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Daniel und der Kaiser

Von Ernst Weiß

In dieser Nacht träumte der Kaiser von Babylon in seinem tausendfenstrigen Palaste.

Dieser Fürst war der schönste, klügste, reichste Mann seiner Zeit und der glückseligste. Noch im Alter von fünfzig Jahren hatte er das Aussehen und den frohblühenden Mund, den lichtstrahlenden Blick der ersten Jugend.

Die mit ihm geboren waren, die mit ihm in die ersten Schlachten gezogen und, auf den Armen der siegreichen Krieger getragen, im Mittagsjubel zurückgekehrt waren – die Gewaltigen und die Räte seines Reiches, die Freunde seines klugen Herzens, alle waren schon gealtert, müde, verglommen, spätabendliche Seelen. In matter Ruhe lagerten sie im grünen Dämmer, im kühlen Innern ihrer weiten Schlösser. Er, Nebukadnezar, Kaiser von Babylon, bezauberte alle Menschen um ihn durch den Smaragdglanz seiner knabenhaften, schmalen Augen, hoch über dem Gewölke seines schwarzblauen Bartes, durch die gewichtlose Anmut seines königlichen Ganges, durch sein leises Herrscherwort. Nie vor ihm noch nach ihm hat die bewohnte Erde einen König seiner Art gesehen. Er, der riesige, hohe Mann, hielt sich aufrecht auf dem Thron unter dem geblümten Baldachin, seine Linke, so zart gegliedert, faßte einen elfenbeinernen Stab mit silbernen Ringen, das Zeichen seiner Macht. Er trug keine Waffe, mitten im Gewühl der schwarz gepanzerten Trabanten weilte er ohne Schwert, er saßt schlicht unter den andern, sprach Recht vom frühen Morgen an, empfing die Heerführer, Statthalter, Satrapen, die Minister des Hauses, die Priester, Trabanten, die Obersten der Sklaven und Sklavinnen, die Schatzmeister, Steuerverwalter, die Gesandten der fremden Völker, besiegter und verbündeter Stämme, lauschte allen fremden Sprachen und den eintönigen Worten der Dolmetscher, blickte sie an und lächelte, während in den Falten seines weiten, sommerlichen Gewandes seine Lieblingstiere, isabellfarbene Windspiele ruhten und mit ihrer blaßroten, langen Zunge die kleinen Füße dessen liebkosten, vor dem die Erde zitterte von ihrem Aufgang bis zum Untergang, des Herrn von Babylon, Kaisers von Persien, Schahs der beiden glücklichen Arabien, Sultans der Gewürzinseln, Moguls von Indien, Königs über Juda und ihre längst zerstörte Feste, Jerusalem.

Abends ritt er auf seidenen Satteldecken sein feingliedriges Pferd. Die ungeschmückten Zügel lässig in der Linken. Mit der rechten Hand streifte der riesige Mann die Flanken des hochatmenden Tieres, er haschte eine Blume, die aus dem in Millionen wimmelnden Volke seiner Diener und Untertanen ihm zugeworfen wurde, wenn er ohne Begleitung aus den Toren seines hohen Schlosses durch die Wachttürme ritt, vorbei an Palästen, Gartenmauern und Basaren, über die hoch geschwungene Brücke, die über die Wasser Babylons führt. Sein edles Gesicht war angehaucht vom roten Staube, der hoch in den Straßen der niemals rastenden Stadt lag.

Man nannte ihn den Sommerfürst, den gerechten König, der nicht mit dem Tode straft noch auch mit Martern peinigt. Er hieß der Volkserwählte, die Quelle der Holdseligkeit, das Herz der armen Welt und ihr Trost.

An seinem Hofe waren tausend Ärzte, aber er war nie krank. Er hatte tausend Tafelgenossen, längst besiegte Fürsten, landfremde Satrapen, dreizehn Häuptlinge der dreizehn verbannten Stämme Israels, zweitausend Mamelucken, unzählige Dichter, Sänger, Priester, Blumenzüchter, Düftebereiter, Köche, Reitknechte, Seidenweber, 6oldschmiede, Sattler und Schneider, und niemand zählte die Handwerker aller Gewerbe, die in dem Abglanz seiner milden Nähe wohnten, sein Brot aßen und seinen Wein tranken.

Er zog die längsten, geraden Straßen durch sein Land. Er erbaute an seinen Flüssen Dämme, um die Bewässerung der Felder zu verbessern, er stiftete viele öffentliche Bäder, die Greise sammelte er in Asylen, und die Bettler ließ er nicht ohne Obdach und Brot. Er ließ Brücken aus weißem, weit herbeigetragenem Stein und dunklen, eisenstarken hölzernen Bohlen in das Bett der Flüsse schlagen. Er ließ Tempel errichten, mit goldenen Bildern darin und kupfernen Rosten für die Opfer, und er opferte allen Göttern und dankte allen für sein Glück und sein Gesegnetsein.

Er kannte der Menschen Wesen und ihre bösen Gedanken und ihre guten zugleich. So teilte er Strafe aus und Lohn und wog richtig mit der Wage, die ihm verliehen war.

Er zog gegen Fürsten zu Felde, und die starke Feste Jerusalem widerstand ihm nicht. Das geblendete Geschlecht Judas wurde in ihrem letzten König geblendet. Der heilige Berg ging in Rauch und Flammen auf, die verstoßene Gemeinschaft der Juden wurde in Zedekia, Jojakim und Rahel noch einmal verstoßen, sie wurden im Schlangenverlies gehalten, den kalten, giftigen Tieren gleich, nach Schlangenart bekleidet mit Regen und getrocknet mit Wind und gefüttert mit eklem toten Gewürm, bis zur Geburt des Sohnes, des reinen Prinzen Gottes, der Daniel hieß. Doch Nebukadnezar führte nur das Schwert eines andern, er kannte die Namen der Völker alle nicht, die ihm untertan waren, noch die ihm dienen mußten, nachdem sie selbst Könige und Herrscher gewesen. So wurde durch die blinde, leichte, freudige Hand des Nebukadnezar das Geschlecht Judas gestraft und die Nachkommen Davids verkümmert.

Sein Volk war reich und zufrieden bis zu dieser Zeit, alle Häuser voll Getreide, Hab und Gut, Kamel, Pferd, Esel und Kind, Herd und Hausgerät. Bis zum letzten Diener des Kaisers hatte jeder Kleid, Decke, Teppich und Wandbehang, vor die Fenster zu spannen gegen die Hitze, Gold, Silber, Eisen, Kupfer, Schmuck für die Frauen, Ring und Kette, Gewürz und feine Speise aller Art. Lange herrschte Frieden in den schönen Gärten und Lachen in den Gassen. Alles war gesegnet unter dem gesegneten Herrscher. Dies ist die Geschichte Nebukadnezars bis zu seinem Traum.

In derselben Nacht, da das Licht Gottes Daniels hohe Stirn streifte und in seinen blauen, klaren Augen aufging mit wissendem Glanz, da kam über den Kaiser ein Traum und ein böses Gesicht.

Wie tief er im weiten, hohen, offenen Sommersaal schlief, den Kopf von Seide umschmeichelt, auf Leinwand vom reinsten Faden den Körper gebettet, auf der schweren kaiserlichen Lagerstatt, Geburt und Sterbelager seines Geschlechtes: Gewappnete zu seinen Häupten, Reisige zu seinen Füßen, alle unerbittlichen Herzens und nie übertroffen in ihrer Treue; Dienerinnen, goldäugige, über seine linke Hand gebeugt. Mit ihren herabfallenden duftenden Flechten seine kriegerische Rechte beschattend, spät in der Nacht.

Es war nicht froher Schlaf, der ihn deckte, da er stöhnte und bitter seufzte, da seine sonst so freudenvolle Stirn in Wellengewittern gefurcht war, da seine Hände über der hoch atmenden Brust in einem Knäuel sich verschlangen, Nattern gleich, die auf heißem, sandigem Boden knisternd sich paaren. Seine Lippen, gedörrt im strömenden, keuchenden Hauch, waren bleich über dem schwarzblauen Gewölk seines Bartes.

Man wollte ihn wecken und lösen, brachte Fackeln und auf Leuchter gesteckte wohlriechende Lichter, man rief ihm ins Ohr und schlug mächtige Glocken vergebens. Aber in der Mitte der Nacht erhob er sich, Kaiser von Babylon, richtete sich auf im hell beleuchteten Saal, faßte die Säulen, die baumstarken Streben, die bis an die getäfelte Decke reichten, als wären es Stämme von Bäumen im Walde, er tastete an den glatten, schön behangenen Wänden wie blind. Seine offenen, smaragdfarbenen, schmalen, knabenhaft geschnittenen Augen in düsterem Feuer, seine Ohren verschlossen, seine Schritte im Gemache, schleppend zur Tür und zurück, wie gefangen, an eine Kette geschlossen. Die Wächter riefen im Hofe, die Nachtrunde schlug an die Glocken, gegen das tief, ruhig tönende Erz; den zweiten, den Morgengang kündeten sie an, aber immer noch irrte er, der einst glückselige Fürst, wie ein Fremder, ein Geblendeter, ein Träumender, nie zu erwecken, ein Toter, nie zu beleben, durch das weite, kühle Sommergemach. Oben in der von neun Mauern umgürteten, weißen kaiserlichen Burg auf den immergrünen Hügeln, über dem Teiche, über den stolzen Pappeln, den duftenden Beeten, auf der Spitze der mächtigen Stadt zwischen den Strömen der Welt, Babylon.

Jetzt kehrte er sich zu der Lagerstatt, aber nicht um zu ruhen. Er ergriff die vier aus Erz gegossenen, tief in den Boden eingelassenen Löwentatzen, die Stützen des Bettes und ihren auf ewige Zeiten gegründeten Unterbau, eine nach der andern, rüttelte an ihnen und lockerte sie nicht. Dann griff er dem ehernen Löwen in das aufgerissene Maul, er stemmte sich mit beiden Knien mächtig gegen die Brust des schweren, riesigen Tieres, er drückte die Daumen beide dem Löwen in die ehernen Augenhöhlen, stöhnend hob er das ungeheure Tier aus dem Boden, der in seinen Grundfesten bebte. So entwurzelte er die Lagerstatt unter furchtbarem Krachen, bis ins Beben der Mauern. Jetzt belud er sich mit der ganzen Last. Über seinen Nacken, den Kopf in des Kaisers Haupthaar gebettet, ragte der kupferne Löwe, die seidenen Kissen, die leinenen Betten hingen herab über seinen gebeugten, dienenden Rücken, so schleppte er die Lagerstatt an die Pfosten beim Fenster. Mit den Zähnen faßte er das Fenstergehänge, den fein gewirkten Teppich, raffte ihn und öffnete das Fenster. Er trug die schwere Last auf dem Rücken, doch keine Gewänder am Leibe. Bloß sein vom gesenkten Haupte tief herabwallender Bart, in goldenen Funken vom Kerzenglanz her metallisch erfunkelnd, deckte des nackten Fürsten Nebukadnezar aufgehobene Scham. Sein Rücken glänzte in heftigem Schweiß unter der unköniglichen Bürde.

In seinen Händen wankte das ungeheure Gewicht des viertatzigen, gleißenden Tieres, eingebettet in die künstlich gewirkten Kissen, auf denen er geruht hatte bis jetzt. Nun ruhte alles auf seinen Achseln.

Unter den Fenstern dunkelten die herrlichen, duftenden Gärten. Lichtgespiegelt im ovalen Teich schwankten die hohen Pappeln mit ihren Rebengebinden, die Palmen mit blauen, üppigen Blüten in den Winkeln verrauschend, zahme Hirsche wollten still in leichtem, federndem Gange zur Nachttränke eilen, Nachtvögel, aneinandergeschmiegt wie schwarze, glänzende Krüge, hielten sich im dichten Laube geborgen, hellere Nebel kamen von weitem, in kaum erkennbarer Ferne schimmerte die feuchte Höhle der Schlangen, wo die Könige der Juden solange gehaust, weiter noch im Umkreis schwebte die ungeheure, für keinen Blick ganz zu durchmessende, herrliche Stadt Babylon, an dem seidenglänzenden Flusse gelegen, von fackeltragenden Männern zur Nacht durchschritten und treu bewacht. Unter den leicht gehäufelten Wolken am Rande des Himmels, kaum noch zu ahnen im zartschwebenden Schimmern, im morgenfrühen Nebel über dem Flusse der aufgehende Tag.

In diese Tiefe ließ der Kaiser die Stätte seiner Ruhe fallen. Schmetternd stürzte das Erz durch die Pfosten der Fenster, über die aufrauschenden Zweige der Pappeln flatterte es hinab, das leicht gewirkte Gewebe schwamm licht im erwachenden Morgen auf dem schwarzen Gewässer des Teiches, Holz mit goldenen Rändern, Kissen wie Schwäne gebauscht, unter Schilf gebückt und versteckt. Der riesige Herrscher aber drückte sich scheu in die leeren Winkel, er verlor sich zwischen den Spuren der ausgerissenen Wurzeln unter dem leeren Baldachin. Seine einst klaren Augen waren getrübt, die mächtigen, schönen Arme aufgestützt auf die im Frost zitternden bläulichen Knie. Wachend und schlafend zugleich. So starrt er durch die Gestalten der Seinen und ist nicht unter ihnen. Gewaltige beugen sich zu seinen Häupten, Reisige beten zu seinen Füßen, Holdselige liebkosen seine Rechte, und jugendlich Schöne weinen über seiner Linken. Seine Sohlen sind schwarz. Ihn erweckt nichts. Er ruht, wie ein Tier in der Wildnis seine Glieder um sich schlingt, nackt auf dem nackten Estrich, den die Füße der eilenden Diener beschmutzt haben. Seine Treuen rufen ihn: Lieber Kaiser, erwache! er antwortete nicht, so war er verstört. Denn Frieden war um ihn bis zu dieser Nacht. Mi seinem wallenden, schwarzblauen Barte wärmt er seine nackten Füße, denn es friert ihn sehr. So kauert er bis zum Morgen, da er völlig erwacht.

In bösem Feuer blinkte am Morgen sein Blick, in haltlosem Zittern faßt seine Hand nach dem elfenbeinernen Stabe mit den silbernen Ringen, dem Zeichen seiner Macht. Er hüllt sich in die raschelnden scharlachfarbenen Kleider seiner liebsten, jüngsten Sklavin, verbirgt sich bis zu den Augen und winkt allen, damit sie gehen. Sein Fuß stößt voll Ungeduld nach den Windspielen, die an schön gewirkter Koppel gebunden zu ihm hereingeführt werden. Dann schlägt er mit dem Stabe den Boden, ruft den höchsten der Reichsverweser und gebietet ihm: Fordere zusammen auf eine Stunde alle die Sterndeuter und Weisen, Zauberer und Chaldäer, damit sie vor mich treten und mir meinen Traum sagen sollen. Vor Abend sollen sie vor mein Angesicht kommen, denn ich vermöchte nicht zu schlafen noch Ruhe zu finden, ehe ich weiß, was mir geträumt hat.

Vor Abend versammelten sich die Sterndeuter, Chaldäer, Zauberer und Weisen und füllten den weiten Sommersaal mit dem verstümmelten Estrich und der ausgerissenen Stätte seines Schlafes. Unter ihnen war Daniel, der Sohn Jojakims, des vertriebenen Königs von Juda, er, der Prinz Gottes. Der Kaiser sprach zu ihnen: »Ich hatte einen Traum, ein böses Gesicht. Ich will wissen, was es für ein Traum gewesen ist.

Man wollte mich wecken, ich hörte es nicht, man wollte mir Licht zünden, ich sah es nicht, ich wollte ruhen und den Frieden der Nacht kosten und habe mein Lager aus dem Boden gerissen und mein Kissen über die Bäume gestürzt. Was war mein Traum? Sprecht und fürchtet euch nicht.

Ich habe immer in Klarheit gelebt. Nun hat mich etwas verstört, so daß ich nicht mag Rat halten, Krieg führen, Frieden schließen, in meiner Stadt Recht sprechen, essen, trinken, noch meine Liebste kosen, noch mich des Guten freuen, das Böse eindämmen, noch mich waschen, mein Haar salben, meine Augen erheben, meine Brust in Freude öffnen und aufatmen, es sei denn, daß ihr mir sagt, meine Lieben, was mir geträumt hat, diese Nacht, in diesem Saal.«

Da sprachen die Chaldäer auf chaldäisch zum Kaiser: »Herr Kaiser, Gott verleihe dir langes Leben. Sage deinen Knechten den Traum, so wollen wir ihn dir deuten.«

Der Kaiser antwortete den Chaldäern: »Es ist mir entfallen.

Werdet ihr mir meinen Traum nicht anzeigen, den ich die letzte Nacht geträumt habe wie nie einen Traum zuvor, so werdet ihr umkommen, meiner Milde unerachtet, eure Häuser sollen schändlich zerstört werden und eure Weiber verstoßen und eure Kinder mit ihnen.

Wenn ihr aber meinen Traum findet und ihr ihn anzeigt, sollt ihr Geschenke und Gaben von mir haben. Denn ich hungere nach Frieden. Ihr sollt große Ehre von mir erhalten, denn ich dürste sehr, zu erkennen, was war.«

Die Sterndeuter und Chaldäer antworteten: »Der hohe Herr sage seinen Knechten den Traum, so wollen wir ihn deuten. Es ist kein Mensch auf Erden, der sagen könnte, was der Kaiser fordert. So ist kein Herrscher, wie groß und mächtig er sei, der solches von einem Weisen, Sternseher und Chaldäer fordere. Denn was der Kaiser fordert, ist zu hoch. Es gibt auch sonst niemand, der es dem stolzen Herzen der Welt, dem Kaiser Nebukadnezar, sagen könnte, ausgenommen die Götter, die nicht bei den Menschen wohnen.«

Da erzürnte sich der Kaiser, erblaßte und warf seinen Stab in die Reihe der Sterndeuter und traf ihrer einen ins Auge, das ausrann. Doch wagte niemand, zu flüchten. Denn er war ergrimmt, wie man ihn nie gekannt hatte die Tage seines Lebens bis jetzt.

Daniel fürchtete sich nicht, er trat vor den König und beugte sich vor Ihm.

Der Kaiser blickte ihn an und fragte: »Wer bist du?« Denn er kannte ihn nicht.

»Ich war ein Kupferschmied, ein Handwerker unfern des Wassers, in der engen Straße, wo die Karawanen nach dem glücklichen Arabien gehen. Ich wohnte tief in dem niedern Viertel am Flusse beschattet. Dort traf mich der Herr, der Gott meines Volkes, rief mir zu. Ich wollte einer sein wie alle, hungrig mit den Hungrigen und gesättigt mit ihnen, wach mit den Wachen, träumend mit den Träumenden und erwachend mit ihnen, meine kleinen Werke aus Kupfer gedreht und die feinen Fäden in der Flamme gezogen, und das übrige Werk in meiner Hand, wie alle es schaffen in unserem Viertel. Ich rief nicht Gott, aber er rief mich. Denn was wäre ich, daß ich wagen wollte, Gott zu nennen? Wenn ich Wasser verlangte, gab er mir köstlichsten Wein die Fülle. Aber laß mich allein, hoher Kaiser, mit dir, lege dicht dein Ohr an meinen Mund, und ich will dir alles verkünden, da mir nichts verborgen ist.«

Der Kaiser entließ alle, die ihn sonst nicht verließen bei Tag und bei Nacht. In die Arme des schlanken, ruhigen Knaben Daniel schmiegte sich der riesige Mann, er verbarg in der Ellbogenbeuge des Jünglings sein müdes, verstörtes Haupt, sein schwarzblauer Bart streifte die glatten, kalten, herrlich gerundeten Knie des Knaben, und blickte der Weltfürst empor, dann sah er Daniels gewaltige Augen voll zartesten, blauen Glanzes über sich leuchten, und er faßte Freundschaft und Liebe zu ihm, und er hob mit seiner Kaiserhand die Rechte des Knaben Daniel zu seinen Augen und fragte: »Kannst du denn die verflossenen Träume zurücklenken mit der Hand wie mit einem Zauberstabe?«

»Hoher König, du träumtest, du trügest diese ganze Welt auf dem Fundament deiner Schultern. Ebene, Gebirge, Wasser und Land, Flußufer und Bäche, die durch Wälder rieseln, und Wüsten, die noch niemand betreten hat, Häuser, darin zu wohnen, einzeln und in unermeßlichen Städten wie Babylon, Gerät in den niedern Hütten, Rüstung und Erz um die Glieder der Krieger, Felder, Früchte, Getreide in Samen, gesammelt in den Kornhäusern, alles geordnet, wie die Welt hier geordnet ist, und gerecht, wie du es gerichtet hast in den Jahren der Herrschaft, alles stand auf deinen beiden starken Schultern aufgerichtet, alles, was Menschen bauen, was sie besitzen und verlieren, alles, was lebt und sich im Herzschlag regt, es war ohne Ausnahme auf deine Schultern geladen, damit du es trägst, und du hattest es über dir und konntest es von unten her sehen, wie es wuchs, wie die Häuser aufgerichtet wurden, und der überhohe Turm, in neun Stockwerken ragend, von Treppen umgürtet, matt durchleuchtet mit Feuer, prächtig und überherrlich; wie die Felder sich begrünten, wie die Herden sich vermehrten und die Völker an den reichen Ernten sich sättigten und noch übrigbehielten, und Friede war überall, bis sie starben und andere Menschengeschlechter die Türen der Speicher auftaten, und andere Geschlechter sich ihres Lebens freuten, bis es zu Ende war. Das deine aber war nicht zu Ende. Du warst auserwählt und von den andern geschieden, wie ich es bin, Daniel, Jojakims Sohn, und dennoch vaterlose Waise und mutterlos, obgleich meine Mutter noch lebt. Allein standest du unter deiner Last, und du trugst sie allein, weil sie dir aufgetan war.«

»Sprich weiter,« sagte der Kaiser, »du sagst, wie es war.«

»So war es dir gegeben, selbst diese Welt zu tragen, dir allein, sie zu ordnen als Meister der Klugheit, die Tiere zu zähmen, die Völker im Kriege zu scheiden und die Stämme im Bund zu vereinen als König. Brücken zu schlagen über die Ströme als Baumeister, diese Stadt Babylon, das Wunder der Welt, aufzurichten aus gebrannten Ziegeln, mit geschliffenen Steinen sie zu zieren, Tempel zu errichten und Sinn zu stiften in allem, was du trugst auf diesen zwei Schultern. Du hast die Welt nicht gerufen: aber sie rief dich: sei du mein Herr! So ist dein Turm der höchste seit Menschengedenken. So hattest du Gewalt über alles und trugst es freudig, du warst mutig, stark, fröhlich, ohne Zaudern, du hörtest auf keinen Gott, blicktest in Träume nicht. Dein Auge schaute klar, deine Hände erfaßten mild, was sie wirkten, dein Bart war geglättet, deine Stirn friedlich, deine Zunge mit Weisheit gesegnet im Gericht und im Feldkriegsplan, deine Lippen voll Liebkosungen, wenn du bei den deinen weiltest, so warst du gesegnet wie nur je der Menschen einer, Sieg, Freude und Frieden, Kraft, Gesundheit, Klarheit, gerechtes Gewicht, senkrechtes Maß, Speise und Trank, Schätze, Juwelen, Kornspeicher, Übriges, was des Menschen Herz wünscht. Auf deinen Schultern die Welt. In deinem Innern aber Weisheit, Milde und Gewalt über alles.«

»Das war mein Traum, aber mein Leben auch. Heute ruhe ich im leeren, dunklen Gemache, einem fremden Knaben auf die Knie geschmiegt, verstörten Gesichts und voll Angst vor der künftigen Nacht. Wo ist meine Scham, mein Stolz, mein königliches Schweigen?«

»Dein Traum war so: Über dir zog, wie eine Wolke ins Gewitter zieht, ein zweiter Nebukadnezar auf. In Stürme gekleidet, nicht in feine Leinwand wie du. Es war kein Mensch, sondern etwas anderes, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Du warst es selbst, höher als der erste, schwer wie ein Stein, ohne eigene Wärme, warm in der Wärme, kalt im Eise, friedlos, da er von einem Ende der Welt zum andern rollte zu dir und nichts verschont, auch sich nicht, und voller Frieden, da er von nichts weiß, auch von sich nicht.

So ist der tiefste Frieden nicht bei den Königen, nicht bei den Göttern. Glaube es nicht! Nur bei den Steinen, sei es, daß sie stehen und ragen wie Säulen, worauf man Lebendes gehen läßt, sei es, daß sie am Himmel, aneinander gekettet, als Gestirne in blauen Lichtern dahinziehen. Dieser Stein trug deine Züge, Kaiser Nebukadnezar, du warst es aber nicht. Denn du hattest Angst vor seiner Schwere, obgleich du doch die übrige Welt ohne Zittern auf deinen Schultern trugst, du batest, verschone mich, und flehtest, laß mich ausgehen und lebend entkommen, und knietest vor ihm wie nie vor einem Menschen oder König der Reiche oder Gott des Himmels, die du kanntest; mit Namen nur kanntest du sie und nicht von Angesicht. Er aber, der andere Nebukadnezar, erbarmte sich nicht. Er war wie Erde, die spricht. Aber er schwieg noch, und du sahst nur seine Lippen bewegt und die Arme erhoben. Er raste durch die Lüfte, bis sie brannten, er durchbricht mit Krachen und Donnern dein festgegründetes Haus, achtet nicht der Decke hier oben mit den goldenen Zieraten, schont nicht die Kleider auf deinem Körper, ließ die deinen nimmermehr leben, er fiel auf dich, und du faßtest ihn in deinen beiden Armen auf, und ihr wurdet beide eins und von nun an eine neue Gestalt. Du hobst dich auf, und ihr beide wichet von dannen, und das Volk erkannte euch nicht mehr, und man nannte euch mit neuem Namen und zitterte sehr.

Aber was du auf deinen Schultern getragen hattest, war alles vernichtet, denn die Städte waren zerstampft, die Dörfer sah man nicht mehr, wo sie gestanden hatten. Von unten, wie Kinder eine Schlange anfassen und sie zerreißen, hatte der Sturm die Brücken aufgehoben und sie zerrissen, die schönen Bäume, an den Flüssen gepflanzt, mußten verdorren, die Blumenbeete im kaiserlichen Garten zertreten sein. Das Vieh war verhungert, und die Menschen litten große Not. Da war kein gerechtes Gericht zwischen den Toren, kein gutes Maß auf den Tischen der Händler, kein gerades Senkblei in den Händen der Meister, keine Pferde und Kühe in den Ställen, kein Gerät in den Hütten, keine Ordnung in den Gesetzen, und in der Welt kein Sinn. Wo Babylon war, hieß der Ort: Wüste und verfluchter Ort.

Das hast du gesehen, bis du erwachtest.«

»War das mein Traum, so habe ich ihn selbst mir gedeutet. Denn ich habe die eherne Stätte meiner Ruhe aufgehoben, meine Heimat zur Nacht aus dem Boden gerissen und aus den Fenstern gestürzt, bis alles im Teiche unter den Pappeln versank. Ich war ruhig bis heute nacht und gefaßt bis zu diesem furchtbaren Traum. Man hat meine Hand nie zittern sehen, denn ich habe auch über mich geherrscht. Jetzt aber laß es mich dir leise sagen, ich fürchte, ich bin verstört für immer. Du bist jung. Du bist wissend. Du bist klar und träumst nicht. Halte mich fest, denn es wütet in mir, damit ich nicht Hand anlege an mich. Soll ich sein wie ein Irrer, der die Schelle trägt, damit man sich vor ihm hüte, ein Besessener, mich selbst nicht erkennen, lebendigen Leibes geblendet sein, dann will ich nicht sein. Lieber will ich sterben, als daß man mich von mir in Stücken reißt. Bleibe bei mir, schöner, kluger Knabe Daniel, denn ich fürchte mich. Ich will dir ein Ehrengewand antun, dir ein Landhaus bauen, ein Sommerhäuschen am Runde der Mauer, hier unter den Fenstern, näher bei mir, im Schatten der Pappel, am Ufer des Teiches, wo es kühl ist und der Staub nicht hindringt während der Zeit der Dürre. Der Knechte sollst du vier haben oder vierzig oder vierhundert und alles, woran dein Herz Freude haben kann. Du sollst mein leiblicher Bruder sein, denn der eigene Bruder verläßt einen nicht! Mein Reich magst du statt meines Sohnes von mir überkommen, wenn du mich heilst und segnest mit dem stärksten Segen deines Gottes. Denn ein Gott hat dich heraufgebracht durch die Wachttürme, die Wege des Palastes bis hier in meinen Saal, und ein Gott hat mein armes Haupt dir auf deinen Schoß gelegt und meine Gedanken vor dir ausgebreitet, wie man ein zusammengerolltes Reisblatt auseinanderrollt. Du mußt einer sein, der bei den Göttern wohnt, der spricht, wie sie dort sprechen. So kannst du allein mich lösen, wenn ich gebunden bin, mich heilen, wenn ich krank bin. Du kannst mich segnen. Denn ich bin verflucht. Meine Macht ist dem andern ein Greuel. Allen bin ich ein gerechter König, man heißt mich den Sommerfürst, die Quelle der Holdseligkeit, das Herz der armen Welt und ihren Trost. Ich war es einmal, doch bin ich es nicht mehr.«

»So kann ich dich doch nicht heilen, wärest du auch krank. Das hat mir mein Gott nicht gegeben. Bist du gebunden, mag ein anderer dich lösen. Bist du verflucht, so bleibe verflucht. Mag sein, ich habe Wohlgefallen an dir gefunden, denn ich hatte nie Vater, Mutter, noch Freund, noch Gefährten. Ich möchte denn Gutes gerne an dir tun. Aber es ist mir versagt. Denn nicht zu heilen, nicht zu lösen, nicht zu segnen bin ich in die Welt gekommen, sondern nur um zu künden, zu deuten, alles zu wissen, nichts zu tun als den Dienst meines Herrn. Denn er hat mich auserwählt, während ich schlief, von meiner Handwerksarbeit ermüdet.«

»Du bist jung,« sagte der Kaiser, »dich anzusehen ist schön. Bleibe nur bei mir. War dies der letzte Traum oder ist Schwereres für mich noch aufgehoben? Verlaß mich nicht. Es ist Abend geworden. Ich will dir das schönste Brot brechen, den reinsten Wein schenken, das weichste Bett betten. Sei mein Gast. Darum bitte ich dich, Kaiser von Babylon, dich, Daniel, das wissende Kind, Sohn des geblendeten Königs Jojakim, dich, den lichten Prinzen des finstern Gottes, der Nebukadnezar mit Nebukadnezar bestraft.«

»Ich will bei dir bleiben, Kaiser von Babylon, neben dir gehen, zu deinen Füßen sitzen auf den untersten Stufen des Thrones, Aber von deinem Brote nicht essen, deinen Wein nicht trinken, deine Frauen nicht berühren, rein bleiben, meinem Gotte zu Ehren, der Daniel segnet mit Daniel.«

»So sei es, wie du es willst«, sagte der Kaiser, und Daniel lebte neben ihm.


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