Karl Adolph
Haus Nummer 37
Karl Adolph

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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

(Anton zerstreut seine Bedenken wegen Millys Zukunft auf sehr gewaltsame Art. Milly endet ihre Karriere, um sie niemals wieder aufzunehmen. Der Leser nimmt Abschied von einem liebgewordenen Bekannten.)

Was soll das, Milly, daß du dich heute so schön gemacht, wie nur zu Zeiten, wo du siegen wolltest? Oder war es gar nicht deine Absicht? Auf jeden Fall, ob mit oder ohne bewußten Willen, du bist so schön, daß du in das Herz deines sich verzehrenden Anbeters nur neue Gluten werfen wirst und das ist nicht gut. Es könnte sein, daß die verstärkte Flamme ihn und dich versengt. Wenn man einen törichten Verliebten auf den Weg der Vernunft führen will, macht man sich häßlich und mißlaunig. Du aber lächelst wie der Morgen, duftest nach Reseda, und deine Kleidung gleicht einem losen, süßen Gedicht. Du vermeinst, dem verliebten Narren den Abstand zu zeigen, der deine Ansprüche von seiner Armut trennt? Als dürfte die Liebe derlei achten! Nur glühender wird sein Auge an dir haften, nur vermessener werden seine Wünsche, und böse, bisher ungedachte Gedanken werden sich in sein Hirn einnisten. Was tust du, Milly? Fliehe ihn mit deiner Schönheit, verbirg dich, sonst – o! wer weiß, was sonst . . .

Milly trippelte auf und ab, deckte mit ihren schönen Händen selbst den Tisch und lächelte dabei so frohgemut, als erwarte sie den Erwählten ihres Herzens. Glücklicher und unseliger Leichtsinn, das Erbteil ihrer Eltern, ließ sie keinen Augenblick die Tragweite ihres heutigen Vorhabens 394 übersehen. Fast hatte sie daran vergessen, zu welchem Zwecke sie den Jugendfreund zu sich geladen. Er war ja bisher so fügsam, so ergeben gewesen, daß nicht daran zu zweifeln war, er würde ihren Vernunftgründen, durch schwesterliche Zärtlichkeit unterstützt, sich endlich unterordnen.

Einstweilen dachte sie nur daran, ihm eine köstliche Bewirtung zu bereiten, das andere fand sich wohl nachher im Verlaufe des Abends.

Die Klingel ertönte. Milly, welche für heute ihr Dienstmädchen beurlaubt hatte, eilte hinaus und öffnete. Anton trat, die Wangen freudig gerötet, ein und begrüßte das Mädchen mit einem zärtlichen Händedruck. In dem kleinen Salon angelangt, blieb er einen Augenblick überrascht stehen. Ihm, der niemals ein kokettes Damenzimmer gesehn, dünkte der Raum etwas äußerst Kostbares, was er in Wirklichkeit ja auch war.

Milly beobachtete zufrieden den erwünschten Eindruck.

»Na g'fallt's d'r bei mir, Toni?«

»Mehr als m'r recht is, Milly«, antwortete der junge Mann, der seine Überraschung bald überwunden. »Freilich,« setzte er mit Bitterkeit hinzu, »so was kunnt' i d'r net schaffen und das is für di die Hauptsach'.«

Milly wünschte nicht so rasch an das angeschlagene Thema heranzutreten. Der erste Eindruck war nach ihrem Wunsch und konnte später dazu dienen, dem Gespräche die nötige Unterstützung zu verleihen. Sie nötigte vor allem ihren Gast, an dem gedeckten Tische Platz zu nehmen.

Es war unsagbar behaglich in dem schönen Raum. Die Gegenwart des reizenden Geschöpfes belebte erst vollkommen das Ganze und hätte jeden gleichgültigen Besucher in einen süßen Bann gezwungen.

395 Milly legte Anton vor und schenkte ihm ein, kurz, sie spielte die Wirtin in entzückender Weise.

Ach, wie schön, wie begehrenswert erschien sie ihm in diesem Augenblicke! Tausendmal mehr als jemals. Ihn störte nicht der ungewohnte Glanz, die vornehme Eleganz des Raumes. Das alles fiel ab gegen seine Bewohnerin, der einst selbst das armselige Kittelchen des Straßenkindes und die einfache Bluse des Fabriksmädchens so gut gestanden, wie heut das duftige Negligé.

Anton frug sich im Augenblicke nicht einmal, was er da wolle. Das stille Behagen dieser Stunde machte ihn fast wunschlos. Mit dem Optimismus des Hoffenden und Liebenden hatte er dieser Einladung einen Sinn unterlegt, den ihm nur der eigene Wunsch verlieh. Er hatte gerechnet, daß Milly ihm keineswegs dieses Wiedersehn gewährt hätte, wären ihre Absichten ihm nicht günstig gewesen. Was wollte er eigentlich? Meinte er, im besten Falle werde Milly alles liegen und stehen lassen und ihm in sein Kabinett bei der Ambros folgen? Nein, dazu war Anton zu verständig. Er verlangte einstweilen ihre Liebe, sonst nichts. Er hoffte, daß die Verbindung mit Tänzinger keine allzulange sein würde.

Ehe sich nun das Mädchen einen neuen Souteneur fand, wollte er dann seinen Einfluß geltend machen, daß sie das unterließ. Einstweilen wollte er und sollte Milly sparen, daß ihr Heim ein angenehmes würde. O Anton, wie vieler Sympathien beraubst du dich in diesem Momente!

Doch nein, ich weiß, du denkst nur ihretwillen so, die den Luxus zu sehr liebt, als daß sie ihn jemals ganz missen könnte. »Du prostituierst dich, Milly, für diesen verächtlichen Tand. Könnte ich ihn dir bieten, ich legte ihn dir zu Füßen,« willst du sagen, Anton, »aber raffe davon zusammen, soviel du magst, ich erlaube dir ihn mitzunehmen, 396 und er soll kein Anstoß für mich sein, wenn er mich täglich erinnern wird, wem du ihn verdankst.« Ich muß der Dolmetsch der Gefühle dieses armen Burschen sein, sonst möchte er vielfach arg mißverstanden werden.

Nein, ihn leitete keine schnöde Absicht, sich mit dem Sündengelde der Geliebten zu bereichern. Er war stolz, wie es nur ein einfacher Sohn des Volkes zu sein vermag. Stolz auf seine schwieligen Hände, auf seine Ersparnisse, auf seinen ehrlichen Namen und – nein! auf seinen Stand insoferne nicht, weil er wußte, daß er ihn nicht so ausfüllte, wie er es wohl hätte tun sollen. Aber das war erst seit letzter Zeit, da ihn ein wenig der Teufel des Ehrgeizes erfaßt, da er sah, wie sein ebenso armer Verwandter die Aussicht hatte, auf der Stufenleiter gesellschaftlicher Anerkennung eine hohe Stellung zu erklimmen.

Nur aus diesem Grunde und nur aus Liebe zu Milly achtete er seinen Beruf nimmer so, wie einst. Aber im übrigen, wie gesagt, besaß er den Stolz eines Granden, was seine Person anlangte.

»Auf dein Glück, Toni!« brachte Milly ihr Glas aus und stieß mit Anton so stark zusammen, daß ihr Wein herausspritzte und dunkelrote Flecken auf das weiße Tischtuch machte. »Hu!« lachte sie übermütig, »das is ja 's reine Bluat! Stoß m'r nomal an, auf dein Glück!«

»Sag'n m'r auf unseres, Milly, möchst net?« erwiderte Anton. »Schau, wia schön war's halt do und es wird ah werd'n, kannst dir's ja no immer überleg'n. Und auf dein Glück, soll's dir immer, immer guat gehn!«

Milly begann die Ahnung aufzudämmern, wie verhängnisvoll zweideutig die Art war, in der sie Anton eingeladen. Es war unmöglich zu verkennen, in welcher Sicherheit er sich 397 befand und welche Nahrung sein zähes Festhalten an seiner Leidenschaft durch ihre Unbedachtsamkeit erhielt.

Nichtsdestoweniger plauderte sie unbefangen und wie sie dem Weine zusprach, war sie auch bemüht, ihren Gast durch fleißiges Nötigen in gute Stimmung zu versetzen. Sie bedachte wohl freilich nicht, welche Folgen sich aus dem Kontrast zwischen seliger Trunkenheit und plötzlichem Herausreißen aus schönen Illusionen ergeben konnten.

»Wart, Toni!« sagte sie plötzlich und trat an das Pianino, »jetzt sollst hör'n, was i schon kann. I und Klavierspieln, wer hätt' si das anmal denkt, gelt na?« Sie schlug einige Akkorde an, und so unbeholfen und anspruchslos ihre Kenntnisse des Klavierspielens waren, so sehr befriedigten sie den noch anspruchsloseren Zuhörer.

Das ganze, sehr kleine Programm bestand aus einigen Volksliedern und zurzeit gangbaren Couplets. Einige Fehlgriffe oder unfreiwillige Pausen störten weder den Eifer der Pianistin noch das Zuhörervergnügen ihres Gastes. Als die Produktion, die Milly gerötete Wangen und einen fliegenden Atem eingetragen, geendet war, wandte sich diese zu Anton: »Wia hat's d'r g'fallen, Toni?«

»Meiner Seel,« entgegnete der Gefragte verklärt, »das hätt' i m'r net denkt, dürfst schon von klan auf g'lernt hab'n. Sag m'r nur, du hast g'wußt, daß d'r Ludwig mein Verwandter is?«

»Ah woher!« log Milly.

»Sag's nur, aber du hast net woll'n, daß i waß, wo du wohnst. War net notwendi g'wesen, Milly, wann du mi net ruafen hätt'st lassen, i hätt' d'r kan Besuch g'macht, und wann i drüber g'sturb'n war. Soviel Charakter hab' i no immer.«

»Es war m'r mehr weg'n der Ambros«, gestand Milly zu.

398 »D'Ambros?« frug Anton kopfschüttelnd. »Die war d'r net nachg'rennt, außer du warst a Mannsbild g'wesen.«

»O Gott! da gibt's ganz andre Sachen, weg'n die i nimmer mit ihr z'sammkummen möcht'. Aber zu was die dumme Ausfragerei? Hat ja kan Sinn. Du siechst, daß i d'r net ausweich'. Aber a ernst's Wort möcht' i do mit dir reden. I hab' g'hört, du fangst jetzt Dummheiten an, trinkst d'r Räusch' an, bist ganz verlor'n. Und das all's weg'n mir? Schau' Toni, das is rein lächerlich. I will do so was net hab'n und möcht' ka Schuld trag'n an so Affentandlerein.«

»Das is all's, was d' m'r zum sag'n hast, Milly? Du waßt es, wia i fast gar net leb'n kann ohne di und wia's m'r sunst gleich is, was aus mir wird. O Milly, sunst hast m'r nix zum sag'n?«

»Aber geh, Toni, red do net immer so daher – i begreif' di gar net. Mit dir is halt immer an und dasselbe. Du kannst net z'frieden sein. Wia oft hab' i d'r g'sagt, laß die Sekiererei, und mir san guate Freund' wia immer. Wann m'r anmal mitsamm' war'n, hast nia können was reden, ohne daß d' net die alte G'schicht' aufs Tapet bracht hätt'st.«

Endlich war das gefürchtete Thema in Anregung gebracht. Milly wollte um jeden Preis einmal volle Klarheit schaffen, sollte sie auch den Jugendfreund verletzen. So leid ihr dies getan haben würde, es mußte sein. Und doch wandte sie jetzt den Blick scheu zur Seite, als sie in Antons erregtes Gesicht gesehn hatte.

»Milly,« sagte er, »sunst hast m'r heut nix anders zum sag'n?« Seine Stimme bebte wie vor Angst.

»Ja, was hast denn woll'n, daß i d'r sag'n soll? Waßt es ja eh so lang und anmal muaß die G'schicht' zwischen uns ins Reine kummen. Kannst es denn immer no net einseg'n, wia unmöglich als 's is, daß i alles lieg'n und 399 stehn laß und a Dummheit mach', die uns später alle zwa reu'n müaßt'? Bist sunst so g'scheit und das ane willst net begreifen? Schau, i gib ja zua, daß m'r mein Leb'n grad ka große Ehr' macht. Denn am End, was bin i weiter als a Ausg'haltene? Aber zuruck kann i nimmer. So was g'wöhnst, wia bald nix anders.«

»Hast nachdenkt, was später anmal? Wia lang bleibst denn jung, und was nocha? Sixt, Milly, i halt' was auf dös, was man Ehrbarkeit haßt. Du hast meine Leut' kennt, wia streng die all's g'nummen ham, und desweg'n – i verwind' do dein' Vergangenheit. I frag' net, durch wia viel Händ' als d' schon gangen bist, i frag' net, wem's d' wirkli gern g'habt hast, i will di nur herausreißen aus dem nixnutzigen Leb'n, das kan Wert, kan Halt hat. A paar Jahrln no und dann – dann geht's bergab. Kannst a Lavendlweib oder a Koberin werd'n. Is das a Aussicht? Denk' nach, Milly, wann net weg'n mir, so weg'n dir. Unser Auskummen werd'n m'r hab'n, o'gehn soll d'r nix bei mir, nur kehr' um, so lang's no Zeit is.«

»Leicht g'sagt' Toni, aber du an meiner Stell' möcht'st d'r's ah überleg'n. Da haßt's immer, mir schränken uns ein, wann m'r nur z'frieden is. Was aber haßt einschränken? Wann i heut an Parfüm net kriag', den i m'r einbild', bin i schon unglückli. Hast a Ahnung, was mein Leb'n kost'? Sicher net. Schau, das Klad für z' Haus kost't allani mehr, als du in an Monat verdienst. I kann net z'ruck, auf kan Fall. So a Liab', wia m'r in die Roman' lest und wia's ah wirkli vorkommen soll, kenn' i überhaupt net. Du versprichst m'r jetzt alles und i glaub' d'r ah, daß d' es halten willst. Aber es kummt g'wöhnli ganz anders. Hunger leiden, arbeiten, a Kind um's andre, i wurd't d'r mit der Zeit so z'wider wia jede andre, denn wann mein fesch' G'sichtl in 400 an paar Jahr a alte Larven war, hätt' die Liab von deiner Seiten a End. I bin die Vernünftige für uns alle zwa, mach' m'r's net schwerer als m'r eh is.«

Anton heftete den funkelnden Blick fest auf sie.

»War's notwendi, daß d' mi acht Täg lang glaub'n hast lassen, du hätt'st d'r's überlegt? Desweg'n sitz' i bei dir, oder hast glaubt, wannst d' mir die Ehr' erweist, anmal bei dir nachtmahln z'dürfen, jetzt is all's guat?«

»Toni, du bist a grauslicher Mensch. I hab' nur woll'n anmal ganz allani recht guat mit dir reden. I hab' d'r gar ka Hoffnung g'macht, meiner Seel, net. Wie m'r d'r Ludwig (sie errötete unwillkürlich und verbesserte sich augenblicklich), wia m'r dein Cousin erzählt, daß d' so an andrer word'n bist und schon zum Trinken anfangst weg'n meiner, kurz wia er draufkummen is, daß mir zwa uns schon so lang kennen und i die Schuld hab'n soll an deiner Desparation, hab' i eahm ganz anfach auftrag'n, du sollt'st heut zu mir kummen, das is alles.«

»I six. Das is alles. Es sagt si so leicht, nur hört si's so schwer. Und er, auf den i so g'rechn't hab', so baut und vertraut, er hat m'r nix anders als z'schreib'n g'wußt. geh hin! A letztes Na, und i hätt' m'r die dumme Blamage derspart g'habt. Es is nix, Anton, hätt' er sag'n brauch'n, und i hätt' g'wußt, jetzt is aus, ganz aus, ganz . . .«

Er hatte sich erhoben und schritt erregt auf und ab. Ein schön geschnitztes vergoldetes Tischchen stand seiner Wanderung etwas im Wege. Er schob es mit dem Fuße achtlos beiseite, daß das dünne, zierliche Gestell in seinen Fugen krachte.

»Zerbrich m'r do net das Tischerl, du Wildling!« zürnte Milly, die zwischen Verlegenheit und Unwillen schwankte.

401 Die nicht unverdiente Zurechtweisung empörte ihn, sein Groll suchte einen Ausweg.

»Das G'lump?« er stieß das Möbel mit einem Stoß um, daß die darauf stehende Zigarettenschachtel ihren Inhalt auf die Erde entleerte, »das kann i d'r no zahl'n. Aber von an ehrlichen Geld. Waßt, aus was das Tischerl g'macht is? Aus dö gottverfluchten Schnapsstamperln, mit dö dein Aushalter d' Leut' vergift. A Familie hat müass'n ruiniert sein, bis das Tischerl zu deiner Schand' kauft word'n is. Arme, zu Tod g'rackerte Weiber, verhungerte Kinder, verlumpte, im Spital krepierte Männer hängen an dem armseligen klan' Tischerl. Schau di um und denk nach, wieviel Tausende Kreuzer dein' Einrichtung kost't hat, Kreuzer, um die si a paar hundert Kinder anmal sattessen hätten können, die die Väter in d'Butik trag'n hab'n, daß si d'r »Vatta« Häuser bau'n und seiner Hur a elegante Wohnung halten kann. Da an den Tischerl hängt vielleicht a Wochenlohn, den dein armer Vater in Schnaps vertrunken hat, hängt a Familie: d'Kinder im feuchten Loch verfäult, d'Muatta in d'r Lahmlack'n dertränkt und d'r Vota wia a winniger Hund mit der Schlingen g'fangt.

Das geniert di net, du unterhalt'st di desweg'n in dein' Bett mit dein' Aushalter. Wann i 'hn begeg'n, wisch' i m'r in Rock o, als wann i an eahm ang'straft war. Auf zehn Schritt stinkt er von Schnaps, mit den er andre vergift'! Pfui Teufel! Und du, du – – – – – –«

Er hatte sich in einen maßlosen Zorn hineingesprochen. Aller lang angehäufte, unbestimmte Groll gegen den Aushälter Millys, aller Haß gegen die Juden, alle Bitterkeit gegen die blutsaugenden oder unbekümmert dahinlebenden 402 Reichen verdichteten sich in Milly zu einem Bild: der, um ausgepreßtes, erbeutetes, erschwindeltes Geld dienstbaren Wollust. Das fürchterliche Ende der Familie Fischer stand plötzlich mit greifbarer Anschaulichkeit, als Schulbeispiel des grauen Dämons Alkohol, vor seinen Blicken.

Wie viele Frauen mußten in der Ehefrohn verderben, von deren Ende keine heroische Tat der Selbstvernichtung Kunde gab, wie viele Männer verdarben in den Irrenhäusern, wie viele Kinder auf ihren Lumpen.

Wie viele erbettelte, verdiente, gestohlene, erschlichene Kreuzer mußten zusammenfließen in dem kleinen Becken der Schanklade, um dann das große, mächtige Reservoir zu speisen, das aus grünspanigen, schmutzigen Kupferstücken die Wohnungseinrichtung und die Toilette einer Dirne schuf. Sie übertäubten den Ekel eines schönem jungen Mädchens vor der Berührung mit einem schmerbäuchigen, grauhaarigen, geifernden Mann. Aus der erschreckenden Lust Tausender sickerte der erst kupferne, dann goldene Regen unaufhörlich, wie die Tropfen der Kalksteinhöhle; unaufhörlich, wie das Laster, das alle Ansätze einer höheren Kultur im Keime vernichtet.

Zum ersten Male, seit sie ihren Jugendgespielen kannte, zitterte Milly vor ihm. Das war nicht mehr der gutmütige, zärtliche Genosse früherer Tage, nicht mehr der demütige, schüchterne Liebhaber der letzten Zeit. Wie sie zu oberflächlich war, seine uneigennützige, reine Liebe zu verstehen, so war sie es, um seinen Zorn zu begreifen, der nicht einer Person, sondern dem Grund des Lasters und seinen Nutznießern galt.

Zugleich aber fühlte sie sich durch seine Ausbrüche aufs tiefste verletzt. Das Recht auf zornige Aufwallungen räumt man nur dem Geliebten ein, und Milly liebte Anton nicht. Was ihn ihr bisher wert gemacht – es war nur 403 die Erinnerung an ihre Jugend, an ihr glückliches Heim, ihre geliebten, stets lustigen Eltern. Seine Gegenwart brachte ihr den Duft einer langbegrabenen, unschuldigen Zeit, er umfaßte in seiner Person alles, was nicht an die beschmutzte Seite ihres (wie sie so manchmal dumpf fühlte) verlorenen Lebens heranstrich.

Seinem vergeblichen Liebeswerben hatte sie ein schwesterliches Mitleiden entgegengebracht. Ihre Zuneigung galt dem ehemaligen Kindheitsgefährten; dem Manne, wenigstens dem liebenden Manne nicht. Sein heutiger Zornesausbruch erweckte ihren Trotz. Wie kam er dazu, sich ihr stets hemmend in den Weg zu stellen? Wer gab ihm das Recht dazu? Vor allem empörte sie das häßliche Wort, das er ihr entgegengeschleudert. Eben weil es nicht unverdient war, erschien es um so beleidigender.

»Wann i di besser kennt hätt', so wie i di jetzt kenn', wärst m'r net hereinkommen«, sagte sie mit vor Entrüstung bebender Stimme. »Bis jetzt hast mi nur derbarmt und mein Will'n war a guater. Aber daß i deine Gemeinheiten einsteck' und di wia an Wilden da hausen lass', wirst net von mir verlangen. Hoffentli hab' i jetzt anmal a Ruah.«

»Du a Mitleid mit mir?« Der stolze Sinn des jungen Mannes hatte einen argen Stoß erhalten. Die Beschämung des heutigen Abends lastete schwer auf ihm, er fühlte sich verhöhnt und gedemütigt. »Du a Mitleid mit mir?« wiederholte er nochmals. »I waß net, an wem's mehr liegert, das Derbarmen. A Ruah sollst hab'n vor mir. Es kummt no anmal die Zeit, wo's d' mi z'ruckruafen möcht'st, und i wir net da sein, merk' d'r's! So wia du, hab'n schon viele ang'fangt und aufg'hört hab'n s' am Mist. I sag' d'r's voraus, wia 's End is, zeitli g'nua wirst no auf meine Wörter kummen.«

404 Die ordinäre Natur, die Mitgabe unerzogener, ungebildeter, wenn noch so gutherziger Menschen, durchbrach zügellos alle Schranken bei den zwei jungen Leuten, die sich auf verschiedene Art so sehr geliebt. Auf Anton wie auf Milly hatte der reichlich genossene Wein seine Wirkung ausgeübt. Wäre das Mädchen verliebt gewesen, hätte sich diese in glühenden, brünstigen Umarmungen geäußert. Statt Kränkung, Zorn, Trotz zu einem gewaltsamen Ausbruch zu treiben, hätte der Wein einem süßen Rausch der Sinne seine Eigenschaften dienstbar gemacht.

»Wer eher am Mist krepiert, fragt si erst«, stammelte Milly mit vor Wut bleichen Lippen. »I sicher net, und schon gar net, weil's d 'mir's du prophezeist. Das hat m'r, wann m'r si mit so Leut' einlaßt, die glaub'n, sie hätt'n a Recht, ordinär z'sein, weil s' anmal als a Klaner mit an g'spielt hab'n. Natürli, von an Schlosserg'sell'n kann m'r kane Manier'n verlangen.«

»'s fehlt d'r nix mehr als 's Büachl und du bist firti. In Anfang hast scho hinter dir. Vielleicht lad'st mi bald ein, um an Stan mitz'kummen. Pfui!«

Es ist ein bitteres Gefühl, Menschen, die man um irgendeiner oder vieler Eigenschaften willen lieb gewann, plötzlich vom Geiste des Gemeinen und Niedrigen erfaßt zu sehen. Wie viel Edelmut, Güte, Liebenswürdigkeit, Liebe verschlingt eine einzige böse Stunde! Was unsichtbar, tief verborgen im Innersten des Menschen an Gewalttätigem, Rohem, Unflätigem ruht – steigt in einem Augenblick an die Oberfläche, wie eine Sumpfblase alles beschmutzend und vergiftend.

Das heitere, lächelnde, trotz seiner Irrtümer liebenswerte 405 Mädchen, der ernste, brave, mitleidige junge Arbeiter – nun standen sie sich entgegen wie eine keifende Straßendirne und ein wüster Zuhälter. Erbitterung, Wut, Unversöhnlichkeit stand in beider Züge geschrieben. Auf Milly hatte die letzte Beschimpfung gewirkt wie ein Peitschenschlag.

»Zu dir? Glaubst? Net anmal wann i zum Verhungern war. Alle von mir aus nehmet i mit, den lumpigsten Branntweiner, den grauslichsten Pülcher. Nur di net. Das is halt dein Zurn, was? Was du d'r nur einbild't hast, i soll't mi dir nur so am Hals werfen? Schnecken, fixt. A so a ordinäre Schlosserhaxn möcht' i ah scho.« Und in ihrer sinnlosen Erbitterung gab sie ihr Geheimnis mit Ludwig preis, mit echt weiblicher, verletzender Schärfe den Kontrast schildernd, der zwischen dem jungen, gebildeten Studenten und dem brutalen, rohen Arbeiter bestand.

Hätte sie es nicht gesagt, das eine nicht! Sie kannte den Freund ihrer Kindertage zu wenig, sie ahnte nichts von der Entsetzlichkeit des Schlages, den sie dem in seinen heiligsten Empfindungen, seinem tiefsten Vertrauen, an der verwundbarsten Stelle seines Stolzes getroffenen Mann versetzt.

Mit einem Satz war Anton bei ihr, hatte ihr Handgelenk ergriffen und mit einer einzigen rohen Bewegung sie zur Erde gezwungen. Ein Wunder, daß er ihr nicht den Arm zerbrochen.

Der Unselige vermutete eine absichtliche Verhöhnung seiner Liebe und so unfaßbar ihm der Gedanke erschien, um so fürchterlicher deuchte ihm der Verrat der zwei geliebtesten Wesen. Es gehörte die ganze Überreizung seiner Sinne durch Wein, Aufregung und Zorneshitze dazu, um auf eine so unglaubliche Vermutung zu verfallen. Nun lebte es auf in ihm, das jähzornige, bis zur Besinnungslosigkeit erregbare Element, das Erbteil seines Vaters.

406 Wo war der Anton, dessen Güte ein Kinder- und ein Mutterherz einst dankbar segneten? Wo war er, der milde Helfer, der treue Freund, der ernste, besonnene Arbeiter, der zärtlich Liebende?

Milly, nachdem der erste Schrecken vorbei, erhob sich ungestüm aus ihrer knieenden Lage und entriß sich mit aller Gewalt der umklammernden Hand. Sie stand beim Tische. Ein Messer ergreifend, stellte sie sich Anton gegenüber. Eine kurze, entsetzlich bange Pause, ein kurzes, keuchendes Ringen, und das Messer, das sie beschützen sollte – stak in ihrer eigenen Brust.

Mit einem Schrei sank sie zu Boden. Ein Blick traf den wie geistesabwesenden, vor Schreck gelähmten Täter.

»O – Toni – –!« hauchte sie noch. Der Stich hatte zu gut getroffen.

»Milly, Milly! O Gott! Milly, das hab' i net woll'n . . . . . .«

Zu spät. An dem gedeckten Tische hatten fremde schaurige Gäste Platz genommen und kredenzten sich die Gläser mit – Blut. Der Haß, der Tod, die Verzweiflung, die Reue, sie stießen an, tranken sich zu und nickten. Wohl bekomm's! Unsere Tafel wird stets gedeckt sein, so lange noch zwei Menschen sich den Raum streitig machen, zwei Herzen noch in Leidenschaft schlagen.


Anton war wie gehetzt von der unseligen Stätte hinweg über die Stiegen gerannt, von niemand gesehen. Eine Weile irrte er auf der Straße umher, sich weder der erst vollbrachten Tat, noch der Richtung bewußt, nach der er abirrte. Alle Erinnerung, alles Bewußtsein schien wie hinweggewischt. Erst nach und nach kam dem unglücklichen Menschen das Bewußtsein des Vollbrachten. Wie in einer 407 instinktiven Vorahnung, zog er mit mächtigen Zügen die frische Nachtluft ein und blickte zum Himmel auf, der in wundervollem Sternenschimmer erglänzte. Würde er so bald oder jemals wieder nach jenen unendlichen Fernen blicken können?

Dann schritt er wieder stadteinwärts, frug einen Wachmann um das nächste Polizeikommissariat und dort angelangt, machte er Mitteilung von seiner Tat. Der Aufschlag seines Rockes, ein Ärmel und die Bruststelle waren blutgetränkt. Vollkommen ruhig und gefaßt ließ er sich in den Arrest abführen.

Eine Kommission begab sich schleunigst an den Tatort. Zu retten gab es nichts mehr. Milly war in das Land hinübergegangen, in dem es keine Toiletten, keinen Schmuck und keinen Ununmmerierten gibt.


Die Tat erweckte durch die Seltsamkeit der Umstände das größte Aufsehen. In welchem Verhältnis stand das Mädchen zu seinem Mörder? War es dessen Geliebte? Was war das Motiv?

Antons schlichte Aussagen bei seinem ersten Verhör brachten wohl Licht in die Affäre, aber eben die Einfachheit und Ungekünsteltheit der veranlassenden Ursache war schuld, daß man allgemein daran zweifelte. Man fand den Grund in einer mißglückten Erpressung, die der ehemalige Liebhaber an dem jetzt in guten Verhältnissen stehenden Mädchen versuchte.

Unter den vielen, die die Tat Antons kommentierten, gab es Niemand, dessen Empörung eine sittlichere und geläutertere war, als Herrn Schwarz.

»Dem hab' i so was immer ang'seg'n«, behauptete er. »Wundert mi gar net. Da heraus derlebt m'r überhaupt 408 was. No, dö Bagaschigegend hab' i jetzt schon g'fressen. Da kann aner von heut auf muring g'faßt sein, daß er ausg'raubt und d'rschlag'n wird. Der Mensch hat schon so quisi quasi a G'schau g'habt, daß mar si hat fürchten müass'n. Is zwar net schad um das Flitscherl, was er o'g'murxt hat, muaß a g'sundes Ban g'wesen sein. Is halt a Beinl weniger, rennen eh no gnua umeranand. Aber allweil waß ja so a Messer net, wo's hing'hört. 's kunnt' ja an urndlichen Menschen ah treffen, an G'schäftsmann, der seine Steuern pünktli zahlt. Dös kummt aber davon her, daß heutingstags die Leut' um kan Kreuzer a Religion hab'n.«

Herr Schwarz, wir nehmen an dieser Stelle Abschied voneinander, das heißt nur im vorliegenden Buche. Denn sonst im täglichen Leben treffe ich Sie ja doch aller Ecken und Enden, so daß Ihre werte Bekanntschaft mich bis an das Ende meiner Tage verfolgen wird. Sie machen sich überall breit, nicht nur an dem Stammtische Ihres Gasthauses, in dem Sie eine große Rolle spielen, da Sie niemals unterlassen zu betonen, daß Sie pünktlich Ihren Zins und Ihre Steuern bezahlen und eo ipso mit Religion um tausend Gulden vollgepfropft sind. – – – – – – –

Ludwig erfuhr die Schreckensnachricht wie alle Leute durch die Tagesblätter. Was er empfand? Er wußte lange nichts davon, denn drei Wochen lag er in den schrecklichsten Fieberdelirien.

Als er genesen war, machte er mit Herrn Tänzinger, Waldemar und Sidonie eine Erholungsreise. Herrn Tänzingers Anteil an der Affäre beschränkte sich auf ein Achselzucken allen Personen gegenüber, die munkeln gehört haben wollten, er habe Milly galant protegiert. In den Blättern erschien 409 seine Persönlichkeit als die eines Wohltäters, der, durch frühere Bande der Freundschaft mit dem Vater verbunden, eine nach dessen Verschwinden seiner Tochter zugefallene Erbschaft verwaltet und die phänomenalen Stimmittel des jungen Mädchens am Konservatorium ausbilden zu lassen beabsichtigte.

Herr Tänzinger kam der Welt gegenüber niemals in Verlegenheit.

Nur einmal: als seine Tochter bei der Nachricht von der Erkrankung Ludwigs fast in Krämpfe verfiel und an sein Krankenlager geführt werden mußte.

Waldemar fand, daß jede Krankheit, – traf sie nun die Schwester oder den Lehrer, – ihm die ungeahntesten Vorteile brachte. Und da im letzteren Falle nicht die Gefühle der Brüderlichkeit in Betracht kamen, so kann man mit gutem Gewissen annehmen – er freute sich königlich.

Die Ambros wurde bei Erhalt der Nachricht von Antons Tat ohnmächtig. Dann weinte sie tagelang, aber nicht auf dem Gange oder auf der Straße, sondern in ihrem Zimmer eingeschlossen. Sie hatte Anton und Milly herzlich geliebt, wie sie ja voll war von Liebe, deren Urgrund nachzuspüren unnötig wäre. War ihre Liebe auch oft zu realer Natur, – aber sie war da; und wenn es an der Zeit war, geläutert, wie die Liebe es nur sein kann.

Huxtl, der brave Huxtl, hatte »geheult wie ein Schloßhund«, wie er später etwas beschämt gestand. Anton war sein Freund gewesen, und die arme, schöne Milly – wenn er daran dachte, wie er sie zum ersten und zugleich letzten Male gesehn.

Und Anton, der unglückselige Anton selbst? Er lag in seiner Zelle und starrte stumpf vor sich hin. Er dachte und fühlte nichts, und fürchtete weder das Gericht noch die Folgen. Ihm dröhnten unablässig die letzten Worte ins Ohr. »O – Toni – –!«

 


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