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Margueritta stand nahe bei ihm.
Sie lehnte sich an ihn.
Sie nahm seine Hand in ihre kleinen Hände und hielt sie fest. Manches Mal drückte sie sie sanft an ihre Brust.
Und doch war sie erst elf Jahre alt.
»Margueritta ist die Menschenfreundin«, sagte die Mutter zu dem jungen Manne, »Rositta ist anders – –. Sie liebt die Einsamkeit, die Natur und die Tiere. Jetzt hat sie ihr Herz einem gelben Dachshund geschenkt, Herrn von Bergmann. Sie hatte das Glück, ihm gestern vorgestellt zu werden. Sie hat heute die Taschen voll Würfelzucker für ihn – – –, aber es ist eine unglückliche Liebe.«
»Wieso unglücklich – –?!«, sagte das Kind, »ich liebe ihn ja! Ich denke immer an ihn – –. Das macht mich doch glücklich?!«
Rositta war neun Jahre alt, zart und bleich.
Margueritta sagte: »O, Rositta ist übertrieben –!«
»Wieso?!«, fragte die Schwester und erbleichte –.
»Ja, du bist übertrieben – –! Sie will Sennin werden am Patscherkofl und Zither lernen!«
Rositta: »Der Wirt in Igls hat so schön Zither gespielt und gesungen! Und er hat gar nicht gewußt, daß er schön singt – –! Er ist dagesessen und hat gesungen – – –.«
Margueritta: »Rosie hat eine Altstimme und dichtet sich selber die Lieder. In der Früh singt sie manchmal: ›O, meine Berge, meine Berge – –!‹ Aber übertrieben ist sie doch – – –!«
Die Mutter sagte: »Das ist doch kein Lied: ›O meine Berge – –!?‹«
Rosie sah ihre Schwester an. Sie war erstaunt, verlegen.
Margit sagte: »O ja, das ist ein Lied – –! Mama, das verstehst du nicht, das verstehen nur wir. Ein Lied ist es, nicht wahr, Herr – – –?!«
Der junge Mann sagte: »Ja!«
Er dachte: »Es ist eine tönende Menschenseele – – ein Lied!«
Er blickte in die Welt zweier Kinderseelen.
Margueritta war die rosige Morgenröte – – man konnte es nicht anders sagen.
Aber die andere, die Sennin am Patscherkofl, die bleiche zarte, die Zither lernen wollte und die mit einer Altstimme sang: »O meine Berge, meine Berge« – –?!
Es wurde Abend.
Er saß zwischen den beiden Kindern auf einer Bank an der Esplanade.
Margueritta legte ihr blondes Köpfchen auf seinen Schoß und schlief ein – –.
Rosie saß da und blickte auf den See hinaus – –.
Beide weißen süßen Kinderseelen waren ihm zugeflogen.
Aber wirklich liebte ihn nur Margueritta und wirklich liebte er nur sie.
Was ist das »wirklich«?!
Über der anderen schwebte das Schicksal. In ihr sang es: »O, meine Berge – – –«. Und doch küßte sie ihn so sanft und sagte: »Du, Herr Albert – – –«
Aber den Herrn von Bergmann mit dem gelben Fellchen und den krummen Beinchen und den riesigen Ohren – – – den liebte sie »wirklich«!
Wenn er vorüberwatschelte, hatte sie eine tiefe Sehnsucht – – –. Sie stand da mit ihren verschmähten Zuckerstückchen und warf sie ins Wasser – –
Der junge Mann fühlte die Tiefe.
Die Mutter sagte einfach: »Rositta ist schwer zu behandeln. Ich sehe darauf, daß sie viel schläft. Ich möchte Aufregungen von ihr ferne halten – – –.
Auch das Mutterherz fühlte das »schwebende Schicksal«.
Der junge Mann behandelte beide gleich. Beide küßte er, mit beiden ging er Hand in Hand über die Esplanade, mit beiden ruderte er in den Abendstunden langsam auf und ab – – –. Beiden schenkte er zum Abschied, im Herbst, zwei goldene Kuhglöckchen als Brosche, mit dem eingeätzten Worte »See-Ufer«.
Rositta sang am nächsten Morgen in der Stadt mit ihrer Altstimme: »O meine Berge, meine Berge –!«
Es war doch ein Lied – – ein Lied!
Margueritta hörte zu und dachte: »Du Dichterin, du Sängerin – – –!«
Dann sagte sie einfach: »Rosie, du bist übertrieben – – –!«
Der Saal ist viereckig, schneeweiß, überhaupt wie eine riesige Pappendeckelschachtel. Die durchscheinenden Kugeln aus dickem welligem Glase machen aus dem Bogenlicht im Inneren goldgrüne und weißgrüne Flecken, die wie glänzendes Wasser schimmern oder Öl, wie Milch im Mondschein.
Rechts neben ihm saß sein goldblondes Schwesterchen, in Samt maron purée und einer Bluse aus gleichfarbiger Seide. Sie hatte zu Hause gebadet, sich getummelt, häusliche Unannehmlichkeiten gehabt, suchte nun etwas, das entlastete, entfernte, blickte in die riesige Pappendeckelschachtel mit den goldgrünen glänzenden Flecken – – –.
»Man bleibt also der, der man ist, überall – –?!«, fühlte sie.
Die Instrumente sagten: »Husch aus dem Bade –!« »Marie, bitte, oh Marie.« »Aber Fräulein, machen die Brause zu – –. Wie schön Fräulein sind – –.« »Wo ist mein Seidentuch?! Bitte um Geld für die Garderobe – –.« »So geh schon – –.« »Gibt es einen Frühling – –?! Was ist eigentlich Musik – –?!«
Links neben ihm saßen zwei Schwestern, junge Frauen, Bekannte. Die eine hatte eine Pongis-Bluse mit Rubinschmuck und schwarze Augen, Augen wie Mitternacht. Diese Augen sagten: »Ich will brennen! Macht ein Feuer an! Ich will brennen – – –!«
Die andere dachte: »Das Leben hat schöne Einzelheiten wie das Quartett. Aber was ist es?! Man zählt und zählt – – –. Anita ist müde, Zählen macht müde, nicht?! Und wenn ich Zehntausend habe?! Dann lege ich es in ein goldenes Kästchen und werfe das Schlüsselchen ins Meer – – –.«
Die Violinen sangen.
Sie träumte: »Helgoland – – oh meine Sommertage – – ins Meer – –.«
Das Fräulein in maron purée dachte: »Die vier Herren da oben sind schwarz und zusammengeduckt, sie müssen sehr unbequem sitzen, und die Fräcke verdrücken sich. Es ist Kammermusik, der edelste Kunstgenuß, ja wirklich. Die Oper hat mehr Farben – –.«
»Die Oper hat mehr Farben – – –« dachte sie jetzt endgültig und ihre gebadete Haut begann zu dunsten in der Konzert-Luft.
»Habe ich das Eau de Cologne zugestöpselt, habe ich das frische Nachthemd hergerichtet, habe ich Reis herausgegeben – – –?!« dachte sie.
Die Dame sagte zu dem Herrn: »Sie müssen Helgoland sehen – –. Ich habe den Tanz getanzt mit den Matrosen – –.«
Es hieß: »Jawohl, ob du es glaubst oder nicht, so eine bin ich – – manches Mal.«
»Pst – – –«, sagte man.
Süße Töne füllten die weiße Pappendeckelschachtel wie mit Bonbons.
Da stieg das Cello in ihr Herz – – –.
»Was siehst du mich an, Herr?! Höre lieber zu – – –.
Pause.
»Helgoland – – – ich tanzte mit den Matrosen!«
»Zartes feines Geschöpf – –«, denkt der Herr, »haben sie dich nicht zerdrückt?!«
»Woher bin ich – –?!«, fühlt sie plötzlich, »wohin gehe ich?! Ich wohne Ebendorferstraße 17, I. Stock, Tür 5. Im Vorzimmer ist ein roter Teppich und Spiegelglas. Wie ein kleiner Kerker ist es – –.
Helgoland, ich tanzte mit Matrosen – – –!«
Das Fräulein in maron puree denkt: »Ich habe niemand – – –.«
Andante.
»Wie Schatten – – –«, sagt die junge Frau.
»Du bist affektiert – –«, denkt das Fräulein; »wie Schatten – – –?!«
Die junge Frau wird rot, weil man es gehört hat. Sie senkt den Kopf, horcht auf die »huschenden Schatten« – – –.
Die Violinen machten »ti–ti–tiiiii – – –«, worauf das Cello noch ein bißchen das alte Thema in Erinnerung brachte, aber nur so, husch – – –.
Wie Schatten – – –.
Alle sagten »bravo«. Wie wenn man sagt: »bravo, ein Kind ist gestorben.«
Eigentlich hätte man schluchzen hören sollen.
Die junge Frau zieht an ihrem Opernguckersäckchen aus Seide, zu, auf, zu, auf, zu – – –.
Das Fräulein denkt: »War es fad oder bloß traurig?!«
In der ersten Reihe sitzt Frau P. Sie bekommt alles im Leben aus erster Hand. Sogar die Jacke ist Modellstück, hellgrüne Seide mit opalisierenden Glasperlen. Sie denkt: »Wie angenehm ist das Leben und so einfach und wie schön diese Herren spielen! Wird Herr Max zum Souper mitkommen?!«
Die ganze erste Reihe hält sich für König Ludwig, dem man extra vorspielt. Wirklich, die Töne fahren sonst in der Pappendeckelschachtel herum wie feine Schmetterlinge, zerstoßen sich an den goldgrünen Flecken der Lampen – – –. Aber in der ersten Reihe schweben sie über den Cercle-Sitzen wie über Blumen.
Der Musikkritiker sitzt ganz rückwärts. Er hat das Ohr mit seinen Labyrinthen. Ein Ariadnefaden führt zum Welt-Geist!
Alle sagen: »bravo – – –.«
Er fühlt: »Ein Kind ist gestorben – – –.«
»Sie müssen Helgoland sehen – – –«, sagt die junge Frau zu dem Herrn, »das wünsche ich Ihnen – –.«
»Sie sind wie eine Meermuschel«, sagt er, »in der das Meer noch singt, wenn längst – – –.«
Da begann ein neues Musikstück.
Das Klavier sagte: »wenn längst, wenn längst – –« und tanzte einen Matrosentanz. Das Cello griff ins Herz hinein, eigentlich drückte es das Herz zusammen und ließ es wieder los. Da wurde es weit oder es schien nur so – – –.
»Es ist ein Meerbad – –«, fühlt die Dame, »kurz wie Helgoland und wie der Sommer und wie eine Herde gelber Schafe, die durch ein sonniges Dorf getrieben wird, und wie der Duft von Kartoffelfeldern am Abend, wie Hühner-Bouillon, wenn man krank war, wie ›bittersüß‹ und wie ›da bist du endlich‹ – – –.«
Das Fräulein träumte: »Habe ich jemand – –?!«
Der Herr blickt die Helgoländerin an: »bitte, numeriere diesen Blick nicht – –.«
»Nein – –«, antwortet sie sanft mit ihren Augen, »ich lege ein eigenes Konto an – – –.«
»Und wirf das Schlüsselchen nicht ins Meer – –!«
»Und werfe das Schlüsselchen nicht ins Meer – –.«
Klavier, Violino primo, Violino secondo, Cello, Viola sangen: »Wirf es ins Meer, ins Meer, ins Meer – – –.«
Aber es war nur das Klavierquintett von G., zweiter Satz, Andante.
Das Fräulein in maron purée dachte: »Diese Stelle klingt wirklich wie ›Ich habe niemand, niemand, niemand‹ – – –!«
Griechenland! Diese schwere dumpfe Sinnlichkeit, ganz gasförmig gelöst in ästhetischem Empfinden! Die Materie überwunden durch das, was sie ausstrahlt – Schönheit! In Bewegung befreit! In Grazie verzaubert!
Er saß in einem Parke. Um ihn herum, auf den Wegen, in den Alleen, schwerfällige Organisationen – – – Menschen!
Ein weißes Batistkleid fliegt heran – –. Aschblonde, lange, offene, seidene Haare. Schlanke zarte Beine in schwarzen Strümpfen. Sie ist dreizehn Jahre alt. Man sieht oberhalb des Knies die weißen Unterhöschen. Sie fliegt über den Weg mit ihrem Reifen. Alles federt. Olympische Spiele – – –!
Er starrt ihr nach. Sie wendet und fliegt vorbei.
»Ah, schön – – –!«, haucht er. »Du bist ein Mensch«, fühlt er, »du bewegst dich.«
Sie kehrt langsam, in Kurven, zurück. Der Reifen tanzt – – – tanzt.
»Ah, dich, nackt, ganz nackt, auf einer duftenden samtenen Wiese im Abendschatten Reifen schlagen sehen und fliegen – – – fliegen! Und dann stehst du da und wirfst in runder Bewegung die blonden Haare zurück und wir trinken mit den Augen, diesem Liebesorgane der Künstlerseele, deinen schlanken weißen Leib – – – in Schönheits-Liebe!«
Er sagte: »Fräulein, der Reifen ist ein edles Instrument – – –.«
»Wieso?!«, sagte das Kind-Jungfrau, »ein gebogenes Holz – – –. Es geht ganz leicht.«
Er sah sie an, wie man eine Edeltanne im Hochwald anschaut, das herrliche Schweben des Hühnergeiers auf einem Punkt über dem abendlichen Walde, einen Schwan auf einem See und ein Künstlerantlitz, wenn der Gedanke auf ihm liegt. Er sah sie an, wie man das Freie, Edle, Natürliche anschaut – – in Schönheits-Liebe!
Sie flog um die große Wiese herum und blieb in seiner Nähe.
Sie wurde müde. Sie stand da, die Holde, leise auf ihren Reifen gestützt – – – und blickte ihn an.
Diana – – –!
Er sagte: »Sie werden sich verkühlen. Sie sind ganz naß. Sie werden bleich vom Laufen.«
»Ich bin immer blaß«, sagte sie.
»Und doch scheint Bewegung Ihre Natur zu sein.«
»Ich liebe die Bewegung«, sagte sie.
Sie setzte sich auf die Bank neben ihn.
Er hatte die Empfindung: »Du bist ein Werdendes.« Er war in Schönheits-Liebe versunken –.
Mit den Augen trank er die Schönheit dieses Menschen und berauschte sich.
Ihr Kleid duftete nach dem heißen kindlichen Leibe. Die Haare dufteten – – –.
Der süße Atem schwamm ihm entgegen – –. In den Linden dufteten die gelblichgrünen Blüten. Zwei Atem der Natur!
Sie saß regungslos – – –.
Er zog sie an sich und küßte sie auf die Stirne.
Sie saß regungslos.
Dann stand sie auf und sagte: »Adieu. Kommen Sie morgen wieder?!«
Und Griechenland entschwand in den nebelgrauen Wiesen – – –.
Er blickte ihr nach: »Dich, dich, nackt, ganz nackt, auf einer duftenden Wiese im Abendschatten Reifenschlagen sehen und fliegen – – fliegen, und, wenn du müde bist, neben dir zu sitzen, am Waldessaum, im Abendschatten und den Duft der feuchten Walderde und der Wiese und deines Leibes einzuatmen und die Schönheit der Welt in sich einzusaugen und in diesen Schönheitskräften, die durch tausend Strahlen ins Auge, durch tausend Atome ins Gehirn dringen, zu wachsen, und voll, übervoll zu werden und diese konzentrierten latenten Spannkräfte in Reichtum zu empfinden und diesen Reichtum in Liebe, in Gedanken umzuwandeln und diese in Bewegung umgesetzten Kräfte neue Kraft zeugen zu lassen – – unerschöpfliche, das ist ›ein Lebendiger‹ sein! Das!!
Aber wir – – wir leben nicht!!«
Er und sie sitzen auf der Bank in einer Linden-Allee.
Sie: Möchten Sie mich küssen?!
Er: Ja, Fräulein – – –.
Sie: Auf die Hand – –?!
Er: Nein, Fräulein.
Sie: Auf den Mund – –?!
Er: Nein, Fräulein.
Sie: O, Sie sind unanständig – –!
Er: Ich meinte »auf den Saum Ihres Kleides!«
Sie erbleicht – – –.
Ich liebe dich
Ich liebe dich. Ich liebe deine hellblauen seidenen Socken. Ich liebe deine zarten weißen Batistkleidchen. Ich liebe deine seidenen Gürtel mit den langen wunderbaren Schleifen. Ich liebe dich.
Ich liebe deine drei von dir geliebten Puppen, Mildred, Baby und Dorothy, welche du an dein Herz drückst und zu welchen du sagst: »Ihr macht mir viel Kummer, meine Lieben, wißt ihr das?! Immer gleich verdrückt und schiefe Hüte – – –!«
Ich liebe dich. Ich liebe den Duft deines Zimmers, deines Kleiderschrankes, deines Bettes. So duften die Rinden der Bäume im Vorfrühling, wenn noch kein Laub ist und alle Kraft im Baume drinnen liegt. Ich liebe dich.
Ich liebe dich, wenn du gestraft wirst und du eine Träne wirst, wie Daphne ein Baum.
Die Großen weinen. Aber die Kleinen werden Tränen.
Ich liebe dich. Noch lehnst du lächelnd an dem Tor des Lebens. Ich liebe dich.
Weltenweisheit hast du – – – da du noch nichts weißt.
Pallas Athene du! Unbeirrten Auges thronst du auf dem weißen Throne deiner Kindlichkeiten! Ich liebe dich.
Ah, melde mir die Nacht, in der die grausame verzerrungsfreudige Natur zum Weib dich macht!
Dann will ich Abschied nehmen – – – von meiner Liebe.
Ich hasse dich
Ich hasse dich, Geliebte! Ich hasse deine schönen seidenen Blusen, die deines Atmens Wellenschlag mir weisen und meiner Sinne »griechisches Lächeln« zum Ernste des Barbaren zwingen. Ich hasse dich.
Ich hasse deiner Worte Willkürherrschaft, die mich erbleichen und erröten machen, krank und gesund, blöde und weise. Ich hasse dich.
Ich hasse deine Schönheit. Deine Schönheit hass' ich, die mir Ersatz für Weltenschönheit wird und so mit Blindheit schlägt mein Weltenauge.
Ich hasse deiner Stimme holden Klang, der mir Beethovens Symphonien leer macht und so mein Ohr betrügt um Welten-Klänge! Ich hasse dich!
Ich hasse dich, die meine Weltenkräfte, die zersplittern und verkommen wollen, allzu sorglich ins Dienstesbette drängt.
Vorsorgliche! Gescheite! Ich hasse dich.
Ich hasse dich, »fixe Idee meiner Seele«!
Ich hasse dich, wenn du mir sagst: »Komm' wieder«, ich hasse dich, wenn du mir sagst: »O bleib'«. Denn ich, ich komme wieder und ich bleibe Beschränktheit meiner Schrankenlosigkeiten! Ich hasse dich!
Ich hasse deine Tugenden, die mich rühren, ich hasse deine Fehler, die mich nie verletzen.
Ich hasse dein Erröten, das mich selig und dein Erbleichen, welches mich besorgt macht. Ich hasse dich, daß ich auf diesem geliebten Antlitz die Runen schwerer Stunden ängstlich lese.
Die grenzenlosen Kräfte meiner Seele vermählen sich dem All nicht, sie treiben Ehebruch mit deinem Herzen, o Geliebte!
So hass' ich alles, was ich an dir liebe. Ich hasse dich! Weltendummheit hast du! Denn du fühlst in mir des Weltenganzen einfachen Vertreter, das Welt gebilde, das du nicht begreifst, in einem Welt extrakte, den du fassen kannst.
Ich aber bin es nicht. Ich kann es werden. Doch nicht bei dir und nicht durch dich, Geliebte! Nur durch die Weltenschönheit kann ich's werden, die mit dem Kreidewald und Farrenwald begann und weiterzieht bis zu den letzten Stunden.
Durch Weltenschönheit kann ich's werden, die ihrer Kräfte endelose Ströme durch meine heiligen Augen in mich ergösse, und ich, ich tränke sie und machte sie zu Blut, zu Geist!
Doch deine Ströme, o geliebteste Geliebte, machen mich nur zum Herren des Alltages, der zeugt und stirbt.
Ich hasse dich! Indem du mich von meinem Weltenwege ablenkst, zeigst du den kargen Weg mir, der vielleicht mir ziemt. Und weist mit deines Leibes griechischer Schönheit den kleinen Kreislauf, der dem Schwächeren frommt! Wer Ruhe sucht im Weibe, ist kein Wanderer!!
Und doch! Geliebte Reichmacherin, die du mir die Welt verarmst!
Siehe! Des fremden Kindes Lächeln muß mir teurer bleiben als meines eigenen Lachen!
Weib, verstehst du das?!!
Denn meine väterliche Liebe reicht gerade aus für alle Kinder, die da sind und die da kommen werden, wenn sie nur schön sind und der Frühling sind.
Tausendfach armselig, tausendfacher Un-Mann, wer da fühlt, daß er, um seines Herzens Vaterliebe anzubringen, sich erst ein Wesen schaffen muß dazu!!
Du aber bleibst, Geliebte und Gequälte, die heilige Jungfrau-Mutter! Und sonst nichts.
Geliebte Lügnerin, die du mich leitest zu Höhen, um mich zu deinen Höhen nur herab zu leiten! Ver-Führerin! Ich hasse dich.
Ah, melde mir den Tag, da ich dich nicht mehr liebe – – – dann will ich Abschied nehmen – – von meinem Hasse!!
Ich liebe dich
Sie: »Wie werden Blätter gelb?!«
Er: »Das grüne Chlorophyll des Blattes verwandelt sich in Gelbstoff, Xantophyll, unter dem Einflusse der Kälte.«
Sie: »Wie werden Blätter rot?!«
Er: »Das grüne Chlorophyll des Blattes verwandelt sich in Rotstoff, Erythrophyll, unter dem Einflusse der Kälte.«
Sie: »Und schwarz?!«
Er: »Das ist das Sterben des Blattes. Wenn es nicht mehr Kraft hat, Farben umzuwandeln, wird es schwarz.«
Sie: »Und Blätter werden Erde?!«
Er: »Ja. Der Schnee zermürbt sie, präpariert sie vor.«
Sie: »Lehre mich Botanik. Aber nicht wie in der Jugend, wie viele Staubgefäße jede Blume hat, wie sie lateinisch heißt, wo man sie findet. Lehre mich das Tiefe, wie sie wird und stirbt und niemals aufbegehrt und wieder wird und stirbt und wieder stirbt und dann doch auflebt – – –.«
Er: »Anatomie, Physiologie der Pflanzen?!«
Sie: »Ja, das.«
Er: »So komm. Es ist zu kalt zum Sitzen im Freien. Und wir sind in Jahren – – –. Wir brennen Holz im Ofen und ich lehre dich, wie junge Stämme ihren Ring ansetzen. Vor allem, weißt du, wenn im ersten Frühjahr – – –.«
Und sie ging schweigend; lauschend neben ihm.
Kannst du dir vorstellen, mein Freund, daß ein Botaniker, mit dem »unheiligen organischen Hunger« in seinen Nerven, fähig sei, ein Gericht von Erbsen oder Blumenkohl auf sein Wesentliches zu prüfen?!
Und Ihr, Un-Gelehrte, mit eurem »unheiligen organischen Hunger« in den Nerven, unterfangt euch, dieses zarteste Gebilde »Weib« zu diagnostizieren?!
Elende! Von eurem Hunger aus!
Sein eigenes Leben nicht ernster nehmen als ein Stück von Shakespeare! Aber auch nicht minder ernst! Sich von dem Leben in Besitz nehmen lassen wie im Theater. Das Theater des Lebens. Der ideale Zuschauer seiner selbst sein! Ganz drin sein und dennoch aus den facheusen Komplikationen herauskommen können in die frische Nachtluft; erlebt haben, was man nicht erlebt hat, nicht erlebt haben, was man erlebt hat!
So reinigst du dich von dir selber!!
Und die »Tragödien deiner selbst« bringen dir das Lächeln – – der Weisheit!
Die tragischen Schwächungen: Essen, wenn man nicht hungrig ist. Trinken, wenn man nicht durstig ist. Sich bewegen, wenn man Ruhe-bedürftig ist. Sich begatten, wenn man Liebe-los ist.
In Weisheit führt uns die Natur! Wenn wir hungern, zum Brote. Wenn wir dürsten, zum Wasser. Wenn wir müde sind, zum Schlafe. Wenn wir Liebe-voll sind, zum Weibe.
Der Mann legt die Frauen-Seele auf das Prokrustes-Bett seiner Bedürfnisse.
Alles verzeih' ich dem Mann – – nur nicht das vergebliche Ringen! Schweigend verhülle dein Haupt, Cäsar des Lebens, wenn Brutus, das Schicksal, tödlich gegen dich stößt! Vergebliches Ringen geziemet dem Weibe, der Sklavin des Lebens! Noch, im Abgrunde schwebend, krümmt sie die Finger zum Griff!!
Das Unvermögen, sich mit einem anderen Weibe zu vereinigen als jenem, welches man mit der Seele liebt, ist – – göttliche Potenz!
Der Mann hat eine Liebe – – die Welt!
Die Frau hat eine Welt – – die Liebe!
Der vorsichtige feige Lebens-Mensch versetzt seine Ideale vermittels der Religionen in die Sterne, in den Himmel, um sich das Vergebliche eines Versuches, denselben nahe zu kommen, zu beweisen.
Der unbedenkliche und kühne Künstler-Mensch versetzt sie in seine eigene Brust, um ihnen nicht entrinnen zu können!
Die Frau ist die vom Schöpfer in die Welt gesetzte göttliche Wunsch-Maid Brunhilde, der »Weib gewordene« Wunsch Gottes selbst: Mann, werde Gottgleich! Werde All-gütig, All-weise und All-mächtig, deines eigenen Alls mächtig, über dich selbst die Macht habend!
Aber diese anderen fordern: Mann, sei Tier!
Teufelinnen!
Mann, Herr des Lebens! Wann wirst du dich endlich entschließen, dich mit dem geliebten Weibe in einen anderen Kontakt zu setzen als den, welchen du mit dem Hunde, dem Paviane und dem Schweine gemeinsam zu haben die Ehre und das Vergnügen hast?!!
Gehört die Almwiese dem Hias'l, der sie bewirtschaftet?!
Sie gehört dem Wanderer, der sie empfindet!
Der Künstler-Mensch verlangt von seinem Weibe nur eine einzige Treue – – –, daß sie ihm die Rasse nicht verschandele!
Schönheit, Vervollkommnungen träumt er. Das ist seine Liebe!
Aber diese anderen wollen – – – sich fortpflanzen. Ha ha ha ha – – auch eine Art, Vervollkommnungen zu träumen!
Ich will ein König sein, der bettelt bei einer Königin, nicht ein Bettler, der König ist bei einer Bettlerin!!
Die Eifersucht ist keine Leidenschaft. Sie ist eine Furcht! Die tiefste Furcht, die ewige des Lebens, die unentrinnbare organische Furcht, etwas zu verlieren, ohne das man nicht mehr lebendig sein kann – – seine Lunge, sein Rückenmark, sein Gehirn, das Herz des anderen, welches unseres geworden ist und welches unseren Blutkreislauf erhält und schützt wie das eigene. Wie wenn dieses stille stünde, ist der Verlust des anderen. Die Eifersucht ist keine Leidenschaft! Die Eifersucht ist eine Furcht, die ewige organische unentrinnbare, innerlich sterben zu müssen! Eine Todesfurcht!
Indem der Dichter das »Reich, das da kommen wird«, in sich trägt und das »Reich, das da ist«, erlebt, befindet er sich in Frieden mit jenen neuen Ansprüchen der Seele, welche die alten Herzen der anderen in Unruhe versetzen und zerstören. Denn die Unruhe ist die Wirkung des »Ungewissen«. Der Dichter aber weiß in sich, was kommen wird!! In Ruhe wartet er und singt indessen und verkündet!
Es gibt drei Idealisten: Gott, die Mütter, die Dichter!
Sie suchen das Ideale nicht im Vollkommenen – – – sie finden es im Unvollkommenen.
Ökonomie:
»Du sollst erst essen, bis du hungrig bist und schon aufhören, ehe du satt bist«, ist ein tieferes, göttlicheres Gesetz als »Es soll dich nicht gelüsten nach – –« und anderes. Denn jenes macht diese entbehrlich. In ihm liegt die Kraft, die Ruhe, die Weisheit, die Wahrheit und das Glück!!
Im Ausdrucke des Antlitzes steht es mit einfachen klaren Linien geschrieben: »Hier herrscht das teuflische Überflüssige« oder: »Hier regiert die göttliche Notwendigkeit«! Mehr Dampf in einer Lokomotive erzeugen als nötig ist für ihre höchste Bewegung, ist die Tat eines wahnsinnig gewordenen Maschinenführers.
So ist der Mensch!
Er rast dahin den Weg des Lebens und wird zu Brei zermalmt auf seiner Strecke!
Mode-Journal:
Dein Gewand sei die Erweiterung und Fortsetzung deines Wesens über die Epidermis hinaus. Die letzte Hülle deiner Seele, die dich enthüllt! Faltenreiches weites Gewand ist das Symbol deiner Vergeistigung, deiner Immaterialisierung! Der Körper verschwindet, und es bleibt weite reiche fließende Bewegung. Weiche seidene Stoffe in tausend Plissees sind daher die wahre » englische Mode«. Je mehr Bewegung ein Gewand dir gestattet, desto göttlicher ist es. Das schönste Gewand wären Flügel!
Die Frauenseele ist bescheiden: Sie sucht Jesus Christus und Napoleon, Diogenes und Hölderlin vereint in einem Wesen! Diese einzige Wahrheit des noch Lüge-losen und Konzessions-freien Herzens nennen die Hunde: Backfisch-Träume!
Der Schlaf ist der heilige Versuch der Natur, die Tages-Wunden zum Verheilen zu bringen. Den Schlaf vorzeitig unterbrechen, heißt, heilige Verbände vernarbender Wunden wegreißen!
Man fragte eine Mutter: »Wie erziehen Sie Ihr Töchterchen?!«
»Ich lasse sie schlafen – –«, antwortete diese Beste, Weiseste.
Die Frau stellt in ihrer »schönen Form« das dar, was der Künstler-Mensch in seinem »schönen Geiste« zum Ausdruck bringt. Die Genialität ihres Leibes ist gleich der Genialität seines Geistes. Ihr Leib ist sein »Materie gewordener« Geist. Sein Geist ist ihr entmaterialisierter Leib. Was er »denkt«, »ist« sie!
Die überschüssigen Kräfte seiner Seele los werden können in Räuschen, in Ekstasen! Das ist die Hygiene der Herzen, welche – – an überschüssigen Kräften leiden.
Aber die zarte Frauenseele hat nur Träume. Träume sind keine Ekstasen. Träume sind keine Räusche. Es sind die – – Träume von Räuschen! Sie kann ihre überschüssigen Kräfte nicht los werden. Sie hat keine Hygiene. Sie bleibt überladen, krank. Die Hunde aber sagen: »Hysterisches Frauenzimmer!« Das ist ihre Rache für die Ekstasen, die sie nicht bereiten – –!
Wenn ich denke, rede ich – – – wenn ich liebe, begehre ich.
Sonst bleibe ich ewig stumm!
Das ist Menschentum!!
Menschentum ist: schweigen, wenn Geist und Seele nicht sprechen! Es ist tönender, ins Wort, in Begattung sich aussprechender, sich offenbarender, sich erlösender Geist! Das Wort, das ich spreche, der Kuß, den ich gebe, sind die heiligen Geburten des Geistigen in mir zu »lebendigem Leben«, zu »physischer Tat«!
Treue ist das » Gesetz der Trägheit« der Seele.
Ah, treue Seelen, wie treulos seid ihr – – eurem Werden!
Die Frau ist ihre Sehnsucht!
Das, was sie nicht geworden ist, ist sie!
Dieses zweite geheimnisvolle Leben der Frau will zum Leben kommen, geboren werden, sein!
Indem sie eine Tochter gebärt, gebärt sie ihre »Sehnsucht« zu einem »lebendigen Organismus« aus und kann zur Ruhe kommen ihrer drängenden Kräfte. Die Frau ist ein Halb-Wesen. Sie und ihr Töchterchen zusammen sind erst Eines! In dieser will sie erst sich selbst erleben, die nie lebte!
Heilige Zwei-Einigkeit!! Der »Sehnsucht seiende« Mensch und seine »Mensch gewordene« Sehnsucht! Wehe dir, tochterlose Frau! Wo wirst du dieses ungeborne Leben »Sehnsucht« anbringen, daß es zur Welt komme?!
Eine junge Dame sagte einmal: »Niemand versteht A. K. – – – denn jeder Satz ist schon der achte Satz.
Die vorhergehenden sieben Sätze überläßt er uns! So eine Achtung hat er vor unserem Herzen, unserem Geiste. Wie mit »Mündigen des Lebens« verkehrt er mit uns. Wie ein Kapellmeister der Hof-Oper mit seiner Künstlerschar. Bescheiden sitzen sie an ihren Pulten, blicken vertrauensvoll hin und verstehen seine Intentionen.
Aber mit euch müßte er reden wie mit Schulbabys: a, a, a, a, b, b, b, b.
Sehet! Wenn man mir am Klaviere die sieben Noten anschlägt: a, f, e, gis, a, ais, h, so spüre ich das ganze Liebes-Leid Isoldens!«
Glückliche Liebe?! Eine, die das Unglück hat, daß ihr der »heilige Weg« durch ein Ziel abgeschnitten wird.
Unglückliche Liebe?! Eine, die das Glück hat des »ewig Wandernden zur Sonne«.
Auch Bewegung ist ein Rasten – – vom Rasten!
Auch die Dissonanz hat ihre Idee! Ihre Idee ist die Sehnsucht nach Erlösung in der Konsonanz. Konsonanz?! Eine Dissonanz, die ihre Idee verloren hat.
Keuschheit?!
Organe, welche bisher Selbstherrscher, Caracallas waren, in die heiligen und ausschließlichen Dienste des Kaisers »Seele« zwingen!! Sie zu heiligen Vollstreckern kaiserlicher Befehle erhöhen!!
Christentum?! Heidentum?! Einen einzigen Menschen gab es bis heute.
In Keuschheit wurde Er geboren! Daher bekam Er nur Reines mit. Und konnte Liebe geben ohne Gegendienste!! Und um Liebe sterben, weil die » blöde Leidenschaft des Lebens« Ihn nicht zeugte und sich nicht in seine Nerven grub!
Wandle seine Bahnen!
Dante Alighieri stand in einem Lorbeer-Walde 16 Jahre und wartete auf Beatrice – – –.
Diese Anderen aber warten einen Tag – – und gehen dann doch in die »Kleine Blutgasse; nicht läuten, klopfen«!
Die Mutter sitzt mit ihren beiden Töchtern im Konzert-Garten.
Es ist kühl. Manches Mal rauschen die Platanen, brausen gleichsam auf.
Um den Springbrunnen stehen lila Schwertlilien, wiegen sich wie Pendel.
Die Töchter haben kurze Frühlings-Mäntel an aus brauner Moiré-Seide, braune Strohhüte mit weißen Schierlings-Dolden, »des fleurs françaises«.
»Hast du der Näherin geschrieben, dem Klaviermeister – – –?!«, sagt die Mutter.
»Ich habe vergessen – – –«, sagt Marie.
»Vergessen – – –?!«
»Ja, ich habe vergessen – –. Überall schleppst du alles mit, Mama! Wir sind in einem Garten. Ich lasse alles zu Hause – – – – – –.«
»Du – – –.«
»Ja, ich. Sich loslösen können ist künstlerisch –!«
Die jüngere Schwester legt ihre Hand sanft auf die der »Künstler-Natur«. Diese sagt: »Man könnte ein Gedicht machen: ›Die Schwertlilien im Parke‹.«
Der Vater kommt mit dem Sohne.
»Ohne Überrock – –?!«, sagt die Dame; »du bist leichtsinnig. Bist du denn ein junger Mensch, Papa?!«
»Ich wußte nicht, daß es kühl ist – –«, sagt er.
Otto, zu den jungen Mädchen: »Wie schön ihr seid – – –!«
Marie: »Was ist es für ein Stück, das die Kapelle jetzt spielt?!«
Otto: »Du kennst es nicht?! Schäme dich! Manon ist es.«
Sie: »Eine oberflächliche Musik – – –.«
Pause.
Otto: »Dieser Konzert-Garten war so vor hundert Jahren. Ewig haben sie Potpourris gespielt. Maria Theresia, Kaiser Franz – – –. Man wird noch spielen Potpourris aus Martha, aus Lohengrin, es werden Leute dasitzen, die fliegen können, oder zehntausend Ziegelschlager – – –.«
»Ich habe das nicht sehr gern – – –«, sagt Marie.
Die andere erhebt sich, setzt sich neben den Vater – – –.
»Du frierst – – –«, sagt die Mutter zu diesem; »so leichtsinnig zu sein! Stelle wenigstens deine Füße auf das Tischbrett.«
Die jüngere Tochter fühlt: »Er bebt, er friert nicht –.«
Die andere sagt: »Wie kann man für Massenet schwärmen?! Er ist süßlich wie Bouguereau. Otto, warum sprichst du nicht mit mir über Massenet?! Hältst du mich für unwürdig?!«
»Laß ihn – – –«, sagt die Mutter, »monsieur ist schlecht aufgelegt, siehst du es nicht?!«
Otto erbleicht.
Es ist kühl. Manches Mal rauschen die Platanen, brausen gleichsam auf.
Die lila Schwertlilien um den Springbrunnen wiegen sich wie Pendel. Marie fühlt: »Ihr Schwertlilien im Parke – – –!«
»Soupieren wir – – –«, sagt die Mutter.
»Ich nehme Brathuhn mit Marillen-Kompott«, sagt Marie.
»Und du?!«, sagt die Mutter zur jüngeren Tochter.
»Ich weiß es nicht – – –.«
»Und du, Papa?!«
»Ich nehme nichts – – –.«
Otto: »Papa muß essen. Er hat Mittags nichts gegessen. Und überhaupt – – – – –.«
»Ich nehme nichts – – –.«
»Natürlich, wenn man friert – –«, sagt die Mutter.
Die jüngere Tochter fühlt: »Wenn man bebt –.«
»So gehen wir alle nach Hause«, sagt die Mutter, »und kaufen uns am Wege Schinken und Aspik; ich schicke den Diener zu Demel um Beignets, dann kannst du auch deine beiden Karten schreiben, Marie –.«
»Hören wir noch dieses Stück an – –«, sagt Marie, »es ist Ouvertüre Tannhäuser.«
Der Kapellmeister ist ein blasser Mann von vierzig Jahren.
Marie denkt: »Möchtest du in der Hof-Oper auf dem Drehsesselchen sitzen, bleicher Mann, und dem Arnold Rosé gebieten – – –?!«
Die Ouverture beginnt.
Die weltentrückten Pilger kommen langsam durch den dunklen Tannenwald.
Die Violinen steigen in den Himmel, gleichsam in leuchtenden, leidenschaftlichen Spiralen, höher, immer höher, wo das Ewige wohnt – – –.
Es ist kühl. Manches Mal rauschen die Platanen, brausen gleichsam auf. Die lila Schwertlilien wiegen sich wie Pendel.
Maria lauscht – – – –. Die Violinen steigen in den Himmel, in leuchtenden, leidenschaftlichen Spiralen – – – – –.
Die andere hat ihre Hand auf die geliebte Hand des Vaters gelegt – – – – –.
Es steht mitten zwischen Wiesen und Obstgärten ein riesiges gelbes Haus. Es ist ein Mädchen-Institut der »Englischen Fräulein«. Es gibt viele »heilige Schwestern« darin und viel Heimweh.
Manches Mal kommen die Väter an, besuchen ihre Töchterchen. »Papa, grüß dich Gott – – –.«
In dieser einfachen Musik »Papa, grüß dich Gott – – –« liegen die tiefen Hymnen der kleinen Herzen. Und in »Adieu, Papa – –« verklingen sie wie Harfen-Arpeggien!
Es war ein regnerischer Land-November-Sonntag. Ich saß in dem lieben kleinen warmen Café und rauchte und träumte – – –.
Ein schöner großer Herr trat ein mit einem kleinen wunderbaren Mädchen.
Es war eigentlich ein Engel ohne Flügel, in einer gelbgrünen Samt-Jacke.
Der Herr nahm an meinem Tische Platz.
»Bringen Sie ›Illustrierte Zeitungen‹ für die Kleine«, sagte er zu dem Marqueur.
»Danke, Papa, ich möchte keine – – –«, sagte der Engel ohne Flügel.
Stille – – –.
Der Vater sagte: »Was hast du – – –?!«
»Nichts – – –«, sagte das Kind.
Dann sagte der Vater: »Wo seid ihr in Mathematik?!«
Er meinte: »Sprechen wir über etwas Allgemeines. In der Wissenschaft findet man sich – – –.«
»Kapitalrechnungen«, sagte der Engel. »Was ist es?! Was bedeutet es?! Ich habe keine Idee. Wozu braucht man Kapitalrechnungen?! Ich verstehe das nicht – – –.«
»Lange Haare – kurzer Verstand«, sagte der Vater lächelnd und streichelte ihre hellblonden Haare, welche wie Seide glänzten.
»Jawohl – –«, sagte sie.
Stille – – –.
Ich habe ein so trauriges Gesichterl nie gesehen! Es erbebte gleichsam wie ein Strauch unter Schnee-Last. Es war, wie wenn Eleonora Duse sagt: »Oh –!« Oder wenn Gemma Bellincioni es singt – – –.
Der Vater dachte: »Geistige Arbeit ist eine Ablenkung. Und jedesfalls, kann es schaden?! Man wiegt die Seele ein – –. Man muß das Interesse wecken. Natürlich schläft es noch – – –.«
Er sagte: »Kapitalrechnungen! Oh, es ist interessant. Das war seinerzeit meine Force (ein Schimmer des vergangenen Kapitalrechnung-Glückes huschte über sein Antlitz). Zum Beispiel – – warte ein bißchen – – zum Beispiel jemand kauft ein Haus.
Hörst du zu?!«
»Oh ja. Jemand kauft ein Haus.«
»Zum Beispiel euer Geburtshaus in Görz. (Er machte die Sache spannender, indem er geschickt Wissenschaft und Familienverhältnisse in eine ziemlich nahe Beziehung brachte.) Es kostet 20 000 Gulden. Wieviel muß er an Zins einnehmen, damit es 5% trage?!«
Der Engel sagte: »Das kann niemand wissen – –, Papa, kommt Onkel Viktor noch oft zu uns?!«
»Nein, er kommt selten. Wenn er kommt, setzt er sich immer in dein leeres Zimmer. Merke auf. 20 000 Gulden. Wieviel ist 5% bei 20 000 fl.?! Nun, doch jedesfalls soviel mal 5 Gulden, als hundert in 20 000 enthalten ist!? Das ist doch einfach, nicht?!«
»Oh ja – – –«, sagte das Kind und begriff nicht, warum Onkel Viktor so selten komme.
Der Vater sagte: »Also wieviel muß er einnehmen?! Nun, 1000 Gulden ganz einfach.«
»Ja, 1000 Gulden. Papa, raucht die große weiße Lampe im Speisezimmer noch immer beim Anzünden?!«
»Natürlich. Also hast du jetzt eine Idee von Kapitalrechnung?!«
»Oh ja. Aber wieso trägt Geld überhaupt Zinsen?! Es ist doch nicht wie ein Birnbaum?! Es ist doch ganz tot, Geld.«
»Dummerl – – –«, sagte der Vater und dachte:
»Übrigens, es ist Sache des Institutes.«
Stille – – –.
Sie sagte leise: »Ich möchte nach Hause zu euch – –.«
»No, du bist doch ein gescheites Mäderl, nicht –?!«
Zwei Tränen kamen langsam die Wangen heruntergeschwommen.
Erlösung! Tränen! Schimmernde Perlen gewordenes Heimweh!!
Dann sagte sie lächelnd: »Papa, es sind drei kleine Mädchen im Institute. Die Älteste darf drei Buchteln essen, die Jüngere nur zwei und die Jüngste eine. So diätetisch sind sie! Ob sie nächstes Jahr gesteigert werden?!«
Der Vater lächelte: »Siehst du, wie lustig es bei euch ist?!«
»Wieso lustig?! Uns kommt es so vor, weil es lächerlich ist. Das Lächerliche ist doch nicht das Lustige?!«
»Kleine Philosophin – –«, sagte der Vater glücklich und stolz und sah an den feuchtglänzenden Augen seines Töchterchens, daß Philosophie und Leben zweierlei seien.
Sie wurde rosig und bleich, bleich und rosig –. Wie ein Kampf war es auf diesem süßen Antlitz. Es stand darauf geschrieben: »Adieu, Papa, oh, adieu –.«
Ich hätte dem Vater gerne gesagt: »Herr, schauen Sie dieses Marien-Antlitz an! Sie hat ein brechendes kleines Herz! – – –.«
Er hätte mir geantwortet: »Mein Herr, c'est la vie! So ist das Leben! Es können nicht alle Menschen im Kaffeehaus sitzen und vor sich hinträumen – –.«
Der Vater sagte: »Wie weit seid ihr in Geschichte?!«
Er dachte: »Man muß sie ablenken. Das ist mein Prinzip.«
»Wir sind in Ägypten«, sagte das kleine Mädchen.
»Oh, in Ägypten«, sagte der Vater und machte, wie wenn dieses Land einen wirklich ganz ausfüllen könne. Er war geradezu erstaunt, daß man sich noch etwas anderes wünsche als Ägypten.
»Die Pyramiden«, sagte er, »die Mumien, die Könige Sesostris, Cheops! Dann kommen die Assyrer, dann die Babylonier – – –.«
Er dachte: »Je mehr ich aufmarschieren lasse, desto besser.«
»So?!«, sagte das Kind. Wie wenn man sagt: »Versunkene Völker – – –!«
»Wann habt ihr Tanzen?!«, sagte der Vater. Er dachte: »Tanzen ist ein lustiges Thema.«
»Wann?!«
»Gleich, wenn du weggefahren sein wirst. Dann ist Tanzen, von 7-8.«
»Oh, Tanzen ist sehr gesund. Tanze nur fleißig –.«
Als der Herr sich erhob, um wegzugehen, und mich freundlich grüßte, sagte ich: »Verzeihen Sie, mein Herr, oh verzeihen Sie mir, ich habe eine große, große Bitte an Sie – – –.«
»An mich?! Was ist es?!«
»Oh bitte, lassen Sie heute Ihr Töchterchen von der Tanzstunde dispensieren.«
Er sah mich an – – – und drückte mir die Hand.
»Gewährt!«
»Wieso verstehst du mich, fremder Mensch?!« sagte der Engel zu mir mit seinen schimmernden Augen.
»Gehe voraus – – –«, sagte der Herr zu dem Kinde.
Dann sagte er zu mir: »Pardon, halten Sie es für ein richtiges Prinzip?!«
» Jawohl«, sagte ich, » was die Seele betrifft, ist das einzige Prinzip, keine Prinzipien zu haben!«
Weil Einer nicht an Typhus
starb,
war's darum bloß ein
leichtes Fieber?!?
Glauben Gnädige an eine Liebe nicht,
weil Einer nicht daran
verdarb?!?
Verbrannt zu Asche, hebt der
Phönix sich,
verklärt durch Schmerz, in Himmelshöhen – – –
versengst Du einem
Sperling sein Gefieder,
erhebt er sich nie wieder!
Hernach.
Lotte nach Werthers Tode
Und so war ihr nun die Unruhe aus dem Wege geräumt – – – – –.
Da saß sie denn oft sinnend und sinnend über das Merkwürdige, daß einer um sie gelitten und gelitten und gelitten, dem sie doch nicht hatte helfen dürfen – – – – –.
Albert nach Werthers Tode
Und Albert nahm ein Jahr lang seine geliebte Frau nicht in Besitz. Denn er fühlte es, daß sie ihm nicht ganz gehöre, nicht ganz – – –.
Und so wartete er denn, bis Ruhe einzog, verblassendes Erinnern und des Alltages einfacher Anspruch.
Die beiden wohlbestallten Künstler saßen im kleinen Nachtcafé und besprachen es emsig, wie brutal der Ichismus der Nebenmenschen wäre! Das Wort » Ichismus« sprachen sie so aus, wie wenn sie sagten: Die übrige Menschheit sagt nämlich »Egoismus«!
Da sagte das junge Fräulein: »Was redt's denn da für an Unsinn zusammen, hm?! Hat das an Sinn?! Hörts zu, meine Frau hat mich heute gepfändet! Gibt's das, eine eigenhändige Pfändung?! Das gibt's nicht! Was?!«
»Bitte, wir sind keine Advokaten – – –.«
»Keine Advokaten?! Da schau her! Ein jeder gebildete Mensch muß wissen, daß es eine eigenhändige Pfändung niemals nicht gibt! Wie stellts ihr euch das vor?! Da möchte die ganze Welt nichts tun als pfänden! Nur ein bissel nachdenken, meine Herren, ja?!«
Die Künstler besprachen es nun, daß der aufgeblasene Herr B. so erfüllt sei von sich selbst, daß er nichts höre und nichts sehe, wie der Auerhahn auf dem Fichtenaste. Nur habe er nicht immer die Entschuldigung sexueller Erregung für sich wie das Biest!
Das Mädchen begann zu weinen über die eigenhändige Pfändung von seiten der Frau. Sie erklärte nochmals den Herren, daß es eine eigenhändige Pfändung niemals nicht gebe.
Die Herren sagten nun, daß sie es auch für ausgeschlossen hielten, und begannen daher das Mädchen ein wenig abzuküssen, da sie sie infolge ihrer Zustimmung ziemlich getröstet wähnten.
Dieselbige war aber noch nicht so weit. Die Herren sagten ihr nun, daß sie ihren Beruf verfehlt habe; sie sei eine Trauer-Dirne. Damit werde sie keinen Hund hinterm Ofen hervorlocken.
Das Mädchen starrte vor sich hin und sagte: »Eine eigenhändige Pfändung gibt's nicht!«
Die Künstler nahmen nunmehr eine teilnehmende Haltung an und sagten: »Wieviel bist du ihr denn eigentlich schuldig? Was wird es denn weiter sein?!«
Das Mädchen erwiderte hoffnungsvoll: »35 Gulden!«
Die Künstler: » Was?! So eine Bagatelle?! Und da plärrt sie! Das kannst du ihr ja leicht in Raten abzahlen!«
Das Mädchen fühlte: »Bagage, hängt euch auf!«
Die Künstler berechneten es nun, daß bei Wochenraten von nur 5 Gulden sie in sieben Wochen damit komplett fertig sein könne. Komplett. Oder sie solle Monatsraten à 20 Gulden zahlen. Oder, noch besser, täglich einen Gulden. Sie einigten sich auf täglich einen Gulden.
Das Mädchen saß da und weinte bitterlich.
Die Künstler wurden böse und gingen weg.
Draußen sagten sie: »Soll man sich für jemanden einsetzen?! Da rechnet man sich den Kopf heraus für fremde Leute! Was hat man davon?! Undank!«
Der arme Kellner trat nun zu dem Mädchen hin: »Sie, Fräul'n, heute um 8 Uhr früh fahren wir beide zusammen zu Gericht! Eine eigenhändige Pfändung gibt es niemals nicht! Mir leben in einem Rechtsstaate!«
Sie gingen miteinander nach Hause, um die Details zu präzisieren.
Es waren noch drei Stunden bis acht Uhr früh, welche Zeit sie ziemlich ausnützten.
Um acht Uhr früh sagte ihr Ritter: »Weißt was, Mizerl, mit die Gerichte soll man nix anfangen. Die Frau wird's nicht so bös gemeint haben. Weißt was, Mizerl, zahl's in Raten ab!«
Das Mädchen war schon ganz ermattet und, wieder einschlummernd, sagte sie sanft: »Eine eigenhändige Pfändung gibt es niemals nicht. Was, Schurschl?!«
Rosig will ich,
muß ich dein geliebtes Antlitz sehen – – –
Und wenn ich es mit meinem Herzblut rosig färben müßte!
Rosig muß ich dein geliebtes Antlitz sehen,
Rosig und mit dem süßen kindlichen Ausdruck des Wohlergehens!
Aber bleich bist du mir nun geworden seit Tagen,
Und unendliche Müdigkeit dämmert in deinen sonst lichten Augen!
Geliebtestes Geschöpf dieser Erde, was ist dir?!?
Mir bangt so schrecklich – – –.
Willst du den Prinzen in deinen Armen haben?!?
Willst du den romantischen Gymnasiasten?!?
Willst du den Kellner, der dir serviert?!?
Willst du den Fremden, der auf der Straße gebannt verweilt?!?
Willst du den Bäckerjungen, der morgens Brot bringt?!?
Bleich bist du mir nun geworden, seit Tagen,
Geliebtestes Geschöpf dieser Erde – – –
Bleich bist du mir geworden und kränklich!
Brauchst du Räusche?!?
Ich, ich kann sie dir
nicht mehr geben – – –
Denn der tückische Mörder »
Gewohnheit« schlich sich hinterrücks in deine zarte Seele ein –.
Geliebteste,
Rosig will ich,
muß ich dein geliebtes Antlitz sehen – – –
Und wenn ich es mit meinem Herzblut rosig färben müßte!!
»Ich möchte einen blauen Ballon haben! Einen blauen Ballon möchte ich haben!«
»Da hast du einen blauen Ballon, Rosamunde!«
Man erklärte ihr nun, daß darinnen ein Gas sich befände, leichter als die atmosphärische Luft, infolgedessen etc. etc.
»Ich möchte ihn auslassen – – –«, sagte sie einfach.
»Willst du ihn nicht lieber diesem armen Mäderl dort schenken?!?«
»Nein, ich will ihn auslassen – – –!«
Sie läßt den Ballon aus, sieht ihm nach, bis er verschwindet in den blauen Himmel.
»Tut es dir nun nicht leid, daß du ihn nicht dem armen Mäderl geschenkt hast?!?«
»Ja, ich hätte ihn lieber dem armen Mäderl geschenkt!«
»Da hast du einen andern blauen Ballon, schenke ihr diesen!«
»Nein, ich möchte den auch auslassen in den blauen Himmel!« – Sie tut es.
Man schenkt ihr einen dritten blauen Ballon.
Sie geht von selbst hin zu dem armen Mäderl, schenkt ihr diesen, sagt: »Du, lasse ihn aus!«
»Nein«, sagt das arme Mäderl, blickt den Ballon begeistert an.
Im Zimmer flog er an den Plafond, blieb drei Tage lang picken, wurde dunkler, schrumpfte ein, fiel tot herab als ein schwarzes Säckchen.
Da dachte das arme Mäderl: »Ich hätte ihn im Garten auslassen sollen, in den blauen Himmel, ich hätte ihm nachgeschaut, nachgeschaut – – –!«
Währenddessen erhielt das reiche Mäderl noch zehn Ballons, und einmal kaufte ihr der Onkel Karl sogar alle dreißig Ballons auf einmal. Zwanzig ließ sie in den Himmel fliegen und zehn verschenkte sie an arme Kinder. Von da an hatten Ballons für sie überhaupt kein Interesse mehr.
»Die dummen Ballons – – –«, sagte sie.
Und Tante Ida fand infolgedessen, daß sie für ihr Alter ziemlich vorgeschritten sei!
Das arme Mäderl träumte: »Ich hätte ihn auslassen sollen, in den blauen Himmel, ich hätte ihm nachgeschaut und nachgeschaut – – –!«
Geb. 1878, gest. 1901.
Ideale Grabschrift:
Wie ein adeligstes Paradigma der eigentlichen Pläne des Schöpfers mit diesem Kunstwerk »Frau«, wardst du, Lieblichste, in dieses » Tal der Unzulänglichkeiten« gesendet, Annie Kalmar!
Auf daß die Männer es lernten, an der süßen Anmut eines Lächelns bereits glückselig werden zu können!
Aber sie lernten es nicht!
Sie fraßen sich satt und entfernten sich.
Da zog denn der Schöpfer vorzeitig sein adeligstes Paradigma zurück, rief es wieder zu sich, da es doch unnütz war unter den Menschen!
Noch ist es Nacht im Prater. Nun wird es grau. Eindringlich duften die Weiden und Birken, sanft-ölig.
Der Vogel Pirol beginnt Reveille zu blasen, Reveille der Natur! In kurzen Absätzen bläst er Reveille. Gleichsam die Wirkung abwartend auf Schläfer. Alles, alles ist noch still und grau, Birken und Weiden duften eindringlich, und der Vogel Pirol bläst in kurzen Zwischenräumen Reveille. Unablässig.
Die Dame sagte einmal: »Oh, ich möchte das Leben kennenlernen. Ich kann ihm nicht nahekommen, es nicht ergründen – – –«
Da sagte der Herr: »Haben Sie schon den Vogel Pirol in den Praterauen Reveille blasen gehört im Morgendämmern?!?«
»Muß man das tun, um das Leben ergründen zu können?!?«
»Ja, das, das muß man. Von solchen versteckten Winkeln aus, gleichsam aus dem Hinterhalte, kann man dem Leben beikommen! Da, da beginnt die mysteriöse Schönheit und der Wert der Welt!«
»Wie sieht er denn aus, der Vogel Pirol?!«
»Niemand sieht ihn. Irgendwo in alten, alten Birken hockt er und bläst Reveille und weckt zum Tage. Immer lichter und lichter wird es, und die weiten Auen werden ganz sichtbar. Am Ufer sind schwarze riesige Schleppschiffe, Tagestätigkeit erwartend mit ihren geräumigen Kräften.«
»Gehen wir zum Vogel Pirol – – –«, sagte die Dame.
Ein ziemlich unwahrscheinliches Tier. Wie eine Ratte aus Gullivers »Reich der Riesen«. Immerhin ein tüchtiger Schwimmer, und auf dem Lande putzt sie sich ziemlich anmutig, aufrecht sitzend, mit den Vorderpfoten. Wenn man ihr Brot und Semmel vorwirft, hat sie die Empfindung: »Hast du vier Volksschulklassen absolviert, mein Lieber?! Da solltest du es doch wissen, daß wir uns ausschließlich von Fischen nähren – –.«
Die Biberratte trägt im ganzen nicht viel zur Unterhaltung bei.
Aber man erwartet sich unablässig etwas Besonderes von diesem Tiere.
Das ist das Besondere an ihm.
Man steht stundenlange vor dem kleinen Bassin. Man möchte ihm etwas durch Warten abtrotzen!
Der Hofmeister natürlich beeilt sich, dem Tiere sofort seinen ganzen Reiz zu nehmen und erzeugt mit Hilfe von Detail-Schilderungen bei seinen Zöglingen eine fürs ganze Leben dauernde Gleichgültigkeit gegen Biberratten!
Die Gouvernante hingegen faßt sich kürzer und sagt: »De gros rats, fidonc!«
Ich liebe die Landungsstege an den Salzkammergut-Seen, die alten grauschwarzen und die neueren gelben. Sie riechen so gut wie von jahrelang eingesogenem Sonnenbrande. In dem Wasser um ihre dicken Pfosten herum sind immer viele ganz kleine grausilberne Fische, die so rasch hin und her huschen, sich plötzlich an einer Stelle zusammenhäufen, plötzlich sich zerstreuen und entschwinden. Das Wasser riecht so angenehm unter den Landungsstegen wie die frische Haut von Fischen. Wenn das Dampfschiff anlegt erbeben alle Pfosten, und der Landungssteg nimmt seine ganze Kraft zusammen, den Stoß auszuhalten. Die Maschine des Dampfschiffes mit den roten Schaufelrädern kämpft einen hartnäckigen Kampf mit dem in renitenter Kraft verharrenden Landungsstege. Er gibt nicht nach, wehrt sich nur, soweit es unbedingt nötig ist, nach außen hin und erzittert vor innerem Widerstande.
Endlich siegt seine ruhige, in sich verharrende Kraft, und das Schiff läßt locker, gibt nach, entfernt sich wieder.
Stunden und Stunden liegt der Landungssteg für Dampfschiffe, meistens im Sonnenbrande dörrend, einsam, gemieden da.
Plötzlich kommen angeregte Menschen in lichten Kleidern, sammeln sich auf dem Landungsstege. »Geht nicht zu weit vor«, sagen die Eltern und betrachten den Landungssteg als eine imminente Gefahr. Ich könnte nun mit einiger Berechtigung sagen: »Irgendwo, abseits, lehnen zwei hart nebeneinander stumm am Geländer.« Aber das ist alte Schule und infolgedessen unterdrückt man es. Ich kann jedoch nicht leugnen, daß das beharrliche Hinabstarren am Geländer des Landungssteges in das Wasser, in der Nähe einer jungen Dame, durch längere Zeit durchgeführt, oft seine laute verständliche innere Sprache spricht.
Auf den Landungsstegen werden meistens kleine unbrauchbare Fische gemartert. Man fängt sie, schleudert sie zu Boden, weidet sich an ihrem Totentanz. Freilich, zwischen den Zähnen eines Hechtleins ist es auch nicht angenehmer. Und wer stirbt ruhig in seinem Bette?! Auf den Landungsstegen befinden sich ebenfalls zuzeiten die Komitees und das Präsidium der Jachtwettfahrer. Segelregatta. Stundenlange starren sie mit Operngläsern irgendwohin, auf einen mysteriösen Punkt im See, und niemand aus dem Publikum hat eine Ahnung, was vorgeht. Trotzdem ist alles sehr aufgeregt. Hie und da fällt ein technischer Ausdruck. Plötzlich wird Hurra geschrien und einiges emsig notiert. Der Landungssteg ist da wie der Hügel eines Feldherrn. Man starrt mit Operngläsern auf den Ausgang der Schlacht. Da ist der Landungssteg mitten im Leben drin. Dann liegt er wieder in Mondnächten da wie ein dunkles Ungetüm, zieht sich, streckt sich schwarz hinaus in den silbernen See.
Ich liebe die Landungsstege der Dampfschiffe an den Salzkammergut-Seen, die alten grauschwarzen und die neueren gelben. Sie sind mir so ein Wahrzeichen von Sommerfreiheit, Sommerfrieden, und sie duften wie von jahrelang eingesogenem Sonnenbrande – –.
Anfangs Juli, an einem Feiertage.
Es war ein Gekribbel von Menschen, wie in einem aufgestörten Ameisenhaufen. Auch so lange, gedrängte Kolonnen von Kommenden und Gehenden. In dem wunderbaren weiten Alleen-beschnittenen herzoglichen Parke.
Alles war so wohlgepflegt und wohlbehütet, so sicher bewahrt vor der dummen Leidenschaft der Kinder und der Kindlichen!
Da brach die Herrliche einen Zweig von Schlehdorn ab.
Der Dichter sagte ihr sogleich: »Wenn jeder hier einen solchen Zweig sich bräche, wäre der wunderbare Garten in einer Stunde devastiert!«
Sie schwieg. Sie begehrte auf mit der Weltordnung, setzte ihren Willen auf den Thron!
Dann sagte er: »Wir müssen beim Haupttore an den herzoglichen Gendarmen vorüber. Werfen Sie doch, bitte, den Zweig weg!«
»Ich mag es nicht. Er ist schön und ich behalte ihn. Ich mag ihn gern – – –.«
»Es steht nicht dafür, mit der Welt und ihren immerhin soliden Einrichtungen aufzubegehren wegen eines Schlehdornzweiges!?! Werfen Sie ihn doch weg!«
»Pfui, P. A., Sie haben keinen Sinn für Freiheit, Sie sind feig! Ich mag Sie nicht!«
Er schwieg. Sie ging mit ihrem Schlehdornzweige.
Beim Haupttore stand ein langer junger Gendarm. Er sah den Zweig in der Hand der Herrlichen, wandte sich momentan, fast verlegen, nach einer anderen Seite um.
Wir kamen über den weiten edlen Vorplatz.
»Nun, sehen Sie?!?«, sagte sie.
Er schwieg. Sie stiegen in den Wagen, fuhren zur Stadt.
Er sagte: »Wenn jeder von den Besuchern des wunderbaren Parkes sich einen solchen Zweig bräche, wäre dieser in einer Stunde devastiert!«
Sie saß triumphierend da und spielte mit ihrem Schlehdornzweige.
Sie war wunderbar schön, so kindisch-siegreichtrotzig.
Er dachte: »Weshalb, Süßeste, hat man dir deinen Hintern nicht durchgehaut, seinerzeit?!? Heute freilich wäre es bereits schade – – –.«
nun will ich über dich sprechen, so wie ich dich verstehe und auffasse mit meinem Herzen:
Wie ein edles Phantom bist du bisher gewesen, wie ein wundersames Gespenst, das am hellichten Alltage der Straße vor den geschäftigen, allzu geschäftigen Leuten auftaucht! So entfernt von ihrem Alltagdasein, so ohne Beziehung zu ihrem Selbsterhaltungstriebe, der doch immer ist und wirkt! Ein mattes Überflüssiges, geschaffen von überflüssigen Künstlers Gnaden! Eine luxuriöse Tändelei! Wir wollen dich aber nun lebendig machen, dich dem Leben des Alltages näherrücken, du blut-, du fleischloses Gespenst »Kunst«! In die Stunde wollen wir dich rücken, die erlebt wird, daß du befruchtend und bereichernd wirkest auf Alltagmenschen!
Die größte Künstlerin vor allem ist die Natur, und mit einem Kodak in einer wirklich menschlich-zärtlichen Hand erwirbt man mühelos ihre Schätze. Sehet euch die Birken an, die Pappelbäume, zur Winters- und zur Sommerszeit, die Hausgärten voll Schnee und strohumhüllten Rosenstöcken. Sehet euch den rotgrauen Käfer aus Ceylon an oder die drapfarbige Muschel aus dem Ozean –, und ihr werdet die Künstlerin »Natur« in euch aufnehmen mit liebevoll bereicherten Augen. Und der blaubraun schillernde Schmetterling aus China, auf weißes Holz gespannt unter Kristallglas, ist schöner als alles, was ihr von Menschenunzulänglichkeit in euren öden Zimmern aufhäuft! Auf euren Nippes-verunreinigten Tischen!
Die Kunst ist die Kunst, das Leben ist das Leben, aber das Leben künstlerisch zu leben ist die Lebenskunst!
Wir wollen die Kunst, dieses Exzeptionelle, dem Alltage vermählen. Die Hand der Dame R. H. ist ein Kunstwerk Gottes. Oder das im Volksgarten spielende Kind R. O. Oder das Schreiten eines Alt-Aristokraten über die Straße. Der Reichtum des Daseins, nahegerückt für die, deren notwendige Geschäftigkeit sie hindert, ihn zu erleben! In deinen Tätigkeiten eingekapselt, kannst du nicht rechtzeitig Halt machen vor einem regenbeperlten Spinnennetz im abendlichen Walde und kannst nicht schauen, staunen und verharren! Wir wollen dich erziehen, das heißt aufhalten in deinen Rastlosigkeiten, auf daß du verweilest, schauest, staunest! Es gibt soviel zu schauen und zu staunen! Innezuhalten, zu verharren! Stillgestanden, Allzugeschäftiger! Nütze deine Augen, den Rothschildbesitz des Menschen! Wir wollen euch nur zeigen, woran ihr blindlings vorüberraset! Es gibt Menschen, die nichts zu tun haben. Vollkommen Überflüssige des Daseins. Mit weit aufgerissenen Augen schauen sie und schauen. Diese hat das Schicksal bestimmt, die Vielzuvielbeschäftigten zum Verweilen zu bringen vor den Schönheiten der Welt!
Der Kuss
Ich saß auf einer Gartenbank im »Tiergarten«. Auf meinem Schoße saß bibi Akolé und zählte ihr Geld, welches in drei Portemonnaies wundervoll verteilt war, in jedem Fache 25 Kreuzer, Geschenke von Bewunderern.
Eine wunderschöne junge Dame kam und ihr Gatte.
Akolé sah die Dame an, stand auf, ging auf sie zu, breitete die Arme aus, wollte sie auf den Mund küssen, weil sie schön war.
Die Dame wich zurück.
Das Kind schmiegte sich an mich an, tief beschämt.
»Madame – –«, sagte ich, »ich bitte Sie, ich bitte Sie – – –«.
»Nicht auf den Mund – –«, sagte die Dame verlegen.
Ich nahm Akolé in meine Arme, küßte ihren geliebten Mund, dessen Atem wie der Hauch von Abend-Wiesen war.
»Tue es doch – – –«, sagte der Gatte, »il sera offensé«.
»Ich kann nicht – – –«, sagte die wunderschöne junge Dame.
Da sagte ich: »Diese Dame ekelt sich vor dir, Akolé. Wie eine dumme stupide Mutter benehme ich mich, welche die anderen Menschen nicht begreift. Verzeihen Sie mir, Madame. Ich war wie eine stupide Mutter, das Dümmste, das Beschränkteste, was es auf der Erde gibt. Die Liebe eines Vogelgehirnes ganz einfach.«
Die Dame gab dem Kinde eine Krone.
Das Kind gab sie zurück, sogleich.
Der Gatte dachte: »War das Ganze notwendig?! Solche Überspanntheiten.«
Die Dame sagte Adieu, gab mir die Hand, blickte mich traurig an.
Langsam ging das Ehepaar weg.
Akolé verkroch sich in meinen Armen, die sich in unermeßlicher Liebe um sie schlossen.
Paradies
»Was möchtest du am liebsten von der Welt, Tíoko?!«
»Green bills cutted, Sir – – –.« (Geschliffene grüne Glasperlen.)
»Und?!«
»And lila bills cutted, Sir – – –.«
»Und?!«
»And nothing, Sir – –.«
Ein Brief aus Accra (Westküste, Goldküste)
Ein Brief aus Afrika. Wann ist er aufgegeben?! Am 20. Juli. Wann ist er angekommen?! Am 26. August. Die Tränen der Absender sind bereits versiegt, während die der Empfänger fließen. Monambôs Bruder ist gestorben, 14 Jahre alt. »Er war so groß wie Tíoko – – –«, sagt Monambô, »und ebenso schön«.
The big Akolé sitzt bei ihrem Verkaufstische, zählt Geld. Die Tränen rinnen über ihr edles Gesicht.
»II me semble, qu'elle est encore plus noire aujourd'hui«, sagt die französische Sekretärstochter und küßt sie.
»War er verwandt mit ihr?!«, fragte ich den Häuptling auf englisch.
»Wir weinen um alle«, sagte der Häuptling, »so sind die Black-men. Wenn ich in Afrika sein werde, werde ich um dich weinen, Sir.«
Akóschia sitzt auf dem Tanzplatze, macht Musik mit eisernen Kastagnetten; die Tränen rinnen über ihr edles Antlitz.
Tíoko sitzt vor ihrer Hütte, singt leise vor sich hin und weint. Wie Harfenbegleitung zu Tränen. Wie Psalmen.
Monambô weint nicht.
»Du bist nicht traurig, Monambô?!«
»Sir, ich bin in der Fremde. Ich werde weinen, bis ich in Afrika bin – – –.«
»Diese allgemeine Trauer ist doch ein bißchen unverständlich«, sagt die junge Sekretärstochter zaghaft zu mir. Und ich:
»Glauben Sie es doch nicht, daß es dieser Knabe ist, um welchen sich diese edlen sanften Geschöpfe grämen. Sie weinen um Afrika, c'est le mal du pays, die zarteste Krankheit unserer Seele, welche zum Vorschein kommt. Wie wenn ein kleines Mädchen eine neue Bonne bekäme. ›Merkwürdig‹, sagen die besorgten Eltern, ›wirklich, niemand hätte es gedacht, unser Schatz ist ganz freundlich mit ihr; wie alte Bekannte. Alles geht gut, sie vertragen sich, das Fräulein ist aber auch so lieb mit ihr, sie hat keine leichte Position.‹ Plötzlich aber ein unscheinbares Wort der Bonne, eine Gebärde. Das Kind bricht in heiße Tränen aus. Ist es das Wort, diese Gebärde?! Keineswegs. Sie schluchzt um ihre alte Kinderfrau – – –.«
Neun Uhr abends. Die Tränen sind versiegt. Der Mond macht die Birken im Garten glitzern. Still sind die afrikanischen Hütten. Tíokos Hütte ist finster. Monambô ruft mich. Ich trete in die Hütte. Auf dem Boden liegen Monambô, Akolé, die Wunderbare, und Akóshia. Kein Polster, keine Decke. Die idealen Oberkörper sind nackt. Es duftet nach edlen reinen jungen Leibern. Ich berühre leise die wunderbare Akolé.
»Go to Tíoko«, sagt sie sanft, »du liebst nur diese!«
Monambô, welche die Traurigkeit für Afrika aufspart, sagt: »Sir, morgen bringst du uns einen pisspot; es ist zu kalt, um in der Nacht aus der Hütte zu treten. Er muß außen blau und innen weiß sein. Was er kostet, werden wir drei zusammen bezahlen. Freilich, Tíoko würdest du einen schenken! Was wird er kosten?!«
»Monambô, niemals habe ich noch einen piss-pot besorgt. Ich kenne die Preise nicht. Zwischen 50 Kreuzer und 500 Gulden. Königinnen benützen goldene.«
»Sir, es war heute ein trauriger Tag. Gute Nacht. Du liebst Tíoko. Der piss-pot muß außen blau und innen weiß sein. Bringe ihn bestimmt, tomorrow. Man kann in diesen Nächten nicht aus der Hütte treten, verstehst du?!«
Ich küßte den drei Mädchen auf ihren harten Lagern die Hände. Akolé war zu schön! Ich kniete mich nieder, küßte sie auf die Stirn, die Augen, den Mund – –.
»Go to Tíoko – – –«, sagte sie sanft.
Monambô, Akóshia verkrochen sich in ihren Kattunen. »Go to Tíoko – – –!«
Als ich aus der Hütte trat, waren die Birken grau im Frühlichte und wie eins mit der nebeligen Luft, welche nach feuchter Frische duftete – – –.
Physiologisches
Können Negerinnen erröten?!
Negerinnen können erröten. Wie kupferfarbig werden sie, gleichsam heller. Zum Beispiel, wenn du ihre Hände küßt, dich wie ein Kavalier benimmst.
Können Negerinnen erbleichen?!
Nein, im Gegenteile. Sie – – – erdunkeln!
Zum Beispiel, wenn du – – – dich nicht wie ein Kavalier benimmst.
Dann – – – erdunkeln sie!
Prügel
»Prügel sind gut, o Herr«, sagte die eben von ihrem Gatten geprügelte junge Negerin Dédé zu P. A. »Wie tshofán ist es (Medizin)! Der, der prügelt, wird von seiner Wut geheilt und der andere von seinem ›bösen Gewissen‹!«
Philosophie
Besucher des Aschanti-Dorfes schlagen abends an die Holzwände der Hütten, zum Spasse.
Der Goldschmied Nôthëi: »Sir, wenn ihr zu uns nach Akkra kämet als Ausstellungsobjekte (exhibited), würden wir nicht des Abends an eure Hütten klopfen!«
Ritterlichkeit
»Herr – – –«, sagte der Häuptling Bôdjé zu P. A., »komme in meine Hütte.«
– – – – – –.
»Sit down.«
– – – – – –.
»Ich habe heute nachmittags Nahbadû geschlagen. Ich schlug sie mit diesem Ochsenziemer. Verstehst du mich?!«
»I understand – – –.«
»I am the chief of my people. Ich liebe es nicht, Nahbadû zu schlagen. Of course. Wenn alle Mädchen zu dem Tam-Tam jedoch sich begeben, sitzt sie in ihrer Hütte und macht gar nichts. Sie ist weder krank noch müde. Ganz verrückt sitzt sie in ihrem Hause und macht gar nichts. I am the chief of my people! Ich fragte sie, warum sie täglich dasselbe tue, dazusitzen und gar nichts zu tun. Ich fragte und fragte. Dann schlug ich sie mit meinem Ochsenziemer. Wenn alle Mädchen in den Hütten sitzen würden und vor sich hinträumen, nicht?! Wofür zahlen die weißen Menschen?! Es ist unsere Pflicht. Ich liebe es nicht, Nahbadû zu schlagen. Ich wollte dir das nur sagen, damit du es wissest. Was hast du denn, Herr – –?!«
»Nichts, Bôdjé – – –.«
»Nun, Herr, ich werde sie von nun an träumen lassen in ihrer Hütte – – –.«
Der Tag des Abschiedes
Nahbadû: »Poor?« (Bist du arm?)
»No Afrika?« (Kannst du nicht mit nach Afrika?)
»Nein.«
Schweigen.
»O hã mi Dash-Goodbye?!« (Welches Geschenk wirst du mir zum Abschied geben?!)
»Pagne, green silk and white« (Überwurf, grünes und weißes Seidengewebe).
»Good (es ist gut), jard eba (6 Meter).«
»Jard eba.«
»Jard banyo (8 Meter).«
»Jard banyo.«
»Und etwas Geld könntest du mir auf die Reise mitgeben (Shika, Shika Goodbye).«
»Ich werde dir 30 Shilling mitgeben. Oh Nahbadû – – –.«
»Poor ... no Afrika! Rich ... Afrika!« (Du gehst nicht mit mir nach Afrika, weil du arm bist. Wenn du reich wärest, gingest du mit mir!)
Wie eine Königin des Lebens stand sie da in ihrer braunen nackten Schönheit: »Wenn du reich wärest, gingest du mit, bis nach Afrika!«
Davon leben die Königinnen! Vom Siege!! Vom Hauch des Sieges!!
Er ginge mit! Er ginge mit mir bis Afrika!
»Herr Direktor – – –«, sagte der Wächter des »Tiergartens«, »heute Abend war ein Herr da, welcher sich nach Ihnen erkundigte. Dann ist er in eine der leeren Hütten im oberen Dorfe getreten. Nach einer Viertelstunde ist er herausgekommen und ist langsam weggegangen aus dem Garten.«
»Schon gut, Josef. Übrigens, die Hütten werden morgen abgebrochen – –. Wir brauchen Platz für die Seiltänzergesellschaft und den Ballon captif.«