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Bär, Fuchs und Wolf und ihre Abenteuer auf der Imola-Feldmark

Aus Finnland

7. Abenteuer

Nachdem sich der Wolf ein wenig von seinem Schrecken erholt hatte, wanderte er in den Wald hinaus, um sich Nahrung zu schaffen; aber alles Suchen war vergebens! In seiner Not begab er sich in das Ilmola-Gehöft, in der Hoffnung dort ein Hühnchen, oder wenn's hoch kam, ein Schwein zu erwischen; aber – kein Huhn, kein Schwein war zu erspähen! Nur ein altersschwacher Hund lag neben dem Misthaufen und schlief. Der Wolf, der so hungrig war, daß er sich selbst über solch einen magern Bissen freute, wollte den Hund packen und fortschleppen. Dieser erwachte plötzlich und flehte ganz gottesjämmerlich: »Bruderherz, friß mich nicht! Wir sind doch beide gleich elende Gestalten, und du würdest an mir nur die reinen Knochen finden, so abgemagert bin ich! Laß uns einen Bund schließen. Wenn du mich losläßt, verspreche ich dir eine Flasche Branntwein!« – »Wie erhalte ich aber diese Flasche?« fragte der Wolf. –»Komm des Abends spät auf unsern Hof, dann laß ich dich in die Stube ein«, antwortete der Hund.

Der Wolf war es zufrieden und kam beim Einbruch der Nacht in das Gehöft zurück; zum Zeichen, daß er es sei, der Einlaß begehre, winselte er einige Male leise hinter der Tür. Der Hund verstand es sogleich, öffnete ganz behutsam und ließ ihn ein.

»Nun, hast du den Branntwein zur Hand?« flüsterte eilig der Wolf. – »Sei ohne Sorge, Brüderchen, gedulde dich einen Augenblick«, erwiderte der Hund; »siehst du, unter jener Bank verwahrt mein Herr seinen Branntwein; ich gehe hin und hole dir heimlich eine Fläschchen davon.« – Mit diesen Worten schlich sich der Hund unter die Bank und brachte dann seinem Gaste das Verlangte.

»Trinke, mein lieber Wirt, trinke du zuerst ein Schlückchen«, sagte der Wolf freundlich, als er die Flasche in Empfang nahm. Der Hund ließ sich nicht lange bitten, er trank ein Schlückchen und reichte dann die Flasche dem Gast. Dieser tat seinerseits einen herzhaften Zug daraus und wurde davon ganz wunderbar lustig und aufgeräumt und überhäufte den Hund mit Freundschaftsbeteuerungen.

Nun, das war alles sehr gut bis dahin. Ein Weilchen saßen die seltsamen Zecher bei ihrer Flasche, wälzten sich ein wenig und brummten vor Behagen in ihren Bart hinein; plötzlich fragte der Wolf seinen Wirt, den Hund: »Soll ich singen, Schwager, soll ich nicht einmal singen?« – »Lieber nicht, wenn's dir gleich ist, Schwager«, warnte der Hund, welcher fürchtete, sein Herr könnte davon erwachen; der Wolf sah die Triftigkeit der Einrede ein und gehorchte.

Nachdem er aber noch etwas mehr getrunken, erwachte die Sangeslust in so hohem Grade in ihm, daß er seinen Zechbruder wieder fragte: »Was meinst du, Schwager, sollte ich nicht doch etwas singen?« – »Liebster Schwager, singe ja nicht«, bat der Hund; »deine Stimme hat einen starken Ton, und wenn die Wirtsleute erwachen, dann ergeht es uns schlecht!«

Das sah der Wolf ein und gab sein Verlangen auf, und der Hund goß dem Gaste zulieb noch ein drittes Glas ein. Der Wolf, dem der Branntwein ganz herrlich schmeckte, trank in aller Gemütlichkeit. Aber nach dem dritten Glase war er so berauscht, daß er alle guten Lehren in den Wind schlug, und ungeduldig ausrief: »Den Teufel auch, wenn ich nicht singen darf! Ich singe doch, Schwager; ich singe, wenn auch die Welt zusammenstürzte!« – und plötzlich hob er aus voller Kehle ein weitschallendes Lied an: »O-o- oh-oo-oh!« Davon erwachten die schlafenden Leute. »Wer hat den Wolf in die Stube gelassen?« schrie der Herr des Hauses, und alle stürzten mit Stangen und Feuereisen auf den unwillkommenen Sänger los, den sie nach Herzenslust damit bearbeiteten. Halbtot entkam endlich der arme Wolf ihren Händen; er eilte windesschnell durch die Tür in das Freie und dankte dem Schöpfer, daß er nicht vollends zu Brei geschlagen worden war.

 


 


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