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G. Dittmar.
Eine Herbstnacht im Schloß zu Stockholm

Es war an einem rauhen, stürmischen Abend des Spätherbstes, als König Karl XI. in seinem Gemach im alten königlichen Schlosse zu Stockholm, in tiefe Gedanken versunken, vor dem hellbrennenden Kaminfeuer saß. Es war niemand bei ihm als sein Günstling, der Graf von Brahe, und der Arzt Baumgarten, den er wegen einer kleinen Unpäßlichkeit hatte rufen lassen. Es war schon ziemlich spät, und der König hatte gegen seine Gewohnheit seine Umgebung noch nicht entlassen. Mit düsterem Blick sah er in die Flamme; man sah wohl, daß er sich langweilte, aber dennoch scheute er sich, allein zu sein, ohne jedoch zu wissen warum.

Der Graf von Brahe, diese peinliche Situation fühlend, hatte schon einige Male geäußert, daß Seine Majestät der Ruhe bedürfen würde, ein stummes Zeichen des Königs jedoch befahl ihm zu bleiben, und als der Arzt seinerseits auch bemerklich machte, daß langes Wachen der Gesundheit schädlich sei, antwortete der König zwischen den Zähnen murmelnd: »Bleiben Sie, ich habe noch keine Neigung zu schlafen.«

Man versuchte nun eine Unterhaltung in Gang zu bringen, jedoch vergebens, bis endlich der Graf Brahe, vermutend, daß die Traurigkeit des Königs von der Erinnerung an seine verstorbene Gemahlin herrühren möge, vor ihrem Bilde stehenblieb und mit einem Seufzer ausrief: »Wie ähnlich ist doch das Bild – treffend der Ausdruck von Majestät und Schönheit!«

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Die Königin Ulrike Eleonore war kürzlich erst gestorben, und trotz seines rauhen Charakters fühlte Karl XI. ihren Verlust schmerzlich, denn er hatte sie sehr hoch geschätzt, obgleich man sagte, daß er durch seine Härte ihren Tod beschleunigt hätte.

Der König glaubte jedesmal einen Vorwurf zu hören, wenn man die Königin in seiner Gegenwart erwähnte, und er erwiderte deshalb dem Grafen barsch: »Ach was, das Bild ist geschmeichelt, die Königin war häßlich!« Kaum hatte er jedoch diese rauhen Worte gesagt, so schien er diese auch schon zu bereuen; er stand auf und ging, seine Gemütsbewegung zu verbergen, mit großen Schritten im Zimmer auf und ab. Plötzlich blieb er am Fenster stehen und blickte starr in die dunkle, durch keinen Mondschein erhellte Nacht hinaus.

Es muß hier bemerkt werden, daß das Schloß, welches die Könige von Schweden jetzt bewohnen, damals noch nicht vollendet war, und daß Karl XI. den alten, an der Spitze von Ritterholm gelegenen Palast bewohnte, der auf den Mälarsee hinsieht. Dies Gebäude hatte die Gestalt eines Hufeisens, an dessen einem äußeren Ende sich das Kabinett des Königs befand, gegenüber dem großen Saal, in dem sich die Stände des Reichs zu versammeln pflegten.

Als des Königs Blicke sich auf die Fenster des gegenüberliegenden Saales gerichtet hatten, schienen diese plötzlich hell erleuchtet zu sein. Im ersten Augenblick glaubte Karl, daß ein Diener mit einer Fackel sich in dem Saal befinden würde, dazu war aber die Beleuchtung zu hell; eine Feuerbrunst konnte es auch nicht sein, denn man sah weder Rauch noch hörte man Lärm.

Graf Brahe, welcher ebenfalls die Erscheinung bemerkte, griff nach der Glocke, um einem Pagen zu klingeln, der sich nach der Ursache der Beleuchtung erkundigen sollte. Der König hielt ihn jedoch zurück und rief:

»Ich werde selbst in den Saal gehen.«

Er erblich sichtbar bei diesen Worten, dennoch ging er mit festen Schritten aus dem Zimmer, und der Graf und der Arzt begleiteten ihn mit brennenden Lichtern.

Baumgarten ging und holte den schon zu Bett gegangenen Hausmeister, welcher die Schlüssel zum Saale in Verwahrung hatte. Man öffnete zuerst die Galerie, die dem Ständesaal als Vorzimmer und Durchgang diente; doch wie erstaunte man, als man die Wände der Galerie schwarz behangen sah.

»Wer hat den Befehl gegeben, den Saal zu behängen?« rief der König unwillig.

»Ich weiß es nicht«, antwortete der Hausmeister, »als ich das letzte Mal den Saal reinigen ließ, war nichts zu sehen als die gewöhnliche Vertäfelung.«

Der König schritt rasch vorwärts und war beinahe an das andere Ende der Galerie gelangt, als der Hausmeister, der ihm mit dem Grafen und dem Arzt unmittelbar folgte, ausrief:

»Sire! gehen sie nicht weiter! Hier ist Hexerei im Spiel! Die Königin geht seit ihrem Tode zu dieser Stunde um!«

»Bleiben sie zurück«, rief auch der Graf, »hören Sie doch den sonderbaren Lärm im Saal! Es könnte Eurer Majestät Gefahr bringen!«

»Sire«, rief der Arzt, dem der Windzug das Licht ausgeblasen hatte, »gestatten Sie, daß ich einige zwanzig Trabanten hole!«

»Wir gehen hinein«, sagte der König mit fester Stimme. »Öffne schnell die Tür, Hausmeister!«

Bei diesen Worten stieß er mit dem Fuße so heftig gegen die Tür, daß der Widerhall wie Donner in den gewölbten Räumen tönte. Der Hausmeister zitterte vor Angst, vergeblich bemühte er sich, den Schlüssel in das Loch zu bringen.

»Du bist ein alter Soldat und zitterst?« rief der König mit verächtlichem Achselzucken und sich zu Brahe wendend: »Herr Graf, öffnen Sie die Tür!«

»Sire«, sagte dieser, einen Schritt zurücktretend, »schicken Sie mich gegen deutsche oder dänische Kanonen, und ich werde nicht zaudern, Ihrem Befehl zu gehorchen, doch gegen die hätte ...«

»Nun«, rief der König mit höhnischem Lächeln, »ich sehe wohl, daß ich dies Abenteuer allein ausfechten muß!«

Mit diesen Worten nahm er den Schlüssel aus der Hand des zitternden Hausmeisters, ehe dies sein Gefolge hindern konnte, öffnete und trat mit dem Ausruf: »Mit Gottes Hilfe!« in den Saal. Seine Begleiter, bei denen die Neugier die Furcht endlich überwunden hatte, und die sich wohl auch schämen mochten, ihren König jetzt allein in der Gefahr zu lassen, folgten ihm.

Der große Saal der Reichsstände war mit unzähligen Lichtern erleuchtet, die Wände schwarz behangen, die Trophäen Gustav Adolfs, deutsche, dänische und moskowitische Fahnen, waren in ihrer gewöhnlichen Ordnung an den Seiten des Saales zu sehen. Die schwedischen Banner waren mit Trauerflor umwickelt. Die Sitze waren mit einer zahlreichen Versammlung schwarzgekleideter Männer besetzt, unter denen man jedoch kein bekanntes Gesicht entdecken konnte. Auf dem Throne lehnte ein blutiger Leichnam, mit den Abzeichen der königlichen Würde geschmückt; diesem zur Rechten stand ein Kind mit Krone und Zepter, ein nebelhaftes Luftgebild in der Gestalt eines Greises zur Linken. Diese letztere Erscheinung trug den Curimanienmantel, so wie ihn die Reichsverweser zu tragen pflegten, ehe Gustav Wasa den Thron bestieg. Dem Thron gegenüber saßen mehrere Männer am Tisch, und vor diesem stand ein mit schwarzem Flor überzogener Block mit einem Richtbeil.

Die Versammlung schien die Anwesenheit Karls und seiner Begleiter nicht zu bemerken. Beim Eintritt hatten diese ein verworrenes Geräusch gehört, jedoch kein Wort unterscheiden können.

Der älteste der Ritter, welcher der Präsident der Versammlung zu sein schien, erhob sich und schlug dreimal mit der Hand auf einen vor ihm aufgeschlagenen Folioband, worauf ein tiefes Stillschweigen eintrat. Die gegenüber befindliche Tür öffnete sich, und einige wohlgekleidete junge Männer traten mit auf den Rücken gebundenen Händen ein; ihnen folgte ein kräftiger, stämmiger Mann, in einem ledernen Wams und hielt die Enden der Stricke, mit denen den Gefangenen die Hände gebunden waren.

Der erste, der auch der Angesehenste zu sein schien, trat mit stolzem Blick vor den Block, der Leichnam auf dem Throne zitterte in krampfhafter Bewegung, und aus seiner klaffenden Wunde strömte frisches Blut.

Bei diesem gräßlichen Anblick konnte sich der König nicht mehr halten; er trat einige Schritte weiter vor und rief gegen die Figur gewendet, die den Mantel der Reichsverweser trug, mit fester Stimme:

»Bist du von Gott, so rede! Bist du aber vom Teufel, so laß uns in Frieden!«

Die Erscheinung erhob sich und antwortete mit langsamer feierlicher Stimme:

»König Karl, nicht unter deiner Regierung wird dies Blut fließen«; – dann fuhr das Gespenst mit weniger vernehmlicher Stimme fort: »aber fünf Regierungen später Unglück, Unglück, Unglück über das Haus Wasa!«

Kaum waren diese geheimnisvollen Worte gesprochen, so begannen die Gestalten nach und nach zu verschwinden; erst waren sie weniger deutlich zu sehen, und endlich verschwanden sie ganz. Die Beleuchtung wurde ebenfalls nach und nach trüber, bis sie ganz erlosch. Die Lichter, welche der König und seine Begleiter trugen, zeigten den Saal in seinen gewöhnlichen Tapeten. Alles war verschwunden und man hörte nur noch ein seltsames, melodisches Klingen, ähnlich dem Säuseln des Windes oder dem Ton einer springenden Harfenseite, als das einzig übriggebliebene Merkmal dieser schaudervollen Szene. Die Erscheinung mochte wohl zehn Minuten gedauert haben.

Der König ließ sogleich, nachdem er in sein Zimmer zurückgekehrt war, die ganze Sache zu Protokoll nehmen, und er sowohl wie seine Begleiter unterzeichneten es.

Dieses merkwürdige Aktenstück ist heute noch in dem königlichen Archiv niedergelegt, und niemand kann seine Echtheit bezweifeln.

Zu bemerken ist der Schluß dieser Schrift, in welchem der König sagt:

»Wenn das, was ich hier erzählt habe, nicht die strenge Wahrheit ist, so entsage ich aller Hoffnung einer besseren Zukunft, die ich durch irgendeine gute Handlung, und besonders durch mein eifriges Streben, zum Besten meines Volkes zu wirken, um die Religion meiner Väter aufrechtzuerhalten, verdient haben könnte!«

So sehr man auch bemüht war, die ganze Sache geheimzuhalten, so hatte sich doch die Kunde davon, sogar schon zu Karls Lebzeiten, bald im Volke verbreitet und war daher in Schweden, längst vor der traurigen Erfüllung der geheimnisvollen Vorausverkündigung allgemein bekannt.

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Am Abend des 17. März 1792, als König Gustav III. von Schweden eben im Begriff war, auf den Maskenball zu gehen, brachte ihm plötzlich sein Kammerdiener ein mit Bleistift geschriebenes Billett auf einem silbernen Präsentierteller; hastig erbrach es der König, erbleichte, faßte sich jedoch sogleich wieder. Das geheimnisvolle Papier enthielt eine Warnung vor dem heutigen Ball, und man bat den König dringend, ihn nicht zu besuchen.

Gustav, ein Mann von echt ritterlichem Charakter, beachtete diese Warnung nicht und ging ohne Furcht auf den Ball. Kaum war er dort angelangt, als der Graf Horn auf ihn zutrat, ihn auf die Schulter klopfte und rief: »Gute Nacht, Maske!« – In diesem Augenblick krachte ein Schuß, und der König sank in seinem Blute zu Boden.

Sein Mörder war Ankarström. Ende des Winters 1792 fiel dessen Haupt unter dem Beil.


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