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Das Lebkuchenschränkle.

Ein Vorweihnachtsgeschichtlein.

 

Mutter Dörfling hatte acht Buben. Eine hübsche Zahl um sie stramm und gut zu erziehen. Aber sie brachte es doch fertig, denn sie war eine tüchtige und fromme Frau, welche Gott für den großen Segen dankte, den er ihr beschert. Von den Buben war jeder anders geartet. Der eine bedächtig, der andere fleißig, der dritte ein Schelm, der vierte ein Träumer, der fünfte heftig usw. »Es ergänzt einer den andern,« sagte die gute Mutter Dörfling, »und schließlich werden sie alle recht.« Der bravste von allen aber war doch der Julerle, ihr Vorjüngster. Ein fleißiges Bürschlein mit treuherzigen Augen und sehr sparsam veranlagt. »Büble, Büble, an dir erleb ich noch meine besondere Freud,« sagte sie oft, wenn er still und brav unter der lärmenden Brüderschar saß, oder emsig seine Schulaufgaben lernte oder gar mit ihr in's Vorratskämmerle ging, in dem auch sein kleines Heiligtum stand, nämlich: das »Lebkuchenschränkle«.

So ein rares Schränkle besaß doch niemand auf der ganzen weiten Welt. So ein gut's, so ein lieb's, so ein goldig's Schränkle!

Sie selbst hatte es ihm geschenkt, er hatte es mit rotem Glanzpapier innen ausgeklebt und jedes Stückle Schokolad, jedes Plätzle, das der Bub erhielt, wurde beileibe nicht aufgegessen, es wanderte in das »Lebkuchenschränkle«. Und es wuchs und schwoll an, immer reicher, immer voller und es duftete, wenn man sein Türle aufschloß, daß einem das Wasser im Munde zusammenlief! Am schönsten war es vor Weihnachten. Da prangte darin ein Marzipanreiter auf hohem Roß, daneben lagen Zuckerherzen, Lebkuchen und Zimtsternlein. In der ersten Schublade glänzten silberne Tannenzapfen, goldene Nüsse und Quittenwürstle, in der zweiten Schokoladetafeln und Butterzeug, sorglich aufgeschichtet.

Das Lebkuchenschränkle war Julerles größte Freude, das Entzücken der Kameraden, die Sehnsucht aller die es kannten! Täglich stand der Bub davor, lachte hinein und freute sich darüber. Dann aber schloß er es sorgfältig ab, denn so recht traute er keinem. Besonders Bruder Wilhelm, dem Jüngsten, nicht, weil dieser so schleckig war. Trotz aller Sparsamkeit war aber der Julerle nicht geizig. Lag vielmehr eins von den Brüdern krank, oder hatten sie sich gezwickt und gestoßen, öffnete sich der Reichtum des Schränkles über ihm. Oder sah der Julerle ein Kind auf der Straße weinen, meinte er gutmütig: »Hör auf zu flennen, kriegst was aus mein'm Lebkuchenschränkle,« und augenblicklich versiegten die heftigsten Tränen. Das Lebkuchenschränkle des Julerle war bald stadtbekannt. Und trotz allem Geben und Schenken ward es immer reicher, voller und schöner.

Da hüpfte eines Tages des Buben Herz vor Freude. Er hatte das Taschenmesser des Zuckerbäckers Zimmermann am Weg gefunden, just als er zur Schule lief. Nachdem sich alle Kameraden die Augen ausgesucht. Solch ein Glückspilz!

»Darfst dir was Schönes aus meinem Laden dafür aussuchen, Julerle,« sagte der reiche Zuckerbäcker und führte den Strahlenden an seinen Verkaufstisch. Ei! was lachte da alles dem Buben entgegen. So viel Herrlichkeiten hatte er noch nie auf einmal gesehen. Riesenlebkuchen und Nürnberger Plätzle, Marzipan und Butterkringel, Haselnußleckerle und Schokoladetafeln in allen Größen. Er öffnete den Mund und schloß ihn wieder. Wie gut mußte das schmecken, oh, und wie würde das sein Lebkuchenschränkle schmücken! Sein lieb's, sein gut's, sein goldig's Schränkle! Seitlich am Tisch stand unter allerlei Schaumwerk ein großer Zuckerreiter, bunt bemalt, mit roter Husarenuniform, wehendem Mantel und langen Reiterstiefeln. Er ritt auf einem Rappen, oh, wie der dem Julerle gefiel! Sein Herz klopfte zum zerspringen!

Der Zuckerbäcker weidete sich an des Buben Schauen und Staunen. Dann nahm er den großen Zuckerreiter vom Tisch und reichte ihn dem Julerle.

»Das hast zur Belohnung, Bub,« sagte er, füllte noch nebenbei eine Riesentüte mit all den Herrlichkeiten, die auf dem Ladentisch standen, »und das g'hört dir noch obendrein! das Messer ist von meinem Vater selig, es wär mir unersetzlich gewesen! So, nun b'hüt dich Gott!« Der Julerle stand draußen, er wußte nicht wie, dann jauchzte er auf und lief heim.

»Das ist das Vergelt's Gott, weil du gestern dem armen Heinzelpeter deinen Marzipanreiter geschenkt hast, als er den Fuß gebrochen,« sagte die Mutter. Sie fuhr ihm liebkosend über den dunkellockigen Kopf, »alle Guttat lohnt sich, mein Bub.«

Und dann schmückte der Julerle sein Lebkuchenschränkle! Nein, so herrlich war's noch nie gewesen. Mitten drin prangte der große Zuckerreiter auf springendem Roß. Das Schränkle konnte trotz seiner Schubladen kaum alle süßen Herrlichkeiten bergen. Das fand auch der Vetter Konrad, der just von der Bahn zu Besuch gekommen war, und gleich begehrlich hineinschaute. »Schielkoni« nannten sie ihn im ganzen Städtchen, weil er so häßlich war und sein linkes Auge immer listig um die Ecke sah. Die Dörflingsbuben freuten sich nicht über seinen Besuch und die Dörflingsmutter seufzte heimlich. Mit dem Erscheinen des Koni war immer ein Ärgernis im Anzug, denn er war ein Merkwürdiger, heimtückisch und verschlagen. Er paßte so gar nicht zu ihren offenen geraden Buben.

»Mutterle,« flüsterte der Julerle ihr ins Ohr, »allen Menschen bin ich gut, warum muß ich mich zur Lieb zum Koni immer zwingen?«

»Büble, Büble,« wehrte sie betroffen, »mußt doppelt lieb zu ihm sein, weil er so unschön ist, gewiß hat er ein gut's Herz, es muß nur ausgebildet werden.«

»Ich will's versuchen,« sagte der Bub und seufzte. Dann traf er den Koni mit Bruder Wilhelm im Hof. Warum tuschelten die zwei so heimlich zusammen? Heckte der Schielkoni wieder einen bösen Plan aus?

»Verhüt's lieber Gott, verhüt's« betete der treuherzige Julerle.

Am anderen Morgen war Klassenschluß. Und mit guten Zeugnissen stürmten die Dörflingsbuben heim, denn da gab's vom Vater eine Belohnung und von der Mutter eine Handvoll Plätzle. War doch Weihnachten vor der Tür. Hei, sauste der Julerle mit den Plätzle an sein Lebkuchenschränkle. »Geht's denn noch hinein?« lachte er, dann klang ein Schrei im Kämmerle, wie die Mutter noch keinen gehört.

Entsetzt stürzte sie herbei. Auch der Vater, der eben von seiner beschwerlichen Landpraxis heimkam, lief herzu. Vor dem offenen Lebkuchenschränkle lag der Julerle schluchzend auf seinen Knien.

Das ganze Schränkle war leer. Ausgegessen.

Ein großer Zorn ergriff den Vater. Im nächsten Augenblick stand er im Bubenzimmer. In der Ecke drückten sich zwei herum. Mit der Rechten griff er den Koni, mit der Linken seinen Buben Willi am Schopf, und zog sie hinüber zum Lebkuchenschränkle.

»Ich will's nie mehr tun,« heulte der Wilhelm.

»Schafskopf!« knuffte ihn der Koni.

Und dann sauste der Stock auf beide nieder. Unbarmherzig; denn Vater Dörfling war ein starker Mann. Mitten im Weinen hielt der Julerle ein.

»Hör auf, Vaterle, hör auf,« flehte er, »ich will's verschmerzen!« und fiel ihm in die Arme. Der Wilhelm rutschte jammernd am Boden herum. Bocksteif stand der Koni daneben.

»In zehn Minuten geht dein Zug,« sagte Vater Dörfling zum Neffen, »pack deine Sachen, du sollst mir meine Buben nicht verderben.« Der Koni saß im Zug, er wußte nicht wie. Der Rücken brannte ihm von den Prügeln und grundübel war ihm obendrein.

Wie ein Lauffeuer flog die Geschichte vom »Schielkoni und dem Lebkuchenschränkle« durchs Städtchen und kaum war eine Stunde vergangen, läutete es bei Doktors an der Tür. Wer stand draußen? Die Frau Bürgermeisterin mit den schönsten, selbstgebackenen Lebkuchen für dem Julerle sein leeres Lebkuchenschränkle, und die Frau Amtsrätin mit Zimtsternlein und Zuckerbretzeln, und die Frau Schreinermeister Roth mit Honigplätzle und Kringeln, und die Frau Professor Zorn mit Schokoladetafeln, und der gute Zuckerbäcker Zimmermann mit einer Riesentüte »Allerlei-Plätzle« und dem allerschönsten, allergrößten gemalten Zuckerreiter! Julerles Schränkle füllte sich im Handumdrehen, es schwoll an, es konnte die Fülle gar nicht bergen, die es überflutet. Die liebe Mutter hatte getreulich dazu beigesteuert.

Strahlend stand der Bub davor und teilte glückselig den lachenden Geschwistern von seinem Reichtum aus.

Auch der schluchzende Wilhelm bekam noch seinen Teil. Obgleich er nichts mehr davon essen konnte. So elend war ihm.


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