das Mädchen ihr beim Ankleiden half, geschah es durch Zufall, daß sie sich wieder über dasselbe Thema unterhielten, und die Dame fragte sie: »Hat dieser verwünschte Kerl wieder zu dir über mich gesprochen?«
Sogleich fing das Mädchen zu weinen an und sagte: »Ich wünschte, ich wäre zu der Stunde und an dem Tage gestorben, wo ich in dies Haus gekommen bin!«
»Wie?« fragte die Dame.
»Weil Buondelmonte mich unaufhörlich belästigt. Nirgends kann ich hingehen, ohne daß er mich verfolgt und mich mit gekreuzten Armen bittet, Euch zu sagen, daß er sich verzehrt und aus Sehnsucht nach Euch vergeht, und daß er nur glücklich ist, wenn er Euch hört oder sieht oder von Euch sprechen hört. Und niemals sah ich größere Anhänglichkeit als die seine, so daß ich nicht weiß, was ich Euch sagen soll, außer daß ich Euch um Gottes Barmherzigkeit willen bitte, es möge Euch gefallen, mir dieses Ungemach und diese Qual vom Halse zu schaffen, oder daß Ihr mir die Erlaubnis gebt, wegzugehen, damit ich auf Nimmerwiedersehen verschwinden kann; oder ich werde mir das Leben nehmen, um von hier wegzukommen. Denn er versteht es, mich so herzlich und mit solcher Liebenswürdigkeit zu bitten, daß ich nicht weiß, wer ihm widerstehen könnte. Und ich möchte gern, daß es möglich wäre – unbeschadet Eurer Ehre –, daß Ihr ihn bloß ein einziges Mal anhörtet, damit Ihr selbst seht, ob ich die Wahrheit sage oder nicht.«
Die Frau entgegnete: »Ist er wirklich so wahnsinnig in mich verliebt, wie du sagst?«
»Hundertmal mehr, als ich sage«, antwortete das Mädchen.
»Das nächste Mal«, fuhr die Dame fort, »wenn er wieder mit dir spricht, sollst du ihm in meinem Namen sagen, er möchte mir ein Kleid von demselben Stoff schicken, den seine Schwester heute früh in der Kirche trug.«
Das Mädchen erwiderte: »Gnädige Frau, ich werde es ihm bestellen.«
Und sobald die Dame ausgegangen war, ging sie zu Buondelmonte und erzählte ihm, was ihre Herrin ihr gesagt hatte; »und du bist gescheit«, fügte sie hinzu, »und weißt, was du zu tun hast.«
Buondelmontes Antwort war: »Laß mich nur tun und geh mit Gott!«
Und sofort kaufte er ein sehr schönes Kleid aus dem Stoff, den sie gewünscht hatte, und als es ihm Zeit zu sein schien, winkte er dem Mädchen und sagte: »Da, bring' es der, der ich angehöre, und sage ihr, daß Stoff, Seele und Körper immer ihr zur Verfügung ständen!«
Das Mädchen beeilte sich, das Kleid ihrer Herrin zu bringen, und sprach: »Buondelmonte sagte, Stoff und Seele und Körper stehen immer zu Eurer Verfügung.«
Die Dame nahm den Stoff, und nachdem sie ihn sich angesehen hatte, sprach sie: »Geh und sage meinem lieben Buondelmonte meinen besten Dank, und sage ihm, er solle sich bereit halten, zu mir zu kommen, jedesmal wenn ich nach ihm schicke!«
Sofort ging das Mädchen zu Buondelmonte und richtete ihm die Bestellung aus, worauf er antwortete: »Sage ihr, daß ich ihr zu jedem Wunsche zur Verfügung stehe!«
Nun geschah es, daß die Dame, um ihre Absicht besser ausführen zu können, so tat, als ob sie krank wäre; daher kam der Arzt sogleich zu ihr ins Haus. Die Dame sagte, sie hätte den Wunsch, im Erdgeschoß zu schlafen; worauf der Gatte sogleich unten in einem Zimmer des Erdgeschosses ein Bett und alles Nötige herrichten ließ. Als das Zimmer zurechtgemacht war, schlief sie dort und mit ihr eine Zofe und jenes Mädchen. Ihr Mann fragte jeden Abend, wenn er nach Hause kam, seine Frau, wie es ihr ginge, und hielt sich einige Zeit bei ihr auf; dann ging er zum Schlafen in sein Zimmer. Jeden Morgen und jeden Abend kam der Arzt zu ihr, und dies Zimmer war mit allem versehen, was sie brauchte. Wie es der Dame nun die geeignete Zeit zu sein schien, schickte sie zu Buondelmonte und ließ ihm sagen, er möchte in der kommenden Nacht um die dritte Stunde zu ihr kommen. Dem Buondelmonte schienen es bis dahin noch tausend Jahre zu sein; und als endlich die Stunde kam, verließ er, ordentlich bewaffnet, seine Wohnung und ging zu dem Haus der Dame hinüber; sowie er klopfte, wurde ihm geöffnet, und er trat ein. Nun nahm ihn die Dame bei der Hand, führte ihn in ihr Zimmer, ließ ihn sich neben sie setzen und fragte ihn, wie es ihm ginge.
Buondelmonte antwortete: »Gnädige Frau, es geht mir gut, wenn ich in Eurer Gunst stehe.«
»Mein lieber Buondelmonte«, sprach sie weiter, »acht Tage bin ich im Bett geblieben, bloß um mein Vorhaben in um so größerer Heimlichkeit ausführen zu können. Und deshalb habe ich ein Bad mit wohlriechenden Kräutern vorbereiten lassen, worin wir baden wollen; und dann werden wir ins Bett gehen.«
Buondelmonte erwiderte: »Ich bin mit allem zufrieden, was Euch beliebt.«
Darauf ließ sie ihn sich ausziehen und ins Bad steigen, das in einer Ecke des Zimmers stand, verborgen und innen mit einem Laken und von außen mit einer wollenen Decke ausgeschlagen, so daß die Wärme nicht entweichen konnte.
Als Buondelmonte nun sich ausgezogen hatte und ins Bad gestiegen war, sagte die Dame: »Jetzt werde ich mich ausziehen, und dann komme ich.« Und sie nahm alle Kleidungsstücke Buondelmontes bis auf die Schuhe und steckte sie in eine ihrer Truhen und verschloß diese dann. Darauf löschte sie das Licht aus, warf sich auf ihr Bett und begann zu schreien: »Zu Hilfe! Zu Hilfe!« und machte so großen Lärm.
Buondelmonte stürzte aus dem Bad, suchte nach seinen Kleidern, fand sie aber nicht. Und da es dunkel war, konnte er den Weg nach der Tür nicht finden; darüber verlor er den Kopf, wie er sich verraten und schon fast tot sah, und kehrte in das Bad zurück.
Der Lärm verbreitete sich im Hause, und sogleich kamen Acciaiuolo und seine Diener bewaffnet herunter, und in einem Augenblick waren auch alle seine Freunde da: das ganze Zimmer war voll von Männern und Frauen, und fast das ganze Stadtviertel ergriff die Waffen wegen der dort herrschenden Feindschaften. Ihr könnt euch denken, in welcher Gemütsverfassung Buondelmonte war, wie er sich nackt im Hause seines Feindes sah und seine Feinde bewaffnet im Zimmer hörte. Er befahl seine Seele Gott; dann setzte er sich mit gekreuzten Armen und erwartete noch immer den Tod.
Der Ehemann fragte Nicolosa: »Was hast du?«
Sie antwortete: »Mir ist plötzlich so schlecht geworden mit einem solchen Schwindel- und Schwächeanfall, daß ich dachte, das Herz im Leibe würde mir ganz zugeschnürt.«
Darauf entgegnete der Mann beinahe zornig: »Ich glaubte schon, du lägest im Sterben – so sehr hast du geschrien.«
Die Frauen, die um sie herumstanden, rieben ihr die Arme, andere die Füße, die einen mit warmen Tüchern, die anderen mit Rosenwasser; infolgedessen begannen die Männer wegzugehen. Dann sagte der Ehemann: »Das ist ein Anfall meiner Frau, die schon seit mehreren Tagen leidend ist.«
Daraufhin entfernten sich alle, und der Ehemann ging wieder nach oben und legte sich ins Bett, während der Frau noch mehrere Frauen Gesellschaft leisteten. Und nach einem Weilchen tat die Frau, als habe sie sich erholt, und verabschiedete die Frauen mit den Worten: »Ich möchte nicht, daß ihr eine schlechte Nacht habt«; und so gingen alle Frauen fort, und sie blieb allein mit der Zofe und dem Mädchen zurück. Daher stand sie auf, ließ ein paar weiße Laken nehmen und das Bett frisch beziehen. Als es ihr Zeit schien, verabschiedete sie die Mädchen, verschloß die Tür des Zimmers, zündete eine Fackel an und ging zu dem Bad, wo sie Buondelmonte halbtot fand. Sie rief ihn, er aber sagte kein Wort. Sie nahm ihn und stieg mit ihm ins Bad, und umarmte ihn mit den Worten: »Mein lieber Buondelmonte, ich bin deine Nicolosa, – warum sprichst du kein Wort zu mir?« Und sie nahm ihn am Hals, zog ihn aus dem Bad, legte ihn ins Bett und versuchte ihn zu wärmen, indem sie mehrmals sagte: »Ich bin deine Nicolosa, nach der du dich so lange Zeit gesehnt hast. Jetzt hast du mich zu freier Verfügung und kannst mit mir machen, was du willst.«
Aber er war wirklich so durchgefroren, daß er nicht reden konnte. Nach einiger Zeit jedoch sagte er: »Gnädige Frau, habt die Freundlichkeit, mir die Erlaubnis zu geben, daß ich weggehen darf!«
Wie die Dame seine Stimmung sah, stand sie auf, öffnete die Truhe und nahm alle seine Kleider und seine Waffen heraus. Als er sich nun wieder angekleidet hatte, verabschiedete er sich mit den Worten: »Meine gnädige Frau, Gott behüte Euch! Ich habe mein Teil weg!« Und so ging er fort und kehrte nach Hause zurück; wegen der Angst, die er dabei ausgestanden hatte, mußte er aber mehr als einen Monat das Bett hüten.
Bald verbreitete sich diese Geschichte unter den Damen, ohne daß man die Namen oder die näheren Umstände mitteilte. Man erzählte bloß, daß eine Dame ihren Liebhaber hinters Licht geführt hätte, und diese Geschichte war fast in ganz Florenz verbreitet. Als Buondelmonte sie erzählen hörte, tat er mehrmals so, als ob sie ihn gar nicht anginge, und schwieg still, indem er die Zeit abwartete.
Nun geschah es, daß zwischen den beiden Familien Frieden geschlossen wurde, und während sie erst Feinde waren, wurden sie alle Freunde und Brüder, und besonders die beiden Männer, so daß sie Tag und Nacht zusammen waren.
Eines Tages rief Frau Nicolosa ihr Mädchen und sagte zu ihr: »Geh und sage Buondelmonte, daß ich mich sehr über ihn wundere: denn jetzt, wo es sehr leicht möglich sein würde, schickt er mir keine Bestellung mehr.«
Das Mädchen ging zu ihm und sprach folgendermaßen: »Meine gnädige Frau wundert sich sehr über dich, daß du jetzt, wo es sehr leicht möglich wäre, ihr keine Bestellung mehr ausrichten läßt.«
Darauf antwortete Buondelmonte: »Du wirst Frau Nicolosa sagen, daß ich ihr niemals so ergeben gewesen bin wie jetzt; und wenn sie eines Abends kommen möchte, um mit mir zu schlafen, würde ich das für ein Zeichen ihrer höchsten Huld betrachten.«
Das Mädchen verließ ihn und richtete der Dame die Botschaft aus, worauf diese zur Antwort gab: »Sage ihm, daß ich für jeden Wunsch von ihm bereit bin; aber er soll ein Mittel finden, daß mein Mann außer dem Hause schläft, und dann werde ich kommen.«
Das Mädchen ging wieder zu ihm und sagte es ihm. Darüber war Buondelmonte sehr zufrieden und meinte: »Bestelle deiner Herrin, sie solle mich nur tun lassen und sich um nichts kümmern!« Und sogleich verabredete er, daß Acciaiuolo zum Abendessen in einen Ort namens Camerata eingeladen wurde, der eine Meile von Florenz entfernt ist, und mit dem Gastgeber machte er ab, daß jener dort übernachten sollte; und so geschah es auch.
Während nun der Ehemann der Dame zum Essen abends außerhalb von Florenz war, ging die Dame zum Übernachten zu Buondelmonte, wie verabredet war. Er empfing sie liebenswürdig in einem im Erdgeschoß gelegenen Zimmer, und nach vielen Erzählungen und Belustigungen sprach Buondelmonte zu der Dame: »Geht zu Bett!«, und sogleich zog sie sich aus und legte sich ins Bett. Buondelmonte nahm alle ihre Kleider, öffnete einen Kasten, steckte sie hinein, und dann sagte er: »Ich gehe nach oben, werde aber sofort wiederkommen.«
Die Dame sagte: »Geh, aber komm bald wieder!«
Er entfernte sich, schloß die Tür des Zimmers hinter sich zu, ging nach oben, zog sich aus, legte sich zu seiner Frau ins Bett und ließ Nicolosa allein.
Wie die Dame nun wartete, daß Buondelmonte zurückkäme, und er nicht kam, begann sie sich zu ängstigen; denn sie dachte an das, was sie ihm im Bade getan hatte, und sagte zu sich selbst: »Sicher wird er sich rächen wollen!« Und darauf stand sie auf, suchte ihre Kleider, fand sie aber nicht, bekam noch größere Angst, legte sich wieder ins Bett und war in einem Zustande, den jeder sich denken kann.
Gegen Morgen stand Buondelmonte auf und ging fort. Und wie er an die Schwelle seiner Haustür kam, sieht er Acciaiulo, der gerade aus Camerata zurückkehrte, hoch zu Roß, einen Sperber auf der Faust. Sie grüßten sich, und dann stieg jener vom Pferd, nahm Buondelmonte bei der Hand und sagte: »Ich kann dir die erfreuliche Mitteilung machen, daß wir mit vielen Kapaunen, vielen gebratenen Wachteln und mit den besten Weinen, die ich je trank, gefeiert haben. Den ganzen Abend hat man von dir gesprochen; aber man sagte, du habest nicht kommen wollen, denn du hättest einen schönen Abend gehabt.«
Ihm erwiderte Buondelmonte: »Heute nacht habe ich zum Schlafen die schönste Frau von Florenz bei mir gehabt, und sie ist noch in dem Zimmer, und niemals genoß ich größere Wonne als heute nacht.«
Acciaiuolo entgegnete: »Ich möchte sie gern sehen«, ergriff Buondelmonte am Arm und sagte: »Ich werde nicht eher von dir weggehen, als bis du sie mir gezeigt hast.«
»Ich bin damit einverstanden«, erklärte Buondelmonte, »sie dir zu zeigen; aber ich möchte nicht, daß du in meinem Hause irgendein Wort zu ihr sagst; jedoch wenn du willst, werde ich veranlassen, daß du sie vor morgen abend in deinem Hause hast; und dann wirst du jedes Vergnügen, das du willst, dir leisten können.«
»Gut, einverstanden!« sagte Acciaiuolo. Und so gingen sie in das Zimmer, worin die Frau sich befand. Als sie ihren Mann hörte, schwanden ihr die Sinne, und sie sprach zu sich selbst: »Jetzt bin ich schön hereingefallen, wie ich es verdiene!« Und sie hielt sich für verloren.
Und während sie so ohne Scham in dem Bett lag, stiegen Buondelmonte und ihr Ehemann mit einer brennenden Wachsfackel in der Hand auf das Bett. Buondelmonte ergriff schnell den Umschlag der Decke und bedeckte damit ihr Gesicht, damit ihr Mann sie nicht erkenne; dann trat er an das Fußende des Bettes und begann die Füße und Beine zu enthüllen; dabei stand der eine auf dieser, der andere auf der andern Seite.
»Hast du jemals«, fragte Buondelmonte, »schönere und rundere Beine gesehen als diese, die aussehen wie Elfenbein?«
Und so enthüllten sie sie Teil für Teil weiter bis zum Busen mit seinen zwei runden festen Brüsten, so daß man nie etwas Schöneres sah. Als sie nun bis zum Busen alles gesehen und mit den Augen und den Händen die höchste Wonne gehabt hatten, löschte Buondelmonte das Licht, ergriff Acciaiuoli und führte ihn hinaus, indem er ihm versprach, daß er die Frau noch vor dem Abend bei sich haben würde. Und Acciaiuolo sagte: »Wahrhaftig, niemals sah ich ein schöneres Wesen als diese, mit einer weißeren und schimmernderen Haut. Woher hast du sie, und wie hast du sie bekommen?«
Buondelmonte erwiderte: »Kümmere dich nicht darum, woher ich sie habe«, und dabei kamen sie zur Loggia; dort bildeten sie einen Kreis mit andern Männern, die schon da waren, und unterhielten sich über Angelegenheiten der Gemeinde. Als Buondelmonte sah, daß Acciaiuolo sich eifrig an den Gesprächen beteiligte, entfernte er sich und ging in das Zimmer zurück, öffnete den Kasten, nahm die Kleider der Dame heraus und ließ sie sich wieder anziehen; dann winkte er dem Mädchen, sie sollte ihre Gebieterin abholen und nach Hause begleiten. Er ließ sie zur Hintertür heraus, die auf ein Gäßchen führte, so daß es so aussah, als käme sie aus der Kirche; dann ging sie in ihr Haus, als sei nichts geschehen.
Auf diese Weise rächte sich Buondelmonte an Frau Nicolosa, die ihn auf die oben erzählte Weise hinters Licht geführt hatte.
In Val di Pesa, im Gebiete von Florenz, lebte einst ein Priester mit Namen Don Placido, welcher wegen einer Beschwerde nach Avignon zu gehen beschloß. Er machte sich daher auf und ging nach Pisa, stieg dort zu Schiff und fuhr nach Nizza in der Provence, wo er landete und in der Herberge eines gewissen Bartolomeo von Siena abstieg. Als der besagte Priester schon im Bette war, kam ein wackerer Knecht desselbigen Wirtes zu ihm an das Bett und sprach zu ihm: »Messere, es sind hier ein Paar Ordensbrüder in der Herberge, von denen der eine sehr krank ist, und da in dieser Gegend die Seuche gehaust hat, ist großer Mangel an Geistlichen. Darum bitte ich Euch, Ihr möget zu ihm kommen und nachsehen, wie es bei ihm steht.«
Der Priester antwortete: »Sehr gerne!«
Er zog sich eilends an und kam in das Zimmer, wo die beiden Brüder waren.
»Messere«, sagte der eine, »ich empfehle Euch diesen meinen Gefährten und Vater.«
Darum setzte sich der Priester an das Bett und fing an des kranken Bruders Beichte zu hören, ihn an sein Seelenheil zu mahnen und ihm dringend einzuschärfen, daß er sich mit unserm Herrn Gott aussöhne. Der gute Bruder wollte davon nichts hören, vielmehr starb er kurz darauf wie ein Verzweifelter. Der überlebende jüngere Bruder fing, als er den andern tot sah, laut zu wehklagen an. Der Priester tröstete ihn und bat ihn, sich zu beruhigen, da wir ja alle einmal sterben müssen. Nach kurzem Verweilen nahm er Abschied von dem Bruder, um in sein Zimmer zurückzukehren; aber der Bruder sprach zu ihm: »Messere, ich bitte Euch um Gottes willen, mich nicht zu verlassen und Mittel und Wege zu finden, wie wir diesen Toten bestatten. Erweist ihm doch alle Ehre, die Ihr könnt!«
Dann zog er einen Beutel von seiner Seite, worin sich etwa dreißig Gulden Geld befanden, und fuhr fort: »Da, nehmt dies zur Bestreitung der Auslagen und zahlt, was es kostet!«
Der Priester nahm den Beutel, ließ Diener und Knecht des Wirtes rufen, gab jedem ein Trinkgeld und schickte sie dann aus, um alles Erforderliche für die Beerdigung zu besorgen. Am Morgen war denn auch schon alles so ehrenvoll als möglich bereit, um den Bruder beizusetzen. Nachdem der Priester alles bezahlt hatte, kehrte er zu dem andern jüngern Bruder zurück, sprach ihm Trost zu und gab ihm den Beutel mit dem übrigen Gelde wieder. Unter Tränen fragte der Bruder den Priester, wohin er gehe. Der Priester antwortete: »Ich gehe nach Avignon.« Der Bruder sprach: »Da würde ich gerne mit Euch gehen.« »Ich bin gerne bereit«, versetzte der Priester, »Euch Gesellschaft zu leisten, denn für jeden von uns ist es besser, in Gesellschaft zu reisen, als allein.«
Nun schlug der Bruder wieder die Augen auf, und sein ganzes Gesicht erheiterte sich. Der Priester sah ihn fest an, und er meinte, nie schönere Augen als diese gesehen zu haben. Um euch aufzuklären, muß ich nämlich sagen, daß dieser Bruder ein Weib war und zwar eine Edelfrau aus Viterbo, wie ihr gleich hören werdet. Der Priester war indes der Ansicht, es sei ein Mann, und wunderte sich sehr über die schönen Augen und das feine Gesicht. Sobald sie übereingekommen waren, miteinander zu reisen, gab der Bruder dem Priester fünfzig Gulden mit den Worten: »Macht Ihr den Zahlmeister und befriedigt den Wirt nach seinem Begehren!«
Der Priester nahm das Geld und bezahlte den Wirt; darauf stiegen sie zu Pferd und schlugen die Straße nach Avignon ein. Um nicht erkannt zu werden, hatte sich der Bruder möglichst in sein Skapulier versteckt, drückte den Hut ins Gesicht, sprach wenig und ritt immer hintendrein. Der Priester meinte, er tue das aus Betrübnis und Schmerz über den Tod des andern Bruders, fing also an, Liedchen herzusagen und Spaße zu machen, um ihm die Grillen zu vertreiben; der Bruder aber blieb mäuschenstille und hängte nachdenklich den Kopf.
Am Abend kamen sie an eine Burg, welche Grassa heißt; dort stiegen sie ab in der Herberge einer Witwe, welche eine vor wenigen Tagen ebenfalls zur Witwe gewordene sehr schöne und anmutige Tochter hatte. Sobald sie abgestiegen waren, faßte die Wirtstochter den Bruder ins Auge und fand Gefallen an seinen feinen, schönen Zügen. Ja, sie verliebte sich wirklich in ihn und konnte nicht satt werden, ihn anzusehen.
Der Bruder sprach zu dem Priester: »Laßt Euch eine Schlafkammer geben mit zwei Betten!«
Es wurde sogleich besorgt.
Der Wirtin Töchterlein kochte am Abend selbst, erwies ihnen große Ehre, scherzte fortwährend mit dem Bruder und bot ihm am Abend mehrerlei Wein an. Der Priester merkte die Sache, tat aber, als sehe er nichts, und sprach bei sich selbst: Mich wundert's nicht, daß das Weibchen in ihn vernarrt ist, denn ich habe wohl lange Zeit kein so schönes Gesicht gesehen.
Als sie zu Nacht gegessen hatten, machte der Priester einen Ausgang, um die beiden nicht zu stören. Er dachte, der Bruder sei der Sohn irgendeines reichen Mannes, der nach Avignon gehe, um eine Pfründe zu erlangen; denn es schien ihm, er habe viel Geld. Als es Schlafenszeit war, kam der Priester wieder heim und sagte: »Messere, wollen wir zur Ruhe gehen?«
»Ja«, antwortete der Bruder, »wenn es Euch recht ist.« Kaum waren sie in ihrer Schlafkammer, so schickte die Wirtstochter dem Bruder durch einen Burschen eine Schachtel mit Zuckerwerk und einen sehr feinen Wein. Da sagte der Priester lächelnd: »Ihr habt gewiß heute früh Sankt Julians Paternoster gebetet, denn wir könnten keine bessere Herberge, keine schönere und gefälligere Wirtin finden.«
So fing er an mit dem Bruder zu scherzen. Der Bruder lachte darüber, sie sprachen einander zu und tranken von dem Weine.
»Gewiß«, sagte der Priester, »ich will nie dieses Weges gehen, ohne in dieser Herberge einzusprechen; freilich sollte ich dann auch immer Euch bei mir haben; denn diese Ehre gilt Euch, nicht mir.«
Der Bruder sagte lachend: »Fürwahr, das junge Weib ist recht hübsch.«
Der Priester antwortete: »Wenn wir sie nur heute nacht zwischen uns beiden liegen hätten!«
»Weh«, versetzte der Bruder, »was sagt Ihr?« Der Priester aber sagte: »Es kommt auf den Versuch an.«
Die Tochter der Wirtin hatte sich versteckt, um zu erfahren, welches Bett der Bruder wähle, und hörte und sah somit zum Teil ihre Unterhaltung mit an. Die Sittsamkeit des Bruders nahm sie noch mehr für ihn ein, und sie konnte kaum erwarten, bis er zu Bette ging. Der Bruder aber wußte davon nichts, und nachdem sie noch lange gesprochen hatten, legte sich der Priester in eines der Betten und der Bruder in das andere. Als nun die Frau sah und hörte, daß beide eingeschlafen waren, zündete sie ein Licht an, trat ganz leise an das Bett und fing an sich auszukleiden, um sich ihm an die Seite zu legen. Der Bruder hörte es, sah plötzlich auf und erkannte den Besuch. Er löschte daher alsbald das Licht, faßte nach den Kleidern, um nicht entdeckt zu werden, und legte sich neben den Priester außen an sein Bette. Die Wirtstochter schämte sich und schlich leise von dannen. Der Priester merkte nichts von allem und hörte nichts. Nach dem ersten Schlafe aber wollte er sich umdrehen und kam so an den Arm des Mädchens. Er wunderte sich sehr darüber, griff nach ihrer Brust und erkannte daran, daß es ein Weib war. Er meinte, es sei die Wirtstochter, und sagte bei sich selbst: Diese meint wahrscheinlich, sie liege bei dem Bruder, und hat sich in mein Bett verirrt. Nun wahrhaftig, ich will dir schon geben, was du suchst. Alsbald drehte er sich nach ihr um und gab ihr zwei brave Küsse. Der Herr Bruder rührte sich nicht und ließ sich's gefallen. Daher schlief der Priester, auf seiner bisherigen Meinung verharrend, wieder ein; als aber der Morgen kam, wachte der Priester auf und rief nach ihr und sprach: »Wehe, steh auf, es ist bald Tag: daß deine Mutter es nicht merkt!«
Der Bruder ersah aus diesen Worten, wie es stehe, und daß der Priester sie noch nicht kenne. Sie saß daher im Bette auf, fing an laut aufzulachen, kleidete sich dann allmählich an, zog das Skapulier über sich und machte das Haar zurecht. Der Priester sah zu und bemerkte, daß es der Bruder sei. Da bekreuzte und segnete er sich, ja er kam fast von Sinnen, als er sie ihren Kopfputz machen sah, denn sie war anzuschauen wie die Sonne, so blond waren ihre Locken. Nun kleideten sie sich an, ließen ihre Pferde satteln, riefen sodann die Wirtin und machten die Zeche, worauf der Priester ihre Schuldigkeit bezahlte.
Die Tochter des Wirtes sagte zu dem Priester: »Messere, Euer Begleiter da ist doch gar zu widerspenstig und wild.«
»Madonna«, antwortete der Priester, »Ihr kennt ihn nicht; vielmehr habe ich nie einen zahmeren und freundlicheren Begleiter gehabt; aber er versteht sich noch nicht recht aufs Durchkommen.«
Die junge Frau sagte: »Das scheint so.«
Und so nahmen sie Abschied und gingen ihres Weges. Der Bruder ritt immer voraus, und sooft er sich umdrehte, sah er den Priester zurück. Dieser dachte unaufhörlich über das gehabte Abenteuer nach, das ihm ganz seltsam vorkam. Der Bruder erwartete ihn daher und sprach: »Gestern, Messere, war das Nachdenklichsein an mir; heute scheint die Reihe an Euch gekommen zu sein. Ich mag aber nicht, daß Ihr noch weiter Euch den Kopf zerbrecht, und um Euch aus dem Zweifel zu ziehen, will ich Euch erzählen, wer ich bin und wohin ich gehe. In Wahrheit bin ich ein Weib, wie Ihr wißt, heiße Petruccia und bin die Tochter Vannicellos von Viterbo. Nach dem Tode meiner Eltern blieb ich unter der Pflege meiner beiden Brüder. Nun begab es sich, daß sich Papst Urban, wie Ihr wißt, auf seiner Durchreise in Viterbo aufhielt. Dabei geschah es zufällig, daß ein Kardinal, den Ihr bald sehen werdet, durch Gottes gnädige Fügung in unser Haus kam, wo er mich sah, sich in mich verliebte und nicht nachließ, bis er mich hatte. Und als der Hof von hier nach der Provence übersiedelte, nahm mich der besagte Kardinal mit, behielt mich fortwährend bei sich, erwies mir immer die größte Ehre und hatte mich lieber als sich selbst. Als nun der Papst nach Ponte di Sorga ging, begleitete ihn dieser mein Gebieter und ließ mich mit zwei Kammerfrauen und einem Stallmeister in Avignon zurück. Einer meiner Brüder aber kam auf dem Rückwege von Sankt Jakob nach Avignon und suchte mich dort auf. Als ich eines Samstagmorgens in der Kirche von Sankt Asiderius die Messe hörte, kam mein Bruder auch hin und hatte einen seiner liebsten Kameraden bei sich. Unsere Blicke begegneten sich, und er hatte mich erkannt. Plötzlich packte er mich und schleppte mich an die Rhone auf das Schiff, das er zur Weiterreise gemietet hatte. Sobald wir uns eingeschifft hatten, wurde kein Augenblick versäumt, und es ging weiter nach Arles, nach Marseille, dann nach Nizza, von Nizza nach Genua, weiter nach Livorno und von dort nach Corneto. Oftmals hätte er mich ins Meer gestürzt, wäre nicht sein Begleiter hemmend ihm entgegengetreten; denn unterwegs auf dem Schiffe faßte der eine Neigung zu mir und verlangte mich von meinem Bruder zur Frau: dieser willigte ein, und ich war zufrieden, ihn zum Manne zu bekommen. Wir gingen sodann nach Viterbo, wo er mich unter heiteren Festen heiratete und dann in sein Haus einführte. Das Schicksal ließ ihn aber nur etwa noch einen Monat am Leben, worauf er starb. Gewiß wäre ich nicht weggegangen, wäre nicht sein Tod vorangegangen. Als er nun tot war, kehrte ich in meiner Brüder Haus zurück und blieb daselbst unter großen Mühsalen und Quälereien; denn ich hatte zwei Schwägerinnen im Hause, und ich mußte ihre Magd abgeben; ob jeder Kleinigkeit rückten sie mir vor, ich sei ein schlechtes Weib, und so hatte ich beständig zu leiden. Es begab sich nun eines Tages, daß ich einen Eilboten vorbeikommen sah, der nach Avignon ging. Ich gab ihm einen Brief mit an den Prälaten, worin ich ihm erzählte, auf welche Weise ich weggekommen war und daß ich zurückzukehren wünsche: er solle eine vertraute Person nach mir senden. Er schickte mir auf dies jenen in Nizza verstorbenen Bruder, einen ganz wackern Mann, und versprach ihm, wenn er mich nach Avignon führe, das erste Bistum, das in seiner Heimat aufgehe, solle ihm zuteil werden. Der Bruder kam nach Viterbo und fand Gelegenheit, mich in der Kirche der Augustiner zu sprechen; dort zeigte er mir einen Brief von der Hand des Kardinals und andere Zeichen. Wir setzten darauf unsere Abreise fest. Als alles im reinen war, gingen an einem Festtag meine Schwägerinnen und ich nebst andern Frauen in ein Bad, welches das Bad zur Asinella heißt. Während alle meine Begleiterinnen im Bade saßen, tat ich, als ginge ich einen Augenblick hinaus eines Bedürfnisses wegen, lief aber schnell hinweg und einem Walde zu, in welchem der Bruder mich erwartete. Dort zog ich meine Weiberkleider aus und legte diese Mönchskleider an. Wir bestiegen sodann im Augenblick zwei Pferde, die er bereitgehalten, und waren in fast drei Stunden in Corneto. Dort hatte er einen Schnellsegler bereit, den wir schnell bestiegen, nachdem wir die Pferde zurückgeschickt. Die Matrosen stachen in See, und wir hielten nirgend an, bis wir in Nizza in der Provence waren. Das Meer setzte ihm so zu, daß er umkam, wie Ihr gesehen habt; und er starb in der Tat in Verzweiflung darüber, daß er mich nicht zu seinem Herrn zurückbringen konnte. – Ihr wißt nun, wer ich bin und wo ich hingehe. Wir wollen uns nun angelegen sein lassen, es uns während dieser Reise Wohlsein zu lassen, und alle Gedanken von der Welt verscheuchen.«
So geschah es denn auch; sie gönnten sich unterwegs alle Freuden bei Tafel und im Bette, sangen und scherzten, machten kleine Tagereisen, machten sich gute Zeit und führten ein frohes Leben. Ja, die Liebe zwischen dem Bruder und dem Priester wuchs so sehr, daß es nicht zu beschreiben ist, wie sie sich miteinander hielten. Niemals hat jemand eine so vertrauliche Kameradschaft gesehen. Als sie nun nach Avignon kamen, stiegen sie in einer Herberge ab, welche neben dem Palaste jenes Kardinals lag. Am Abend sprach der Bruder zu dem Priester: »Tut, als wäret Ihr mein Vetter und in meiner Gesellschaft gekommen! Dann laßt mich nur weiter machen!«
So geschah es. Der Bruder schickte in das Haus des Kardinals nach einem seiner Kammerdiener, welcher Rubinetto hieß. Als der Kammerdiener kam und den Bruder erkannte, erfreuten sie sich sehr aneinander. Der Kammerdiener eilte zum Kardinal mit der Nachricht: »Monsignore, die Petruccia ist da!«
Darüber war der Kardinal sehr erfreut und sagte: »Mach, daß sie hier ist, wenn ich von Hof komme, aber gewiß!«
Der Kammerdiener brachte ihr ihre Weiberkleider, und der Priester war ihr beim Anziehen derselben behilflich, die ihr denn auch ausnehmend gut standen; und war der Priester zuvor schon in sie verliebt im Mönchskleide, so war er es hundertmal mehr nun in ihrer Frauentracht. Unter vielen Tränen umarmten sie sich hundertmal an jenem Abend, und hernach, als es Zeit war, kam der Kammerdiener, sie in das Gemach des Kardinals abzuholen. Als dieser nach Hause kam, war seine erste Frage, ob die Petruccia da sei, und als er es bestätigen hörte, eilte er in das Zimmer und umarmte und küßte sie hundertmal. Dort sagte sie ihm die ganze Geschichte, wie ihr Bruder sie gewaltsam entführt, und fuhr dann fort: »Ich habe einen mir verwandten Priester zu meiner Sicherheit mitgebracht, der mich Euch zuliebe nicht verlassen wollte, so lästig es ihm auch war, mich hierher zu Euch zu geleiten.« Der Kardinal schickte am Morgen nach dem Priester, dankte ihm, ließ ihm alle seine Bittschriften genehmigen und erwies ihm jede Gnade, die jener nur wünschen konnte; er schenkte ihm auch eine Kleidung und erwies ihm die größte Ehre, solange er in Avignon blieb. Die Liebe der Petruccia zu dem Priester war so groß, daß sie bei dem Kardinal von Morgen bis zum Abend sein Lob sang; und der Kardinal wandte ihm solche Gunst zu, daß er einer der Vornehmsten an seinem Hofe wurde. Nachdem nun der Priester vom Hofe erhalten hatte, was er wollte, entschloß er sich, nach Hause zu kehren, was der Petruccia sehr hart däuchte; doch gab sie sich darein, als sie sah, wie sehr er es wünschte. Beim Abschied führte sie ihn zu einer Kiste, worin sich ein Becken voll Gulden befand, und sagte ihm, er solle daraus nehmen, soviel er wolle.
»Meine Petruccia«, antwortete er ihr, »es genügt mir, daß ich deine Gunst mitnehme: weiter begehre ich nichts und mag auch von deinem Gelde dir nichts entziehen.«
Als so die Petruccia die glühende Liebe des Priesters sah, zog sie einen sehr schönen Ring vom Finger und gab ihm denselben mit den Worten: »Nehmt und tragt dies zur Erinnerung an meine Liebe, und gebt es keiner, die nicht schöner ist als ich!«
Der Priester antwortete: »Das ist so viel als: Behalt ihn immer! Denn nach meinem Dafürhalten ist nie eine Schönere und Lieblichere als du geboren.«
Da fiel ihm die Frau unter vielen Tränen um den Hals, und sie schlang die Arme um ihn; sie küßten sich auf den Mund, faßten sich bei der Hand und verabschiedeten sich voneinander. Dann nahm er auch Abschied von dem Kardinal und kehrte in Gottes Namen heim.
In Florenz lebte einst eine sehr schöne Frau, welche Madonna Isabella hieß und an einen sehr reichen Kaufmann namens Lapo verheiratet war. Sie war die gefeiertste Frau in ganz Florenz, denn es war auch dazumal in der Stadt keine schönere zu finden. Ja ihr Ruf verbreitete sich durch ganz Toskana, so schön, anmutig und wohlgesittet war sie in jedem Stücke. Als nun ein reicher junger Mann von Perugia namens Ceccolo von Cola Raspanti von ihrer Schönheit hörte und vernahm, daß oft ihr zuliebe Turniere veranstaltet werden, bekam er Lust, sie zu sehen und auch um sie zu tjostieren. Er kaufte also Pferde und Turniergeräte, kleidete sich anständig und gut, nahm hinreichend Geld zu sich und ging nach Florenz, wo er im Umgang mit den jungen Männern viel Aufwand machte. Kurz, er wollte sie sehen, und sobald er sie sah, war er plötzlich in sie verliebt und sprach bei sich selbst: Sie ist wahrhaftig noch weit schöner, als ich glaubte.
Von nun an tat er sich um sie um, ging häufig vorüber, machte Musik und Gesang und stellte Essen und Gastmähler an, alles ihr zu Ehren. Er ging auf Feste und Hochzeiten und wohin immer die Frau kam, tjostierte, zeigte sich in den Waffen und zu Pferde, kleidete eine Dienerschaft und schenkte Kleider und Rosse hin, – alles ihr zuliebe. Und solange sein Vermögen und sein Geld nachhielt, war er gerne gesehen, und es wurde ihm Ehre erwiesen. Jeden Tag schickte er nach Hause, um von seinen Besitzungen zu verkaufen und zu verpfänden und den Aufwand durchführen zu können, den er angefangen hatte. Das ging wohl eine Weile. Da es aber nicht mehr länger dauern konnte, sah er sich auf dem Punkte, daß er nichts besaß, und doch konnte er nicht von Florenz loskommen, so heftig war seine Liebe zu jener Frau.
Als er nun nichts mehr zu leben hatte, beschloß er eines Tages, sich dem Gatten der Frau als Knecht anzutragen. Und wie er sich vorgestellt, so geschah es: es gelang ihm, als Knecht bei Lapo, dem Gemahl jener Madonna Isabella, unterzukommen. Dieser benutzte ihn zu allem möglichen: er mußte ihn auf dem Land und in Florenz bei allen Gängen begleiten. Lapo hatte auch an ihm einen guten Begleiter und Diener und wendete ihm deshalb große Liebe zu, da er seinen Witz und seine Erfahrung kennenlernte. Und so blieb er eine gute Weile bei diesem Lapo.
Dieser Ceccolo war nun fortwährend entflammt von der Liebe zu der Frau, und da er sie eines Tages allein fand, sprach er zu ihr: »Madonna, ich empfehle mich Euch. Es gibt kein Geschöpf auf dieser Welt, gegen das ich so viel Liebe und Verehrung gehegt habe und noch hege als gegen Euch, und Ihr habt schon früher bemerken können, ob das wahr ist oder nicht; denn aus Liebe zu Euch habe ich alles, was ich auf der Welt besaß, verschwendet und halte es für die größte Gnade, hier Euch als Knecht zu dienen; so habe ich wenigstens oft Gelegenheit, Euch zu sehen.«
»Glaube nicht«, antwortete die Frau, »daß ich vergessen habe, was du alles schon für mich getan hast; ich meinte aber, du habest es vergessen, da du nie etwas zu mir gesagt noch irgendeine Andeutung gegeben hast.«
»Madonna«, erwiderte Ceccolo, »ich wollte nur die Zeit abwarten.«
Die Frau sprach: »Mach, daß du heute nacht zu mir ans Bett kommst! Tritt an die Seite links! Wenn ich schlafen sollte, so berühre mich leise mit der Hand, nur daß Lapo dich nicht hört! Ich will die Tür offenlassen und das Licht auslöschen. Komm nur kecklich und unbesorgt und laß mich machen!«
Ceccolo sprach: »Madonna, es soll geschehen.«
Als es Nacht war, ging Ceccolo um die bezeichnete Stunde hin, fand die Kammertür offen und das Licht ausgelöscht, schlich sich daher an die andere Seite des Bettes, ganz nach Isabellas Angabe, und nahm sie bei der Hand. Die Frau erwachte nun, faßte ihn sachte beim Arm, hielt ihn fest und rief dann ihren Mann.
»Ich muß dir doch auch sagen«, sprach sie, »was du für wackere Diener im Hause hast. Da kam heute der Ceccolo zu mir und ging mich um unkeusche Liebe an. Damit du ihn nun packen könntest, sagte ich zu ihm, ich wolle heute nacht zu ihm in die Laube kommen. Wenn du ihn also ertappen willst, so zieh meine Kleider an, nimm ein Handtuch, wickle es um den Kopf und geh hinab in die Laube. Du wirst sehen, er kommt hin in der Meinung, mich zu treffen, und du wirst finden, ob ich die Wahrheit sage.«
Lapo stand auf, zog die Kleider seiner Frau an und ging in die Laube, Ceccolo zu erwarten. Sobald der Mann weg war, umarmte die Frau Ceccolo und er sie; sie gaben sich der Lust hin, wonach sie sich so lange gesehnt hatten, und gaben sich vielmals die holdesten Küsse. Dann sprach die Frau zu ihm: »Du hast gehört, wie es eingeleitet ist. Geh nun hinunter, schilt ihn weidlich aus, nimm einen Stock mit und miß ihm auf aus dem Salz!«
Ceccolo sagte: »Laßt mich nur machen!«
Er stand auf, nahm einen Prügel und ging hinab in die Laube, wo er den guten Narren seiner harrend fand.
»Schnödes Weib«, rief nun Ceccolo, »wie kannst du glauben, daß ich mich dazu verstehen würde, meinem Herrn eine solche Schmach anzutun? Was ich dir gestern sagte, tat ich nur, um dich auf die Probe zu stellen; aber wie hast du die Unverschämtheit, deinem Mann untreu zu sein? Schämst du dich nicht, da du den besten und rechtschaffensten Mann in der Stadt zum Gatten hast?«
Damit schwang er den Stock, den er in der Faust hielt, schlug ihm über die Arme und auf die Hüfte und rief: »Wenn ich nur wieder die geringste Kleinigkeit bemerke, die du jemand in der Welt antust, so sage ich es zu Lapo und mache, daß er dir die Gurgel abschneidet. Und wenn er's nicht tut, so tue ich es.«
So zog der arme Mann ganz zerbleut ab; und als er in die Schlafkammer kam, sagte die Frau: »Nun, wie ist's?«
»Schlimm ist's bei mir«, antwortete der Gatte, »denn ich bin ganz zermalmt.«
»Wehe mir«, sagte die Frau, »hat der verschlagene Bube gar gewagt, Hand an dich zulegen? Gott straf' ihn und send' ihm die Pest!«
»Klage nicht«, antwortete der Mann; »ich bin ihm so gut und besser als mir selber.«
Die Frau fragte: »Wie kannst du ihn lieber haben als dich selber, wenn du sagst, er habe dich ganz zermalmt?«
Sie stand auf, zündete ein Licht an und untersuchte ihm Schultern und Arme, welche ganz blau waren von den Schlägen, die er bekommen hatte. Die Frau stellte sich daher an, als wollte sie aufschreien.
»Sei still!«, rief ihr Mann, »laß mich kein Geschrei vernehmen! Wenn er mich totgeschlagen hätte, so ließe ich mir's gefallen nach dem, was er zu mir sagte.«
»Gewiß«, fügte die Frau bei, »wird er nun nicht länger im Hause bleiben.«
Der Mann aber sagte: »Hüte dich, so lieb dir dein Leben ist, ihm etwas zu sagen! Ich befehle dir vielmehr, ihn Tag und Nacht in deine Schlafkammer zu lassen nach seinem Belieben, da ich bemerkt habe, daß er mich aufrichtig lieb hat. Fürwahr, er soll nicht aus meinem Hause kommen, denn ich glaube, es hat nie ein treuerer Diener auf dieser Welt gelebt.«
Am folgenden Morgen ließ Lapo den Ceccolo rufen und sagte: »Ich will, daß du dies als dein Haus betrachtest. Verlaß dich darauf, hier zu leben und zu sterben, und du magst in allen Zimmern aus und ein gehen nach deinem Belieben; denn ich hatte nie einen Diener, dem ich mehr zugetan war als dir.«
»Messere«, antwortete Ceccolo, »in allem, was ich getan habe oder tun werde, soll Liebe und Treue mich leiten.« Lapo versetzte: »Das bin ich versichert.«
Nun blieb Ceccolo lange Zeit im Hause; er und die Frau pflogen größter Lust und Freude zusammen, und Lapo hegte nie den mindesten Verdacht. Ging er über Feld, so befahl er immer dem Ceccolo seine Frau. So konnten diese lange Zeit alle ihre Wünsche erfüllen, und wenn auch öfters durch eine Stubenfrau Lapo hinterbracht wurde, daß jener ihm Schande antue, so wollte er es doch niemals glauben. Vielmehr sagte er öfters: »Wenn ich ihn auf ihr fände, so glaubte ich's nicht.«
So genossen Ceccolo und die Frau ihr Glück ihr Leben lang und hatten die Freude und Wonne dieser Welt.
Im Hause der Scali in Florenz befand sich ein Kaufmann namens Bindo, welcher oftmals in Tana und in Alexandrien gewesen war und alle jene großen Reisen gemacht hatte, die man des Handels wegen zu machen pflegt. Dieser Bindo war ziemlich reich und hatte drei erwachsene Söhne. Als er zu sterben kam, rief er den ältesten und den mittlern zu sich, machte in ihrer Gegenwart sein Testament und setzte sie beide zu Erben seiner ganzen irdischen Habe ein, während er dem jüngsten nichts hinterließ. Sobald das Testament fertig war, kam der jüngste Sohn, Giannetto mit Namen, welcher davon gehört hatte, zu ihm an das Bett und sagte zu ihm: »Mein Vater, ich wundere mich sehr über das, was Ihr getan habt, indem Ihr meiner in Eurem Testamente gar nicht gedachtet.«
Der Vater antwortete: »Mein Giannetto, ich liebe niemand auf Erden mehr als dich; und darum wünsche ich nicht, daß du nach meinem Tode hier bleibest; vielmehr sollst du, sobald ich gestorben bin, nach Venedig gehen zu einem deiner Taufpaten, dem Herrn Ansaldo, welcher keinen Sohn hat und mir schon mehrmals geschrieben hat, ich solle dich ihm schicken. Ich kann dir sagen, daß er der reichste Kaufmann ist, welcher heutzutage in der ganzen Christenheit lebt. Darum ist es mein Wille, daß du, sobald ich gestorben bin, zu ihm gehst und ihm diesen Brief bringst; und wenn du es recht anzugreifen weißt, wirst du ein reicher Mann werden.«
Da sprach der Sohn: »Mein Vater, ich bin bereit, zu tun, was Ihr mir befehlet.«
Darauf gab ihm der Vater seinen Segen, und wenige Tage darauf verschied er. Alle seine Söhne erhoben hierüber den heftigsten Jammer und erwiesen dem Leichnam die gebührende Ehre. Wenige Tage später riefen die zwei ältern Brüder den Giannetto zu sich und sagten zu ihm: »Du bist unser Bruder; unser Vater hat zwar ein Testament gemacht und uns zwei zu seinen Erben eingesetzt, ohne deiner irgend zu erwähnen. Nichtsdestoweniger bist du gleichfalls unser Bruder, und darum sollst du jetzt, so gut als wir, an dem Vorhandenen teilhaben.« Giannetto antwortete: »Liebe Brüder, ich danke euch für euer Anerbieten. Aber was mich betrifft, so steht mein Sinn dahin, mein Glück draußen in der Welt zu suchen. Dazu bin ich fest entschlossen, und darum sollt ihr das euch zugeschriebene und gesegnete Erbe behalten.«
Seine Entschlossenheit erkennend, gaben sie ihm ein Pferd und Geld für seine Reisebedürfnisse. Giannetto nahm von ihnen Abschied und ging weg nach Venedig. Er kam in das Warenlager des Herrn Ansaldo und übergab ihm den Brief, den ihm sein Vater vor seinem Tode eingehändigt hatte. Als Herr Ansaldo diesen Brief las, erkannte er, daß er der Sohn seines geliebten Bindo war, und sobald er mit dem Lesen fertig war, umarmte er ihn und rief: »Sei mir willkommen, mein teures Kind, wonach ich so sehr verlangt habe!«
Sodann war seine erste Frage nach Bindo, worauf ihm Giannetto antwortete, er sei gestorben. Darüber umarmte und küßte er ihn unter vielen Tränen und sprach: »Wohl tut mir der Tod Bindos sehr wehe, da er mir einen großen Teil dessen, was ich habe, gewinnen half. Aber so groß ist die Freude, die ich nun an dir habe, daß sie jenen Schmerz mildert.«
Er ließ ihn nach Hause führen und befahl seinen Geschäftsleuten, seinen Ladendienern und seinen sämtlichen Untergebenen und Knechten, Giannetto mehr noch zu gehorchen und zu dienen als ihm selbst. Vor allem überwies er ihm die Schlüssel zu seiner ganzen Barschaft und sagte: »Mein Sohn, alles, was hier ist, kannst du verwenden. Du magst dich kleiden und beschuhen nach deinem Geschmack und die Leute der Stadt zum Essen laden, damit du dich bekannt machst. Wie du es angreifen willst, magst du selbst überlegen; ich werde dich aber um so lieber haben, je mehr du weißt, dich beliebt zu machen.«
Giannetto fing nun an, mit den venezianischen Edelleuten umzugehen, ein Haus zu machen, Tafel zu halten, Geschenke zu geben, seine Dienerschaft reich zu kleiden, gute Pferde zu kaufen und Wettkämpfe und Ritterspiele zu üben und in allen Stücken sich erfahren und geübt, hochherzig und feingesittet zu erweisen. Auch verstand er wohl, wo es am Platze war, Ehre und Höflichkeit zu erweisen, und erzeigte dem Herrn Ansaldo stets mehr Ehre, als wenn er hundertmal sein Vater gewesen wäre. Er wußte sich so klug gegen jede Art von Leuten zu stellen, daß fast jedermann in Venedig ihm zugetan war, da man seine große Klugheit und Anmut und seine unbegrenzte Höflichkeit sah. Männer wie Frauen schienen in ihn verliebt, und Herr Ansaldo sah sonst nichts als ihn, so sehr gefiel ihm sein Betragen und seine Aufführung. Darum wurde denn fast kein Fest in Venedig veranstaltet, wozu Giannetto nicht eingeladen worden wäre; so sehr war er bei allen beliebt.
Da begab es sich, daß zwei seiner liebsten Gefährten nach Alexandria gehen wollten mit ihren Waren auf zwei Schiffen, wie sie alljährlich zu tun pflegten. Sie sagten es Giannetto und fügten hinzu: »Du solltest dich mit uns des Meeres erfreuen, um die Welt zu sehen und zumal jenes Damaskus und das Land umher.«
Giannetto antwortete: »Wahrhaftig, das würde ich sehr gern tun, wenn mein Vater Herr Ansaldo mir dazu Erlaubnis gäbe.«
Jene sagten: »Das wollen wir schon machen, daß er sie dir gibt, und er soll damit zufrieden sein.«
Sogleich gingen sie zu Herrn Ansaldo und sprachen: »Wir wollen Euch bitten, daß Ihr dem Giannetto gefälligst erlauben möget, mit uns auf das Frühjahr nach Alexandrien zu gehen, und daß Ihr ihm ein Schiff ausrüstet, damit er ein wenig die Welt sehe.«
Herr Ansaldo sagte: »Ich bin es zufrieden, wenn es ihm Vergnügen macht.«
Jene antworteten: »Herr, es ist sein Wunsch.«
Darum ließ ihm Herr Ansaldo sogleich ein sehr schönes Schiff ausrüsten und es mit vielen Waren beladen und mit Flaggen und Waffen hinlänglich versehen. Und nachdem es fertig war, befahl Herr Ansaldo dem Schiffspatron und der Mannschaft, alles zu tun, was Giannetto ihnen befehle und was ihnen aufgetragen werde. »Denn«, sagte er, »ich sende ihn nicht aus, um Gewinn durch ihn zu machen, sondern zu seinem Vergnügen, damit er die Welt sehe.«
Und als Giannetto zu Schiffe stieg, lief ganz Venedig hinter ihm her, um ihn zu sehen, da seit langer Zeit kein so schönes und so wohlausgerüstetes Schiff von Venedig weggefahren war. Jedermann bedauerte sein Scheiden. So nahmen er und alle seine Gefährten Abschied von Herrn Ansaldo; sie stiegen zu Schiff und zogen die Segel auf und nahmen ihren Weg nach Alexandria in Gottes Namen und ihrem guten Glück vertrauend.
Die drei Gefährten fuhren so in ihren drei Schiffen mehrere Tage hin. Da geschah es eines Morgens vor Tag, daß der besagte Giannetto einen Meerbusen mit einem sehr schönen Hafen wahrnahm und den Schiffspatron fragte, wie dieser Hafen heiße. Er antwortete ihm: »Herr, dieser Ort gehört einer Witwe an, die schon viele edle Männer zugrunde gerichtet hat.«
Giannetto fragte: »Wie das?«
»Herr«, antwortete jener, »es ist ein schönes, reizendes Weib, die das Gesetz befolgt, daß jeder, der dorthin kommt, bei ihr schlafen muß, und wenn er mit ihr zu schaffen bekommt, so muß er sie zur Frau nehmen und wird Besitzer des Hafens und des ganzen Landes; bringt er sie aber nicht unter sich, so verliert er alles, was er hat.«
Giannetto dachte ein wenig still bei sich nach und sagte sodann: »Sieh zu, wie du es machst, daß du mich in den Hafen führst!«
Der Patron antwortete: »Herr, bedenkt, was Ihr sagt! Viele sind schon hineingegangen und dadurch auf immer elend geworden.«
Giannetto aber sagte: »Mische dich nicht in fremde Dinge, sondern tue, was ich dir sage!«
So geschah es denn, daß sie plötzlich das Schiff wendeten und in den Hafen einfuhren, ohne daß ihre Gefährten auf den andern Schiffen etwas davon merkten. Am Morgen verbreitete sich nun die Nachricht, wie dieses schöne Schiff in den Hafen gekommen sei, so daß alles Volk herbeilief, es zu sehen, und der Frau sogleich darüber Meldung geschah. Sie schickte daher zu Giannetto, der unverzüglich zu ihr ging und sie ehrerbietig begrüßte. Sie nahm ihn bei der Hand, fragte ihn, wer er sei, woher er komme und ob er die Sitte des Landes wisse. Giannetto bejahte es und sagte, er sei gerade aus diesem Grunde gekommen.
»So seid mir denn hundertmal willkommen«, sagte sie, und erwies ihm den ganzen Tag die größte Ehre und ließ viele Barone, Grafen und Ritter einladen, welche sie unter sich hatte, damit sie ihm Gesellschaft leisteten. Allen Baronen gefiel das Betragen Giannettos sehr sowie auch sein gesittetes, einnehmendes und gesprächiges Wesen, so daß fast jeder sich in ihn verliebte. Den ganzen Tag wurde am Hofe getanzt und gesungen und geschmaust dem Giannetto zu Ehren, und jedem wäre es recht gewesen, ihn zum Gebieter zu bekommen.
Als nun der Abend kam, nahm ihn die Frau bei der Hand, führte ihn in ihr Schlafgemach und sagte: »Ich glaube, es ist nun Zeit, zu Bett zu gehen.«
Giannetto antwortete:» Edle Frau, ich bin zu Euren Diensten.«
Alsbald kamen zwei Jungfrauen, die eine mit Wein, die andere mit Zuckerbackwerk.
»Ich weiß«, sagte die Frau, »Ihr werdet Durst bekommen haben. Darum trinkt!«
Giannetto nahm von den Süßigkeiten und trank von dem Wein, der, ohne daß jener es wußte, so bereitet war, daß er schlafen machte; er trank davon eine halbe Schale denn er schmeckte ihm; darauf zog er sich sogleich aus und legte sich nieder. Kaum aber hatte er das Bett erreicht, so war er schon eingeschlafen. Die Frau legte sich ihm zur Seite nieder; er merkte es aber nicht bis zum Morgen, als schon die Terzie vorüber war. Darum stand die Frau auf, als es Tag wurde, und ließ anfangen, das Schiff auszuladen, welches sie voll von verschiedenen kostbaren und trefflichen Waren fand. Als nun die Terzie vorüber war, gingen die Kammerfrauen der Dame an das Bett Giannettos, hießen ihn aufstehen und gaben ihm die Weisung, seiner Wege zu gehen, denn er habe das Schiff und alles, was darauf sei, verloren. Darüber schämte er sich, denn er meinte, seine Sachen schlecht gemacht zu haben. Die Frau ließ ihm ein Pferd geben und Geld zur Reise, und so zog er traurig und betrübt von hinnen und wandte sich nach Venedig; daselbst angelangt mochte er aber aus Scham nicht nach Hause gehen, sondern begab sich in der Nacht zu einem seiner Kameraden, der sich sehr verwunderte und sprach:
»Wehe, Giannetto! Was ist das?«
Dieser erwiderte: »Mein Schiff scheiterte eines Nachts an einer Klippe, so daß alles zerborst und zerschellte und nach allen Seiten hin getrieben wurde. Ich hielt mich an ein Stück Holz, das mich an das Ufer trieb. So bin ich gerettet worden und hierher gekommen.«
Giannetto blieb einige Tage in dem Hause dieses seines Freundes, der sodann einmal dem Herrn Ansaldo einen Besuch machte, ihn aber sehr niedergeschlagen antraf. Herr Ansaldo sagte: »Ich fürchte so sehr für das Leben meines lieben Sohnes, oder daß ihm zur See ein Unglück zugestoßen sei, und ich kann weder Rast noch Ruhe finden, so groß ist die Liebe, die ich zu ihm trage.«
Jener Jüngling erwiderte: »Ich kann Euch von ihm Kunde bringen: er ist auf dem Meere gestrandet und hat all sein Hab und Gut verloren, er selbst aber ist wohlbehalten davongekommen.«
Da sprach Herr Ansaldo: »Gott sei gelobt! Wenn nur er gerettet ist, so bin ich zufrieden. Der Verlust, den er erlitten hat, soll mich nicht grämen. Aber wo ist er?«
Der Jüngling antwortete: »Er befindet sich in meinem Hause.«
Und alsbald brach Herr Ansaldo auf, um ihn zu sehen. Sobald er ihn erblickte, stürzte er sich in seine Arme und sprach: »Mein lieber Sohn, du brauchst dich nicht vor mir zu schämen, denn das kommt ja häufig vor, daß Schiffe im Meere bersten. Darum gräme dich nicht, mein Sohn, denn ich bin zufrieden, daß dir kein Leid widerfahren ist.«
Und hiermit führte er ihn nach Hause, indem er nicht müde werden konnte, ihn zu trösten. Die Neuigkeit verbreitete sich bald durch ganz Venedig, und jeder nahm Anteil an dem Verluste, den Giannetto erlitten hatte.
Nun geschah es, daß kurze Zeit darauf seine Gefährten aus Alexandrien zurückkehrten, alle mit reichem Gewinne. Sowie sie angekommen waren, fragten sie nach Giannetto und erfuhren alles. Deshalb liefen sie sogleich hin, ihn zu umarmen, und sagten: »Wie bist du von uns gekommen, und wohin bist du gegangen? Wir konnten gar nichts mehr von dir erfahren; wir sind jenen ganzen Tag rückwärts gesegelt, konnten aber deiner nicht ansichtig werden noch in Erfahrung bringen, wo du hingekommen seiest. Wir haben uns darüber so sehr betrübt, daß wir den ganzen Weg nicht wieder froh werden mochten, denn wir glaubten, du seiest gestorben.«
Giannetto antwortete: »Einem Meerbusen gegenüber erhob sich ein heftiger widriger Wind, der mein Schiff in gerader Linie auf eine Klippe trieb, die nahe am Lande war, so daß ich mit knapper Not selbst mein Leben rettete, denn alles ging drunter und drüber.«
Dies war der Vorwand, den Giannetto gebrauchte, um seinen Fehltritt zu verbergen. Und nun veranstalteten sie zusammen eine große Festlichkeit, dankten Gott, daß wenigstens er davongekommen sei, und sprachen: »Mit dem nächsten Frühjahr, wenn es Gottes Wille ist, werden wir wiedergewinnen, was du diesmal verloren hast. Darum laß uns jetzt darauf denken, uns eine gute Stunde zu machen und den Trübsinn zu verscheuchen!«
Und das ließen sie sich dann auch angelegen sein und waren fröhlich und guter Dinge nach ihrer frühern Gewohnheit. Giannetto aber dachte an nichts, als wie er zu jener Frau zurückkehren könne, sann hin und her und sprach bei sich selbst: »Wahrhaftig, ich muß sie zur Frau erhalten, oder ich will dabei sterben.«
So konnte er denn fast gar nicht heiter werden. Darum sagte Herr Ansaldo mehrmals zu ihm: »Scheuche den Trübsinn von dir, denn wir sind ja noch so reich an Hab und Gut, daß wir recht wohl bestehen können.«
»Lieber Herr«, antwortete Giannetto, »ich kann mich nicht beruhigen, wenn ich nicht diesen Weg noch einmal mache.«
Als nun Ansaldo seinen Willen erkannte und die Zeit gekommen war, befrachtete er ein anderes Schiff mit noch mehr Waren als das erste und von noch höherem Werte, so daß er den größten Teil von dem, was er auf der Welt besaß, ihm anvertraute. Als seine Gefährten ihre Schiffe auch mit dem Nötigen ausgestattet hatten, gingen sie mit Giannetto zusammen in See, ließen die Segel blähen und steuerten ihres Weges. Und während mehrerer Tage, da sie zu Schiff fuhren, paßte Giannetto beständig auf, ob er nicht den Hafen jener Frau wiedersehe, der der Hafen der Frau von Belmonte hieß. Als man nun in einer Nacht an die Mündung jenes Hafens gelangt war, der in einer tiefen Bucht lag, erkannte ihn Giannetto augenblicklich, ließ Segel und Ruder wenden und schlüpfte schnell hinein, ehe noch seine Gefährten auf den andern Schiffen etwas davon bemerkt hatten.
Da nun die Herrin des Landes am Morgen aufgestanden war und nach dem Hafen schaute, bemerkte sie die Flagge dieses Schiffes, erkannte sie alsbald, rief eine ihrer Zofen und sprach: »Kennst du diese Flagge?«
Die Kammerfrau erwiderte: »Edle Frau, es scheint das Schiff jenes jungen Mannes zu sein, der vor einem Jahr hier ankam und mit seinen Waren uns einen so großen Reichtum hinterließ.«
Die Dame sprach: »Gewiß, du sagst die Wahrheit. In der Tat, der muß nicht wenig in mich verliebt sein, denn ich habe noch nie einen zum zweitenmal hierherkommen sehen.«
Die Kammerfrau versetzte: »Und ich habe noch keinen höflichern und liebenswürdigern Mann gesehen als ihn.«
Die Frau schickte viele Junker und Knappen nach ihm aus, die ihn mit großer Feierlichkeit empfingen, und er selbst begegnete ihnen freundlich und heiter. Und so kam er hinauf in die Burg und vor das Angesicht der Frau. Als sie ihn erblickte, umarmte sie ihn mit großer Lust und Freude, und er umarmte sie wieder mit vieler Ehrerbietigkeit. So verbrachten sie den ganzen Tag in Lust und Wonne, denn die Frau ließ Barone und Frauen in Menge einladen, die an den Hof kamen, um dem Giannetto zuliebe eine Festlichkeit zu veranstalten. Fast allen Baronen tat es leid um ihn, und sie hätten ihn gern zu ihrem Herrn gehabt wegen seines einnehmenden höflichen Wesens, und fast alle Frauen waren in ihn verliebt, als sie sahen, wie zierlich er sich beim Tanze bewegte und sein Gesicht immer heiter glänzte, so daß jeder meinte, er müsse der Sohn irgendeines großen Herrn sein.
Als aber die Dame sah, daß es Zeit war schlafen zu gehen, nahm sie Giannetto bei der Hand und sagte: »Gehen wir zur Ruhe!«
Darauf gingen sie in die Kammer, setzten sich nieder, und siehe, da kamen zwei Jungfrauen mit Wein und süßem Backwerk; sie tranken und aßen und gingen darauf zu Bette. Sobald er aber im Bette war, schlief er auch ein. Die Frau zog sich aus, legte sich neben ihm nieder, und kurz, er kam nicht wieder zu sich die ganze Nacht. Als der Morgen kam, stand die Frau auf und befahl sogleich, das Schiff abfrachten zu lassen. Sobald nun die Terzie vorüber war, kam Giannetto wieder zu sich und suchte nach der Frau und fand sie nicht. Er fuhr mit dem Kopf in die Höhe und sah, daß es heller Tag war. Deshalb stand er sogleich auf und fing an, sich sehr zu schämen. Dann gab man ihm wieder ein Pferd und Geld auf die Reise und sagte zu ihm: »Geh deiner Wege!«
Voll Beschämung zog er von dannen, traurig und niedergeschlagen, ruhte aber nicht eher, bis er nach vielen Tagereisen in Venedig ankam, wo er bei Nacht in das Haus jenes seines Freundes eintrat, der bei seinem Anblick sich auf das äußerste verwunderte und sprach: »Weh mir, was ist das?«
Giannetto antwortete: »Das bin ich Unglücklicher! Verwünscht sei mein Schicksal, das mich jemals in dieses Land kommen ließ!«
Darauf erwiderte jener Freund: »Du hast wohl Ursache, es zu verwünschen, denn du hast den Herrn Ansaldo zugrunde gerichtet, der der größte und reichste Kaufmann in der Christenheit war, und die Schande ist noch schlimmer als der Schaden.«
Giannetto blieb mehrere Tage in dem Hause dieses seines Freundes verborgen und wußte nicht, was er tun noch was er sagen sollte; ja, er war fast willens, nach Florenz zurückzukehren, ohne Herrn Ansaldo ein Wort davon zu sagen. Am Ende aber entschloß er sich doch, zu ihm zu gehen, und so tat er auch.
Als Herr Ansaldo ihn erblickte, sprang er auf, stürzte ihm entgegen, umarmte ihn und rief: »Sei mir willkommen, mein Sohn!«
Und Giannetto umarmte ihn unter Tränen. Als er alles vernommen hatte, sagte Herr Ansaldo: »Weißt du was, Giannetto? Mache dir darüber nur gar keinen Kummer! Da ich nur dich wieder habe, bin ich zufrieden. Es bleibt uns ja noch so viel übrig, daß wir gemächlich leben können. Es ist nun so des Meeres Brauch, dem einen zu geben, dem andern zu nehmen.«
Die Nachricht von diesem Ereignis verbreitete sich durch ganz Venedig; jedermann sprach vom Herrn Ansaldo und beklagte ihn sehr wegen des Verlustes, den er erlitten; und Herr Ansaldo sah sich genötigt, viele Besitzungen zu verkaufen, um die Gläubiger zu bezahlen, die ihm die verlorenen Waren geliefert hatten. Inzwischen kamen Giannettos Reisegefährten mit großen Reichtümern von Alexandria zurück, und kaum in Venedig angelangt, erfuhren sie, daß auch Giannetto zurückgekommen sei, Schiffbruch gelitten und alles verloren habe. Darüber verwunderten sie sich und sprachen: »Das ist der außerordentlichste Fall, der je erhört wurde.«
Darauf gingen sie zu Herrn Ansaldo und zu Giannetto, begrüßten sie herzlich und sagten: »Seid unbekümmert, edler Herr! Das nächste Jahr wollen wir ausziehen und zu Eurem Besten arbeiten, denn wir sind fast schuld an diesem Eurem Verluste, da ja wir es waren, die den Giannetto das erstemal verleitet haben, mit uns zu kommen. Darum bedenkt Euch nicht, und solange wir noch irgend etwas unser nennen, betrachtet es wie Euer Eigentum!«
Herr Ansaldo dankte ihnen und sagte, er habe bis jetzt wohl noch so viel, um nicht darben zu müssen. Da nun aber Giannetto vom Morgen bis zum Abend jenen Gedanken nachhing und nie heiter werden wollte, so fragte ihn einst Herr Ansaldo, was er habe, und erhielt zur Antwort: »Ich werde nicht eher wieder zufrieden sein, bis ich das wieder erworben, was ich verloren habe.«
Da sprach Herr Ansaldo: »Mein Sohn, du darfst mir die Reise nicht noch einmal wagen; denn es ist klüger, wir halten mit dem wenigen, was wir haben, sparsam Haus, als daß du es weiter aufs Spiel setzest.«
Giannetto versetzte: »Ich bin entschlossen, alles zu tun, was ich vermag; denn ich würde es mir zur größten Schande rechnen, wenn ich die Sache so bewenden lassen sollte.«
Als nun Herr Ansaldo seinen Willen erkannte, entschloß er sich, alles zu verkaufen, was er noch auf der Welt besaß, um ihm ein neues Schiff auszurüsten. So tat er und behielt für sich nichts übrig, stattete aber ein sehr schönes Handelsschiff aus. Und weil ihm noch zehntausend Dukaten fehlten, ging er zu einem Juden nach Mestri und borgte sie von ihm unter der vertragsmäßigen Bedingung, daß, wenn er sie nicht zwischen heute und dem nächstkommenden St. Johannistag im Juni zurückgegeben habe, der Jude ihm ein Pfund Fleisch von seinem Leibe nehmen dürfe, von welcher Stelle ihm beliebe. Herr Ansaldo war damit zufrieden, und der Jude ließ eine gerichtliche Urkunde darüber ausstellen mit Zeugen und mit allen nötigen Förmlichkeiten und Vorsichtsmaßregeln versehen, und dann zahlte er ihm zehntausend Golddukaten aus, mit welchem Gelde sofort Ansaldo das besorgte, was dem Schiffe noch fehlte; und wenn die ersten beiden Fahrzeuge schön waren, so war das dritte noch weit reicher und besser ausgestattet. Die Gefährten rüsteten ebenfalls ihre zwei Schiffe, mit dem Vorsatze, daß das, was sie gewinnen würden, ihrem Giannetto gehören solle. Und da die Zeit zur Abreise gekommen war und die Schiffe segelfertig standen, sagte Herr Ansaldo zu Giannetto: »Mein Sohn, du gehst nun und weißt, unter welcher Verpflichtung ich zurückbleibe. Eines aber bitte ich mir von dir aus, daß, wenn es dir ja übel gehen sollte, es dir doch gefallen möge, zu mir zu kommen, auf daß ich dich vor meinem Tode noch einmal schauen und zufrieden aus der Welt gehen kann.«
Giannetto erwiderte ihm: »Herr Ansaldo, ich will alles tun, womit ich glaube, Euch gefällig zu werden.«
Herr Ansaldo gab ihm seinen Segen, und somit nahmen sie Abschied und machten sich auf ihre Reise. Die beiden Gefährten hatten sorgsam acht auf Giannettos Schiff, Giannetto aber ging mit all seinem Dichten und Trachten darauf aus, in der Bucht von Belmonte zu landen. Er beredete daher einen seiner Steuermänner, das Schiff zur Nachtzeit in den Hafen jener Edelfrau zu führen. Danach, als es wieder Tag geworden war und die Gefährten in den andern beiden Schiffen sich umsahen und Giannettos Fahrzeug nirgend gewahren konnten, sprachen sie untereinander: »Gewiß, das ist wieder sein Unglück.« Sie dachten daher, es bleibe ihnen nichts übrig, als ihren Weg fortzusetzen, und waren darüber sehr verwundert.
Als nun das Schiff in den Hafen eingelaufen war, lief alles aus der Burg herbei, um zu schauen, und als sie merkten, daß Giannetto zurückgekehrt war, wunderten sie sich sehr darüber und sprachen: »Das muß der Sohn irgendeines großen Herrn sein, in Anbetracht daß er jedes Jahr mit so vielen Waren und so schönem Schiffzeug hier ankommt. Wollte Gott, daß er noch unser Herr würde!«
So wurde er besucht von allen Großen, von den Baronen und Rittern des Landes, und der Frau ward gemeldet, daß Giannetto wieder in den Hafen gekommen sei. Da trat sie an die Fenster des Palastes und sah das prächtige Schiff und erkannte die Flaggen, machte darob das Zeichen des heiligen Kreuzes und sprach: »Wahrlich, es ist ein Wunder: das ist jener Mann wieder, welcher den Reichtum ins Land gebracht hat.« Und damit schickte sie nach ihm. Giannetto ging zu ihr; sie begrüßten sich mit vielen Umarmungen und erwiesen sich Ehre, und den ganzen Tag war man darauf bedacht, Fröhlichkeit und Feste zu üben; man veranstaltete Giannetto zuliebe ein schönes Turnier, woran viele Barone und Ritter desselbigen Tages teilnahmen. Giannetto wollte auch tjostieren; er tat Wunder der Tapferkeit und nahm sich so gut aus in Waffen und zu Pferde, und sein ganzes Wesen gefiel so sehr allen Baronen, daß jeder ihn zum Herrn zu erhalten wünschte.
Als es nun am Abend Zeit war, sich zu Bette zu legen, nahm die Frau den Giannetto bei der Hand und sagte: »Laß uns schlafen gehen!«
Er stand schon am Eingang der Schlafkammer, als eine Zofe, der es um Giannetto leid tat, sich zu seinem Ohr neigte und ihm zuflüsterte: »Gib dir den Anschein zu trinken, trink aber nicht diesen Abend!«
Giannetto verstand diese Worte, trat in die Schlafkammer, und die Frau sagte zu ihm: »Ich weiß, daß Ihr durstig sein werdet, und wünsche daher, daß Ihr trinket, ehe Ihr zu Bette geht.«
Alsbald kamen zwei Mädchen, schön wie zwei Engel, mit Wein und Zuckerbackwerk nach gewohnter Weise und schenkten ein. Giannetto sagte: »Wer könnte sich enthalten zu trinken, wenn er zwei so schöne Jungfräulein sieht?«
Darüber lachte die Frau. Giannetto nahm die Schale und tat, als ob er trinke, schüttete den Inhalt aber in den Busen. Die Frau meinte, er habe getrunken, und sagte bei sich selbst: »Du magst immerhin noch ein anderes Schiff herbeiführen; denn dieses hast du verloren.«
Dann ging Giannetto zu Bett, fühlte sich ganz hell und munter und konnte den Augenblick kaum erwarten, bis die Frau ins Bett käme.
»Diesmal habe ich sie gefangen,« sprach er bei sich selbst. »Heute hat sie die Zeche ohne den Wirt gemacht.«
Und damit die Frau um so schneller ins Bett käme, tat er, als ob er anfinge zu schnarchen und zu schlafen. Darum sagte die Frau: »Nun ist es recht.«
Sie zog sich aus und kam an Giannettos Seite. Dieser wartete nicht lange; sondern sobald die Frau unter die Decke geschlüpft war, wandte er sich nach ihr um, umarmte sie und sprach: »Jetzt habe ich, wonach ich mich so lange gesehnt habe.«
Damit gab er ihr den Friedenskuß der heiligen Ehe, und sie kam die ganze Nacht nicht mehr aus seinen Armen. Darüber war die Frau mehr als vergnügt, stand am Morgen vor Tag auf, ließ aussenden nach allen Baronen und Rittern und vielen andern in der Stadt und sprach zu ihnen: »Giannetto ist euer Gebieter. Darum denkt daran, Festlichkeiten zu veranstalten!«
Plötzlich verbreitete sich das Gerücht durch das Land, und man rief: »Es lebe der Herr! Es lebe der Herr!«
Die Glocken wurden geläutet und Instrumente geblasen, um das Fest zu verkünden. Man sandte aus nach vielen Baronen und Grafen, die außerhalb der Burg wohnten, und ließ ihnen sagen: »Kommt, euren Herrn zu sehen!«
Und als Giannetto die Schlafkammer verließ, wurde er zum Ritter geschlagen und auf einen Thron gesetzt, bekam ein Szepter in die Hand und wurde mit großem Triumph und Gepränge zum Herrscher ausgerufen. Und nachdem alle Barone und Frauen an den Hof gekommen waren, heiratete er die Edelfrau mit unbeschreiblicher und unerdenklicher Freude und Lustbarkeit. Alle Barone und Herren des Landes kamen zu dem Feste, um sich zu ergötzen, zu turnieren, zu tjostieren, zu tanzen, zu singen und zu spielen und alle Kurzweil zu treiben, welche zu solchen Festen gehört. Herr Giannetto teilte in seiner Großmut seidene Tücher und andere kostbare Gegenstände, die er mitgebracht hatte, aus und wurde bald so mannhaft, daß man ihn fürchtete und Recht und Gerechtigkeit von jedermänniglich geübt wurde.
In diesem Glück und Wohlleben vergaß und vernachlässigte er aber ganz und gar jenen armen Herrn Ansaldo, der sich dem Juden für zehntausend Dukaten verpfändet hatte. Als jedoch Herr Giannetto eines Tages mit seiner Frau an einem Fenster des Palastes stand, sah er eine Schar Männer über den Platz ziehen mit brennenden Kerzen in der Hand, die sie zum Opfer bringen wollten. Herr Giannetto fragte: »Was hat das zu bedeuten?«
Die Frau versetzte: »Es ist ein Haufen Handwerker, die nach der Kirche des heiligen Johannes zu opfern gehen, weil heute sein Festtag ist.«
Da gedachte Herr Giannetto des Herrn Ansaldo, hob sich vom Fenster, seufzte schwer auf und ging mehrmals im Saale auf und ab, in Nachdenken über diese Sache vertieft. Seine Gemahlin fragte ihn, was er habe.
»Weiter nichts«, versetzte Giannetto. Die Frau begann daher in ihn zu dringen und sagte: »Gewiß, Ihr habt etwas und wollt es nicht sagen.«
Sie ließ auch nicht nach, bis Herr Giannetto ihr erzählte, wie Herr Ansaldo als Pfand für zehntausend Dukaten zurückgeblieben sei. »Und heute«, fuhr er fort, »läuft die Frist ab, und es schmerzt mich sehr, daß mein Vater um meinetwillen sterben soll; denn wenn er ihm heute das Geld nicht erstattet, so muß er ein Pfund Fleisch von seinem Leibe verlieren.«
Die Frau sagte: »Lieber Herr, besteigt schleunigst ein Pferd und reiset gerades Wegs zu Lande, so werdet Ihr schneller hinkommen als zur See! Nehmt zur Begleitung mit, wen Ihr wollt, packt hunderttausend Dukaten ein und rastet nicht, bis Ihr in Venedig seid! Und wenn er noch am Leben ist, so führt ihn mit Euch hierher!«
Sofort ließ er plötzlich in die Trompete blasen, stieg zu Pferd mit zwanzig Begleitern, nahm hinlänglich Geld mit und schlug den Weg nach Venedig ein.
Unterdessen hatte der Jude, da die Frist verlaufen war, den Herrn Ansaldo festnehmen lassen und wollte ihm ein Pfund Fleisch vom Leibe schneiden. Da bat ihn Herr Ansaldo um die Vergünstigung, daß er seinen Tod noch um einige Tage verschiebe, damit, wenn sein Giannetto komme, er ihn wenigstens noch sehen könne.
Der Jude sagte: »Ich bin es zufrieden, Euch Euren Wunsch in betreff des Aufschubs zu gewähren. Aber wenn er hundertmal käme, so ist es meine Absicht, Euch ein Pfund Fleisch aus dem Leibe zu nehmen, wie die Papiere besagen.«
Herr Ansaldo versetzte, er sei es zufrieden. Da sprach ganz Venedig von dem Falle; aber ein jeder hatte Mitleid, und viele Kaufleute vereinigten sich, um die Schuld zu bezahlen; aber der Jude wollte davon nichts wissen, sondern wollte den Mord begehen, um sagen zu können, daß er den größten Kaufmann der Christenheit ums Leben gebracht habe.
Indem nun Herr Giannetto eilends heranreiste, zog ihm seine Gemahlin gleich nach, und zwar als Richter verkleidet mit zwei Dienern. In Venedig angelangt, begab sich Herr Giannetto in das Haus des Juden, umarmte Herrn Ansaldo mit vieler Freude und sagte darauf dem Juden, er wolle ihm sein Geld geben, ja noch mehr, soviel er verlange. Der Jude aber antwortete, er wolle gar kein Geld, da er es nicht zur rechten Zeit erhalten habe, vielmehr wolle er ihm ein Pfund Fleisch vom Leibe nehmen. Hier erhob sich nun ein großer Streit, und jedermann gab dem Juden unrecht. Da man aber bedachte, daß es in Venedig allenthalben rechtlich zugehe, und daß der Jude seine Ansprüche in vollgültiger gesetzlicher Form begründet hatte, so wagte ihm niemand anders als mit Bitten zu widersprechen. Darum begaben sich alle Kaufleute Venedigs dahin, um den Juden zu bitten; er aber bestand nur immer hartnäckiger auf seiner Forderung. Nun erbot sich Herr Giannetto, ihm zwanzigtausend Dukaten zu geben, aber er wollte nicht; dann kam er auf dreißigtausend, und dann auf vierzigtausend und auf fünfzigtausend, und so stieg er auf bis auf hunderttausend Dukaten. Endlich sprach der Jude: »Weißt du was? Wenn du mir mehr Dukaten anbötest, als diese Stadt wert ist, so würde ich mich doch damit nicht abfinden lassen; vielmehr verlange ich einzig das, was meine Papiere besagen.«
Und so standen die Verhandlungen, siehe, da kam in Venedig diese Dame an, als Richter gekleidet, und stieg in einem Gasthause ab. Der Wirt fragte einen Diener: »Wer ist dieser edle Herr?«
Der Diener war bereits von der Frau unterrichtet, was er sagen solle, wenn er nach ihr gefragt würde, und antwortete: »Es ist ein rechtsgelehrter Edelmann, der von Bologna kommt, wo er studiert hat, und nun in seine Heimat geht.«
Als der Wirt dies vernahm, tat er ihm viele Ehre an, und während der Richter bei Tisch saß, sagte er zu dem Wirte: »Wie ist denn das Regiment hier in eurer Stadt?«
Der Wirt antwortete: »Nur allzu gerecht, edler Herr.«
»Wieso?« fiel der Richter ein.
»Das will ich Euch sagen, edler Herr«, entgegnete der Wirt. »Es kam einmal von Florenz ein Jüngling hierher, welcher Giannetto hieß, und ging hier zu einem seiner Taufpaten, namens Herr Ansaldo, und er betrug sich so artig und gesittet, daß in der ganzen Stadt Männer und Frauen ihm zugetan waren; ja, es ist nie ein Fremder bei uns so allgemein beliebt gewesen wie er. Dieser sein Taufpate nun rüstete ihm dreimal ein Schiff aus, und diese drei Schiffe waren vom größten Werte; aber jedesmal war er damit unglücklich, so daß es ihm zuletzt an Geld zur Ausrüstung des Schiffes fehlte. Daher borgte jener Herr Ansaldo zehntausend Dukaten von einem Juden unter der Bedingung, daß, wenn er sie ihm nicht bis zum Sankt-Johannis-Tag im nächstkünftigen Monat Juni zurückgegeben habe, der besagte Jude ihm ein Pfund Fleisch vom Leibe schneiden dürfe, wo es ihm beliebe. Nun ist zwar glücklicherweise der Jüngling zurückgekehrt und hat sich erboten, statt der zehntausend Dukaten hunderttausend zu zahlen, aber der arglistige Jude will nicht. Es sind alle rechtschaffenen Leute der Stadt zu ihm gegangen, um ihn mit Bitten zu erweichen, aber es hilft nichts.«
Darauf antwortete der Richter: »Dieser Handel ist leicht zu schlichten.«
Der Wirt versetzte: »Wenn Ihr Euch der Mühe unterziehen wollt, die Sache zu Ende zu führen, so daß der brave Mann nicht sein Leben einbüßt, so würdet Ihr Euch die Gunst und die Liebe des wackersten Jünglings erwerben, der je geboren wurde, und zugleich die aller Leute dieser Stadt.«
Hiernächst ließ der Richter eine Aufforderung bekanntmachen, wer irgendeine Rechtsfrage zu schlichten habe, der solle zu ihm kommen; und so wurde auch Herrn Giannetto gesagt, es sei ein Richter von Bologna angekommen, der sich jeden Handel zu schlichten erbiete. Darum sagte Herr Giannetto zu dem Juden: »Wir wollen zu diesem Richter gehen!«
»Meinetwegen«, sagte der Jude; »es mag kommen, wer will, ich habe in jedem Falle das Recht, zu tun, was mein Schein besagt.«
Als sie vor den Richter traten und ihm die schuldige Ehrerbietung bezeugten, erkannte der Richter den Herrn Giannetto sogleich, nicht ebenso aber Herr Giannetto den Richter, denn der letztere hatte vermittels gewisser Kräuter seine Gesichtszüge unkenntlich gemacht. Herr Giannetto und der Jude trugen jeder seine Sache und die Gründe dem Richter vor; dieser nahm den Schein, las ihn und sagte darauf zu dem Juden: »Ich wünschte, du nähmest diese hunderttausend Dukaten und gäbest diesen guten Mann los, der dir überdies immer dafür verpflichtet sein wird.«
»Daraus wird nichts«, antwortete der Jude.
»Aber«, sagte der Richter, »es wäre dein Bestes.«
Der Jude dagegen beharrte darauf, er wolle sich auf nichts von alledem einlassen. Darauf begaben sie sich insgesamt zu dem Gerichte, das über dergleichen Fälle gesetzt ist, und der Richter verlangte nach Herrn Ansaldo und sagte: »Nun laßt ihn vortreten!«
Als er erschienen war, sagte der Richter: »Wohlan, nimm ihm ein Pfund Fleisch, wo du willst, und bringe deine Sache zu Ende!«
Da hieß ihn der Jude sich nackt ausziehen und nahm ein Rasiermesser in die Hand, das er zu diesem Zwecke hatte machen lassen. Herr Giannetto aber wandte sich zu dem Richter und sagte: »Herr, darum habe ich Euch nicht gebeten.«
Der Richter antwortete: »Sei getrost, er hat das Pfund Fleisch noch nicht herausgeschnitzelt.«
Gleichwohl trat der Jude auf ihn zu. Da sprach der Richter: »Hab wohl acht, daß du es recht machst! Denn wenn du mehr oder weniger als ein Pfund nimmst, so lasse ich dir den Kopf abschlagen. Ferner sage ich dir auch, daß, wenn er dabei nur ein Tröpfchen Blut verliert, du gleichfalls des Todes bist, denn deine Papiere besagen nichts von Blutverlust; auch sprechen sie, daß du ihm ein Pfund Fleisch nehmen darfst, und sonst heißt es von nichts mehr und nichts minder. Darum, wenn du klug bist, ergreifst du die Maßregeln, von welchen du glaubst, daß sie zu deinem Besten gereichen.«
Und sogleich schickte er nach dem Scharfrichter und ließ ihn Pflock und Beil mitbringen und sprach: »Sowie ich nur ein Tröpfchen Blut herausfließen sehe, lasse ich dir den Kopf abschlagen.«
Da bekam der Jude Furcht, Herr Giannetto aber fing an, sich wieder zu erheitern. Endlich nach vielem Hinundherreden begann der Jude: »Herr Richter, Ihr seid klüger als ich. So laßt mir denn jene hunderttausend Dukaten zahlen, und ich bin zufrieden.«
Der Richter aber sagte: »Ich will, daß du dir ein Pfund Fleisch nimmst, wie dein Schein besagt, denn Geld sollst du nicht einen Pfennig erhalten. Du hättest es nehmen sollen, als ich es dir anbot.«
Der Jude stieg herab zu neunzigtausend, dann zu achtzigtausend Dukaten, aber der Richter blieb nur immer fester auf seinem Ausspruch. Da sprach Herr Giannetto zu dem Richter: »Geben wir ihm, was er verlangt, wenn er nur Herrn Ansaldo freiläßt!«
Der Richter aber versetzte: »Ich sage dir, laß mich gewähren!«
Darauf begann der Jude: »So gebt mir fünfzigtausend Dukaten!«
Der Richter dagegen antwortete: »Ich gebe dir nicht den schlechtesten Stüber, den du je gesehen.«
»So gebt mir«, fuhr der Jude fort, »wenigstens meine zehntausend Dukaten! Verflucht sei Luft und Erde!«
Der Richter aber erwiderte: »Verstehst du mich nicht? Nichts will ich dir geben. Willst du ihm ein Pfund Fleisch nehmen, so nimm es! Wo nicht, so lass' ich deine Papiere aufheben und vernichten.«
Darob waren alle Anwesenden über die Maßen vergnügt. Jeder verspottete den Juden und sprach: »Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.«
Als nun der Jude sah, daß er das nicht erreichen konnte, was er wollte, nahm er seine Papiere und zerriß sie voll Ärger, und so ward Herr Ansaldo frei, und Herr Giannetto geleitete ihn mit großem Jubel nach Hause. Darauf nahm er schnell die hunderttausend Dukaten, eilte zu dem Richter und fand diesen in seiner Kammer beschäftigt, sich auf die Reise zu rüsten. Da sagte Herr Giannetto zu ihm: »Edler Herr, Ihr habt mir den größten Dienst erwiesen, der mir je erzeigt worden ist; darum bitte ich Euch, dieses Geld mit Euch zu nehmen, das Ihr wohl verdient habt.«
Der Richter antwortete: »Mein lieber Herr Giannetto, ich sage Euch großen Dank; aber ich bedarf dessen nicht. Nehmt es mit Euch, daß Eure Frau Euch nicht beschuldige, schlecht gewirtschaftet zu haben!«
Herr Giannetto sagte: »Die ist meiner Treu so großherzig, feingesittet und rechtschaffen, daß, wenn ich viermal soviel Euch gäbe, sie doch zufrieden wäre; denn sie verlangte, ich solle viel mehr als dies mitnehmen.«
Da fuhr der Richter fort: »Wie seid Ihr denn sonst mit ihr zufrieden?«
Herr Giannetto antwortete: »Es gibt kein Geschöpf auf der Welt, zu dem ich mehr Wohlwollen trüge als zu ihr; denn sie ist so weise und so schön, wie sie die Natur nur zu schaffen vermochte. Und wenn Ihr mir eine Gunst erzeigen wollt und mit mir kommen, um sie zu sehen, so sollt Ihr Euch wundern über die Ehre, die sie Euch antun wird, und mögt Euch überzeugen, ob sie nicht das ist, was ich sage, oder noch mehr.«
Der Richter antwortete: »Daß ich mit Euch komme, das geht nicht an, denn ich habe andere Geschäfte; aber weil Ihr mir sagt, daß es eine so vortreffliche Frau ist, so grüßt sie von mir, wenn Ihr sie seht!«
»Das soll geschehen«, sprach Herr Giannetto; »aber ich wünschte doch, daß Ihr von diesem Gelde nehmet.«
Während er so sprach, sah der Richter einen Ring an seinem Finger, weshalb er zu ihm sagte: »Gebt mir diesen Ring! Außerdem will ich keinen Heller.«
Herr Giannetto antwortete: »Ich bin's zufrieden, so ungern ich es auch tue, denn meine Frau hat ihn mir geschenkt und mir gesagt, ich solle ihn immer tragen um ihrer Liebe willen; und wenn sie ihn nicht mehr an mir sieht, so wird sie glauben, ich habe ihn einem Weibe gegeben, und so wird sie sich über mich erzürnen und meinen, ich habe eine Liebschaft, während ich ihr doch mehr zugetan bin als mir selbst.«
Der Richter sagte: »Es scheint mir sicher, daß sie Euch zärtlich genug liebt, um Euch hierin zu glauben; sagt ihr nur, Ihr habt den Ring mir geschenkt! Aber vielleicht wolltet Ihr ihn einer alten Buhlschaft hier schenken.«
Herr Giannetto aber versetzte: »Die Liebe und Treue, die ich zu ihr trage, ist so groß, daß es in der Welt keine Frau gibt, mit der ich sie vertauschen möchte, so voll Schönheit ist sie in allen Dingen.«
Und damit zog er den Ring vom Finger und gab ihn dem Richter. Sodann umarmten sie sich und verbeugten sich gegeneinander.
»Tut mir einen Gefallen«, sagte der Richter.
»Verlangt«, versetzte Herr Giannetto.
»Haltet Euch hier nicht auf«, fuhr der Richter fort. »Geht sogleich heim zu dieser Eurer Frau!«
»Es scheint mir eine wahre Ewigkeit«, sagte Herr Giannetto, »bis ich sie wiedersehe.«
So nahmen sie Abschied. Der Richter stieg in eine Barke und ging seines Weges, Herr Giannetto aber gab jenen Gefährten Abendessen und Frühstücke, schenkte ihnen Pferde und Geld und hielt so Feste und machte einen Hof mehrere Tage. Dann aber nahm er Abschied von allen Venezianern, nahm den Herrn Ansaldo mit sich, und viele seiner alten Kameraden begleiteten ihn. Fast jedermann, Männer und Frauen, weinten aus Rührung über seinen Abgang, so freundlich hatte er sich während seines Aufenthaltes in Venedig gegen alle betragen. So schied er und kehrte nach Belmonte zurück.
Nun begab es sich, daß seine Frau mehrere Tage vor ihm ankam und tat, als wäre sie im Bade gewesen. Sie nahm wieder ihre weibliche Kleidung an, ließ große Zubereitungen veranstalten, alle Straßen mit Zendal bedecken und viele Scharen Bewaffneter neu kleiden.
Als nun Herr Giannetto und Herr Ansaldo ankamen, gingen ihnen alle Barone und der ganze Hof entgegen und riefen: »Es lebe unser Herr! Es lebe unser Herr!«
Sowie sie ans Land stiegen, eilte die Frau, den Herrn Ansaldo zu umarmen, und stellte sich etwas empfindlich gegen Herrn Giannetto, obwohl sie ihn mehr liebte als ihr Leben. Es wurde ein großes Fest veranstaltet mit Turnieren, Waffenspiel, Tanz und Gesang, woran alle Barone, Frauen und Fräulein, so daselbst waren, teilnahmen. Als jedoch Herr Giannetto sah, daß ihm seine Gemahlin kein so freundliches Gesicht machte wie sonst, trat er in sein Gemach, rief sie zu sich und sprach: »Was hast du?«
Dabei wollte er sie umarmen. Die Frau aber sagte: »Du brauchst mir keine solche Liebkosungen zu machen; ich weiß wohl, daß du in Venedig deine alten Buhlschaften wieder aufgesucht hast.«
Herr Giannetto begann sich zu entschuldigen; die Frau aber fuhr fort: »Wo ist der Ring, den ich dir gab?«
Herr Giannetto antwortete: »Da haben wir's nun, wie ich mir vorstellte. Ich sagte doch gleich, du werdest Böses dabei denken. Aber ich schwöre dir bei meinem heiligen Glauben und bei meiner Treue zu dir, daß ich den Ring jenem Richter gegeben habe, der mich den Prozeß gewinnen machte.«
Die Frau aber sagte: »Und ich schwöre dir bei meinem heiligen Glauben und bei meiner Treue zu dir, daß du ihn einem Weibe gegeben hast; ich weiß es gewiß, und doch scheust du dich nicht, so zu schwören.«
Herr Giannetto fügte hinzu: »Ich flehe zu Gott, mich augenblicklich von dieser Welt zu vernichten, wenn ich dir nicht die Wahrheit sage, ja, daß ich es schon dem Richter gesagt habe, als er mich darum gebeten.«
Die Frau sagte: »Du hättest ja noch dort bleiben und Herrn Ansaldo allein hierher schicken können, derweil du dich mit deinen Liebschaften ergötztest; denn ich höre, sie haben alle geweint, als du weggingst.«
Da hub Herr Giannetto an zu weinen, war in schwerer Not und sprach: »Du tust einen Eid auf etwas, was nicht wahr ist und nicht wahr sein kann.«
Als aber die Frau ihn weinen sah, war es ihr, als bekäme sie einen Messerstich in das Herz, stürzte plötzlich in seine Arme und fing an, laut aufzulachen. Sie zeigte ihm den Ring und sagte ihm alles, wie er mit dem Richter gesprochen habe, und daß sie der Richter gewesen sei, und auf welche Weise er ihr den Ring gegeben habe. Darüber war Herr Giannetto aufs äußerste verwundert, und da er dennoch die Wahrheit ihrer Rede erkannte, fing er an, über die Maßen fröhlich zu werden. Er trat aus dem Gemach und erzählte es einigen seiner Barone und Gefährten. Und die Liebe zwischen ihnen beiden wuchs und mehrte sich auch dadurch. Hernach rief Herr Giannetto die Kammerfrau zu sich, die ihm an jenem Abend die Weisung gegeben hatte, nicht zu trinken, und gab sie dem Herrn Ansaldo zur Frau. So blieben sie lange Zeit in Glück und Fröhlichkeit bis an ihr Ende.
In der Provence lebte noch vor nicht langer Zeit ein Edelmann, der Besitzer verschiedener Burgen, mit Namen Carsivalo, ein Mann von großem Verstand und Tüchtigkeit und sehr geehrt und geliebt von den andern Herren und Baronen des Landes; denn er stammte ursprünglich aus dem edeln Blute des Hauses Balzo in der Provence. Carsivalo hatte eine Tochter, namens Lisetta, welche die schönste und edelste Gestalt war, die man dazumal in der ganzen Provence finden konnte. Viele Herren, Grafen und Barone erbaten sich ihre Hand, junge, rüstige und schöne Männer; der besagte Carsivalo aber entgegnete allen mit Nein, und keiner von ihnen war ihm recht zum Eidam.
Nun war in dem Lande ein Graf, welcher das ganze Venisi besaß, worin viele Städte und Burgen liegen; er hieß der Graf Aldobrandino, war über siebzig Jahre alt, hatte weder Frau noch Kinder, war aber so reich, daß sein Reichtum gar keinen Boden hatte. Dieser Graf Aldobrandino, als er von der Schönheit der Tochter Carsivalos hörte, verliebte sich in sie und hätte sie gerne zur Frau genommen; er schämte sich aber, sie zu begehren, da er so alt war und wußte, wie viele wackere junge Leute sie zur Frau begehrt haben, ohne daß sie einem zuteil geworden wäre. Und doch nagte an ihm beständig der Wunsch, sie zu besitzen, und er wußte doch die Sache nicht anzugreifen. Als er nun eines Tages ein Fest gab, geschah es zufällig, daß Carsivalo als sein Freund und Diener dieses Fest mit seiner Gegenwart beehrte. Der Graf nahm ihn aufs ehrenvollste auf und schenkte ihm Pferde, Vögel und Hunde und noch viele andere Dinge. Der Graf beschloß nun, ihn im Vertrauen um seine Tochter anzugehen, und tat es auch.
Als sie eines Tages miteinander allein im Zimmer waren, begann der Graf freundlich folgendermaßen: »Mein lieber Carsivalo, ich will dir meine Gesinnung sagen, ohne langen Prolog und Vorrede, denn ich denke, bei dir kann ich alles sagen. Freilich aus einem Gründe muß ich mich dabei schämen, aber aus keinem andern, wiewohl der Lauch unter dem Boden auch dick und alt wird und dennoch den Stengel in die Höhe streckt und fortwährend grünt. Ich will dir daher nur sagen, wie es mit mir steht. Ich möchte nämlich gerne, wenn es dir gefällig wäre, deine Tochter zur Frau bekommen.«
Carsivalo antwortete: »Auf mein Wort, lieber Herr, ich gäbe sie Euch gerne, aber ich müßte mich gar zu sehr darüber schämen, angesehen daß die, so sie begehrt haben, lauter junge Leute sind von achtzehn bis zwanzig Jahren, und ich könnte in Fehde mit ihnen geraten. Dann wären auch Mutter und Brüder und meine andern Verwandten und Genössen vielleicht nicht damit zufrieden; auch hätte das Mädchen selbst kein Genügen an Euch, da sie andere, rüstigere als Ihr haben könnte.« »Lieber Carsivalo«, antwortete der Graf, »du hast ganz recht. Du kannst ja aber sagen, sie bekomme dann alles, was ich besitze. Darum wünsche ich, daß wir wegen der Sache miteinander übereinkommen.«
Carsivalo sagte: »Ich bin damit ganz einverstanden. Wir wollen es heute nacht überlegen und morgen früh uns unsere Ansichten mitteilen. Dabei wollen wir es belassen.«
Der Graf konnte die ganze Nacht nicht schlafen, sondern ersann sich, um seinen Zweck zu erreichen, einen allerliebsten Plan. Am folgenden Morgen rief er Carsivalo zu sich und sprach: »Ich habe etwas gefunden, was dich vollständig entschuldigen, ja was dir zu großer Ehre gereichen muß.«
»Nun wie?« fragte Carsivalo.
»Laß ein Turnier ausschreiben«, fügte der Graf hinzu, »daß, wer deine Tochter zur Frau begehrt, an dem und dem Tage kommen soll, und wer Sieger ist, soll sie zur Frau bekommen. Für das Weitere laß mich sorgen! Ich will schon ein Mittel finden zu siegen, und jedermann wird dich entschuldigen.«
Carsivalo sagte: »Es ist mir recht.«
Darauf nahm er Abschied und kehrte nach Hause zurück. Bei gelegener Zeit rief er seine Frau und seine übrigen Verwandte und Freunde und sprach: »Es schiene mir nunmehr Zeit, Lisetta zu verheiraten. Aber wie meint ihr nun, daß es anzugehen sei bei den vielen Bewerbern, die wir haben, die alle unsere Nachbarn und Freunde sind ? Jeder, dem wir sie nicht geben, wird unser Feind, erzürnt sich und spricht: ›Bin ich nicht so viel wert als der?‹ So werden die andern auch sagen, und während wir Freunde zu erwerben glaubten, bekommen wir nichts als Feinde. Darum dünkt mich, wir veranstalten auf den Frühling ein Turnier, und wer darin gewinnt, der soll sie in Gottes Namen haben.«
Die Mutter und die andern antworteten, sie seien zufrieden mit dieser Anordnung, und so schritt man denn zur Ausführung. Carsivalo ließ das Turnier ansagen: Wer seine Tochter zur Frau begehre, solle sich einfinden am ersten Tage des Maimonats in der Stadt Marseille zu einem Turnier, und wer Sieger bleibe, solle sie haben. Der Graf Aldobrandino schickte deshalb nach Frankreich und bat den König, ihm den rüstigsten Knappen im Waffenhandwerk zu schicken. Der König, in Erwägung, daß der Graf immer ein Diener der Krone gewesen und auch sein Vetter war, schickte ihm einen seiner Knappen, den er von Kindheit auf erzogen hatte, namens Ricciardo, der aus dem Hause Montalbano, einem von jeher kräftigen edlen Geschlechte, stammte. Dabei befahl er ihm, alles zu tun, was der Graf Aldobrandino ihm befehle. Der Jüngling kam zum Grafen, der ihm große Ehre erwies und ihm dann den Grund, warum er nach ihm geschickt hatte, auseinandersetzte.
»Der König hat mir befohlen«, sprach Ricciardo, »alle Eure Befehle zu vollziehen: darum gebietet mir, und ich werde rüstig gehorchen.«
Der Graf sagte: »Wir werden zu Marseille ein Turnier veranstalten, worin ich wünsche, daß du den Sieg davonträgst. Dann komme ich auf den Kampfplatz und fechte mit dir, und du mußt dich zuletzt von mir besiegen lassen, damit ich als Sieger des ganzen Turniers erscheine.«
Ricciardo versetzte, er sei bereit. Der Graf behielt ihn insgeheim bei sich, bis es Zeit war; dann sprach er zu ihm: »Nimm die Waffen, die du willst, geh nach Marseille und rüste dich mit Geld und Pferden nach deinem Wohlgefallen wie ein fahrender Ritter aus und mache, daß du stattlich aussiehst!«
Ricciardo sagte: »Laßt mich nur machen!«
Er ging nun gleich in den Stall und sah daselbst unter den andern ein Roß, das schon einige Monate nicht geritten worden war. Er bestieg es sogleich, wählte sich ein passendes Gefolge und ging nach Marseille, wo eine große Zubereitung zum Turnier gemacht war. Schon waren viele kampflustige junge Männer daselbst eingetroffen, und jeder schätzte sich glücklich, der den andern an schönem und stattlichem Aufzug zu übertreffen glaubte. Es waren so viele Trompeter und Pfeifer hier beisammen, daß alles ringsumher von Musik ertönte. Es wurde ein großer Platz ausgesteckt, woselbst das besagte Turnier gehalten werden sollte, mit vielen Balkonen ringsum, wo Herren, Frauen und Fräulein standen, um zuzuschauen.
Mit dem festgesetzten ersten Maitage kam auch jenes edle Fräulein, nämlich Lisetta, die unter den andern wie eine Sonne aussah, so vollendet schön und sittsam erschien sie in jeder Weise. So kamen alle, die sie zur Frau wollten, zum Turnier mit vielen Sinnsprüchen und mannigfaltigem Aussehen und versetzten sich untereinander weidliche Schläge. Ricciardo kam gleichfalls auf besagtem Rosse zum Turnier und bahnte sich Platz durch das Gedränge. So dauerte das Turnier einen großen Teil des Tages hindurch, und immer siegte besagter Ricciardo in demselben; denn er war gewandter in den Waffen als irgendein anderer, griff rüstig an und verteidigte sich gut und wich gewandt aus, da er in diesem Gewerbe sehr erfahren war. Einer fragte den andern, wer denn das sei; da hieß es, es sei ein eben angekommener Fremder. Kurz, er blieb Sieger auf dem Kampfplatz, und alle andern wurden zu Boden geschlagen und zogen ab, der eine dahin, der andere dorthin: denn vor seinen gewaltigen Streichen vermochten sie nicht zu bestehen.
Es dauerte aber nicht lange, so trat der Graf Aldobrandino auf den Kampfplatz, ganz bedeckt mit Waffen, stürzte auf Ricciardo los und Ricciardo auf ihn, daß es krachte. Nach vielen Hieben hin und wider ließ sich Ricciardo der getroffenen Abrede gemäß zu Boden schlagen und tat nichts mehr, was ihm freilich schwer fiel, denn er hatte sich bereits in Lisetta verliebt. Aber er mußte den Befehl des Königs vollziehen und folglich auch den Wunsch des Grafen Aldobrandino. Als nun der Graf den Sieg errungen hatte, ritt er durch die Bahn mit dem Schwert in der Hand, und sogleich kamen ihm alle seine Schildknappen und Barone entgegen mit großem Jubel. Als er aber den Helm abnahm und man ihn erkannte, wunderte sich alles über ihn, namentlich aber das Fräulein. So bekam also der Graf auf listige Weise Carsivalos Tochter zur Frau und führte sie ins Haus und ließ aus diesem Anlaß große Feierlichkeiten und Feste veranstalten.
Nach diesem Ereignis kehrte Ricciardo nach Frankreich zurück, und der König fragte ihn, was er getan habe.
»Heilige Majestät«, antwortete Ricciardo, »ich komme von einem Turnier, zu welchem mich Euer Graf böslicherweise genötigt hat.«
»Wieso?« fragte der König.
»Ich mußte«, versetzte Ricciardo, »des Grafen Kuppler abgeben.«
Dann erzählte er ihm die ganze Geschichte, über welche sich der König baß verwunderte.
»Gnädigster Herr«, fuhr Ricciardo fort, »verwundert Euch nicht über das, was mir begegnet ist, sondern vielmehr darüber, daß ich es getan habe; denn ich habe nie etwas getan, was mir größeres Leid verursacht als dies. Das Fräulein, das Graf Aldobrandino auf so schnöde Weise zu gewinnen wußte, ist nämlich aus der Maßen schön.«
Der König dachte eine Weile darüber nach, dann sagte er: »Ricciardo, besorge nichts! Dies Turnier kann noch dein Vorteil sein. Doch damit genug für jetzt!«
Kurze Zeit darauf geschah es, daß besagter Graf Aldobrandino ohne Erben mit Tod abging; Madonna Lisetta war also Witwe geworden, und ihr Vater holte sie wieder in sein Haus, machte aber fast gar nichts mit ihr und schmeichelte ihr nicht wie sonst. Darüber begann das junge Weibchen sich im stillen sehr zu verwundern und konnte am Ende nicht länger mehr an sich halten, sondern sprach eines Tages zu ihrem Vater folgendermaßen: »Mein Vater, ich wundere mich sehr über Euch, angesehen, daß ich sonst eines Eurer Augen war und Ihr mich Eurem liebsten Sohne vorzoget; und sooft Ihr mich sahet, ging Euch das Herz auf, solange ich noch ein Mädchen war; jetzt aber, ich weiß gar nicht warum, ist es, als ob Euer Herz gar nicht mehr meinen Anblick ertragen könne.«
Der Vater antwortete ihr also: »Du wunderst dich nicht so sehr über mich, als ich mich über dich gewundert habe; denn ich glaubte, du seiest gescheit und merkest, warum und in welcher Absicht ich dich an den Alten verheiratet habe: einzig, damit du Kinder bekämest, – so hättest du dich zur unumschränkten Gebieterin über seinen Reichtum machen können. Sonst hatte ich keine Absicht.«
»Mein Vater«, antwortete die Tochter, »ich habe getan, was ich konnte.«
»Wie ist es möglich«, fügte der Vater bei, »daß an seinem Hofe kein Knappe, Ritter oder Knecht sich fand, der dazu geschickt war?«
»Mein Vater«, antwortete die Tochter, »seid mir nicht böse darüber! Ich versichere Euch, es war kein Ritter, Knappe oder Knecht im Hause, dem ich es nicht sagte; aber keiner wollte mir glauben.«
Als der Vater diese lustige Antwort hörte, erheiterte er sich ganz und gar und sprach: »Ich bin zufrieden und verspreche dir einen solchen Mann zu schaffen, daß du nicht nötig hast, einen andern als ihn darum zu bitten. Laß mich nur machen!«
Nun fiel die ganze Erbschaft des Grafen Aldobrandino an den König von Frankreich, der sich des wackern, ritterlichen Betragens Ricciardos erinnerte und alsbald in die Provence schickte zu Carsivalo, um ihm zu eröffnen, er möge seine Tochter einem seiner Knappen geben, der ohnedies von Rechts wegen ihr Mann sei. Carsivalo merkte die Sache sogleich und antwortete daher dem König, er möge unbeschränkt verfügen nach seinem Gutdünken. Der König stieg zu Pferde mit größtem Gefolge, kam in die Provence, nahm Ricciardo mit sich und schloß jene Verbindung, nämlich daß Lisetta seine Frau wurde. Sodann erhob er ihn zum Grafen und schenkte ihm die Grafschaft, die dem Grafen Aldobrandino gehört hatte. Allen gefiel diese Verbindung, namentlich aber ihr. Sie brauchte nun nie wieder weder Knechte noch Knappen zu bitten, denn sie beide waren jung und frisch und rüstig zu allem, und so lebten sie miteinander lange Zeit in Glück und Freuden.
In Rom lebten zwei sehr gute Kameraden, deren einer Janni, der andere Ciucolo hieß. Sie waren reich und wohlversehen mit irdischen Gütern. Sie lebten Tag und Nacht beisammen und hatten einander lieber, als wenn sie Brüder gewesen wären. Jeder von ihnen hatte seinen ganz anständigen Haushalt und lebte stattlich, denn sie waren von edler Abkunft und römische Ritter.
Als sie nun eines Tages beisammen waren, sagte einer zum andern: »Geht dir's auch wie mir?«
Der andere antwortete: »Inwiefern?«
»Ich mag noch so sparsam sein«, sagte er, »so habe ich doch am Ende des Jahres nichts erübrigt, sondern bin vielmehr immer im Rückstand.«
Der andere fügte bei: »Meiner Treu, und ich habe im Hause das verkehrteste Weib, das, glaube ich, auf der ganzen Welt lebt. Sie ist gar kein Weib mehr, sondern ein leibhaftiger Teufel. So viel ich ihr auch zu Gefallen tue, so kann ich doch nicht mit ihr leben, so schnöde und verkehrt ist sie. Früh und spät habe ich Händel mit ihr, weit mehr als mir lieb ist; ich weiß gar nicht mehr, wie ich mit ihr auskommen soll.«
Janni antwortete: »Wir wollen doch Rat suchen über diese Fälle, du über den deinen, ich über den meinen.« »Es ist mir recht«, sagte Ciucolo, »und ich bin einverstanden.«
So machten sie sich auf und gingen zu einem braven Manne mit Namen Boezio.
Als sie bei ihm waren, nahm Janni das Wort: »Mein Herr«, sagte er, »wir kommen, um uns Euren Rat zu erbitten. Ich spare das ganze Jahr und bin doch immer im Rückstand, wenn ich mein Einkommen betrachte. Das wundert mich sehr.« Ciucolo sagte: »Und ich habe das verkehrtest und händelsüchtigste Weib von der Welt.«
Boezio sagte zu Janni: »Steh früh auf!«
Und zu Ciucolo sagte er: »Geh an die Engelsbrücke! Geht mit Gott!«
Sie wunderten sich und sprachen untereinander: »Das ist ein Esel. Was soll das heißen, wenn ich ihn um meine Haushaltung befrage, und er antwortet mir: ›Steh früh auf?‹ Und zu dir sagte er, du sollst an die Engelsbrücke gehen.« So gingen sie weiter und machten sich über ihn lustig.
Nun begab es sich, als Janni eines Morgens früh aufstand und sich hinter die Türe versteckte und dort stehenblieb, da sah er einen seiner Knechte, welcher einen großen Krug Öl wegtrug, und ein anderer trug ein Stück trockenes Fleisch hinaus. Darum machte sich Janni denn noch früher auf und sah, wie bald die Mägde, bald die Kammerfrau, die einen Korn und Mehl, die andere dies und das trugen. Da sprach er bei sich selbst: »So ist es kein Wunder, wenn ich am Ende des Jahres nichts übrig habe.«
Dann rief er gleich seinen Diener und sagte: »Geh mit Gott und laß dich nicht mehr im Hause von mir blicken!« Dann rief er die Mägde und die Kammerfrau und sagte ihnen das gleiche und schickte alle hinweg. Zuletzt versah er sich mit neuen Knechten und Dienern und hatte von nun an ein wachsameres Auge über seinen Haushalt, so daß er am Ende des Jahres einen Überschuß hatte, während er zuvor einen Verlust erlitt. Eines Tages begegnete er seinem Freunde und sagte ihm, was er gefunden habe beim Frühaufstehen.
»Ei«, sagte darauf Ciucolo, »da will ich doch auch versuchen, was Boezio mir gesagt hat.«
Am andern Tage ging er daher an die Engelsbrücke, setzte sich hin und wartete. Da kam ein Eselstreiber mit einigen beladenen Maultieren herbei. Eines der Maultiere scheute und wollte nicht weitergehen; da nahm es der Treiber am Halfter, um es über die Brücke zu ziehen; das half aber alles nichts: denn je mehr er das Tier vorwärts zog, um so mehr stemmte es sich zurück. Da ward der Treiber allmählich ärgerlich und schlug auf das Maultier los, das sich aber nur um so schlimmer gebärdete. Als dem Treiber die Geduld ausging, nahm er den Stock, woran die Warenballen befestigt waren, schlug damit unten, auf die Seite, über den Kopf, an die Rippen und ließ seine Wut so reichlich aus an jenem Tiere, daß der Stock endlich zerbrach. Da wurde schließlich das Tier zahm, ging über die Brücke, der Treiber führte es auch mehrmals hin und her, und als er sah, daß dem Tiere die Narrheit ausgetrieben sei, ging er weiter seinen Geschäften nach.
Ciucolo sah, was der Eselstreiber dem Maultier getan hatte, und sagte bei sich selbst: »Nun weiß ich, was ich zu tun habe,« kehrte auch alsbald nach Hause zurück unter diesen Gedanken.
Als er ankam, begann die Frau zu schreien und zu schelten und fragte, wo er so lange bleibe. Der Mann ließ sich's gefallen und blieb ruhig; in ihr aber kochte es fortwährend.
»Sei ruhig«, sagte endlich der Mann, »sonst könnte es dir übel bekommen.«
»Wehe«, rief das Weib, »solltest du es wagen, Hand an mich zu legen? Du könntest deine Rede noch bereuen.«
»Sieh zu, daß du mich nicht in die Hitze bringst! Du würdest den Tag beklagen.«
»Wenn ich glaubte«, versetzte das Weib, »du habest nur ein Härchen an dir, das so dächte, so würde ich es meinen Brüdern sagen lassen, die schon so mit dir fertig werden würden, daß dir das Lachen verginge. Und du wirst schon sehen, was dir für das, was du mir eben gesagt hast, begegnet.«
Der Mann sagte: »Hast du den Teufel im Leib?«, stand auf und ging auf sie los, und sie schrie und machte großen Lärm. Dann nahm er einen Stock, lief auf sie los und schlug drein, auf Rücken, Arme und Kopf. Als der Stock zerbrochen war, nahm er einen andern und fing von vorne an. Da begann sie zu schreien: »Erbarmen, Erbarmen!«
Er aber schlug nur um so heftiger zu und rief: »Wahrlich, ich muß dich zu Tod schlagen.«
Die Frau aber, als sie diesen Entschluß des Mannes sah und sich ganz zerschlagen fühlte, kniete nieder und rief: »Lieber Mann, schlag' mich nicht mehr! Du wirst finden, daß ich nicht mehr widerspenstig bin.«
Um ihr denn die Widerspenstigkeit vollends auszutreiben, ließ der Mann sie mehrmals im Saale auf- und abtrotten und laufen und maß ihr fortwährend mit beiden Händen den Stock auf. In diesem gesegneten Augenblicke entschloß sich die Frau, immer alles ihrem Manne zu Gefallen zu tun, und wurde das sanfteste und demütigste Weib in ganz Rom. Auf diese Weise trieb Ciucolo seinem Weibe die Widerspenstigkeit aus dem Kopfe, und während er früher in fortwährendem Kriege und Unfrieden mit seinem Weibe gelebt hatte, lebte er nun ruhig und friedlich mit ihr. Wer also ein widerspenstiges Weib hat, nehme ein Exempel an Ciucolo, wie er eines am Eselstreiber nahm.
Es ist noch nicht lange her, so waren in Paris zwei sehr bedeutende tüchtige Männer, Doktoren beider Rechte, deren einer Messer Alano, der andere Messer Giovanni Piero hieß, und in der Tat hatte die Christenheit dazumal keine tüchtigeren Männer als sie aufzuweisen. Die beiden beneideten einander fortwährend; aber Messere Alano behauptete immer die Oberhand, denn er war der größte Redekünstler von der Welt und hatte mehr Verstand als Messer Giovanni Piero, der fast ein Ketzer war und oft Verwirrung in unsern Glauben gebracht hätte, wäre nicht eben jener Messere Alano gewesen, der ihn aufrecht erhielt und gegen alle seine Einwürfe verteidigte.
Messere Alano bekam Lust, nach Rom zu gehen und die dortigen heiligen Reliquien zu besuchen, auch den Papst und seinen Hof zu sehen. Darum machte er sich von Hause weg mit vielen Dienern und guter Ausrüstung, ging nach Rom und besuchte den Papst und sah seinen Hof und wie es mit ihm gehalten ward. Dabei wunderte er sich sehr, in Anbetracht daß der römische Hof die Grundlage des Glaubens sein muß und die Stütze des Christentums, da er ihn doch so tadelnswürdig und so voll Simonie fand. Darum verließ er Rom und beschloß, sich aus der Welt zurückzuziehen und dem Dienste Gottes zu ergeben. Als er nun von Rom Abschied genommen und auf der Rückreise mit seinen Dienern nach San Chirico di Rosena kam, sprach er zu ihnen: »Geht nur voran und nehmt Herberge! Ich will schon für mich sorgen.«
Die Diener zogen weiter und gingen nach San Chirico, und als Messere Alano sie weggegangen sah, verließ er die Straße, wandte sich nach dem Gebirge und ritt weiter bis zum Abend, wo er einen Schäfer traf. Messere Alano stieg ab, blieb den Abend bei ihm und sagte zu ihm am folgenden Morgen: »Ich will dir meine Kleider und mein Pferd lassen: gib du mir deinen Anzug!«
Der Schäfer meinte, er treibe Scherz, und sagte: »Messere, ich habe Euch geehrt, soviel ich konnte: darum macht Euch nun nicht über mich lustig!«
Messere Alano aber zog seine Kleider aus und ließ den Hirten sich gleichfalls ausziehen; er ließ ihm das Pferd und seine ganze Habe und nahm die Kleider, Schuhe und die Feldflasche des Schäfers und lief fort aufs Geratewohl.
Als seine Diener ihn nicht zurückkommen sahen, suchten sie nach ihm; als sie ihn aber nicht fanden, dachten sie, der Weg müsse unsicher sein, er sei wohl beraubt und erschlagen worden. So warteten sie einige Tage und gingen dann weg und nach Paris zurück.
Nachdem Messer Alano den Schäfer verlassen hatte, traf er am Abend auf eine Abtei in der Maremme. Er bat um ein Brot als Almosen, und der Abt fragte ihn, ob er in Dienste gehen wolle. Messere Alano sagte: »Ja.«
Darauf fragte der Abt: »Was kannst du arbeiten?«
Messere Alano versetzte: »Lieber Herr, ich werde schon können, was Ihr mich anweiset.«
Der Abt dachte, er habe hier einen brauchbaren Mann gefunden, nahm ihn zu sich und schickte ihn zuerst ins Holz. Er versah dieses Geschäft so gut, daß alle Bewohner des Klosters ihm wohlwollten; denn er tat gern, was man ihm auftrug; er schämte sich nicht und machte sich nichts daraus, Beschwerden zu ertragen und alles anzugreifen, was er zu arbeiten hatte. Als der Abt seine Demut sah, machte er ihn zum Bruder Kellner des Klosters, da er nicht wußte, wer er war, und legte ihm den Namen Don Benedetto bei. Er führte dabei ein strenges Leben, fastete vier Tage der Woche in einem fort, kleidete sich nie aus, brachte immer einen großen Teil der Nacht im Gebete zu und erzürnte sich nie über irgend etwas, was ihm gesagt oder angetan wurde, sondern lobte beständig Christus. Auf diese Weise hatte er beschlossen Gott zu dienen, so daß der Abt ihm sehr wohlwollte und ihn sehr hoch hielt.
Seine Diener waren indessen nach Paris zurückgekommen und meldeten Messere Alano tot, worüber daselbst die größte Wehklage entstand bei allen wackern Leuten, dieweil sie nun den tüchtigsten Doktor auf der Welt verloren hatten. Jener Messer Giovanni Piero aber, als er Messere Alanos Tod erfuhr, war darüber sehr vergnügt und sprach: »Nun kann ich ausführen, was ich so lange schon gewünscht habe.«
Er machte sich bereit und ging nach Rom und stellte dort im Konsistorium einen Satz auf, der gar sehr unserm Glauben zuwiderlief, und suchte durch seine Spitzfindigkeiten eine Ketzerei in die Kirche Gottes zu bringen.
Der Papst hielt darüber eine Versammlung der Kardinäle, worin sie beschlossen, alle tüchtigen Männer in Italien holen zu lassen, damit sie in einem Konsistorium erschienen, das der Papst halten wollte, um auf die Streitfrage zu antworten, die Messer Giovanni Piero unserm Glauben zuwider aufgestellt hatte. Alle Bischöfe und Äbte und die andern hohen Prälaten, die sich auf das Kirchenrecht verstanden, wurden beschieden, an den Hof zu kommen. Darunter war auch der Abt, bei dem Messer Alano lebte. Als dieser im Begriffe war, nach Rom abzugehen, und Messer Alano hörte, was der Zweck seiner Reise war, bat er den Abt um Erlaubnis mitzugehen.
»Was willst denn du dort tun?« sagte der Abt zu ihm; »du kannst ja nicht einmal lesen. Dort sind die tüchtigsten Männer von der Welt, und man spricht von nichts als von Gelehrsamkeit; da verstehst du gar nicht, um was es sich handelt.«
»Messere«, versetzte Messer Alano, »so sehe ich doch den Papst, den ich in meinem Leben noch nie gesehen habe; ich weiß gar nicht, wie er aussieht.«
Als der Abt seinen Entschluß sah, sagte er: »Meinetwegen, so komm mit! Aber weißt du denn mit einem Pferde umzugehen?«
Messer Alano sagte: »Jawohl, Messere!«
Als es nun Zeit war, machte sich der Abt auf den Weg und nahm Messer Alano mit sich. Als sie in Rom ankamen, war schon der Tag bestimmt, an welchem dieses Konsistorium gehalten werden sollte, und jedermann konnte hingehen und die Sätze hören, die jener aufstellte; Messer Alano bat den Abt, er möchte ihn doch mit in die Versammlung nehmen.
»Bist du von Sinnen?« sagte der Abt. »Meinst du, ich könne dich mit dahin führen, wo der Papst, die Kardinäle und so viele angesehene Männer sind?«
Messer Alano sagte: »Ich stecke mich unter Euren Mantel, daß man mich nicht sieht, denn ich bin ja klein und unansehnlich.«
»Nimm dich in acht«, sagte der Abt, »daß dir nicht die Pförtner und Stabträger mit ihren Keulen eins auswischen!«
Messer Alano aber sagte: »Laßt mich nur machen!«
Während nun der Abt in das Konsistorium ging, huschte jener unter dem großen Gedränge beim Eingang plötzlich dem Abt unter den Mantel und kam so mit hinein. Der Abt bekam seinen Platz neben den andern Äbten ihrem Range gemäß; Messer Alano aber kauerte sich zwischen seinen Beinen unter dem Mantel des Abtes zusammen, machte sich ein Fensterchen für sein Auge, um hindurchzugucken, und lauschte aufmerksam den aufgestellten Sätzen. Es dauerte nicht lange, so trat Messer Giovanni Piero in die Versammlung, bestieg die Rednerbühne in Gegenwart des Papstes und der Kardinäle und aller andern Anwesenden und brachte seine Streitfrage vor, die er dann mit feinen, hinterlistigen Gründen zu beweisen suchte. Messere Alano erkannte ihn gleich, und da er sah, daß niemand aufstand, um ihm zu antworten und zu widersprechen, und daß keiner wagte, seiner Beweisführung entgegenzutreten, steckte er seinen Kopf aus dem Fensterchen des Mantels des Abtes hervor und rief laut: »Geh an den Galgen!«
Der Abt hob die Hand auf, gab ihm eine tüchtige Ohrfeige und sagte: »Still! Gott verdamm' dich! Willst du mich in Schmach bringen?«
Die in der Nähe Stehenden sahen einander an und fragten: »Wo kommt diese Stimme her?«
Messer Alano wartete nicht lange, sondern guckte wieder hervor und rief: » Sanctissime pater, audiatis me!«
Der Abt war in größter Verlegenheit, denn alle schauten auf ihn und riefen: »Wen habt Ihr da unter Euch?«
Der Abt sagte, es sei ein verrückter Laienbruder. Darüber fing man ihn an zu schelten und sprach: »Wie mögt Ihr Verrückte in das Konsistorium bringen?«
Dann brachten sie die Stabträger herbei, damit sie ihn prügeln und hinauswerfen sollten. Aus Furcht, Schläge zu bekommen, stürzte Messer Alano unter dem Mantel des Abtes hervor, sprang unter die Bischöfe und fiel dem Papst zu Füßen. Darüber brach das ganze Konsistorium in heftiges Gelächter aus, und der Abt war nahe daran, weggewiesen zu werden, weil er diesen Menschen mit sich hineingeführt habe. Als nun Messer Alano dem Papste zu Füßen lag, bat er um Erlaubnis, seine Meinung über diese Sache aussprechen zu dürfen. Der Papst gab sie ihm. Messer Alano bestieg sofort die Rednerbühne, widersprach allen von dem andern aufgestellten Behauptungen und erörterte dann Punkt für Punkt die ganze Frage mit sprechenden und natürlichen Gründen. Die ganze Versammlung war erstaunt über das feine Latein, in welchem er sich ausdrückte, und die schönen Beweise, die er für seine Ansicht vorbrachte. Da sagten alle: »Wahrlich, da ist uns der Engel Gottes erschienen.«
Als der Papst seine Beredsamkeit hörte, dankte er Gott. Als nun auf solche Art dieser Messer Alano den Messer Giovanni Piero aus dem Felde geschlagen hatte und dieser seine Niederlage anerkennen mußte, sagte er: »Wahrhaftig, du bist der Geist des Messer Alano, oder du bist ein böser Geist.«
Messer Alano sagte: »Ich bin Alano, der dich sonst schon zum Schweigen gebracht hat; aber du bist in der Tat ein böser Geist, da du in der Kirche Gottes eine solche Ketzerei anstiften wolltest.«
Messere Giovanni Piero antwortete: »Hätte ich gedacht, daß du noch am Leben bist, so wäre ich nicht hergekommen.«
Der Papst verlangte zu wissen, wer dies sei, ließ den Abt rufen und befragte ihn, wie er zu dem Menschen komme.
»Heiligster Vater«, sagte der Abt, »er ist seit geraumer Zeit als Laienbruder bei mir; ich glaubte, er verstehe nicht einmal zu lesen, und habe nie einen demütigeren Menschen gekannt, als er ist; er gab sich immer damit ab, Holz zu machen, das Haus zu reinigen, zu betten, die Kranken zu pflegen, das Pferd zu bestellen; im ganzen schien er mir ein einfältiger Mensch.«
Als der Papst das fromme Leben hörte, das er geführt hatte, und seine Tüchtigkeit sah und erfuhr, wer er früher gewesen, wollte er ihn zum Kardinal erheben und ihm die größte Ehre erweisen.
»Wärest du nicht gewesen«, sagte er zu ihm, »so wäre die Kirche Gottes in den größten Irrtum geraten. Darum verlange ich, daß du am Hofe bleibest.«
Messer Alano aber versetzte: »Heiligster Vater, meine Absicht ist, in dieser beschaulichen Weise mein Leben zu beschließen und nicht wieder in die Welt zurückzukehren; vielmehr wünsche ich mit meinem Abte wieder in sein Kloster mich zurückzuziehen, das angefangene Leben fortzusetzen und fortwährend Gott zu dienen.«
Der Abt fiel auf die Kniee und bat ihn um Verzeihung, dieweil er ihn nicht gekannt habe, hauptsächlich von wegen der Ohrfeige, die er ihm gegeben.
»Da braucht es keine Verzeihung«, sprach Messer Alano, »denn der Vater muß den Sohn züchtigen.«
Darauf nahmen sie Abschied vom Papst und den Kardinälen und kehrten beide, der Abt und Messer Alano, in ihr Kloster zurück. Der Abt erwies ihm fortan immer ganz besondere Verehrung, und so lebte er ein heiliges, frommes Leben und verfaßte einige schöne Bücher über unsern Glauben. Solange er in dieser Welt lebte, führte er auch diese Lebensweise fort und erntete darum am Ende den wohlverdienten Lohn des ewigen Lebens.
Vor einiger Zeit lebte zu Rom ein Ritter namens Messer Francesco Orsino von Monte Giordano, welcher eine Gattin hatte, die Madonna Lisabetta hieß, schön, verständig und sehr wohlgesittet war, und die ihm in seiner Ehe zwei Söhne geboren hatte. In diese Frau nun verliebte sich ein junger Mensch und sie in ihn, und da sie sich nicht klug und heimlich hielten, bekam Messer Francesco mehrmals Wind darüber. Er konnte es nicht glauben, in Erwägung daß jener Jüngling nicht schön noch edel noch reich war und überdies sich ganz als sein Freund und ergebener Diener darstellte. Nun geschah es aber, daß einer seiner Geschäftsführer es bemerkte und Messer Francesco sagte, worauf dieser erwiderte: »Laure du ihnen auf, daß du ihn hereinkommen siehst, und dann komm zu mir, denn ich will es selber sehen, sonst kann ich's nicht glauben.«
Der Geschäftsführer sagte: »Es soll geschehen.«
Da tat Messer Francesco eines Tages, als ginge er auf eines seiner Schlösser, und stieg zu Pferde mit einigen Begleitern. In der folgenden Nacht aber kam er nach Rom zurück und blieb verborgen, bis der Geschäftsführer zu ihm kam. So sah Messer Francesco jenen Jüngling wirklich in der Kammer mit seiner Frau scherzen.
»Wem gehört dieses Mäulchen?« fragte der Liebhaber und küßte es.
»Dir«, antwortete ihm die Frau.
»Und diese räuberischen Augen?«
»Sind dein.«
»Und diese Wangen?«
»Sind dein.«
»Und der schöne Hals?«
»Ist dein.«
»Und dieser schöne Busen?«
»Ist dein.«
Und so faßte er eins ums andere an, und die Frau sagte immer, es gehöre ihm; nur beim Hinterteil sagte sie, das gehöre ihrem Manne, und darüber schlugen sie beide ein schallendes Gelächter auf.
Messer Francesco sah und hörte alles mit an, was diese miteinander trieben: »Gott Lob,« dachte er bei sich selbst, »daß ich doch auch noch einen Teil für mich habe!«
Als er nun alles zur Genüge gehört und gesehen hatte, entfernte er sich heimlich, kehrte nach seinem Schlosse zurück und blieb dort, solange es ihm gefiel; dann kam er wieder heim und ließ seiner Frau einen Rock machen aus grobem Tuch, nur der Hinterteil war aus Samt mit Hermelin gefüttert; er ließ auf seinem Schlosse ein sehr schönes Gastmahl bereiten und lud dazu auch den Jüngling und zwei seiner Brüder und einige seiner Verwandten und Gesellen sowie einige Vettern der Frau. Messer Francesco veranstaltete auf einen Sonntagmorgen, daß die Frau jenen Rock anziehen, damit durch Rom gehen und nach seinem Gute mit der Gesellschaft zu Tisch kommen sollte. So geschah es auch. Als man nun zur Tafel ging, setzte Messer Francesco seine Frau neben jenen Jüngling, der Rinaldo hieß, und dann der Reihe nach ihre Brüder und Gefährten und veranstaltete ihnen an diesem Morgen ein reiches und schönes Mahl. Wer am Morgen die Frau so gekleidet sah, mußte sich wundern, so auch alle Verwandte der Frau und Rinaldos, und sie dachten: »Das läuft auf irgend etwas Besonderes hinaus.«
Rinaldo war in der größten Angst. Als das Frühstück vorüber war, sagte Messer Francesco: »Nun gebt acht, ich will euch das Obst geben.«
Er stand auf und ließ jedem der am Tische Sitzenden einen Stock reichen. Dann trat er in eine Kammer, wo er acht Diener bereit hatte, jeden mit einem Stock in der Hand, ebenso viele, als Gäste an der Tafel saßen. Diese ließ er heraustreten und sich um die Tafel herum stellen. Dann sagte er zu den Gästen: »Wehrt euch!«
Und zu den Dienern mit den Stöcken in der Hand sagte er: »Bringt das Obst!«
Darauf warfen sie den Tisch um, wie ihnen befohlen war, und fingen an mit ihren Stöcken auf die am Tische loszuschlagen. Das gab eine schöne Rauferei mit den Stöcken untereinander; denn als die am Tische Sitzenden merkten, daß es mit den Schlägen Ernst war, wandten sie sich hübsch ordentlich um und teilten auch aus, wie man ihnen zuteilte. Kurz, es behielten die aus der Kammer getretenen Diener die Oberhand, schlugen die Speisenden zu Boden, und alle kamen im Saale ums Leben. Messer Francesco ließ sodann den Leichnam des jungen Rinaldo wegtragen und mit ausgebreiteten Armen in seinem Schlafzimmer ans Kreuz schlagen; die andern Leichen wurden bei Nacht in ihre Häuser getragen.
Es entstand große Trauer in ganz Rom über den Tod so vieler wackern Leute; aber niemand wagte den Mund aufzutun, denn der, der es veranstaltet hatte, war ein angesehener Mann in Rom.
Messer Francesco ließ seine Frau nehmen und jede Nacht auf den Leichnam des besagten Rinaldo binden, so daß sie ihn die ganze Nacht umarmt halten mußte; am Tag ließ er sie abnehmen und ihr täglich zwei Stücke Brot und einen Becher Wasser reichen, um sie so hinzuhalten, und sie lebte auch noch mehrere Tage. Jeden Tag schickte sie zwar zu Messer Francesco, ihrem Gatten, um ihn um Erbarmen anzuflehen; er wollte aber nie etwas hören. Da sie nun sah, daß sie doch sterben müsse und kein Mittel ihrer Errettung übrig sei, bat sie sich die Gnade aus, ihre Kinder noch vor ihrem Tode sehen zu dürfen. Die zwei Knaben wurden ihr gebracht; sie nahm sie in den Arm und sagte zu ihnen unter vielen Tränen: »Meine teuren Söhne, ich lasse euch mit dem Segen Gottes und dem meinigen; ihr seid die echten Söhne Messer Francescos, aus rechtmäßiger Ehe geboren. Mein Name ist zwar wegen des begangenen Fehltritts nicht wert, in ehrenvollem Gedächtnis zu bleiben; aber nur der Groll einer Magd hat mich dahingebracht. Das ist freilich keine hinreichende Entschuldigung, aber dennoch lasse ich Gott und euch, meine Söhne, die Rache für eure schmerzvolle unglückliche Mutter.«
Und sie konnte nicht satt werden, sie zu küssen bei der Eile, die ihr zugemutet wurde. Sie bekreuzte und segnete sie und gab sie dann ihrer Wärterin mit den Worten zurück: »Nimm sie hin, und dir gebe ich auf bei Gott und deiner Seele, wenn sie groß sind, sie an meinen Tod zu erinnern, besonders den Kleinen.«
Der letztere weinte immer und wollte sich von ihrem Halse losmachen. Nachdem sie sie zurückgegeben und wiederholt beteuert hatte, daß sie echte und keine unehelichen Kinder seien, befahl sie ihre Seele Gott und sprach dann kein Wort mehr in diesem Leben. Kurz darauf starb sie. Nun wurden die Leichname abgenommen und weggetragen.
Diese Grausamkeit wurde von den einen gebilligt, von andern getadelt. Sobald es Zeit war, rief die Amme den Söhnen den Vorgang ins Gedächtnis; Messer Francesco wurde dadurch verrückt gemacht und lief lange Zeit in der Tollheit umher, in großer Zwietracht mit seinen Söhnen, zumal mit dem jüngeren. Der besagte Messer Francesco lebte und schlief in den Wäldern wie ein Wilder und betrug sich ganz wie ein Verrückter mit tollen Streichen. Dadurch fand man denn die Frau gerächt.
In der Stadt Arimino in der Romagna lebte ein mannhafter Herr und Baron mit Namen Messer Galeotto Malatesti, der mannhafteste Ritter, den die Romagna seit langer Zeit gehabt hatte, und der weiseste und klügste Mann, der immer ein reiches und vornehmes Leben führte und seinem Stande Ehre machte. Dieser Messer Galeotto hatte eine Nichte, welche Witwe war, namens Madonna Gostanza, die Tochter des Messer Malatesta Unghero von Malatesti, gleichfalls eines ehrenfesten und gewandten Ritters. Diese Madonna Gostanza hatte in Arimino um sich einen sehr schönen Hof von Frauen, Fräulein und Knappen und lebte wie eine vornehme Edelfrau die sie auch war; schon Messer Galeotto zuliebe wurde, ihr die größte Ehre erwiesen. Sie hatte und besaß, was ihr Vater und Gatte hinterlassen hatten, und vielleicht war in der ganzen Romagna, in Toscana und in der Mark keine so reich wie sie an den edelsten Juwelen und überhaupt vermöglicher als sie. Kurz, es wurden ihr alle Genüsse zuteil, die eine Frau ihresgleichen und die von der Natur so gut bedacht war, sich mit Ehren erlauben konnte: sie war jung, schön, gebildet, reich, von edler Abkunft, sie galt für verständig, war bei jedermann beliebt, und Messer Galeotto hoffte durch sie eine reiche und edle Verwandtschaft einzugehen.
Nun hatte Messer Galeotto in seinem Solde einen Rottenführer von fünfzig Lanzen namens Ormanno; es war ein Deutscher aus Oberdeutschland aus einem Schlosse, welches Cham heißt; er hatte Brüder und Brudersöhne, welche Ritter und alte Edelleute waren, und so sah er auch aus. Er war höflich, wohlgesittet und von stattlicher Figur, weshalb ihn denn auch Messer Galeotto äußerst liebhatte.
Nun geschah es, daß besagter Ormanno mehrmals am Palaste der Madonna Gostanza vorüberging, während die Frau am Fenster stand. Da begegneten sich denn ihre Blicke so, daß Ormanno sich heftig in diese Frau verliebte; er wußte es auch anzustellen, daß die Frau es bemerkte und anfing ihn zu lieben. Die Neigung nahm auch dergestalt zu, daß sie sich allmählich gegenseitig reiche Geschenke machten und namentlich die Frau ihm; sie sprachen einander mehrmals und verabredeten, daß besagter Ormanno von ihr erlangen sollte, was die Liebe erheischt. Sie wußten aber das Feuer der glühenden Liebe nicht verborgen zu halten und ihre Angelegenheiten nicht mit Vorsicht zu ordnen, denn die Liebe ist blind und der Feind listig. Da nun Ormanno zu Stunden, welche mit dem Anstand nicht vereinbar waren, im Hause aus- und einging, wurde es oftmals Messer Galeotto gesagt; er glaubte es aber nicht.
Als nun durch Führung der göttlichen Allmacht Papst Urban VI. von dem ganzen Kollegium der Kardinäle in Rom zum Nachfolger des verstorbenen Papstes Gregors XI. bestellt und im Namen des ganzen Kollegiums der italienischen und auswärtigen Kardinäle allen Herren und Gemeinden der Christenheit verkündet worden war, was maßen sie Urban VI. zum Papst erwählt haben, wollte besagter Messer Galeotto als frommergebener Sohn der heiligen Kirche hingehen, um den neuerwählten Papst zu besuchen. Ehe er sich nun auf den Weg machte, schickte er nach Ormanno und sagte zu ihm: »Man hat mir gesagt, du stehest im Hause meiner Nichte Gostanza auf vertrautem Fuße; ich glaube es aber nicht; nichtsdestoweniger bitte ich dich indes, dich so aufzuführen, daß mir nichts der Art mehr zu Ohren komme!«
Ormanno sagte: »Mein Gebieter, Ihr werdet finden, daß dies nicht wahr ist. Wer es Euch gesagt hat, ist jemand, der mir übel will und mir in Eurer Gunst zu schaden sucht. Aber ich bin bereit, ihm Mann gegen Mann gegenüberzutreten.« So entschuldigte er sich angelegentlich.
Messer Galeotto antwortete ihm und sprach: »Ormanno, du bist ein gescheiter Mann und hast mich verstanden. Mehr sage ich nicht, als daß ich dir die Obhut über Arimino übertrage und über alles, was ich habe; du bist Anführer der Truppen, bis ich vom römischen Hofe zurückkomme. Sieh zu, daß ich mich bei meiner Rückkehr nicht über dich zu beklagen habe!«
Ormanno sagte: »Mein Gebieter, es soll geschehen.«
Messer Galeotto machte sich auf zum Besuche des Papstes und setzte, wie gesagt, Ormanno zum Haupt der Wache ein. Ormanno aber war nicht vorsichtig genug in Verfolgung seiner Liebschaft und ging fortan in besagtes Haus ohne Rücksicht und Achtung gegen seinen Herrn. Ja, er hängte vielmehr noch heftiger seiner zügellosen Liebe nach, in der er gefangen war, und die Frau hatte ihn mit einem silbernen Gürtel beschenkt. Nun begab es sich, daß dem Messer Galeotto bei seiner Rückkehr gesagt wurde, wie dieser Ormanno nicht ablasse, in Madonna Gostanzas Haus zu kommen, und die meisten Leute in Arimino diese Geschichte wissen. Darum ließ Messer Galeotto die Sache beobachten und trug der Wache heimlich auf, zu lauern, ob es wahr sei. Ormanno, der hiervon nichts gehört hatte, wurde denn gesehen, wie er bei Nacht in das Haus der Frau schlich, und alsbald wurde Messer Galeotto benachrichtigt, der sogleich das Haus von einigen Kriegsknechten umstellen ließ, die er zur Wache bei sich hatte. Er gab ihnen den Befehl, bei Todesstrafe den Ormanno nicht herauszulassen. Als diese zur Ausführung schritten, sandte er zu einigen Bürgern und beriet sich mit ihnen über die Sache; der eine gab diesen Rat, der andere einen andern.
Als es nun nahe am Tage war und Ormanno aus dem Hause wollte, sah und hörte er die Kriegsknechte, die um das Haus herstanden. Er kehrte daher zu der Frau zurück und sagte ihr, wie die Sache stehe. Die Frau stand auf, trat ans Fenster und sagte: »Was soll das heißen? Was sind das für Wachen und Neuerungen? Schämt Ihr Euch nicht, mir Wachen vor die Tür zu stellen?«
Diese Worte waren der Grund zu ihrem Tode. Wäre sie nicht ans Fenster gekommen, so wäre sie für diesmal nicht gestorben. Denn Messer Galeotto hatte für das Innere des Hauses bereits für die Ehre der Frau gesorgt, indem er eine ihrer Kammerfrauen mit der Sache beauftragte. Als ihm nun aber gesagt wurde, sie sei an das Fenster gekommen und habe jene Worte gesprochen, entschloß er sich als ein verständiger, wackerer Mann und rief einen Fähnrich des Fußvolkes und sagte: »Geh in das Haus meiner Nichte! Du findest Ormanno und die Gostanza: hau sie mir beide alsbald in Stücke!«
Der Fähnrich, namens Santolino von Faenza, antwortete: »Mein Gebieter, ihm will ich das wohl antun, aber nicht ihr. Vergebt mir, ich will meine Hand rein halten vom Blute der Malatesti.«
Messer Galeotto sagte: »Geh und tu es ihm!« Da ging er alsbald hinweg. Messer Galeotto aber rief sodann einen andern Fähnrich und sagte zu ihm: »Geh hin und hau mir die Gostanza, meine Nichte, in Stücke!« Dieser antwortete: »Herr, es soll geschehen.«
Und er ging nach Madonna Gostanzas Hause. Als nun Santolino an der Kammertür pochte, fragte Madonna Gostanza: »Was willst du?«
Santolino antwortete: »Madonna, macht auf! Ich habe Euch etwas auszurichten von dem Herrn.«
Die Frau ließ ihm aufmachen.
»Madonna«, fragte Santolino, »wo ist Ormanno?«
»Welcher Ormanno?« erwiderte die Frau.
»Ohne viel Umstände«, versetzte Santolino, »der Herr weiß, daß er hier ist, und schickt mich zu ihm, daß ich ihm etwas ausrichte. Darum haltet mich und Euch nicht auf! Es könnte sonst schlimmer kommen.«
Die Frau sagte: »Du weißt wohl, daß hier kein Mann zu sein pflegt.«
Santolino aber sagte wieder: »Wenn Ihr mir ihn nicht zeigt, wird es Euch reuen.«
Als die Frau ihn so sprechen hörte, sagte sie: »Dort ist er.«
Santolino ging zu ihm und sagte: »Ormanno, ich habe bei dir etwas auszurichten von dem Herrn.«
Ormanno sprach: »Sag an!«
Santolino fuhr fort: »Laß uns an einen verborgenen Ort gehen, ich will nicht von andern gehört werden.«
Da traten sie in ein Kämmerchen, und Santolino sprach zu ihm: »Ormanno, du mußt sterben; es ist nicht mehr zu ändern.«
Ormanno erschrak heftig und sprach sodann: »Gibt es kein Mittel, mich vom Tode zu retten?«
Santolino antwortete: »Nein, es ist alles fest beschlossen.« Da kniete Ormanno nieder vor Santolino, hob die Hände gen Himmel, bückte sich dann, nahm Staub vom Boden auf und steckte ihn in den Mund; darauf drückte er die Hände vor die Augen, um seinen Tod nicht zu sehen, und neigte den Kopf zur Erde. Santolino schwang sodann das Schwert, und gleich darauf lag jener tot zu seinen Füßen.
Der andere Fähnrich, der hingegangen war, um der Frau das gleiche zu tun, kam in die Kammer und sagte: »Madonna, ich habe Euch etwas auszurichten von dem Herrn.«
Ganz erschrocken sagte die Frau: »Sag an, was du hast!« Er sprach: »Laßt alle Eure Kammerfrauen hier abtreten!«
Die Frau schickte sie aus dem Zimmer; er trat an die Tür, verschloß sie, riß sein Schwert heraus und sagte: »Madonna, Ihr müßt sterben.«
Die Frau stieß einen heftigen Schrei aus und wollte fliehen.
»Madonna«, sagte er, »flieht nicht! Es würde Euch nichts helfen. Denn der Herr hat nun einmal Euren Tod beschlossen, und so kann Euch kein Gott retten.«
Die Frau sagte: »Wie? Will der Herr zum Mörder werden an seinem eigenen Fleisch?«
Der Kriegsmann antwortete: »Wohlan, macht Euch fertig!«
»Und du«, fuhr die Frau fort, »hast du den Mut, deine Hände mit dem Blute von Messer Malatesta Unghero, meinem Vater, zu beflecken?«
Er antwortete aber: »Ich muß tun, was mir befohlen ist; und darum verzeiht mir, denn ich tue es ungern.«
»Ist denn kein Mittel«, fragte die Frau, »mich vom Tode zu erretten?«
Er antwortete: »Nein.«
Da kniete sie nieder vor dem Bilde der heiligen Jungfrau und sprach folgende Worte: »Wenn mein erlauchter und mannhafter Vater noch lebte, würde ich nicht so im Finstern schmählichen Todes sterben; darum befehle ich in deine Arme, holdseligste Jungfrau Maria, meinen Geist und meine Seele und die Seele des wackern Mannes, der um meinetwillen leiden und sterben muß, und bitte dich überdies, Mutter der Gnaden, daß du mich in diesem finstern schmählichen Tode stark und kräftig machest, ihn geduldig zu ertragen, auf daß meine Seele, wie die einer Märtyrerin, gelangen möge zur Herrlichkeit deines allerheiligsten Sohnes Jesu Christi. Fürwahr, ich habe in dieser Welt gelebt, ohne wie meinesgleichen mich zu begnügen.«
Dann wandte sie sich zu dem, der das bloße Schwert über ihrem Haupte schwang, und sagte: »Da mich meine Eitelkeit nun so weit gebracht hat, bitte ich dich, wenigstens nicht so sehr zu eilen und so viel Mitleid mit mir zu haben, daß ich noch zehnmal die Jungfrau Maria grüßen darf.« Es erbarmte den Mann, und er sprach: »Betet denn, aber beeilt Euch!«
Sie begrüßte nun die Jungfrau Maria mit vielen Tränen, schaute aber dabei ganz bestürzt fortwährend auf die Hand, die das Schwert hielt. Nachdem sie ein wenig gebetet hatte, sagte er: »Seid Ihr nun fertig?«
Die Frau antwortete: »Noch nicht.«
Der Kriegsmann sagte: »Wie? In dieser Zeit wäre ich mehr als zwanzigmal fertig geworden.«
Darauf sprach die Frau: »Unglückliche Gostanza, wohin hast du es gebracht! O blinde Liebe, warum hast du mich betrogen und schickst mich nun von hinnen in so schlimmem Rufe? Wäre ich doch vor der Geburt gestorben!«
Da kam es ihm vor, als zaudere sie doch allzulange; er sprach: »Sagt: ›Ave Maria!‹«
Da sprach sie andächtig: »Ave Maria, Ave Maria, Ave Maria!«
Da schwang er das Schwert und erschlug sie. Mit einem Streiche traf er sie, und sie sank tot ihm zu Füßen.
Der Herr ließ die beiden unglücklichen Leichname in einen Sack stecken und ins Meer werfen. Sodann ließ er ausschreiben, wer an Ormanno eine Forderung zu machen habe, solle zur Bezahlung kommen. Er ließ auch jedermann befriedigen, dem er etwas schuldig gewesen war, hob dann die ganze Schar auf und schickte sie weg. Über dieses Verfahren erntete Messer Galeotto von einigen Lob, von andern aber Tadel.
In Deutschland waren zwei sehr vertraute Freunde, beide edel und reich, einander auf eine Meile benachbart, und der eine hieß Guelfo, der andere Ghibellino. Als sie eines Tages von der Jagd heimkehrten, gerieten sie in Streit über eine Hündin, und während sie zuvor Freunde und Genossen waren, wurden sie nunmehr Feinde und ließen nicht ab, einander zu befehden; ja, sie kamen so sehr in Zwietracht, daß jeder für sich Einladungen und Gastgebote an ihre Freunde ergehen ließ, um sich zu bekriegen. Das Ärgernis wuchs so sehr, daß alle Herren und Barone von Deutschland über diese Angelegenheit sich in zwei Parteien trennten, indem es der eine mit Guelfo, der andere mit Ghibellino hielt, was denn alljährlich auf beiden Seiten manchem Manne das Leben kostete.
Als nun Ghibellino sich von Guelfo beschimpft sah und meinte, dieser habe mehr Macht als er, empfahl er sich dem Kaiser Friedrich I., der dazumal regierte. Da aber Guelfo bemerkte, daß Ghibellino sich unter den kaiserlichen Schutz gestellt hatte, lehnte er seine Sache an Papst Honorius II., der in Zwietracht mit dem Kaiser lebte, empfahl sich ihm und tat ihm die ganze Angelegenheit kund. Sobald der Papst vernahm, daß der Kaiser die Partei der Ghibellinen ergriffen habe, nahm, er seinerseits sich der Partei der Guelfen an. Daher kam es, daß der päpstliche Stuhl guelfisch, das Kaisertum ghibellinisch wurde.
Im Jahre des Heils 1215 nun verbreitete sich dieser Same der Zwietracht auch über Italien, und zwar auf folgende Weise: Podesta von Florenz war Guido Orlandi, und Podesta von Florenz zu sein war ein großes und schönes Amt; da war nun im Hause der Buondelmonti ein Ritter namens Messer Buondelmonte, ein schöner, reicher und mannhafter Herr. Besagter Messer Buondelmonte gelobte einem Mädchen aus dem Hause der Amidei eidlich die Ehe, gab ihr die Hand und versprach sich mit ihr in aller bei solchem Anlaß herkömmlichen Feierlichkeit. Als nun Messer Buondelmonte eines Tages am Hause der Donati vorüberging, sah ihn eine Frau, welche Madonna Lapaccia hieß, rief ihn zu sich und sagte: »Messere, ich wundere mich sehr über Euch, wie Ihr Euch herablassen mochtet, eine Frau zu nehmen, die nicht wert wäre, Euch die Schuhriemen aufzulösen. Ich hatte Euch eine meiner Töchter vorbehalten; ich wünsche doch, daß Ihr sie seht.«
Sogleich rief sie diese Tochter, welche die Ciulla hieß, ein schönes, liebenswürdiges Mädchen wie nur irgendeine in Florenz, und zeigte sie Messer Buondelmonte mit den Worten: »Diese habe ich für Euch vorbehalten.«
Als Messer Buondelmonte das schöne Kind sah, verliebte er sich in sie und sagte: »Madonna, ich bin bereit, zu tun, was Ihr begehrt.«
Und ehe er wegging, nahm er sie zur Frau und gab ihr den Ring.
Sobald die Amidei erfuhren, daß Messer Buondelmonte eine andere zur Frau genommen und von der Ihrigen nichts mehr wolle, traten sie zusammen und berieten sich mit andern Freunden und Verwandten, sich zu rächen wegen dem, was ihnen Messer Buondelmonte angetan hatte. Bei diesem Rate war auch Lambertuccio Amidei, Schiatta Ruberti, Mosca Lamberti und viele andere. Die einen rieten, ihm Prügel zu geben, die andern einen Schlag ins Gesicht, der dies, der andere jenes.
Da stand Mosca Lamberti auf und sagte: »Was lebt, hat einen Kopf.« Damit wollte er andeuten, daß ein Toter keinen Krieg mehr führt. So wurde denn beschlossen, ihn umzubringen, und das geschah auch.
Als nämlich Messer Buondelmonte eines Ostermorgens aus dem Hause Bardi über dem Arno vom Essen zurückkehrte, auf seinem ganz weißen Schimmel reitend und mit einem weißen Rock angetan – er ritt gerade unten an der alten Brücke, dort wo die Marsbildsäule stand, welche die Florentiner zur heidnischen Zeit anbeteten, und wo jetzt die Fische verkauft werden, – da fiel eine Schar über ihn her: sie rissen ihn vom Pferde und brachten ihn um. Da entstand ein großer Lärm in ganz Florenz über den Tod dieses Herrn Buondelmonte. Um dieses Mordes willen teilten sich die edeln Häuser und Familien von Florenz; die einen hielten's mit den Buondelmonti, die sich zu Häuptern der guelfischen Partei machten, die andern aber mit den Amidei, die sich an die Spitze der ghibellinischen Partei stellten. Auf der guelfischen Seite standen die Buondelmonti, Nerli, Jacopi, Dati, Rossi, Bardi, Frescobaldi, Mozzi, Pulci, Gherardini, Foraboschi, Bagnesi, Guidalotti, Sacchetti, Manieri, die von Quona, die Luccardesi, Chiaramontieri, Cavalcanti, Compiombesi, Giandonati, Scali, Gianfiglazzi, Importuni, Bosticchi, Tornaquinci, Vecchietti, Tosinghi, Arigucci, Agli, Adimari, Bisdomini, Tedaldi, Cerchi, Donati, Arighi und die della Bella. Alle diese Familien nebst anderen nicht adeligen wurden über dem Tode Messer Buondelmontes guelfisch. Ghibellinisch aber wurden folgende: die Uberti, Amidei, und die Häupter waren die Grafen von Gangalandi, die Ubriachi, Mannelli, Fifanti, Infangati, Malespini, die von Volognana, Scolari, Guidi, Galli, Capiardi, Lamberti, Soldanieri, Cipriani, Toschi, Amieri, Palermini, Migliorelli, Pigli, wiewohl diese zum Teil hernach guelfisch wurden, die Barucci, Catani und Catani von Castiglione, Agolanti, Brunelleschi, die indes später zu den Guelfen übergingen, die Caponsacchi, Elisei, Abati, Tedaldini, Giuochi, Galigai. Alle diese wurden ghibellinisch aus Anlaß der Ermordung Messer Buondelmontes; und so teilten und trennten sich alle Herren und Völkerschaften Italiens und nahmen diesen bösen Samen in sich auf; und alle Guelfen hielten zur heiligen Kirche, die Ghibellinen aber zum Kaiser.
So begann also mit einem Handel über eine Hündin die guelfische und ghibellinische Parteiung in Deutschland, die dann auch in Italien über einem Weibe ausbrach, wie zuvor gesagt ist.
In der hochedeln Stadt Venedig lebte einst ein Doge, der ein hochherziger, weiser und reicher Mann war und vorsichtig und klug in allen Stücken, mit Namen Messer Valeriano, Sohn von Messer Vannozzo Accettani. An der Hauptkirche zu Sankt Markus in Venedig war ein Glockenturm, der schönste und reichste, den es geben konnte, und der Hauptstolz Venedigs zu jener Zeit. Dieser Turm war nun aber auf dem Punkte einzustürzen wegen einiger Fehler in der Grundlage. Deshalb ließ der Herr Doge in ganz Italien umher nachforschen und ausschreiben: wer es übernehmen wolle, besagten Turm auszubessern, möge zu ihm kommen; er solle Geld bekommen, so viel er zu fordern und zu verlangen Lust habe. Da entschloß sich ein wackerer florentinischer Meister namens Bindo, der zu Florenz wohnte und vernahm, wie es mit dem Turme stehe, das Unternehmen zu wagen, brach also mit seinem Sohne und seiner Frau von Florenz auf und ging nach Venedig. Als er den Turm sah, nahm er sich vor, ihn auszubessern, ging zum Dogen und sprach: »Gnädiger Herr, ich komme hierher, um Eurem Turme zu helfen.«
Darüber erwies ihm der Doge große Ehre und sagte unter vielem andern: »Lieber Meister, ich bitte Euch, beginnt nur Eure Arbeit so bald als möglich! Ich will auch zusehen.« Der Meister sagte: »Gnädiger Herr, das soll geschehen!« Und sogleich ordnete er die Arbeit an, und durch großen Fleiß richtete er in kurzer Zeit den Turm dergestalt wieder her, daß er schöner war als zuvor. Das machte nun dem Dogen große Freude, und man gab dem Meister das Geld, das er verlangte; er machte ihn zum Bürger von Venedig und verlieh ihm ein reiches Einkommen. Ferner sagte er zu ihm: »Nun sollt Ihr mir einen Palast bauen, der eine Kammer enthalte, in die der ganze Schatz und alles Vermögen der Gemeinde von Venedig niedergelegt werden kann.«
Der Baumeister traf sogleich alle Anstalten, um den besagten Palast zu errichten, und machte darin eine Kammer, die schöner und besser gelegen war als alle andern, in die der besagte Schatz kommen sollte. Dabei brachte er sehr listig und kunstreich einen Stein an, der heraus- und hineinging, in der Absicht, in die Kammer nach seinem Gefallen einzudringen; von diesem Eingang aber wußte kein Mensch als er. Als nun der Palast fertig war, ließ der Doge alles kostbare Gerät, damastene Stoffe mit Gold durchwirkt, Tapeten, Bankteppiche, Mäntel und anderes Zeug und Gold und Silber in Menge in die Kammer bringen. Man nannte dies nun die Turpea des Dogen und der Gemeinde von Venedig; sie war mit fünf Schlüsseln verschlossen, deren vier die vier ersten Bürger Venedigs hatten, die dazu beauftragt waren und die die Kämmerlinge des Schatzes von Venedig hießen; den fünften Schlüssel aber hatte der Doge. So konnte also die Schatzkammer nicht geöffnet werden, und es mußten alle fünf dazu zusammenkommen, die die Schlüssel in Händen hatten.
Als nun dieser Bindo mit seiner Familie in Venedig lebte und Bürger geworden war, fing er an, Aufwand zu machen und wie ein reicher Mann zu leben; und sein Sohn Ricciardo gab sich ungeordneter Verschwendung hin, so daß es ihnen in kurzem an Mitteln für ihren übermäßigen Aufwand fehlte. Da rief der Vater einst bei Nacht seinen Sohn, nahm eine kleine Leiter und ein geeignetes Hebeisen und ein wenig Mörtel mit, und so gingen sie an das Loch, das der Baumeister so kunstvoll in der Kammer angebracht hatte. Er legte die Leiter an, hob den Stein heraus, schlüpfte in die Kammer und zog einen schönen goldenen Becher hervor, der in einem Schranke stand, ging dann heraus und setzte den Stein wieder an seine gehörige Stelle. Zu Hause angelangt, zerschlugen sie den Becher und schickten ihn stückweise zum Verkauf in einige lombardische Städte. Auf diese Weise führten sie das ungeordnete Leben fort, das sie angefangen hatten.
Nun begab es sich, daß ein Kardinal nach Venedig zu dem Dogen kam, dem man besondere Ehre erzeigen wollte, und so mußte man die Kammer öffnen, wegen des darin befindlichen Gerätes, des Silberzeugs, der Tapeten und anderer Dinge. Als man sie nun aufmachte und die besagten Gegenstände herausnahm, vermißte man den Becher. Darüber entstand nun unter den Verwaltern der größte Lärm; sie gingen zu dem Dogen und sagten ihm, daß man den Becher nicht mehr sehe. Der Doge verwunderte sich und sagte: »Das müßt ihr untereinander ausmachen.« Und nach langem Hinundherreden befahl er ihnen, von der Sache nichts zu sagen noch etwas deshalb vorzunehmen, bis der erwartete Kardinal wieder abgereist sei.
Und so geschah's auch. Der Kardinal kam, und es wurde ihm große Ehre erwiesen; als er aber fort war, sandte der Doge nach den vier Kämmerlingen und verlangte nun zu wissen, wo der Becher hingekommen sei. Er befahl ihnen, nicht eher aus dem Palaste zu gehen, bis der Becher wiedergefunden sei, und sprach: »Ihr habt es allein zu verantworten.«
Die vier Männer traten zusammen und besannen sich, wußten sich aber auf keine Weise zu erklären, wie der Becher weggekommen sei.
»Überlegen wir«, sagte einer von ihnen, »ob man in die Kammer auch auf anderm Wege gelangen kann als durch die Tür.«
Sie schauten umher, erblickten aber nirgends eine Öffnung. Sie wollten listiger zu Werke gehen und ließen die Kammer mit dürrem Stroh füllen, zündeten es an und verschlossen Türe und Fenster, damit der Rauch nicht hinauskönne. Als nun das Stroh brannte, entstand ein so gewaltiger Rauch, daß er durchschwitzte und sich Bahn machte durch jene Öffnung. So merkten sie denn, von welcher Seite der Schaden kam, gingen zum Dogen und sagten ihm, wie die Sache stehe.
»Haltet es ganz im stillen«, sagte der Doge, »dann können wir den Dieb über der Tat ertappen.«
Dann ließ er einen Kessel mit Pech in der Kammer unter dem Loche aufstellen und darunter Tag und Nacht ein Feuer unterhalten, so daß das Pech beständig kochte. Als nun das aus dem Becher erlöste Geld zu Ende war, gingen der Meister und der Sohn eines Nachts wieder an die Öffnung und nahmen den Stein heraus, und der Meister stieg hinein und fiel in den immer siedenden Pechkessel. Als er nun bis zum Gürtel im Kessel stand und nicht mehr loskommen konnte, hielt er seinen Tod für gewiß. Er faßte daher schnell seinen Entschluß, rief seinen Sohn und sprach: »Mein Sohn, ich bin des Todes; darum schneide mir den Kopf ab, damit der Betrug nicht entdeckt werde, und nimm den Kopf mit dir und verscharre ihn an einem Orte, wo er nicht gefunden wird! Tröste deine Mutter und suche auf eine vorsichtige Weise davonzukommen! Und wenn dich jemand nach mir fragt, so sage, ich sei nach Florenz gegangen in Geschäften.«
Der Sohn fing an zu weinen und jämmerlich zu klagen, schlug die Hände zusammen und rief: »Wehe, mein Vater!«
Der Vater aber sagte: »Mein Sohn, es ist besser, es stirbt einer, als zwei, und darum tu, was ich dir sage, und eile!«
Da schnitt der Sohn dem Vater den Kopf ab und trug ihn hinweg; der Rumpf aber blieb im Kessel und kochte in dem Peche dermaßen, daß er ganz einschrumpfte und wie ein Baumstumpf wurde. Der Sohn kehrte nach Hause zurück und beerdigte den Kopf des Vaters, so gut er wußte und konnte, und dann sagte er es der Mutter. Als sie nun eine große Wehklage erheben wollte, schlug der Sohn die Arme übereinander und sagte: »Wenn Ihr Lärm macht, sind wir in Gefahr, ums Leben zu kommen; darum, liebe Mutter, seid besonnen!«
Damit brachte er sie zur Ruhe.
Am folgenden Morgen wurde der Leichnam gefunden und zum Dogen gebracht, der sich über die Sache außerordentlich verwunderte; und da er sich nicht denken konnte, wer es sei, sprach er: »Weil hier offenbar zwei im Spiele sind, wollen wir, nachdem wir den einen gepackt haben, nun auch den andern packen.«
Einer der vier Verwalter sprach: »Ich habe die Art und Weise gefunden, nämlich folgende: Es ist nicht möglich, daß er nicht Weib oder Kinder oder sonstige Verwandte im Lande habe; lassen wir nun den Körper durch die ganze Stadt schleppen und schicken Wachen mit, daß sie beobachten, ob jemand weint oder jammert: und wenn es sich findet, soll man diesen verhaften und verhören. Auf diese Weise werden wir wohl den Mitschuldigen finden.«
So wurde es beschlossen, und sie ließen den Körper in der ganzen Stadt umherschleifen und Wachen hinterdrein. Als sie nun an sein Haus kamen, trat die Frau ans Fenster, und als sie den Leichnam ihres Gatten so mißhandeln sah, stieß sie einen heftigen Schrei aus. Da sagte der Sohn: »Wehe, meine Mutter, was macht Ihr?«
Er war aber schnell besonnen, ergriff ein Messer, schnitt sich in die Hand und brachte sich eine große Wunde bei. Sowie die Wachen das Geschrei vernahmen, das die Frau aufschlug, liefen sie in das Haus und fragten die Frau, was sie habe.
Der Sohn antwortete: »Ich habe mit diesem Messer geschnitten und mich in der Hand verletzt. Deswegen hat meine Mutter einen Schrei ausgestoßen, in Besorgnis, ich hätte mir mehr wehe getan, als in der Tat der Fall ist.« Als die Wachen die Hand bluten sahen und die Wunde und was sich begeben hatte, glaubten sie es ihm und zogen im ganzen Bezirk umher, ohne jemand zu finden, der sich auch nur erzürnt gezeigt hätte. Sie kehrten also unverrichteter Dinge zum Dogen zurück und faßten nun den Entschluß, den Leichnam auf dem Markte aufzuhängen und gleichfalls im verborgenen Wachen dazuzustellen, um Tag und Nacht zuzusehen, ob jemand komme, um den Toten zu bejammern oder zu beweinen.
Es verbreitete sich das Gerücht in der Stadt, der Leichnam sei auf dem Platze aufgehängt, und viel Volks ging hin, danach zu sehen. Als nun die Frau sagen hörte, daß ihr Mann auf dem Platze aufgehängt sei, sagte sie oftmals zu ihrem Sohne, es sei dies für sie die größte Schmach, seinen Vater auf diese Weise aufgehängt zu sehen. Der Sohn antwortete: »Liebe Mutter, seid um Gottes willen ruhig! Das, was sie mit dem Leichname tun, geschieht einzig und allein, um mich zu erwischen. Habt nur eine Weile Geduld! Dieses Mißgeschick wird auch vorübergehen.«
Die Mutter aber konnte es nicht aushalten und sagte mehrmals: »Wäre ich ein Mann, wie ich ein Weib bin, so müßte ich ihn nicht jetzt erst abnehmen; und wenn du ihn nicht wegnimmst, so gehe ich einmal bei Nacht selbst hin.«
Als der Jüngling den festen Entschluß seiner Mutter sah, besann er sich, wie er den Leichnam losmachen könne. Er kaufte also zwölf schwarze Mönchskutten, ging eines Abends in den Hafen, nahm zwölf Lastträger mit und führte sie durch eine Hintertür seines Hauses in eine kleine Stube, wo er ihnen zu essen und zu trinken gab, soviel sie Lust hatten. Und als er sie in gehörige Weinlaune versetzt hatte, zog er ihnen die Mäntel an mit Larven vor dem Gesicht und gab jedem eine brennende Fackel in die Hand, wodurch sie ein Aussehen bekamen wie Teufel aus der Hölle, so sehr waren sie durch diese Masken entstellt. Er selbst stieg auf ein Pferd, ganz in Schwarz gehüllt, und die Pferdedecke war voll Haken, und an jedem Haken war eine brennende Kerze befestigt; vor das Gesicht hatte er eine abenteuerliche Maske befestigt; so stellte er sich an ihre Spitze und sagte zu ihnen: »Tut, was ihr mich werdet tun sehen!«
So begaben sie sich nach dem Platze, auf welchem der Leichnam aufgehängt war, und rannten auf dem Platze hin und her; es war Mitternacht vorüber und die tiefste Finsternis. Als nun die Wachen diese seltsame Erscheinung sahen, fürchteten sie sich und meinten, es seien böse Gespenster aus der Hölle und der auf dem Pferde mit der greulichen Gestalt sei der alte Luzifer selber. Als sie ihn daher auf den Galgen zukommen sahen, liefen sie in großer Angst davon. Er nahm den Leichnam, legte ihn über den Sattelbogen und jagte der Gesellschaft voraus seinem Hause zu. Dort gab er ihnen Geld, zog ihnen die Kutten aus und schickte sie weg, verscharrte auch den Leichnam, so heimlich er konnte.
Am Morgen wurde dem Dogen berichtet, der Leichnam sei abgenommen. Der Doge sandte nach den Wachen und wollte wissen, wo der Leichnam hingekommen sei.
»Gnädiger Herr«, sagten die Wächter, »wir versichern Euch, heute nacht, es war Mitternacht vorüber, da kam eine große Schar von Teufeln, und unter ihnen sahen wir deutlich den alten Luzifer, der wahrscheinlich diesen Leichnam gefressen hat. Wir sind deshalb geflohen, als wir eine solche Heeresmacht dem Körper zuliebe ankommen sahen.«
Der Doge sah klar, daß hier eine Bosheit dahinterstecke, und wurde nur um so begieriger, zu erfahren und zu erkunden, wer es sei. Er hielt daher einen geheimen Rat, worin beschlossen wurde, es dürfe zwanzig Tage in Venedig kein frisches Fleisch verkauft werden. Es geschah, und jedermann wunderte sich über diese Bestimmung. Dann ließ er ein sehr schönes Milchkalb schlachten und zum Verkauf ausbieten zu einem Gulden das Pfund und sagte zu dem Verkäufer, er solle achthaben auf alle, die davon nehmen; denn er dachte bei sich so: »Gemeiniglich sind die Diebe gelüstig; so wird sich denn auch dieser nicht enthalten können, davon zu holen, und die Ausgabe von einem Gulden für das Pfund nicht anschlagen.«
Er ließ also bekanntmachen, wer Fleisch wolle, solle auf den großen Platz kommen. Alle Kaufleute und Edelleute kamen um des Milchkalbs willen; da man aber hörte, daß er einen Gulden für das Pfund begehre, nahm niemand davon. Die Sage verbreitete sich durch die Stadt und kam auch der Mutter des Jünglings, der Ricciardo hieß, zu Ohren. Da sprach sie zu ihrem Sohne: »Es gelüstet mich nach einem Stückchen von diesem Kalbfleisch.«
Ricciardo antwortete: »Liebe Mutter, eilt nicht so, laßt erst andere den Anfang machen! Dann will ich Euren Wunsch erfüllen und Euch davon verschaffen. Aber ich möchte nicht der erste sein, der davon nimmt.«
Die Mutter indes, die eine unbesonnene Frau war, beunruhigte ihn fortwährend mit ihren Wünschen, und aus Besorgnis, sie möchte am Ende einen andern hinschicken und kaufen lassen, bestellte der Sohn eine Torte und verschaffte sich eine Flasche mit Opium gemischten Wein, um einzuschläfern; nun nahm er einige Brote, die Torte und den Wein, und als es Nacht war, machte er sich einen Bart und eine Kapuze und ging an den Ort, wo das Kalbfleisch verkauft wurde. Noch war das Kalb ganz unangegriffen, und als er gepocht hatte, sagte einer der Wächter: »Wer bist du?«
Ricciardo entgegnete: »Könnt Ihr mir wohl sagen, wo ein gewisser Glück wohnt?«
Einer von ihnen fragte weiter: »Was für ein Glück?« Ricciardo antwortete: »Seinen Geschlechtsnamen weiß ich nicht; Gott verdamm mich, daß ich mit ihm zu tun haben soll.«
»Wer schickt dich denn?« sagte einer von jenen.
»Seine Frau«, versetzte Ricciardo; »sie gab mir die Sachen da, um sie ihm zu überbringen, daß er zu Nacht speise. Aber tut mir doch den Gefallen und hebt mir die Sachen auf, bis ich nach Hause gehe und besser erfahre, wo er ist. Ihr dürft euch nicht wundern, daß ich es nicht weiß; ich bin erst seit kurzem hier.«
Da ließ er ihnen die Torte, das Brot und den Wein und tat, als ob er wegginge, mit den Worten: »Ich komme gleich wieder.«
Sie nahmen diese Sachen, und einer von ihnen sagte: »Schau doch, Glück ist freilich diesen Abend bei uns eingekehrt.«
So setzte er die Flasche an den Mund und trank, reichte sie seinem Kameraden und sprach: »Zieh! Du hast noch nie bessern getrunken.«
Der Kamerad trank, und während sie über den Vorfall plauderten, schliefen sie ein.
Ricciardo, der an einer Ritze der Tür lauschte, trat, sobald er sie schlafen sah, herein, nahm das Kalb, trug es ganz nach Hause und sagte zu seiner Mutter: »Nun schneidet Euch herunter, soviel Euch gelüstet!«
Nun zerlegte er das Kalb, und die Mutter kochte davon eine große Schüssel voll.
Sobald der Doge erfuhr, daß das Kalb gestohlen sei, und auf welche Art man sich bei dem Diebstahl benommen habe, wunderte er sich sehr und nahm sich fest vor, herauszubringen, wer es sei. Er ließ daher hundert arme Leute kommen, schrieb alle namentlich auf und sprach dann zu ihnen: »Geht in alle Häuser Venedigs und tut, als fordertet ihr Almosen, gebt aber acht, ob ihr in keinem Hause Fleisch kochen oder eine große Pfanne am Feuer sehet, und seid so zudringlich, daß ihr nicht nachlasset, bis man euch Fleisch oder Brühe gebe! Wer von euch mir welches bringt, dem lasse ich zwanzig Gulden ausbezahlen.«
Als nun die hundert Taugenichtse sich in der Stadt umher zerstreuten, um Almosen zu fordern, verfiel wirklich auch einer von ihnen auf das Haus dieses Ricciardos, und als er hinaufkam, sah er deutlich das Fleisch, das jene kochten, und erbat sich um Gottes willen ein Stückchen davon. Die Frau, welche ihre Fülle betrachtete, war unvorsichtig genug, ein Schnitzelchen abzugeben. Der Bettler dankte ihr und sprach: »Ich will Gott für Euch bitten.«
So eilte er die Treppe hinunter. Ricciardo aber begegnete dem Armen auf der Treppe, und als er sah, daß er von dem Fleische in der Hand hielt, sprach er zu ihm: »Komm wieder mit herauf, ich will dir mehr geben.«
Der Bettler stieg mit ihm hinauf, Ricciardo aber führte ihn in eine Kammer, schlug ihn mit einem Beil auf den Kopf, und als er ihn getötet hatte, warf er ihn in den Abtritt und schloß das Haus.
Am Abend kamen alle die Bettler zu dem Dogen zurück, wie sie versprochen hatten, und jeder von ihnen sagte, er habe nichts finden können. Der Doge ließ sie zählen und sich namentlich ausweisen; da fand er, daß einer fehle, wunderte sich, merkte aber gleich, woran er war, und sagte: »Der ist gewiß umgebracht worden.«
Er versammelte den Rat und sprach: »Ich muß fürwahr wissen, wer das ist.«
Da sprach einer der Räte: »Gnädiger Herr, Ihr habt es versucht mit dem Laster der Gefräßigkeit: versucht es auch mit dem Laster der Wollust!«
Der Doge sprach: »Wer mehr weiß, tue auch mehr!«
Es wurden also fünfundzwanzig Jünglinge der Stadt aufgeboten, die boshaftesten und listigsten, und die, welche der Doge am meisten im Verdacht hatte, und einer darunter war dieser Ricciardo. Als sie nun im Palaste behalten wurden, wunderten sie sich, und einer sagte zum andern: »Warum behält uns denn der Doge hier?«
Sofort ließ der Herzog in einem Saale fünfundzwanzig Betten aufschlagen, wo dann jeder dieser Jünglinge eines für sich hatte. Mitten im Saale aber ließ er ein prächtiges Bett errichten, wo seine Tochter schlief, die das schönste Geschöpf von der Welt war. Und jeden Abend, sobald die Männer schlafen gegangen waren, kamen ihre Kammerfrauen und brachten diese Tochter des Dogen zu Bett. Der Vater aber hatte ihr eine Schale mit schwarzer Tinte gegeben und gesagt: »Wer zu dir ans Bett kommt, dem bestreiche das Gesicht, damit man ihn kennt!«
Darüber wunderte sich ein jeder, und keiner wagte zu ihr zu gehen, denn er dachte: das ist fürwahr eine ernsthafte Geschichte.
Ricciardo aber gedachte bei sich, einmal eine Nacht mit ihr zuzubringen, und als Mitternacht vorüber war und er sein Gelüste nicht mehr bändigen konnte, stand er ganz leise auf, ging an das Bett, in welchem sie lag, legte sich ihr zur Seite und fing an, sie zu umarmen und zu küssen. Das Mädchen erwachte, tippte sogleich mit dem Finger in die Schale und bestrich Ricciardos Gesicht, ohne daß er etwas merkte. Als er nun mit dem fertig war, weshalb er gekommen, und das gewünschte Vergnügen genossen hatte, kehrte er in sein Bett zurück und dachte bei sich: »Was soll das heißen? Was für eine List steckt wohl darunter?«
Nach einer Weile däuchte ihm die Kost schmackhaft; er bekam daher Lust, zu dem Mädchen zurückzukehren, und so tat er denn auch. Als er dann bei diesem Engel des Paradieses lag, kam sie zu sich: sie bestrich ihn und rieb es ihm ins Gesicht. Als Ricciardo das merkte, nahm er die Schale, die auf dem Kopfbrette der Bettlade stand, ging damit überall umher und bestrich die andern, die in den Betten lagen, ganz sanft, so daß keiner es merkte. Dem einen gab er zwei Striche, dem andern sechs, dem dritten zehn und sich selbst vier weitere außer den zweien, die ihm das Mädchen gemacht hatte. Dann setzte er die Schale wieder an das Kopfende des Bettes, verschaffte ihr unter großem Genusse einige Kurzweil und kehrte darauf in sein Bett zurück.
Am Morgen kamen zeitig die Kammerfrauen an das Bett des Mädchens, um sie ankleiden zu helfen, und begleiteten sie darauf zum Dogen, der sie fragte, wie es gegangen sei.
»Gut«, sagte die Tochter, »denn ich habe getan, was ihr mir aufgetragen. Es ist allerdings einer dreimal zu mir gekommen, und jedesmal habe ich ihn beschmiert.«
Der Doge sandte gleich nach den Männern aus, mit welchen er sich beraten, und sagte: »Ich habe den guten Freund erwischt, und darum habe ich zu euch geschickt; wir wollen miteinander hingehen und nachsehen.«
Sie gingen in den Saal und beschauten bald diesen und jenen, und da sie alle beschmiert sahen, brachen sie in das lauteste Gelächter aus.
»Fürwahr«, sagten sie, »das ist der größte Schlaukopf, den man je gefunden hat«.
Nur zu gut merkten sie, daß einer die andern alle beschmiert hatte. Als nun einer wie der andere von diesen Jünglingen sich beschmiert sah, hatten sie untereinander den größten Jubel und Spaß darüber. Der Doge vernahm sie allesamt, und da er nicht ausforschen konnte, wer es gewesen sei, entschloß er sich dennoch, es herauszubringen. Er versprach also dem, der es gewesen sei, seine Tochter mit einer reichen Mitgift zur Ehe, dazu volle Verzeihung, da es nur ein Mann vom größten Verstande sein könne.
Als nun Ricciardo den Entschluß des Dogen sah und vernahm, ging er insgeheim zu ihm und vertraute ihm alles von Anfang bis zu Ende. Der Doge umarmte ihn und vergab ihm, und unter großen Feierlichkeiten wurde ihm seine Tochter angetraut. Ricciardo faßte wieder Mut und wurde ein so hochherziger, wackerer und tüchtiger Mann, daß fast die ganze Staatsverwaltung in seine Hand kam. So lebte er noch lange in Frieden und geliebt von der ganzen Bürgerschaft Venedigs.
Der König von Aragon hatte eine Tochter, namens Lena, jung, schön, liebenswürdig, gesittet und verständig, wie die Natur sie nur bilden konnte. Daher glänzte der Ruhm dieses edeln Wesens durch das ganze Land, und viele wackere Herren verlangten sie zur Frau; der Vater aber schlug sie allen ab und wollte sie nicht hergeben. Nun hörte der Sohn des Kaisers, namens Arrighetto, von den Reizen der Jungfrau und verliebte sich in dieselbe, dachte auch an nichts weiter, als wie er sie zur Frau erhalten könne, und machte in kurzem einen großartigen und edlen Plan. Er hatte bei sich einen Goldschmied, den größten Meister, den man finden konnte, und ließ ihn einen sehr schönen Adler von Gold fertigen in der Größe, daß ein Mensch darin stehen konnte. Als der Adler fertig war, so schön und meisterhaft, daß es kaum zu sagen ist, gab er ihn dem Meister, der ihn gefertigt hatte, und sprach: »Geh mit diesem Adler nach Aragon und richte eine Bude auf von deinen Arbeiten auf dem Platz vor dem Schlosse, worin die Tochter des Königs wohnt; bringe den Adler täglich heraus auf die Bank und sage, du wollest ihn verkaufen. Ich werde gleichzeitig hinkommen; tue, was ich dir sage, und kümmere dich um sonst nichts!«
Der Meister trug seine Arbeit weg, nahm viel Geld zu sich und begab sich nach Aragon, wo er eine Bude dem Palaste gegenüber errichtete, in welchem diese Tochter des Königs wohnte, und fing an, an seinem Meisterstück zu arbeiten. Dann stellte er einige Tage der Woche den Adler aus und zog die ganze Stadt herbei, um das Werk anzusehen, so wunderbar und schön war es. Eines Tages kam auch die Königstochter, sah den Adler und ließ ihrem Vater sagen, sie wünsche ihn als Zierat zu haben. Der Vater ließ bei dem Meister wegen des Kaufes anfragen; Arrighetto war indes bereits angekommen, und der Meister besprach sich mit ihm, der sich im verborgenen im Hause des Goldschmieds aufhielt. Arrighetto sprach zu dem Meister: »Gib zur Antwort, du mögest ihn nicht verkaufen; allein wenn er ihr gefalle, wollest du ihr gern damit ein Geschenk machen.«
Der Goldschmied ging zum König und sprach: »Mein Gebieter, ich möchte den Adler nicht verkaufen; aber wenn er Euch gefällt, so nehmt ihn: ich mache Euch gerne damit ein Geschenk.«
Der König sprach: »Laßt ihn heraufbringen, wir werden dann bald miteinander eins werden.«
Der Meister antwortete: »Es soll geschehen.«
Dann ging er zu Arrighetto zurück und sprach zu ihm: »Der König will ihn sehen.«
Da kroch Arrighetto sogleich in den Vogel und nahm einige feine Speisen mit, die der Natur aufhelfen konnten, und machte den Vogel innen so zurecht, daß man ihn nach Bequemlichkeit öffnen und schließen konnte. Dann ließ er ihn vor den König bringen. Als dieser das schöne Stück sah, übergab er es seiner Tochter, und der Meister stellte es ihr in ihrer Kammer neben dem Bette des Fräuleins auf. Als er es zurechtgemacht hatte, sagte er zu ihr: »Madonna, deckt das Stück mit nichts zu! Es ist ein Gold: wenn man es zudeckt, wird es schwarz und verliert seinen Glanz.«
Ferner sagte er zu ihr: »Madonna, ich werde oft hierher kommen, um danach zu sehen.«
Das Fräulein entgegnete offen, es sei ihr ganz lieb.
So ging der Goldschmied zum Könige zurück und sagte, der Vogel gefalle dem Fräulein sehr. »Und«, setzte er hinzu, »ich will machen, daß er ihr noch mehr gefällt; denn ich arbeite an einer Krone, die der Vogel auf dem Kopfe tragen muß.«
Dem König machte dies große Freude; er ließ viel Geld herbringen und sprach: »Meister, bezahle dich selbst nach deinem Gutdünken!«
»Gnädiger Herr«, versetzte der Meister, »ich bin schon bezahlt, da ich Eure Huld besitze.«
Und soviel auch der König redete, konnte er ihm doch kein Geld aufdrängen, sondern er sagte: »Ich bin schon bezahlt.«
Als nun bei Nacht die besagte Lena im Bette lag und schlief, schlüpfte der besagte Arrighetto aus dem Vogel, schlich leise an das Bett, worin die lag, die er mehr als sich selber liebte, und küßte ihr sanft ihre weiß und rote Wange. Das Mädchen kam zu sich, hatte die größte Angst und fing an zu beten: » Salve regina misericordiae!«
Und zitternd rief sie einer Kammerfrau, während Arrighetto eilig in den Vogel zurückkehrte. Die Kammerfrau stand auf und sagte: »Was wollt Ihr?«
»Ich habe einen gespürt«, antwortete sie, »hart neben mir, der mir das Gesicht berührte.«
Die Kammerfrau durchsuchte das ganze Zimmer und sah und hörte nichts; und da sie nichts fand, kehrte sie in das Bett zurück und sprach: »Sie hat sicher geträumt.« Nach einer Weile kam Arrighetto wieder ganz sachte an das Bett, küßte sie sehr zärtlich und sprach leise: »Liebe Seele, erschrick nicht!«
Das Fräulein erwachte und stieß einen heftigen Schrei aus.
»Was hast du?« sagten die Kammerfrauen, welche alle aufstanden; »es ist nichts als ein Traum«.
Arrighetto war wiederum in den Vogel zurückgegangen; sie untersuchten Tür und Fenster, fanden sie aber verschlossen, und da sie nichts sahen, fingen sie an, sie laut auszuschelten, und sprachen: »Wenn du dich wieder rührst, so sagen wir es deiner Hofmeisterin. Was sind doch das für Torheiten, daß du uns nicht willst schlafen lassen! Das ist eine schöne Sitte, in der Nacht zu schreien. Sei so gut und verhalte dich jetzt ruhig! Mache, daß du schläfst, und laß uns auch schlafen!«
Da fürchtete sich das Mägdlein, und nach einer Weile, als es Arrighetto Zeit schien, kam er wieder aus seinem Vogel hervor, trat leise an das Bett und sagte: »Meine Lena, schreie nicht und fürchte dich nicht!«
Sie fragte: »Wer bist du?«
Arrighetto sprach: »Ich bin der Sohn des Kaisers.«
Sie entgegnete: »Wie bist du aber hereingekommen?«
Arrighetto antwortete: »Verehrungswürdige Dame, das will ich dir sagen. Es ist schon lange Zeit, daß ich mich in dich verliebte, da ich deine Schönheit rühmen hörte, und oft und viel bin ich hergekommen, um dich zu sehen, aber ich fand kein Mittel; da ließ ich den Adler machen, und in diesem bin ich hergekommen, bloß um mit dir reden zu können. Und darum bitte ich dich, daß es dir gefallen möge, Erbarmen mit mir zu haben, dieweil ich kein anderes Gut als dich auf dieser Welt besitze; und siehe, ich habe mein Leben gewagt um deinetwillen.«
Als das Mägdlein die holden Worte hörte, die Arrighetto zu ihr sagte, wandte sie sich zu ihm, umarmte ihn und sprach: »In Anbetracht der Gefahr, in die du dich um meinetwillen begeben hast, wäre es eine große Schändlichkeit von mir, wenn ich es dir nicht vergälte. Darum bin ich einverstanden, daß du mit mir tuest nach deinem Willen; zuvor aber möchte ich doch wissen, wie du aussiehst. Darum kehre an deinen Platz zurück und fürchte dich nicht; denn morgen will ich tun, als wünschte ich zu schlafen, und die Kammertür schließen. Dann bleibe ich allein, und wir können einander sehen und ausführlicher miteinander reden.«
Arrighetto antwortete und sprach: »Madonna, und wenn ich jetzt sterben sollte, so bin ich doch froh, daß du mich zu deinem Diener angenommen hast. Doch möge es dir gefallen, mich zum Zeichen davon ein einzigmal zu küssen.«
Das Fräulein küßte ihn anmutig, denn sie fühlte schon im Herzen die Flammen der brennenden Liebe. Darauf kehrte Arrighetto in den Vogel zurück.
Am folgenden Tage sagte das Fräulein, sie wolle schlafen; denn sie konnte den Augenblick kaum erwarten, wo sie Arrighetto sähe. Dann schickte sie die Kammerfrauen hinaus, schloß das Gemach und trat zu dem Vogel, aus welchem alsbald Arrighetto hervorkam und sich vor ihr neigte bis auf den Boden. Als sie in ihm einen so lustigen und schönen Mann erkannte, fiel sie ihm plötzlich um den Hals, und er nahm sie fest in seine Arme.
»Ich bin«, sprach er, »der glücklichste Mensch auf der Welt, denn nun wird mir die Freude zuteil, die ich so lange Zeit sehnlich gewünscht habe.«
Sodann erzählte er ihr sein ganzes Geschlecht und wer er war, nebst so süßen und holden Worten, daß sie duftigen Veilchen glichen, vermischt mit würzigen Küssen. Ich kann die Liebe nicht aussprechen, die sie einander schenkten; und auf diese Weise blieben sie mehrere Tage und Nächte beisammen. Das Fräulein versorgte ihn unterdessen fortwährend reichlich mit himmlischen Speisen und Weinen. Auch kam der Goldschmied häufig, um nach dem Vogel zu schauen, und fragte zugleich Arrighetto, ob er nichts wolle; er antwortete aber jedesmal: »Nein.«
Nun sprach Arrighetto einst zu der Dame: »Ich wünsche, daß wir zusammen nach Deutschland gehen in unser Haus.«
»Lieber Arrighetto«, antwortete die Frau, »ich bin zufrieden mit dem, was dir gefällt.«
Arrighetto sprach: »Ich will weggehen und mit einem Schiffe wieder zum Schiffe des Königs kommen, das an der Küste steht, und will mich in einer bestimmten Nacht daselbst einfinden. Dann magst du zu deinem Vater sagen, du wollest spazierengehen, um die Küste zu sehen; dann erwartest du mich in dem Schlosse; ich komme in der Nacht dahin, hole dich auf das Schiff, und wir reisen hinweg.«
Die Frau sprach: »So sei es!«
Darauf schickte sie zu dem Goldschmied und sprach: »Trag diesen Vogel hinweg und mache mir die Krone darauf, so daß ich sie bei meiner Rückkunft fertig finde!« Der Meister sprach: »Wenn der Herr es will, bin ich einverstanden.«
Die Frau sprach: »Tue, was ich dir sage!«
Und der Meister ließ den Vogel in die Bude bringen. Als es aber Zeit war, ging Arrighetto heraus, nahm Abschied von dem Meister und ging heimlich hinweg in sein Land. Dort gab er Befehl, ein schönes Schiff auszurüsten mit einigen Galeeren, die zur Verteidigung des besagten Schiffes bewaffnet waren, machte sich auf und kam an die Burg des Königs von Aragon, wie verabredet worden war.
Inzwischen sagte das Fräulein zu ihrem Vater: »Mein Gebieter, ich wünschte in den Hafen zu gehen, um die Küste zu sehen und einige Tage in Eurer Burg zu verweilen.«
Der Vater war es zufrieden und ließ ihr zur Gesellschaft viele Frauen und Fräulein beigeben, damit sie dort mit ihr spazierengingen. Das Fräulein begab sich mit ihrem Gefolge auf die Burg und erwartete mit großer Freude Arrighetto, Gott bittend, er möge bald kommen, und schaute den ganzen Tag auf das Meer hinaus, ob sie ihn nicht sehe. In einer Nacht aber, zur bezeichneten Stunde, kam Arrighetto unter der Burg an. Die Frau stieg alsbald hinunter zu ihm und umarmte ihn, und ohne Verzug traten sie in das Schiff, spannten die Segel auf und fuhren mit Gottes Hilfe von dannen, und Arrighetto brachte sie in seine Heimat. Als man sie aber am Morgen nicht mehr fand, entstand ein großer Lärm, und es wurde dem König zu wissen getan, es seien Seeräuber gekommen an seine Burg und hätten seine Tochter entführt. Der König war darüber schmerzlich betrübt, denn er achtete seine Tochter für verloren. Und da er von dem wahren Hergang nichts wußte, schickte er einen seiner Söhne aus, der ein sehr rüstiger junger Mann war, und sprach zu ihm: »Ich befehle dir bei Todesstrafe, so wahr dir dein Leben lieb ist, nie wieder zu mir zurückzukommen, ohne daß du erfahren hast, wo sie ist und wer sie entführt hat.« Dieser begab sich auf die See und folgte dem Schiffe und hörte und erfuhr, daß des Kaisers Sohn sie mitgenommen habe. Und sobald er sich dessen versichert hatte, kehrte er zum Vater zurück und sagte ihm, der Sohn des Kaisers sei in eigener Person hergekommen und habe sie gestohlen. Da machte der König große Zurüstungen, um hinzuziehen und ihn in Deutschland selbst zu befehden, und bot dazu auf den König von Frankreich und den König von England und den König von Navarra und den König von Maiolica und den König von Schottland und den König von Kastilien und den König von Portugal nebst vielen andern Herren und Baronen des Abendlandes.
Als nun der Kaiser von den Rüstungen hörte, welche jener machte, um ihn zu überfallen, tat er ein Gleiches und lud ein und bot auf den König von Ungarn und den König von Böhmen und außerdem viele Markgrafen, Grafen und Herren von Deutschland, so daß beide Teile ein großes Heer zusammenbrachten, um miteinander zu kämpfen, in der Weise, wie ihr sogleich hören werdet.
Nun geschah es, als der König von Aragon sein Heer vereinigt hatte, brach er auf und kam nach Deutschland in das Gebiet des Kaisers. Und als der Kaiser von seiner Ankunft hörte, ging er ihm entgegen nach einer Stadt, welche Wien heißt, mit einer großen Menge Volks; und als sie einander auf dem Schlachtfelde gegenüberstanden, hielt der König von Aragon Rat und beschloß, den Kaiser zur Schlacht zu fordern, und so geschah es. Er sandte alsbald durch einen Trompeter einen ganz blutigen Handschuh auf einem Dornbusch ab. Arrighetto als der Oberfeldherr nahm die Schlacht bereitwillig an; und nach den getroffenen Abreden wurde der Tag festgesetzt, an welchem man sich auf dem Schlachtfeld einfinden sollte.
In der Nacht zuvor setzte der König von Aragon zwölf Heermeister ein, Männer von großer Tapferkeit und Verstand. Die erste Schar bestand aus dreitausend guten Kriegern, alle schwarz gekleidet, die meisten machte er zu Rittern mit goldenem Sporn, die hießen Ritter des Todes, und zu ihrem Hauptmann setzte er seinen Sohn, der Messer Princivale hieß.
»Mein Sohn«, sprach er zu ihm, »heute ist der Tag, die Ehre deiner Schwester wieder zu gewinnen; darum bitte ich dich, wacker und rüstig zu sein. Mach, daß jede Faser von Angst heute in dir ersterbe, und gib eher zu, in Stücke gehauen zu werden, als daß du wichest!«
Er gab ihm eine Standarte mit goldenem Leuen in blauem Felde mit einem Schwert in der Pfote.
Die zweite Schar hatte der Herzog von Burgund mit dreitausend Burgundern und Franzosen, alle gut beritten und gewaffnet; als Wappen trug er an jenem Tage goldene Lilien in blauem Felde. Die dritte Schar führte der Herzog von Lancaster mit dreitausend waffengeübten tapfren Engländern; alle waren mit Panzern und Brustharnischen und glänzenden flachen Helmen versehen und alle vereinigt unter einer Fahne mit drei goldenen Leoparden in rotem Felde. Die vierte Schar führte der König von Kastilien und der König von Schottland mit viertausend Bewaffneten, alle gut zu Roß und gut gewaffnet, und sie trugen zwei große Schlachtfahnen, und auf der einen war ein weißes Schloß gemalt in rotem Felde und auf der andern ein grüner Drache in rotem Felde mit blauem Sparren in der Mitte. Die fünfte Schar führte und lenkte der König von Maiolica und der König von Navarra nebst zweitausend guten Fechtern, und sie trugen als Wappen an jenem Tage zwei Fahnen: auf der einen eine schwarze Wölfin in weißem Felde und auf der andern drei rote Schachbretter in weißem Feld und ein roter Streif in der Mitte. Die sechste Schar führte der Graf Novello von Sansogna mit fünfzehnhundert Provenzalen, und auf seiner Fahne trug er als Wappen im Banner drei rote Rosen auf weißem Felde. Die siebente und letzte Schar führte der mannhafte König von Aragon mit vieren seiner Enkel, fünftausend gutbewaffneten und gutgerüsteten Aragonern mit lauter großen Schlachtrossen, die ganz mit Schuppen- und Ringpanzern überzogen waren, und als Feldzeichen trug er an diesem Tage einen Engel mit einem Schwert in der Hand; und um diese Schar her hatte er zweitausend Bogenschützen zu Fuß, und fortwährend waren die zwölf Heermeister beschäftigt, die Scharen in Ordnung und Stand zu erhalten mit so vielen Trompetern und Pfeifern, daß es fürwahr wie ein Donner dröhnte.
Auf ähnliche Weise war der Kaiser bedacht, seine Scharen zu ordnen, machte seinen Sohn Messer Arrighetto von Schwaben an jenem Morgen zum Ritter und Grafen, gab ihm ferner dreitausend Herren und Ritter zum Gefolge, lauter hohe Edelleute, und gab ihm zum Feldzeichen eine kaiserliche Fahne, worauf ein schwarzer Adler in goldenem Felde gemalt war, und er trug an diesem Tage das Bild eines Fräuleins auf dem Schild mit einer Palme in der Hand, und den Schild hatte ihm diejenige geschenkt, um derentwillen diese Schlacht geschlagen wurde. Und nachdem ihm der Kaiser die Fahne und das Gefolge gegeben hatte, sagte er zu ihm: »Mein Sohn, das ist deine Sache: darum sage ich dir weiter nichts.«
Die zweite Schar führte ein Neffe des Königs von Ungarn mit fünftausend Ungarn in der besten Verfassung. Als Wappen trug er auf seinem Banner goldne Lilien in blauem Felde und weiße und rote Streifen. Die dritte Schar führte der uralte König von Böhmen mit sechstausend durchaus gutbewaffneten, gutberittenen und kampfmutigen Rittern, und als Abzeichen trug er auf seiner Standarte einen weißen Löwen mit zwei Schwänzen in rotem Felde. Die vierte Schar führte der Herr von der Lippe, Herzog von Österreich, mit siebentausend sehr in den Waffen geübten und kampfgewohnten Rittern von großer Kühnheit, und als Abzeichen trug er zwei Banner: auf dem einen war ein weißer Adler mit drei Köpfen in rotem Felde mit einigen weißen Punkten, und auf dem andern war ein weißer Berg abgebildet in blauem Felde, mit einem Degen, der in besagtem Berge steckte. Die fünfte Schar führten der Graf von Savoyen und der Graf Wilhelm von Lützelburg mit dreitausendfünfhundert Rittern, lauter mannhaften und rüstigen Leuten ohne alle Furcht, und als Abzeichen trugen sie zwei Fahnen; auf der einen war abgebildet ein Bär mit seinem Felle in gelbem Felde, und auf der andern waren weiße und rote Viertel dargestellt. Die sechste Schar führte der Patriarch von Aquileja mit vierzehnhundert Grafen, Freiherren und Rittern mit goldnem Sporn, und zum Abzeichen trug er in seiner Fahne eine Bischofsmütze mitten zwischen zwei weißen Bischofsstäben in rotem Felde. Die siebente und letzte Schar führte der Kaiser mit viertausend erprobten Deutschen, die in den Waffen geboren schienen, und trug als Wappen an jenem Tage die Gundfahne, welche der Engel Karl dem Großen gebracht hatte, die Oriflamme, eine Feuerflamme in goldenem Felde. Und wahrlich, diese letzte Schar bestand aus fast lauter mannhaften und tüchtigen Kriegsleuten; jede Schar hatte vier Seneschälle, die immer um die Scharen hergingen, damit keiner aus ihr heraustreten konnte, so daß es keinen Unfall und kein Übersehen gab.
Nun waren die Scharen auf beiden Seiten geordnet und abgeteilt; die Ebener gingen vorauf, um Bäume und Hecken wegzuräumen und Gräben auszufüllen; und als es Tag wurde, sah man allmählich auf beiden Seiten die Strahlen der Sonne auf die schimmernden Waffen fallen; man bemerkte, wie die Standarten, Fahnen und Banner im Winde flatterten, man hörte das Wiehern der Pferde, den Lärm der Pfeifer und Trompeter auf beiden Seiten, so daß es das Ansehen gewann, als ob rings alles blitzte und donnerte. Niemals sah man noch ein so ausgezeichnetes und edles Heer auf einem Felde versammelt, wie dieses, noch so viele tapfere, kluge und brave Krieger auf beiden Seiten, wie auf diesem wunderschönen Felde. Wenn je ein Heer mit Verstand geführt und geleitet wurde, so war es das des tapfern Königs von Aragon, der, sobald es so weit Tag wurde, daß sie einander zu sehen und zu erkennen vermochten, hinging, seine Scharen zu trösten, im Waffenhandwerk zu unterweisen und zu bitten, sich gut und mannhaft aufzuführen, denn am heutigen Tage würden sie mit dem Schwert in der Hand den Deutschen den Kaisertitel nehmen und ihn mit Ruhm und Triumph in ihre Heimat bringen, wie das schon zu den Zeiten des guten Königs Karl des Großen geschehen sei; darum bitte er sie, es solle sich jeder als echter Paladin benehmen in Anbetracht des dauernden ehrenvollen Namens, den sie sich und ihren Nachfolgern an diesem gesegneten und siegreichen Tage verschaffen könnten, an welchem Gott und der selige Herr Sankt Georg ihnen den Sieg verleihen werde.
»Darum«, fuhr er fort, »laßt eure Schwerter einschneiden und macht keine der Feinde zum Gefangenen! Wer tot ist, fängt keine Fehde mehr an. Wer sich einfallen ließe, am heutigen Tage nicht solchen edeln glorreichen Ruhm zu erwerben, der mache sich nur darauf gefaßt zu sterben; denn wir sind in ihrem Lande und haben hier keine Zuflucht. Für uns haben wir nur unsere Schwerter. Wir müssen also notgedrungen uns tapfer halten.«
Sodann befahl er, sobald welche von seinen Leuten sich rückwärts wendeten, um zu fliehen, die sollten zuerst sterben.
Alle seine Scharen konnten kaum den Augenblick erwarten, wo sie handgemein werden sollten, denn sie glaubten, auf ihrer Seite stehe das Recht. Ebenso machten es der Kaiser und Messer Arrighetto bei ihren Leuten; sie riefen ihnen ins Gedächtnis, daß das deutsche Blut das edelste und mannhafteste sei auf der Welt.
»Nicht ohne Grund«, sagten sie, »haben wir die heilige kaiserliche Krone erobert und besitzen sie seit langer Zeit. Darum haltet euch tapfer und mutig und dämpfet den Stolz und die Vermessenheit dieser gallischen Fremdlinge, welche vermöge ihrer Anmaßung in unsere Lande gekommen sind, um uns zu verschlingen! Gedenket unserer Vorfahren, die immer Meister waren im Waffenhandwerk und begierig, ihrem Vaterlande Ruhm zu erwerben, wie der gute tapfere Kaiser Otto I. von Sachsen und der freisinnige Heinrich I. und Konrad I. und der zweite und dritte und vierte Kaiser Heinrich und der brave Rotbart Friedrich I. und der fünfte Heinrich von Schwaben und Otto IV. von Sachsen und viele andere.« Gleicherweise ging der Patriarch von Aquileja durch die Scharen, Segen spendend und jedem seine Sünden vergebend mit der Ermunterung, sie sollen alle wacker fechten, dann werden sie den Sieg gewinnen. Nachdem er nun beide Teile mit dem Kreuzabzeichen gesegnet und das Losungswort der Schlacht auf Seiten des Kaisers »Sankt Paul«, auf Seiten des Königs von Aragon »Ritter Sankt Georg« gegeben war, rückten sich die beiden ersten Scharen allmählich näher, legten die Lanzen ein, holten lustig aus, um einander zu treffen, und griffen einander furchtlos und mannhaft an; und als die Lanzen gebrochen waren, zogen sie die Schwerter und schlugen so maßlos auf die glänzenden Helme los, daß die Funken gen Himmel sprühten, so ernstlich trafen und schlugen beide Teile aufeinander. Herrn Arrighetto wurde sein Pferd unter dem Leibe getötet, so daß er stürzte; doch richtete er sich schnell wieder auf und machte sich mit dem Schwerte Bahn. Viele von den Rittern des Todes standen um ihn her, und keiner konnte ihn fassen. Messer Princivale eilte durch das Feld und traf zufällig auf ihn, und sie erkannten einander. Da rief ihm Messer Princivale zu und sprach: »Verräter, du bist des Todes.«
Messer Arrighetto antwortete: »Ich bitte dich bei der Liebe deiner Schwester, daß du mich nicht tötest.«
Messer Princivale erwiderte: »Verhüte Gott, daß ich auf dich Rücksicht nehme, nachdem du auf mich keine Rücksicht genommen hast!«
Er schwang sein Schwert und schlug auf ihn, und wäre nicht die gute und bewährte Rüstung gewesen, die er anhatte, so wäre er sicherlich an diesem Tage gestorben, denn er schnitt ihm den ganzen Schild durch, den er am Arme hatte. Da kam ihm der Neffe des Königs von Ungarn zu Hilfe mit der ganzen Schar der Ungarn: er wurde gleich wieder auf ein Pferd gesetzt mit dem Schwert in der Hand und stürzte sich unter sie. Nun begann die andere Seite zu weichen wegen der Übermasse, die auf sie drückte. Der Herzog von Burgund fiel auf sie mit seiner Schar, und dort entstand ein sehr hitziger Kampf, und viele Leute kamen um. Aber die Ungarn nahmen die Bogen von der Seite und spannten sie mit solcher Hast, daß die Kerben fast zusammenstießen, und so trafen und töteten sie bei ihren Angriffen viel Volks, so daß die Feinde sich genötigt sahen, zurückzuschreiten. Nun machte sich aber der Herzog von Lancaster auf mit den tapfern und rüstigen englischen Rittern; er kam wie ein losgelassener Löwe unter die Ungarn und schrie: »Tod und Verderben!«
Die Ungarn flohen vor ihnen wie eine Herde Schafe. So traf er denn auf den Neffen des Königs von Ungarn, legte die Lanze ein, sprengte ihm in den Rücken und stieß ihn vom Pferde, solang die Lanze war. Plötzlich waren sie dann auf und über ihn her, und weil er von königlichem Hause war, wollten sie ihn nicht umbringen, sondern nahmen ihn gefangen. Sobald nun die Ungarn ihren Hauptmann gefangen sahen, gerieten alle in Verwirrung. Als der König von Böhmen dies bemerkte, setzte er lustiglich seine Schar in Bewegung und rief den Feinden entgegen: »Fleisch, Fleisch!«
Nun gab es ein hartes und herbes Gefecht. So setzten sich auch die andern folgenden Scharen in Bewegung, die des Königs von Kastilien, des Königs von Schottland und des Herzogs von Österreich. Als nun diese Scharen zusammenstießen, war der Lärm und das Geschrei so groß und das Getöse, das sie mit ihren Schlägen hervorbrachten, daß es war, als ob Luft und Erde erzitterte. Und wie sie durch das Feld liefen, begegneten sie dem König von Schottland und dem Herzog von Österreich, und mit großer Keckheit liefen sie aufeinander los, und als die Lanzen zerbrochen waren, zogen sie ihre Schwerter. Der Herzog durchbohrte dem König von Schottland den Arm, so daß der besagte König das Schwert nicht mehr führen konnte. Da nahm ihn der Herzog fest und machte ihn zu seinem Gefangenen. Als sein Volk den Herrn gefangen wegführen sah, leisteten sie Widerstand, drängten sich zusammen, bildeten einen Damm gegen den Herzog und nahmen ihm seinen Gefangenen mit Waffengewalt wieder ab. Ganz toll darüber stürzte sich der Herzog mit solcher Wut unter sie, daß, wer vor ihm fliehen konnte, sich selig zu preisen hatte. Er ließ sich von seiner Leidenschaft so weit hinreißen, daß er in die fünfte Schar hinüberstürzte, wo der König von Navarra und der König von Maiolica standen, welche vorsichtig in die Schlacht liefen. Und während er auf ihn stieß, senkte der König von Maiolica die Lanze, zielte damit auf seine Brust und bohrte sie ihm durch und durch. Daher fiel er auf die Erde, und der mannhafte Herzog von Österreich war tot.
Als die Krieger von dieser Schar einen so guten Anfang im Siege gemacht hatten, faßten sie Mut und liefen ganz kühnlich bis zu der Schar des Grafen und Herzogs von Savoyen und des Grafen Wilhelm, und da gab es eine harte und herbe Schlacht, und mit Gewalt wurden die Fahnen der besagten zwei Grafen zu Boden geworfen, und fast erlitten sie eine Niederlage.
Als der Patriarch von Aquileja solches sah, machte er sich plötzlich auf mit seiner Schar gegen die Wut des Königs von Maiolica, und er war so gut zu Pferde und hatte eine so gute Gesellschaft, daß er gezwungenerweise sich Bahn machte und mit großer Wut hinlief, wo Messer Princivale stand, welcher ihm eifrig entgegenlief und ihn mit einer Lanze so traf, daß ein Teil von dem Lanzensplitter ihm in der Brust steckenblieb; aber seine Gewalt war doch so groß, daß er ihn wegtrug, und verwundet, wie er war, richtete er bei seinen Feinden großen Schaden an; endlich aber begann infolge der großen Menge Blutes, die er verloren, ihm das Gesicht zu weichen. Indem er nun durch das Feld rannte, traf er auf Messer Arrighetto, der, als er ihn erkannte und so verwundet sah, ausrief: »Wehe, lieber Herr, was ist das?« Der Patriarch sprach: »Mein Sohn, zieh mir das Eisen heraus! Ich bin des Todes.« Und er zog ihm plötzlich das Eisen heraus, und der Patriarch sprach: »Ich sehe fast kein Licht mehr; darum verstopfe und verbinde mir diese Wunde gut und führe mich alsdann dahin, wo die Schlacht am dichtesten ist; denn fürwahr, ehe ich sterbe, sollen durch meine Hand noch manche umkommen!«, und so geschah es.
Als er verbunden war, küßte er Herrn Arrighetto, gab ihm seinen Segen und sprach: »Lieber Sohn, entsetze dich nicht über meinen Tod, sondern nimm ein Beispiel an mir und geh mit Gott! Denn das ist keine Zeit, um dazustehen und Worte zu machen.«
Er jagte sodann in die Schlacht, das Schwert in beiden Händen haltend, und wehe dem, der ihm nahe kam! Und so hielt er sich noch eine Weile; dann starb er. Als nun Herr Arrighetto die Schar des Grafen von Sachsen heranrücken sah, brach er mit den Seinigen auf, welche sich wieder erfrischt hatten, und fiel verzweifelt über den Grafen her; er aber, als er ihn so verzweifelt auf ihn zukommen sah, eilte ihm sehr kühn entgegen, Herr Arrighetto setzte ihm die Lanze auf die Brust und stach sie ihm gewaltig ganz durch, und so fiel der mannhafte Graf vom Pferde. Nach kurzem Verweilen starb er, und seine Leiche wurde von den Seinen aufgehoben und weggetragen in ihr Lager.
Als der König von Aragon den guten Grafen von Sachsen tot sah, konnte er sich des Weinens nicht enthalten. Dann aber nahm er die Lanze in die Hand und rief: »Mannschaft, wer mich liebhat, der folge mir!« Nun brach er auf wie ein Sturm und hieb mit seinem Schwerte durch, was ihm in den Weg trat, und er lief durch das Feld hin wie ein Drache, und alles floh vor ihm.
Als der Kaiser dies sah, brach seine Schar mit ergrimmtem Mute gegen den König von Aragon auf; die beiden Scharen begegneten sich und schienen Teufel der Hölle, so groß war der Sturm, den beide Teile erregten, indem sie die ungemessenen Schläge austeilten und empfingen. Der König von Aragon warf den Schild auf den Rücken, faßte das Schwert mit beiden Händen und durchhieb, wer vor ihm sich zeigte, so daß jedermann vor ihm floh, denn sie konnten seine ungeheuerlichen Schläge nicht aushalten. Viele Freiherren und Grafen fielen durch seine Hände. Das Handgemenge war sehr groß; man gab und empfing heftige Schläge, durchschnitt Panzer, Hände, Arme und vergoß Ströme Blutes auf dem ganzen Felde. Der Kaiser aber mit seiner Schar fügte den Feinden den größten Schaden zu.
Nun begab es sich, daß der König von Aragon zufällig an eine Quelle kam, wo Herr Arrighetto den Helm abgenommen hatte und sich erfrischen wollte. Der König von Aragon stieg vom Pferde, und als er auf dem Boden stand, erkannte er am Wappen Herrn Arrighetto, und ohne weiter etwas zu sagen, holte er mit dem Schwerte aus und führte auf Herrn Arrighetto einen heftigen Streich über das Gesicht und sprach: »Das gebe ich dir zum voraus als Aussteuer für meine Tochter.« Dann stieg er wieder zu Pferde und rief Arrighetto zu: »Nimm deine Waffen zu dir! Heute ist der Tag, an dem du durch meine Hand sterben mußt bei diesem Brunnen.«
Herr Arrighetto antwortete: »Es ist nicht Ritterbrauch, mit einem Manne fechten zu wollen, der so schändlich verwundet ist wie ich.«
Der König antwortete: »Verbinde dir die Wunde und dann steig zu Pferde: denn ich will sehen, ob du so rüstig bist, wie ich gehört habe.«
Während sie so miteinander verhandelten, kam der Graf von Lützelburg mit einigen seiner Barone auf den Brunnen zugeritten, um sich zu erfrischen, und als er den König von Aragon und Herrn Arrighetto erkannt und von ihrem Streite gehört hatte, wandte er sich zum König und sagte, er wolle diesen Handel ausmachen, worüber der König und Herr Arrighetto zufrieden waren.
»Herr König«, sprach der Graf, »ich will, daß für heute diesem Kampf ein Ziel gesetzt werde, und bis Herr Arrighetto sich heilen läßt und wieder imstande ist, fechten zu können, könnt ihr beide im Lager bleiben und dann unter euch den Streit ausfechten, damit nicht so viele wackere Männer sterben um ein Weib: denn meiner Treu, ich habe nie eine blutigere Schlacht gesehen als diese.«
Der König war es zufrieden und Herr Arrighetto gleichfalls; sie gaben sich die Hand, miteinander zu fechten; dann gingen sie hinweg, und als sie wieder in die Schlacht kamen, ließ jeder von beiden in die Trompeten stoßen und zum Stillstand blasen. Es kostete aber die größte Mühe, dieses grausame Handgemenge zu trennen.
Als nun am Abend beide Teile in ihr Lager zurückgekehrt waren, ließ der König von Aragon alle seine Könige, Grafen und Herren zusammenkommen und sagte ihnen, was er getan und versprochen habe, und fast alle waren damit einverstanden, nur nicht Messer Princivale, welcher sprach: »Lieber Herr, ich wünsche selbst mit ihm zu kämpfen, denn ich bin jung, wie er, und suchte heute den ganzen Tag auf dem Schlachtfelde nach ihm umher, konnte ihn aber nicht finden.«
Der Vater sprach: »Mein Sohn, laß ihn erst heilen, dann magst du tun, wie du begehrst.«
Nun begab es sich, daß der Papst von den außerordentlichen Aufgeboten hörte, welche die beiden Fürsten gemacht hatten; da schickte er zwei Kardinäle hin, um sie zu versöhnen. Da diese die Sache in so schlimmem Stande fanden, sprachen sie mehrmals mit dem Kaiser und mit dem König von Aragon, welcher sehr ungern sich zu diesem Frieden herbeiließ. Doch vermochten es endlich die unablässigen Bitten der Herren und die Befehle, die ihnen die Kardinäle von Seiten des Papstes unter Androhung des Kirchenbanns zukommen ließen, daß sie Frieden machten und sich unserm Herrgott zu Gefallen vertrugen, worauf unter großen Festen und Feierlichkeiten besagter Herr Arrighetto jene Tochter des Königs von Aragon zur Frau nahm; und Messer Princivale nahm die Tochter des Kaisers, Herrn Arrighettos Schwester, zur Frau. Und als sie einander verziehen und Frieden und Verwandtschaft geschlossen hatten durch Vermittelung der beiden Kardinäle, verabschiedeten sie sich mit großer Befriedigung und Feierlichkeit, und jeder kehrte in sein Land zurück mit Beruhigung.
Ein König von Frankreich hatte eine Tochter mit Namen Dionigia, schön und reizend, wie nur eine Frau ihrer Zeit; und ihr Vater wollte sie, als sie zu vermählen war, wegen seines vielen Geldes einem hohen Herrn in Deutschland geben, welcher siebzig Jahre alt war; aber das Mädchen wollte ihn nicht, obgleich ihr Vater sich anschickte, ihr ihn wider ihren Willen zu geben. Da dachte das Kind an nichts anderes, als wie sie Mittel und Wege fände zu fliehen; sie verkleidete sich also einst bei Nacht als Pilger, beschmierte sich das Gesicht mit Kräutern, welche die Farbe änderten, nahm einige kostbare Steine, die ihr ihre Mutter bei ihrem Tode vermacht hatte, und machte sich auf den Weg nach der Küste. Sie erreichte auch wirklich das Meer, stieg auf ein Schiff und fuhr hinüber nach der britischen Insel. Aber der König, ihr Vater, als er am Morgen die Tochter nicht fand, ließ die ganze Stadt nach ihr durchsuchen und das ganze Reich, und da er sie nicht fand, dachte er, sie habe sich aus Schmerz einen Tod angetan.
Nachdem das Kind ans Land gestiegen war, machte sie sich auf nach einer Stadt und gelangte an ein Kloster, das reichste dieser Insel; dessen Priorin war eine Base des Königs des Landes. Bei ihrer Ankunft sagte das Mädchen zu der Priorin, sie möchte gerne Nonne werden. Die Priorin aber fragte sie, wer sie sei, wessen Tochter und woher sie komme. Sie antwortete, sie sei die Tochter eines Bürgers aus dem Königreiche Frankreich, ihr Vater und ihre Mutter seien gestorben, und nachdem sie einige Reisen gemacht, wolle sie sich nun dem Dienste Gottes weihen. Als die Priorin ihr mildes und freundliches Wesen bemerkte, kam sie auf den Gedanken, sie als Schülerin und teilweise zur Dienstleistung anzunehmen, und sprach: »Liebe Tochter, ich nehme dich gerne an; vorerst aber wird es gut sein, wenn du unsere Regel und Lebensweise versuchst; wenn dir dann das Haus gefällt, so kannst du das Kleid nehmen.«
Dionigia war sehr vergnügt; sie trat in das Kloster ein und fing an mit solcher Demut der Priorin und den andern Schwestern zu dienen, daß alle Bewohnerinnen des Klosters die größte Liebe zu ihr faßten und sich über ihre Schönheit und ihr Betragen wunderten.
»Fürwahr«, sagten sie, »das muß ein hohes Edelfräulein sein.«
Nun begab es sich nach kurzer Zeit, daß der König von England, dem noch nicht lange sein Vater gestorben war, in seinem Lande umherreiste und auch an dieses Kloster kam, um seine Base, die Priorin, zu besuchen, und es wurde ihm von ihr die feierlichste, ehrenvollste Aufnahme veranstaltet. Während er nun dort verweilte, kam ihm Dionigia zu Gesicht, die denn auch einen so tiefen Eindruck auf sein Gemüt machte, daß es nicht zu sagen ist. Er fragte die Priorin, wer sie sei; diese antwortete ihm mit der Erzählung, wann und wie sie hergekommen sei und wie sie sich aufführe. Da kam er auf den Gedanken, sie zur Frau zu nehmen, und teilte dies der Priorin mit, welche aber erwiderte, sie sei damit nicht einverstanden, denn sie wisse ja nicht, wer das Mädchen sei, und für ihn zieme sich eine Königs- oder Kaiserstochter.
»Ganz sicher«, entgegnete er, »ist sie die Tochter eines hohen Herrn, nach ihrem Betragen, ihren Sitten und ihrer Schönheit zu schließen.«
»Das ist sie nicht«, antwortete die Priorin.
»Nun«, versetzte der König, »so will ich sie so, wie sie ist, sei sie auch, wer sie wolle.«
Die Priorin ließ sie rufen und sprach zu ihr: »Dionigia, unser Herrgott hat dir ein großes Glück bereitet. Höre, inwiefern! Der König von England begehrt dich zur Frau.«
Als sie das hörte, verfärbte sie sich und sagte, sie wolle das unter keiner Bedingung, sondern wolle Nonne bleiben und bitte sie, ihr nicht mehr von derlei Dingen zu sprechen. Die Priorin meldete dies dem König; er aber blieb dabei, jedes Hindernis beseitigen und sie unter allen Umständen zur Frau nehmen zu wollen. Als die Priorin ihn so entschlossen sah, lockte und schmeichelte sie ihr so lange, bis sie einwilligte, und so heiratete er sie in Gegenwart der Priorin, beurlaubte sich sodann mit seiner Frau von ihr und begab sich nach London, wo er in seinem Palaste die größte Feierlichkeit veranstaltete. Er lud alle seine Barone ein; und als diese die große Schönheit, die ausgezeichnete Sittsamkeit und das feine Benehmen sahen, so war keiner unter ihnen, der sich nicht in sie verliebt hätte. Aber die Mutter des Königs wollte sich, da er eine solche Frau genommen, nicht bei der Hochzeit einfinden und zog sich mit großem Ingrimm auf ihre Besitzungen zurück.
Dionigia brachte es allmählich durch ihr Betragen dahin, daß der König ihr mehr als sich selber zugetan war. In kurzer Zeit ward sie schwanger; der König aber, ihr Gemahl, mußte mit einem starken Heere nach einer Insel übersetzen, die sich empört hatte. Darum nahm er Abschied von seiner Gemahlin und befahl seinem Vizekönig, für sie zu sorgen und sie in Ehren zu halten als Königin, auch ihm kundzutun, wie es ihr bei der Geburt ergehe. Damit entfernte er sich von England.
Als die Zeit erfüllt war, gebar die Frau zwei Knäblein, und der Vizekönig schrieb es seinem Herrn; der Überbringer des Briefes aber kam an das Schloß, wo die Mutter des Königs wohnte, kehrte daselbst ein und gab der Mutter des Königs Nachricht von der Geburt der zwei Knäblein. Dies verdoppelte ihren Grimm; und als der Eilbote in der Nacht schlief, vertauschte sie die Briefe, die er bei sich führte, und schrieb, es seien zwei der garstigsten und mißgestaltetsten Äffchen zur Welt gekommen, die man je sehen könne. Am folgenden Tage erwies man dem Boten viel Ehre und entließ ihn mit dem Auftrage, er solle bei seiner Rückreise wieder hier einsprechen. Er gab das Versprechen und ritt hinweg. Als er endlich zu dem Heere kam, behändigte er seinem Herrn den falschen Brief. Als der König ihn las und die Geschichte erfuhr, war er sehr erstaunt, schrieb aber nichtsdestoweniger an seinen Vizekönig, er solle sie aufziehen und nicht unterlassen, seine Gemahlin bis zu seiner demnächst erfolgenden Rückkehr wertzuhalten. Er fertigte denselben Boten mit Briefen ab, war aber doch sehr bekümmert. Der Eilbote nahm die Briefe und machte, wie er versprochen hatte, seine Rückreise wieder über das Schloß, wo die Mutter seines Gebieters wohnte, und ruhte daselbst aus. In der Nacht aber, während er schlief, nahm die Frau die Briefe ihres Sohnes, las sie, und als sie darin nichts von dem Tode ihrer Schwiegertochter fand, war sie sehr betrübt. Sie schrieb daher statt des echten einen andern Brief des Inhaltes: »Angesichts dieses nimmst du meine Frau mit den zwei Kindern, und da ich weiß, daß es nicht meine Kinder sind, bringst du sie um samt ihr!«
Diesen Brief steckte sie dem Boten, der noch schlief, in seine Tasche, und am Morgen entließ sie ihn unter vielen Liebesbezeugungen. Der Eilbote wußte von allem nichts, nahm Abschied und übergab bei seiner Heimkunft dem Vizekönig den Brief. Als dieser ihn gelesen, war er sehr verwundert und fragte den Boten, wer ihm den Brief gegeben habe. Dieser antwortete: »Der König selbst. Und er war ganz bestürzt, als er las, was Ihr ihm berichtet.« Als der Vizekönig diese Nachricht vernahm, brach er in heftiges Weinen aus, und mit Tränen in den Augen begab er sich zu der Königin, zeigte ihr den Brief und sprach: »Leset, meine Gebieterin!«
Als die Königin diesen Brief gelesen hatte, fing sie an heftig zu weinen und sprach: »Ach mein unglückliches Leben, daß ich doch keine gute Stunde haben sollte!« Dann nahm sie ihre Kinder in die Arme und rief: »Liebe Kinder, mit welch herbem Geschick seid ihr doch in die Welt gekommen! Was habt ihr für ein Verbrechen begangen, um dessentwillen ihr sterben müßtet?«
So schlug sie den größten, heftigsten Jammer auf und küßte ihre armen Kinderchen, welche schön waren wie Sterne. Der Vizekönig erhob mit ihr die heftigste Klage und wußte nicht, welchen Entschluß er fassen sollte. »Gnädige Frau«, sprach er endlich, zur Königin gekehrt, »was wollt Ihr tun? Was wollt Ihr, daß ich tue? Ihr seht, was mein Gebieter schreibt; nichtsdestoweniger würde ich nimmermehr wagen, Hand an Euch zu legen; darum nehmt heimlich Eure Kinder: ich will Euch bis an den Hafen begleiten; dort schifft Euch ein, und Gott sei Euer Führer! Das Geschick wird Euch irgendwohin bringen, wo Ihr vielleicht glücklicher seid.«
Sie war damit einverstanden, und in der folgenden Nacht nahm sie heimlich ihre Kinder mit hinweg, begab sich nach dem Hafen, wandte sich zu einem Seemann und sprach: »Nimm mich auf dein Schiff und bring mich nach Genua! Du sollst gut bezahlt werden.«
Der Vizekönig empfahl sie dem Seemann, gab ihm Geld und nahm unter Tränen Abschied. Das Schiff ging unter Segel und trug in kurzer Zeit die trauernde Frau nach Genua. Dort verkaufte sie einige Kleinodien, die sie bei sich hatte, nahm zwei Ammen und zwei Kammerfrauen an und verfügte sich weiter nach Rom, wo sie ihre zwei Söhne sehr sorgfältig erziehen ieß. Der eine hieß Carlo, der andere Lionetto. Sie lebte in sittsamer Zurückgezogenheit und widmete sich der Erziehung dieser ihrer Söhne, die an Tugend und Alter wuchsen und alle, die sie kannten, in Erstaunen setzten. Die Mutter ließ sie von guten Lehrmeistern unterrichten, und sie mußten alle schönen Wissenschaften lernen, die Edelleuten zu wissen ziemt. Als sie heranwuchsen, brachte sie sie auch an den päpstlichen Hof, ohne zu sagen, wessen Söhne sie waren. Als der Papst von dem frommen und sittsamen Leben dieser Frau hörte und die Schönheit und das anständige Betragen dieser ihrer Söhne sah, liebte er sie sehr und gab ihnen ein reichliches Einkommen, so daß sie Diener und Pferde halten und stattlich leben konnten.
Nun wollte der Papst einen Kreuzzug anstellen gegen die Sarazenen im Heiligen Lande und bot alle Könige und Herren der Christenheit auf, worunter er den König von Frankreich und den König von England namentlich nannte, sie möchten in eigener Person nach Rom kommen, um ihren Rat zu vernehmen in Betreff dieses Zuges. So fanden sich denn die beiden Könige auf Befehl des Papstes in Rom ein. Vorher ist aber noch zu wissen, daß der König von England, als er von der Wiedereroberung der aufständischen Insel zurück in London anlangte, den Vizekönig gleich nach seiner Frau und seinen Kindern fragte. Er erhielt zur Antwort, es sei mit ihnen nach dem Inhalt seines Briefes verfahren worden, ja er habe noch weniger getan: denn während er ihm geschrieben habe, er solle sie umbringen, habe er sie nur weggeschickt, und zum Zeugnis dessen zeigte er ihm die Briefe. Darüber war denn der König sehr erschrocken und wollte wissen, wer solches veranlaßt habe. Als er sich überzeugt hatte, daß seine Mutter daran schuld sei, ermordete er sie in der Aufregung des Zornes und schickte dann nach vielen Ländern hin, um seine Gemahlin zu suchen, und als man ihm meldete, sie habe ihm zwei so schöne Söhne geboren, wollte er umkommen vor Schmerz, und es dauerte lange Zeit, bis man wieder mit ihm sprechen konnte; heiter aber wurde er nie wieder, so groß war seine Liebe zu der Frau, die er so elendiglich verloren hatte. Als er nun diesen Befehl vom Papste erhalten hatte, sich mit dem König von Frankreich nach Rom zu verfügen, reiste er ab, begab sich nach Frankreich und setzte dann in Begleitung des Königs von Frankreich seinen Weg nach Rom fort, wo sie vom Papste sehr liebevoll aufgenommen wurden.
Während sie nun in Rom umhergingen, wurden sie von der Frau erkannt, der eine als ihr Bruder (denn der Vater war unterdessen gestorben), der andere als ihr Gemahl. Da stellte sie sich dem Papste vor und sprach: »Seligster Vater, Eure Heiligkeit weiß, daß ich Euch niemals eröffnen mochte, von wem diese meine Söhne abstammen, und wer ich bin. Jetzt aber ist die Zeit gekommen, um eines wie das andere zu tun. So soll es denn geschehen, und mag daraus erfolgen, was Eurer Heiligkeit gut dünkt. So wisse denn Eure Heiligkeit, daß ich die Tochter des früheren Königs von Frankreich bin und die Schwester dessen, der gegenwärtig in Rom sich aufhält. In meinem kecken Übermut bin ich, weil mein Vater mich an einen alten Mann gegen meine Neigung vermählen wollte, davongelaufen und nach England in ein Kloster gegangen. Als aber der König von England mich erblickte, faßte er Liebe zu mir und nahm mich zur Frau, ohne zu wissen, wer ich war. Nach kurzer Zeit gebar ich ihm diese zwei Kinder; er aber, der damals aus dem Reiche abwesend war, gab den Befehl, mich mit den armen Knaben umzubringen, die er nicht als die seinigen anerkannte. Durch Vermittelung eines seiner Beamten gelang es mir jedoch zu entkommen, und ich floh hierher, wo ich seitdem der Erziehung der unglücklichen Söhne lebte, wie Eure Heiligkeit weiß.«
Hier schwieg sie. Der Papst sprach ihr Mut zu und entließ sie. Sodann schickte er nach den zwei Königen und den Söhnen und sprach zu dem König von Frankreich also: »Kennt Ihr diese Knaben, durchlauchtiger König?«
Dieser erwiderte: »Fürwahr, nein.«
Er fragte ebenso den andern und erhielt die gleiche Antwort. Da wandte sich denn der Papst zu dem König von England und zu dem andern, tat ihnen den Stand der Sache kund und stellte sie beiden, dem einen als Söhne, dem andern als Neffen vor. Sie nahmen sie mit der größten möglichen Freude und Heiterkeit auf, und als sie nach der Mutter fragten, ließ der Papst sie kommen. Als sie eintrat, umarmte sie aufs herzlichste ihren Bruder, ohne ihren Mann zu beachten. Auf die Frage, warum sie das tue, antwortete sie: »Dazu habe ich wohl Grund nach der Grausamkeit, mit der du gegen mich verfahren bist.« Der König erzählte ihr weinend, wie die Sache gegangen sei, wer die Schuld trage, und welche Rache er dafür genommen. Nun ließ sich die Frau die Entschuldigung gefallen, und sie waren höchst erfreut und verweilten in dieser Freude in Rom mehrere Tage auf das heiterste. Als sie nun aber der Papst von dem Befehle eines Kreuzzuges entbunden, ordneten sie ihre Abreise an. Die Frau sagte zu ihrem Mann: »Ich gebe dir diese Jünglinge als deine Söhne und befehle sie dir. Geh hin mit Gott! Ich will hier bleiben zum Heil meiner Seele und mich von der Welt zurückziehen.«
Ihr Gemahl antwortete, er werde nimmermehr von Rom abreisen ohne sie, und so entstand zwischen ihnen ein heftiger Streit. Aber der Papst und der König von Frankreich, ihr Bruder, baten sie so lange, bis sie mit ihrem Gatten die Rückreise antrat, und so war dieser der glücklichste Herr von der Welt. Sie nahmen Abschied vom Papste, reisten hinweg und begaben sich mit dem König von Frankreich nach Frankreich, wo große Festlichkeiten angestellt wurden, und von dort gingen sie weiter nach England.
In der Romagna lebte vorzeiten ein sehr reicher Edelmann, der einen durch Kenntnisse und jeden andern Vorzug geschmückten Sohn besaß. Als dessen Mutter gestorben war, hatte der Vater sich eine andere Frau beigetan und mit ihr einen zweiten Sohn gezeugt, der bereits zwölf Jahre alt war, als der ältere Sohn zweiundzwanzig zählte. Die Stiefmutter nun, mehr mit Reizen als mit guten Sitten geschmückt, ließ sich von der Schönheit des Stiefsohnes so sehr blenden, daß sie sich heftig in ihn verliebte. Dieses Weib hüllte zwar diese Liebe in tiefes Schweigen, solange im Beginne noch ihre Kräfte der Sache gewachsen waren; als aber die fluchwürdige Glut ihr Mark und Leben durchdrang, sah sie sich genötigt, der Liebe nachzugeben; sie stellte sich körperlich leidend, um die Wunde des Herzens zu verdecken, und tat, als wäre sie von einem schleichenden Fieber befallen. Am Ende nun ließ sie, getrieben von ihren feurigen Wünschen, durch eine Dienerin ihren Stiefsohn rufen. Dieser, der an alles andere dachte als an so etwas, trat in ihr Gemach und befragte sie mit freundlicher Miene um die Ursache ihrer Krankheit. Diese Worte kamen der Frau eben recht; sie ward etwas kühner, bedeckte ihr Gesicht aus Scham mit einem Bettuche und hub an, indem sie ihre Worte mit einer reichen Masse von Tränen begleitete, also zu sprechen: »Die Ursache und der Anfang meines jetzigen Übels und meines so heftigen Schmerzes, aber auch meine Arzenei und Heilung – das bist du selber. Diese deine glänzenden Augen sind durch meine Augen bis in die Kammern meines Herzens gedrungen und haben in meinem armen Busen ein solches Feuer entzündet, daß ich es nicht mehr aushalten kann. Habe daher Erbarmen mit einem Weibe, das um deinetwillen umkommt! Laß dich nicht zurückschrecken von dem Verwandtschaftsbande mit deinem Vater: denn du kannst ja derjenige werden, der ihm seine arme Gattin erhält, die ohne deinen Beistand ihr Leben nicht mehr fristen kann, die in dir sein Bild wiedererkennt und in deinen Zügen und mit Recht ihren Gatten liebt. Da wir beide hier allein sind, haben wir alle Sicherheit und Bequemlichkeit, die du verlangst. Was geschieht, ohne daß es jemand erfährt, ist fast ebenso gut, als wenn es nicht geschähe.«
Dem wohlgesitteten Jüngling schwindelte es ganz vor Entsetzen, als er dieses empörende Ansinnen vernahm; aber obgleich er diese greuliche Sünde so höchlich verabscheute, daß er gerne ihr aus den Augen gegangen wäre, ohne ihr weiter zu antworten, so schien es ihm doch nach besserer Überlegung nicht geraten, sie mit einer so plötzlichen abschlägigen Antwort aufzubringen; vielmehr dachte er, es wäre passender, sie durch einen Aufschub hinzuhalten, um zu versuchen, ihr einen so unreinen und seltsamen Gedanken aus dem Sinne zu schlagen. Darum antwortete er ihr, sie solle nur sorgen, gesund zu werden, und gutes Muts sein; er verspreche ihr, ihre Liebe aufs beste zu belohnen. Mit diesen Worten beschwichtigte er sie für den Augenblick. Da nun der Jüngling bei sich erwog, daß bei einer so außerordentlichen Not auch eine ungemeine Abhilfe nötig sei, so erachtete er es für angemessen, die ganze Sache einem verständigen Greise anzuvertrauen, bei dem er seine Kindheit nützlich zugebracht hatte, und der noch jetzt ihn durch die Fährnisse der Jugend leitete. Der Meister wußte wohl, was ein rasendes Weib vermag, und glaubte daher, man müsse mit schnellen Schritten dem drohenden Sturme des grausamen Schicksals entfliehen. Doch ehe noch die kluge Überlegung ins Werk gesetzt werden konnte, wußte das ungeduldige junge Weib, der ein einziger Tag in Erwartung auf die Erfüllung ihres schändlichen Verlangens so lang währte wie ein Jahr, es dahin zu bringen, daß sie ihrem Mann die Ansicht einredete, es wäre gut, wenn er auf eine ihrer Besitzungen ginge, da sie gehört habe, es gehe dort nicht so zu, wie es sollte; auf diese Art trieb sie ihn auf mehrere Tage aus dem Hause.
Als der Gatte fort war, belästigte sie stündlich den Jüngling mit der Mahnung, er solle sein Versprechen erfüllen. Dieser aber ergriff bald diese, bald jene Entschuldigung und legte es darauf an, ihre Lust so lange mit Worten zu befriedigen, bis er sich durch eine von ihm beabsichtigte lange Reise aus ihrem Bereiche entfernen könnte. Die Frau, welche die starke Hoffnung mehr als gewöhnlich ungeduldig gemacht, und welche an den bedeutungslosen Entschuldigungen gemerkt hatte, daß er, je mehr er versprach, um so mehr sich von der Erfüllung von irgend etwas entfernte, wurde unwillig und verwandelte plötzlich die verbrecherische Liebe in einen noch weit ruchlosern Haß. Sie beriet sich mit einem ihrer Diener, dem sie großes Vertrauen schenkte, welchen Weg sie einschlagen müsse, um sich an ihm zu rächen, der ihr seine Zusage nicht halten wollte; und sie beschlossen endlich, dem armen Jüngling mit Gift das Leben zu nehmen. Der bübische Diener zögerte nicht, diesen grausamen Vorsatz zur Ausführung zu bringen, sondern ging alsbald aus dem Hause und kehrte erst abends spät zurück mit einem Getränk in einem Becher; er vermischte es in dem Schlafzimmer der Frau mit Wein und stellte es in einen Schrank, wo sich die Eßwaren befanden, mit der Absicht, es am folgenden Morgen beim Frühstück dem unglücklichen jungen Manne vorzusetzen.
Das Schicksal aber wollte es anders, und der Sohn jenes bösen Weibes, der, wie gesagt, zwölf Jahre alt war, kam am Morgen aus der Schule zurück, verzehrte einen kleinen Imbiß und fühlte darauf Durst. Da ihm nun jenes Glas mit dem giftigen Gebräu in die Hände fiel, das aus Fahrlässigkeit in dem Schrank unverschlossen stehengeblieben war, trank er es ganz aus und sank bald darauf wie tot zu Boden. Als das Gesinde diesen Fall bemerkte, machte man Lärm; die Mutter lief hinzu, und man kam gleich auf den Gedanken, der Knabe sei vergiftet. Die Mutter ging mit dem Diener, der das Getränk gekauft hatte, beiseite; sie sprachen heimlich miteinander und beratschlagten, die Schuld des Verbrechens auf den altern Sohn zu schieben. Infolgedessen erklärte der Diener öffentlich, er wisse gewiß, daß der ältere Sohn es sei, der die Untat begangen habe: denn er habe ihm vor wenigen Tagen erst fünfzig Taler versprochen, wenn er ihn umbringen wolle; da er jedoch hierzu sich nicht herbeigelassen habe, so habe jener ihm mit dem Tode gedroht, wofern er irgend jemand etwas davon sage. Die Frau ließ alsbald Häscher kommen und kraft der von dem Knechte gemachten Anzeige ihren Stiefsohn ins Gefängnis führen. Darauf schickte sie einen Boten an ihren Gatten, um ihn von dem Vorfall in Kenntnis zu setzen.
Ihr Gemahl kam sogleich herbei, und sie ließ ihm von dem Diener das Zeugnis vorsagen, das er schon früher abgelegt hatte. Sodann fügte sie selbst hinzu, sein Sohn habe dies getan, weil sie seinem wollüstigen Begehren nicht habe Folge geben wollen, und er habe sie überdies auch mit dem Tode bedroht. Der unglückliche Vater beklagte sich heftig, als er sah, wie man den jüngsten Sohn zu Grabe trug, während der andere als Brudermörder der Todesstrafe verfallen sei; und getäuscht von dem heuchlerischen Jammergeschrei seiner Frau, entbrannte sein Zorn immer mehr gegen seinen Sohn. Kaum war die Leichenfeier zu Ende, als der beklagenswerte Vater vom Grabe hinwegeilte und so, wie er war, mit verweintem Gesicht nach dem Rathause ging, woselbst er mit Tränen und inständigen Bitten auf den Tod seines nunmehr einzigen Sohnes drang, den er einen Blutschänder nannte, weil er das Bett seines Vaters habe beflecken wollen, Brudermörder, weil er seinen Bruder umgebracht, und Totschläger, weil er seiner Stiefmutter das Leben zu nehmen angedroht. Er hatte mit diesen Klagen die Gemüter des Volkes so sehr zur Entrüstung aufgeregt, daß alle riefen, man müßte ihn, ohne viel Zeit mit Anklage und Verteidigung zu verlieren, für diese Sünde öffentlich durch Steinigung bestrafen. Die Richter sagten jedoch, sie wollten nach altem Brauche den Spruch erst nach sorgfältigem Verhöre fällen, und wollten nicht zugeben, daß ein so grausames Beispiel aufgestellt und ein Mensch aus Erbitterung statt auf gerechte Beweise hin getötet werde.
Es wurde daher förmlich und gesetzmäßig der Angeklagte vor Gericht beschieden und der Anklageprozeß begonnen. Der Vater sagte, sein älterer Sohn habe den Jüngern vergiftet und es liege dafür ein sicherer Beweis vor, da er wenige Tage zuvor versucht habe, ihn durch einen Diener umbringen zu lassen, dem er fünfzig Taler versprochen habe. Als der Jüngling befragt wurde, leugnete er alles. Nachdem Anklage und Verteidigung stattgefunden hatte, wollten die Richter doch die Sache nicht auf Vermutungen und Verdachtsgründe hin abmachen, sondern verlangten sichere Beweise und bestimmte Wahrheit. Darum beschlossen sie, der Knecht solle ihnen vorgeführt werden, und so wurde denn dieser Galgenvogel herbeigebracht; er trat mit dreister Stirn vor die Richter und machte dieselbe Aussage, die er schon dem Vater gemacht, ja er fügte hinzu, er wolle die Wahrheit seiner Worte mit dem Jüngling auf der Folter bekräftigen. Da war nun kein Richter dem Jüngling so günstig gesinnt, der nicht geurteilt hätte, man müsse erst den Jüngling auf die Folter spannen und alsdann, wenn dieser beim Leugnen beharre, auch den Knecht. Da erhob sich ein in jener Stadt sehr angesehener rechtschaffener Arzt und sprach also: »Ich schmeichle mir, sagen zu können, daß ich bis daher unter euch für einen redlichen Mann gegolten habe, und kann nicht zugeben, daß dieser unschuldige Jüngling ungerechterweise von euch gefoltert oder getötet werde. Aber was hilft das, wenn ich allein mich der Behauptung eines andern widersetze? Und doch bin ich der, für den ihr mich haltet, und der andere ist ein niederträchtiger Schurke, der nicht einen, sondern tausend Galgen verdient. Ich weiß, daß mein Gewissen mich nicht betrügt, und darum hört den wahren Tatbestand der Sache! Dieser Schurke kam zu mir und wollte ein plötzliches Gift von mir kaufen, wofür er mir einen Preis von fünfzig Golddukaten anbot, indem er vorgab, desselben für einen Kranken bedürftig zu sein, der Tag und Nacht von einer unheilbaren Wassersucht und tausend andern Schmerzen gepeinigt werde und sehnlich wünsche, durch die Arznei des Todes über so große Mühsal hinwegzukommen. Da ich sah, wie verlegen der Spitzbube um Worte war, mit denen er seine listigen Vorwände beschönigen sollte, schöpfte ich Verdacht, er möchte irgendeinen bösen Anschlag im Kopfe haben, und war im Begriff, ihm die Türe zu weisen. Gleich darauf aber fiel mir ein, wenn ich es ihm abschlage, so werde er zu einem andern gehen, der vielleicht minder vorsichtig sei als ich und ihm in seinem Begehren willfahre; ich hielt es daher für geraten, ihm einen Trank zu reichen, und gab ihm auch einen, aber von einer Beschaffenheit, die ihr später hören werdet. Da ich überzeugt war, daß man der Sache mit der Zeit nachspüren werde, wollte ich den Preis, den er mir anbot, nicht sogleich nehmen, sondern sagte zu ihm: ›Ich fürchte, einige von diesen Dukaten möchten falsch oder zu leicht sein; tue sie daher wieder in dieses Säckchen und siegele es mit deinem Ring! Ein andermal bei gelegenerer Zeit wollen wir alsdann zusammen nach der Bank gehen und sie untersuchen lassen.‹ Er ließ sich überlisten, und ich brachte ihn dahin, daß er den Sack mit seinem Siegel schloß. Ich habe ihn soeben durch meinen Diener holen lassen und will es euch zeigen. Er mag es sehen und soll sein Siegel anerkennen und darauf erklären, auf welche Art er diesen braven Jüngling beschuldigen will, seinem Bruder Gift gegeben zu haben, wenn er doch selbst es gekauft hat.«
Während dieser wackere Mann so sprach, war der elende Diener blaß geworden wie eine Leiche; er zitterte, und einzelne Tropfen eiskalten Schweißes traten ihm auf die Stirne; er trat bald vorwärts, bald zurück, drehte den Kopf bald so, bald anders und fing an, mit kleinlautem Munde einiges unpassende Zeug hervorzustammeln, so daß ihn vernünftigerweise niemand hätte für unschuldig erklären können. Nichtsdestoweniger bekämpfte der vermessene Schurke seine Furcht mit seiner Frechheit, verscheuchte sie und ward so mutig, daß ihm seine alte Verschlagenheit wiederkam und er mit seiner vorigen Geistesgegenwart den Arzt der Lüge zieh und alle seine Aussagen leugnete. Der unbescholtene Greis aber besann sich, um nicht in seinen letzten Jahren seinen unbefleckten Ruf zu besudeln, auf Mittel, die Wahrheit in der Sache ans Licht zu bringen. Er forderte daher einen der Diener der Gerechtigkeit auf, dem Knechte seinen Ring vom Finger zu ziehen, und als man ihn mit dem Siegel des Säckchens verglich, ergab sich die Übereinstimmung beider. Die Richter erklärten es demnach für einen hinreichenden Beweis, um ihn auf die Folter zu bringen. Man gab ihm mehrere Streiche mit dem Stricke, aber noch immer beharrte er auf seinem Leugnen. Darauf sagte der Arzt zu den Richtern: »So wisset denn, daß, als mich dieser Verruchte, wie ich bereits erzählt habe, bewegen wollte, ihm Gift auszuhändigen, ich aber es für einen rechtschaffenen Arzt unziemlich hielt, den Tod eines Menschen zu veranlassen, dieweil ich überzeugt bin, daß die Heilkunde den Menschen vom Himmel geoffenbart worden ist zum Wohl und nicht zum Schaden des Menschengeschlechts, und als ich fürchtete, wie ich euch gleichfalls gesagt habe, er möchte zu einem andern gehen, der aus Geldgier ihm das gegeben hätte, was er verlangte, – daß ich ihm kein Gift gegeben habe, sondern einen Alrauntrank, der so tief in Schlaf senkt, daß, solange seine Kraft dauert, der, der ihn zu sich genommen hat, wie tot aussieht. Wenn nun jener Knabe den von mir gemischten Trank genommen hat, so lebt er, ruht und schlummert. Sobald die Kraft der Natur den dichten Nebel dieses Schlummers verjagt haben wird, wird auch unsere Sonne so schön wie zuvor ihm leuchten. Ist er aber wirklich tot, so sucht die Ursache anderswo!« Nachdem der Arzt diese Worte gesprochen hatte, schien es allen das Wichtigste, ohne Verzug nach dem Begräbnisorte des Knaben zu gehen, um sich über den Fall Aufklärung zu verschaffen. Man brachte daher den Diener sowie den andern, ältern Sohn in das Gefängnis, und alle gingen nach der Gruft. Dort angelangt, ließ es sich der Vater nicht nehmen, mit eigenen Händen den Stein über dem Grabe wegzuwälzen. Und die Hilfe durfte auch nicht länger ausbleiben, denn die Natur hatte schon von selbst die düstere Schlaftrunkenheit verjagt, und der Jüngling war zurückgekehrt aus dem Reiche Plutos. Der Vater umarmte ihn mit der Zärtlichkeit, die ihr euch vorstellen könnt, und da es ihm in der Freude dieses Augenblicks an kräftigen Worten gebrach, hob er ihn schweigend aus der Gruft und stellte ihn so in Trauerkleider gehüllt dem Oberrichter vor.
Als der Diener den Knaben am Leben sah, dachte er, weil kein Tod erfolgt sei, werde er Verzeihung erlangen, und zugleich, um der weiteren Folterung zu entgehen, bekannte er alles. Man ergriff deshalb die Frau, führte sie vors Gericht, und nach kurzer Folterung bekannte auch sie alles. Das Urteil fiel dahin aus, daß der Diener, weil er das Verbrechen verübt, wenn auch der Tod nicht dadurch erfolgt sei, gehängt werde. Der Frau wurde auf die Bitten ihres Gatten und ihres Sohnes zwar das Leben geschenkt, doch wurde sie auf immer aus der Stadt verbannt. Dem Arzte wurde auf allgemeine Zustimmung das Geld, das er von dem Knechte als Zahlung für den Schlaftrunk erhalten hatte, gelassen. Der Vater aber, der in Gefahr gewesen war, seine beiden Söhne zu verlieren, vertauschte sie auf diese Weise gegen ein grundböses Weib und gewann sie wieder lebendig und schuldlos.
In der Stadt Ricanati lebte ein Edelmann namens Democrate, der sehr reich und mit seinem Besitz sehr freigebig war; und als der erste in seiner Stadt veranstaltete er alljährlich Lustbarkeiten und Schauspiele, an welchen er sich sehr ergötzte. So beschloß er denn auch einst einen Spaß zu veranstalten, nämlich eine große Jagd von wilden Tieren in der Stadt, und zwar zu Ehren einiger fremder Herren, die auf Besuch zu ihm kommen sollten. Er hatte daher aus verschiedenen Gegenden mit sehr bedeutenden Kosten eine große Menge wilder Tiere zusammengebracht, worunter viele Bären waren; nun blieben aber die Herren, um derentwillen hauptsächlich die Jagd angestellt werden sollte, länger aus, als man erwartet hatte; die Tiere konnten das eingeschlossene Leben nicht vertragen, und viele starben; und da sie auf die Straßen geworfen wurden, kamen die armen Leute daher und zogen ihnen die Haut ab, um sie zu essen.
So war denn auch eine sehr große und erschrecklich anzuschauende Bärin gestorben, und eine Räuberbande, die vor kurzem in die Stadt gekommen war, gründete auf diese Bärin einen Plan, den Democrate listig zu berauben, und zwar auf folgende Weise: Sie nahmen die tote Bärin, trugen sie in ihre Wohnung und zogen ihr geschickt die Haut ab, ließen aber Kopf und Füße ganz. Nachdem sie das Fell gänzlich vom Fleische gereinigt hatten, bestreuten sie es mit Asche und legten es in die Sonne, um es zu trocknen; inzwischen ließen sie es sich wohl sein, indem sie das Fleisch verspeisten. Als das Fell trocken war, steckten sie nach der bereits unter ihnen getroffenen Verabredung einen der Ihrigen mit Namen Trasileo hinein, nähten es sorgfältig zusammen und bedeckten die Naht mit den dicken Borsten, so daß man sie nicht sehen konnte; an die Stelle, wo der Bärin die Kehle durchschnitten wurde, kam Trasileos Kopf zu stehen und fand Raum genug, um zu atmen und zu sehen. So mußte man meinen, es sei eine wirkliche Bärin. Nachher kauften sie einen Käfig und sperrten ihn hinein. Als die Sache so weit war, erhielten sie, um ihren Betrug vollzumachen, eine Anzeige von einem gewissen Nicanore aus Albano, der in enger Freundschaft mit jenem Democrate stehen sollte und in seinem Lande ein großer Jäger war. Die Räuber verfertigten nun Briefe, die angeblich von jenem Freunde herrührten, des Inhaltes, er möge an dem Feste, das er zu veranstalten im Begriffe war, ihn Anteil nehmen lassen. Als nun die Nacht nicht mehr weit entfernt war, brachten die Buschklepper den Käfig mit der falschen Bärin und dem Briefe dem Democrate, der die Größe des Tieres lobte, sich über die zu so guter Stunde kommende Freigebigkeit seines Freundes freute und befahl, den Bärenführern zehn Dukaten auszubezahlen und den Käfig mit der Bärin zu den andern Bären hinauszuschaffen. »Hüte dich, Herr«, sagte einer der Räuber,»da das Tier von der heftigen Sonnenhitze und dem langen Wege sehr müde ist, es mitten unter die vielen andern zu bringen, die auch, wie ich gehört habe, nicht sehr gesund sind! Laß sie im Hause an einen offenen Ort schaffen, wo die frische Luft zukann; denn derlei Tiere sind an den Aufenthalt in dichten Wäldern und frischen Höhlen gewöhnt.«
Democrate überlegte nun, daß ihm viele gestorben waren, und schenkte deshalb den Worten des Mannes Beifall. Darum sagte er, sie sollten das Tier selbst unterbringen, wo es ihnen am zweckmäßigsten scheine. Sie stellten daher den Käfig an einen Winkel des Hauses, von wo Trasileo sehen konnte, wohin man die Silbergefäße brachte, die von dem Tische des Herrn abgeräumt wurden, deren er viele sehr kostbare besaß. Dann sagten sie: »Wir sind bereit, sofern es nötig ist, in der Nähe zu bleiben; wir kennen seine Natur und können jetzt, da er müde und erschöpft ist, ihm Speise reichen, sobald es dazu Zeit scheint.«
Democrate antwortete: »Wir brauchen euch nicht zu bemühen, denn meine Dienerschaft ist in Behandlung solcher Tiere wohlgeübt und weiß jetzt schon, was sie zu tun hat.«
Nach diesen Worten nahmen die Räuber Abschied und gingen ein wenig vor die Stadt hinaus, wo sie an einer abgelegenen Stelle etwas abseits der Straße neben einem Kirchlein ein Grabmal sahen. Sie hoben den Deckel auf, der von der Länge der Zeit ganz abgenutzt war, fanden die Gebeine der Toten ganz in Staub gesunken und dachten, das wäre ein passender Platz, um das zu verstecken, was sie aus dem Hause des Democrate hervortrügen. Sie erwarteten nun die dunkelste Zeit der Nacht, das heißt die Stunde, in der der Schlaf mit seiner ersten Heftigkeit sich der Sterblichen bemeistert, und stellten sich, mit ihren Werkzeugen bewaffnet, vor Democrates Hause auf. Trasileo war inzwischen nicht weniger tätig gewesen; denn er hatte, sobald er merkte, daß alles schlief, den Käfig verlassen, den Pförtner mit einem Messer erstochen, dann die Türe geöffnet und seine Genossen eingelassen. Sobald die Spitzbuben im Hause des Democrate waren, zeigte ihnen Trasileo eine Vorratskammer, worin er das Silber hatte niederlegen sehen. Sie öffneten mit ihren Eisenwerkzeugen die Türe, beluden sich mit dem, was sie tragen konnten, und brachten es in das obengenannte Grabmal und ließen einen von ihnen, während sie zurückkehrten, um das übrige wegzutragen, zurück, um in der Nähe der Tür zu beobachten, ob im Hause eine Bewegung entstehe; denn sie dachten bei sich, der Anblick jener Bärin würde hinreichen, um die Dienerschaft zu schrecken, wenn einer davon etwa aufwachen sollte. Es stand allerdings auf das Geräusch hin ein Diener des Hauses auf und ging an die Türe, um zu sehen, ob der Pförtner dort sei. Er sah ihn tot und das wilde Tier im Hause umhergehen. Darum schlich er leise hinweg und erzählte den andern, was er gesehen. Da dauerte es denn nicht lange, so war das Haus voll von Männern mit brennenden Fackeln, so daß alle Finsternis floh, und alle ohne Ausnahme brachten Waffen mit: die einen kamen mit Panzern, andere mit Lanzen und Spießen und viele mit bloßem Schwerte; ja, was noch mehr ist, sie ließen große Jagdhunde kommen und umzingelten allesamt die arme Bärin, so daß sie sie grausam umbrachten, ohne daß der Mensch darin einen Laut von sich gab. Dennoch hatte er allen, die es sahen, einen solchen Schrecken eingejagt, daß auch den Toten keiner zu berühren wagte. Am Ende, als ein Fleischer das Tier schinden wollte, entkleidete er den armen, unglücklichen Räuber.