Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Unbekannter Verfasser.
Eine Pfeife Tabak
oder
Die Treue im kleinen

Der alte tapfere Feldmarschall Fürst Blücher von Wahlstatt war ein geborener Mecklenburger, und seine Geburtsstadt ist Rostock an der Warnow, wo auch jetzt sein ehernes Standbild auf dem Blücherplatz schon seit Jahrzehnten zu sehen ist.

Der alte Haudegen liebte außer seinen wackeren »Jungen«, wie er seine Reiter nannte, bekanntlich drei Dinge über die Maßen: ein Glas Wein, das Spiel und eine Pfeife Tabak. Wein und Spiel mußte er sich nicht selten versagen, wenn er – obwohl er ein Feldmarschall war – eben kein Geld hatte, was ihm ungefähr eben so oft geschah wie einem lustigen Studenten, und in solchen Stunden pfiff er seinen Leibmarsch, gähnte, fluchte auch wohl ein bißchen, blieb übrigens aber guter Dinge. Jedoch seine Pfeife Tabak hätte er nicht missen können, die mußte er haben, wenigstens ein paar Züge, bevor er irgend etwas unternahm. »Ohne Tabak bin ich keenen Groschen nütze!« sagte er oft, und seine lange Gefangenschaft in Lübeck schrieb er bloß dem Umstande zu, daß er damals »nich eene elende Pipe Tabak mehr besessen habe«. – Sosehr aber auch der alte »Marschall Vorwärts« den Tabak liebte, so war er durchaus kein Liebhaber von kostbarem Pfeifengerät; am liebsten rauchte er aus einer langen holländischen Tonpfeife, die bekanntlich ein höchst zerbrechliches Ding ist. – Aus diesem Grunde hatte er denn unter seinen »Jungen« sich einen eigenen »Pipenmeister« erwählt, der die Aufsicht über eine lange Kiste wohlverpackter Tonpfeifen führte, das kostbarste Stück der Blücherschen Feldausrüstung. Zerbrach eine Pfeife, so war das ein Erlebnis, das für unseren alten Helden vielleicht mehr Wichtigkeit hatte als ein kleines Scharmützel mit dem Feinde. Es ward in solchen Fällen die »Blessierte« genau untersucht; war der Stiel nicht knapp am Kopf abgebrochen, so ward sie ins »Korps der Invaliden« versetzt und bekam den Namen »Stummel«. Eines solchen Stummels bediente sich der Feldmarschall gewöhnlich auf Marsch und Erkundungsritten, und gar mancher Stummel ist ihm, wie Augenzeugen versichern, von feindlichen Kugeln vor dem Munde weggeputzt worden, so daß er das Ende vom Stiel davon im Munde behielt.

Blüchers »Pipenmeister« zur Zeit der Befreiungskriege war ein Mecklenburger, ein Rostocker, wie Blücher selbst, und diesem über alle Maßen ergeben. Niemand kannte so alle kleinen Eigenheiten des alten Helden, als Christian Hennemann, und keiner wußte sich so drein zu schicken. Sein eigentliches Amt als »Pipenmeister« verwaltete Hennemann mit größter Treue und einem fast fanatischen Eifer. Die Kiste mit den Pipen war sein höchstes Gut, und der wäre seines Lebens nicht sicher gewesen, der sie beschädigt oder den Versuch gemacht hätte, auch nur einen der Stummel daraus zu entwenden. Hennemann wußte genau wieviele ganze Pfeifen, Blessierte (an welchen bloß ein Teil des Stiels fehlte) und Stummel die Kiste enthielt und zählte sie alle Sonnabende wie ein Geizhals seine harten Taler und geriet schier außer sich, wenn er unter den Blessierten eine fand, die nicht einmal mehr zum Stummel tauglich schien.

Es war die Gewohnheit des »Alten«, vor jedem ernsten Angriffe sich eine lange Pfeife stopfen zu lassen; aus dieser rauchte er ein paar Züge, gab sie sodann noch brennend seinem Hennemann, setzte sich im Sattel zurecht, zog seinen Säbel, und mit dem kräftigen Ruf: »Vorwärts meine Jungen!« stürmte er auf den Feind los und schlug, bis nichts mehr zu schlagen war. An jenem ewig denkwürdigen Morgen der Schlacht bei Bellealliance hatte Hennemann seinem Gebieter eben die Pfeife dargeboten, als eine Kanonenkugel dicht neben ihm in die Erde schlug, so daß Erde und Grieß ihn und seinen Schimmel über und über bedeckten. Der Schimmel machte einen mächtigen Seitensprung, und die schöne neue Pfeife zerbrach, ehe der alte Held noch einen Zug daraus getan hatte. »Stopp mich eene neue Pfeife, brenne sie mich an und warte hier eenen Ogenblick uff mich, ick will bloß die französischen Jrobiane mal jagen! Vorwärts! Jungens!« Und damit ging es vorwärts und immer weiter, so daß die Jagd nicht »eenen Ogenblick«, sondern einen ganzen heißen Tag währte. Endlich war die Schlacht geschlagen; bei dem zerschossenen Wirtshause Bellealliance trafen sich die befreundeten Sieger Blücher und Wellington und wünschten einander Glück zum großen gelungenen Werke.

»Deine Burschen hieben ein wie die leibhaftigen Teufel«, sprach Wellington.

.

»Ja, siehst du, des is ihre Sache«, erwiderte Blücher, »aber ob eener unter ihnen so fest und ruhig dastehen würde im furchtbaren Kugelregen wie deine Schotten, des weeß ick denn doch nich, so brav sie ooch immer seien.« – »Es sind gute, disziplinierte Leute«, erwiderte Wellington und erkundigte sich dann nach Blüchers früherer Stellung, die ihm möglich gemacht, einen so meisterhaften und in seiner Wirkung für die Feinde so verderblichen Angriff durchzuführen. Blücher, der, wie gut er dreinschlug, doch nicht besonders stark im Schildern geschehener Taten war, sprach: »Nun ich stand nicht weit von hier uff eener mit Busch bewachsenen Anhöhe, und wir können ja jleich hinüberreiten, daß du dir das Ding ansiehst.« Damit gab er seinem Schimmel die Sporen, Wellington folgte ihm, und bald erreichten sie mit ihrer Begleitung den Platz. Es war alles leer auf der Stelle, aber wo Blücher diesen Morgen gehalten hatte, und von wo aus er ausgeritten war, stand ein Mann, das Haupt verbunden, den einen Arm mit einem Tuche umwickelt und rauchte aus einer blendend weißen, langen Tonpfeife. Blücher stutzte einen Augenblick und rief dann: »Donner noch mal, des is ja mein Christian Hennemann. Kerl, wie siehst du aus, und was machst du hier?« – »Kommen sie endlich?« versetzte Christian Hennemann; »den ganzen Tag habe ich hier gestanden und auf Sie gewartet, eine Pfeife nach der anderen haben mir die verwünschten Franzosen vom Maule weggeschossen, einmal hat mir sogar eine bleierne Bohne ein Stück Fleisch vom Kopf weggerissen, und die Faust da wird mir wohl zum Teufel gehen. Das ist die letzte ganze Pfeife, und es ist nur gut, daß die Geschichte mit dem Schießen endlich aufhörte, sonst hätten sie mir diese am Ende auch noch weggeputzt, und Sie könnten jetzt mit trocknem Munde dastehen.« Damit reichte Christian Hennemann seinem Herrn die brennende Pfeife, die dieser nahm, und indem er behaglich dampfte, entgegnete er: »Es ist wahr, ick hab' dir lange warten lassen; aber siehst du, die Kerle wollten heute nicht gleich loofen.« Wellington hatte mit Verwunderung dem Gespräche Blüchers und seines Dieners zugehört; er blickte bald auf den Feldmarschall, bald auf den Pfeifenmeister, bald auf die am Boden verstreuten Kugeln und Baumäste, die es deutlich bezeugten, welch ein gefährlicher Zielpunkt dieser Posten bei der Schlacht gewesen war.

Die Kopfwunde des Mannes erwies sich als bedeutend, seine Hand war völlig zerschmettert, und doch hatte er dagestanden und geraucht und seinen Herrn erwartet, mitten im fürchterlichsten Kugelregen. »Du lobst meine Schotten«, sprach Wellington zu Blücher, »daß sie so brav gestanden hätten? Was sagst du denn zu diesem deinem Manne da?«

»Er ist aus Rostock«, versetzte Blücher, »und übrigens hatte der Kerl immer eene Pfeife Tabak zur Hand, da muß er sich doch hier janz jut befunden haben.«


 << zurück weiter >>