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Märchen des Lebens

Grammophonplatte

C 2–42 531. Die Forelle von Schubert.
(Deutsche Grammophonaktiengesellschaft.)

In Musik umgesetztes Gebirgswässerlein, kristallklar zwischen Felsen und Fichten murmelnd. Die Forelle, ein entzückendes Raubtier, hellgrau, rot punktiert, auf Beute lauernd, stehend, fließend, vorschießend, hinab, hinauf, verschwindend. Anmutige Mordgier!

Die Begleitung auf dem Klavier ist süßes sanftes eintöniges Wassergurgeln von Berggewässer, tief und dunkelgrün. Das reale Leben ist nicht mehr vorhanden. Man spürt das Märchen der Natur.

In Gmunden wußte ich es, daß täglich in den Nachmittagsstunden eine Dame in dem Laden des Uhrmachers die Grammophonplatte C 2–42 531 zwei- bis dreimal spielen ließ. Sie saß auf einem Taburett, ich stand ganz nahe beim Apparate.

Wir sprachen niemals miteinander.

Sie wartete dann später immer mit dem Konzerte, bis ich erschien.

Eines Tages bezahlte sie das Stück dreimal, wollte sich dann entfernen. Da bezahlte ich es ein viertes Mal. Sie blieb an der Türe stehen, hörte es mit an bis zu Ende.

Grammophonplatte C 2–42 531, Schubert, Die Forelle.

Eines Tages kam sie nicht mehr.

Wie ein Geschenk von ihr blieb mir nun das Lied zurück.

Der Herbst kam und die Esplanade wurde licht von gelben spärlichen Blättern.

Da wurde denn auch das Grammophon im Uhrmacherladen eingestellt, weil es sich nicht mehr rentierte.

Ein Brief

Ich schrieb einer süßen Gefallenen einen begeisterten Brief, schilderte ihr darin alle ihre Vollkommenheiten, vom Kopf bis zu den Zehen – – –.

Sie ließ mich nachts im Café L. an ihren Tisch bitten durch den Kellner.

»Sö haben mir an Brief g'schrieben?!?«

»Ja, bitte, jawohl, ich habe mir erlaubt, Fräulein – – –.«

» Was hat dös für an Zweck?!?«

Späterhin erfuhr sie, wer eigentlich dieser Briefschreiber sei.

Da sagte sie denn häufig zu ihren Herren: »Ob ihr's glaubt oder net, der Peter Altenberg hat mir an riesig begeisterten Brief g'schrieben. Kommts z'Haus mit mir, da zeig' ich ihn euch – – –.«

Und so hatte denn mein Brief dennoch in gewisser Hinsicht einen Zweck gehabt.

Das »Flugerl«

Es gibt nur einen einzigen wirklichen Größenwahn – – – der Glaube eines Mannes an die Treue einer geliebten Frau!

Niemand hat eine Ahnung von der Hypnotisierungsfähigkeit der Frauennerven! Und es ist immer der andere, der diese Fähigkeit besitzt! Niemals man selbst!

Es ist dabei alles völlig von ihnen unabhängig, einer mysteriösen Macht unterworfen, einem Bannfluch der Treulosigkeit! Sie sind also unschuldig daran!

Ein vertrauender Mann ist ein Idiot, ein verächtlicher tausendfacher Feigling, ein Kopf-in-den-Sand-Vergraber, ein unanständiger Sichselbstbetrüger! Ein Vogel Strauß mit dessen Gehirn! Die Begehrenswerte fühlt, daß sie begehrt wird und das irritiert ihr Nervensystem! Ununterbrochen!

Im Café, im Restaurant, auf der Straße, im Tramwaywagen, im Eisenbahnwaggon, im Automobil, im Geschäftsladen, überall, überall, überall kann einer sein, dem sie sich momentan, mit geschlossenen Augen, bebend, hingeben möchte! In allen anderen ernsten Beziehungen des Daseins ist sie » wissende Heuchlerin«; nur da, nur da, mysteriös erregt und grundlos von einem völlig Fremden, wird sie unbewußte Wahrhaftige!

Ihre ängstlichen Augen, ihr gespannter, ja gequälter Gesichtsausdruck beweisen dir die Hypnose, unter der sie sich befindet, gegen ihren Willen, in bezug auf irgendeinen Kerl, auf den sie momentan fliegt!

Eine Ohrfeige könnte da vielleicht momentan nützen oder irgendeine andere schreckliche Brutalität, die einfach ihre Nerven » umstimmte«! Aber auch das kann verkehrt wirken. Es treibt sie vielleicht noch mehr hinein.

Am besten ist es, man teile einer geliebten Frau aufrichtig mit, daß man beständig in der Gefahr eines » Flugerls« lebe, eines, auf den sie momentan fliege, und bei dem sie das Bedürfnis habe, sich ihm plötzlich hinzugeben, bebend, mit geschlossenen Augen – – –!

Da sagt sie dir dann vielleicht einmal aufrichtig: »Komm rasch, verlassen wir dieses Lokal, dort drüben sitzt ein ›Flugerl‹, der Offizier mit den gelben Aufschlägen, bezahle morgen, was wir gehabt haben; fliehen wir, Geliebtester, ehe es für mich, für dich zu spät ist – – –!«

Liebesgedicht

Ich sah dich den Amseln zärtlich Futter streuen –
Ich sah dich deinen alten Vater sanft betreuen –
Ich sah dich in einem Buche heilige Stellen anstreichen,
Ich sah dich in Gesellschaft unadeliger Menschen erbleichen.
Ich sah dich deine idealen Füße ungeniert nackt zeigen,
Ich sah dich wie eine Fürstin dich edel-stolz verneigen.
Ich sah dich mit deinem geliebten Papagei wie mit einem Freunde sprechen,
Ich sah dich mit einem Manne wegen eines geringen Taktfehlers für ewig brechen – – –.
Ich sah dich an Himbeerduft dich berauschen,
Ich sah dich der Stille eines Sommerabends lauschen.
Ich sah dich an dem Alltag wachsen, lernen,
Ich sah dich traurig stehn vor trüben Gaslaternen.
Ich sah dich dein Leben spinnen wie die Spinne ihr mysteriöses Gewebe – – –
Ich schlich mich abseits, um dich nicht zu stören.
Ich werde dich aber lieben, solang ich lebe!

Die Kinderzeit

Meine wunderschöne Mama trug ein weites Kleid aus dunkelbraunem Tüll mit hellbraunen Samtbändchen durchzogen. Man sagte, der Hofmeister der Familie W. mache ihr riesig den Hof. Wir verstanden das Wort »Hof« nicht. Eines Vormittags wurden wir zu dem Viadukt von vierzig Meter Höhe über dem Schwarzatal geführt, wo zwei Lastenzüge aufeinander aufgefahren waren. Die eine Berglokomotive hatte die andere direkt bestiegen. Wir nahmen zum Andenken sehr viel Zigarettenpapierschachteln mit, die einem Waggon entstürzt waren. Wir waren erstaunt, keine Leichen zu sehen. Selbst der Lokomotivführer war »mit dem Schrecken davongekommen«. Papa schenkte ihm einen Gulden. Als Belohnung, davongekommen zu sein.

Eines Tages wurde berichtet, die Raupen der Kohlweißlinge fräßen alle Felder ab. Infolgedessen fingen wir alle Kohlweißlinge an den Fenstern des schrecklich heißen Speisesaales weg und zertraten sie, obzwar sie schon über die Schädlichkeit hinüber waren und nur mehr die unschädlichen Ideale ihrer Art repräsentierten. Die Raupen waren uns zu unappetitlich, sie zu vernichten. Um halb 12 Uhr vormittags kam der Bäcker mit den warmen duftenden vierfach eingekerbten Wecken. Da aßen wir heißhungerig zwei, worauf der Kellner vier auf die Rechnung stellte.

»Kinder, Kinder, da könnt ihr ja keinen Appetit zum Mittagessen haben – – –«, sagte die Mama. Aber Pudding mit Himbeersaft fraßen wir doch noch zweimal und dreimal. Auf der sonnigen sandigen Straße zwischen den Wiesen interessierten uns die Sandläufer, die sprangen und flogen und nach Moschus dufteten und mattgrün schimmerten. Ferner die Admirale, schwarzrot, und die Dukatenfalter. Alles saß am liebsten an den trockenen Wagenrinnen der Lastwagen. Da konnte man ganz nahe hinschleichen. Wie gebannt von der Hitze saßen sie. Aber im letzten Moment kam der Selbsterhaltungstrieb über sie und sie flogen wieder auf. Der Hofmeister der Familie W. ging immer öfter und öfter mit uns. Aber wir machten uns nichts aus ihm. Eines Tages wurde der geliebte Hund »Wolf« meiner Schwester in einem Bottich im Garten ertränkt gefunden. Die Gouvernante meiner Schwester weinte noch viel mehr als meine Schwester. Denn sie weinte wegen »Wolf« und zugleich wegen meiner Schwester. Während meine Schwester nur wegen »Wolf« zu weinen hatte – – –.

Ich selbst sah nur den »aufgedunsenen Kadaver« und hatte keinerlei Mitgefühl. So verteilt sich alles verschieden in derselben Angelegenheit. In einer Allee von gelben Rispenstauden stachen die Bienen und die Wespen viele Vorübergehende. Da bat ich ein wunderschönes Mäderl der Familie K., dort ja nicht hindurchzugehen, und sie mußte mir darauf einen heiligen Eid schwören. Das Mäderl erzählte es ihren Eltern. Diese besprachen es mit meinen Eltern, und infolgedessen wurde uns der Verkehr verboten, weil solche »romantischen Beziehungen« ungesund seien. Was geht es ihn an, wenn sie zerstochen wird?!? Dazu ist die Gouvernante da. Der Hofmeister der Familie B. kam für vier Wochen zu uns als Aushilfe für unseren geliebten Hofmeister, der verreisen mußte. Er sagte: »Gnädige Frau, Ihre Kinder sind Prachtexemplare«. Jedenfalls betrachteten wir es als Ferialwochen. Im Walde nach dem Regen roch es immer wunderbar. Nach Schwämmen, feuchter Erde, feuchtem Moos und Erdbeeren. Im Kuhstalle roch es auch wunderbar und im Pferdestalle und in dem Schuppen, in dem Holz gesägt wurde, und in der Mehlmühle und auf der Wiese am Bache, wenn die Sonne hinsengte. Dann der Duft aus der heißen eleganten Hotelküche und der Duft der Zimmer nach den Kretonmöbeln und den Zirbelkieferkästen. Alle diese Gerüche gehörten zu dem Ferienglück mit dazu. Ja, sie waren sogar ein wesentlicher Bestandteil desselben. Von dem Geruche der Bahnhofshalle und des Waggons und dem schneidigfrischen Duft der Gebirgsluft in Station Payerbach gar nicht zu reden. Mama trug oft das braune Tüllkleid mit den hellbraunen Samtbändern. Der Aushilfshofmeister wollte uns immer für sich gewinnen, aber es war gar nicht nötig, denn wir hatten ihn auch von selbst sehr gern. Er sagte zum Beispiel: »Siehst du, was mir gestern besonders an dir gefallen hat – –« Und dann kam eine Sache herausgestrichen, die gar nicht von Bedeutung war. Oder er sagte: »Gnädige Frau, ich muß Ihnen einen reizenden Zug Ihres Söhnchens mitteilen, auf die Gefahr hin – – –«

Die Gouvernante meiner Schwester sagte zu ihm: »Monsieur, weshalb dienen?! Machen Sie doch Ihre Prüfungen!« – »Ich stehe mich so bedeutend besser«, erwiderte der Aushilfshofmeister. Im Hirschpark senkte einmal plötzlich der Vierzehnender den Kopf, fegte mit dem Geweih flach am Boden gegen mich her und hatte bereits stiere, glotzende Augen. Ich machte im letzten Moment einen Sprung zur Tür und er fuhr krachend gegen die Planken. Infolgedessen wurde er erschossen, und ich bekam am nächsten Abend zum Souper ein Stückchen meines Mörders zu essen. Der Hofmeister sagte: »Hirsche sind gefährlicher als Tiger, weil man sie eben bloß für Hirsche hält, während man beim Tiger immer weiß, daß es ein Tiger ist!« Ich hielt diesen Satz damals für vollkommen unverständlich. Aber Mama sagte: »Wunderbar. Ist es nicht auch so mit den Menschen?!?« Worauf der Aushilfshofmeister ein verzücktes Gesicht machte und Mama die Hand küßte. Wir waren paff. Sehr beliebt war die Jagd auf die »Nußhäher«, die zum »Raubzeug« zählen, zum Raubgetier. Es war schwer, sich das von dem schönen Vogel mit den kleinen blauschwarzen Federchen vorzustellen. Aber wenn er am Boden lag, sagten die Jäger oft: »Du arger Sünder!« Abends, wenn es stark geregnet hatte, tappten Salamander über den Waldboden. Man hatte die Empfindung von vorsintflutlichen Welten: Der feuchtwarme stille Wald und die schwarzgelben Molche – – –.

Auch die Kreuzspinne war unheimlich, und man hoffte es immer, daß Regen und Wind sie vom Netze treiben würden. Aber es war wie aus Tauen gedreht, schaukelte und brach nicht im Sturm. Die ersten Herbstzeitlosen machten uns ganz gedrückt. Wir hatten uns so riesig an das geliebte Reichenau wieder attachiert wie alle herrlichen Sommer hindurch unserer Kindheit. Und an dem ersten Abend wieder in der Stadt waren wir immer tief unglücklich, obzwar es große Nüsse, Isenbartbirnen, kaltes Poulard und Sachertorte gab vor dem Schlafengehen – – –. Auch Mama war recht traurig und nachdenklich.

Die Königswiese in der Vorderbrühl

Ganz von dunklem Wald umsäumt, wie ein riesiger Teich von hellem grünem Grase. Das wunderbare Gras, nur spärlich untermischt mit lila und rosa Blüten, ist vor dem Tritte des Wanderers beschützt. Gleichsam ein jungfräulicher Grasboden. So sind die Wiesen dort, wo noch kein Entdecker hingekommen ist, so waren die Wiesen, bevor es Menschen auf der Erde gab. Ziehende Wolken machen Teile der Wiese plötzlich dunkel, während andere Teile wieder plötzlich stärker erglänzen infolge des Windes, der die Halme legt. Verlorene Baumgruppen stehen da wie kleine Inseln, ein bißchen Schatten spendend für niemand. Um die ganze riesige Wiese herum führt ein Spazierweg, hart an dem dunklen Tannenwald an. Die Sonne extrahiert aus Wiese und Wald einen intensiven Parfüm. Man müßte ein Büchlein schreiben nur über Wiesen. Die Wiese, dort, »wo die Großstadt abrinnt, abtropft«, dicht besetzt, belegt mit Kindermädchen und Kindern, vom Staub der nahen Landstraße gemartert, und absterbend, dennoch ein wenig Erholung spendend, in späten Abendstunden vielleicht sogar Glück – – –.

Die wunderbare Bodenwiese auf dem Gahns, dem Vorberge des Schneeberges, über die man zwei Stunden lang geht und die 100 Mäher vier Wochen lang abmähen. Das edle Kohlröserl blüht dort zahlreich, das sanft nach Schokolade duftet.

Dann die feuchte Wiese, durch die ein Bächlein fließt. Die trockene kurzgrasige ausgedörrte Wiese. Die Wiese, die infolge von bestimmten Halmen mehr braun aussieht. Die Wiese, die infolge bestimmter Blüten mehr weiß aussieht. Die gelbe Wiese. Die lila Wiese. Die kurzen Wiesen auf dem Hochschneeberg, belegt mit dicken grauen Schneeflecken und dichtem schwarzem Zirbelholzgestrüpp. Die wie künstlich gefärbte Wiese im Hausgärtchen, bespickt mit zarten Rosenstöckchen. Die Wiese auf dem englischen Landsitz, die erst durch dreihundertjährige Züchtung zu dem geworden ist, was sie ist, die edelrassige Wiese.

Der Essayist würde sagen: »Kehren wir nun nach dieser kurzen Abschweifung zu unserem ursprünglichen Thema zurück – – –«.

Nun gut, kehren wir dahin zurück. Wie ein riesiger Teich von hellgrünem Grase liegt die Königswiese in der Vorderbrühl, eingebettet zwischen dunklen Wäldern. Überall ringsherum sind Bänke, gleichsam Parkettsitze, um die Wiese und ihre wechselvollen Schönheiten zu bewundern. Aber selten gleitet ein träumerischer liebevoller Blick über sie hin. In Mondnächten atmet sie sogar weiße Nebel aus. Aber niemand sieht es.

Rechtspflege

Vor wenigen Wochen wurde eine junge Mutter zu vier Jahren Kerker verurteilt, die ihr vierjähriges Töchterchen zu Tode gemartert hatte; diese Mutter hatte nach der ersten Anzeige mitfühlender Nachbarn vom Richter einen » strengen Verweis« erhalten. Mit desto tieferer Wut, desto geheimnisvoll geschickter (Knebel im Mündchen) vollführte sie von da an ihr Werk der Zerstörung. Dieser eine Fall hätte die »grausame, bequeme, feige Gesellschaft« aufrütteln sollen! Keineswegs. Wenige Wochen später, vorgestern, erhielt eine junge Mutter, die ihr zweijähriges Töchterchen mit einer ledernen Hundspeitsche bearbeitete und ihr Schreien mit Tüchern im Mündchen verhinderte, wieder den für das Opfer vielleicht todbringenden » strengen ersten Verweis«! Es steht mir nicht zu, in die Geheimnisse der gewiß organisch, historisch und naturgemäß entwickelten Rechtspflege kritisch-mißtrauisch zu blicken. Auch begreife ich besser als viele andere die Verzweiflung hysterischer, überbürdeter, arbeitsbelasteter armer junger Mütter, die ihrem eigenen Schicksale trostlos, und die Welt verfluchend, gegenüberstehen – – –. Ich verstehe sogar diejenigen, die sich »an ihren eigenen unschuldigen Würmchen« für die Brutalität und Gemeinheit des Lebens rächen – – –. Ich verstehe die »Hysterie der menschlichen Seele«! Was ich aber nie und nie verstehen werde, ist, daß nicht Tausende reicher Mütter sofort Spenden senden, damit die durch den »ersten strengen Verweis« des Richters aufgereizte Mutter ihr ungeliebtes Kindchen irgendwohin »in Pflege« geben könne!?! Ich selbst zeichne 10 Kronen. Es ist nicht Edelsinn. Ich will nicht im Halbschlafe die Lederpeitschenhiebe niedersausen hören auf die überzarte Haut einer Zweijährigen! Es stört mich.

Mode

Die »Mode« ist das ästhetische Verbrechen an und für sich!

Sie will nicht das endgültig Gute, Schöne, Zweckmäßige. Sie will »immer etwas anderes«!

Sie will das Taumeln von einem Irrtum zu einem anderen. Sie lebt vom Irrtum, der einem anderen Irrtum Platz macht. Sie lebt von kindischen Veränderungen. Die Mode mästet die Schneider, Schuster, Hutmacher.

»Man trägt heuer ...« ist eine verbrecherische Feigheit.

Man hat ewig und immer zu tragen eine den Gesetzen der Hygiene entsprechende Sache, eine künstlerische, einfache.

Ein leichter Girardihut mit edlem breitem Seidenbande kommt nie aus der Mode. Noch ein Panama. Noch ein Sombrero. Noch eine weiße Pikeebluse. Noch ein breiter lederner Gürtel. Noch ein fußfreier plissierter Glockenrock. Noch breite, weite amerikanische Schuhe mit stumpfen Absätzen. Noch ein spanischer Schal.

»Aus der Mode« kommen nur die Irrtümer, die kindischen Spielereien, das von Schneiders oder Hutmachers Gnaden Geschaffene!

Dein Kleid aber sei deine letzte Epidermis, deine feinste künstlerische Haut gleichsam!

Der »Schliefer«, dieses weite, bequeme und nicht sehr teure Kleidungsstück, darf niemals mehr aus der Mode kommen. Es gibt eben auch in diesen Entwicklungsphasen endlich ein erreichtes Endziel. Die organischen Veränderungen finden nicht statt, um den Gewerbetreibenden Aufträge zu verschaffen, sondern um nach einer Reihe von Irrtümern endlich zum Endgültigen vorzudringen!

Der Kultivierte hat die Pflicht, sich den willkürlichen Veränderungen der Mode entgegenzustellen! »Man trägt heuer ...« ist ein verbrecherischer Idiotismus. Was kümmert uns die Bilanz der Schneider, Hutmacher und Schuster?!?

Bequem, dauerhaft, einfach, naturgemäß – darin allein bestehe die Schönheit eines Kleidungsstückes.

Der edle Stoff wirke und die weite Bequemlichkeit!

Sich nach der Mode des Tages und der Stunde sklavisch richten, ist eine Gehirnschwäche!

Eine weite Bluse aus englischem Zephir, mit kurzem Stehkragen und edler englischer Krawatte, ein Girardihut mit breitem seidenem Bande, ein fußfreier Glockenrock aus englischem Stoff, ein breiter weißer oder schwarzer Ledergürtel können niemals »aus der Mode kommen«. Was aus der Mode kommen kann, war nie wert, getragen zu werden von irgend jemand Kultiviertem, auch nur eine Stunde lang!

Sich nach der Mode richten, ist bereits tiefste Unkultur. Es beweist die Sklavennatur.

»Man trägt heuer ...« ist ein verbrecherisches Wort des Unkultivierten.

»Man trage ewig!« ist der Ausspruch des Kultivierten.

Der »Großglocknererklimmer« hat seit Jahrhunderten dieselbe Ausrüstung, adaptiert für seinen bestimmten Zweck! Wir haben ebenso bestimmte Zwecke im Leben, Gipfel zu erreichen. Sollen wir uns da von der »Mode« feige verhindern lassen?!?

Überlassen wir das den » Gigerln«, denen, die gar keine Zwecke und Ziele haben im Leben! Die mögen »der Mode frönen«! So sehr ein Mensch vom anderen sich unterscheidet, so sehr ein jeder eine mannigfaltige, besondere und eigentümliche Welt repräsentieren soll, ebensosehr soll die Kleidung eine erste Repräsentanz dieser eigenen Welt bilden. Nie wird eine »Persönlichkeit« fragen: »Was trägt man?!?« Sondern sie wird autoritativ sagen: »Ich trage mich so!« Für jede Dame gibt es ihr ideales Kleid, ihren idealen Hut, ihre idealen Schuhe, ihren idealen Gürtel, ihren idealen Sonnenschirm. Welche Beeinträchtigung der edlen Mannigfaltigkeiten der Menschen, wenn man sich feig und skeptisch nach der Mode richtet!?!

Wie ein Gedicht gleichsam von selbst sich herauskomponiert aus einem bestimmten Dichterorganismus, so müßte jede Dame ihre Kleidung erdichten aus ihren ureigensten inneren Bestimmungen!

»Sie ist verrückt« ist dann ein Ehrentitel für »Mut seiner Persönlichkeit«. Die Farbe, die Form, die Gewebeart deiner Bluse, die Knöpfe oder Bänder daran seien so sehr dein Eigenstes, wie hundert andere Eigentümlichkeiten deines sonstigen Wesens!

»Fräulein Isabella, was tragen Sie da für eine merkwürdige Bluse?!?«

»Es ist die Isabellabluse!«

»Aber dieser Schirmgriff, bitte?!?«

»Es ist der Isabellaschirmgriff!«

Sei, der du bist! – – –

Nicht mehr, nicht weniger. – – –

Aber der sei!

Und in allem und jedem!

Erlebnis

Ich erzähle eine Geschichte aus meinem Leben. Sie hat vielleicht nur Interesse, weil sie wahr ist. Aber das ist sie wenigstens buchstäblich.

Es war vor ungefähr 15 Jahren, und ich hatte damals weder etwas veröffentlicht, noch je etwas geschrieben. Da sagte mir ein liebes gutmütiges Mädchen in einem Geschäfte: »Herr Doktor (irgendeinen Titel mußte man mir doch geben), Herr Doktor, meine jüngere Schwester, das ›Sanfterl‹, wie wir sie alle nennen wegen ihrer Sanftmut, möcht' nur einmal im Jahr auf einen Ball geführt werden, nur zum Zuschauen. No, und weil sie diese noblen Grabenfiaker den ganzen Tag von ihrem G'schäft aus sieht, wo sie bedienstet ist, bildet sie sich halt den Fiakerball in der Gartenbaugesellschaft ein, das Dummerl. Ich vertrau' das Mäderl aber nur einem einzigen Menschen an, das sind Sie!«

Und so ging ich mit Elise auf den Fiakerball. Sie langweilte sich in meiner Gesellschaft entsetzlich, während ich ihre unbeschreibliche Schönheit stumm bewunderte. Plötzlich kam ein Fiaker und steckte ihr einen Zettel zu. Wie der Blitz verschwand dieser in ihren Händchen. Nach einer Viertelstunde mußte sie »irgendwohin« gehen, wohin ich nicht mitdurfte. Sie kam nicht mehr zurück. Ich suchte sie und fand sie nicht. Da fragte ich einen Bediensteten, ob es noch einen Raum gebe. Ja, im Souterrain säßen die Kavaliere, die Stammgäste der Herren Fiaker. Ich stürzte hinunter. Da saß an einem Tische mitten unter zehn Kavalieren Elise und trank Champagner. Bei mir hatte sie nur ein kleines Eis und zwei Wafferln bekommen. Mit einem Sperberblick ersah ich jenen Kavalier, der noch am nüchternsten war, stürzte auf ihn zu und flüsterte ihm ins Ohr: » Im Namen der Menschlichkeit, auf ein Wort!« Er erhob sich sofort, ging mit mir in eine Ecke. Ich sagte: »Dieses Mädchen wurde mir von ihrer älteren Schwester für die heutige Ballnacht anvertraut. Wenn sie betrunken sein wird, wird sie verloren sein! Das wissen Sie so gut wie ich! Adieu – – –.«

Ich ging hinauf, an meinen Tisch zurück. Fünf Minuten später war Elise bei mir. Sie saß da, bleich, verdrossen. Dann sagte sie: »Sie haben mir da eine schöne Sache angerichtet. So eine Blamage! Mit Ihnen geh' ich auch nicht mehr auf einen Ball«. Ich erwiderte: »Ich habe Sie zu beschützen, Elise, bis Sonnenaufgang, 5 Uhr früh, und bis das Haustor sich hinter Ihnen geschlossen haben wird!!! Von da an sind Sie frei«.

»Ah, gehen S' mit Ihnere faden Reden, da werd' ich aber wirklich gleich wild werden! Wissen S', was die Kavaliere g'sagt haben?!? ›Gehen S' nur g'schwind hinauf, mit an solchen Narren, der auf an Ball mitten in der Nacht sagt: Im Namen der Menschlichkeit!, mit dem is's nicht ganz richtig‹ –.«

Ich fuhr mit ihr nach Hause. Am nächsten Tage sagte ihre Schwester zu mir: »No, wie hat sich das ›Sanfterl‹ benommen?!?«

»Ihrem Kosenamen entsprechend«, erwiderte ich.

Geräusche

Wenn es in den alten Äpfelbäumen rauscht, ist es anders. Und wenn es in Tannenwipfeln rauscht, ist es anders. Wenn es über Felder braust, ist es anders. Wenn es im Weidenbusche rauscht, ist es anders. Wenn es über Almwiesen braust, ist es anders. Wenn es Rosenstöcke im Garten schüttelt, ist es anders. Wenn es in Birken säuselt, ist es anders. Wenn ein getroffener Hase schreit, ist es anders. Wenn ein Käuzchen am Waldessaume abends klagt, ist es anders. Wenn der Rabe halberfroren krächzt, ist es anders. Wenn der Kanarienvogel trotz Gefangenschaften schmettert, ist es anders. Wenn der verlaufene Hund heult, ist es anders. Wenn das Baby in der Wiege unhörbar atmet, ist es anders. Immer ist es anders, aber die wenigsten hören es!

 

Beethoven, ganz, ganz tief in dich hinein lauschtest du, Tauber, vernahmst so die Geräusche der ganzen Welt: Das Konzert des Sturmes, das Konzert der Stille, das Konzert der Klagen, das Konzert des Kicherns! Und du gabst es einfach wieder, wie Bergwände das Echo – – –. So wurde es die Musik der Welt!

 

Ich fuhr das süße junge Kindermädchen Sonntag abends im Boote zur Bucht. Die Ruder sangen im Wasser. Das Kindermädchen sagte: »Die Kinder sind so lieb, die gnädige Frau ist so lieb, Sie fahren mich spazieren, und ich bin nur ein armer Dienstbote«.

Die Ruder sangen im Wasser, sangen im Wasser und hielten still am Weidenufer und sangen da nicht mehr, stundenlange – – –. Und dann sangen sie wieder, bis man an den Garten kam des Hauses, in dem sie bedienstet war. Und sie sagte: »Ich werde noch horchen, bis Ihre Ruderschläge verhallen in der Nachtstille – – –«.

 

Die Möbel knackten im Winter um 3 Uhr morgens und ich lag als Kind in Todesangst, in Todesschweiß bis zum Morgengrauen: Es kommt jemand geschlichen, schlachtet mich – – –. Mama, Mama!

 

Ich war bei der Maturitätsprüfung durchgefallen, kam aufs Land zu meinen Eltern, die zu weinen begannen in ihrem Zimmer. Von der Waldwiese kam aus dem Musikpavillon der Klang der Ouvertüre zu »Wilhelm Tell«, von Tannenwipfelrauschen unterbrochen. Irgendwo sagte eine Kinderfrau zu einem Kinde: »Na warte, du schlimmes Mädi, ich werde es dem Gärtner sagen – – –«. Eine große blaue Fliege summte herein, stieß an den weißen Plafond an. Meine Eltern weinten, Papa unhörbar, aber Mama schneuzte sich.

 

Sie stieß im Schlafe mit dem Ellbogen an die japanische Wandmatte. Es gab einen dumpfen Klang. Ich berührte sanft ihren Ellbogen, sagte leise: »Süßestes Geschöpferl – – –«. Sie seufzte auf. Dann ward es wieder still.

 

Ich hörte im Bergwald einen Schuß, und ein Reh starb. Ich hörte im Garten einen Schuß, und ein Nußhäher starb. Ich hörte im Hotel einen Schuß, und es starb ein junges Mädchen. Ich dachte: »Wirst du deinen eigenen Schuß auf dich hören?!?«

Meine geliebteste Geliebte putzte sich die Zähne und gurgelte melodisch mit »Salol«, spuckte aus, wie ein Miniaturwasserfall, aus einem rosigen Mündchen in ein schneeweißes tiefes Lavoir. Ich sagte zu ihr: »Betrüge mich nur mit einem unmusikalischen Menschen! Denn dieser hat dann wenigstens nicht das Glück, die Melodien deines Gurgelns zu vernehmen beim Zähneputzen!«

Abschiedsbrief eines Aschantimädchens von Wien

Lieber Peter.

Ich gehe weg und Du bleibst hier.
Mehr kann ich Dir nicht sagen.
Es ist alles.
Ich gehe weg und Du bleibst hier – – –.
Ich möchte es Dir hundertmal sagen und hundertmal: »Ich gehe weg und Du bleibst hier!«

Deine
Nòkò.

Sie meldet ihre baldige Ankunft in Wien

Lieber Peter.

Jeden Abend sah ich mich bisher gezwungen, aus dem Dorfe zu gehen an das Meeresufer und zu singen in der Richtung zu Dir hin.
Nun wird es bald nicht mehr notwendig sein.

Nòkò.

Sie merkt es, daß er sie nicht mehr lieb hat, sondern einer anderen Glasperlen schenkt

Lieber Peter.

Nur diese großen, wunderbar geschliffenen schwarzen Jettperlen gib ihr nicht, die Du einst niemandem anderen im ganzen Dorfe selbst für Geld verschafftest als mir. Nur diese gib ihr nicht!

Nòkò.

Letzter Brief

Lieber Peter.

Deine neue Freundin verkauft Deine ihr geschenkten Glasperlen an ihre Freundinnen. Ich habe nur zwei Deiner Ketten in Afrika an meine Mutter und meine Schwester verschenkt. Und eine dritte habe ich eines Abends in den Teich geworfen. Weshalb?! Wen kümmert es?! Aber verkauft habe ich keine.

Nòkò.

Gamelang-Musik

Ich bin seit heute 2 Uhr nachmittag, 26. November, wie jemand, dem man sein Todesurteil verkündigt hat. Denn in einem Leben existieren zu müssen, in dem dieses Ereignis möglich war, ist die verlängerte Qual des Hinsterbens. Ich hoffe, daß alle, alle, die irgendwie in der Lage sind, sich öffentlich an die beleidigte Menschheit zu wenden, in einer Art von hysterischer Ekstase zur Rache, zur Bestrafung aufreizen werden! Ich hoffe, daß diejenigen mit dem Worte der letzten Verzweiflungen mich ablösen werden, die nicht, wie ich, das Joch eines Poseurs oder eines Irrsinnigen tragen. Ich setze die Notiz hierher, die ich gelesen habe, und an der ich für immer innerlich krank bleibe: »Die ›Niederländische Wochen-Zeitung‹ berichtet: Eine schöne Sklavin des Sultans von Karangasam wurde von diesem so schändlich behandelt, daß sie aus dem Puri entfloh. Sie wandte sich an den Residenten von Bali und bat ihn flehentlich, sie doch nicht auszuliefern, da sie nach ihrer Rückkehr zu Tode gemartert werden würde. Der Resident durfte jedoch den bestehenden Kontrakten nicht zuwiderhandeln und mußte die Sklavin den Henkern des Sultans überliefern. Diese banden das arme Weib, auf Befehl des Sultans, völlig entkleidet und mit ausgestreckten Armen an ein Kreuz und schossen auf sie aus alten Vorderladern mit trockenen Katjangbohnen. Die Tortur dauerte fünf Stunden. Nach jedem Schuß überzeugten sich die Bestien davon, wie viele Millimeter tief die Bohnen ins Fleisch gedrungen waren. Fiel das Weib in Ohnmacht, so wurde so lange gewartet, bis es wieder zum Bewußtsein gekommen war. Der Sultan erklärte, das Jammergeschrei der Unglücklichen klänge wie Gamelangmusik. Einige Bohnen, die durch die Augen in das Hirn der Unglücklichen gedrungen waren, machten endlich ihrem Leiden ein Ende.« Und ein Europäer, der Vertreter eines kultivierten Staates, hat sie, die von uns allein noch das menschliche Herz erwartete, den Henkerbestien ausgeliefert! »Wir wollen die Sache nun einmal ein wenig nüchterner, weniger ekstatisch betrachten«, sagt der Historiker, der Staatsmann, der Völkerpsychologe. Kommet zu Wort, wenn es an der Zeit ist – – –. Aber zuerst lasset das Herz der Menschheit sich beklagen, sich ausweinen und sich schämen!

Aus unseren Tränen wird Weisheit; aber aus eurem Lächeln?!?

An dem Tage, an dem man erfahren hat, daß man einen Haupttreffer gemacht habe, verdaut man Speisen leicht, die man tags vorher noch hätte erbrechen müssen!

 

Zwei Arbeiter gehen hinter einem Mädchen, das wunderbare aschblonde Haare hat: »Jessas, Jessas, de Haar, de möcht' man ins Maul nehmen, so schön sein s'!«

 

Einziger wirklicher Triumph eines männlichen Herzens – – eine wirklich reuig Zurückkehrende.

 

Die wunderbare junge Spanierin sagte mir über meinen Brief: »Votre lettre – – – je comprends, que vous me comprenez – – – c'est tout ce qu'il nous faut – – – c'est' plus!«

 

Wunsch:

Ich möchte, daß eine geliebte Frau noch immer zärtlicher und liebevoller ein Blumenbeet im Garten anblicken könnte als mich – – –.

 

Manche Menschen sind schon ganz verkommen, und noch immer verraten ihre adeligen Gliedmaßen die Intentionen Gottes, die sie nicht realisiert haben!

 

Wenn man Romeo auf Ehre und Gewissen, das eben kein Romeo besitzt, fragte, ob er es denn sich wirklich zugetraute, die geliebteste Julia ganz, ganz glücklich zu machen, so müßte er erwidern: »Ich glaube, mein Herr, für einige Wochen langt es gerade – – –«.

 

Die Seelen der Ehebrecher sprechen bereits miteinander, und derjenige, der um sein Glück ängstlich zittert, hört doch nur die Worte: »Guten Abend!« und »Wie geht es Ihnen?!?«

 

Es gelang dem Tierbändiger, es den Tigern weiszumachen, daß er mächtiger sei als sie. Es gelang dasselbe dem Gatten bei seiner süßen renitenten Frau. Aber der Tierbändiger ist anständiger. Er sagt nie: »Sie brauchen das zu ihrem Glücke!«

 

Er war sehr musikalisch und verachtete die Frauen! Das heißt, er erwartete sehnlichst und vergebens eine, die so wirkte wie Beethovens Adagios und Schubert-Lieder!

 

Prinzip! »Ich habe es mir einfach zum Prinzip gemacht, meine Briefe nicht herzuzeigen und basta«, sagte sie zu ihm. Da schlief er die ganze Nacht nicht, hatte am nächsten Tage schreckliche Migräne und versäumte eine wichtige geschäftliche Angelegenheit. Auch aß er keinen Bissen zu Mittag.

 

»Ich halte Bananen für das gesündeste Obst!«

»Weshalb essen Sie sie dann nicht selber?!?«

»Kann die Zuträglichkeit einer Frucht durch mein persönliches Verhalten ihr gegenüber größer oder geringer werden?«

 

»Sie predigen Wasser und trinken Wein, mein Lieber!?!«

»Wäre es nicht ein größeres Verbrechen, Wein zu trinken und ihn auch noch zu predigen?!?«

 

»Sie ruinieren uns alle Frauen, mein Herr Dichter, indem Sie ihre Ansprüche an den Mann und seine Art und Weise vergrößern!«

»Ich sehe ein, daß es taktlos von mir ist, die Frauen darauf aufmerksam zu machen, daß der Mann ein Wesen von unendlicher Kultur sein sollte!«

»Wohin kämen wir, bitte, wenn wir nur immer Idealen nachhängen würden?!?«

» Zu den Idealen

 

Es ist das Seltenste auf der Welt, einen Mann zu finden, der einen ununterbrochen entschädigte für die vielen Liebhaber, die man seinetwegen nicht erhört hat!

 

Man wird einmal so überempfindlich werden, daß man die Eifersuchtsqualen eines liebevollen Herzens, die man erzeugt, wird miterleben können. Dann wird man auch den rohen Mut verlieren, sie diesem Herzen aufzubürden! Aber dazu muß man dekadent werden, das heißt » überempfindlich«!

 

Ein Kind zertrat einen Maikäfer. Ich sagte zu ihm: »Denke dir ein Reich der Riesen. Da kommt einer und zertritt dich! Kein Papa mehr, keine Mama, keine Kinderfrau Mimi, kein Onkel Karl. Du bist ein Brei. Und weshalb? Niemand weiß es.«

Das Kind dachte: »Philosophieren, gut! Aber nur net schlagen!«

 

»Meine Frau langweilt sich an meiner Seite!«

Tiefste psychologische Erkenntnis, die es überhaupt gibt. – – –

Weshalb schrieb noch niemand das Drama: »Langweile«?!? Das wirklich Tragischeste, das existiert?!!

 

Man kann einen »wirklichen Menschen« wittern an einem Nichts, wie die edelsten Hunde das Wild.

 

Die Menschen vertragen das flache Geschwätz. Aber nicht das tiefe Schweigen! Da sagen sie alsbald: »Heute sind Sie nicht sehr amüsant! Was ist Ihnen?!? Ist Ihnen etwas über die Leber gelaufen?!? Wirklich, bei Ihnen kennt man sich nicht aus – – –. Kommen Sie zu sich, mein Herr – – –«. Eben dort aber war man!

 

– – Omne animal post coitum unhöflich.

 

Es gibt einige Worte, bei deren Nennung angeblich kultivierte Damen noch immer beunruhigt werden: »Syphilis, Hure, Päderast –«. Wie wenn ein Botaniker beunruhigt würde durch die Worte: Tollkirsche, Schierling, Bilsenkraut –!?

 

Gespräch zwischen zwei kleinen Knaben

»Wer ist dir lieber, der Moses oder der Rübezahl?!«

»Natürlich der Moses!«

»Mir der Rübezahl. Der Moses muß alles tun, was Gott ihm anschafft, aber der Rübezahl tut, was ihm paßt!«

 

Dichter

Jemand schrieb über mich: »Und wenn man wirklich noch daran zweifeln könnte, daß man es hier mit einem gottbegnadeten Dichter zu tun hat, so lese man nur die kleine Geschichte von dem siebenjährigen Kind!«

Gerade diese Geschichte hat mir die Mutter dieses Mäderls wörtlich mitgeteilt.

»Aber diese einfache Sache für wert zu halten, sie den anderen mitzuteilen, mein Herr?!?«

»Jawohl, das heißt ein Dichter sein!«

Kultur

Wenn es also wahr ist, daß sanftmütigstes rücksichtsvollstes Benehmen Frauen auf die Dauer langweilig und reizlos wird, dann – – – wollen wir ihnen lieber fade und uninteressant werden!

Landpartie

Er machte mit ihr eine Landpartie und dachte besorgt an alles, was sie brauchen könnte. Er hatte Nadeln bei sich und Sicherheitsnadeln und Englischpflaster, rot und weiß, und Chocolat Suchard Milka, und Soda-Mint, und Arnika gegen Gelsenstiche und selbstverständlich papier poudré. Aber irgend einmal bedurfte sie gerade einer Sache, an die er nicht hatte denken können ...

»Und das nennt er liebevolle Fürsorge!«, dachte die Dame.

Die Reifenkünstler

Varieté-Kritik

Sie waren ganz in Weiß gekleidet und hatten 1000 weiße Holzreifen. Es waren fünf wunderschöne magere Jünglinge mit scharfen Adlergesichtern und fast eingefallenen Wangen und ein vierzehnjähriges Mädchen, ebenfalls mit einem Adlergesicht, aber viel zarter und aristokratischer und flachsblond. Sie arbeiteten wie zu ihrem eigenen ausschließlichen Vergnügen, wie auf weiten englischen Wiesen der Fürstenschlösser. Wenn etwas fehlging, erschien es allen als das Natürlichste von der Welt und niemand hatte die Empfindung, daß sie nicht überaus vortreffliche Künstler wären. Auf den Gesichtern der Reifenspieler war freudige Erregung, wie jedes mit Anmut dargebrachte Vollkommene es auf dem Antlitze widerspiegelt, ein edler Gegensatz zu »im Schweiße deines Angesichtes!«

Die weißen Holzreifen wurden zu lebendigen Wesen, liefen, sprangen, flogen, tanzten, rannten über die biegsamen Leiber der Spielenden. Mit äußerster Zartheit behandelte man das Mädchen, stellte sie auf bequemere Posten, auf minder exponierte in der Reifenschlacht, wo hunderte Reifen zugleich durch die Luft sausten. Zwei Jünglinge standen auf steilen Gerüsten, um alle sausenden Reifen aufzufangen.

Da sagte die wunderschöne junge Dame in der Loge zu ihren drei Kavalieren: »Wer von euch im nächsten Sommer auf unserem Schlosse auf der großen Wiese so Reifen spielen kann wie diese, erhält meine Hand!«

»Zu Artisten sind wir uns zu gut«, dachten zwei der Kavaliere und verzichteten innerlich.

Aber der dritte sagte: »Wenn ich nicht veranlagt wäre, diese körperliche Vollkommenheit zu erreichen, wäre ich Ihrer, Komtesse, überhaupt nicht würdig –.«

Tosender Beifall belohnte die Reifenspieler für ihre schwierigsten Tricks. Aber in ihrem feurigen Eifer spielten sie dennoch wie ausschließlich zu eigenem Vergnügen, achteten nicht der Beifallsstürme, postierten das junge Mädchen, wo es leichtere Arbeit hatte, und als sie selbst hier etwas versah, ging einer hin und küßte sie beruhigend auf die Wange. Man hatte das Gefühl von edel-leichten Organisationen, wie Antilopen, Gazellen, Eidechsen. Man dachte sogar: »Die können nicht gemein sein, boshaft, heimtückisch – –.«

Und in der Tat sind solche Artisten meistens gutmütig und zufrieden mit dem Schicksal.

Die Dame in der Loge sagte zu ihrem dritten Kavalier: »Sie brauchen nichts mehr zu erweisen, Sie haben bereits die Probe bestanden, indem sie zuversichtlich es auf sich nahmen; wir gehören einander!« –

Mama

Meine Mama ist tot. Nichts von ihr ist übrig, sie ist aus der Welt verschwunden.

Wenn sie für das Theater, eine Soiree, einen Ball frisiert, angezogen wurde, war ich als Kind verzweifelt und wie in Todesangst. Ihr Weggehen abends aus der Wohnung kränkte mich unbeschreiblich. Die Bonne sagte: »Schau doch, was du für eine schöne Mama hast – – –«. Niemand begriff meinen Schmerz. Sie ging in die Welt, die nicht die meine, die unsere war, und zwar sogar mit Freuden. Ich war tief unglücklich. Ich sah die Zimmer mit den Öllampen wie nach einem verheerenden Kriege, wie nach einem Unglücksfalle. Den Spiegel, an dem sie frisiert wurde, das Lavoir, in dem sie ihre zarten Hände gewaschen hatte, den Schlafrock, die Pantoffel. Alles war so in Unordnung geraten; nur weg, weg, weg in das Vergnügen hinein! Niemand hatte Sinn und Zeit für meinen Schmerz, weder die alte gute Köchin noch das liebenswürdige Stubenmädchen, noch die Bonne. Alle setzten sich zusammen und tratschten und waren vergnügter als sonst. Ich aber hatte mein Liebstes verloren, während die anderen einen »freien Abend« gewonnen hatten.

Vor einigen Tagen stand ich nachts 2 Uhr vor dem Hause Franzensbrückenstraße 3. Ich sah zu den dunklen Fenstern hinauf im 2. Stockwerk. Hier also, um diese stille Stunde, war meine schöne Mama in unendlichen Leiden gelegen, hatte mich zur Welt gebracht. Ich hörte gleichsam mein erstes Winseln, sah Mama zu Tode erschöpft von ihrer Lebenspflicht. Also ich war da; das Verhängnis meines Daseins war nicht mehr rückgängig zu machen, ich war verurteilt zu den endlosen Verirrungen; ich schrie, aber die Hebamme sagte wahrscheinlich: »Oh, eine gesunde Lunge!«

Nun stehe ich da, vor diesen Fenstern, in derselben Nachtstunde, höre gleichsam Mamas Seufzer wieder. Ich bin glatzköpfig und ziemlich verkommen und 48 Jahre alt und habe es zu nichts gebracht trotz herrlicher Anlagen.

Mama ist tot. Nichts von ihr ist übrig. Sie ist aus der Welt verschwunden auf Nimmerwiedersehen. Sie hat mir einen gesunden Leib, Intelligenz und Seele mitgegeben, also ihre Verpflichtung als Mutter ideal erfüllt. Sie ruhe in Frieden – – –.

Besuch im einsamen Park

Wie wenn die müde Seele noch einmal auf längst gesprungenen Saiten ihre begeisterten Klagen singen müßte, so ist es, wenn du zu mir kommst, Helene N.!

Der Alltag weicht da wie ein böser Zauber, der uns gefangen hielt, in einem Leben, das nicht die Stunde wert ist, die es bringt! Man lebt dem Tod entgegen!

Das alte Zauberreich von melancholischen Zärtlichkeiten erblüht, und der fade Park wird zum mysteriösen Urwald, wenn dein geliebter Schritt die alten Wege wandelt – – –.

Dein Sprechen wird wieder zu Musik, der Hauch des Atems wird wieder zum Wehen von Frühlings-Gebirgs-Almen mit Kohlröschen und Seidelbast!

Dein Sitzen beglückt und dein Stehen und dein Wandeln – – –.

Alles, was dich unglücklich macht, ist zugleich mein Unglück, und deine Klage trifft ein exaltiertes Bruderherz;

Indem ich leide und dir die Last abnehme unverstandenen Kummers,
Jauchzt meine Seele, daß sie mit dir leiden darf!

Ich möchte dich ins Zauberreich entführen,
Wo du mein Kindchen wirst, gewiegt, getragen, beschützt, in überzärtlichen Armen, an für dich bebendem Herzen – – –

Weg von den Ungetümen »Menschen«, die dich mit ihrem feigen Irrsinn morden!

Bist du denn ein Distelstrauch am Wege, ein Unkraut oder Brennesselgebüsch?! Bist du dem Tritt des schweren frechen Fußes ausgesetzt?!

Bist du nicht eine zarte Blüte Gottes, die behütet werden muß vor jedem rohen Hauche?!

Bist du nicht die, die unser totes Herz zum Leben wiederbringt,
Und deren zarte Gliederpracht aus unserm glotzend stieren Fischaug' ein gerührtes Künstlerauge wieder zaubert?!?

In welche Welt bin ich geraten, pfui!? Wo alles sich in schnöder Ordnung abraspelt!?

Du bist die andere! Anders als die anderen!

Göttliche Kräfte bringst du, ohne es zu wissen!

Und pflichtlos sinken wir zu deinen Füßen hin! Nur eine Pflicht erkennend, vor dir hinzuknien!

Das zugeschnittene Maß, das alle fördert, ist uns verächtlich und vergiftet uns!

Der ekle Friede sorgenlosen Daseins macht unsere Kräfte stocken und vertrocknen – – –.

Wir müssen brennen, glühen und vergehen!

Und unsere innere Träne, wenn du beim Scheiden uns ruhig die Hand reichst,

Macht uns erst wieder leben, leiden und verzweifeln,

Und auf eine Stunde hoffen, da du, Gebenedeite, wiederkehrst! Für diese Stunde leben wir in Not!

Die da sind, morden uns;

Doch die da kommen, um von uns zu scheiden, bringen uns das Glück des abgrundtiefen Seelenschmerzes wieder!

Wir wollen rauschen, brausen und zerschäumen!

Des Lebens eingedämmte Ordnung ist unser heimtückischer Feind, für dumpfes Erdenleben ganz geeignet, das unter der feigen Maske der Rettung nur lahmlegt und vernichtet und vorzeitigem Tod entgegentreibt – – –.

Helene N., komme, auf daß ich hundert Stunden lang in Fieberzehrung dich erwarten könne – – –.

In Fieber mich verzehren ist mein Leben!

Und scheide von mir, auf daß ich tausend Stunden dir nachtrauern könne – – –.

Mein Geist lebt nicht vom Sein, das lahm macht und gebrechlich – – –;

Mein Geist lebt nur von Hoffen und Verzweifeln!

Du kamst, Helene N., und alles ward belebt und blühte auf – – –.

Du gingst, und Trauerflore hingen über der dunklen ausgestorbenen Welt – – –.

Die Welt der Pflichten ist vielleicht gesünder und fördert manches Wertvolle in kleinem Kreise – – –;

Wir aber wollen lieber an unseren inneren Symphonien elend scheitern! Des Alltags Werkelton mordet uns ebenso, nur langsamer und qualvoller – – –. Wie stumpfe Messer gegen scharfe Klingen!

Der Folter wollen wir entgehn des leeren Lebens, das unseren Organen ihre Kraft entzieht;

Und in der Schlacht trifft rücksichtsvoller uns der Tod und herrlich plötzlicher,
Als vorbereitet zu jeder Stunde eines Lebens, das weniger als nichts für uns bedeutet!

Helene N., komm wieder in den Park.

Wo Irre ihre irren Träume träumen – – –.

Du wirst hier doch vielleicht mehr Menschlichkeiten finden,

Als in der Welt, die sich frech-fälschlich für die normale hält!!!


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