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Von Wilh. Fischer-Graz.
Es war ein wunderschöner Garten, der mitten in der Stadt gelegen ist, die auf ihn stolz war wie eine Mutter auf ihr Lieblingskind. Wenn er zu blühen angehoben hat, so hat's nimmer enden wollen. Der Lenz ist leibhaftig in den Bäumen gesessen, daß sie nur so weiß und rosenrot geschimmert und den Duft ausgesendet haben, der über die ganze Stadt hingezogen ist und überall angesagt hat: Der Lenz ist da, daß ihr's wißt! Und im Sommer, da hat sich das Laub so angewachsen, daß es die Sonne nur von außen gegrüßt hat; aber inwendig hat's eine kühle, grüne Dämmerung gegeben, und nur einzelnen Sonnenstrahlen war's erlaubt, auf Besuch zu kommen. Die mußten sich aber auch heimlich einschleichen dort, wo zwischen dem Blattwerk eine Lücke offenstand. Da sind sie neugierig hereingehuscht, haben mit ihrem Goldglanz über den Boden geflimmert und sind wieder verschwunden, weil andere an der Reihe waren, die auch hereinkommen wollten, um sich die Herrlichkeiten der grünen Nacht am hellen Tage zu besehen. Es war schier ein lieblicher Wald mit großen, schönen und seltenen Bäumen, der mitten in der Stadt gewachsen ist. Das haben auch die Vöglein gewußt, daß es sich da am wohligsten leben ließe; und jeder Baum war ein Herbergsvater, der seine Gäste bewillkommte, und an Danksagung hat's denen auch nicht gefehlt. Denn immer hat sich ein allgemeines Freudensingen wie eine einmütige Lustbarkeit zur Maienzeit in dem Garten eingestellt.
Und die Sommerfalter haben wieder den schönen Blumen Besuche gemacht, deren es so viele gegeben hat, daß manche davon, obschon sie festgewurzelt war, noch sitzen geblieben ist, weil sie keinen Besuch empfangen hat. Aber die Sonnenstrahlen hatten da freien Zutritt und konnten beglänzen, was sie wollten, sich an allen Farben satt schauen und sie noch heller machen, als sie waren.
Ja, die Stadt konnte auf solchen Garten stolz sein; der war ihr auch ans Herz gewachsen, und da sie selber schön war, so hat eins zum andern gestimmt, wie der Schmuck zu einem schönen Leib. Der Schmuck ist ihr zwar nicht von einer wohltätigen Fee geschenkt worden, aber von einem guten Prinzen, der etwas Außergewöhnliches ins Werk setzte und aus altem Festungsgrunde einen Wundergarten hervorgezaubert hat. Und da konnte auch jeder lernen, wie die Pflanzen heißen und wie sie wachsen. Von jeglichem, was zu ihnen gehört, war ein Muster darin; und wollte einer dem Ganzen einen gelehrten Namen geben, so hat er ihn auch botanischen Garten genannt. Aber er war der Wundergarten der Stadt.
Der Schloßberg hat so freundlich auf ihn hinab geblickt, wie ein edler Herr auf ein Mägdlein, das in ihrer Lieblichkeit den Adel der Natur zeigt; und der Garten hat zu ihm hinaufgeschaut wie ein Menschenkind, das auch hohen Herren anmutig zulächeln kann. Alle die Häuser, die eng angebaut waren, gaben ihren Inbewohnern freudige Fenster, durch die sie die Herrlichkeit betrachten konnten, die da vor ihnen grünte und blühte. Es waren alte Häuser, die nicht jedes Jahr neu ausschlagen konnten, wie die Bäume. Sie blieben alt; aber das Menschenvolk, das in ihnen saß, konnte neue Knospen treiben und den wurzelfesten Inwohnern des Gartens auch Frühlingsgeschöpfe entgegenstellen.
Ein solches Geschöpf war die Luzi, die sich von der Sonne gern bescheinen ließ, als ob sie wüßte, daß nur Liebliches zum Vorschein kam; nämlich lachende Augen, die den Frohsinn des Herzens wie zwei blaue Lichtboten meldeten. Und gewachsen war sie schlank und gerade, als wäre sie von der Gärtnerin Natur wie ein Bäumlein gezüchtet worden. Wenn sie ging oder ruhig stand, floß etwas Anmutiges um ihren ganzen Leib. Sie konnte mit einer Wendung sich um sich selbst drehen, als wäre ihr Pate ein König im Windreich gewesen, der sie mit dieser Luftgestalt beschenkt hatte. Und sie konnte wieder fest auftreten, wie es sich für ein doch gewichtiges Mädchen ziemt. Aber das Lieblichste war, wenn sie mit den Amseln um die Wette sang; das konnte sie ausnehmend gut. Die Schwarzröcke taten ihr Bestes, den Schnabel recht weit zu öffnen und sich als tüchtige Sänger zu erweisen, die von der Natur selber dazu angestellt waren; wenn auch ohne Brief und Siegel. Aber Luzi trillerte wie eine Lerche; und da es keine solche im Garten gab, denn sie waren weit draußen auf der Muraue in den blauen Äther geflogen, so mochten die Amseln sich denken, was sie wollten, die Luzi konnte es ohne Flügel schier so gut wie sie selber.
Das Haus hatte auf der Gartenseite einen kleinen Balkon. Und weil das ein lustiges Plätzchen war, hatte sie gerade auf einen Strick, der zwischen den beiden Eisenstäben hing, seine Wäsche zum Trocknen aufgehängt. Aber ein Stücklein davon hatte plötzlich Flügel gekriegt oder sie sich von einem Lüftlein zu Leih genommen; denn es schwebte von seinem Sitze hinab in den Garten, wo es von einem Strauch festgehalten wurde, sonst wäre es noch weiter geflogen.
»O weh!« sagte die Luzi, die es aus der Kammer mitangesehen hatte und rasch hinausgeeilt war; »da ist eins davongeflogen! Wenn nur jemand zu sehen wäre, der mir's wiederbringen tät, ein Gärtnergehilfe oder sonst wer. Oder muß ich selber den Umweg in den Garten machen?«
Das sagte sie, indem sie hinabblickte und des festgehaltenen Flüchtlings ansichtig wurde.
Nein, sie brauchte den Umweg nicht selber zu machen.
Da stand der Seiz im Garten, hoch- und festgewachsen, wie er war, der hätte das feine Ding gern in die Hand genommen. »Aber sie ist rußig von der Schmieden,« rief er hinauf. »Ich mag's nicht beleidigen mit meinen Fingern, dein feines Häuberl, was sich da verfangen hat. Ist ein kostbares Zeug, dein Nachthäuberl – oder ist's etwa für den Tag bestimmt? Ich hab' dich als ein Mädel, was du bist, noch nie mit einer Hauben gesehen.«
Die Luzi schalt über das törichte Gerede und meinte: »Jetzt ist alles ein, ob's unter deinen rußigen Fingern die Sauberkeit einbüßen soll oder nicht; lang' mir's herauf. Von mir aus hätt's hier oben bleiben können, wo es war. Aber das Wäschklampfl ist locker geworden, das darauf hätt' sitzen sollen, und so ist das lose Ding hervorgeschlupft und hat das Weite gesucht. Bist schier lang gewachsen, Seiz, aber reichst mir's doch nicht mit der bloßen Hand herauf, gelt?«
»Nein, wenn ich auch noch so möcht', so hoch auf langt's nicht, wo du stehst. Du bist mir über. Aber ich will was holen.«
Er kam bald wieder mit einem Schürhaken, über dessen Stiel er das losgelöste Häubchen stülpte und bot es ihr so hinauf.
Sie nahm's an sich und lachte: »Dank schön! Du bist einer von der Leibgarde des heiligen Antoni, der die verlorenen Sachen wiederbringt.« Damit verschwand sie ins Haus.
Und er ging durchs Gatter in die Schmiede; das war ein Pförtlein, das noch von der Festungszeit her der alten Mauer geblieben war. Sein Vater, ein groß gebauter Mann, empfing ihn mit den Worten: »Wo bist denn geblieben? Ich glaub' frei, du trödelst umeinander und meinst damit gescheit zu fahren. Aber ich sag dir's: arbeiten muß der Mensch!«
Und er schwang den Hammer und schlug das stöhnende Eisen, das seine Funken wie ein Glutregen aussprühte.
»Ich hab' dem Gärtner ein wenig Holzaschen zum Düngen gebracht, weil er's begehrt hat. Habt's was dagegen, Vater?«
»Nicht ich. Aber hast lang gebraucht dazu. Na, meinetwegen! Greif nur wieder zu, und alles ist recht, nichts ist gefehlt.«
Da ergriff auch Seiz seinen Hammer, und die Schmiede erdröhnte unter den wuchtigen Schlägen des starken Meisters und des Sohnes, seines Gesellen.
Sie hatten ein schadhaftes Pflugeisen zu bearbeiten, das unter ihren Hämmern ächzte.
»Siehst es,« sagte der Schmied, »das geht ganz anders zu als bei einem Buben. Der wird, wenn er übel tut, leicht krank geschlagen, und das Sech da wird, je länger wir es martern, desto gesunder.«
Der wie ein Tannenbaum gerade Bursche erwiderte auf die Anspielung gar nichts. Sein Ohr erfreute sich am Klang der Hämmer, und sein Auge sah den Amboß darunter erzittern. Aber mitten im Gedröhne meinte er eine Stimme jauchzen zu hören, so hell und silbern wie eine Lerche, die sich zum Himmel aufschwingt; und das Mädchen war fern, das so singen konnte.
Sie ergriffen das geschmeidigte Eisen mit großen Zangen und steckten es ins Kühlfaß, wobei es jämmerlich zu zischen anfing, wie ein Geschöpf, das aus der Wüste Sahara plötzlich an den Nordpol versetzt wird, und schwitzte noch rasch aus allen Poren dichten Rauch aus. Dazu konnte der Meister reden, da ihm der Atem wieder gekommen war, und er tat es ungesäumt. Seinen Gesellen Seiz betrachtete er als einen, der sich noch nicht den rechten Verstand gekauft hatte; er vergaß darüber schier, daß er ihm als seinem Sohn etwas vom eigenen hätte abgeben können, wenn er wirklich so viel davon besaß, als er meinte. Er war gewohnt, ihn als Knaben zu betrachten, und daran hinderte ihn auch der Wuchs nicht, in welchem Seiz vor ihm stand. Denn er hätte leiblich nicht über den Kopf des Sohnes hinwegblicken können, auch wenn er sich noch so auf den Zehen gereckt hätte; vermeinte jedoch, wie über einen unmündigen Buben, es geistig zu tun.
Vor allem hielt er ihn für einen Trichter, in den man Reden eingießen konnte, so viel ihm, dem Alten, zu Gebote standen. Seiz war der geduldigste Zuhörer seines Meisters; und in dessen Kopfe rieselte es nur so von Worten, die manchmal mit Gedanken belastet, wie die Ameisen mit einem Körnchen, manchmal ohne solches, einherliefen. Aber im ganzen war der Schmied zeitlebens nicht auf den Kopf gefallen, obgleich er manchmal spät abends mit einem Rausche heimkehrte, der ihm die Beine abspenstig machte.
Jetzt fiel sein Blick auf ein altes Hufeisen, das an der verräucherten Mauer hing, und er lachte: »Du wirst gewiß nie ein Zauberer werden, Gesell, gelt?«
»Nein,« erwiderte dieser; »was es nicht gibt, das kann einer nicht werden.«
»Du verstehst es! Wenn du nicht schon mein Gesell wärst, so möcht' ich dir Tepp sagen. Aber so laß ich's ungeschehen. Siehst, das Hufeisen, wie's da mit einem Ringel am Nagel hängt, ist verzaubert.«
»Ich glaub's schon, wenn Ihr's sagt, Vater; aber einem andern tät ich's nicht glauben, wenn er mir drei neue Kreuzer für meinen guten Willen versprechen möcht'.«
Jetzt ließ der Alte die Arbeit stehen, stemmte beide Hände hinter dem Schurzfell in die Hüften und sprach: »Los' einmal, wie ich zu reden anheb' und mach' deine Ohren recht weit auf, daß der Verstand auch noch darin Platz hat, zu hören.
Die Zeit, wo das Hufeisen daher gekommen ist, weiß ich nimmer. Es hängt so lang da, als sich mein Vater oder der seinige und noch dem seiner entsinnen konnten. Aber einmal vor vielen Jahren hat's einen Kuntzinger gegeben, vielleicht hat er gar Sepp geheißen wie ich, der aus dem Bayerland eingewandert ist als unser Vorfahr mit dem Ranzel auf dem Rücken. Und der hat mehr können als Kirschen essen und ein Gesicht machen, wie etwa das deinige ist, Gesell, das dir auch niemand abkaufen wird, der ein gescheiteres hat. Derselbige Kuntzinger ist über eine Einöd' zugewandert, da hat er das Hufeisen gefunden. Aber niemand hat ihm zugerufen: da liegt's, heb's auf! Es hat sich von selber gemeldet, weil er darüber gestolpert ist, und wie er nachschaut, was ihm da im Wege liegt, und sieht es, da hat's ein anderes Gesicht gehabt wie ein gewöhnliches Hufeisen. Und was er früher nicht bemerkt hat, das erscheint ihm jetzt deutlich: es staubt drei Schritt vor ihm, als wenn sich etwas im Luftzug kreiseln tät. Aha, denkt er sich: du bist's! Nimmt sein Taschenfeitl heraus, macht die Klinge auf und wirft es so mitten in den Wirbel. Da hört er etwas schrillen, so wie wenn eine Feil' übers Eisen raspelt, und weg war der Kreisel; nur ein paar versprengte Blutstropfen sind auf dem Boden gelegen. Da nimmt er ruhig das Hufeisen zu sich, das wieder wie ein gewöhnliches ausgeschaut hat, steckt's in den Ranzen und wandert seinen Weg fürbaß. In der Stadt ist er zu einem Schmied eingestanden – und als einer von tüchtigem Handwerk gut und ehrlich aufgenommen worden. Das Hufeisen hat er aber immer wohl verwahrt, weil er gewußt hat, daß es von Silber sei; was aber niemand gekannt hat, als er selbst. Denn das Ding hat von außen immer geschienen, als wär's von Eisen. Und jetzt ist ihm alles gut angeschlagen, was er immer angehoben hat, und das Gedeihen ist in dem silbernen Hufeisen gelegen. Er war fleißig und arbeitsam, ist als Meister in unserer Stadt ansässig geworden, hat geheiratet und ist zu Vermögen und Ansehen gekommen. Und er hat das Haus, wo wir sitzen, vor vielleicht zweihundert Jahren gebaut, samt der Schmieden und das zauberische Eisen als Haussegen an die Mauer gehängt. – Jetzt was sagst zu der Geschicht', Bub? Weil ich dir sie heut erzählt hab', kannst in den Schuhen eines Mannes stehn, wenn du willst. –«
Seiz antwortete mit ruhigem Gesichte: »Ich mein' halt, wenn Sie das Hufeisen zum Goldschmied tragen, so wird er Ihnen für das Silber, das darin steckt, nichts geben wollen.«
»Bub, fang deinen Verstand ein, der sich außen herumtreibt, aber nicht bei dir daheim ist, wo er hingehört. – Wenn die Leut' es mit ihren Augen als silbernes Hufeisen erkennten, so wär' es ja kein Zauberding. Für einen jeden bleibt es Eisen; wir zwei aber wissen jetzt, daß es Silber ist.«
»Laßt's mich aus, Vater! Sie wissen's; aber nicht ich.«
»Was, du weißt es etwa nicht, wo ich dir's gerad' jetzt vermeldet hab'?«
»Ich mag's Ihnen ja glauben, wenn ich mir einen rechten Rand nehm'; aber wissen tue ich's nicht.«
»Jetzt schau einer daher! Was du glaubst, wirst wohl auch wissen –?«
»Es sollt' sein; aber wenn meine Augen von irgendwo abgesperrt sind, so werden's leicht sagen: wir wissen nichts, weil wir nichts sehen.«
»Ja, meinst du, der Vorfahr, der sich als Armer niedergelegt und als ein Reicher aufgestanden ist, hätte das ohne die silberne Kraft, die im Hufeisen steckt, zuwegen gebracht?«
»Ich weiß nicht. Aber vielleicht war er fleißig, hat brav gewirtschaftet, und das war die silberne Kraft, mit der er in Wohlstand gekommen ist.«
»Bub, du mußt früh aufstehen, wenn du den ersten Hahnkrat hören willst, aber noch früher, wenn du dein Licht vor mir willst leuchten lassen. Ich kenn' das – spielst dich auf den Gescheiten hinaus als ein Junger, der du bist und meinst: der Vater hat noch den alten Aberglauben im Kopf. Aber was ich von meinem Vater gehört hab', das war mir immer heilig, und ebenso hat's der mit dem seinigen gehalten. Du aber meinst jetzt klüger zu sein als wir beide, und dabei bist du grüner geraten, als jedes von uns in deinen Jahren war. Denn mein Vater war ein gescheiter Mensch, und der deinige darf sich auch sehen lassen; was ich von dir nicht sagen kann. Das Hufeisen da, vermeld' ich dir, ist das Heiligtum des Hauses, und wenn du's nicht werthalten wirst, so kann das Dach über deinem Kopf zusammenfallen, und du hast nicht bewahrt, was deine Vorfahren gebaut haben, sondern niedergerissen. Verstehst es jetzt?«
»Wohl, wohl; aber laßt's gut sein, Vater. Ich füg' mich und nehm' Euern Willen als den meinen an.«
Der Alte rief: »In die Pfleg', was?« Er brummte noch manches in den Bart, der ihm dicht und grau die faltigen Wangen bedeckte, ließ aber Seiz allmählich in Frieden bestehen; zudem auch der zweite Geselle von einer auswärtigen Besorgung zurückgekehrt war und das Zwiegespräch hemmte.
So verlief der Tag günstig für Seiz, und er konnte seinen Feierabend machen, ohne weiter über die unebenen Reden des Vaters zu stolpern. Er tat seine Pflicht gerne und war bei der Mutter wohlgelitten; auch sein Schwesterlein gab ihm gerne helle Blicke und freute sich des großen guten Bruders.
Nur der Alte hatte stets etwas an ihm zu mäkeln und ließ, wenn es darauf ankam, fünfe nicht ungerade sein, um sich als der Stärkere zu erweisen.
Jetzt aber nahm er nach dem gemeinschaftlichen Abendmahle seinen Weg in die nächste Gasse und in ein Haus, das ein gar unschuldiges Tier im Schilde trug, nämlich: ein weißes Lamm. Die Gäste kehrten auch oft lammsfromm ein, um den guten Untersteirer, der in der Stube geschenkt wurde, nach Gebühr zu ehren. Aber wenn sie sich an dem klaren Weine sattsam gelabt hatten und dessen Stärke ihre Schwäche hervorrief, schritten sie nicht mehr als Lämmer durch das gastliche Tor in später Nacht heimwärts, sondern als ganz andere Tiere. Und der Meister Schmied mochte sich gerne in der Wirtsstube von der Tagesarbeit bei der Feueresse erkühlen; was ihm schwerlich gelang, denn der Wein heizte ihm erst recht ein. Es barg zwar der Keller seines Hauses auch Fässer, die mit guter Auslese gefüllt waren; aber in Gesellschaft trank sich's besser, und wenn er sich gleichen Köpfen gesellen wollte, so konnten es nicht die der Hausgenossen daheim sein; denen war er über.
So stand Seiz am Abend seiner Vormundschaft ledig und fühlte sich damit als freier Geselle; was ihm während der Werkzeit oft sauer gemacht wurde. Er konnte der linden Sommerluft genießen, mit der Mutter ein trauliches Gespräch führen und dann seine Dachkammer zu wohlverdienter Ruhe aufsuchen; und er tat auch all dies nach der Reihe. Aus seiner hohen Kammer ging das Fenster in den Garten hinaus, der sandte ihm seine Wohlgerüche freigebig herein, was Seiz dankbar annahm; und er lehnte am späten Abend noch gerne am Simse, um in das Meer von Zweigen zu blicken, das vor ihm dunkelte.
Es gab auch zuweilen ein Zwiegespräch, in das er als dritte Stimme von oben einfallen konnte, was er aber selten tat. Denn auf den kleinen Altanen der zwei Nachbarhäuser stand hüben und drüben ein Mädchen, und die plauderten miteinander unverfängliches Zeug, was jeder hören konnte, auch der oben in der Dachstube. Das eine Mädchen war seine Schwester Nettel und das andere die Luzi. Sie brauchten die Stimmen gar nicht sehr zu erheben, da sie kein weiter Zwischenraum trennte. Sie konnten miteinander gedämpft reden, und dem Seiz aber war es, als hörte er einen wundersamen Sang, wenn Luzis Stimme leise und doch silberhell zu ihm hinauf tönte. Seine Schwester, die Nettel, konnte dagegen nur zwitschern, was auch nicht übel klang; und so waren es zwei feine Vöglein, die den Sommerabend lebendig machten, weil die anderen bereits in ihren Nestern schliefen. Verstehen konnte er aus dem Gesang der beiden nicht gar viel; aber einmal hörte er doch ein Wort, was ihm wunderlich dünkte, nämlich: himmelblaue Stadt. Aus Luzis Lachen erhob es sich hell eingefaßt wie ein Edelstein in Silber; denn sie war es, die es mit quellender Heiterkeit aussprach. Und die Nettel fragte darauf etwas, was er nicht verstand, da es fast geflüstert wurde. Darauf die Luzi rief: »Tschapperl! Das ist ja nicht was Wirkliches in der Welt. Ich tue mir's nur so denken.«
»Also hast es geträumt?« wisperte es zurück.
»Nein, ich schlaf' so fest, daß ich mir nie von meinen Träumen etwas merk'.«
»Also hast darüber sinniert?«
»Gar nicht. Ein Amering ist geflogen gekommen und hat mir's erzählt.«
»O du Lugenschüppel, wie kann dir das ein Amering erzählt haben, der nur singen, aber nicht reden mag!«
»Wenn ich dir's aber sag'!«
»So glaubt's dir doch niemand auf Gottes Erdboden.«
»Ich glaub's; bin ich der Niemand?« ließ sich jetzt die Stimme des Seiz mit tiefem Gedröhne von oben vernehmen; worauf die Nettel erschreckt mit »Jesus Maria!« aufkreischte und die Luzi hinaufblickte und sprach: »Du brauchst mir's nicht zu glauben, weil du eh nichts weißt. Und jetzt, gute Nacht, Nettel! Es ist ja nur dein Bruder, der Seiz, der gehorcht hat, kein anderer.«
So schieden die beiden Mägdlein, und auch der Seiz suchte sein Lager auf, da er etwas erlauscht, was die Goldamsel der Luzi zugetragen hatte; nur wußte er nicht was.
Sein Schwesterlein, das er bei Gelegenheit befragte, konnte ihm darüber auch keine Auskunft geben. Die Luzi habe etwas von einer wundersamen Stadt geredet, in die sie gern hineinkommen möchte. Die Dächer haben Ziegel aus blauem, feinem Stein, in denen sich der Himmel am liebsten als in einem etwas ihm Ähnlichen bespiegelte; und so geht von weitem ein himmelblauer Glanz von der Stadt aus. Wo sie liege, das habe ihr die Luzi nicht gesagt. Sie bildet sich vielleicht nur ein, daß es eine solche Stadt gebe. Ein Spaß ist ihr gerade recht, daß sie ihn packt, wo sie ihn erwischen kann; und wenn man ihr das Lachen abkaufen wollt', so wär' es ihr um alles Gold nicht feil. Es müßt' ihr wohl übel im Leben ergehen, daß sie verlernen tät' heiter zu sein. Wer mit ihr oft zusammen ist, der kann aus ihr immer Frohsinn schöpfen, wie aus einem tiefen Brunnen Wasser.
Mehr erfuhr Seiz nicht, und er dachte doch gerne darüber nach, wo zu jeglichem Worte Luzis, das emporblühte, der Grund lag.
Als sie dann Sonntags gemeinsam einen Spaziergang machten, da wollte er ein bißchen vertrauter werden mit dem, was das Mädchen in seinem inneren Kämmerlein barg.
»Willst mir nicht auch etwas von der schönen Stadt erzählen,« sagte er, »in der du sitzen kannst, so oft es dich freut.«
»O du Gescheiter! Wie kann ich das, wenn ich nie dort war.«
»Vielleicht kommt die Stadt zu dir, wenn du sie rufst, und der Amering bringt sie mit.«
»Im Schnabel?«
»Nein, im Kopf.«
»Ja, wenn er einen so breiten Schädel hätt' wie du, und auch da tät's nicht langen. Weißt, von der Stadt darf ich zu keinem Menschen was sagen, hat mir der Amering geboten, sonst verschwindet sie. Es ist etwas, was mir ganz allein angehört; und eins, dem ich etwas – beileibe nicht alles – anvertrauen will, muß ein kristallklares Gemüt haben, wie deine Schwester, die Nettel.«
»Gelt ja, du hast es?« sagte sie zu ihr, die nebenher ging.
»Freilich,« erwiderte diese.
»Na siehst es! Denn da lacht mir alles, was ich ihr sag', wie ein Bild zu, in das ich mich wieder wie in etwas Eigenes verschauen kann; und ich bin mir nicht fremd geworden. Du aber, Seiz, der den ganzen Tag in der Schmieden vorm Feuer steht, du hast ein rußiges Gemüt, und dir darf ich schon gar nichts von meiner wunderbaren Stadt erzählen, weil du mir sie schwarz machen könntest, und damit tät' sie mir auf immer entschwinden; denn das kann sie nicht vertragen. Verstehst mich jetzt?«
»Wohl,« erwiderte er. »Du hast dich halt selber zu gern, weil du als eine Prinzessin hast wollen zur Welt kommen. Und weil dir das, ich weiß nicht warum, nicht gelungen ist, so hast du dir eine himmelblaue Stadt in die Luft hineingebaut, wo du regieren kannst. Ist es nicht so?«
»Nicht ganz so, wie du meinst, du starker Seiz. Aber für dich ist's genug, daß du so weit gefahren bist.«
»Und wir sind auch so weit gekommen, daß der Ruenkogel vor uns ist, wohin wir hinauf wollen,« ließ sich die Nettel vernehmen.
Die beiden Mütter folgten mit mäßigen Schritten den Kindern, die voraus gingen; und alle stiegen jetzt auf gemächlichem Waldwege den Kogel hinan. Auf einmal blieb die Luzi stehen und sagte zu Seiz: »Geh voraus, wir kommen gleich nach. Ich hab was zu richten.«
Seiz ließ sich's befohlen sein und setzte seinen Weg fort. Über ihm war das Laub dichtverzweigter Buchen, und von allen Seiten brach es mit wundersamem Blau in den grünen Dämmer herein. Alle die himmelblauen Geschöpflein hatten eine andere Färbung im Gesichte, das eine heller, das andere dunkler, und es gab einen blauen Tanz in der Wölbung oben, wo er hinaufblickte, daß ihm ganz wundersam zumute ward. Ein goldener Strahl schnitt manchmal mitten durch die Schar der Tanzenden durch, drängte sie nach links und rechts zur Seite, wo sie zitternd wie vor einem König, in ihrem Blau goldig bestrahlt, schwebten.
Schau, dachte sich der Seiz, das geschieht vielleicht der Luzi zu Ehren und kommt aus ihrer Stadt, und sie ist nicht da.
Da war sie auch schon, und die Nettel trippelte mit ihr. Die sagte: »Willst wissen, was es war, Seiz? In ihren Schuh ist ein Sandkörndl geschlüpft und hat sich dort versteckt. Das haben wir gesucht, gefunden und wieder hinausgeschafft. Dann hab ich mir wollen zum Scherz ihren Schuh anmessen, aber, was sagst? Ich bin um ein Jahr jünger als die Luzi, und mein Fuß ist um ein Jahr größer als der ihrige. So hat halt ihr Schuh zu meinem Fuße gesagt: Wir zwei kommen in unserm Lebtag nicht zusammen.«
»Dazu kann der Seiz gar nichts sagen,« bemerkte Luzi. »Er ist ja ein Schmied; was versteht der von Schuhen?«
»Meinst? Du hast ja freilich ein Paar saubere Schucherl an, und sind neu, wie ich merk'. Aber glaubst es oder nicht? Ich hab' schon so feine Schuh gemacht, wie du sie da trägst, und bestellt sind sie auch bei mir geworden.«
»Ja, du wirst mich anplauschen, Seiz!« lächelte sie. – »Der ist nicht vor die rechte Schmiede gekommen, der von dir Schuh' begehrt hat.«
»Gerade dasselbige hat er getan und zum rechten Schmied ist er gegangen, der von mir Schuh' für sein Rößlein begehrt hat.«
»Ach, will's da hinaus? – Und das ist ja überaus höflich von dir und verständig, Seiz, daß du meinen Fuß und den Huf von einem Pferd für ein und dasselbe Ding zu wissen gibst.«
»Das fiel' mir nicht ein! Ich sag's dir, der Graf läßt sein feines Roß nur von mir beschlagen.«
»Was für ein Graf?«
»Er wohnt in unserer Gassen, drei Häuser weit. Der Graf Monbreit. Kennst ihn nicht?«
»Nein,« sagte die Luzi.
»Ist auch recht. Aber sein Pferd ist so schlank gebaut und hat feine Fesseln und doch biegsam und fest wie eine Stahlfeder, daß du nicht bald ein schöneres findest. Und mich schaut's aus den großen Augen treuherzig an, wenn ich ihm die Schuh' anzulegen hab', als wenn es mir sagen wollt': Geh mit mir zart um. Ich bin's nicht anders gewohnt. Und ich fass' es auch so lind an, daß es mich gern hat und die Ohren spitzt, sobald ich zu ihm tret', und mir die Nüstern entgegenstreckt. Das hat der Herr Graf gemerkt und läßt deshalb nur von mir seinem Pferd die Eisen anmessen, von keinem andern.«
»Jetzt hast dich schön heraus geredet, Seiz; aber es hätt' dir noch besser geziemt, wenn du uns Menschenkinder, wie wir Mädel doch sind, nicht mit den Rössern in einen Verschlag gesteckt hättest. Hast etwa nicht schon in der Schul' gelernt, daß wir jedes in eine andere Abteilung gehören?«
So verwies sie es ihm, und Seiz ließ sich die Rüge wohl gefallen. Denn des Mägdleins Augen blitzten dabei schelmisch, daß ein blaues Leuchten von ihnen ausging, wie es auch in der wundersamen Stadt kein schöneres geben konnte. Und jetzt weil sie aufwärts stiegen, bekamen auch die Wänglein einen rosigen Schimmer, der gut dazu stimmte. Sie waren auf dem Rücken des Kogels angekommen, auch die beiden Mütter, die sich Zeit ließen, und mochten sich jetzt an dem Ausblick erfreuen.
Da lag in der blauen Weiten die Welt herrlich aufgetan, und die Berge stiegen zum Himmel empor als die Lieblingskinder der Erde. Sie waren aber nicht gleich gewachsen, sondern eins immer höher als das andere. Das gab ein stolzes Geschlecht, an dem die Mutter Erde ihre Freude hatte. Und schier keine anderen Berge hatten den Waldwuchs wie diese und waren über und über in ihre schwergrünen Janker gehüllt, daß nur hier und da ein Felsköpflein herausschaute. In der Ferne hatten sie die Waldfarbe verloren und stiegen als blaue Gebilde in den Äther auf; aber sie waren auch im bläulichen Gewande schön anzusehen wie Edelgeschöpfe, denen die Sonne ihre Heilsbotschaft eher schickt als den anderen Erdenkindern. Das lebendige Wasser, die Mur, strömte durch das Wildoner Bergtor hinaus in die Ferne; aber bevor sie dorthin kam, konnte man sie verfolgen, wie sie in silbernen Windungen durch die Aue und zwischen den dunkellaubigen Schachen zog.
Herwärts lagen die Häuser der Stadt ausgestreut, als hätte ein riesiger Gärtner Perlensamen gesäet, und der wäre jetzt als braunrote, graue, violette Perlen aufgegangen. Doch alle Häuser bildeten ein Ganzes wie eine wundersame Stickerei auf graugrünem Grunde; und die umliegenden Hügel warfen mit ihren weißen Landhäusern den Glanz der Stadt zurück, die sich um den Schloßberg als um ihren Führer scharte. Es war ein Bild aus Luft und Licht gewoben, in welchem tausend Einzelheiten hell und schattig ineinander flossen und sich in die jedem zukommende eigene Farbe kleideten. Und in dem Ganzen lebte etwas, das Schönheit heißt. Was im Menschenauge und Menschenherzen als bewußte Sehnsucht nach der Schönheit liegt, wie nach dem Gottesodem der Welt, das wurde von dem Geiste genährt, der auf dem Murfelde in dem lieblichen Stadtbilde lag.
Das fühlten auch, die oben auf dem Rücken des Kogels standen, besonders die Luzi; und sie dachte sich: meine himmelblaue Stadt kann nicht leicht schöner sein, als die da vor mir liegt. Doch ist sie nicht die rechte; denn die meinige ist in die Luft hinein gebaut, und die liegt fest auf dem Erdboden hingestreckt vom Gösting schier bis Puntigam.
Sie stiegen dann in ein Gasthaus ab, in dessen Garten sie sich unter Bäumen wohlig zu Tische setzten und einen Imbiß verzehrten. Die beiden Mütter vertrugen sich im Gespräche miteinander; Luzis ihre war die Witwe eines kleinen Beamten, und die Schmiedfrau war gegen sie wohlhabend zu nennen. Auch die Jugend, die von den drei Kindern dargestellt wurde, ließ die Rede nicht einsickern, sondern vom Herzen erquellen, wie sie mochte. Die Luzi hatte aber auf die Dauer am Sitzen keine Freude, sondern wollte ihre Füßlein tummeln, und sie schlug eine kleine Bewegung vor. Die wurde von den beiden andern angenommen, wogegen die Mütter das ihrige geleistet hatten und es vorzogen, am Tische zu bleiben.
Die drei zogen wieder aufwärts, bis sie an einen Vorsprung des Berges kamen, wo es steil in die Tiefe ging, so daß es den Kopf schier schwindelte, der da hinabsah. Unten rauschte die Mur, und der weiße Gischt ihrer Wellen glitzerte herauf. Es war ein kurzer Weg von da oben zu ihr hinab zu kommen, wenn eins die Luft als Straße benutzen wollte. Die drei standen am Hange, den ein leichtes Geländer gegen die Tiefe schloß und blickten hinab, als Luzi sagte:
»Das ist die Stelle, wo vor Zeiten die Anna von Gösting in den Tod gesprungen ist.«
»Gib nur acht, daß dein Hut nicht auch da hinabfliegt,« mahnte die Nettel. »Halt ihn fest, sonst nimmt ihn der Wind mit sich, denn er geht jetzt gerade frisch.«
»Meinen Hut!« rief Luzi ängstlich und faßte ihn mit der Hand; – und eh' sie es sich versah, hatte sie ihn vom Kopf genommen und hinabgeworfen.
»O weh!« schalt die Nettel, »was hast getan?«
Luzi erschrak nun über sich selbst. »Mein neuer Strohhut!« klagte sie und ward bleich.
»Ja, was ist dir eben eingefallen?« rief Seiz.
»Mich hat plötzlich ein Schwindel gepackt, wie ich abwärts schau, und um nicht selber hinunterzufallen, hab' ich müssen den Hut statt meiner hinabwerfen,« seufzte sie.
»Er hat sich noch an einem Strauch erfangen,« meinte Seiz, der die Blicke auf Kundschaft ausgeschickt hatte, »und ist nicht in die Mur gefallen. Ich hol' dir ihn.«
»Wie kannst das?« staunte Luzi, und die Nettel bat: »Nicht, nicht! Es könnt' dir leicht was zustoßen.«
Aber Seiz war schon unter der Brüstung weg den Hang hinabgeklettert und kam glücklich bei dem Strohhütlein an, das sich mit seinen Bändern an einen Hagedorn geklammert hatte, faßte das Ding und stieg mit ihm wieder herauf. Er erwies sich dabei gewandt und tüchtig, so daß er ohne Fährlichkeit mit dem geretteten Gute oben ankam und es Luzi übergab. War diese vorher bleich über den selbstverschuldeten Verlust, so wurde sie jetzt vor Freude rosenrot, als sie ihr Hütlein wieder empfing, und sie dankte dem Seiz holdselig für den Dienst.
»Das ist schon das zweitemal, daß du ein Retter bist. Aber wo hast denn das Kraxeln gelernt?« fragte sie lächelnd. »Etwa auf dem Blasbalg in der Schmieden?«
»Nein, das hab' ich oben in Murau gelernt, wo ich als Gesell eingestanden bin, als ein ganz junger. Dort hab' ich das Handwerk und die Berg' gegrüßt, die droben noch weiter von der flachen Erden abstehen als die hiesigen.«
Sie entfernten sich von dem Abgrund und saßen auf einer sicheren Stelle auf ein Bänklein nieder, das dort des schönen Ausblicks wegen angebracht war, und die Nettel hub an zu fragen: »Wie war denn das mit der Anna von Gösting, die du vorhin genannt hast? Möchtst es nicht erzählen? Du kannst es ja. Ich hör' dir immer gern zu. Du auch, Seiz, gelt?«
»O gewiß!« sagte dieser und dachte sich: sie braucht nur zu reden, so ist's schon, wie wenn eine feine Glocke singt.
Die Luzi ließ sich noch ein wenig bitten; denn sie hatte vorhin vor Schreck den Atem verloren. Der war ihr aber schon wieder gekommen, und sie fühlte sich wohlig in ihrem jungen Leib wie ein Frühlingsgeschöpf. Also willfahrte sie den beiden anderen und begann zu erzählen:
»Vor Zeiten ist's gewesen, da hat's ein heimlich Volk gegeben, das drüben im Wald gehaust hat und die frommen Leut', die nach Straßengel in die Kirchen gegangen sind, gern zu Schaden gebracht hat. Das Volk war schwarz, hat meistens in einer Berghöhlen gewohnt, die es sich wie eine Burg von außen bewahrt hat, so daß niemand hat leicht hineinkommen mögen. Und ist die Ungebühr, die sie den Leuten angetan, gar greulich gewesen, so daß diese auf Abwehr gedacht haben; aber es ist nichts damit geholfen gewesen. Denn obgleich das Volk klein gebaut war, so hat's doch einen bösen, scharfen Blick gehabt, dem niemand widerstehen konnt'; und mit dem hat's den weit stärkeren Mann auf die Stelle gebannt, so daß niemand sich getraut hat, etwas wider das Volk anzuheben. Und hat schon der Unfug desselbigen zum Himmel geschrien; bis die Leut' die Abhilf gesucht haben bei einem frommen Einsiedler, der nicht weit von der Kirchen gehaust hat. Der war auch der geistliche Vater von der schönsten Jungfrau im Lande, der Anna von Gösting; denn die ausnehmend reiche Burg ihres Vaters ist auf der andern Seite des Berges gestanden. Zu dem Einsiedler sind jetzt die Leut' gekommen, und der hat sich geschwind ausgekannt und hat sich an einen starken Ritter gewendet, von dem er gewußt hat, daß er vor dem bösen Volk bestehen konnt'.
Dieser hat Herr Wigbrecht geheißen und waren ihm so helle glänzende Augen zu eigen, daß ihm der böse Blick des schwarzen Volkes nichts anhaben konnt'. Freilich hat er müssen einmal im Monat am frühen Morgen nach dem Neumond sich die Augen unter Kreuzeszeichen mit Weihwasser netzen, um die Kraft zu bewahren,' sonst wär' sie ihm verloren gegangen und sogar minder geworden, als bei anderen Menschen. Diesen hat jetzt der Einsiedel zu sich rufen lassen, und war gerade sein Beichtkind, die wunderschöne Anna von Gösting, in der Klausnerei beim Gebet; und wie sie aufgestanden ist und beide sich gesehen haben, sie und der Wigbrecht, so ist die Liebe in ihnen erwacht, so daß eins nicht um das Leben vom andern hätt' lassen mögen.
Der Einsiedel hat den Herrn Wigbrecht angerufen, die Sache gegen das schwarze Volk zu Ende zu führen, und der hat auch den Weg angetreten. Wie er zum Tor der Höhlenburg kommt, wo die Unterirdischen gehaust haben und anpocht, öffnet sich dasselbige, und einer steht vor ihm, von dessen Blicken das stechende Verderben ausgeht. Er hätte jeden damit in Stein verwandelt, nur den guten Ritter Wigbrecht nicht, der mit seinen sonnenhellen Augen der bösen Finsternis standhält, bis sie sich selbst zunichte macht und wie in Nebel auflöst und verschwindet. Früher hat's aber noch einen grauslichen Schrei durch die ganze Burg gegeben. Dann hat sich das Tor von selbst geschlossen, und Wigbrecht hat das Kreuzeszeichen darauf geheftet und damit die frommen Leute vor dem Treiben des bösen Volks gefeit. Denn das konnt' jetzt nicht mehr durch das Tor hinaus, sondern nur durch ein anderes, das weit abgelegen von der Gegend war.
So ist die Sache für jetzt zu einem guten Ende gekommen, und alle haben dem starken Ritter Wigbrecht gedankt, auch der Einsiedel und sein Beichtkind, die schöne Anna von Gösting. Ihr Vater hat sie aber um diese Zeit schon einem mächtigen Herrn zur Ehe versprochen; und als die Anna ihn gebeten hat, er möge sie um ihres Lebens willen, das nicht anders erhalten bleiben könne, dem Ritter Wigbrecht vermählen, so hat er ihr geantwortet: Liebe Tochter, das mag nicht sein, weil ich dich bereits versprochen hab', und zwar dem mächtigen Herrn Ilbo. Aber wenn zwei gute Männer um eines edlen Vaters Kind freien, so kann nach Recht und Sitte der Zweikampf entscheiden, wem sie als Sieger bestimmt ist; und solchen Zweikampf will ich den beiden Herren setzen und dir damit, liebe Tochter, also höchst zugunsten sein, wie ich's vermag.
Der starke Ritter Wigbrecht hat auch die Art der Entscheidung gerne gelten lassen, nicht aber so Herr Ilbo, der überaus mißmutig und widerwillig diese Wendung betrachtet hat. Er wurde jedoch durch einen Mann getröstet, der sich auf seiner Burg einfand und ihm zusprach, den Kampf hoffnungsvoll zu bestehen; denn er verheiße ihm den Sieg. Nur müsse er die Zeit dafür auf jenen Morgen festsetzen lassen, der auf die Nacht des Neumondes folgt. Dies konnte Herr Ilbo leicht bewerkstelligen, daß ihm der Fürgang überlassen wurde, und der kleine, dunkle Gast schied zufrieden aus der Burg.
Es war an dem Herbsttage, an welchem der Zweikampf vor sich gehen sollte, ein Reif gefallen; und es war bei Morgenanbruch, da wollte Ritter Wigbrecht in die Burgkapelle treten, um, wie es seine Art war, die Augen mit dem Wasser aus dem Weihkessel zu netzen. Wie er aber jetzt mit dem Fuß auf die Schwelle tritt, hört er einen Klageschrei; er sieht sich um und bemerkt einen steinalten Mann, der auf dem abschüssigen Boden ausgeglitten ist und sich nimmer erheben kann. Da regt sich in ihm das mitleidige Herz und mahnt ihn, dem greisen Manne beizustehen. So geht er zu ihm hin, hebt ihn mit tröstlichen Worten auf, trägt ihn unter Dach in eine Stube und übergibt ihn dort der Pflege.
Wie er wieder hinauskommt, da heben die Trompeten im Lindgarten zu schmettern an, rufen zum Zweikampf einmal, zweimal und ehe noch Wigbrecht die Kapelle erreichen konnte, zum drittenmal. Also mußte er den Kampfplatz betreten, ohne die heilige Handlung mit dem Weihwasser erfüllt zu haben, an die sein siegreiches Augenlicht gebunden war. Und ein fremder Grieswärtel war da, der hat ihn angesehen mit einem furchtbaren Blick, der ihm durch die Stirne das Leben versehrt hat. Und in dem Zweikampf hat er sich wie ein Blinder vor Herrn Ilbo seines Lebens nicht erwehren können, und der hat ihn mit Leichtigkeit überwältigt. Also hat der starke Held durch feindliche Arglist den Tod von einem weit geringeren Mann erlitten. Und Anna von Gösting, die den felsenfesten Glauben gefaßt hat, daß der Ritter Wigbrecht siegen müsse und sich darin doch im Irrtum befunden, hat das nicht verwinden können. Mit dem so festen und doch versehrten Glauben hat sich ihr das Herz noch einmal dazu geregt, daß es den Leib an den Abgrund geführt hat, wo unten die Mur fließt; damit hat es seinen letzten Willen bekundet und ist, wie der Leib hinab in den Tod stürzte, gebrochen.«
Bis die Geschichte zu Ende ergangen war, fehlte es nicht an Kundgebungen der Teilnahme von Nettel und Seiz, die aufmerksam zugehört hatten. Dann traten sie den Rückweg ins Gasthaus an und begaben sich mit den beiden Müttern auf den Heimweg in die Stadt. Über dem Murfelde lag der goldene Abendduft; und Luzi, die mit den Geschwistern wieder vorausging, begann von ihrer himmelblauen Stadt zu plaudern. Da brenne jede Lampe mit einem goldenen Flämmchen, so daß, wenn alle angezündet seien, es wie ein Sternenhimmel aus allen Häusern leuchte, die keine anderen Dächer hatten, als nur blaue. Die seien so schön, daß sich der Wunsch und die Sehnsucht nicht daran satt sehen können; und wenn sie von allen goldenen Flämmchen der Stadt bestrahlt werden, erscheinen sie um so wundersamer dunkelblau.
Luzis Mutter hörte nichts davon, sonst hätte sie darüber als über schalkhaftes Gerede gescholten. Sie hörte der Schmiedefrau zu, wie diese von ihrem Hause berichtete, den Mann ohne Lob bestehen ließ, der sich als ein Herr über den Wein dünkte und ihm wie ein Knecht diente. Aber ihrem Sohne Seiz gab sie volles Mutterlob. Sie gelte auch bei ihm so viel, daß er lieber am Sonntag mit ihr ins Grüne wandere als mit den Gesellen, unter denen er ein ungebundenes Leben führen könnte; aber die ehrbare Gesellschaft seiner Mutter stehe ihm vor jeder andern wohl an.
Sie hatte nicht unrecht, die Schmiedefrau, als sie dieses sagte; denn Seiz bewahrte ihr von Kindheit auf die Anhänglichkeit und ehrte sie, wo er konnte. Allein, daß er an Sonntagen gerne mit ihr ging, das hatte auch einen Grund, der von ihr übersehen wurde, nämlich: daß Luzi dabei war. Und ihre Gesellschaft war ihm lieber als die aller Schmiedegesellen der Stadt.
Er bat das Mägdlein auch einmal, als sie wieder ins Grüne zogen, ihm den goldenen Vogel, den Amering, zu zeigen, der ihr so wundersame Nachrichten bringe aus einer Stadt, wo sie allein Prinzessin sei und alle Geister ihr dienten, die ein Federkleid mit Flügeln trugen. Aber sie lachte ihn aus: »Er will dich gar nicht sehen, der Amering; wie sollt' ich dir ihn zeigen! Er ist fein und zierlich; er tät' sich vor dir schrecken.«
»Ja,« sagte er, »am Ende seid ihr beide, du und der Amering dasselbe Geschöpf.«
»Du möchtest mich gar noch fliegen machen,« lächelte sie; »nein, so weit sind wir noch nicht. Ich kann gehn und laufen, auch dir davonlaufen, wenn du willst, aber nicht fliegen, wie der Amering.«
»Kannst mir davonlaufen?« fragte er ernsthaft. »Ja, wenn du das zuwege bringst, dann kannst es auch mit jedem Vogel aufnehmen und gleich davonfliegen.«
»Hör' auf, du bist ja schwerfällig, Seiz! Wie willst du mir nachkommen?«
»Es käme nur auf die Probe an.«
»Was gilt die Wette?« fragte sie.
»Alles, was du willst.«
»Dann werde ich die Bedingung stellen, aber für jeden von uns beiden anders. Paß auf! Wir haben nicht mehr weit aufwärts zu steigen auf die Platte. Oben steht eine alte Buche, die soll unser Ziel sein. Und die Bedingung stelle ich so: wenn du verlierst, Seiz, mußt du ein Rosenstöckel, was ich im Topf ziehe, genau vor Sonnenaufgang in der Mur baden, nicht früher und nicht später; sonst wär's gefehlt. Gehst darauf ein?«
»Wohl, das tue ich. Und wenn die Luzi verliert, was dann?«
»Dann zeig' ich dir den Amering, den Boten aus der himmelblauen Stadt. Bist du zufrieden damit?«
»Ja, das bin ich.«
Die Nettel lachte: »Das sind lustige Geschichten, und ich werd' euch einen Schiedsrichter abgeben.«
»Das kannst schon; mußt nur die Augen gut aufmachen, um zu sehen, wie ich voraus bin,« meinte die Luzi.
Als sie auf der Platte angelangt waren und die altstämmige Buche sich eine gute Strecke vor ihnen zeigte, sagte Seiz: »Jetzt kann's angehen. Es ist glatter Rasenboden vor uns, und ich geb' dir noch drei Schritte Vorsprung.«
»Meinetwegen, weil du um so viel länger gewachsen bist als ich. Aber dafür kannst auch an deinem schweren Gewicht tragen, und ich spring' dir voraus.«
Die Nettel zählte eins, zwei drei, und der Wettlauf begann.
Die Luzi flog nur so über den Boden dahin, aber der Seiz lief ihr in wilden Sätzen nach. Sie fühlte plötzlich seinen Atem an ihrem Nacken und seufzte: »O weh!« Das machte ihn so verdutzt, daß er seinen Lauf mäßigte, und da war sie ihm schon voraus und hinter der Buche angelangt. Er setzte ihr nun mächtig nach, erreichte sie jedoch zu spät; aber, gedeckt vom Stamm der Buche ergriff er in plötzlichem Drange die Mädchengestalt, hob sie leicht wie eine Zeder auf, um sie zu küssen. Sie wand sich in seinen Armen und hatte den Kopf rasch abgewendet, so daß er ihren Mund, den er suchte, nicht finden konnte und nur ihre Wangen mit den Lippen streifte. Sie prustete, schüttelte sich, stieß mit beiden Händen gegen seine Brust, so daß sich seine Arme um ihren Leib lockerten. Und da glitt sie rasch herab, stand wieder mit beiden Füßen auf dem Boden und sagte: »Ich habe gewonnen! – Aber daß du mir das nicht noch einmal tust, sonst sind wir geschiedene Leut!«
»Wir sind ja noch gar nicht verbunden gewesen,« lachte er. »Wir könnten uns aber leicht in deiner himmelblauen Stadt zusammenfinden.«
»Wird nicht geschehen. Du möchtest mir den Boden mit deinen großen Füßen zusammentreten.«
»Aber wenn ich dich gern hab', Luzi!«
»Meinetwegen kannst es, wenn du nur nicht von mir das gleiche verlangst.«
»Gerad' das tat mich gelüsten.«
»Wird dir schon vergehen, wenn du mit deinem Ja ein Nein einkaufst. Du bist mir zu ungeschlacht.«
»O, ich kann mich auch fein machen dir zulieb.«
»Mir zulieb wohl; aber dir zulieb wirst immer grob bleiben.«
Inzwischen kam die Nettel heran und erklärte: »Die Luzi hat gewonnen; aber der Seiz war dir schon so nahe an den Fersen, daß ich gemeint hab', er überholt dich. Dann hat er wieder nachgelassen, und du bist ihm vorausgekommen.«
Als das Ereignis des Sieges sattsam besprochen war, kehrten sie an den Rand des Berges zurück, um nach den beiden Müttern zu sehen, die noch tief unten langsam heraufstiegen.
Weiter draußen lag die Stadt im Grünen und war mit einem bläulichen Schleier bedeckt, der ihre anmutigen Glieder duftig ausprägte. Es war eine durchsichtige Farbe, die von der sattdunklen Bläue der umrahmenden Berge sich wundersam abhob. Und alle farbigen Lichter, die in der Tageshelle auf den Dächern spielten, mußten in den blauen Schein tauchen und von seiner Art annehmen. Es war, als wenn die Bläue des Sonnenhimmels sich auf die Stadt herabgesenkt hätte und in ein so feines Licht zerflossen wäre, daß es sich wie ein traumhafter Odem über ihr regte und ihren Leib mit dem Schimmer der Schönheit verklärte. So lag sie, zauberhaft blau umhaucht, tief im Grünen.
»Hört's,« rief der Seiz, der aufmerksam hinabblickte, »am Ende brauchen wir gar nicht weit zu gehen, Luzi, um deine himmelblaue Stadt zu finden. Da unten liegt sie.«
»Was nicht noch!« erwiderte sie. »Du verstehst es. Hast eine Ahnung, wie's in der Welt aussieht? Was wär's für ein Wunder, wenn sie da unten liegen tät! Nein, nein. Ich bin da unten geboren, so gut wie du, Seiz; aber ich bin doch nicht da daheim, wo du's bist. Und willst es wissen? Die himmelblaue Stadt ist mit Gold gepflastert und wenn die Morgensonn' darauf scheint, so gibt es einen Glanz, daß alle tausend Fenster darin in Gold glühen, und kannst ebensogut sagen: eine goldene Stabt. Das ist die unten nicht.«
So sprach sie und lächelte dazu lieblich und schelmisch, wie eine, die ihrer Sache gewiß ist und noch mehr erzählen könnte, ohne zu Rand zu kommen. Und Seiz dachte sich: Ihr steht alles gut an. Und wenn sie sich die Holdseligkeit aus ihrer wunderbaren Stadt geholt hat, dann glaube ich an dieselbige, sie mag himmelblau sein, wie sie will und im Mond liegen, wo eins nicht so leicht hinkommen kann, um sich davon zu vergewissern.
Und er dachte an die Luzi, wenn er in der Schmiede an der Esse stand, den Blasbalg trat und in die knisternde Lohe blickte. Es wehte ihn heiß an, wenn er an sie dachte, und sein Herz sang stürmisch eine unbekannte Weise. Dann war's ihm wieder, als wenn ein Lüftchen sich durch einen Rosenstrauch zwängen müßte und voll schweren Duftes bei ihm anlangte. Denn es hatte zu lange in den Rosen geweilt und war nun eigens zu ihm gekommen und zu keinem andern Menschen, meinte er, um mit ihm von der Luzi zu erzählen, deren Leib ein Geschwister von denen am Strauch war. Und das Rosenstöckel, das er in der Mur baden sollte, gehörte wohl auch zur Sippe, die in der wunderbaren Stadt daheim war.
Er dachte an die Luzi, wenn er am Amboß stand, den schweren Bochselhammer schwang und das Eisen schlug, daß es sich stöhnend wand, Funken sprühte und so die Hitze ausatmete. Wenn der Vater Schmied ihn hart und höhnisch anfuhr, wie es seine Art war, so hörte er eine feine Stimme klingen wie ein silbernes Glöckchen, das ihm unter dem Schelten des Vaters ein seliges Sinnen einläutete. Und der Alte behandelte ihn als Knaben, dessen Verstand um eine Spanne zu kurz geraten war; sogar, wenn er sich des Weines zu sehr übernommen hatte, schrie er: »Die Zwerge waren gute Schmiede, aber du bist ein Zwerg und ein schlechter Schmied.«
Worauf dem Seiz die Galle doch ein wenig überlief, er sich furchtlos zum Vater stellte, den er um einen halben Kopf überragte und sprach: »Größer als Sie bin ich noch immer gewachsen, Vater!«
»Ich red' ja nicht von den Knochen,« erwiderte dieser, »die hat jedes Roß größer als du. Ich sag' von dem, was du verstehst, und darin bist ein Zwerg.«
Trotz dieses argen Geredes blieb Seiz wohlgemut. Er vernahm vieles gar nicht; dafür hörte er es zuweilen aus einem fernen Rosengarten singen, wenn er an die Luzi dachte.
Von dem Stöckel, das er in der Mur baden sollte, ließ er sich von ihr noch erzählen, als sie wieder beisammen waren. Es klang wundersam, was sie sagte, weil sie sich aus ihrer Stadt auch das Licht der Augen geholt hatte, so daß diese wie ein junger Morgenhimmel leuchteten; und das heimliche Lächeln um die roten Lippen, das war wie eine stille Geschichte, die einen köstlichen Sinn barg.
»Also,« sagte sie, »wenn du hören willst, Seiz, muß es mit Verstand sein, so daß alles hübsch im Kopfe Platz hat, was hinein gehen soll.
»In der himmelblauen Stadt ist auch ein Garten, und in dem Garten wächst ein Rosenstrauch, und die Knospen, die daran blühen, nur anzusehen, das gibt einem die Freud' ins Herz. Wenn aber ihre Zeit gekommen, daß eine solche Knospe aufbricht, was allweil wie ein heiliges Wunder geschieht, dann fällt auf den blauen Glanz der Stadt ein Rosenschimmer, der gar herrlich ist, wie die Morgenröt' am Himmel. Und der Geruch, den die Knospen geben, der durchzieht die Luft wie eine Wolke, die niemand sieht, und jedes doch wie etwas Liebes fühlt, als wenn die ganze Erd' im Frühling duften tät'. Der Rosenstrauch wird aber unten im Grund von einem Wasser getränkt, das wundertätig ist und den Menschen die beste Heilkraft gäb', wenn sie darum wüßten. Aber dafür ist gesorgt, daß Leute wie du nicht in die himmelblaue Stadt kommen. Und das Wasser schickt einem Bacherl oder einem Strom, den es lieb hat, unter der Erden heimlich etwas von sich selber als wie eine Herzensgab', und davon gewinnt das andere eine Kraft, die sich nicht offenkundig weist. Aber es liegt ein Heiltum darin, und wo so ein Bach oder Strom durch die Aue zieht, da blüht alles wundersam. Das Grün ist gar kostbar, daraus die Blumen entspringen; die Wurzeln der Bäume werden mit dem Wasser gelabt, und solche blühen reichlicher als anderswo und geben feine Früchte. Die Vogerl singen am liebsten in ihren Zweigen, als wüßten sie etwas von der himmelblauen Stadt, die so schön ist und deren Heilwasser heimlich hergekommen ist, um alles lieb zu machen. Siehst es, so ist etwas davon in die Mur geflossen und deshalb sollst mein Rosenstöckel darin baden, daß es sich an seine Heimat erinnert, denn es stammt von dem dortigen Rosenstrauch.«
»Und wer hat dir's denn gebracht?«
»Wer sonst als der Amering mit dem goldenen Gefieder!«
»Na, Luzi, was du alles erzählen kannst! Wie magst du dir die Märchengeschichten nur so aussinnen!«
»Das wär nicht übel. Erzähl' ich dir Lugengeschichten? Alles lebt wirklich so, wie ich selber leb'.«
»Das glaub' ich, daß du lebst. Und ich hör' dir gern zu, erzähl' du, was du willst. Aber hörst, warum muß ich das Rosenstöckel gerad' vor Sonnenaufgang baden und nicht ehender?«
»Das hat alles seine Art, wenn du es verstehst. Und wenn du in so ein Stöckel hineinschauen könntst, so tätst finden, daß es Adern hat, und in denen fließt ein Sonnenblut. Das hat sie ihm gegeben, wie eine Mutter ihrem Kind, die Sonn'. Ja, wie tät's denn sonst heraustreiben und Knospen ansetzen, die sich zu Rosen wandeln, ohne das Blut! Deshalb braucht's noch immer die Mutter, was ihm die Sonn' ist, damit es lebfrisch bleibt. Und weil aber der ihr Frühlicht das Heiligste ist, und da's zuerst kommt, am meisten Frische gibt, so mußt es so tun, wie ich dir's geheißen hab'; wenn du willst. Denn nöten mag ich dich nicht.«
»Ich will und recht gern,« erwiderte er. »Aber wie komm' ich zu dem Rosenstöckel, daß ich's um dieselbe frühe Morgenzeit in die Mur trag'? Gibst es mir über Nacht zum Aufheben?«
»Nein, gar nicht. Über Nacht darf's nicht außen bleiben. Wir halten was auf eine gute Zucht, ich und mein Blumenstöcke!, und bleiben über Nacht daheim.«
Sie sagte das schalkhaft und lächelte dazu, so daß die Augenwimpern sich zusammenzogen und aus den sonst großen blauen Sternen nur ein schmales Licht herausströmte, das aber dem Seiz genügte, um sich daran zu verbrennen. Denn ihm schlug das Herz hörbar über die Lieblichkeit, die aus ihr sprach, und er fragte mit gepreßter Stimme: »Wie willst es denn machen?«
»Das werd' ich dir sagen. Ich stell' den Topf, worin das Rosenkind als in seinem Betterl ruht, auf den Rand des Balkons, der den Platz dazu gern hergibt. Du kannst durch die Hintertür der Schmieden in den Garten kommen und langst ihn dir herab.«
»Hörst, Luzi, du hast schon einmal gesehen, daß ich nicht so groß gewachsen bin, um bis da hinauf zu reichen, damals, wie dein Häuberl weggeflogen ist.«
»Richtig. Ja, da weiß ich weiter keinen Rat, und müssen wir's stehn lassen.«
»Nein, jetzt geb' ich dir den Einschlag. Ich bring die Feuerleiter aus der Schmieden mit, auf der steig' ich hinauf und hol' mir das Rosenkind samt dem Bett, aber nicht etwa dich, Luzi – nur den Topf mit dem Blumenstöckel.«
»Schau, daß ich dich gleich lass', wo du bist und nichts mit dir red'!«
»Nein, nein, sei wieder gut, Luzi! Es war ja nicht arg gemeint. – Na, so verzeih mir halt, was ich geredet hab'! Und wenn ich mit der Leiter komm', steig ich auch nicht bis in den Himmel, sondern nur so weit, um mit der Hand zum Geländer zu reichen. Na, soll's so geschehen? Wann denn? Morgen?«
Und richtig, mit dem frühesten Morgengrauen war der Seiz im Garten. Dieser lag noch im Schlummer, kaum daß sich die Vöglein im Neste rührten und halbe Laute im Traume sprachen. Der Garten schlummerte wie ein sommerfrischer Leib, der lenzhaften Duft ausatmet. Die Dämmerung hüllte ihn ein und barg seine Schönheit; das Frühlicht aber schob mit leisem Finger die Dunkelheit hinweg und machte die blumigen Glieder sichtbar, so daß deren wundersame Umrisse sich zart wie aus entgleitender Decke hoben.
Und wie die Sterne verblaßten und eine kaum merkliche Röte die Stelle bezeichnete, wo sich das Tor für die nahende Sonne auftun sollte, dachte sich Seiz: ich muß mich beeilen, setzte die Leiter an den Balkon, stieg hinauf und langte nach dem Rosenstöckel, das dort stand. Da ward ihm aber wunderlich zumute. Er spürte etwas wie einen warmen Odem durch dessen Blätter gehen; als wie ein müder Glanz brach es durch die Zweiglein, und in der Nähe des Topfes sah er ein Mädchenantlitz, das mit dem Kinn am Geländer lehnte. Das war verschlafen, und der Traum der Nacht lag darauf; nur die Lippen lachten ihm entgegen, als böten sie ihm ihr köstliches Rot zum Morgengruße. Sie waren geschlossen, so daß keine Stimme durchdrang; aber ihm brauchte es niemand zu heißen: nimm mich! so hatte er schon den lieblichen Mädchenmund heiß und innig geküßt.
Jetzt tönte ein leiser Ruf des Zorns: »Du Dieb! – Und das Stöckel gibst auch wieder her! Ich will von einem solchen, wie du bist, nichts wissen.«
»Sei stad, Luzi,« mahnte er, »sonst weckst die Leut' auf.«
»Ich red' ja nicht laut,« erwiderte sie etwas eingeschüchtert, »und hört mich gewiß niemand außer dir, der's nicht wert ist. Und was ich gesagt hab' – gibst es gleich her!«
»Das darf ich nicht, du liebseliges Dirndl. Ich muß tun, zu was ich mich angestellt hab'. Und den süßen Dank dafür hab' ich mir schon genommen.« Damit stieg er die Leiter hinab und war bald aus dem Hause auf dem Wege zur Mur.
Aus dem Rosenstock stieg eine kaum erschlossene Knospe auf und aus dieser der Duft, den er wie etwas Fremdes, Holdes empfand. Es war, als wenn das junge Rosenkind den geheimen Zauber ausatmete, der in seinem Innern lag, und den Seiz überkam es dabei so, daß ein seliger Mut in ihm erbrauste. Er hatte auch etwas von Luzis junger Seele gespürt, als er ihre Lippen küßte, und es schien ihm, als hätte sich das Maidlein selber in das Rosenkind verwandelt, das er ins Bad tragen sollte. Es geschah ja so viel Wunderbares in der himmelblauen Stadt, warum nicht auch das? Den starken Seiz faßt eine Wirrung an, daß er sich vor dem zarten Blumengeschöpfe ganz schwach fühlte und die Hand ihm zitterte, die es hielt. Aber im Herzen trug er etwas, was schwerer als Eisen war: die Liebe, und er ging wie ein Träumender ans Wasser.
Die Mur strömte noch grau dahin; aber der Himmel hatte sich vom Saum bis zum steigenden Gewölbe mit rotem Licht erfüllt, so daß ein Freudenfeuer die nahende Sonne verkündete. Auch das strömende Wasser erblinkte rosig, als ob es das Bild der Knospe widerspiegeln wollte. Und dann zuckte der erste goldene Strahl durch die Himmelsröte, dem immer andere folgten; doch das Auge, das sie entsendete, war noch nicht sichtbar, bis plötzlich die Mur im Goldschimmer erstrahlte und die Sonne über dem Himmelssaume groß emporstieg. Da badete Seiz das Rosenkind in der Welle und trug es nach verrichtetem Dienste heim. Später am Morgen überbrachte Nettel es der Luzi, und diese fand sich zufrieden in ihrem Eigentum wieder.
Jetzt dachte der Seiz immer daran, daß die Luzi ein Rosenkind aus der wunderbaren Stadt sei und daß sie die Glückseligkeit mitbringe, wohin sie kam. Er hatte etwas davon genossen, aber das ganze Glück, das wie die aufgehende Sonne ihn bescheinen sollte, das blieb ihm fern und verborgen. Sie war ihm gnädig und mochte ihn besser leiden als zuvor; allein in ihrer Freundlichkeit tat sich doch kein Pförtchen auf, durch das er in das Innere gelangen konnte, worin ihre Neigung in einem prächtigen Palaste wohnte. Sie war ein Feenkind und er ein ungeschlachter Bursche voll treuen Sinnes. Wär' ich nur einmal mit ihr in ihrer himmelblauen Stadt gewesen, so käm' ich feiner zurück, dachte er sich. Aber wo liegt sie? Dort, wo ich um meine Seligkeit gern hingelangen möchte und doch nicht kann: in ihrem Herzen.
Und er fragte sie: »Kannst du mich nicht einmal in deine himmelblaue Stadt führen, Luzi, daß ich dort das Meisterrecht erwerb' und zu dir Frau Meisterin sagen darf?«
»Was nicht noch?« lachte sie. »Das kann nimmer geschehen. – Da steht ein Engel vor dem Tor und will dich nicht hineinlassen. Denn du tätst mit den Füßen die Blumen zertreten, die drin wachsen, und die Stadt ist auch wie ein einziger Garten. Alles, was drin lebt, ist leicht wie Luft und doch schwer genug, um sich selbst zu tragen. Der Himmel ist weit aufgetan, weil er auch gern die Blumen sieht, die den ganzen Grund auszieren. Und der Amering fliegt hinauf zur Sonne und ist ihr Gast. Dann kommt er wieder und erzählt, was es dort Schönes gibt und alle hören ihm gern zu, wenn er davon singt. Wie willst denn du in die Stadt kommen, du bist ja nicht von Luft!«
»Du auch nicht, Luzi,« sagte er.
»O, bei mir ist's etwas anders,« sagte sie und machte ein ernsthaftes Gesicht; aber ihren Augen konnte sie nicht gebieten, daß sie nicht ein wenig lachten.
»Mich kann der Amering, der doch ein kleiner Vogel ist, auf den Rücken nehmen und mit mir in die Stadt fliegen. Denn wenn ich an dieselbige denk', so ist mir so leicht zumut, daß ich meine ganze Schwere verlier' und huck' dem Amering auf wie sein eigenes Kind. So war ich schon oft dort bei Sonnenschein und bei Mondlicht. Und war mir immer, als wenn meine Sohlen die Erd' gar nicht berühren täten, wenn ich dort gegangen bin. So haben die Blumen vor mir blühen können, die dort überall beieinander leben, und ich hab' ihnen mit meinem Gewicht nichts zuleid getan. Alles Grobe, das was einen zu Boden zieht, das bleibt uns fern, mir und meiner Stadt. Der Amering hat mir erzählt, das Fliegen wär' das Schönste. Das kann ich freilich nicht, aber dort in der Stadt fliegen meine Gedanken bis zum Himmel hinauf und bringen mir, wenn sie wiederkehren, immer etwas mit, was mich von Herzen freut. Ja, ich bin nicht federleicht, bin nicht von Luft und fliegen kann ich auch nicht; aber daß über meiner Stadt der Himmel liegt, das weiß ich, und das ist mir genug.«
Der Seiz war gewiß nicht einfältig, vielmehr ein anstelliges Mannsbild; aber die Luzi war ihm in der Gescheitheit über. Alles, was sie redete, das kam ernsthaft heraus. Und wenn jemand den Schalk in ihrem blühfrischen Gesichtel gesucht hätte, so hätt' er ihn auch nicht gleich gefunden. Denn derselbe Schalk ist nicht gern auf einem Fleck geblieben, sondern hat bald hier und bald dort aufgeglänzt wie ein Funken. Bald ist er unter dem Munde gesessen, und wenn ihn eins dort gesehen hat, war er schon wieder fort, etwa auf dem Rücken der feinen Nase, oder hat sich in ein Wangengrüberl versteckt, oder ist gar in ein Augenwinkel geschlüpft und hat von dort herausgelacht. Und was die Luzi erzählte, das wurde mit einer feinen Stimme vorgebracht, die auf und ab geklungen hat und sich immer mitverwandeln konnt' in das, was sie gerade gefühlt hat. Das ganze Maidlein hätte der Seiz mit einer Hand aufheben können, und doch konnte sie ihn fest anblicken, daß ihn eine Scheu erfaßte, sie möchte ihm etwas übel nehmen. Und sie war gut gewachsen, genau wie es zu ihrem eigenen Köpfchen gepaßt hat. Der Seiz hat sich schier nimmer auskennen vor Andacht und vor Sehnsucht, und wenn die Luzi über beides lachte, über die Ehrfurcht und die Sehnsucht, so klang es genau, als wenn ihr Amering singen tät.
Die Mutter mußte es auch schon längst merken, wie es mit ihrem Sohne stand; und sie dachte, dazu könnte man ihm wohl verhelfen. Für das Dirndl ist es ja ein Glück, wenn sie in ein wohlhabendes Haus hineinheiratet, wie das unserige ist. Und als sie nach Frauenart einstmals bei Luzis Mutter anklopfte, fand sie auch bald ein freundliches Gehör. Die Witwe des kleinen Beamten konnte nicht anders als den Wunsch hegen, die stattliche Schmiedefrau als Schwägerin zu grüßen. Allein die Luzi selber sagte zu ihrer Mutter, die anfragte, kurz entschlossen: »Ich bin noch zu jung, um an dergleichen zu denken.« Und da galt keine Überredung.
So fing der Seiz Mücken, da er die Lerche nicht haschen konnte. Der alte Schmied fand ihn auch weniger gefügig als sonst, wenn er ihn zu zwacken begann, wie es seine Art war. Seiz war stark männlich geworden, und ließ sich von seinem Vater nichts Ungebührliches gefallen; und nur wenn dieser einen gar zu heißen Kopf hatte vom Schmiedefeuer und vom Wein, mußte Seiz an sich halten um der Sohnespflicht willen, die er nicht verletzen wollte. Es wurde aber mit dem Alten immer ärger, so daß es auch die Mutter zu fühlen bekam, die bisher ihren Rang als Frau ungeschmälert eingenommen hatte. Es setzte ihm nämlich ein zweifelhafter Mensch in den Kopf, daß es für ihn vorteilhafter wäre, sein altergraues Haus gegen ein neues Gebäude in der Vorstadt zu vertauschen, in welchem sich auch leicht eine Schmiede anlegen ließe, und daß er bei diesem Tausche behäbig wie ein kluger Mann fahren würde. »Denn es kommt die Zeit,« sagte er, »wo der botanische Garten hinter deinem Hause verbaut wird, und da muß auch das alte Gemäuer fallen. Die Stadt wird dir etwas dafür anbieten, und ob du willst oder nicht, wirst du es annehmen müssen; wogegen du jetzt ein Mann der freien Wahl bist und einen Scharfblick erweisen kannst, indem du den Sinn nach dem bessern Gute richtest, um es zu erwerben.«
Diesem ausgeheckten Plane stand die Mutter entgegen und wehrte ihn kräftig ab. Ihr lag es daran, den sichern Besitz zu bewahren, vorauszusehen, wohin sie ihre Schritte lenkte und vertrauten Grund unter den Füßen zu haben. Zudem erkannte sie den Planmacher als einen verschmitzten Menschen, der sich die Bruderschaft mit dem Schmiedemeister am Trinktische der Wirtsstube wiedergeholt hatte; denn beide waren einst zusammen in der Schule gewesen und sich später fremd geworden. Je ruhiger sie aber dagegen sprach, desto mehr bestand der Alte auf seinem Kopfe und setzte ihrer klaren Einrede ein zornmütig behauptetes Recht entgegen, der Meister im Hause zu sein.
Alles wurde aufgeregt. Auch Luzi hörte davon und behauptete: der Garten könne gar nicht verbaut werden; denn er sei gefeit als ein Wundergarten, und ein Prinz habe einen geheimen Zauber hineingelegt, der ihn unzerstörbar mache. Und wenn das auch nicht wär' und einer mit so hartem Herzen herkäm', um die alten Bäume und jungen Blumen umzubringen, so würde die Schönheit, die in ihnen liegt, so mächtiglich bitten, daß auch das Herz des härtesten Menschen gerührt sein würde und er von ihnen ablassen möcht'. Und tät' er's nicht, so müßten ihm gewiß alle andern Leut' gram sein, und besonders sie, die Luzi; denn wie sollte der Amering aus der himmelblauen Stadt ihr zufliegen, wenn der Garten nicht wär'! Ja, sie müßte auf und davon in die weite Welt gehen, wenn der Garten nicht mehr am Leben blieb'.
Auch Seizens Mutter meinte, es habe noch eine gute Weile mit dem Verbauen des Gartens; kein Mensch denke daran, die Gottesgabe zu verwüsten, und es sei nur der Planmacher, der die Köpfe mit dieser Mär verwirre, um im Trüben zu fischen. Der Schmiedemeister ließ die Mutter reden, weil er ihr's nicht verwehren wollte, dachte aber bei sich: und wenn sie die Gescheiteste unter den Frauenzimmern wär', so hat sie gegen einen Mann noch immer einen kurzen Verstand. Zu diesem Gedanken heizte er sich mit gutem Weine täglich ein, so daß der Eigendünkel in ihm überaus warm wurde und sich in die bestimmte Äußerung umsetzte: ich bin der Herr, und ich kann machen, was ich will.
So kam er wirklich einmal zur Abendstunde mit dem Planmacher aus der Wirtsstube ins Haus, ließ eigenen Wein aus dem Keller heraufholen, und beide saßen zueinander, um den Tauschvertrag in Schrift zu setzen. Die Mutter erfaßte bei diesem Handel gerechter Zorn, allein der war machtlos und konnte vor dem erhitzten Kopf ihres Eheherrn nichts ausrichten. In der Nachhut des Zorns, der bald wich, kamen die Klagen einher, eine auserwählte Schar; aber auch sie konnten nur vergeblich Sturm laufen wider den harten Schädel des Meisters, der uneinnehmbar blieb. Und dabei sah sie das verschmitzte Lächeln des Planmachers, der alles andächtig anhörte und den Schmied mit erhobenem Weinglase belobte: »So ist's recht! Was wär' das für ein Mann, der sich den Verstand erst vom Weib ausborgen müßt! Da könnt' er gleich als ein Blinder herumgehen und sich von ihr am Stecken führen lassen. Bring' dir's!« Und der Schmied warf sich in die Brust und rief: »Mir kommt keine über!«
In dieser Bedrängnis ging die Mutter hinauf, sich bei ihrem Sohne Rates erholen, der in seinem Dachstüblein weilte und nichts von dem Gerichte wußte, das unten gar gekocht wurde. Sie erzählte ihm eilends, wie weit der Handel schon gediehen sei und klagte: »Rat mir, was soll ich tun! Mit was soll ich mir helfen?«
Auch in Seiz stieg der Zorn auf, als er die Trauer seiner Mutter sah, die er liebreich tröstete. Allein sollte er sich gegen den Vater mit offener Gewalt stellen und ihn noch mehr erbittern? –
Da erschien ihm, wie ein kleines Lichtlein in starker Finsternis, ein Gedanke, und er bat seine Mutter, wieder hinabzugehen und das Ziel der Verhandlung so lange hinaus zu rücken, bis er auf dem Platz erscheine; was bald geschehen werde. Damit eilte er in die Schmiede hinab und die Mutter kehrte zu den Männern zurück, die sich noch nicht vertragen hatten, da jedweder der Urkunde einen andern Bug geben wollte. Allein zum gleichen Ende wollten beide kommen. Sie wartete ängstlich auf das Erscheinen ihres Sohnes; denn sie mochte sich einreden, daß auch dessen Hilfe etwas vermöge; was sie mit ruhiger Erwägung nicht leicht getan hätte. Allein jetzt war ihr jede Handreichung erwünscht, die Heilmittel brachte. Und Seiz kam, hielt ein Ding in der Faust, trat damit keck an den Tisch und fragte: »Vater, was geschieht denn mit dem, wenn wir aus dem Hause ziehen?«
»Das geht halt mit uns, dummer Bub. Wie kommt das daher?«
»Ich weiß nicht; etwa ist's von selber abgefallen; etwa hat's ein andrer fallen lassen. Ich hab's gefunden und trag's her.«
Jetzt meldete sich der Planmacher ungeduldig: »Was habt's denn mit dem alten Hufeisen für ein Gesäus? Schmeiß es zum Gerümpel, wo es hingehört! Wir haben jetzt eine gewichtige Sach' vor uns.«
»Oho,« sagte Seiz, »das silberne Hufeisen ist auch gewichtig.«
»Silbern, daß ich nicht lach'! Mir scheint, da rappelt's irgendwo im Häusel.«
»Silbern ist's,« wiederholte Seiz ruhig.
»Ist das dein Sohn?« wendete sich der andere jetzt an den Vater. »Wo hast ihn denn gekauft? Auf welchem Jahrmarkt sind solche Gogel feil, die ein eisernes Hufeisen silbern heißen?«
»Laß gehn,« sagte der Schmied; »es gilt als Silber, ob's ist oder nicht.«
Da ward der Planmacher springgiftig: »Na, da möcht eins schon aus der Haut fahren. Es gilt als Silber. Seit wann? Seit Erschaffung der Welt? Oder leicht noch ehender?«
»Jetzt hör auf zu spaßen,« mahnte der Schmied.
»Hör du auf, du machst den Spaß, nicht ich. Und wenn ich dabei gewesen wär', als die Mur zum erstenmal durchs Feld geronnen ist, so möcht' ich auch sagen: Jetzt bin ich so alt schon, aber das hab' ich noch nie gehört, daß einer zum alten Eisen: Du Silber! sagt.«
Darauf entgegnete der Schmied unwirsch, der andere ließ seinem Hohn, wie einem flinken Rößlein, die Zügel schießen; und nach kurzem Wortwechsel packte der Hausherr die Schriften zusammen und sagte: »Red' nur fort! Ich geh' schlafen.«
Nun sah der Planmacher ein, daß er bei all seiner Schlauheit töricht gewesen war. Wenn er nur die eigene Rechnung zu Ende gebracht hätte, so verfing es wenig, ob er bei einer andern, die ihn gar nichts anging, fünfe gerad' hätte sein lassen. Aber jetzt war es zu spät. Der Schmied war durch die Tür in seine Schlafstube gegangen, und ihm blieb nichts anderes übrig, als sich mit saurer Miene zu verabschieden.
So hatte Seiz diesmal seinen Mann gestellt, sich als klug erwiesen und Hilfe in der Not gebracht. Denn der Planmacher konnte das Krumme nicht mehr schlichten; er hatte beim Schmied ausgespielt und mit aller Feinheit nichts gewonnen als den Abschied. Der Alte, der die Wirtsstube beharrlich als zweite Heimat in Ehren hielt, kehrte ihm den Rücken zu, wenn er kam, und dankte seiner glatten Rede mit einem mürrischen Worte.
Ja, der Seiz wurde jetzt von der Mutter, der verständigen Frau, als einer angesehen, der mit einem Trumm bei der Hand war, wenn ihr selber der Faden ausging. Und der Luzi gefiel die Geschichte auch, als sie davon hörte, so sehr, daß sie sich von Seiz alles erzählen ließ, was er über die seltsame Herkunft des Hufeisens wußte. Das war ihr etwas Gefundenes. Und als sie hörte, daß es von den Vorfahren wie ein Heiligtum gehalten wurde, an das alle Wohlfahrt des Hauses gebunden war, sagte sie: »Es stammt gewiß auch aus einer wundersamen Stadt her, wie die meine ist.«
»Schau,« sagte Seiz, »da wären wir ja durch dasselbige Hufeisen befreundet. Dann mußt schon, Luzi, mir die Gunst erweisen und mir auch etwas Gutes gönnen; vielleicht dich selber. Das wär' das Beste.«
»Nicht zu früh reden,« erwiderte sie. »Laß mich älter werden. Wer weiß, was dann noch geschieht! Vielleicht rennt mir dann der Verstand davon, und ich nehm' dich statt seiner.«
»Geh! – Freilich bist jung, Luzi; aber das Altwerden brauchst ja nicht, um einem zu gefallen. So wie dich unser Herrgott geschaffen hat, bist du recht. Was willst denn anders sein?«
»Nicht anders,« lachte sie. »Ich bleib' wie ich bin. Aber das verstehst du nicht.«
»Was einer nicht versteht, das mag er noch lernen. Wenn wir zwei gut zusammenhalten, werden wir uns nicht irren; und da kann's nimmer gefehlt sein.«
Jetzt machte sie ihm schalkhafte Augen und sagte: »O, du riesengroßer Seiz, willst du dich zu mir kleinem Menschenkinde herab bücken! Wie soll ich's denn mit dir halten! In deine Hand gehen meine zwei hinein. Und doch, ich will nichts verredet haben. Ich muß nur erst einen um Rat fragen.«
»Wen denn?«
»Meinen Amering. Aber das dauert noch eine Weil'. Er ist gerad' jetzt auswärts in der himmelblauen Stadt. Dort richten sie eine Hochzeit her. Eine Grille und ein Heuschreck werden getraut. Da will er dabei sein und mir erzählen, wie's lustig war. Dann hat er noch manches andere nachzusehen und zu erkunden; weil dort immer etwas Merkwürdiges geschieht, und wenn er seinen Sack mit Neuigkeiten vor mir ausleert, gibt's Sachen darunter, die nirgends wachsen als nur dort. So lang mußt halt warten, bis er wiederkommt.«
»Und bis wann könnt' das etwa sein?«
»Das weiß ich selber nicht. Aber ein bissel lang wird's diesmal schon dauern.«
Und sie lachte ihm so anmutig ins Gesicht, daß er sie an seine Brust gedrückt hätte, wenn sie ihm nicht behend entschlüpft wäre. Aus sicherer Ferne rief sie ihm mit einer spöttischen Bewegung zu: »Ja, Schnecken!«
Jetzt war der Seiz auf einen lieblichen Weg geraten, wo ein holdes Lüftchen wehte und der vielleicht zu einer Pforte führte, wo der Wunsch davor stand und ihn einließ. Und drinnen waren Lenzblumen auf die Diele gestreut. Ja, mit Luzi zu hausen und sie als sein Eheweib zu grüßen, dazu mußte ein Glückspförtlein führen, so schön, daß er noch kein köstlicheres mit Augen ersehen hatte, noch es sich denken konnte. Sie besaß im Blick ihrer Augen, im Lächeln ihres Mundes, im Ton ihrer Rede einen Schatz, von dem sie spenden konnte; und je mehr sie davon gab, desto mehr blieb ihr zu eigen. Wie sie sich an ihrem Leibe trug in Kleidung, Haltung und Gebärde, aus allem floß auf ihn etwas ein, was dem Lenzgeschehen glich und die Sehnsucht in ihm nährte, daß sie wuchs und stark wurde.
Sie aber entschlüpfte dieser Sehnsucht, wie das Wasser durch die Finger rinnt, wenn er sie zu halten vermeinte, und war weit weg, wenn er sie ganz nahe glaubte zu fassen. Sie gab ihm Regen und Sonnenschein und machte ihm das Bild seiner Tage hell und trübe, wie sie wollte. Dabei schien sie im Scherz oder Ernst immer wahrhaft zu sein, sich nicht anders zu geben, als ihr Herz es riet, und bei aller Spiegelfechterei von ihrem festen Wesen nicht zu lassen, in welchem sie sich geborgen fühlte.
»Du möchtest in meine himmelblaue Stadt eine Schmiede hineinbauen,« sagte sie. »Das ist ja etwas Nützliches und hilft zur Wohlhabenheit. Aber wer weiß, ob ich den Ruß und Rauch ertragen kann.«
»Du wirst es schon können, du wirst dich gewöhnen,« erwiderte er. »Und dann was leidet's dich? Meine Mutter hat mir versprochen, dir die Stuben fein zu schmücken, wo du hausen sollst, und du brauchst dein Kleidchen nicht mit Asche zu besudeln, die in der Schmiede daheim ist. Komm ich zu dir, so leg' ich das Schurzfell ab und bin ein Mann, an dem du keinen Rauch schmecken sollst, sondern nur starke Liebe.«
»Danke,« sagte sie und verneigte sich zierlich vor ihm.
Er trug sich jetzt schon feiner und sah und hörte mehr, als er es vorher gewohnt war. Von der Tagesarbeit ging er sonst so gesund zu Bette, daß sein tiefer Schlaf traumlos blieb. Auch jetzt war er weit entfernt davon, krank zu sein; aber er lag nicht mehr gänzlich in den Banden des Schlafes, konnte mitten in der Nacht aufwachen und an etwas denken, was nicht bei ihm war, und träumte lebendige Dinge, über die er sich selbst verwunderte.
So befand er sich einmal, er wußte nicht wie, in einer fremden Gasse. Ein blauer Schein ging von den Häusern aus, so daß sie sich gegenseitig in wundersamem Glanze badeten. Der Himmel schien ganz nahe gerückt und mit den Dächern in eines zu verschwimmen. Aber alles war still und aus den Fenstern blickte kein Menschenbild. Er hörte auch seine Schritte nicht und wunderte sich darüber. Plötzlich dachte er sich: das ist ja Luzis verzauberte Stadt! und freute sich darüber. Ob ich sie wohl finden werde? Sie ist doch hier daheim, aber kein Mensch ist zu sehen, den ich fragen könnt'.
Er ging und ging; und der blaue Schein begleitete ihn, wohin er ging, ob er die eine Gasse verließ oder in die andere einbog. Die Häuser waren überall prächtig wie aus Edelstein gebaut, und überall kam ihm der Glanz entgegen, daß er sich darin wie im Bade eines blauen Sees wohlfühlte. Aber allmählich erwachte Herzleid in ihm, weil er immer eine suchte, suchte und nicht fand. Und er war schon so lange in den Gassen herumgegangen, hatte so viel Schönes gesehen, nur das Schönste nicht, was er suchte.
Da kam er in einen Garten. Der hatte glatte, grüne Wände rechts und links, so daß er wieder wie in einer Gasse ging und von der einen in die andere einbiegen konnte. Und da sah er die Luzi vor sich wandeln; die schien die Füße gar nicht auf den Boden aufzusetzen, so leicht bewegte sie sich. Nun packte ihn eine mächtige Freude beim Genick und stieß ihn vorwärts, daß er nur so hinlief, um die Liebliche zu erreichen.
Sie aber wendete das Köpfchen ein wenig, und als sie ihn erblickte, floh sie vor ihm. Er setzte ihr nach und konnte sie nicht erreichen. Immer ging es aus einer grünen Gasse in die andere, die wollten schier kein Ende nehmen; und immer lief sie zart vor ihm her, und er konnte sie mit aller Kraft nicht erreichen.
Endlich öffnete sich ein freier Raum, der war ganz von rosigem Lichte überglänzt, um das sich das blaue wie eine umgestürzte weite Schale schloß. Dort wuchs ein Strauch, der herrliche Rosen trug, und ein köstlicher Duft entströmte ihm, der konnte nicht in die Ferne entfliehen, weil die blaue Schale ihn zurückhielt. Da pries sich Seiz glücklich, in den Rosengarten gekommen zu sein, wonach alle seine Sehnsucht stand, und vermeinte, die liebliche Mädchengestalt fassen zu können, die nun von dem Strauche gehemmt war und nicht weiter konnte.
Er lief und lief und meinte, ihr schon ganz nahe gekommen zu sein, um die Arme nach ihr auszustrecken und sie an seine Brust zu drücken. Da geschah es plötzlich, daß ein fremder Vogel mit Goldgefieder aus dem Strauch emporflog. Und im Nu verwandelte sich die Luzi in ein Vögelein, das auf dem Rücken des Amerings niedersaß, und dieser entführte sie in die Höhe und Weite, so daß sie seinen Blicken entschwand. Aber um ihn her ward es trüber und trüber, das Rosenlicht verblaßte, der blaue Glanz löste sich in grauen Dunst auf; es ward um ihn dunkel und dunkel, kein Garten blühte, es war nichts Lebendes um ihn her.
Da sah er etwas plötzlich in der Ferne glänzen. Es strahlte wundersam prächtig die himmelblaue Stadt auf, weit, weit von ihm und leuchtete zu ihm her, der einsam im Dunkeln stand. –
Dann erwachte er.
Er staunte über das, was ihm im Schlafe begegnet war, ließ sich's aber nicht anfechten, sondern beruhigte sich bald darüber mit dem Spruche: Träume sind Schäume. Auch ließ ihm die Arbeit nicht zu viel Zeit zum Nachdenken; denn der Vater mochte sich noch viel öfter als vorher vom heißen Schmiedefeuer in der Wirtsstube beim Wein erkühlen, und Seiz mußte um so eifriger mit den Gesellen beim Werke sein.
Einmal brachte ihm des Grafen Stallknecht die feine Stute wieder, die sich nur von Seiz die Eisenschühlein anlegen ließ und von keinem andern. Der Graf selber kam dazu, lobte das Werk und trat in die Schmiede, als hätte er am glosenden Feuer der Esse Gefallen, oder als wollte er einen Schlag mit dem großen Hammer auf den Amboß versuchen. Dasselbe tat er nicht; aber durch das Türlein der schwarzen Hinterwand drang goldiger Sonnenschein und das Grün des Gartens in die dämmerige Schmiede herein. Das gefiel ihm und er ging durch die Tür, um hinauszublicken in den funkelnden Morgen des Gartens. Da hörte er Gesang und blieb stehen. Er fragte Seiz, wessen die Stimme sei, die so hell mit Wohllaut erklinge. Dieser gab ihm ganz stolz darauf Bescheid, als spräche er von eigenem, daß es die Stimme eines jungen Mädchens sei, teilte ihm auch dessen Namen und Stand mit und freute sich überaus, daß Luzis schlichter Gesang dem Grafen so gefiel, der wieder schied, wie er gekommen war.
Arbeit gab es nun in Fülle. Seiz mußte noch einen neuen Gesellen dingen; denn der Vater ließ sich kaum mehr in der Schmiede blicken, war aber darum nicht gesunder, sondern im Gegenteil, der Wein begann sich nur noch mehr als starker Herr zu erweisen, der ihn knechtete und seine ganze Kraft an sich zog, so daß er nur ihm dienen mußte und keinem andern. Das schuf dem Seiz wieder Leid, auch um der Mutter willen, die sich darob grämte.
So kam zu der alten neue Schwere.
Denn obgleich zwischen ihm und der Luzi immer noch ein Wasser geflossen, so hatte doch ein gutes Brücklein darübergeführt, auf dem er sich ihr gemächlich nähern konnte. Jetzt aber war das Brücklein plötzlich wie über Nacht hinweg geschwemmt, und es hatte doch kein Unwetter gegeben; und wenn er mit ihr zusammenkam, so mußte er wie über einen Notsteg zu ihr gelangen. Sprach sie mit ihm, so dachte sie nicht an ihn, sondern sah noch etwas, was er nicht war. Eine ferne Herrlichkeit spiegelte sich zuweilen in ihren Augen, die davon einen wundersam blauen Glanz bekamen.
Und fragte er: »Was hast, Luzi, daß du so schaust?« so antwortete sie: »Weiß ich's denn?«
Die Zeit spann Fäden und wob etwas Fremdes hinein, das zuweilen aufschimmerte und wieder verschwand. Die Glocken läuteten den Tag und die Nacht ein und klangen noch zuweilen mit geheimer Stimme lieblich: es kann alles noch werden. Dann wieder tönte ein rätselhaftes Flüstern durch, in welchem eine verhüllte Klage lag.
Fragte er die Luzi, so gab sie ihm Deutung, die er nicht verstand, einmal kurz abweisend, das andere Mal übermütig lachend, bis er sie treuherzig bat: »Sag doch, was ist's mit dir? Ich kenn' dich gar nicht mehr. Du bist so enterisch, daß es mir schier merkwürdig vorkommt. Deine Augen wandern weg, wenn du da bist, und du schaust dorthin, wohin ich dir nicht folgen kann.«
»Das ist richtig,« erwiderte sie. »Du kannst mir nicht folgen.«
»Und wohin gehst?«
Sie sah ihn mit ernsten Augen an.
»Wohin denn sonst, als in meine Stadt!«
»Aha,« lächelte er. »Dann kommt der Amering und muß dich auf dem Rücken dahin tragen; denn du hast dich in ein kleines Vogerl verwandelt. Gelt? Hast es mir ja selbst so deutlich gesagt, daß mir davon geträumt hat.«
»Meinst? Es mag aber auch anders sein. Der Amering kann sich auch in einen Menschen verwandeln, wenn er will.«
»Freilich, bei dir vermag er alles.«
»Glaubst es nicht? Spöttelst? Das bring' ich auch zuwegen, wenn du's haben willst.«
In ihren Augen leuchtete wieder der Schalk wie ein Vogel mit Goldgefieder auf.
»Soll ich dir den Amering zeigen?«
»Bitt' schön. Hättst es eh bald müssen, wenn ich die Wett' damals gewonnen hätt'. Aber jetzt tust es aus freiem Willen; das ist brav. Und wann soll ich ihn sehen?«
»Morgen vormittag genau um die elfte Stunde geh du aus deiner Schmiede hinaus in den Garten und schau hinüber zu dem Brunnen, wo das Wasser springt. Dort wird er dir erscheinen. Bist zufrieden?«
»Ei ja und wie! – Ob du nicht etwa eine Zauberin bist, Luzi? Lieblich genug bist dazu, um die Leut' zu verhexen. Ich kenn' einen, der ein Liedel davon zu singen wüßt', wenn er nicht so eine hämmerige Stimm' hätt'! Ja, und wenn du erst zu singen anhebst mit deiner Flauten, so ist's einem, als wenn ihm der Zucker im Mund zergehen tät'. So bist halt eine Zauberin, die alles kann, ja auch das: mich glauben machen, daß der Amering sich mir als Mensch zeigen wird.«
»Das wird er,« sagte sie ernsthaft.
Am andern Morgen, genau zur bezeichneten Stunde, trat Seiz in den Garten und blickte nach dem Springbrunnen hin.
Vorerst sah er gar nichts, der Tagesglanz blendete ihn. Dann bemerkte er, wie das Wasser sprang und als glitzernder Strahl niederfiel, den die Sonne mit allen Farben beschenkte, die sie heimlich im Lichte trägt. Er bemerkte die breiten grünen Blätter, die das Wasser bedeckten, und die gelben Blumentöpfe, die sich aus ihnen erhoben. Zartgeflügelte Geschöpfe umschwebten sie, Wasserjungfrauen, die in ihrer Flügelhaut das Regenbogenlicht der Sonne umhertrugen und es den gelben Blumentöpfen nahe zeigten, für die der springende Strahl zu hoch war. Den Brunnen umfaßte ein Reigen von anderen Blumenkindern, die in fester Erde wohnten und fröhlich ins Leben blickten. Sie standen so nahe beieinander, daß sie sich anzufassen schienen, um als lebendiger Kranz den Brunnen rund herum zu säumen. Seiz sah aber nur den einen Halbkreis davon, der andere schwand ihm gerade dort, wo dunkelgrünes Gebüsch sich erhob, um den Hintergrund abzuschließen.
Es war ein trautes Bild der Sonnenherrlichkeit, die sich ihrer Geschöpfe, der Blumen, freut; und das Wasser, das deren mütterliche Pflegerin ist, schmückte sich dazu mit den Farben, die ihm die Sonne gespendet hatte. Das sah Seiz, aber er wollte nichts anderes sehen.
Jetzt fiel ein Schatten auf den kiesigen Weg, der um den Brunnen führte; dann sah er etwas Weißes aufblinken. Dann sah er einen Augenblick gar nichts; und jetzt erkannte er Luzi, die im lichten Sommergewande zierlich einherging, und an ihrer Seite schritt in vornehm dunkler Kleidung hoch und schlank eine männliche Gestalt. Es war jemand, der ihm nicht fremd war: es war der Graf Monbreit.
Sie gingen vorüber und wurden von den Bäumen verdeckt, die sich nahebei erhoben, um ihnen Schatten zu bieten.
Der Seiz war ein erfahrener Mann geworden, der wußte, nach welchen Richtungen die vier Himmelsgegenden liefen; aber aus welcher Richtung ihm die Nachricht kam, wußte er doch nicht. Erst seine Mutter belehrte ihn darüber. Sie hatte von Luzis Mutter ein Körbchen voll Neuigkeiten erhalten, die blühten wie junge Rosen, aber nicht für Seiz. Der Herr Graf habe gesagt, ihre Tochter trage einen Goldschatz in sich, den sie nur auszuprägen brauche, um mit dem Edelgute ihr Leben preisenswert zu führen. Sie solle eine Sängerin werden, die im Dienste der hohen Kunst auf der Bühne alle bezaubern werde, die sie hören. Dazu solle sie bei einer namhaften Meisterin lernen, so lange, bis sich die vollwertige Natur in ihr zur feinen Kunst ausgestaltet habe; was nicht zu lange dauern werde. Zu dem Zwecke sollen beide, Tochter und Mutter, in die Reichsstadt übersiedeln, wo die Meisterin wohnte, und er werde ihnen die Mittel zu ihrem Unterhalt zufließen lassen, bis zur Vollendung der Schule.
Das waren freilich gute Neuigkeiten, aber nicht für Seiz. Die Mutter bemerkte es wohl und bat ihn, er möge es sich nicht so zu Herzen nehmen.
Das ist leicht gesagt, aber schwer getan, wollte er erwidern. Um der Mutter willen jedoch schwieg er.
»Du hättest nie mit ihr an einem Strang ziehen können, wie es im Ehestand notwendig ist,« fügte sie hinzu; »denn sie paßt nicht für dich.«
Wie sollte sie der Sehnsucht nicht passen, die nach ihr rief? Auch das behielt er für sich.
Von der Nettel hörte er noch anderes. Wenn ihr, Luzi, auf der lichtstrahlenden Bühne die Menschen lauschen werden, dann sei sie so gut wie in der himmelblauen Stadt. Diese habe sich in die Bühne verwandelt. Sie sei nicht dieselbe; die Stadt besteht noch immer dort, wo niemand hinkommen könne. Aber in der Verwandlung sei ein Abbild von ihr, mit dem sie, Luzi, sich zufrieden gebe.
Das hörte er alles der Reihe nach und einmal auch, daß der Tag der Abreise bestimmt sei. An diesem ging er zur Stunde hinaus in den Bahnhof und richtete es so ein, daß er unbemerkt blieb. Da sah er Luzi und ihre Mutter in einen feinen Wagen einsteigen, und der Graf hatte ihnen das Geleite gegeben, stand vor der Wagentür, bis der Zug abfuhr. Dann kehrte Seiz heim ins Haus und brachte die Trauer mit.
Er wollte an der Mutter vorbeigehen. Aber sie stand auf der Schwelle der offenen Stube und rief ihn herein.
»Ein schweres Unglück hat uns betroffen,« meldete sie leise, »der Vater liegt krank. Er hat sich mit einem in der Weinstube verzürnt, und sie haben ihn als schier Bewußtlosen heimgebracht. Gottes Wille geschehe! Nun, lieber Sohn, mußt du all dein eigenes Leid hinter dir lassen und mir helfen, meines zu tragen. Dann wollen wir zwei es leichter überwinden. Du wirst bald für deine Mutter und Schwester zu sorgen haben. Dazu mußt du Meister werden und Werkstatt und Haus führen. Dann wird dich auch Gott noch trösten und dir in deine Heimstätte ein gutes Weib bescheren, das er für dich bestimmt hat. Und ich will sie freudiglich in die Arme schließen und liebe Tochter zu ihr sagen. Du aber sprich jetzt: willst du meine Worte dir zu Herzen nehmen und stark sein?«
»Ich will,« antwortete er. Denn es half das neue Leid um den Vater das alte mindern.
»Dann sei von deiner Mutter gesegnet, mein Sohn! Und du wirst nicht mehr an die Luzi denken, die für dich nicht gepaßt hat?«
Die Tränen rührten sich in seinem Herzen und wollten empor in die Augen schießen; aber er drängte sie mit Kraft zurück, übermannte sie und antwortete:
»Nein.«
Die Luzi hatte freilich nicht für ihn gepaßt; denn sie war jetzt auf dem Wege nach ihrer himmelblauen Stadt.