Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
von A. von Liliencron.
Am westlichen Himmel bereitete sich die Sonne zum Abschiedsgruß vor, der hier in Südwestafrika in märchenhafter Pracht seine Glutzeichen an den Himmel schreibt. Die Abendschatten hatten die Häupter der Berge in blauen, Sehnsucht erweckenden Schmelz getaucht, und ein fahles Goldrot schimmerte aus zerzausten Wolkengebilden auf die Kuppen der Berge herab. In rotlila Tinten glühten die Felsenmassen noch einmal auf, und zum letzten Lebewohl überschüttete der Sonnenball die Welt mit einem wunderbaren Farbenschmelz.
Das hochgewachsene blonde Mädchen, das eben aus dem dornumzäunten Viehkral trat, hatte wohl ein volles Verständnis für diese eigenartige Schönheit des Huf- und Niedergangs der Sonne in ihrer neuen Heimat; aber heute achtete sie nicht darauf. Scharf spähten ihre Blauaugen in die Ferne, und eine gewisse Unruhe drückte sich in ihren beweglichen Zügen aus.
Jetzt leuchtete ihr Blick auf, sie hatte den Reiter erkannt, der eben, aus dem Dornbusch kommend, im raschen Trabe auf die Farm zuritt, und eilte ihm entgegen. Wenige Minuten später war er an ihrer Seite, sprang vom Gaul und drückte ihr die Hand. Dann legte er ihren Arm auf den seinen und ging mit ihr langsam dem Hause zu; der Braune folgte ihm, wie ein treuer Hund seinem Herrn.
Es war ein stattliches Paar, der Farmer Sassen und seine Schwester, die schlanke Else, die er sich vor einem Jahre herübergeholt hatte, damit sie als eine treue Gehilfin ihm zur Seite stände. Das hatte sie denn auch redlich getan, und der Bruder wußte es in seiner ganzen Bedeutung zu schätzen, was die deutsche Frau in Südwestafrika dem Manne ist, wenn sie dort sein guter Kamerad geworden. Die blonde Else las die Sorge von des Bruders Stirn. »Was bringst du für Nachricht aus Gochas?« fragte sie.
Er blieb stehen und sah ihr fest in die Augen. »Es wird immer ernster mit dem Aufstand. Ich wollte mir ein paar Leute aus Gochas auf die Farm holen, damit wir uns verteidigen können, wenn sie uns etwa überfallen; aber die können keinen Mann missen, Gochas hat ja nur eine ganz schwache Besatzung.«
Das Mädchen war etwas blasser geworden, aber ihre Stimme schwankte nicht, als sie antwortete: »Dann müssen wir für uns allein sorgen.«
Auf der Veranda, die an das schlichte Wellblechhaus stieß, erschien der schwarze Bambuse. »Mister! Die Kost is klar! Lecker Kost!«
Auf seinem Gesicht spiegelte sich die Vorfreude des Genusses, die aber etwas gedämpft wurde, als sein Herr auf das Pferd zeigte. Er verstand den stummen Wink und war im Augenblick unten, um den Braunen abzusatteln und in den Kral zu führen.
Sein Herr legte ihm die Hand auf die Schulter. »Timotheus, wenn die Hottentotten uns hier überfallen, was wirst du dann machen?« fragte er.
»Ik sall die Gewehr kriege und dann skiet! (schießen) skiet! Allmann Hartloop (ausreißen, schnelle Flucht) mache!« erklärte er.
Ein flüchtiges Lächeln glitt über die Züge des Farmers. »Ein Gewehr sollst du haben, aber auf den Hartloop können wir uns noch nicht verlassen.« Er wandte sich mit der Schwester dem Hause zu. In der Tür blieb er stehen und drehte sich noch einmal um« »Else, wenn es geschehen sollte, daß wir uns hier nicht mehr halten könnten, dann muß unsre Rettung der Dornbusch bleiben. Hörst du, der Dornbusch? Du kennst genau die Pad, die da hindurch nach Gochas führt?«
Sie nickte stumm, ihr war die Kehle wie zugeschnürt.
Nach der Abendmahlzeit verbarrikadierte Hans Sassen sorgsam sein Haus, schloß die Fensterladen stellte mit Sand gefüllte Säcke dahinter und schob ein schweres Faß von innen vor die Haustür. Er hatte das, seitdem der Aufstand im Süden ausgebrochen war, immer getan, heute ging er doppelt sorgsam dabei zu Werke; denn was er in Gibeon erfahren hatte, verhieß nichts Gutes. Timotheus und einen der Eingeborenen behielt er im Hause, die andern sollten sich in der Wache beim Viehkral ablösen.
Die Stille der Nacht senkte sich auf die Farm. Else konnte nicht schlafen, es dünkte ihr drückend schwül im Zimmer. Sie stand auf, schob den Sandsack zurück und öffnete vorsichtig einen Laden und den Fensterflügel. Milde Tropennacht, sterndurchfunkelte Finsternis da draußen, und am Himmel ein Gleißen und Glühen, ein Blinken und Blitzen, ein Flimmern und Funkeln des Sternenheers. Das war die zauberhafte Schönheit der afrikanischen Nacht, und in diese weltenerschließende, stumm-beredte Sprache des Firmaments mischten sich die leisen und lauten Stimmen der Vierfüßler, die noch nicht zur Ruhe kamen. Im Kral wieherte hin und wieder ein Pferd, oder das verschlafene Brüllen eines Ochsen tönte herüber. Dazwischen klang es wie eine scharfe Trillerpfeife. Das waren die Eidechsen, die durch das Gestein huschten, und aus der Ferne scholl das heisere Bellen des Schakals und das klägliche Geheul der Hyäne als schauerliches Nachtkonzert der Wildnis.
Else hatte heute weder Auge noch Ohr für ihre sonst so geliebte Tropennacht, sie dachte nur an eins: werden wir unser schwer erworbenes Heim erhalten können, oder wird es uns ergehen wie so manchem Farmer vor uns, der Besitz und Leben beim Aufstand verlor?
Da fühlte sie eine Hand auf ihrem Arm. Timotheus stand neben ihr. »Will Missi Kopie Koffi?«
Sie schüttelte den Kopf, »wer denkt jetzt daran.«
»Die Timotheus,« ereiferte sich der Bambuse. »Missi sall drink. Als Missi noch lange dar so stände, Missi umfalle. Der Koffi is lecker,« drängte er und hielt ihr das in Südwestafrika nie verschmähte Getränk hin. Sie nahm es, während er ihr noch versicherte: »Mister Hans ok Koffi gedrinkt!«
Der stand jetzt in der Tür. Auch er hatte nicht schlafen können, oder richtiger, nicht wollen, denn er hatte bis zur Stunde die Wache übernommen.
»Timotheus, ich werde mich eine Stunde zum Schlaf hinlegen, jetzt wirst du aufpassen, ob irgendein verdächtiges Geräusch sich hören läßt,« gebot er. »Weißt du, was ich meine?«
»Sigger, Mister!«
»Und wenn's hier losgehen sollte, Courage zeigen, kein Hasenfuß sein!« antwortete sein Herr.
Der Bambuse reckte sich. »Timotheus is nich Angst, hat bange (große) Courag! Ik fall die Hottentott skiet, as ik em sieh. Die Hottentott sall Missi nich kriege.«
Das letzte Wort war kaum gesprochen, da knatterten Schüsse in der Nähe des Krals.
»Fenster auf! Laden zu! An die Posten!« donnerte des Farmers Stimme.
Ein paar Minuten später standen alle vier, das Geschwisterpaar, der Eingeborene und Timotheus, auf dem Platze, den der Hausherr für den Fall eines feindlichen Angriffs ihnen seit Tagen zugewiesen hatte. Das geladene Gewehr war durch eine dazu vorbereitete Luke geschoben, für die Augen blieb ein schmaler Spalt frei, durch den man den Überblick auf den mondbeschienenen Vorplatz behielt, und der Finger ruhte am Hahn, bereit, abzudrücken.
»Feuer!« kommandierte Hans, als die Hottentotten, nach Überwältigung der Wächter am Kral, sich dem Hause näherten.
Vier Schüsse krachten fast gleichzeitig aus den Luken, drei hatten ihr Ziel getroffen, der eine ging seitwärts vorbei.
»Besser zielen,« rief der Farmer erregt; »wir kämpfen um unser Leben!«
Einen Augenblick stutzten die Angreifer bei dieser unerwarteten, todbringenden Begrüßung, dann aber suchten sie, so gut es ging, Deckung hinter den Büschen des Vorplatzes und überschütteten das Haus mit einem Hagel von Schüssen. Die Kugeln durchschlugen die Fensterladen und bohrten sich ihren Weg durch die Sandsäcke, aber ihre Kraft war dadurch geschwächt, sie richteten keinen Schaden weiter an.
Aus dem Hause antworteten in kurzen Pausen, immer fast gleichzeitig, die Schüsse; daß es nur drei und nicht mehr vier waren, darauf achtete in der Erregung des Augenblicks keiner der Schießenden. Ein polterndes Geräusch seitwärts von ihm machte den Farmer zuerst stutzig. Er fuhr herum, und ein einziger Blick überzeugte ihn davon, daß sie verloren waren. Der Eingeborene hatte das Faß zurückgeschoben und riß die Tür auf.
»Schurke!« schrie Hans und jagte ihm eine Kugel nach. Doch ein Sprung ins Freie entzog den Geschmeidigen der gerechten Strafe.
Else hatte sofort begriffen, was auf dem Spiele stand, und ihr Gewehr aus der Luke zurückgezogen. Hastig ließ sie die noch übrigen Patronen in die Tasche gleiten.
Der Bruder packte sie am Arm. »Fort! In den Busch!« Er riß sie mit sich fort zur Hintertür.
Timotheus sprang ihnen nach, die »bange Angst« war nun doch über ihn gekommen.«
Die schützenden Sandsäcke flogen zurück, der Schlüssel wurde umgedreht, die Tür flog auf. Gott sei Dank! Die Aufständischen hatten das Haus noch nicht umstellt, sondern es nur von vorn und von den Seiten beschossen. Vielleicht gelang es, den Busch zu erreichen, bevor der Feind ihre Flucht entdeckte.
Aber der verräterische Eingeborene kannte ja genau den letzten Rettungsplan des Farmers. Er hatte sich nur einen Augenblick hinter dem Türpfosten geduckt, während die Hottentotten beim Anblick der geöffneten Tür aufsprangen und sich mit wildem Geschrei auf das Haus stürzten. Noch ehe sie es erreicht hatten, war der treulose Diener seinem Herrn nachgesprungen. Als dieser, wenige Schritte vom Hause entfernt, dem Busche zustrebte, traf ihn die Kugel des Verräters mitten ins Herz.
Mit einem dumpfen Schrei brach er zusammen. Elses Arme umklammerten ihn, sie kniete neben ihm.
Mit letzter Kraft suchte der Sterbende sie abzuwehren. »Fort! – Busch!« stammelte er; dann heftete sein brechendes Auge sich flehend auf Timotheus. »Missi retten!« stöhnte er.
Der Bambuse, das abgeschossene Gewehr in der Hand, stand wie gelähmt vor Schreck neben seinem Herrn; das Plötzliche der Katastrophe hatte seine durchaus nicht heldenhafte Natur in die »grote Angst« hineingejagt. In demselben Augenblick aber erschien er wie verwandelt. Die Liebe zu seiner weißen Missi, der er blind ergeben war, wurde zum Sporn, der alles andre zurückdrängte.
Er sah, wie der Eingeborene, der sein Gewehr von neuem geladen hatte, es eben ansetzte, um aus die blonde Herrin zu schießen. Mit einem Schrei, der klang, als hätte ein wildes Tier ihn in höchster Mut ausgestoßen, stürzte er sich aus den Eingeborenen und schlug ihm mit dem Kolben seines Gewehrs die Waffe aus der Hand. Der Schuß entlud sich und die Kugel bohrte sich in den Sand.
Bevor der Überraschte zur Besinnung kam, sauste der Gewehrkolben des Bambusen so mächtig auf seinen Schädel nieder, daß er besinnungslos zusammenbrach.
Timotheus gönnte ihm keinen Blick. Er riß seine Herrin, die noch neben der Leiche des Bruders kniete, empor und mit sich fort. Mechanisch, ganz unbewußt murmelte er dabei: »Mister hes seggen, ik sall mei Missi help. Woll, woll, ik bange Courag.«
Die Hottentotten waren in das Haus gedrungen, Plünderung und Zerstörung begann. Etliche von ihnen stürzten zur Hintertür hinaus, um nach dem Farmer zu spähen. Seine Leiche, die lang ausgestreckt dort am Boden lag, gab ihnen die Gewißheit, daß er nicht entkommen war. Für Else und ihren Getreuen wurde das zur Rettung; denn der bergende Busch hatte sie aufgenommen, ehe die Hottentotten versuchten, den andern Farmbewohnern nachzuspüren.
Durch das dichteste Buschgewirre zog Timotheus seine Herrin, atemlos eilten sie vorwärts; die Dornen zerrissen ihre Kleider, ritzten sie blutig und verwickelten sich in Elses lange Zöpfe, die ihr über den Backen hingen. Die Kräfte drohten das Mädchen zu verlassen; sie machte noch ein paar taumelnde Schritte und sank dann auf einen Felsstein nieder. Nicht die körperliche Anstrengung war es, die sie überwältigte, sondern das, was sie seelisch durchgemacht hatte. Tränen stürzten aus ihren Augen, und sie brach in ein leidenschaftliches Weinen aus.
Der Bambuse stand ratlos vor ihr. Die Kopje Koffi, die ihm immer als bestes Trostmittel erschien, war nicht zur Hand. Er fuhr mit den Fingern durch seinen Wollkopf und sah unruhig hin und her. Ganz leise zupfte er sie nun am Ärmel, und als sie ihn da mit den feuchten Augen anblickte, sagte er: »Mister hes seggen, Missi sall nach Gochas – nu Hartloop!«
Wenn es auch kein »Hartloop« wurde, so rüttelte Else das Wort doch aus ihrer Versunkenheit auf. Des Bruders letzte Weisung für sie war das gewesen; der mußte sie unbedingt folgen. Sie stand auf und schritt an Timotheus' Seite weiter. Jetzt, wo keine Verfolgung mehr zu fürchten war, konnten sie das bergende Dornengebüsch verlassen und auf der Pad weiterwandern.
Beim ersten fahlen Schein der Morgendämmerung erreichten sie Gochas.
Die Nachricht vom Überfall der Farm erregte hier die äußerste Bestürzung. In Gochas war nur eine ganz geringe Besatzung, aber etliche Frauen mit kleinen Kindern. Was sollte aus denen werden, wenn die Hottentotten den Ort überfielen? Es wurde in Erwägung gezogen, ob man nicht die Frauen in einem Ochsenwagen zur nächsten Militärstation schicken könne. Aber von der Besatzung war kein Mann zu missen, wer sollte den Weibertransport in Sicherheit bringen?
»Ich kenne die Pad, ich werde fahren,« erklärte Else.
Wohl sahen die Männer das blasse Mädchen erstaunt an; viel Worte aber machten sie nicht, und der Vorschlag wurde angenommen.
Am andern Morgen bei Sonnenaufgang fuhren sie fort, Timotheus als Treiber bei den Ochsen. Er ließ die Schwippe seiner Peitsche knallend durch die Luft sausen. Die Ochsen schüttelten sich, machten ein paar schnellere Schritte und verfielen sofort wieder in den müden, schleppenden Gang. Es waren alte, abgetriebene Tiere; aber Gochas hatte nichts Besseres zu bieten. Bald nahm die Steppe sie auf, durch deren gestrüppartiges Dickicht die Pad führte, und weiter ging es über eine sandige Fläche, die weiten Umblick gestattete. Zur Seite ragten mächtige Termitenhaufen empor; wie altmodische Meilenzeiger lugten sie rötlich-braun durch das grüne Geäst des Dornbaumes. In der Entfernung baute sich eine Felsenwelt auf, Kuppen und Grate, durcheinandergestürzte Steintrümmer und Schwibbogen, durch die der blaue Himmel lachte. Sie leuchteten gleichsam funkensprühend in der Sonnenglut. Alles war lichtbestrahlt und verschwamm in zitterndem, weißglühendem Äther. Kein Wölkchen zeigte sich am Himmelsgewölbe, das sich dunstig blau über die Erde spannte. Die Mittagsglut sog unbarmherzig jeden frischeren Hauch auf und erschlaffte Mensch und Tier.
Es wurde Rast gemacht und erst nach ein paar Stunden wieder aufgebrochen. Zwei der Ochsen waren nicht zum Aufstehen zu bewegen, Timotheus mußte sie ihrem Schicksal überlassen und ohne sie weiterfahren. Das ging noch mühseliger als vorher, und sorgenvoll dachte Else darüber nach, wie sie die ihr Anvertrauten bis zur Militärstation bringen sollte.
Bei Sternenschein erreichten sie die Wasserstelle. In Afrika lernt man das Sichgenügenlassen, auch was das Wasser betrifft. Man darf nicht wählerisch sein, hier war es nur eine trübe Schlammpfütze, gefüllt mit einer bräunlichen Tunke, die die Ermatteten erwartete, und doch erquickten sie sich daran. Der Zustand der Ochsen machte Else und ihrem Getreuen große Sorge: sie wollten nicht fressen und schlürften nur mühsam das Wasser, das der Bambuse ihnen reichte. Dann streckten sie alle viere von sich und machten den Eindruck, als würden diese Beine sie keinen Schritt weitertragen.
Das Gewehr im Arm, saßen Else und der Bambuse und hielten Lagerwache; den zweiten Bambusen, der ihnen aus Gochas mitgegeben war, ließen sie schlafen, höher und höher stieg der Mond in bläulich-weißem Schein und übergoß die stille Welt mit einem magischen Lichtschimmer.
Der eine Ochse stöhnte laut, reckte sich und lag ganz still. Timotheus stand auf; beugte sich über ihn: »Tot!«
Else hatte sich längst gesagt, daß sie mit diesen Tieren nicht weiterkäme, und ihr Plan war gefaßt. »Timotheus,« sagte sie, »hast du gesehen, wie herrenlose Pferde an die Wasserstelle kommen? Sie müssen aus irgendeinem Kral ausgebrochen sein. Zwei müssen wir fangen für dich und mich. Dann reiten wir zur Militärstation und bringen Hilfe.«
Der Schwarze nickte. Pferde einfangen, das verstand er gut, und die Herrin hatte das auch gelernt vom Bruder. Er holte Stricke, und im Busch am Wassertümpel legten beide sich auf die Lauer. Schneller als Else zu hoffen gewagt hatte, glückte der Fang.
Keine Stunde sollte versäumt werden, noch in der Nacht wollte das mutige Mädchen aufbrechen, dann – so rechnete sie – konnte sie bei angestrengtem Ritt, wenn die Sonne unterging, die Militärstation erreichen. Sie verständigte sich rasch mit den Frauen und ließ den Bambusen aus Gochas bei ihnen zurück.
Ohne Sattel, ohne Zaum, nur mit einem Strick in der Hand, der dem Tiere durch das Maul gezogen war, so ritt Else mit ihrem schwarzen Begleiter in schärfster Gangart davon.
Die Nacht schwand, die Dämmerung wich dem Sonnenaufgang, und der dörrend heiße Tag stieg auf. Stunde um Stunde waren sie geritten, nur hin und wieder für kurze Zeit den raschen Lauf mäßigend. Kurze Rast – ein paar Bissen von dem mitgenommenen Brot, ein Schluck aus der Feldflasche, die mit der braunen Tunke der letzten Wasserstelle gefüllt war, für die Pferde eine knappe Weidezeit auf dem spärlich bestandenen Grasfleck, dann weiter – weiter.
»Missi! Wart en beten!« Timotheus rief es außer Atem. Sein Pferd war auf der jetzt klippigen Pad aufs Knie gestürzt und lahmte zum Gotterbarmen.
Else wandte sich um. »Komm zu Fuß nach!« rief sie ihm zu und jagte allein weiter. Doch plötzlich zügelte sie mit einem heftigen Ruck den Braunen. Ihr scharfes Auge hatte eine Abteilung Reiter erspäht, die freilich noch weit entfernt waren, aber auf sie zuzukommen schienen. Rasch entschlossen, sprengte sie, die Pad seitwärts lassend, in den nahen Busch. Erst als sie dort völlig in Deckung war, hielt sie ihr Pferd an. Mochte es sich verschnaufen, während sie hinausspähte durch die Zweige, ob es Freund oder Feind sei, der da vorüberzog.
Langsam kamen die Reiter näher. »Witbois,« murmelte das Mädchen, als sie die weißen Tücher um ihre Hüte gewahrte, und zugleich durchzuckte sie der Gedanke: bleiben die Witbois aus der Pad, so kommen sie nach der Wasserstelle, und es kann den Frauen dort ein Leids geschehen. Sie hatte ja versprochen, für sie zu sorgen, sie zu schützen, und nun war sie nicht da, um sie mit ihrem Gewehr zu verteidigen oder mit ihnen zu sterben. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen von dem rasenden Ritt, ihr Kopf schwindelte, aber mit eiserner Energie hielt sie sich aufrecht.
»Herr Gott, hilf! Verlaß mich nicht!« flehte sie und drängte ihr Pferd aus dem Busch auf die Pad, denn die Witbois waren eben in die Felsenschlucht eingeritten. Unaufhaltsam jagte sie weiter. Die Sonne stand schon tief; bald mußte sie am Ziel sein. Wenn nur der Gaul, wenn nur ihre eignen Kräfte noch so lange aushielten! Das Pferd war schaumbedeckt, seine Flanken schlugen, und immer matter wurde sein Galoppsprung. Da trat der Braune in ein Loch und stürzte. Else flog über seinen Kopf weg und blieb besinnungslos liegen; Blutstropfen sickerten aus einer kleinen Wunde.
Der Braune war schnell wieder auf den Beinen, er schüttelte sich und trabte dann gemächlich dem Weideplatz zu, der sich seitwärts hinzog.
Von der Militärstation war eine Patrouille ausgesandt, den Feind zu erkunden, sie kam auf der Pad geritten. Der Sergeant, der sie führte, erblickte als erster das Mädchen, das regungslos auf dem Wege lag. Er ließ halten, sprang vom Pferde und beugte sich über sie. Da war noch warmes Leben in dem jungen Geschöpf, das fühlte er. Er band ein Tuch um die Wunde und hob das Mädchen empor. »Wir können sie nicht liegen lassen, wir müssen sie erst zur Station bringen,« erklärte er.
Die Reiter halfen bereitwillig, und nun saß der Sergeant auf seinem Schimmel, vor ihm das Mädchen, das er im Arm hielt und dessen aufgelöstes, goldblondes Haar sie wie ein Schleier umflatterte.
Dem Sergeanten wurde es ganz wunderlich dabei zumute, wie ihr Kopf so an seiner Brust ruhte, und mit unbewußter Zärtlichkeit blickte er auf sie herab. Da schlug sie die Augen auf und sah ihn in grenzenlosem Erstaunen an. Aber schon kehrte ihr auch die Erinnerung zurück, und ein freudiges Leuchten glitt über ihre blassen Züge. »Nun ist Hilfe da,« murmelte sie. Und als ob dieses Bewußtsein sie mit neuer Kraft durchströme, richtete sie sich auf und erzählte in fliegender Hast, was geschehen und um was es sich handelte. Mit Bewunderung hatten es die Reiter, die ihre Pferde herandrängten, vernommen. Bei dem Sergeanten hatte sich dies Gefühl der Hochachtung so gesteigert, daß er stürmisch erklärte: »Kameraden, Hut ab! Das ist ein Heldenritt ohnegleichen!«
Die Reiter schwenkten die Hüte, der Sergeant aber hatte seinen Arm fester um das Mädchen gelegt, und doch sah sie jetzt mit den wieder geröteten Wangen nicht aus, als ob sie noch der Stütze bedürfe. Er hätte sie gern noch lange, lange so gehalten, aber sie machte ihm einen Querstrich.
»Die Witbois werden die Frauen überfallen, ihr müßt zu ihrer Rettung eilen!« erklärte sie. »Es ist nicht mehr weit, ich kann zu Fuß zur Station kommen, damit sie von dort gleich den Frauen einen Wagen schicken.«
Das war so selbstverständlich das Richtige, daß der Sergeant keine Einwendung machte. Aber zu Fuß durfte sie nicht gehen, er hob sie selbst auf eins der Handpferde und ließ nicht eher nach, als bis sie zur Stärkung einen Schluck aus seiner Feldflasche genommen hatte. Sorglich schob er noch ihr Kopftuch zurecht, ordnete die Zügel und ermahnte den Schimmel, hübsch brav zu sein.
Else reichte ihm die Hand. »Dank, tausend Dank!« Ihr Blick leuchtete warm, ihre Stimme hatte einen herzlichen Klang.
»Den Dank hole ich mir, wenn wir uns mit den Witbois herumgeschlagen haben und die Frauen auf die Station bringen,« antwortete er ihr.
Ihre Hand, die er noch nicht freigegeben, umschloß unwillkürlich die seine fester. »Gott behüte Sie,« sagte sie leise, kaum hörbar.
Er hatte es aber doch verstanden und auch verstanden, daß sie um ihn bangte. Ein Gefühl stolzer Freude überkam ihn, er richtete sich straff auf und zog den Hut. »Auf Wiedersehen!« Dann wandte er sich zu den Reitern: »Aufgesessen! Marsch!«
In entgegengesetzter Richtung ritten sie nun an, das blonde Mädchen und die Patrouille. Der Sergeant fühlte ein unwiderstehliches Verlangen, rückwärts zu blicken. Er wußte wohl, zur Salzsäule wie Lots Weib erstarrte er deshalb nicht; aber ihn genierte etwas das verständnisvolle Schmunzeln seiner Reiter, das er im voraus zu sehen meinte. Doch auch das wollte er auf sich nehmen, und rasch wandte er den Kopf. Nun, über seine Reiter konnte er sich beruhigen, die hatten alle wie auf Kommando halb Front mit dem Kopf nach rückwärts genommen und freuten sich an demselben Anblick, der ihm das Herz jetzt schneller schlagen ließ, von der untergehenden Sonne rötlich beleuchtet, eilte die Schimmelreiterin in schlankem Trabe ihrem Ziel entgegen; wie flüssiges Gold glänzten die blonden Haarwellen, die sie flatternd umspielten. Auf Wiedersehen, mein Heldenmädchen, dachte der Sergeant.
Am andern Morgen langte Timotheus wohlbehalten bei seiner weißen Missi an und nachts darauf beim blitzenden Sternenlicht der Wagen mit den Frauen, begleitet von der Patrouille. Elses Sorge war nicht unbegründet gewesen; jene Witboi-Abteilung hatte die Frauen erreicht und stand schon im Begriff, sie fortzuschleppen, als die Reiter im stürmischen Angriff die Bande zersprengten und die Frauen befreiten.
Und der Dank, den der Sergeant sich holen wollte? Nun, der ist kurz gesagt. Heldensinn und Heldenmut flammten rasch ineinander. Frau Else lebt jetzt in Deutschland mit ihrem Sergeanten, der den Krieg glücklich bestanden hat und inzwischen Wachtmeister geworden ist. Wenn ich den Namen nicht nenne, so geschieht es, weil ich nicht weiß, ob ich dazu das Recht habe.