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W. Scharenberg.
Die Silberminen von Peru

Vor einigen Jahren – so erzählte ein Kaufmann, der sich vielfach in der Welt umgesehen – hatte ich in Paris die Bekanntschaft eines deutschen Arztes gemacht, welcher mehrere Jahre in Südamerika, namentlich in Peru und Bolivia zugebracht hatte, seine lehrreichen Unterhaltungen sowohl wie die Liebenswürdigkeit seines Charakters bewogen mich, seine Gesellschaft oft zu suchen, und wir machten daher häufig gemeinsame Spaziergänge in die schönen Umgebungen von Paris. Eines Tages schlenderten wir durch den Wald von Boulogne, und mein Freund erzählte mir von seinen Abenteuern in Peru, als eine elegante Equipage, die uns entgegenkam, schon von fern unsere Aufmerksamkeit erregte, »Welch schöne Pferde!« rief mein Freund, als das leichte Fuhrwerk sich uns näherte, aber im nächsten Augenblick, da der Wagen an uns vorüberrollte, blieb mein Begleiter plötzlich stehen, und mit allen Zeichen der Überraschung und des Staunens blickte er der flüchtig dahineilenden Erscheinung nach, bis sie an der nächsten Biegung des Weges unseren Augen entschwand. Mein Freund rieb sich die Stirn wie ein Erwachender, der eben zum Bewußtsein kommt, daß er lebhaft geträumt habe.

»Was ist Ihnen?« fragte ich überrascht. »Hatte das Fuhrwerk etwas so absonderlich Interessantes für Sie?«

»Ja, freilich!« erwiderte mein Begleiter, indem er sich aus seiner Zerstreuung sammelte. »Haben Sie nicht den Herrn gesehen, der in dem Wagen saß? Aus tausend und abertausend Menschengesichtern würde ich diese Züge wieder herausfinden, und doch – was sage ich – der Mann, den ich eben jetzt wiederzuerkennen glaubte, – er ist längst gestorben, gestorben eines elenden Todes. Kommen Sie, ich will Ihnen im Gehen ein Abenteuer erzählen, das ich in den Silberminen von Peru erlebt habe, und wodurch Ihnen zugleich die dortigen Zustände klarwerden sollen. Sie mögen nachher selbst beurteilen, mit welchem Rechte ich durch die Erscheinung des Mannes überrascht sein mußte, dem wir soeben begegneten.

Es war auf der weiten sumpfigen Hochebene von Bombon, welche die Straße von Lima, der Hauptstadt Perus, nach den reichen, vielgerühmten Silberminen von Cerro del Pasco durchschneidet, als ich eines Morgens einsam dahinreitend die unangenehme Bemerkung machte, daß mein Maultier eines seiner Hufeisen verloren habe. Ich stieg ab, um ein neues Eisen aufzulegen, denn wer einige Zeit in den wilden, wenig bewohnten Gebirgen Perus gereist ist, lernt sehr bald die Notwendigkeit einsehen, bei seinem Maultier den Hufschmid selbst abzugeben. Von der Tüchtigkeit des Tieres hängt fast immer die Sicherheit des Reisenden ab, und nur zu oft bringt ein einziger falscher Tritt manchem den sicheren Tod. Ich war mit meiner Arbeit fast zu Ende, als ich hinter mir in einiger Entfernung zwei Reiter erblickte, die sich mir rasch zu nähern schienen. Mit einem leisen Fluch über ein Land, wo kein Mensch dem andern trauen könne, schlug ich hastig die letzten Nägel in den Huf meines Maultieres, warf schnell Hammer und Zange in den Mantelsack, schwang mich in den Sattel und untersuchte eilig den Zustand meiner Pistolen. Erst als ich mich überzeugt, daß meine Waffen zum Schuß bereit waren, wendete ich mein Maultier, um die Begegnung mit den beiden Reitern in Ruhe zu erwarten. Denn in solchen Fällen ist es immer besser, seinem Feinde die Brust als den Rücken zu zeigen. Doch war diesmal meine Vorsicht unnötig, denn nach einigen Minuten erkannte ich in den beiden Reitern einen hübschen jungen Mann, der offenbar den höheren Ständen angehörte, und seinen indianischen Diener.

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Es lag etwas Ritterliches und Schwärmerisches in der Erscheinung des Mannes. Das edle, etwas gebräunte Gesicht beschattete ein leichter, breitkrempiger Hut, unter dem sich eine Fülle schwarzer Locken hervordrängte; ein weiter dunkelfarbiger Poncho war malerisch um die Schultern geworfen und ließ die jugendlich-kräftige Gestalt mehr ahnen als wirklich sehen.

Sein Diener dagegen hatte eines jener schlauen, verschmitzten Gesichter, die jeden Augenblick ihren Ausdruck wechseln, und die unter den Eingeborenen so häufig sind, daß man in Peru lange reisen kann, ehe man ein Gesicht zu sehen bekommt, das Vertrauen erweckt.

»Als mich die beiden Reisenden erreichten, bot mir der Herr freundlich einen guten Morgen und nannte mich Senjor Aleman (deutscher Herr). »Wie kommen Sie hierher in die öde, unbewohnte Hochebene von Bombon?«

»Kennen Sie mich?« erwiderte ich überrascht.

»Warum nicht?« sagte lächelnd der junge Mann, »ich habe sie einigemal in Lima im Kaffeehause gesehen, und ein deutscher Arzt ist bei uns keine so gewöhnliche Erscheinung, daß man sie nicht beachten sollte. – Aber wie wagen Sie, ohne Begleitung einen solchen Weg zu machen, wie der nach Cerro del Pasco. Sie wissen doch, daß unsere Straßen von Räubern wimmeln.«

»Ich vertraue auf mein Glück und bin im übrigen auf alles gefaßt«, entgegnete ich, während wir nun gemeinsam unseren Weg fortsetzten. »Meine Pistolen sind gut, meine Hand fest, und das Auge sicher. Das aber sind meiner Ansicht nach in diesem Lande weit bessere Schutzmittel als eine zahlreiche Begleitung.«

»Sie haben recht«, rief mein neuer Gefährte, »und ich gestehe es gern, mit Vergnügen sah ich, daß sie uns ruhig erwarteten, ehe sie wußten, wer wir waren, solcher Kaltblütigkeit allein hatte zum Beispiel mein Vater das Glück zu verdanken, den berüchtigten Räuber José zu erschießen.«

»Wie?« rief ich, »denselben José, von welchem mir so viele fabelhafte Geschichten in Lima erzählt worden sind?«

»Gewiß, derselbe. – Mein Vater war Kaufmann in Lima und kehrte eines Tages mit einer ziemlich bedeutenden Summe nach Hause zurück. Etwa eine Stunde vor der Stadt hatte er eine Brücke zu passieren, die ziemlich lang und schmal war. Kaum hatte er sie auf der einen Seite betreten, als auf der andern die Gestalt Josés auftauchte und ihm ein Halt! zurief.

Sie wissen wahrscheinlich: dieser José war so frech, daß er sich zuweilen in den Straßen von Lima sehen ließ, wo ihn jedermann kannte, denn er hatte früher viele Jahre hindurch dort gelebt, und wie allen großen Räubern verschaffte ihm diese Frechheit und ein gewisser Humor, mit dem er sein Handwerk trieb, einen großen Ruf im Volke. Mein Vater hielt beim Anblick des Räubers sein Pferd an und rief: »José, bei der heiligen Jungfrau, du hast Glück! Sieh, wäre meine Pistole geladen, du kämst mir nicht so davon!« José lachte, und sichergemacht durch diese Rede kam er stolzen Schrittes über die Brücke. Als er dicht vor meinem Vater stand, schoß ihm dieser plötzlich eine Kugel durch den Kopf.

Wir waren, wie sie sehen, auf dem besten Wege, uns die Einförmigkeit der Reise durch Unterhaltung zu kürzen, als der indianische Diener seinem Herrn auf die Fußtritte aufmerksam machte, die an einer sumpfigen Stelle seitwärts vom Wege ein Maultier zurückgelassen hatte. Ich begriff nicht recht, welches Interesse gerade diese Spur erregen konnte, der Diener bemerkte, das wären die Fährten eines Maultieres, wie es nur vornehme Damen ritten.

Herr und Diener wechselten dann einige Worte halb leise, und beide wurden schweigsam. Bald häuften sich auch die Schwierigkeiten des Weges so, daß jeder vollauf mit sich und seinem Tiere zu tun hatte. Der mitten durch den Sumpf geführte Sumpfpfad bot an manchen Stellen den klugen Maultieren nirgends einen sicheren Schritt. Häufige Regengüsse während der vergangenen Tage hatten die niedrigen, mit kümmerlichen Riedgras bewachsenen Plätze der Bergwiese in dampfende Lagunen verwandelt, die mühsam umritten werden mußten. Im aufgeweichten Boden versanken die Tiere bis über die Knie, und wo die wankende Pflanzendecke unter der Last des Maultieres zu schwanken begann, da schnaubten diese ängstlich und blieben zitternd stehen. Der Indianer war uns hier von wesentlichem Vorteil, er kannte die Gegend genau, schaffte überall Rat und half den versunkenen Maultieren mit solcher Gewandtheit wieder auf die Beine, daß ich mir im stillen Glück wünschte, solche Gesellschaft gefunden zu haben.

Nach mehreren Stunden erreichten wir endlich das Ende dieser wüsten, lebensarmen Hochebene und mit ihm den Fuß des langgedehnten wilden Gebirgskammes von Olachin, an dem nun weiter der Weg steil aufwärts führte. Die Mittagssonne brannte mit sengender Glut gegen die kahlen Felswände, matt klimmten die erschöpften Tiere empor, bis wir eine Schlucht erreichten, deren überhängende Steinmassen Schatten und Kühle versprachen. Hier machten wir halt. Spuren vieler Maultiere bewiesen, daß dieser Punkt ein gewöhnlicher Halteplatz der Reisenden war. Rasch wurde abgesattelt, um aus den Decken und dem Sattel ein Kopfkissen zu bereiten, und froh der überstandenen Gefahren und Mühseligkeiten hoffte ich, einige Stunden der Ruhe pflegen zu können. Aber kaum hatte ich die erlahmten Glieder ausgestreckt, als der in der Schlucht umherspürende Indianer irgendwelche Entdeckung machte. Ein halblauter Ausruf der Freude von ihm machte uns aufmerksam, er kam und zeigte seinem Herrn eine kleine silberne Platte, wie sie die reichen Peruaner mit ihrem Namenszuge vielfach am Pferdegeschirr zu tragen pflegen.

Wie von der Tarantel gestochen fuhr mein Nachbar beim Anblick dieses Plättchens empor, warf auf mich einen raschen forschenden Blick und eilte, seinem Diener winkend, aus dem kühlen Schatten des Felsüberhanges hinaus ins Freie. Nach einigen Minuten kehrte er zurück und erklärte mir mit leidenschaftlicher Hast, daß er sogleich aufbrechen müsse; wolle ich ihn begleiten, so sei ihm meine Gesellschaft angenehm, aber für ihn sei es unmöglich, länger zu bleiben.

Einen Augenblick lang ging ich mit mir zu Rate, was ich zu tun hätte. Die Beschwerden des Weges, den wir eben zurückgelegt hatten, erinnerten mich einerseits lebhaft an die Hilfe, die mir durch diese Begleitung geworden, andererseits mußte ich mir sagen, daß mein Gefährte irgendeinen Zweck verfolge, den er mir nicht nennen möchte, und dergleichen Dinge sind in Peru oft so gefährlicher Natur, daß der Fremde in den meisten Fällen gut tut, davon fernzubleiben. Doch entschloß ich mich, in der Gesellschaft zu bleiben.

Bald waren wir wieder auf dem Wege, der jetzt furchtbar steil zur Höhe des Gebirgskammes emporstieg. Keuchend kletterten unsere ermatteten Tiere von Stein zu Stein, aber während ich die gutwillige aufopfernde Anstrengung bewunderte, mit der diese Geschöpfe dem Menschen dienen, trieb mein junger Begleiter ungeduldig und wie von innerer Hast geängstigt, unablässig vorwärts. Es war für mich ein schwerer Nachmittag, und ich bedauerte bald meinen Entschluß; gern wäre ich zurückgeblieben, wenn an dem kahlen Steinrücken nur eine einzige schattige Stelle aufzutreiben gewesen wäre. Mit Sehnsucht erwartete ich die Kühle des Abends, aber als sie endlich kam, hatten wir bereits eine Höhe von mehr als zehntausend Fuß erreicht, und ich fühlte an den heftig pochenden Pulsschlägen, am mühsamen Atmen und der auf und ab wogenden Brust, daß meine Kräfte bald zu Ende sein würden.

Grenzenlose Müdigkeit überfiel mich, ich raffte meine ganze Energie zusammen, machte halt und sagte zu meinem Begleiter: »Bis hierher und nicht weiter!«

»Seien sie kein Tor«, entgegnete dieser, »in etwa einer halben Stunde erreichen wir eine menschliche Wohnung, die Fonda Nevada, und in dieser Gegend ist ein schützendes Dach eine große Wohltat.«

Diese Worte gaben mir frischen Mut, ich stieg ab, denn mich fing stark an zu frieren, und mochte etwa eine halbe Stunde lang mich noch fortgeschleppt haben, als mein Begleiter haltmachte.

»Ich bleibe hier zurück«, sagte er, »mein Diener wird sie bis zur Venta begleiten, sollten sie dort andere Reisende treffen, so hoffe ich, sie werden nicht erwähnen, daß sie mich zurückgelassen.« Nach einer Pause setzte er hinzu: »Es tut mir leid, Ihnen über die Sonderbarkeit meines Betragens jetzt keine Aufklärung geben zu können, vielleicht vermag ich dies später. Leben sie wohl.«

Die Anstrengung des Tages war so groß gewesen, daß ich ohne zu antworten, stumpfsinnig meinen Weg fortsetzte, indem mich der Indianer begleitete. Noch ehe ich die Venta sah, scholl mir wüster Lärm und rohes Gelächter entgegen. Endlich standen wir vor einer ansehnlichen Steinhütte, aus deren Fenster uns ein trübes Licht entgegendämmerte. Ein großes Fell verschloß die Türöffnung.

Der Indianer nahm mir mein Maultier ab, um es hinter der Hütte an einen Stein zu binden, sagte mir, er käme gleich nach, und stieß mich in das Innere der Hütte.

Dicker Tabakdampf füllte die Zimmer; um einen rohen Tisch saß eine Gesellschaft von sechs Personen, Würfel spielend, schreiend, trinkend, zankend; wüste Gesellen zum Teil, mit scheußlichen Galgengesichtern, auf denen alle Laster ihre Spuren hingegraben hatten.

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Als mich der Wirt, ein kurzer dicker Bursch, erblickte, redete er mich sogleich spanisch an, mein blondes Haar verriet ihm auf den ersten Blick den Fremden. Er bedauerte, mir keinen besonderen Raum anweisen zu können, denn Senjor Ugarte mit seiner Tochter übernachteten gleichfalls bei ihm, doch werde er sein möglichstes tun, mich auf das beste zu bewirten.

In der Tat brachte er auch bald einige Stärkungen an, die mir einen Teil meiner Geistes- und Körperkräfte wiedergaben.

Der Indianer kam bald mit meinem Gepäck, machte mir ein Lager auf dem Erdboden zurecht und bewies sich so geschäftig gegen mich, als sei er mein eigener Diener.

Es dauerte indes noch lange, ehe ich zur Ruhe kam. Die Gesellschaft am anderen Tische wurde um so lauter, je tiefer die Nacht hereinbrach. Alle waren Indianer, drei davon, wie mir der Wirt erzählte, die Diener des Herrn Ugarte, die anderen Bergleute aus Cerro del Pasco, die dort eine reiche Silbermine, eine sogenannte Bova, ausgebeutet hatten und nun mit ihrem erworbenen Reichtum in die Heimat zurückkehrten.

Ich war erstaunt über die Summen, um die sie spielten, und über die Masse geistiger Getränke, die sie verschlangen. Ihr Rausch ging allmählich in eine wüste Betrunkenheit über. Der eine warf im Übermut eine goldene Uhr gegen die Wand, ein zweiter zerschlug mit einem dicken kurzen Stock die Flaschen, und der Himmel mag wissen, wann dieser Unfug ein Ende genommen hätte, wäre nicht unter ihnen selbst Streit ausgebrochen, der so blutig endete, daß zwei von ihnen bewußtlos zu Boden sanken. Der Wirt schien mit solchen Szenen vertraut, er verband den einen Verwundeten mit einem rohen Leinwandlappen, ließ sich von den anderen eine enorme Rechnung bezahlen, und als er sich überzeugt, daß jeder seinen Platz gefunden habe, wünschte er mir eine gute Nacht, löschte das Licht aus und verschwand.

Ich bin später in Cerro del Pasco, das noch 3000 Fuß höher liegt, oft Zeuge solcher Szenen gewesen, denn der große Silberreichtum dieser Gegenden verlockt die Besitzer der Minen zu enormer Verschwendung und zu dem unsinnigsten Spiel. Die Arbeiter dagegen sind, solange nicht ein sehr reicher Metallgang aufgefunden wird, auf ihren Tagelohn angewiesen, bekommen aber einen Anteil des Erzes, so wie der Ertrag reicher wird. Dann verdienen sie oft in kurzer Zeit große Summen, die sie aber, den rohesten Leidenschaften hingegeben, wieder verschleudern.

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Ich hatte mehrere Stunden geschlafen, als mich plötzlich neues Lärmen weckte. Erschrocken blickte ich auf. In der Tür stand Signor Ugarte im Nachtkleide, schreiend und wutschäumend bemüht, seine Diener zu wecken.

»Meine Tochter ist entführt«, schrie er den schlaftrunkenen zu, »auf, sattelt, daß wir den Hund noch einholen!«

»Ich sah mich nach meinem Indianer um – er war verschwunden. Mir wurde plötzlich alles klar, aber ich fand für gut zu schweigen, wendete mich auf meiner Lagerstätte um und versuchte ein wenig zu schlafen.

»Tausend Dollar demjenigen, der sie einholt«, schrie Don Ugarte, und in wenigen Minuten hörte ich die Fußtritte der zu höchster Eile angetriebenen davoneilenden Maultiere.

Für den Rest der Nacht war meine Ruhe dahin; das Schicksal meines gestrigen Gefährten und der wahrscheinliche Ausgang seines gewagten Abenteuers beschäftigten lebhaft meine Phantasie. Die wenigen Bruchstücke, welche ich miterlebt, reichten hin, mir die ganze Geschichte einer südlichen leidenschaftlichen Liebe aufzubauen, und so wenig ich auch imstande war, das Betragen meines Reisegefährten zu rechtfertigen, so wünschte ich ihm doch von Herzen Glück.

Als ich am nächsten Morgen meine Zeche bezahlte, frug mich der Wirt mit einem eigentümlich schlauen Blicke, wo mein Diener geblieben wäre.

»Fort ist der Schuft«, sagte ich, »wahrscheinlich will er die tausend Dollar verdienen helfen, die der alte Herr dem versprach, der ihm wieder zu seiner Tochter verhelfen würde.«

Der Wirt lächelte schlau, als wolle er zeigen, daß er sehr wohl die Sache durchschaue; ich aber sagte mit einem herzlichen »Gott sei Dank« der unruhigen Herberge Lebewohl und setzte meinen Weg nach Cerro del Pasco fort. Nach einigen Stunden mühsamen Kletterns erreichte ich endlich die Höhe des Gebirgsstockes. Eine großartige, aber unglaublich öde Aussicht eröffnet sich hier dem Blicke des Reisenden. Ein rings von steilen nackten Bergen umschlossenes Kesseltal dehnte sich vor mir aus. Sümpfe und Lagunen durchziehen das Tal, ringsum die Stille des Todes und überall Erstarrung, nirgends eine Spur des Lebens. Doch nein, dort in der Ferne wirbelt eine leichte Rauchsäule in die dünne reine Atmosphäre empor, dort liegt Cerro del Pasco fast 14 000 Fuß über der Meeresfläche erhaben. Die Stadt verdankt ihre Existenz in dieser schauerlichen Einöde dem Silberreichtum des Bodens. Vor zweihundertfünfzig Jahren wurde die erste Mine angelegt, die heut noch abgebaut wird. Enge, krumme, schmutzige Straßen, in denen die elenden Hütten der Indianer mit den stattlichen Wohnungen der Minenbesitzer abwechseln, gewähren einen traurigen Anblick. Ringsum ist der Boden durchwühlt, mehr als tausend Eingänge führen in die nachlässig angelegten Schächte hinab. An rostigen Ketten oder halb vermoderten Stricken lassen sich die Arbeiter hinab, die sämtlich Indianer sind und der verworfensten Menschenrasse angehören. Die Besitzer der Bergwerke sind meist Sprößlinge alter spanischer Familien, aber in ihrer Weise nicht minder entartet als die Arbeiter, sinnlose Verschwendung und Hasardspiel sind nirgends in der Welt so häufig als hier, nirgends aber treten die Folgen davon auch so grell und abschreckend hervor.

Am dritten Tage nach meiner Ankunft in der Stadt klopfte es gegen Abend leise an meine Tür, und zu meiner großen Freude trat der indianische Diener meines Reisegefährten ins Zimmer. Ängstlich bat er mich, ihn zu begleiten. Ich ahnte Unglück, und in der Tat führte er mich zu seinem Herrn, den ich totkrank an einer gefährlichen Schußwunde daniederliegend und in wilden Fieberphantasien im Bette fand. Es gab wenig Zeit zu fragen, ich eilte vielmehr, die Wunde zu untersuchen, gab dem Diener die nötigen Anweisungen, und erst als mich der Diener wieder in meine Wohnung führte, warf ich die Worte hin: »Ihr seid unglücklich gewesen in Euerm Abenteuer.«

»Ja, Herr, sehr«, war die kurze lakonische Antwort.

»Und die Dame?« frug ich weiter.

»Still, Herr«, und nach einem Moment des Schweigens flüsterte er: »Don Ugarte hat die Tochter ins Kloster gesperrt.«

Der Kranke erholte sich unter meiner ärztlichen Pflege bald, und als ich ihn außer Gefahr sah, eilte ich, die Stadt auf einige Wochen zu verlassen, um einen größeren Ausflug in die östliche Montagna zu machen.

Die geheimnisvolle Art, wie ich den Kranken stets besuchen mußte, hatte für mich etwas Peinigendes, sein Aufenthalt in der Stadt war offenbar nur wenigen Personen bekannt.

Als ich nach etwa zwei Monaten zurückkehrte, war es eines meiner ersten Geschäfte, meinen früheren Patienten aufzusuchen. Ich fand ihn nicht mehr. Traurig erzählte mir der Diener, daß der beleidigte Vater endlich doch den Aufenthalt seines Herrn ausgekundschaftet habe. »Ich habe ihn wohl gewarnt«, sagte schluchzend der treue Indianer, »und zweimal habe ich ihn aus den Klauen gedungener Meuchelmörder errettet, aber, er war zu leidenschaftlich, zu kühn. Seit einer Woche ist er spurlos verschwunden, und ohne Zweifel ist seine Leiche in eine der tausend verlassenen Gruben gestürzt woden, die hier den Boden durchziehen.«

Das, lieber Freund, sind die letzten Nachrichten, die ich über den jungen Martinez erfahren. Sie werden nun mein Erstaunen begreifen, wenn ich Ihnen sage, daß der Mann, den wir vorhin in jenem eleganten Wagen sahen, so vollständig die Züge jenes Unglücklichen trug, daß ich schwören möchte, er selbst sei es gewesen.«

»Lassen Sie uns näher nachforschen!«

Schon zwei Tage, nachdem mir der Arzt dieses Abenteuer mitgeteilt hatte, trat er lachend in mein Zimmer.

»Es ist richtig mein Martinez, den wir neulich gesehen haben. Ich habe ihn gestern gesprochen, und nicht bloß ihn, sondern auch seine junge Frau, die in der Tat so schön ist, daß man ihrethalben schon einige Dolchstiche ertragen kann.«

»Ich bin begierig, die Lösung dieses Rätsels zu erfahren«, rief ich in hohem Grade neugierig.

»Die Sache ist sehr einfach«, sagte der Arzt, »ich hätte mir's denken können, daß ein peruanischer Diener auch lügt, wenn er Tränen im Auge hat. Als Martinez sich nach seiner Genesung von dem gedungenen Mörder seines jetzigen Schwiegervaters verfolgt sah, mußte sein Diener wiederum diesem auflauern, und zwar in der Absicht, ihn für seine Zwecke zu gewinnen. Es gelang. Martinez verschwand für einige Zeit, der gedungene Mörder behauptete gegen Ugarte, den ihm gewordenen Auftrag erfüllt zu haben. So war der Vater sichergemacht, und alles kam darauf an, das Geheimnis auf jede Weise zu bewahren. In dieser Zeit suchte ich den Diener auf, und ich war dumm genug, ihm zu glauben.

Nach ungefähr halbjährigen unausgesetzten Bemühungen gelang es dem kühnen jungen Mann, seine Braut zum zweitenmal zu entführen, diesmal aus dem Kloster und mit mehr Glück. Jetzt ist er mit seinem Schwiegervater ausgesöhnt und will nächstens in seine Heimat zurückkehren.«


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