Karl Adolph
Haus Nummer 37
Karl Adolph

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Fünfzehntes Kapitel.

(Der fesche Huxtl hat einen tränenvollen Augenblick seines Lebens zu verzeichnen. Wohin eine Ausnüchterungsreise ihn und Anton führt und welches Ende die besten Vorsätze durch eine unvermutete Begegnung finden können.)

Um neun Uhr vormittags kehrten Anton und Huxtl heim. Ludwig war vor einiger Zeit schon weggegangen, einen Spaziergang zu machen, wie die Ambros erklärte.

»Tinerl,« nahm der Volkssänger in inquirierendem Tone das Wort, »Tinerl, laß di auf d'Nasen greifen! Sag' m'r aufrichti, war was los heut Nacht, wia's hamkuma seid's? Net laugna, du waßt, i bin a guater Kerl, nur anlüag'n därfst mi net.«

Er sagte das in so bedächtiger, durch manchmaliges Glucksen unterbrochener Art, daß Anton, der vollkommen nüchtern war, über die wichtige, fast ehemännische Miene des keineswegs nüchternen Volksbarden lachen mußte. Ein Zustand, der sehr selten war und in den ihn nur Huxtl zu versetzen vermochte.

Die Ambros hingegen war errötet wie ein junges Mädchen. Gerade über diese Liebesnacht wollte sie sich in keusches Schweigen hüllen, und vergaß ganz darauf, wie sie ihre Rechte an diese beiden Männer hingegeben, so daß jeder in seiner Art zu einer Aufklärung sich berechtigt fühlen konnte.

Anton fiel dies nicht im Traume ein. Dazu war ihm die Frau zu gleichgültig. Anders Huxtl, der, unter denselben 261 Einflüssen stehend wie vor wenigen Stunden der Futteralmacher, alle Geister des Alkohols und der Eifersucht in sich rumoren fühlte. Er fühlte jedoch auch, daß er vor allem sicheren Boden brauchte und setzte sich daher vorsichtig auf den nächsten, ihm erreichbaren Stuhl.

»So, da kumm her, Tini, und beicht jetzt urndli. Es hört uns niemand als unser Herrgott, und da der Tonl, der wissen wird, wia mir mitanand stengan.«

Aber die Ambros war für diesen feierlichen Akt der Beichte zur Stunde nicht sonderlich eingenommen.

»Schaun S', daß in Ihner Bett kumman und reden S' net so g'schwollene Sachen! Stinkt aus'n Mund wia a Kanalloch von lauter Wein und Bier und Schnaps und will, i soll eahm beichten. Dürft eahm was angehn, was i tuan oder lassen soll. Zahl'n S' liaber das Bettgeld für a paar Wochen, fünf von vurher, ans für die Wochen und a paar vuraus. Jetzt wird das Geld am Schädl g'haut und dann is langmächti Schmalhans Kuchelmaster. So a b'soffens Mannsbild g'höret meiner Seel derschlag'n. Hau'n S' Ihner in Ihner Nürschl durt eini und schlafen S' den Dampf aus!«

Huxtl horchte auf die entrüstete Strafrede mit der Miene eines Menschen, der, von einem einzigen großen Gedanken erfüllt, die Andern schwatzen läßt und nur besorgt ist, den Faden seiner Ausführungen nicht zu verlieren. Er schüttelte ab und zu das Haupt, blickte Anton an wie im Zweifel, ob dieser denn wirklich die geeignete Persönlichkeit sei, vor dem solche Art ehelicher Streitigkeit auszutragen wäre und begann in Verfolgung seiner fixen Idee neuerdings:

»Tinerl, du hast a große Sünd' begangen, die unser Herrgott anmal an dir hamsuachen wird, a große Sünd'.«

262 Huxtl trug zu solchen Stunden eine fast kindliche Gottesfurcht zur Schau. »Sixt, i bin a natraler Kerl, alle sag'n das, waßt, aber i bin ah a Mensch, der – der wild wer'n kann. Und wann i anmal wild bin, wir i a Viech, a groß' Viech, waßt? A Geld willst ham? Da hast!« Er zog seine Brieftasche hervor und stöberte mit ungelenken Fingern darin herum. »So, da hast a Geld. Fünfe, zehne, fuchzehn, zwanzg – – – da hast. Zu was brauch' i a Geld? Da nimm, ziag mi aus, verkauf dö G'luft! Da hast meine Stiefletten . . . . .« Dann faßte ihn das graue Elend und er schluchzte: »Grad an mein' Benefiz, Tonl, Bruader, grad an mein' Benefiz! Himmelkruzifix, bin i a Mann oder net? Weg'n den Weibsbild wan' i, i – der Huxtl, wan' wia a Kind. Da tuat's weh,« er klopfte sich an die Brust, »da einwendig, das muaß aner verstehn, was das haßt. Verraten und verkauft an mein' Ehr'nabend, Bruader, an dein' Ehr'nabend verraten und verlassen. Hörndln wia a Hirsch, g'schamster Deana, i bin verpflegt nach d'r Noten.«

Anton hatte herzlich gelacht über die Leiden und Bekümmernisse des guten Huxtl. Zugleich war er boshaft genug, sich an der Verwirrung der Ambros zu freun, der die Offenherzigkeit ihres einmal begünstigten Bettgehers in Gegenwart Antons äußerst unbequem war. Sie hatte das Geld an sich genommen und beschloß, es für den leichtsinnigen Volkssänger zu verwahren, dann verließ sie das Zimmer.

Anton erinnerte sich bei der Tränenseligkeit des sonst so lustigen, liederlichen Tuches seiner eigenen Tränen, die er diese Nacht vergossen, und die flammende Röte der Beschämung bedeckte sein Gesicht. Er beschloß, ein für allemal diese unmännliche Schwäche von sich abzutun und an der Seite eines andern braven Mädchens die törichte Leidenschaft zu vergessen, die 263 ihn an ein Wesen kettete, das seine treue, reine Bewerbung ausgeschlagen, von dem er nichts wußte, als daß es seiner Liebe unwürdig sei. Wie hübsch, wie anmutig war seine neue Bekannte, mit welcher Liebe würde sie an ihm hangen. Er würde ein Heim, eine Familie besitzen, und die Erinnerung an die andere mußte dann für alle Zeiten verblassen.

Einstweilen beschloß er eine Auffrischung seines äußeren Menschen, wusch sich, zog frische Wäsche an, bürstete sein Gewand sauber, eine Reihe von Verfahren, die Huxtl zur Nachahmung aneiferten, sehr zum Vorteil für seinen Körper und sein Gemüt. Dann ließen sich die beiden Nachtschwärmer zwei Häringe mit Sauerkrant bringen, tranken einige Gläser Wein mit Sodawasser, so daß binnen kurzem die Folgen der durchtollten Nacht überwunden waren.

Und als sich Huxtl danach eine Zigarre anzündete, lag alle Erinnerung an seelischen Schmerz, Eifersucht, Tränen wie hinter einem dicken Nebel verborgen.

»Waßt was, Tonl, i zahl' jetzt an Anspanner, fahr'n mar a bißl umerananda, dann kauf mar uns wo a g'sunde Jausen. Der Nachmittag kummt auf mi, du därfst kan Kreuzer mehr anbringen, i hab' dö Nacht eh nix braucht. Sei net fad und halt mit! Allani g'freut mi der Sunntag net. D' Produktion fangt eh erst um achti an, da kann i vurher no a Stund, a zwa schlafen.«

Anton, der den Vorschlag nicht unannehmbar fand, willigte ein und bald rollten die beiden Sonntagskavaliere der inneren Stadt zu.

»Waßt,« erläuterte Huxtl, er begann jede Anrede mit diesem Wort, »waßt, mir können uns die Fuhr in a paar Stationen einteil'n. Z'erscht halten m'r beim Grandhotel, da kauf' m'r uns a frisch Krüagl Lager, dann fahr'n mar 264 zur Birn auf an urndlichn Hacklputz, dann auf an Schwarzen, und dann nach Ottakring, wo i heut spiel'.«

»Aber mi kriagst heut net mehr dazua, daß i bis zwa aufbleib'. Die Nacht haßt's schlafen. I begreif' di gar net, wia's d' so glei zwa, drei Nacht am Schädl haun kannst? I hab' übrigens g'mant, du willst ah a bißl tunk'n?«

»Ja, nocha in d'r Garderob, bevur's angeht. Wart, daß i 'n Kntscher sag', wo er hin soll, sunst mant er, er hat a Porzlanfuhr.«

Er beugte sich weit beim Coupéfenster hinaus und gab dem Kutscher den Bestimmungsort an.

Die erste Station wurde absolviert, nur mit dem kleinen Unterschied, daß aus einem Krügel deren fünf für Huxtl wurden.

Der Einspännerkutscher schmunzelte vergnügt, denn es ward nicht vergessen, ihn als dritten dem Saufkollegium beizuziehen. Hätte er die so errungene, feurige Stimmung auf sein »Bräunl« übertragen können, dasselbe wäre dahergesaust wie ein edler Renner.

So aber trollte es nach wie vor durch die Straßen unbekümmert um alle Aufmunterungsversuche seines Herrn, der diesesmal selbst das sonst so verpönte und lästerliche Wort: »ölendiger Gasbock« zur Kennzeichnung der Rennqualitäten seines Rößleins in den Mund nahm.

Das Mittagessen bei »der Birn« gab Huxtl Anlaß, sich als Kavalier comme il faut aufzuspielen. Der Rosselenker verzehrte in der Schwemme ein kolossales Banfleisch und ließ sich dazu den Wein köstlich schmecken. Bei der angebrannten Virginia ließ er die Fahrgäste der letzten Zeit vor seiner Erinnerung Revue passieren und konstatierte, daß 265 er schon lange keine so »tacke Fuhr« gehabt wie heute. Er beschloß, Huxtl zum Baron avancieren zu lassen, denn das obligate »Gnaden« war er genötigt, jedem »stiern Beutl« zuteil werden zu lassen.

Die behagliche Umgebung, das gute Essen, der starke Wein, hatten auch bei Anton ein sonst schlummerndes Mitteilungsbedürfnis angeregt, und er erzählte dem Freunde von seiner Eroberung, die er heute früh an dem hübschen, schwarzen Mädchen gemacht, und von seiner Absicht, unbekümmert um ältere Rechte des Futteralmachers, es mit dem Madl »alt z'machen«, eine Absicht, die Huxtl höchlichst billigte und in Hinblick auf den abgetanen Bräutigam für sehr ergötzlich fand.

»Waßt, Tonl, für di is gar net schlecht, wannst di um was Urndtlichs umschau'st. Verdienen tuast d'r dein Geld, a Lump bist kaner, an Menschen hast ah net, um den's di kümmern braucherst, in a andre bist net verliabt, also pack' s' z'samm und heirat'. Hast zwar no a Stellung, no, mein Gott, auf acht Wochen höchstens, daß d' einrucken muaßt. Vielleicht net anmal das, wann's d' auf den an Aug 'n schlecht siechst, können s' di eh net brauchen. (Anton hatte durch einen eingedrungenen Metallsplitter ein in seiner Sehkraft stark geschwächtes Auge.) Bei mir is die G'schicht anders. I kann, brauch, und will net heirat'n. Madln gnua – auf jeden Finger a Schock, daß s' m'r beinah schon z'wider san. Geh, trink aus, daß m'r an andern kriag'n. D'r Wein is net ohne, was?«

»Meiner Seel', i hab' schon g'nua«, gestand Anton. »I bin das Nachtschwärmen und Trinken net g'wohnt, i fürcht' rein, es könnt' m'r net guat werd'n.«

266 »Gehst net doni? Der Wein riegelt a bisl auf, der schad't d'r gar net. Nacher gehn m'r ins Kaffeehaus und trinken an Schwarzen mit Kognak, wirst glei wieder frisch werd'n.«

Anton begnügte sich, lächelnd zu versichern, er würde für alle Folgen seinen Verführer verantwortlich machen, der, wie alle Dinge dieser Welt, auch diese Verantwortlichkeit auf die leichte Schulter nahm und eine neue Flasche Wein bestellte.

In demselben Augenblicke ging die Türe auf und von dem Wirte, sowie zwei Kellnern ehrfurchtsvollst hereinbekomplimentiert, erschien eine junge, elegante Dame, bei deren Anblick Anton jeder Blutstropfen aus dem Gesichte wich.

Er starrte die Eingetretene an wie eine Erscheinung und hörte nicht einmal Huxtl, der einige Male ausrief. »Na, was hast denn? Bist teppert word'n?«

Die Dame war niemand anderer als Milly, die jeden Sonntag in diesem Restaurant zu Mittag zum Speisen erschien. Die Art, wie sie auf einen dem der beiden Freunde benachbarten Tisch zuschritt, bewies, daß dort ihr Stammplatz war.

Sie ließ sich von den Kellnern die schwere Pelzjacke ausziehn, nahm das kostbare Hütchen ab, durchstach es mit der Hutnadel und übergab es ebenfalls dem Kellner zur Aufbewahrung. Dann, nachdem sie Platz genommen, studierte sie die Speiskarte, gab ihre Anordnungen, alles mit den Allüren der Dame aus der Gesellschaft.

Huxtl, der jetzt Gelegenheit gefunden, aus nächster Nähe das Gesicht der Angekommenen zu studieren, stieß beim ersten Anblick einen leisen Pfiff der Verwunderung aus:

»Du, Tonl, schau d'r dös Frau'nzimmer an! Dö 267 reinste Ambros, nur jünger und säuberer. A so muaß s' vur zehn Jahrln ausg'schaut hab'n. Jessas, was hast denn? Bist ja kasweiß. Is d'r eppa wirkli net guat?«

Anton winkte abwehrend mit der Hand. Er zitterte dem Augenblick entgegen, da Milly ihn bemerken mußte. Wie würde sie sich stellen? Ihn verleugnen oder ihn erkennen als ihren alten, geliebten Jugendfreund? Wie schön sie war, wie vornehm, wie begehrenswert! War das noch die alte Milly, die er vor einem Jahre zum letzten Male gesehn? Welche Veränderung!

Und die letzte Hoffnung, die er vor Stunden noch gehegt haben mochte, sank dahin. Diesem Mädchen konnte er sich nimmer nahen mit seiner einfältigen Bitte, ihm zu gehören. Sie mochte gefallen sein, aber sie war weich gefallen; an die Pforten dieses Herzens pochte man nur mit dem Talisman: Gold. So unerfahren der junge Mann über die Macht des Dämons sein mochte, dem jegliches Weib am leichtesten als Beute wird: des Tandes – soviel gestand er sich, daß das getreueste und aufopferungsmutigste Herz nicht in Betracht kommen konnte gegen die Schönheit und Üppigkeit eines Daseins, dessen Bodenständigkeit nur das Geld – Geld und wieder Geld verbürgte.

Er kannte weder Montecuccoli, der dieses Allmittel als einzig notwendig zum Kriegführen erklärte, noch die Philosophen, die jeglichen Besitz und alle Menschenwünsche als eitel erklärten.

Er war Weiser auf empirischem Weg geworden, einer der Philosophen, die die Kunst verstehn, aus der Not eine Tugend zu machen, wie alle Armen und Entbehrenden.

Die Spekulation hatte ihn nie beschwert, die Frage: muß es so und nicht anders sein? hatte ihm nie geklungen. Er nahm die Verhältnisse wie er sie fand, und stellte sich zu 268 ihnen als kluger Mann, der ein Hindernis übersteigt oder umgeht oder vor ihm – umkehrt, niemals jedoch das Begehren empfindet, es wegzuräumen.

Vermochte er es, den Kampf aufzunehmen gegen eine Macht, die er seit frühester Jugend verehren gelernt, die Macht des Geldes? Nein! Es hieß sich bescheiden.

Wäre der Nebenbuhler Fleisch und Blut gewesen, dann war der Kampf zu wagen. Aber gegen Samt, Spitzen, wallende Federn, zarte Parfüms, gegen den unsichtbaren, unnennbaren, nicht zu fassenden Gegner gab es keine Auflehnung. Er hätte ein Narr sein müssen, sie zu versuchen. So dachte er wenigstens im Augenblick.

»Mehlspeise?« flötete Milly sinnend und sah träumerisch den harrenden Kellner an, »was hab'n S' denn?« Und sie lauschte der Aufzählung der verschiedenen Arten, von Linzertorte bis Milchrahmstrudel. Dann warf sie, noch immer in Sinnen verloren, einen Blick auf die sie umgebenden Erdgeborenen und sprang plötzlich mit einem leisen Schrei, der Freude oder Schreck verraten konnte, auf.

Aber im nächsten Augenblicke rief sie, unbekümmert um ihre Umgebung und den etwas perplexen, würdevollen Kellner, mit allem Ausdruck der Zärtlichkeit: »Toni!«

Möge ihr vieles vergeben sein um den einen Ruf, mehr noch um den Ton, in dem er ausgestoßen wurde und um das leuchtende, frohe, kindliche Gesicht, das ihn ergänzte!

Sie wartete nicht, bis ihr Spielgefährte und Genoß lustiger Jugendtage mit hocherrötetem Gesicht ihr entgegenkam, nein, einen im Weg stehenden Stuhl wegstoßend, eilte sie auf ihn zu, und seine Hand ergreifend, blickte sie den Freund mit gerührtem Lächeln an.

Und einige Sekunden standen sie sich gegenüber, eines 269 des andern Hände haltend, wie zwei Gefährten, die einen Nachmittag vom gemeinsamen Spiel getrennt waren und nun im stummen Entzücken ihrer Wiedervereinigung die kindlichste und menschlichste Sprache sprechen, die der Augen.

»Ah, so was, Toni!« nahm Milly das Wort, »so a Überraschung. Überall hätt' i di eher z'finden glaubt als da. Und wia nobel«, sagte sie in ehrlicher Verwunderung, indem ihr Blick mit weiblicher Prüfung an seinem Äußeren haftete. »Bist so a fescher Kerl, daß man a Freud an dir hab'n muaß. Der Herr is dein Freund?« fügte sie hinzu, da Huxtl in kavaliermäßiger Haltung dastand, gewärtig, seine Persönlichkeit als würdiges Pendant seines Freundes der Beachtung der Schönen zu präsentieren.

So sehr der fesche Huxtl die Weiber kannte und sich durch süße Blicke nicht aus dem Gleichgewichte bringen ließ, das reizende Lächeln, mit dem ihm Milly die Hand reichte und seine etwas geschraubte Hochdeutschvorstellung entgegennahm, wirkten sogar auf den flotten, liebenswürdigen Zyniker und Windbeutel wie die Herablassung einer Fürstlichkeit.

»Ohne Umständ',« sagte Milly, »entweder setz' i mi zu euch, oder noch besser, ös zu mir. Ja, Toni?«

Der Tisch, den sie als ihren Stammplatz behauptete, war leer, und der Kellner schien es sich zur besonderen Ehre anzurechnen, den Wein der beiden Herrschaften von dem einen Platz auf den andern zu stellen.

Als die drei beisammen saßen, klärte Anton den noch immer »baffen« Huxtl über die Umstände seiner Bekanntschaft mit Milly auf.

Man muß es diesem lassen, daß er so taktvoll war, auf jede weitere Erklärung zu verzichten, und das junge 270 Mädchen durch keine unbesonnene Frage in Verlegenheit brachte. Anton war selig. Er konnte die leuchtenden Blicke gar nicht abwenden von der so unvermutet Wiedergefundenen. Milly aß, trank, plauderte und lachte, daß sogar über das strenge Diplomatengesicht des ernsten Kellners etwas wie ein vergnügtes Schmunzeln zog.

Ab und zu hatte der in der Schwemme kampierende Einspännerkutscher den Kopf hereingesteckt, offenbar von der seltsamen Idiosynkrasie von Leuten seines Standes befangen, die zwei Kavaliere möchten das Weite gesucht haben. Einmal ersah ihn Huxtl.

»Fix Laudon! Unser Anspanner. No i dank', der wird si a Fuhr anrechnen. Soll'n mar'n fahr'n lassen, was manst, Tonl?«

»Jessas, ja. Zu was brauchen mir überhaupt an Wag'n? Mir san ja kane Grafen.«

»Was, so nobel gibst es du?« lachte Milly. »Habt's recht, laßt' 'n allani hamfahr'n. Mir fahrn nacha mitanander mit an' fescheren Zeugl.«

Huxtl ging hinaus, entlohnte den Kutscher und sagte ihm, er und sein Freund würden so bald nicht das Lokal verlassen. Er schnitt ein einigermaßen saures Gesicht bei der Forderung des Rosselenkers, der beteuerte, nicht einmal die ganze »Tax« berechnet zu haben. Noch ein längeres Gesicht machte Huxtl jedoch, als der Kutscher dem Kellner ansagte, was er auf Kosten seiner Fahrgäste gezehrt. »An Banfleisch mit Kren, drei Brot, an Gorgonzola, an Kaiserschmarrn, vier Krügeln Lager, zwei G'spritzte mit Gieß, zwa Wertschina und a Trabukerl. Sunst nix«, fügte er naiv hinzu. Huxtl mußte wider Willen lachen.

»Sö, wann S' bis abends da war'n auf meine Kosten, brauchert i a zweit's Benefiz.«

271 Zu Anton und Milly zurückgekehrt, berichtete er von dem gesegneten Appetit des Rosselenkers. Beide mußten lachen.

»Dafür bin i von heut an d'r ›Baron‹ Huxtl«, sagte der Volkssänger, »no a paar Portionen und a paar Liter, und i bin Fürscht.«

»So, jetzt bleib'n S' da sitzen!« forderte ihn Milly auf und winkte dem Kellner, der mit ehrfürchtiger Miene dem Auftrage lauschte, den ihm das Mädchen mit leiser Stimme erteilte.

Wie staunten Anton und Huxtl nicht, als nach einer Weile der würdevolle Kellner als Vortrab erschien, die Serviette zeremoniell über den linken Arm geschlagen, einige Gläser von eigener Form in der Rechten, ihm folgend ein anderer Kellner mit zwei gesiegelten Flaschen in einem zinnernen Kübel und der Zigarrenschani mit einer Schachtel, die offenbar Spezialitätzigaretten enthielt.

»Jetzt stoß'n m'r an,« sagte Milly, als der Champagner in den Gläsern perlte. »auf unser G'sundheit und daß uns alles guat ausgeht.«

Antons Hand zitterte, da er mit seinem Glase anstieß.

»Soll's d'r immer guat gehn, Milly. Trinken m'r no auf die Erinnerung, wia m'r klan war'n und –« seine Stimme senkte sich, »glückli«.

»Batsch,« lachte Milly, »allweil können m'r net wia d' Kinder sein. Aber hast recht,« fügte sie sinnend hinzu, »schön war die Zeit.«

Huxtl, der unter gewissen Umständen was auf Kavaliermäßigkeit hielt, bemühte sich in gewählter Sprache einen Toast auf die schönste aller Frauen auszubringen, wofür ihm Milly mit ihrem strahlenden Lächeln und einem Blick ihrer schönen, lachenden Augen dankte.

272 Anton schnitt dieser Blick ins Herz. Ach! er sagte ihm, daß Millys glückliches Lächeln jedermann strahle wie die Sonne, die aufgeht über Gerechte und Ungerechte. Doch warum sich die köstliche Stunde des Wiedersehens verbittern?

Nein! Lieber sie anschauen, ihr Bild aufnehmen, daß es mit unverwischter Deutlichkeit in Stunden der Einsamkeit und der Trennung vor seinen Augen stünde.

Huxtl, der sich der Führung der Unterhaltung bemächtigte, erzählte von dem gestrigen Abend, seinen Triumphen und vielen Dingen, die ausschließlich mit seiner erhabenen Person in Verbindung standen. Unter anderem auch von der heldenhaften Rolle, die er in schauerlicher Mordnacht gespielt, frug Milly, ob sie nicht sein Bild in der Zeitung gesehen, was diese bejahte, dann bewog das strenge Rechtlichkeitsgefühl Huxtls auch Ludwigs zu gedenken, der in besagter Nacht auch eine Art Rolle mitgespielt.

»A Cousin von mir,« erklärte Anton, »denk nur, er wohnt bei mir am Kabinett. A fescher Kerl, a liaber, wannst den seg'n möcht'st, der tät' d'r g'falln. Wirkli der beste Mensch, den's gibt.«

Regte sich ein Bedauern in dem schönen Mädchen, daß es diese Einfachheit und Arglosigkeit täuschte im Verein mit demjenigen, der zu vollster Aufrichtigkeit verpflichtet war? Milly empfand es peinlich, daß Anton seines Cousins mit den Ausdrücken des Lobes und Stolzes erwähnte.

Sie errötete leicht und suchte von dem ihr unbehaglichen Thema abzukommen, indem sie Anton über verschiedenes befragte, sich von allen Hausereignissen unterrichten ließ, obwohl sie die wichtigsten kannte, und zum Schluß, um sich über die Gefühle Antons zu vergewissern, ihn neckend frug, ob er denn keine Geliebte habe?

»Und ob,« mischte sich Huxtl ein, »an harben Kerl, 273 Aug'n wia die Kohl'n und an Züngerl wia a Schwert.« Und unbedenklich gab er Antons junges Geheimnis preis, schilderte den Eifersuchtsanfall des kleinen Futteralmachergehilfen, dann wie er, Huxtl selbst, ganz wohl nach der verborgenen Ecke des Kaffeehauses gespäht und die rührendste Liebesszene beobachtet habe.

Anton war vor Verlegenheit und Zorn über diese Indiskretion abwechselnd rot und bleich geworden. Was fiel Huxtl nur ein, über diese Geschichte zu sprechen? Für Anton war sie in dem Momente abgetan gewesen, als Milly hereingetreten war.

Er konnte sich keine Rechenschaft darüber ablegen, warum ihm das Abenteuer dieser Nacht so peinlich war, und ob er denn von Milly überhaupt noch etwas hoffe. Eines nur fühlte er, außer ihr gab es für ihn kein Weib, und sein Vorsatz, den er noch vor kurzem Huxtl gegenüber geäußert, kam ihm jetzt unsäglich abgeschmackt und lächerlich vor.

Milly hatte mit lächelnder Teilnahme der Erzählung des schon wieder beschwipsten Volkssängers gelauscht und Anton mit einem Blick schwesterlicher Zärtlichkeit ansehend frug sie:

 Geh, is das wahr? Schau, das macht m'r a große Freud.«

Tatsächlich fühlte sie eine unendliche Erleichterung bei dem Gedanken, ihren Freund glücklich zu wissen, ohne daß sie mit ihrer Person dazu beitragen mußte.

»Unsinn,« sagte Anton finster, »a klans Techtlmechtl in an Kaffeehaus, wo schon kan's mehr recht nüachtern war. Das Madl hat si mir ja förmli am Hals g'worfen.«

»Na hörst . . . . .« wollte Huxtl einwenden, doch eine Geberde Antons befahl ihm Schweigen.

274 Milly, die mit dem Instinkt des Weibes die Wahrheit erriet und sich bewußt war, daß nur ihr Erscheinen den Entschluß des jungen Arbeiters umgestoßen, sah mißmutig drein.

»Das is net schön von dir, Toni, daß d' an Madl erst was versprichst und dann am nächsten Tag reut's di. Wann du ihr besser g'fallst als der andre, der grad kan Bild von an Mann sein soll, is das net ihr Schuld. I an deiner Stell' möcht' dem armen Ding mein Wort halten. Jung und sauber soll s' sein . . . .«

»Und wia!« schob Huxtl mit Kennermiene ein.

»No also! Überleg' dir's no, Toni«, schloß Milly.

»Hör'n m'r auf mit der G'schicht,« sagte Anton unmutig, »i bin net dazua aufg'legt, verdirbt m'r nur'n Hamur.«

»Ja, recht hat er, nur kan Dischkur, der a Traurigkeit aufbringt, obwohl i net waß, was i denken soll. Bin i d'r Narr, oder a andrer? Is guat, Prosit! D'r Hamur soll leb'n«, und Huxtl benützte diese Gelegenheit, sein vollgeschenktes Glas zu leeren. Dabei verpaffte er unaufhörlich eine Zigarette um die andere und erwog in seinem Herzen, ob er nicht wohl daran täte, Fräulein Milly an den Triumphwagen seiner Eroberungen zu ketten.

Da man ein Thema glücklich verlassen, das in seiner weiteren Verfolgung nur zu Mißstimmungen Anlaß gegeben, geriet man bald wieder in eine flotte, lebhafte Unterhaltung.

Es ist bezeichnend, daß weder Milly sich befangen fühlte, vor ihrem einfachen Jugendgenossen als die Dame der Demimonde zu paradieren, noch daß dieser den geringsten Anstoß daran, sondern ihre Verhältnisse als etwas ganz Selbstverständliches nahm. Huxtl, der die Welt kannte wie nur einer, war keinen Augenblick im Zweifel darüber, 275 wem er die Ehre der neuen Bekanntschaft danke, doch wäre er der letzte gewesen, deshalb irgendeine Bedenklichkeit zu äußern. Im Gegenteil stand ihm Milly dadurch nur um so näher, sie war förmlich sein weibliches Gegenstück.

Hätte Anton Milly nicht geliebt, vielleicht würde sich die Abneigung geregt haben, die arbeitende, ehrliche Leute gegen die elegante Maitresse hegen. Er vergaß jedoch über dem glänzenden Schein die schmutzige Quelle und versenkte sich nur in fraglose, uneingeschränkte Bewunderung der Geliebten. Er war mit Huxtl in der Annahme einig, Milly sei die Geliebte eines Fürsten oder Grafen.

Und Milly? – Mochte man über sie denken wie man wollte, mochte ihr kaltes, unsinnliches Gemüt sie jeden Vorteils einer Entschuldigung berauben, die herzliche, liebevolle, schwesterliche Art, in der sie dem Freunde ihrer lachenden Kindheit entgegengetreten war, der Anteil, den sie an ihm nahm, läßt nur das Bedauern darüber aufkommen, daß diese Kindheit eine so ungeleitete, durch ein trauriges Verhängnis aus ihrer Bahn gelenkte gewesen.

»Wann's wollt's, fahr'n m'r mit mei'n Wag'n a bißl nach Hietzing oder wo's hin wollt's. Um sieb'n muaß i z' Haus sein, i wart' auf jemand«, sagte Milly.

Zum ersten Male setzte Huxtl den bisher beobachteten Takt beiseite und meinte schlau:

»Aha! der Herr Graf . . . . .«

Das Mädchen errötete doch unwillkürlich und warf dem kecken Frager einen zürnenden Blick zu, der diesen aber nicht aus der Fassung brachte.

Anton biß die Zähne auf die Unterlippe und wurde blaß. Die Unmittelbarkeit von Huxtls Anspielung brachte ihn jäh zum Bewußtsein der traurigen Rolle, die er im Augenblicke spielte. Er sollte sich im Wagen des 276 Nebenbuhlers herumführen lassen und daran denken, daß binnen kurzem das Mädchen in dessen Armen ruhen würde. Diese Vorstellung und der natürliche Stolz des jungen Mannes geboten ihm, den Vorschlag abzulehnen.

»Waßt,« sagte der überraschte, ja empörte Huxtl, »di begreif' i heut scho gar net. Mir scheint, du bist von gestern her do a bißl teppert. In an fein' Wagerl fahr'n können und net mög'n, da hört si alles auf.«

»Tua was d' willst«, sagte Anton kurz.

»Geh', Toni, i begreif' di ah net,« nahm verwundert Milly das Wort, »was hast denn auf anmal?«

»Nix, aber i fahr' net. So was is net für mi.« Er griff in die Tasche, um seine Börse herauszuholen, denn er wollte den Kellnern wenigstens ein gutes Trinkgeld geben, da sonst gar nichts auf seine Rechnung kam.

Er brachte wohl eine Börse zum Vorschein, doch die unrechte. Es war diejenige, die er von Frau Fischer erbeten und erhalten hatte.

»Wia kummt denn nur das in dös G'wand?« frug er verwundert. »Hat m'r sicher die Ambros einig'steckt«, und wollte den Gegenstand wieder in die Tasche zurückschieben.

»Geh, was hast denn da? Lass' anschau'n!« rief Milly, deren Blick darauf gefallen war.

Anton reichte ihr die Börse.

»Um Gottes will'n,« rief das junge Mädchen erstaunt und erfreut aus, »wie kummst du zu dem Taschl?«

»Kriagt hab' i's vor aner Zeit, die Fischerkinder ham s' als Spielerei braucht. Weil's mi interessiert hat, hat m'r's die Frau geb'n.«

»Waßt, von wem's is? Das haßt, wem's anmal g'hört hat?«

277 »Bekannt is m'r,« sagte Anton kopfschüttelnd, »i glaub', i hab's schon anmal g'segen, 's muaß aber schon hübsch lang sein.«

Milly betrachtete unverwandt mit tränengefüllten Blicken die leblosen, stummen und doch so beredten Zeugen ihrer Jugendtage.

»'s Börsel von mein' Votan«, sagte sie gepreßt vor Aufregung. Anton schlug sich vor die Stirne.

»Daß i da net draufkummen bin! Wie guat kann i mi jetzt erinnern. Milly, wia oft hat dein Vota 's Geld herausg'nummen aus dem Börsl, wann er uns um a Bier g'schickt hat. Wia oft ham m'r uns dö Buchstab'n ang'schaut und wia oft ham m'r drauf an Kreuzer kriagt, daß m'r uns Zuckerln ham kaufen können.«

Mochte das leichtherzige Mädchen das Gedenken an seine Eltern schon lange abgetan haben, in diesem Augenblicke brach es mit aller Macht hervor.

»Und no was,« sagte Anton lebhaft, sich auf etwas besinnend, »gib her anmal.« Er nahm Milly das Täschchen aus der Hand, zwängte die Finger in die vorderste Abteilung und brachte das darin verwahrte Papier hervor.

»Da hast!« und er schlug dieses auseinander und reichte Milly die Haarlocke ihrer verstorbenen Mutter.

Wenn etwas geeignet war, das Mädchen zu erschüttern, so dieses Andenken an die teure Verstorbene, dieses schlichte Zeichen einer treuen Pietät des Vaters für die entrissene Gattin.

Milly hielt die Hände vors Gesicht und weinte.

Welch seltsamer Kontrast! Auf dem Tische die geleerten Flaschen und Gläser, der Hinweis auf eine heitere 278 Zechgesellschaft, und an dem Tisch ein weinendes Mädchen und zwei ernste, stumme, teilnahmsvolle Männer.

»Mein Gott und Herr, i bin do recht patschert«, sagte Milly nach einer Weile, ihre Augen mit einem feinen Spitzentuche trocknend, »wan' i, weil i das Taschl siech. Aber net wahr, Tonl, es war a schöne Zeit damals, wia unsre Leut' no g'lebt ham.«

»Das war's ja«, sagte Anton mit Überzeugung.

»Und wia lustig war's bei uns, was war d'r Vota für a fideler Mensch! Und mein' arme Muatta erst . . . . . die hat nur den ganzen Tag g'sungen und g'lacht.«

Anton nickte, versunken in die Erinnerung jener Tage, die er niemals, ach gar niemals vergessen konnte.

»Gelt, Toni, das Taschl laßt m'r, was?«

»Selbstverständli. Dir g'hört's do.« Er hätte gern noch hinzugefügt, daß er selbst ihr ganz angehöre mit seinem ganzen Leben.

»Hast gar ka Idee, wia das zu so fremde Leut' kummen is?« forschte Milly.

»I kunnt wirkli net sag'n. Vielleicht hat's dein Vota anmal verlurn, und wia das schon geht, – a so a Ding kummt oft von aner Hand in d' andre.«

»Also was is, Toni, willst wirkli net a bißl mitfahr'n? I möcht' weg von da, die Kellner schau'n alle her, weil s' mi wanen ham seg'n. Mir is das heut so nah gangen, daß i a bißl hinaus möcht' ins Freie. Gengan m'r durch Schönbrunn! Wird uns net schaden die frische Luft.«

»I werd' d'r was sag'n, Milly,« entgegnete Anton leise, aber bestimmt, »jetzt grad net. Sei net harb, aber i kann net, mi halt was z'ruck, was i net erklär'n kann. Wannst a armes Madl warst und sagerst: Tonl, gehn m'r mitanand, so weit uns d' Füaß trag'n, i nehmert di bei 279 der Hand und fragert net wia weit und wohin. Milly – Milly,« er flüsterte ihr die letzten Worte erregt zu, »glaub' m'r, du bist am Holzweg. Nimm's als a Zeichen, das Haar von deiner Mutter, nimm's als a Zeichen, daß d'umkehrn sollst! Du waßt, was i d'r anmal antrag'n hab'. I tua's heut no anmal – überleg' d'r's!«

»No, Tonl,« mischte sich Huxtl ein, »was is denn? Fahrn m'r oder net? Tua net lang umadoktern! Sag' ja und semper d'r Fräul'n net so an.«

»Der Tonl sagt na«, war die nochmalige, bestimmte Antwort.

»Batschachter!« war alles, was Milly auf diese Weigerung zu erwidern hatte. Dann rief sie den Zahlkellner, berichtigte trotz des Sträubens der beiden jungen Leute deren ganze Zeche und erhob sich.

»Pfiat di Gott, Toni,« sagte sie zum Abschied ihm beide Hände hinstreckend, »pfiat di Gott!« Dann flüsterte sie, so daß ihre Worte von Huxtl nicht gehört werden konnten: »Schlag' d'r das aus'n Kopf! Was i anmal g'sagt hab', gilt no heut. I kann in das alte Leb'n nimmer z'ruck, därfst m'r's net für übel nehmen.«

»Willst m'r net sag'n, wo i di wieder treffen kann?« frug Anton erschüttert über den Abschied der ihm bewies, daß seine Hoffnungen sich nie erfüllen würden.

»Zu was? I siech, du hast ka Achtung für mi, und i – i kann d'r net helfen, mit'n besten Will'n net. Nimm an Rat von mir an. lass' das Madl net aus! Es war' schad' um di. Du brauchst a bravs Weib, das net sein Kopf waß Gott wo hat, nur net bei d'r Familie. Pfiat di Gott, Toni! Adje, Herr Huxtl«, und sie reichte diesem mit 280 einem Lächeln die Hand, die Huxtl kavaliermäßig an die Lippen führte.

Anton ließ sie ziehen mit einem so bitteren, tödlichen Gefühl, daß er vermeinte, alles, alles wäre nun zu Ende; als solle der graue Wintertag keinem Frühlingstage mehr Platz machen können, kurz, es beherrschte ihn jene verzweifelte, trostlose Stimmung, deren sich der gereifte Mann entweder mit einem bedauernden Lächeln oder der Empfindung erinnert, er habe einmal an etwas unsäglich Kindisches seinen Schmerz verschwendet.

Von Gefühlen gleicher Intensität, nur ganz anderen Inhaltes, ward Huxtl bewegt. Das konnte er Anton nicht verzeihen. Wie? Das schönste Weib der Erde und der fescheste Mann im Umkreise des Stephansturms waren daran gehindert, im lauschigen Coupé unsichtbare Fäden von eines zu des andern Herzen zu spinnen, nur aus dem Grunde, weil es einem unberechenbaren Dritten gefiel, störend und hemmend einzugreifen?

Sobald Milly, gefolgt von den dienernden Kellnern hinausgerauscht war, wandte er sich empört an seinen Begleiter. »Waßt dar, Tonl, an so an Tepp'n hab' i mein Lebtag no net g'seg'n. So a Murdsviech . . . . .«

»Huxtl,« sagte Anton eindringlich, »red' m'r nix mehr, oder du lernst mi kennen. I waß, was i tua. I kenn' das Madl länger wia du, und lass' m'r net vorschreib'n, was i machen soll oder net. Alsdann, sei so guat und halt di z'ruck!«

So wenig gewählt und freundschaftlich diese Worte klangen, genügten sie doch, Huxtl, der in der Tat ein fescher Kerl war, insoweit aufzuklären, daß zwischen seinem Freunde und dem schönsten Weib der Erde andere, geheimnisvollere Beziehungen walteten, als er bisher vermutet. Und da er 281 weder ein Spielverderber noch ein Schnüffler war, begnügte er sich, Anton nur »an öden Zipf« zu heißen, der unmöglich verdienen könne, mit Leuten von Huxtls Schlage in Parallele gebracht zu werden.

Nachdem auf diese Art ein Bündnis gegenseitiger Schweigsamkeit geschlossen, wollten sich die zwei so unähnlichen Drahrer nach Verabreichung eines glänzenden Trinkgeldes an die vor Hochachtung fast ersterbende Kellnerschar entfernen. Doch was war das? Vom Schankzimmer ertönte eine, Huxtl nur zu bekannte Stimme.

»Bruada, dös is guat. Gehst net doni? In Tschickerl wollt's darzähln, daß dös a Pülsner is? Meiner Söl', wann m'r's dö G'schicht net stiern möcht', tat i denen Rössern draußt damit dö Huf o'waschen, wann's denen armen Hund nöt eh so kalt war. In Tschickerl a so a Pülsner z'geben! Meine Herrn . . . . .!«

»Tschickerl, Serwas,« sagte Huxtl durch die geöffnete Glastüre, »sag' m'r nur, alter Schwasser, wia kummst denn du daher? – hab' glaubt, du schnarchst in dein Nürscherl daham?«

»Seg'n S', dös is das End vom Liad«, krähte Tschickerl, denn bei Gelegenheiten höchsten Entzückens versagten ihm seine gewöhnlichen Stimmittel, besonders wenn es sich um den Versuch handelte zu singen.

»Huxtl, Serwass, Bruada! Ah, habe die Ehre, g'schamster Diener«, wandte er sich an Anton. »He, Wirt, drei Pülsner, aber a urndlich's, daß 's d'r Tschickerl saufen kann.«

»Nix da,« lehnte sogar Huxtl ab, »mir ham g'nua. Auf an Schampus werd'n m'r a Bier trinken. Ins Kaffeehaus, wannst willst, weg'n meiner.«

282 »Gilt,« rief Tschickerl, »draußt steht a harb's Zeugerl, fahrt's mit. Bruader, a Wagerl vom Grab'n. Heut liegt m'r nix dran und wann d' Welt auf Fransen geht. Also kummt's, fahr'n m'r!«

Auf diese Worte Tschickerls hin stürzte ein Mann mit einem Stößer, in Samtrock und karierter Hose schleunigst ein noch volles Glas Wein hinunter und erklärte sich bereit, die andern Herrschaften gegen Auszahlung einer noch näher zu bestimmenden Taxe in seinem Wagen aufzunehmen.

»Wannst no a Wurt red'st,« erklärte Tschickerl, »so kannst allan hamfahr'n. Dös is guat, meine Herrn,« wandte er sich in der Runde an alle Anwesenden, »in Tschickerl sag'n, was er z'tuan hat. Bruada, da legst di nieder und stehst nimmer auf. Kräul aufi am Bock und lass' dö Gasböck renna, als wann's in d' Freudenau gangt. Weg'n Zahl'n hat's mit 'n Tschickerl no nia a G'wiaxt geb'n.«

Wie es kam, daß der unermüdliche Zechbruder und Busenfreund des Volkssängers diesem förmlich auf die Spur gekommen war? Offenbar von einem Instinkt getrieben, der in der unerhörten Freundschaft, die ihn mit Huxtl verband, seine Quelle hatte, war er etappenweise genau dieselben Wege gewandelt, wie dieser, hatte im Grand Hotel eine Bierprobe vorgenommen, war in einem Fiaker, dessen er wegen seiner Beine, die alle Kraft verloren hatten, sehr benötigte, in der Stadt herumgefahren, und war also mit seinem Gefährten vereinigt, den er heute nimmer zu verlieren beschloß.

So kam es, daß also Huxtl trotz allem sich in dem weichgepolsterten Coupé eines Fiakers befand, nur mit dem Unterschiede, daß statt der weichen, molligen Knie Millys, die spitzen, harten Tschickerls sich gegen die seinigen preßten.

283 Und Anton? Er schien heute alle Prinzipien der Mäßigkeit und Solidität von sich geworfen zu haben. Er war bei allem dabei und saß noch um zwei Uhr nachts mit Tschickerl und Huxtl in einem Kaffeehause, zur größten Besorgnis Ludwigs, der noch bei seiner Studierlampe wachte und sich mit der Frage abquälte, ob Anton nicht ein Unglück zugestoßen sei. 284

 


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