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von Joseph Friedrich Lentner.
Am selben Tage, als die Bayern Innsbruck an die Bauern verloren, war von einem Truppe aufständiger Stubaier, die sich etwas verspätet und schon die Kunde erhalten hatten, daß ihre Gesellen in der Stadt bereits aufgeräumt hätten, das Gerichtshaus Schönberg überfallen. Der einzige Beamte dieses kleinen Postens hatte sich nicht geflüchtet. War die Verwirrung und die Gewalt des geheim gehaltenen Aufstandes zu rasch über ihn hereingebrochen, machte es ihm das Vordringen der Landstürmer aus dem Wipptale, die alle an seiner Wohnung auf der bekannten Heerstraße vorübertobten, unmöglich, oder glaubte er sich sonst sicher: – kurz, am Mittage des zwölften Aprils pochte es plötzlich unhöflich laut an seiner Tür, und ehe er zu öffnen Zeit fand, hatten es die ungeduldigen Besucher in ihrer Weise getan, nämlich mit einem Schuß auf das versperrte Schloß. Ebenso ungeziemend lautete ihr Gruß. »Haben wir dich aufgefunden in deinem Fuchsloche?« – hieß es, »wart', wir wollen dich herauskitzeln, wie die Buben die Grillen!« und dazu fehlte es nicht an einer Litanei von ausgiebigen Ehrennamen, wie sie damals beliebt waren für die Nachbarsleute von jenseit der Scharnitz.
Der Aktuar erkannte in den zudringlichsten Gästen beinahe lauter Leute, welche vor sein Forum gehörten. Das Stubaiertalgericht hatte die bayerische Regierung aufgehoben und dafür von Innsbruck aus einen einzelnen Beamten exponiert am Schönberg, der mit Talleuten auf halbem Wege die dringlichsten Händel abmachen konnte. Es hatte dies Verfahren viel übles Blut erzeugt bei den ungestümen, trutzigen »Stübachern«, und weil denn Leute ihres Schlages sich allzeit an das Näherliegende halten und entferntere Ursachen in ihren Würden lassen: so meinten sie, an dieser Verkümmerung und Verletzung ihrer alten »Kuchelgerichtsfreiheit« sei niemand schuld als der Aktuari am Schönberg, dem gewiß ihr Tal zu letz und langweilach wäre. Nun sollte er dafür büßen.
Obwohl für den ersten Augenblick unwillkürlich erschrocken und bestürzt, hatte sich der Beamte bald gesammelt, und entschlossen aus den Fäusten zweier Paar Buben, die ihm Brust und Arm erfaßt hatten, sich losmachend, trat er demjenigen unter den Bauern, der ihm der Wortführer zu sein schien, ganz nahe auf den Leib.
»Bist du auch dabei, Gallhofer!« rief er demselben, einem bejahrten, recht ehrsam aussehenden Manne zu. »Schämst dich nicht, mit dem Gesindel Gemeinschaft zu machen? – Was wollt ihr von mir?« – Hatte nun auch der Gallhofer nicht übel Lust, sich etwas von dem rebellierenden Volke mit einem scheelen Seitenblicke zu absentieren, so antworteten an seiner Statt unerschrockenere Burschen: »Wer redet da von Gesindel? Ihr selbst seid die ärgsten Gaudiebe, und du bist nicht der Faulste darunter gewesen! Wir werden jetzt ein Protokoll aufnehmen und dir ein Urteil ablesen; kurz und gut: Schlagt ihn tot, den Teufel, hängt ihn auf – schießt ihn nieder!«
Die Rotte schien nur noch zu wählen, welcher dieser Vorschläge in Ausführung zu bringen sei. Der Bayer verlor aber seinen Mut nicht, vielmehr wachte ein gewisses Bewußtsein in ihm auf, und laut fragte er die lärmenden Dränger:
»Weshalb vergreift ihr euch an mir? Hab' ich einem von euch unrecht getan, ein falsches Urteil gesprochen, je einen in seinem Frieden gestört? Rede einer, wenn er kann!«
Sie konnten ihm nicht mit einem ehrlichen Ja antworten; der Aktuar hatte immer seine Pflicht getan, die Anmaßungen seiner Amtsgenossen abgewehrt, ja sogar den Bauern manches hingehen lassen, was wider die Neuerungen seiner Obern war. Gerade aber, weil sie im Unrecht waren, mochten sie nicht mehr von ihrem meuterischen Vorhaben abstehen. Und hatte er nicht einen nichtsnutzigen Vorgänger gehabt? War er nicht ein Bayer, ein Schreiber, – ein Herr? – Also totgeschlagen!
»Das Predigen woll'n wir dir schenken!« schrie ihm ein trunkener Bursche entgegen; – »richt' du dich g'scheiter zum Beichten! Du wirst itzt schleunig erschossen!« »Was beichten? – So ein lutherischer Schelm, – der fahrt dem Teufel ohne Weg' in den Rachen!« verwies ihn ein anderer, und mit einem Lärmen, bei dem keiner sein eigenes Wort verstund, stürzten sich die Landstürmer alle auf den wehrlosen Mann.
Den faßte nun aber auch die gerechteste Entrüstung. Er war noch jung, das kalte Blut erhitzte sich, mit aller Kraft riß er sich los, er wehrte sich und suchte einem der Bauern die Waffe zu entreißen. »Schändliche Hunde!« knirschte er, »das ist euer Mut?« – aber schon lag er zur Erde; und unter dem Geschrei: »Hinaus mit ihm, auf den Anger! – Schießt ihn nieder!« ward er aus dem Hause geschleppt.
Eine jener seltsamen Launen, in welchen ein aufgestandenes Volk im dunkeln Gefühl seines Rechtes gerade in den niedrigsten Äußerungen seiner Rache Siegel eines allgemein gerechtfertigten Urteilspruches aufdrücken will, erhielt für diesen Augenblick dem bayerischen Aktuar das Leben. Ein Kolbenschlag hätte der Wut der Bauern Genüge leisten können; – sie meinten aber, ihre Tat zu heiligen, wenn sie den Mann nach soldatischer Rechtsform hinrichteten.
Was vom Volk am Wege und in den Häusern war, lief zusammen, als die Stubaier mit ihrem Gefangenen aus dem Gerichtshause stürmten und ihn nach dem Platze zerrten, den sie zur Vollstreckung ihres Rechtsspruches gewählt hatten. »Was gibt es?« fragte man. »Den bayerischen Bauernschinder erschießen wir!« hieß es, und da hing sich schnell alles, was laufen und kriechen konnte, an die Fersen der Landstürmer, Weiber und Kinder, Einheimische und Fremde. Unfern dem obern Wirtshause, rechts an der Straße, breitete sich die Wiese aus, deren spärlich keimenden Rasen das Blut des Bayern tränken sollte. Der Unglückliche erkannte mit jedem Schritte, der ihn seiner Richtstätte näher brachte, mehr und mehr, daß es für ihn keine Rettung mehr gab. Flüche und wilder Jubel schlugen betäubend an sein Ohr; seine ganze Besinnung krampfte sich in dem einen Gedanken zusammen: »Du mußt sterben.« – Er gedachte seiner Heimat, an Vater und Mutter, die in Landsberg, dieser freundlichsten der bayrischen Landstädte, säßen, und sich mit der Freude die alten Tage fristeten, den Sohn in Amt und Brot zu wissen. – Er meinte vor Schmerz zu vergehen; – doch auch dieser Gedanke entwich, seine Sinne verwirrten sich, er mußte jetzt von fremden Händen aufrecht erhalten und fortgeschleppt werden.
Die Tobenden rissen die Umzäunung nieder, um zugleich in den Anger dringen zu können, und hier sank nun der Arme in die Knie; die Todesangst überwältigte seine letzte Kraft.
»Da schaut!« spottete ein Bauer – »er gichtert seine Seele aus vor lauter Verzagen und Fürchten. Der elende Blüter ist gar keinen Schuß Pulver wert!« Diese Worte hörte der Bayer. Gewaltsam raffte er sich auf. »Wo soll ich hintreten?« fragte er, und die Nächsten beiseite stoßend, schritt er rasch vorwärts in das Feld und wandte sich auf Schußweite gegen die Landstürmer.
Der todesfreudige Mut des jungen Mannes machte diese betreten. Da stund er mit aufgerissenem Gewande, verächtlich und kühn zugleich sie anblickend und laut rufend: »Nun – warum schießt ihr nicht?« – Was lähmte ihre Arme, was trübte ihre Augen? Dennoch blitzte jäher Zorn in etlichen auf; man hörte die Hähne ihrer Büchsen knacken; lautlos blieb das Volk, sie schlugen an, und – mit dem Rufe: »Jesus Maria! – haltet ein – nicht schießen, nicht!« stürzte ein Bauernmädchen aus dem Haufen und vor den Verurteilten nieder, die gefalteten Hände den Schüssen entgegenstreckend. »Was ist's? – Zurück! – Red'! was willst du?« schrien diese nun durcheinander und umringten die beiden. Die Dirne aber bat mit aller Macht der rührendsten Stimme: »O – tut ihm nichts, – laßt ihn leben! Um Gottes willen schenkt ihm Pardon!«
»Was geht dich der bayrische Herrenteufel an?« fragte einer dazwischen.
»Mich? – Alles, alles! Wir haben uns gern, – ich bin sein Mädel, – er wird mich heiraten! O, du unsere liebe Frau von der Waldrast, hilf mir ihn erretten, – ich sterb' sonst mit ihm!«
Des geängsteten Mädchens Bekenntnis befremdete die Männer nicht; – sie hatten oft genug das Liedlein gehört oder gesungen, das damals im Volk umging:
»Die Bayern und die Bauern
San allweil in Streit,
Die Madeln wollen bayrisch sein,
Die Buben aber nit.«
Nicht, ohne für die aufrichtige Treue und Anhänglichkeit der Dirne etwas zu empfinden, was sie günstig stimmte, betrachteten die Bauern das totenbleiche, zitternde Wesen – das sich jetzt dem jungen Bayer an den Hals geworfen und mit ihrem Leibe den seinen decken zu wollen schien.
»Die arme Haut zittert wie Espenlaub,« meinte einer; ein zweiter dagegen tobte: »Wenn man die Bayern wollt' leben lassen, die ein Tirolermädel haben, kämen sie alle davon!« Doch seine Rede wirkte eher erheiternd als erhitzend. Einzelne lachten; dazu antwortete die kecke Maid:
»Wenn man dir deinen Schatz abschlachten wollt, würdest du wohl auch ein Wort drein reden! Schämt euch – eurer so viele über den einen! Und – den braven Menschen ermorden, der keinem Hähnlein je ein Leids getan hat! Macht euch fort nach Sprugg und rauft euch mit den Soldaten, wenn ihr für etwas seid! Laßt meinem Buben sein Leben und mir meinen Schatz, – 's wird euch Gott vergelten! Laßt mich nicht umsonst reden!«
Noch eine Weile zögerten die Bauern; dann riefen viele: »Recht hat sie, – laßt ihn laufen, – 's heißt nichts das blutige Tun und Wüten!« Andere lachten, einige begehrten nach der Stadt zu ziehen, – plötzlich stäubten alle auseinander und zurück nach den Häusern.
Die Wiese war leer. – Der gerettete Bayer zog das Mädchen mit sich fort nach einem Fußsteige hinter dem Orte.
Der fragte jetzt: »Mädchen, bist du von dieser Welt? Du bist ein Engel! Wer bist du? Rede! Wie heißt du?« –
Die Tirolerin wies den Drängenden sanft von sich. »Das gilt ja gleich!« sagte sie. »Gottlob, daß ich die Gewalttätigkeiten erstillt habe. – Aber haltet Euch nicht auf. Geht dem Wege nach, Ihr kommt da zum Kehrersteig über die Sill hinüber nach den Ellbögen, dort findet Ihr sicher bayrische Soldaten! – Es kennt Euch auch niemand. Ihr seid gut aufgehoben!«
»Gott lohn' dir's« – entgegnete der andere – »doch, – sag' mir, wer du bist, – ich bitte dich!«
»Ein armes Tirolermadel« lautete die Antwort, und mit schnellem Laufe wandte sich die Jungfrau nach dem Dickicht zur Seite, in welchem sie schnell den Blicken des Bayers entschwand.
Niemals mehr sah dieser seinen Schutzengel, erfuhr auch ferner nicht das geringste von dem Mädchen, das er früher ebensowenig je gesehen oder gekannt hatte.