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Bär, Fuchs und Wolf und ihre Abenteuer auf der Imola-Feldmark

Aus Finnland

11. Abenteuer

Einige Zeit war nach diesen Ereignissen verstrichen, die drei Gefährten lebten als gute Nachbarn nebeneinander – da geschah es, daß des Wolfes Hausfrau drei Junge bekam und bald darauf im Wochenbett starb. Der Wolf war untröstlich als Witwer, denn er konnte seine Jungen nicht selber warten und pflegen und mußte für sie eine Kindsfrau suchen. In traurige Gedanken versunken durchstrich er Wald und Flur und begegnete endlich einem Schneehuhn, welches er anredete: »Meine Liebe, willst du nicht meine armen Kinder warten?« – »Warum denn nicht?« versetzte treuherzig das Huhn. – »Ach, das ist ja schön, daß du kommen willst«, sagte der Wolf, »aber verstehst du auch die Jungen in den Schlaf zu singen?« – »Wie sollte ich nicht?« antwortete das Schneehuhn, und fing laut an zu singen: »Kopei, kopei, kopei!« – Doch der Wolf verzog nur das Gesicht, denn der Gesang gefiel ihm nicht, und er bemerkte: »Deine Stimme ist unschön, dabei schlafen meine Jungen nicht ein!« Damit ging er weiter. Im Walde kam ihm ein Hase entgegen und fragte ihn neugierig: »Nun, Peter, wohin wanderst du denn mit so geschäftiger Miene?« – »Ich suche eine Kindermuhme«, antwortete der Wolf. – »Wähle mich dazu!« sagte der Hase. »Kannst du denn Schlummerlieder singen?« fragte der Wolf. –»Das kann ich vortrefflich«, versicherte Hans; »und außerdem wird es mir wohltun an der Wiege zu sitzen, da ich lahm bin.« – »Seit wann bist du denn lahm?« fragte der Wolf. – »Seit mir Joukahainen geflucht, als ich auf den Kaituri-Berghalden sein Haferfeld zerstörte«, erzählte Hans; »wenn der Unmensch noch lebte, ich würde ihm die Schenkel zerbrechen!« – »Wohlan, da du dich zur Kindsfrau anbietest, magst du auch zur Probe etwas singen«, meinte der Wolf Der Hase nahm sich zusammen und sang sein schönstes Lied, aber der Wolf bewunderte ihn nicht im mindesten, sondern versetzte nur kaltblütig: »Pfui, das ist ein häßliches Geplärr!« und ging weiter in der Hoffnung, eine taugliche Kindsfrau doch irgendwo noch aufzutreiben. – Bald darauf traf er seinen Freund, den Fuchs, im Walde, eilte auf ihn zu und sagte bittend: »Grüß Gott, Gevatter, willst du nicht als Kindsfrau zu mir ziehen? Mein liebes Weib ist in den Wochen gestorben, und ich habe niemand, der sich meiner Kleinen annehme. Du verstehst ja doch zu singen?« »Da sei ohne Sorgen!« versicherte der Fuchs und sang: »Des Wolfes niedliche Knaben und zierlich kleine Mägdelein, die füttre ich, die tränke ich, die singe ich in den Schlaf Kekkuli-Matti, Kekkuli-Matti!«

Der Wolf war ganz entzückt über dieses Lied und brachte den Fuchs zu seinen Kleinen, empfahl sie herzlich der Fürsorge der neuen Kindermuhme und ging dann hinaus, um für seine Jungen Nahrung zu suchen. Auf einer Wiese überfiel er ein Pferd, welches er zu Boden warf; er riß ihm ein Hinterbein aus und trug dieses freudig in seinen Bau, wo er dem Fuchs nochmals seine Kinder anempfahl und dann auf seine gewohnten Streifzüge ausging.

Inzwischen ließ sich der Fuchs das Pferdebein gut schmecken, und da er davon nicht satt wurde, verzehrte er mit größter Gemütsruhe auch noch eines der ihm anvertrauten Wolfsjungen. Erst am folgenden Tage kam der Wolf nach Hause und fragte am Eingange des Baues: »Haben meine Kinder Speise und Trank erhalten?« – »Gewiß, sei unbesorgt!« entgegnete der Fuchs; »ich habe sie gefüttert und getränkt und schläfere sie eben ein: Kekkuli-Matti, Kekkuli-Matti!« – Der Wolf freute sich bei dem Gedanken, daß seine Kleinen so gut aufgehoben seien, und lief wieder einen Tag lang herum, wer kann sagen, wo er sich herumgetrieben haben mochte. Unterdessen hatte der Fuchs das zweite Wolfsjunge aufgefressen, aber als der heimkehrende Wolf sich nach seinen Kindern erkundigte, antwortete der Schalk auch diesmal freundlich: »Ich habe sie gefüttert und getränkt und schläfere sie eben ein; Kekkuli-Matti, KekkuliMatti!« – Dem Wolf fiel es nicht ein, sich persönlich von dem Wohlbefinden seiner Jungen zu überzeugen, er glaubte sie ja in der besten Obhut; aber als er am dritten Tage heimkam, trieb ihn doch die Sehnsucht, seine Kinder endlich einmal zu begrüßen. Der Fuchs hatte soeben das letzte Junge seines Brotherrn aufgezehrt und wagte nicht den Wolf in seinen Bau zu lassen, solange er noch selber darin war. Darum riet er: »Deine Jungen sind so gediehen und gewachsen, Gevatter, daß wir schwerlich beide zugleich im Baue Platz finden werden; laß mich erst hinaus, wenn du herein willst!«

Der betrogene Wolf ließ den Fuchs richtig heraus und trat ein. Aber sein Herz zog sich vor Schmerz zusammen bei dem Anblick, der sich ihm hier darbot: seine Jungen waren alle verschwunden, nur hie und da ein Knöchelchen zeigte dem Vater das traurige Schicksal derselben an! Mit bitterem Rachegefühl stürmte der Wolf von dannen, urn den Mörder wegen seiner Freveltat zu züchtigen. Beinahe hätte er ihn schon eingefangen, aber der Fuchs schlüpfte schnell unter einen Stein; nur die eine Pfote schaute ein wenig heraus. Dieses bemerkte der Wolf sogleich und fing an daran zu beißen und zu nagen. jetzt stand es schlimm um Meister Michel – aber seine alte Verschlagenheit kam ihm auch diesmal zu Hilfe. »Ach, du Dummkopf!« höhnte er mit verrissenem Schmerze, »du nagst ja an Steinen und Baumwurzeln; schau her, hier ist doch meine Pfote!«

Der Wolf ließ sich durch diese List beirren, öffnete den Rachen – und der befreite Fuchs versteckte sich noch tiefer unter den Stein. Lange mochte der Wolf nicht mehr auf seinen Feind warten; er überließ ihn seinem Schicksale und kehrte traurigen Herzens in sein verödetes Heim zurück.

 


 


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