Karl Adolph
Haus Nummer 37
Karl Adolph

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

(Beweist den alten Satz, daß jede Freundschaft brüchig wird, wenn ein Weib seine Hände ins Spiel bringt.)

Einen qualvolleren Nachmittag glaubte Ludwig noch niemals verbracht zu haben, als den heutigen. Zum ersten Male war er mit ganzem Herzen nicht bei seiner Aufgabe, klein Waldemar in die Geheimnisse verschiedener erhabener Wissenschaften einzuweihen. Der Gedanke an sein bewußtes Vorhaben bei Milly quälte ihn unablässig und er formte sich in seinem Kopfe eine passende Einleitung.

So sehr er sonst seiner Ruhe sich versichert halten konnte, heute machte ihn das obligate Gezänk zwischen Sidonie und Waldemar nervös bis zur Verzweiflung.

Das kleine Fräulein hatte ihr voreilig getanes Gelübde wegen der künftigen Behandlung ihres Bruders nur zum Teile erfüllt. Es muß der Wahrheit gemäß konstatiert werden, daß Waldemars Ohren einer ungeahnten Schonzeit genossen. Sidonie hatte das Versprechen gegeben, den unlenksamen Schlingel nimmer zu mißhandeln. Was die körperliche, handgreifliche Weise anbelangt, hielt sie getreulich ihr Wort.

Aber die kleine, schlaue Evastochter hatte ein neues Verfahren der Folterung und Mißhandlung entdeckt, wozu ihr des Bruders seinerzeitige, unbedachte Anteilnahme an ihrem Schicksal (das bekanntlich nur an Fadensdünne hing,) die geeignete Handhabe bot.

Es war mit Rücksicht auf die Beharrlichkeit der 383 Rekonvaleszentin unmöglich gewesen, ihren Wunsch, an dem Unterricht teilzunehmen, zu versagen. Also beherrschte sie nach wie vor Lehrer und Bruder. Zeigte letzterer eine Anwandlung der alten Störrigkeit, so versäumte Fräulein Sidonie niemals, alle Anzeichen besorgniserregender, hysterischer Anfälle zu äußern und dem anfangs erschreckten, mit seinen runden, glotzigen Augen fassungslos dreinschauenden kleinen Bösewicht zu versichern, daß seine Aufführung sie nötigen werde, nochmals krank zu werden, dann jedoch unnachsichtlich, ohne Gnade und Barmherzigkeit zu sterben.

Anfänglich hatte diese moralische Streckfolter die erwünschte Wirkung. Waldemars schlautrotziger Ausdruck bekam einen Zug ins Weinerliche, und in einer Art Zerknirschung, die seinem Herzen alle Ehre machte, versuchte er seine moralische Läuterung, indem er sich bemühte, dem Lehrer zu folgen.

Aber wenn man einem Vogel täglich eine Feder rupft, gewöhnt er sich schließlich auch an diese Prozedur. Kaum erkannte der kleine, spekulative Zukunftsdoktor das Attentat auf seine schwache, ungeschützte Stelle, als er diese mit einem wahrhaft ehernen Panzer gegen alle weiteren Angriffe versicherte.

Er hatte es am Ende gewagt zu sagen:

»So werde doch krank, wenn du Lust hast! Gelt ja, du willst selber nicht krank werden. Und es war damals viel schöner, da brauchte ich keinen Unterricht anzuhören. Von mir aus magst du wieder krank werden, ich kümmere mich nicht darum. Und ich werde jetzt Herrn Herdlicka sagen, daß du im Fieber . . . . . .«

Es hätte nur ein weniges gefehlt, und Ohren, Haare, Backen, Rippen und noch einige heikle Teile wären das Opfer dieser versuchten Indiskretion geworden. Aber etwas, 384 worüber sich Fräulein Sidonie keine Rechenschaft zu geben vermochte, hielt sie zurück, in ihre alte Leidenschaftlichkeit zu verfallen. Dann errötete sie über das ganze feine, weiße Gesicht, daß man es fast kaum von der leuchtenden Haarkrone unterschieden hätte und plötzlich brach sie in Tränen aus und verließ das Zimmer.

Hätte Papa in diesem Augenblicke doch sein Goldkind geschehen! –

Möge auch noch ein anderer Umstand Erwähnung finden, der unsere arme, von allen äußeren Einflüssen beherrschte Menschheit ins wahre Licht stellt. Er behandelt die Gelübde an Krankenlagern, die Ausbrüche der Reue und Verzweiflung an Sterbebetten. Ach, sie sind alle durchwegs inhaltlos! Die Erdenschwere besiegt all diese luftigen, leichten, in ihrer Erhabenheit doppelt beschwingten Gedanken. Auch der Aar und die Lerche müssen zurück auf den braunen, kahlen, schmutzigen Grund und ihre Nester haften nicht in der himmlischen Bläue. Statt aller Begründung dieser Ansicht drei Fragen:

  1. Warum sitzt nach wie vor Herr Tänzinger in seinem übelriechenden Laden und zählt Kupferstücke?
  2. Warum hatte Sidonie schon wieder das Bedürfnis, nach den Ohren ihres Bruders zu langen?
  3. Warum ward Ludwig die Gegenwart seines rothaarigen Unterrichtskibitzes schon aufs neue zuwider?

Endlich war Ludwig mit seiner Eröffnung herausgekommen und fand Milly erregter, als dieses sonst der Fall bei ihr war. Mit zusammengezogenen Brauen, ungeduldigen Bewegungen schritt sie in ihrem Salon auf und ab.

»Seg'n S', das hat m'r davon,« brach sie endlich 385 los, »wann m'r a guater Batsch is. I hab' ja g'wußt, wia das Ganze kummen wird, wann er waß, daß mir uns kennen. Desweg'n hab' i Ihner versprechen lassen, daß S' von mir nix erwähnen. Der unglückselige Mensch! Kann er denn net aufhör'n, auf so a Dummheit z' denken? Die ganze G'schicht' hat ja so gar kan' Sinn.« Sie blieb plötzlich vor Ludwig stehen. »Wann Sie zwa schon über mi g'red't hab'n, werd'n S' do wissem daß i nix hab', was mir g'hört, verstengan S', gar nix. Sie wissen jetzt, wia S' mit mir dran san.«

Ludwig schwieg, was mehr sagte, als nur Worte vermocht hätten.

»I waß g'nua, und wann S' ka so a Kinderl g'west war'n, hätten S' müassen schon früher draufkummen. I war a arm's Madl und meine Leut' war'n a armes G'lumpert vom zehnten Bezirk. Was verdient is word'n, is ah bis am Kreuzer draufgangen, denn bei uns is immer fidel zuagangen. Recht ham s' g'habt, meine Eltern, ham wenigstens a paar Jahrln was genossen. Also, daß i auf mi zurückkumm'. I bin in a Fabrik kummen, hab' brav und ehrli g'lebt. Hab'n S' aber a Idee, was das haßt, a saubers Madl unter so neidige, bissige, ordinäre Fraunzimmer z'sitzen? I hab' immer was auf a guat's Leb'n g'halten, auf schöne Klader, mein Gott! i bin net die anzige, die so was gern hat. Jetzt stell'n S' Ihner vur, i heirat' an Arbeiter, der an Verdienst von heut auf morg'n hat. I kenn' das Leb'n, in a paar Jahrln is 's schönste Frauenzimmer a alt's Weib. Kinder an Schüppel, a vazierender Mann, der sein' Zorn do an wem auslassen will – an sein' Weib, das jetzt allani arbeiten muaß, um alle zu derhalten.

Im besten Fall gang's m'r wia d'r Ambros, no, und daß mein Mann nach zwa Jahr'n stirbt, möcht' i do ah net. 386 Glaub'n S', die is besser wia i? Um ka Haarl, nur ärmer is s' und muaß von Bettgeher leb'n, mit die sie's alle halten tuat. A so is die Sach', i waß, was i tua, und wann d' Leut' schlecht über mi denken, kann's mir recht sein. War's Ihner liaber, Sie secherten mi als a herabkummenes Ausreibweib, die von ihr'm b'soffenen Mann alle Jahr a Kind kriagt? Wann an unser Herrgott sauber erschaffen hat, muaß m'r ah drauf schau'n, daß m'rs bleibt. Rennen eh gnua schiache Leut' auf der Welt umeranand.«

Ludwig bewunderte diesen Freimut, diese Offenheit, die keine Spur von Zynismus an sich trugen, nein, die wie eine Anerkennung des Dienstes der Schönheit klangen. O, Milly hatte so recht! Es wäre ein Frevel gewesen, diese entzückende Schönheit ihres Leibes zu zerstören.

Wiegt die sogenannte Sittlichkeit den Verfall der Ästhetik auf? Sie wäre in der Ehe genötigt gewesen, Kinder zu gebären, was sie jetzt vermeiden konnte. Ich frage einen der Schwärmer für Moral und Ehetugend: hat er nicht schon oft die Anwandlung gehabt, in berechtigter Entrüstung so ein herabgekommenes, verlumptes, halbverhungertes, häßliches und frühgealtertes Weib von seinem Bettelplatz zu verjagen, an dem es sich mit einem halb Dutzend Kinder postiert, während dieser scheußliche Leib von einem neuen Leben Kunde gibt?

»Ich hätte nie gewagt,« sagte Ludwig, »Ihre Offenheit herauszufordern. Da Sie mir diese indessen so freiwillig entgegengebracht, will ich auch nicht mit meiner Meinung zurückhalten. Mich schmerzt dieses Verhältnis in mehr als einer Art. Einmal um Ihretwillen, da ich Sie so liebgewonnen um Ihrer schönem natürlichen Eigenschaften willen, dann Antons wegen, dessen Kummer ich teile, und drittens wegen Herrn Tänzinger, dem ich die Achtung fast 387 eines Sohnes entgegengebracht, und für den ich bei seinem Alter dieses Verhältnis unschicklich finde. Um so mehr, als er Vater einer schon fast erwachsenen Tochter ist.«

»Da hat m'r's,« rief Milly unwillig, »die g'scheitesten Leut' woll'n oft Sachen net begreifen, die ganz anfach san. I wir Ihner jetzt frag'n: was war's, wann i mit'n Tänzinger verheirat' wär'?«

»O, das wäre doch ganz was anderes!«

»Glaub'n S'? Wär' er da weniger alt und schiach als heut? Und i weniger jung und sauber? Und glaub'n S', daß es si weg'n dem jungen Madl, das beinah' mein' Schwester sein kunnt, mehr schicken tät' als jetzt, wo's mi gar net kennt? Wissen S', daß i als a verheirat'ter mehr a Ausg'haltene, a Sklavin wär' als jetzt? Heute bin i frei. Wann's mir net paßt, geh' i weg, und wann's eahm net paßt, schickt er mi weg. Ohne Streit, ohne Unfrieden, seine Kinder wissen von nix, und in sein' Haus bleibt alles rein. Denken S', i wär' die junge Mama von der Sidonie. Glaub'n S', a so a Madl denkt net über Verschiedenes nach? Manen S', der Respekt vor ihr'n alten Papa wär' größer als heut, wo s' nix anders in eahm siecht als 'n Vater, und kan alten Esel, der a jung's Weib hat? Die Dienstboten wispeln ihr schon manches zua, was si net g'hört. Seg'n S', so fass' i die G'schicht' auf.«

Ludwig konnte nicht leugnen, daß sehr viel in dieser Auffassung lag. Dennoch wollte er noch einmal versuchen, Milly für Antons Hoffnungen günstig zu stimmen.

»Sie haben mit einem Scharfsinn, der Ihnen Ehre macht, Ihre Verhältnisse verteidigt. Aber dennoch möchte ich Ihnen noch einmal dringend nahelegen, entziehen Sie sich ihnen sobald als möglich. Es gibt etwas Klareres als alle scharfsinnige Rabulistik, das ist das Gebot der Moral. Dieses 388 verbietet den Verkehr zweier so ungleichartiger und ungleicher Wesen. Ich bin mir bewußt, an Herrn Tänzinger eine Art Verrat zu üben, denn mir am allerwenigsten steht es zu, seine Taten zu kritisieren. Er bezahlt nicht nur, er behandelt mich gut, und da ich weiß, was ein armer Hauslehrer in anderen Familien gilt, so kann meine Dankbarkeit für seine Güte nicht groß genug sein. Liebte ich Sie minder (ich kann dies mit gutem Gewissen versichern) und wäre mir Anton weniger teuer, ich würde mich wohl hüten in Verhältnisse dreinzusprechen, die mich nichts angehn.

Sie würden an Antons Seite ein zwar einfaches, aber keineswegs notdürftiges, dafür aber reines, geachtetes Leben führen. Die treue Hausfrau und Mutter ist kein lächerlicher Begriff. Folgen Sie Ihrem sonst so klugen Sinn und guten Herzen und Sie werden es nicht bereuen!«

»Na, na, na, und no tausendmal na!« rief Milly aus. »I wir Ihner was sag'n, i kann net. Es wär' m'r grad so, wia wann a leiblicher Bruader das von mir verlangert. Wann's ihm schlecht geht und er braucht was, und er sagt, Milly, verkauf, was d' kannst, i brauch's notwendig, da,« und sie riß ihre kostbare Uhr aus dem Busen, streifte die Armbänder ab und legte sie auf den Tisch, »da, Toni, hast, wann's mehr sein muaß, no mehr, was i hab'. I hilf d'r um jeden Preis. Aber das net, das ane net, um kan' Preis der Welt!«

Sie hatte mit außergewöhnlicher Erregung gesprochen, so daß das Mädchen, im Glauben, es würde gerufen, den Kopf zur Türe hereinsteckte.

»Aber nix is, dumme Urschl,« sagte Milly unwillig, »wann i was brauch', länt' i und strapezier' mi net mit'n Schrei'n.« Das Mädchen verschwand.

Ludwig saß sinnend da.

389 »Es sind schlechte Aussichten für den armen Anton. Wenn die Dinge so stehn, kann ich nichts weiter tun. Ich habe meine Pflicht erfüllt.«

»Und wia ah no! Wenn S' schon für an andern so reden können, wia dann erst für Ihner, das haßt, bis S' die Courage ham.«

»Eben deshalb. Ich glaube, ich wäre für mich ein schlechter Liebeswerber«, mußte Ludwig bekennen.

»Und in der Hitz, ham S' Ihner do verraten? Soll i no dran denken oder soll i's vergessen?« sagte Milly mit lieblicher Schalkhaftigkeit.

»O! Ich mich verraten?« rief Ludwig verwirrt und errötend aus.

»Batscherl!« flüsterte ihm das schöne Mädchen zu, »glaub'n S', i bin blind? Sie san no zu unschuldig, als daß S' Ihner verstell'n kunnten. Was S' heut für'n Toni g'red't ham, war um so braver und darum – darum sag' i dir, i hab' di gern, di ganz allani, verstehst? Du bist der erste Mann, den i gern g'habt hab'.«

Und ehe Ludwig das Wunderbare, Unerwartete fassen konnte, fühlte er sich von den lindesten Armen umschlungen, fühlte die süßesten Lippen auf den seinen brennen und mit geschlossenen Augen, wie ein junges Mädchen, ließ er sich Liebkosungen gefallen, deren Seligkeit er nie geahnt.

War es noch die bezahlte Maitresse Herrn Tänzingers, die er in seinen Armen hielt? War es dasselbe Weib, welches dem Freunde zu erwerben er versprochen?

Hält denn gar keine von allen Tugenden, die man als die höchsten preist: Freundschaft, Treue, Dankbarkeit vor einem schönen Weibe stand? –


390 »Verrat!« war Ludwigs erste Empfindung, »Verrat!« sagte er dumpf vor sich hin.

Was hatte er getan? Was – was hatte ihn verleitet, an den gütigsten Freunden Verrat zu üben? Wie sollte er vor Anton hintreten, wie vor den, dessen zwar unreiner, aber rechtmäßiger Besitz dieses Weib war? Mit welchem Vertrauen von beiden ausgestattet – und dennoch . . .

Milly bemühte sich in ihrer klaren, scharfsinnigen Weise die moralischen Bedenken des Geliebten zu zerstreuen. Wenn jemand verräterisch gehandelt (so man dieses Wort anwenden durfte) war sie es gewesen. Er nicht.

Mit immer neuen Küssen erstickte sie die letzten Regungen seines Gewissens.

Die Bibel sagt, daß Adam und Eva sich nach dem Sündenfall ihrer Nacktheit bewußt wurden. Und Ludwig ward sich der Nacktheit seiner Seele bewußt. Von diesem Momente an befürchtete er, das Dienstmädchen könne eine Spionin Herrn Tänzingers sein. Bis nun war er oft so lange mit seiner Schülerin in der Dämmerung gesessen, daß diese ganz gehörige Finsternis ward, ehe das Mädchen den Auftrag erhielt, mit dem Lichte zu erscheinen.

Und heute? Es standen dem armen Lehrer fürchterliche Beängstigungen seitens Herrn Tänzingers vor Augen. Ach ja! Je mehr ein Mensch zu verlieren hat, desto feiger und schuftiger wird er in seinen Übertretungen.

Anton, der einfache, ehrgeizlose, unstrebsame Arbeiter, würde nichts gefürchtet haben. Und wenn sein Chef der Nebenbuhler gewesen, er hätte ihn bei gelegener Zeit ein paarmal niedergeworfen und seine Siegesbeute ruhig mitgenommen.

Milly redete Ludwig seine Besorgnisse wegen des Mädchens aus, dasselbe sei ihr treu, verschwiegen und sei 391 nicht von Herrn Tänzinger beigestellt worden, denn eine solche Bevormundung ihres Geschmackes hätte sie sich nie gefallen lassen.

»I gib ihr heut an Ausgang und schenk' ihr an Huat, auf den s' schon lang spitzt.« Mit dieser tröstlichen Versicherung verscheuchte Milly die Bedenken bezüglich ihres alten Galans.

»Aber Anton!« seufzte Ludwig, »was soll ich ihm sagen?«

»Sei ka Narr! Du waßt, i hab' dir g'sagt, es is unmögli zwischen nus zwa. Du hast eahm kan Schaden tan. Was kannst du dafür, daß i net mag. Ob a so oder so – i hätt' nia mög'n. Aber wart', i sag' d'r was. Der Toni soll zu mir kummen, wia er verlangt. Brauchst eahm nix weiter z' sag'n als das. Du kannst do net wissen, was i mit eahm zum reden hab'. Wann er bei mir is, kann i eahm alles recht klar auseinandersetzen, und wann er siecht, daß all's umsunst is, wird er do g'scheiter werd'n. Jessas! Daß er jetzt a paarmal tiafer ins Weinglasel schaut als früher? – er wird's schon wieder aufgeb'n. Und an Mann schaden a paar urndliche Räusch' nix. Is g'scheiter, als er wurd' a so trüabsinnig. Mi derbarmt er ja, das is g'wiß, aber i kann eahm net helfen, mit'n besten Will'n net – und gar seit heute

»Ich sage ihm also einfach, er möge kommen«, ergriff Ludwig begierig dieses Auskunftsmittel.

»Natürli, und i werd' schon mit eahm fertig werd'n. Er is ja so a guater Batsch und wird si mit der Zeit z'frieden geb'n. Lass' nur alles mir über, i waß, wia i'hn zum behandeln hab'. Wann er siecht, wia i eing'richt' bin, was i für a Leb'n g'wohnt bin, gibt er nach. Er hat an großen Stolz, muaßt wissen; denk' d'r, damals hat er net 392 wolln mit mir im Wagen fahr'n, weil er von »mein' Grafen« is, wia der narrische Volkssänger und sein' Freund g'mant hat.«

Zu langem Kusse warf sie sich noch in seine Arme, ehe er sie verließ.

Ludwig begnügte sich auf dem Heimwege in eine Trafik einzutreten und einen Brief zu schreiben, der in kurzen Worten die Mitteilung enthielt, Milly erwarte Anton an einem bestimmten Abende! Als er das Schreiben in den Postkasten warf, fiel ihm der Uriasbrief Davids ein, und es war ihm, als zöge etwas seine Hand zurück, den trügerischen, papierenen Boten nicht seinem weiteren Laufe anzuvertrauen.

Ach, es war ein letzter Rest von Scham und Reue! Vor seinen Augen erstanden künftige, herrliche Stunden voll sehnsüchtigem Begehren und glühendem Gewähren. Und diese Aussicht erstickte alle Gefühle, die ihn vor kurzem noch gequält. Er fühlte sich schuldlos und sein Mitleiden mit Anton begann sich in einen gerechten Unwillen über dessen unsinnige Starrköpfigkeit zu verwandeln. Man biegt doch kein Rohr so leicht als einen Sinn, der gebogen sein will. 393

 


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