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Unbekannter Verfasser.
Die Zerstörung des Inquisitionspalastes in Madrid

Aus einem Berichte des Obersten Lemanoir im Jahre 1809

Als Marschall Soult, der Gouverneur von Madrid, mich beorderte, nach dem Befehl des Kaisers die Inquisitionsgebäude zu demolieren, bemerkte ich ihm, das 9. Regiment Lanciers sei dazu nicht hinreichend, worauf der Marschall noch zwei Regimenter Infanterie dazu kommandierte, deren eines, das 117., unter dem Befehl des Obersten Delille stand. Mit diesen Truppen marschierte ich nach der Inquisition, deren Gebäude mit starken Mauern umgeben und mit 400 Soldaten besetzt waren. Dort angekommen, forderte ich die Väter auf, die Tore zu öffnen. Eine Schildwache, die auf einer der Bastionen stand, besprach sich darauf einige Augenblicke mit jemand innerhalb der Mauer, worauf sie auf uns Feuer gab und einen meiner Leute tötete. Dies war das Signal zum Angriff, und ich befahl meinen Truppen, jeden, der sich auf den Mauern blicken ließe, niederzuschießen. Bald aber stellte sich's heraus, daß der Kampf ungleich war, und ich mußte mich zu einer anderen Angriffsweise entschließen. Es wurden einige Bäume niedergehauen und Mauerbrecher daraus gemacht. Zwei dieser Maschinen, die gut gehandhabt wurden, machten unter einem Kugelregen eine Bresche in die Mauer, und die kaiserlichen Truppen stürzten in den Hof des Palastes hinein.

Hier zeigte sich uns ein Beispiel von jesuitischer Unverschämtheit. Der Generalinquisitor und die Väter Beichtiger traten feierlich aus ihren Schlupfwinkeln hervor, in ihre priesterlichen Gewänder gekleidet, und die Arme auf der Brust gekreuzt, als ob sie von nichts wüßten und nur sehen wollten, was es denn gäbe, sie machten ihren Soldaten Vorwürfe: »Warum lasset ihr euch denn mit unseren Freunden, den Franzosen, in einen Streit ein?« Offenbar wollten sie uns glauben machen, sie hätten die Verteidigung gar nicht angeordnet; und ohne Zweifel hofften sie, während des Durcheinanders der Plünderung entwischen zu können. Aber darin täuschten sie sich. Ich gab strengen Befehl, sie nicht aus den Augen zu lassen, und ließ alle ihre Soldaten gefangennehmen. Nun fingen wir aber an, dieses höllische Gefängnis zu durchsuchen, wir sahen eine Kammer um die andere; Altäre, Kruzifixe, Wachskerzen in Menge; Reichtum und Glanz war überall zu schauen. Die Fußböden und Wände waren aufs feinste poliert und die Marmormosaik mit ausgesuchtem Geschmack eingelegt. Aber wo waren denn die Folterwerkzeuge, von denen man uns gesagt hatte?

Und wo waren die Kerker, in denen menschliche Wesen lebendig begraben sein sollten?

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Wir suchten vergeblich danach. Die heiligen Väter versicherten uns, sie wären verleumdet worden, und wir hätten bereits alles gesehen. Ich war schon auf dem Punkt, meine Nachforschungen einzustellen, überzeugt, daß diese Inquisitoren andere Leute seien als die, von denen man uns gesagt hatte. Aber Oberst Delille wollte sich nicht so leicht zufriedengeben. Er sagte zu mir: »Wir wollen doch die Fußböden noch einmal untersuchen und Wasser darauf schütten; dann wird sich zeigen, ob's nicht irgendwo durchrinnt.« Die Marmorplatten waren groß und ganz glatt. Nachdem wir zum großen Mißvergnügen der Inquisitoren neues Wasser daraufgegossen hatten, untersuchten wir alle Spalten, ob es nicht irgendwo durchsickere. Bald rief Oberst Delille: »Ich habe gefunden, was ich gesucht.« Zwischen zwei Marmorplatten verschwand das Wasser sehr schnell, wie wenn ein leerer Raum darunter wäre. Offiziere und Soldaten machten sich nun daran, die Platte aufzuheben, während die Priester gegen diese Entweihung ihres schönen Hauses schrien. Ein Soldat stieß mit seinem Musketenkolben auf eine Feder, und es kam eine Treppe zum Vorschein. Ich nahm von einem Tisch eine angezündete, vier Fuß lange Wachskerze, um unsere Entdeckung genauer zu untersuchen, wurde aber von einem der Inquisitoren angehalten, der sanft seine Hand auf meinen Arm legte und mit frommer Miene sagte: »Mein Sohn, du sollst diese Wachskerze nicht anrühren, sie ist heilig.« – »Ganz recht«, erwiderte ich, »ich brauche ein heiliges Licht, um die Gottlosigkeit zu ergründen«, und stieg die Treppe hinab, die unter ein Gewölbe führte, welches keinen anderen Ausgang hatte als diese Falltür. Unten angelangt, traten wir in ein großes viereckiges Zimmer, die Gerichtshalle genannt. In deren Mitte war ein steinerner Block, und auf ihm befestigt ein Stuhl für den Angeklagten. Auf der einen Seite des Saals war ein anderer, höherer Sitz für den Generalinquisitor, der Thron des Gerichts genannt, und auf beiden Seiten niedrigere Sitze für die Patres. Aus diesem Saal gingen wir nach der rechten Seite und fanden da kleine Zellen, die sich durch die ganze Länge des Gebäudes erstreckten. Aber was für ein Anblick stellte sich da unseren Augen dar! Wie war die wohlwollende Idee unseres Erlösers von ihren Bekennern geschändet! Diese Zellen dienten als Kerker, in welchen die Schlachtopfer der Inquisition eingemauert waren, bis der Tod sie von ihren Leiden erlöste. Ihre Leichname wurden der Verwesung überlassen, und damit der pestilenzialische Geruch die Inquisitoren nicht belästige, waren Vorrichtungen angebracht, um ihn abzuführen. In diesen Zellen fanden wir die Überreste von einigen, die erst kürzlich gestorben waren. In den anderen nur noch an den Boden gekettete Skelette. Wieder in anderen zeigten sich noch lebende Schlachtopfer, von jedem Alter und von beiderlei Geschlecht: junge Männer und Greise bis zu 70 Jahren, aber alle so nackt, wie an dem Tage, wo sie geboren wurden. Unsere Soldaten bemühten sich vor allen Dingen, die Gefangenen von ihren Ketten loszumachen, und zogen dann einen Teil ihrer Kleider aus, um sie zu bedecken. Nachdem wir alle Zellen durchsucht und die Kerkertüren derer, die noch lebten, geöffnet hatten, gingen wir nach der linken Seite, um ein anderes Gemach in Augenschein zu nehmen. Dort fanden wir alle Folterwerkzeuge, welche Menschen oder Teufel nur erdenken konnten. Bei diesem Anblick ließ sich die Wut unserer Soldaten nicht mehr bezähmen.

»Alle die Inquisitoren, Mönche und Soldaten müssen gefoltert werden!« schrien sie.

Wir machten keinen Versuch, sie zurückzuhalten; und augenblicklich fingen sie an den Personen der Patres ihre Arbeit an. Ich sah sie vier Arten von Tortur anwenden; dann zog ich mich von dem schauderhaften Auftritt zurück, der so lange währte, wie noch eine einzige Person, an der die Soldaten ihre Rache üben konnten, sich in diesem Vorzimmer der Hölle befand. Sobald die Schlachtopfer der Inquisition ohne Gefahr aus ihrem Kerker ans Tageslicht gebracht werden konnten, verbreitete sich die Nachricht von ihrer Befreiung überall hin; und denen das sogenannte »Heilige Amt« ihre verwandten und Freunde entrissen hatte, kamen, um zu sehen, ob sie sich noch am Leben befänden. Gegen hundert Personen wurden durch uns aus ihren Gräbern befreit und ihren Familien wiedergeschenkt, viele fanden einen Sohn oder eine Tochter, einen Bruder oder eine Schwester, einen Vater oder eine Mutter. Andere suchten die Ihrigen vergeblich. Eine große Menge Pulver wurde in die unterirdischen Gänge des Gewölbes gebracht, die massiven Mauern und Türme wurden, als man es anzündete, in die Luft gesprengt, und der Inqusitionspalast in Madrid hatte aufgehört zu bestehen.


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