Karl Adolph
Haus Nummer 37
Karl Adolph

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Vierzehntes Kapitel.

(Huxtls Benefiz nimmt eine heitere Fortsetzung. Anton macht einen tiefen Eindruck auf jemand, dessen Besitz ihm jedoch angefochten wird.)

Nach beendigter Vorstellung begab sich die Künstlergesellschaft mit ihren intimen Freunden und Gönnern in ein Extrazimmer, wo auf gedeckten Tischen ein festliches Mahl bereit stand.

Vorher hatte es noch viel Lärm, Geschimpfe, Aufregung, Auseinandersetzungen und Rufe nach der Polizei gegeben. Als nämlich gegen Ende der Produktion viele Gäste den Zahlkellner anriefen und ihre Geldbörse suchten, war diese verschwunden. Wären von dieser Tatsache nur zwei oder drei Leute betroffen worden, hätte man dem Verlust eine ganz natürliche Deutung gegeben.

Da aber diese Börsensucherei eine geradezu epidemische wurde, kam man endlich darauf, welchen Zweck die Provokation des betrunkenen Krakeelers gehabt. Er hatte den »G'stanken« nur verursacht, damit die ihm befreundeten Langfinger saubere und unbeachtete Arbeit verrichten konnten. Der Wirt, dem in Erinnerung solcher Vorgänge die Wendung der schon halb vergessenen Raufszene nichts Neues sagte, zuckte zu allen Rekriminationen die Achsel und erklärte, für solche Vorfälle keine Verantwortung übernehmen zu können. »'s haßt halt aufs Geld aufpassen, i kann do net vielleicht in Schad'n trag'n«, sagte er bedauernd.

Am gottesjämmerlichsten fluchte und tobte Herr Schwarz, dem nicht nur die Börse, sondern auch seine Uhr, ja selbst 243 die schwarz angerauchte Bernsteinspitze, sein höchster Stolz, den er vor dem Beginn der Feindseligkeiten auf den Tisch gelegt, gestohlen wurde. »Himmelherrgottssakrament!« fluchte er, »Diabsbande ölendige, mein Geldtaschl ham s' mr putzt, meiner Seel – Jessas! wo is denn meine Uhr? Und mein Mirfamspitz? Raubersbagasch verfluachte! D'Polizei muaß her; ka Mensch därf außi. Das hat mr davon, wann m'r in a so a Diabshütten, so a gottverfluachte, nur einerschmeckt, in so a verruafens Beisel. Der Wirt muaß m'r alls ersetzen, der is verantwurtli. Zahl'n soll er, daß er schwarz wird.«

»Gengan S, Sö Aff, Sö halberter, der Wirt wird Ihner was . . . . . Und wer is denn da a Diabsbagasche bei Ihna? Ha? Eppa manen S' dö ganzen Gäst'? Passen S' a bißl auf, ehnder als Ihner Pappen aufmachen, Surm, g'scherter!«

Der also sprach, war ein Mann, der in der nächsten Nachbarschaft Herrn Schwarz' seinen Platz gehabt, und da ihm nichts gestohlen wurde, besser gesagt nicht viel hätte gestohlen werden können, entrüstete er sich über die pauschalöse Art und Weise, wie der tobende Greisler das Lokal und seine Insassen beleidigte.

Der Wirt, der zufällig in der Nähe stand, entrüstete sich ebenfalls ungemein.

»Erlaub', daß i mi vurstell. I bin der Wirt von der Diabshütten, wann S' nix dageg'n ham. Sö ham wohl nix dageg'n, net? Oder vielleicht ja? Was sag'n S', ham S' Ihner putzt, Geldtaschl, Uhr und in Spitz? Hör'n S', Sö ham das reine Patent zum Ausg'raubtwerd'n. Wer waß, ob Sö a Uhr und a Geldtaschl g'habt ham. Schaun S' liaber no amal nach. Mein Gott, es gibt Leut', dö, 244 wann's zum Zahln kummt, davon tramen, sö hätten 's Geld in der andern Hosen daham oder ös war eahna g'stohln wurdn. Und wann, so is mein Lokäul no lang ka Diabshütten net, verstanden? I kann's net an jeden, der einikummt, am G'sicht ansegn, ob er a Taschelziacher is oder net. Hätten S' besser aufpaßt! Mir ziagt kaner a Uhr oder a Briaftaschen. Wia g'sagt, wann aner schreit, eahm hätten s' was g'stohl'n, so san glei a paar andre da, dö ah schrein. A so hätten s' eh net g'wußt, wia s' mit der Zech durchbrennen soll'n. Wann S' maner, daß Ihner der Kellner desweg'n so mir nix dir nix laufen laßt, täuschen S' Ihner groß. Dö Tanz kennen m'r, mein liaber Mann, aber dös ham m'r net.«

»So, i wir da ausg'sackelt wia a Postwag'n in Bakonerwald,« schrie der empörte Herr Schwarz, »und Sö ham no a Angst weg'n Ihner g'sch . . . . . . . Zech? I bin a G'schäftsmann vom Grund, verstengan S', und lass' mi von Ihna nöt beleidinga.«

Der Wirt, der ganz genau wußte, daß die Angaben des ausgeplünderten Gastes auf Wahrheit beruhten, hatte alle die ehrenrührigen Mutmaßungen nur vorgebracht aus Rache wegen der beleidigenden Ausdrücke, die Herr Schwarz gegen sein Lokal gebraucht. Er war zu sehr Menschenkenner, um in ihm nicht den protzigen Spießer vom Grund zu erkennen. Dennoch sagte er:

»Wer S' san, geht mi nix an. Von mir aus der Papst Pamsti. I sag' Ihner nur, wann m'r ka Geld net hat, soll m'r stad sein und net d'Pappen ausreißen. He, Schan,« rief er dem Zahlkellner zu, der eben vorbeikam, »passen S' auf den Herrn da auf! Der dazählt, daß er anmal bei d'r Firmung a Uhr z'schenken hat kriagt. Vielleicht leichen S' eahm was drauf.«

245 Damit entfernte sich der biedere Wirt und überließ die langwierigen und unerquicklichen Zahlungsverhandlungen dem herbeigerufenen Kellner. Da Herr Schwarz sich im letzten Momente seiner Bekanntschaft mit dem Benefizianten entsann und erklärte, derselbe sei ein Hausgenosse von ihm, ward derselbe gesucht. Mittlerweile erspähte der Greisler Anton, der, obwohl er dem hartherzigen, geizigen Manne nicht sonderlich gewogen war, dennoch dessen Nationale bestätigte und ihm zugleich seine Börse zur Verfügung stellte. Der Kellner erschöpfte sich jetzt in Entschuldigungen. Huxtl, der noch zum Überfluß dazu kam und sich das Malheur seines Hausgenossen, sowie die tadelnswerte Aufführung von Wirt und Kellner berichten ließ, »ramte« letzterem ordentlich »das Wilde obi«.

Der Ganymed war sehr zerknirscht und schob die ganze Schuld auf seinen Herrn.

Dieser nahte sich wieder der Gruppe.

»Na, was is?« sagte er zum Kellner, der ihn über den bedauernswürdigen Irrtum aufklärte. Der Wirt ließ sich umständlich das Nationale des verkannten Gastes wiederholen, meinte dann treuherzig und wohlwollend: »alsdann san m'r wieder guat,« und wollte Herrn Schwarz die Bruderhand reichen.

»I pfeif' Ihner drauf«, lehnte dieser die Aussöhnung ab. »Sö woll'n a G'schäftsmann sein und können Ihnersgleichen net von an Gauner unterscheiden? Dös Wirtshaus hat mi zum letztenmal g'segn.« Und er verließ grollend die ungastliche Stätte.

Als sich die erlesene Gesellschaft in dem Extrazimmer versammelte, bemerkten alle einen Kranz, der auf einem Seitentischchen lag.

»Jessas,« rief ein junges Mädchen mit kohlschwarzen, 246 feurigen Augen und einem zierlichen Stumpfnäschen, »wer hat denn da den Totenkranz herg'legt? Ham m'r denn a Leich?«

Tschickerl, dem der Kranz eben erst bei dessen Anblick wieder in Erinnerung kam, raufte sich fast den dünnen Flachs aus, der sein Haupt bedeckte.

»Bruada, da hört si alles auf«, jammerte er. »Dö ganze Freud' is ins Wasser g'fall'n. Den Kranz hätt'st soll'n aufs Brettl aufikriag'n, waßt d'r so als Huldigung. Meiner Seel, wann dös wer in Tschickerl g'sagt hätt', daß er dös vergißt . . . . .«

»No, so heb 'hn halt auf bis zu meiner Leich«, beruhigte Huxtl.

»Bruada, mach kane Tanz!« sagte Tschickerl gerührt. »Meiner Seel, das war d'r heut was g'wesen. I hab' wöll'n, wia's d' mit'n letzten Liad firti bist, mit den Kranz aufs Brettl aufikräuln und dir 'hn geb'n. Dann hätt' i a paar Wurt' g'redt . . . . . Jetzt is z'spat.«

»Aber gengan S',« sagte die junge, schwarzäugige Dame, »der Kranz g'hört ja für'n Zentraler, net für an Lebendigen. Sollt' nur no drauf stehn: Ruhe sanft!«

»Dös verstengen Sö net, Fräuln,« sagte Tschickerl gekränkt, »solchene Kränz' werd'n in Theater ah aufs Brettl g'schmissen, dös hab' i schon g'seg'n.«

Der kleine Streit fand ein baldiges Ende, als die Weingläser gefüllt wurden und der Klavierspieler am Pianino die ersten Takte anschlug. Bald war alles in der heitersten Stimmung. Nur ab und zu warf der um seinen schönsten Coup betrogene Tschickerl einen Blick auf das nun unnütze Zeichen einer beabsichtigten Huldigung. Dann murmelte er für sich: »Dös is guat, dös muaß i sag'n. I, der Tschickerl, vergiß auf so was. Da war nur der Wirbl schuld. Bruada, 247 den Hundling möcht' i jetzt in die Händ' ham. Dank schön, den gangts guat.« Fischer wußte gar nicht, welche Gefahr ihn bedrohte.

Als die Lustigkeit ihrem Höhepunkte zustrebte, fiel Huxtl, der unter den Ausgelassenen noch immer der Ausgelassenste war, plötzlich etwas schwer aufs Herz. Es war ihm die Ambros eingefallen.

»Du, Tonl, waßt, mir leucht' a ganzer Flambo auf.«

»Wiaso denn?«

»No, mit der Tini. Dö G'schicht' g'fallt m'r net.«

»Mmh!« machte Anton gleichmütig.

»Waßt, wann mar an Merks hat – – – – dö Begleitung von dein' guat'n Bruadern – verstehst?«

»Mir scheint, du eiferst?« lachte der andere. »Kennst do dö Ambros. Aber wannst am Ludwig denkst, bist am Holzweg. Der is für so Tanz net.«

»Glaubst?« frug Huxtl halb zweifelnd, halb beruhigt, »wann aber do?«

»Ja, mein Gott, willst s' am Schnürl führ'n? Ihr Mann bist ja net. Hab' i eppa dir was g'sagt? Tät m'r si nur blamieren. Wann i was dagegen hätt' weg'n dö zwa, war's m'r nur um eahm z'tun. Er is d'r no wia a jungs Madl und dö Ambros soll si um andre umschaun.«

»Mir scheint, dir liegt verflucht wenig an ihr.«

»Mir? – An ihr was lieg'n? Da war i a schöner Tepp. Hat sie si um ihr'n Mann g'schert? Sie hat tan was's woll'n hat. Wannst d'r vielleicht was einbild'st auf dö Liabschaft.«

»Ah woher!«

»No also. Do warst d'r Henkl.«

»Mir stieret's nur ans,« meinte nach einigem Sinnen Huxtl wehmütig, »daß i grad an mein Benefiz d'Hörndln 248 sollt' kriagn. Es is d'r z'blöd. Jetzt bin i vielleicht schon d'r Kren

Anton lachte. »Du hast dein Benefiz g'habt, vergunn's an andern ah.«

Huxtl, dessen Besorgnisse, Kümmernisse, Traurigkeit nie länger als höchstens fünf Minuten andauerten, lachte ebenfalls.

Die Unterhaltung im »Gemütlichen« ward bald eine wahrhaft tolle. Man spielte Klavier, sang, trieb Scherze mit den anwesenden Mädchen, die just nicht immer sehr zarter Natur waren, und ließ den Wein in Strömen durch die Gurgel rinnen.

Der Wirt überdachte schmunzelnd die Einnahmen des heutigen Abends und, da er diese nur auf Rechnung des feschen Huxtl setzen konnte, so war er bedacht, sich einigermaßen erkenntlich zu zeigen, um den Volksbarden für ein anderesmal warm zu halten. Abgesehen davon, daß dieser vollkommen zechfrei blieb, ein Umstand, der nicht Huxtl, sondern einem seiner Gönner zugute kam, drückte er ihm bei schicklicher Gelegenheit eine Zehnerbanknote in die Hand, die Huxtl mit dem unbekümmertsten Gleichmut in die Hosentasche schob, dann schlug er dem Wirt auf die Achsel und nannte ihn einen »fermen Kerl«.

Endlich war doch die Sperrstunde angebrochen und nun ging es in ein Kaffeehaus. Der Cafetier, der in einem benachbarten Bezirke sein Lokal hatte, war in wohlerwogenen Geschäftsabsichten Teilnehmer der fidelen Gesellschaft gewesen und hatte manchen Liter zum besten gegeben. Es war die beste, zinskräftigste Anlage seines Geldes. Die ungefähr dreißig Personen brachten es ihm in der heutigen 249 Nacht zehnfach ein, denn es waren Leute dabei, die einige Gulden nicht anzuschaun brauchten. Er setzte sich an die Tete des Zuges und nach einem halbstündigen Marsch, der die bösen Dünste des Weines ein wenig vertreiben half, hielt er als erster seinen Einzug in sein Lokal, gefolgt von so lustigen, zecheifrigen und zehrfähigen Gästen, als er nur wünschen konnte.

Es war ein Nachtcafé sogenannter besserer Sorte, in dem eine Damenkapelle konzertierte. Einige Geigerinnen, eine Klavier und eine Harmoniumspielerin. Bleiche, übernächtig aussehende Mädchen, die während des Abspielens längst eingedrillter Musikstücke von den Noten weg auf das Gewühl der Gäste sahen, entweder mit teilnahmslosen oder neidischen Blicken.

An verschiedenen Tischen, einzeln zerstreut, saßen die traurigen Priesterinnen der Lebenslust, für jeden nüchternen, halbwegs ästhetischen Beurteiler ein niederdrückender Anblick.

Es war nur verwunderlich, daß sonst sehr ehrenhafte, für das Ansehn ihrer Familie gewiß besorgte Leute nicht Abstand davon nahmen, ihre Schwestern, Bräute oder Frauen an diesen Ort mitzunehmen.

Aber eine offizielle Festlichkeit, wie ein Ball oder dergleichen, die für einen ausgiebigen »Drahrer« der Vorwand ist, gestattet soviele Überschreitungen der sonst streng gezogenen Grenzen, daß man nicht das mindeste Anstößige am Besuch selbst eines Nachtcafés findet. In solchem Falle heißt es: »Heilige san m'r jo eh nöt,« dann: »A Hetz muaß a jeder Mensch mitmachen« und: »Mir san ja eh dabei.«

Huxtl war zur Damenkapelle getreten, hatte zwei Gulden auf das Pianino geworfen und gerufen: »Spielt's, Madeln, 250 aber was ferms! So jung kummen m'r nimmer z'samm. Juchhe! Verkauft's mein G'wand, i fahr' in Himmel.«

Nun ging es los. »Bier – Schwarzen mit Rum – Kaffee – Schokolad – Kracherl – G'frurns«, so tönte es unaufhörlich.

Tschickerl war von geradezu bedenklicher Ausgelassenheit. Er schritt auf ein Mädchen der Damenkapelle los, nahm einen Fünfer aus der Brieftasche, gab dem Mädchen einen Kuß und pickte ihr die Banknote auf die vor Schweiß glänzende Stirn.

»Spielt's, Madeln, daß enk d' Klebeln abifalln« haranguierte er die Kapelle, die ihr möglichstes tat, um diese nobeln Gäste zufriedenzustellen, um so mehr, als auch andere ab und zu einen Gulden auf das Pianino warfen und überdies Bier und andere Getränke den Musikantinnen hintragen ließen. Wenn etwas geeignet ist, sonst ganz kluge Menschen um alle Vernunft zu bringen, so ist dies Musik im Verein mit einem Gelage.

Anton, der stets mäßig war und dessen Ernst in letzter Zeit fast zum Trübsinn geworden, schien sich heute übertäuben zu wollen. Er war einer derjenigen, gewöhnlich bedürfnislosen, sparsamen Arbeiter, die auf eine schöne Kleidung, hübsche Uhr und eine gespickte Brieftasche halten, welch letztere nur an Sonntagen eine Art Paraderolle spielt, und deren Besitzer aus dem Geleise der Sparsamkeit nicht zu bringen ist, möge er auch eine bedeutende Summe bei sich tragen. Aber heute schien es Anton nicht aufs Geld anzukommen. Er kaufte bei dem herumwandelnden Blumenmädchen Buketts für die weiblichen Mitglieder der Gesellschaft, schickte den Musikantinnen Bier und Kracherln und trank ein für seine sonstige Mäßigkeit schier bedenkliches Quantum an Bier und Schnäpsen.

Am ärgsten trieb es Huxtl, dem es darauf anzukommen 251 schien, seine nicht unbeträchtliche heutige Einnahme noch in dieser Nacht zu verjuxen. Es muß jedoch gleich betont werden, daß ihm dies nicht einfiel. Es gab ja einige für seine Kunst begeisterte »schware Wurzen« hier, denen er zum Schlusse ruhig die Begleichung seiner Zeche überließ. Ähnlich dachten die übrigen Mitglieder der Volkssängergesellschaft, denn sie kannten ihre Leute.

Wie im großen Bühnenleben, so gibt es auch für das Brettl begeisterte Verehrer, denen aber die schlichte Rolle als Publikum nicht genügt, sondern die ebenfalls einen Blick hinter die Kulissen tun wollen. Sie haben das Privileg, in der Garderobe erscheinen zu dürfen, sie lassen den weiblichen Mitgliedern bei offener Szene durch den Kellner ein Bukett überreichen und sind höchlichst beglückt, wenn ihnen coram publico ein Knix und ein dankbares Lächeln seitens der Schönen wird. In ihrem Auftrage schleppt der Kellnerjunge Bier und Wein in die Garderobe. Sie haben das Recht, den Liebling des Publikums laut zu duzen, und ihm, wenn er an ihrem Tisch vorbeikommt, ein »Trabukerl« anzubieten. Sie dürfen nach beendeter Vorstellung der jugendlichen Liedersängerin vor der Garderobe die falsche Pelzboa um den Hals schlingen, ab und zu wird ihnen auch ein Küßchen. Ob noch mehr, bleibe unentschieden.

Sie erfreuen sich, ungestört vom gewöhnlichen Publikum, einer intimen Geselligkeit im Kreise der Künstler. Sie fühlen, man betrachtet sie mit Neid, aber das ist eben der höchste und fast einzige Genuß. Manchmal geht ein ganzer Wochen- oder halber Monatslohn auf für die Ehre, der Hahn im Korbe bei den Künstlern zu sein. Was tut's? Welch reine Freude jedoch, vom Komiker während der Vorstellung mit ulkigen Fragen beehrt zu werden, auf die man laut antworten und durch gewisse Feinheiten seine Intimität mit dem Fragenden dokumentieren darf.

252 In den Beziehungen der zechenden Gesellschaft unter sich waren mannigfache Änderungen eingetreten. Man fühlte sich vollkommen frei und berechtigt zu tun, was einem beliebte.

Die Männer der Gesellschaft hatten bis jetzt die Dirnen vollständig ignoriert. Jedoch in dem Maße, als sich Köpfe und Sinne erhitzten, fingen einige, die kein Ritterdienst bei der Gesellschaft zurückhielt, mit den »Damen« zu fraternisieren an, setzten sich endlich an deren Tischchen und wurden sehr bald aus Bewirtern Begleiter. Niemand kümmerte sich viel um ihre Abwesenheit.

Anton war schon im Gasthause Gegenstand sichtlichster Teilnahme seitens des jungen Mädchens mit den schwarzen Augen gewesen. Dasselbe befand sich in Gesellschaft seines Bruders und Bräutigams, kümmerte sich jedoch um einen so wenig als um den andern. Sie hatte mit Anton ein Gespräch begonnen und seine Wortkargheit und ihre Redseligkeit glichen sich vortrefflich aus. Der hübsche Bursche, der trotz aller Lustigkeit und Freigebigkeit eine gewisse Schranke zog zwischen sich und den wüsten Zechbrüdern seiner Gesellschaft, hatte es der impulsiven Schönen angetan. Eine gewisse Schwermut seines Wesens bezauberte sie vollends und sie gestand sich, es würde bei einer Wahl zwischen ihm und dem Bräutigam keinerlei Zögern oder Verlegenheit sein. Wenn es nur möglich war, suchte sie an seine Seite zu gelangen, denn der eifersüchtige Geliebte, der meist von seinem zukünftigen Schwager mit Beschlag belegt wurde, begann allmählich unruhig zu werden und das Mädchen aufzufordern, an seiner Seite sitzen zu bleiben. Dabei feuchtete er seinen Groll mit gehörigen Schlucken an, die ihm, der an Größe mit Tschickerl in eine Reihe zu stellen war, unbedingt nicht gut taten. Seine Braut beobachtete mit steigender Befriedigung, daß ihn bald der Schlaf zu überwältigen drohte. Dann 253 hatte sie Ruhe vor ihm. Jetzt begann nach längerer Pause die Kapelle zu spielen. Ein Potpourri von Volks- und Wienerliedern, eine der gewöhnlichen Zusammenstoppelungen von Melodien, ohne irgendwelche logische und künstlerische Verbindung. Aber diese Art hat das Gute, den verschiedenen Geschmacksrichtungen der Zuhörer Rechnung zu tragen. Man sang mit, je nachdem das Lied mehr oder minder populär war. Im Verlaufe folgte »Verlassen, verlassen« von Koschat. Huxtl, der allein imstande war, die hohen Töne des Schlusses zu nehmen, sang so hübsch und innig, daß alles still wurde und aufhorchte und die Wiederholung begehrte.

Anton saß im Augenblicke ganz allein an seinem Tische und barg den Kopf in die Hände. Es schien, als ob er schliefe. Jedoch er schlief nicht, er horchte und brennend heiß liefen ihm die Tränen durch die Finger und benetzten den kalten Marmor der Tischplatte.

Er empfand eine Verlassenheit und Öde, in seinem Herzen schrie eine Stimme sehnsüchtig und ungestüm nach der einen, die er nicht erreichen und erringen konnte. Er wußte nicht, daß ein Paar feuriger Augen mit dem Ausdruck der liebevollsten Teilnahme auf ihm ruhte, und wohl mehr aus seiner Haltung erraten haben mochte, als diese erraten lassen sollte.

Als Anton den Kopf erhob, war außer einer verräterischen Röte der Lider nichts zu sehen, was darauf hätte schließen lassen, daß er geweint habe.

Bis spät in den Morgen dauerte die Zecherei derjenigen, welche, nicht vom Schlaf bezwungen, wie einige andere in einem Sessel lehnten. Es war überhaupt nur ein kleiner Rest allzeit Getreuer, der noch geblieben war. Unter ihnen der Bruder des schwarzäugigen Mädchens, der hübschen Poldi. Er war so in eine Kartenpartie vertieft, daß er weder seiner 254 Schwester noch seines Schwagers in spe gedachte. Das Mädchen saß in einer geborgenen Ecke mit Anton und schlummerte, den Kopf an seine Brust gelehnt, indessen dieser, den rechten Arm um ihre Schulter geschlungen, sinnend dasaß.

Der unansehnliche, kleine, weißhaarige, wimpernlose, hohlwangige Bräutigam, der dem »Schwager« zuliebe die Exzesse mitgemacht, lag in seiner ganzen Kleinheit und Unbedeutenheit auf dem nächsten Polsterbankl und schnarchte laut. Es war ein harmloser, schwacher Futteralmachergeselle, der seinem Körperchen etwas zu viel zugemutet hatte und nun besinnungslos der Stunde entgegenschlief, zu der ihn der »Schwager« wecken würde. Unterdes war seine Braut nicht knickerisch mit Küssen und Liebesbeteuerungen an ihr gefundenes Ideal gewesen. Ganz plötzlich hatte sie sich dem jungen, gleichmütigen, keineswegs entgegenkommenden Burschen an den Hals geworfen.

»Glaub'n S', daß i Ihner gern hab? – Machen S' ka so a traurigs G'sicht – a bißl lachen S' anmal – i – i – hab' Ihner so gern, so gern . . . .« und sie küßte ihn. In der geborgenen Ecke hing sie an seinem Halse und ihre Glut teilte sich dem jungen Manne mit, der dieser Leidenschaftlichkeit und Zärtlichkeit nicht zu widerstehn vermocht hatte. Jetzt hatte sie der Schlaf bezwungen und ihr bestes Kissen deuchte sie die Brust des Geliebten. Der Cafetier trat heran und mahnte die verschiedenen Gruppen, daß die Zeit der Lokalsperre gekommen sei.

Der Zahlmarkör trieb sich mit Bleistift und Rechnungsblock umher, einzelne Gasflammen wurden verlöscht, so daß es selbst den unermüdlichsten Nachtschwärmern bewußt wurde, es sei Ernst mit dem Aufbruche. Das schwarzhaarige Mädchen an Antons Seite fuhr mit einem verwirrten Blicke 255 empor. Es empfand, daß die Schönheit dieser Nacht wohl unwiederbringlich verrauscht sei. Mit einem leisen Händedruck weckte sie Anton, der, auch schon eingenickt, einige Mühe hatte, sich zur Besinnung seiner Lage zu bringen. Die größte Mühe kostete es, den kleinen Futteralmacher zu erwecken, der in der festen Meinung, seine Quartierfrau wecke ihn, unwillig murmelte, seinen Kaffee befahl und im übrigen konstatierte, es sei noch Zeit, in die Arbeit zu gehen. Erst als der »Schwager« daranging, durch ein ins Gesicht geschüttetes Glas Wasser die Lebensgeister des Trunkenen zu erwecken, blickte dieser mit leeren, verständnislosen Augen um sich, erhob sich und duldete es, daß man ihn in sein Winterröckchen pfropfte, ihm den Kragen bis über die Ohren empor und den Hut bis ins Genick herunterzog.

Mittlerweile hatte das Mädchen Anton gedrängt, ja ihre Adresse zu merken und ehestens eine Zusammenkunft zu veranstalten.

»Schaun S' den grauslichen Affen an,« meinte sie mit Beziehung auf ihren bejammernswürdigen Bräutigam, der am Arme des Bruders bedenklich schwankte, »mit so an Menschen sollt' i a Freud' hab'n. Grad weil er 'hn Bruadern sei Spezi is und vierzehn Guld'n d'Woch'n verdient, soll i eahm heirat'n. Aber i mag net, i will an Mann, ka so Krispindl, den der Wind davontragt. Pfui Teufel! was heutzutags für Mannsbilder gibt. Net anmal an Drahrer halten's aus.«

Huxtl, der von allen wohl das meiste getrunken, geplaudert, geschrien, gesungen, den Hof gemacht und den verfluchten Kerl ganz und voll gespielt hatte, deshalb aber noch immer der Frischeste und Unverwüstlichste schien, kam herbei.

»Tonl hast schon zahlt? Kumm, jetzt schaun m'r, wo 256 a Branntweiner offen halt, da trink' m'r a paar guate. Die Fräul'n«, wandte er sich galant und mit vielsagendem Blick an die schwarzäugige Schöne, »wird ah a paar Tröpferln Kaiserbirn vertrag'n, net?«

»Was fallt Ihner ein, Sie Murdslump, kriag'n S' denn gar net gnua?« zürnte diese lächelnd.

»Ah was! Der Herr Bräntigam muaß si erst a bißl nüacht trinken. Der Bruader halt' ah mit. Heut is anmal a Tag, den m'r feiern müaßn. Zum Ausschlafen hab'n S' ja nachmittag ah no Zeit. Und G'schäft is ja heut kans. Also tummel di, Tonl!«

Der zögerte.

»I für mein Teil hätt' heute grad gnua, du waßt, i bin für so Sachen net. 's war heute nur dir zuliab, jetzt möcht' i aber schon liaber ins Bett.«

»Geh, da legst di do nieder. Hörst net auf! Jetzt geht die Hetz erst an. Die Fräul'n geht do ah mit. Schamst di net?«

Ein zärtlicher Druck auf Antons Arm brachte den Zögernden endlich zur Einwilligung. Er erledigte mit dem Zahlmarkör die Begleichung der ziemlich großen Zeche und Arm in Arm mit dem Mädchen schloß er sich der schon auf ein winziges Häufchen zusammengeschmolzenen Gesellschaft an. Die kalte Wintermorgenluft schlug bei der Türe mit erfrischendem Hauch entgegen.

Um einen ambulanten Würstelverkäufer scharten sich vorerst alle. Man hatte großartigen Appetit. Die übernächtigten, überschwemmten Mägen verlangten dringend nach Eßbarem.

Nun fanden die Schnäpse wieder eine gute Unterlage. Der kleine Futteralmacher, der am Arme seines Schwagers bisher teilnahmslos dahergetorkelt, erinnerte sich plötzlich 257 seiner Geliebten. Mit einem jähen Ruck blieb er stehn, suchte sich verzweifelt aus dem Arm seines Führers auszuhenken, und schrie in einem fort.

»Wo is denn d'Poldi? Wo is dös Madl? Dö g'hört zu mir her. Wo is dös Madl? Hardex fix!«

»Mach kan Wirbl. Weiter hinten geht's mit an Herrn. Glaubst, sie is d'r g'stohln wurd'n?«

»Himmelfix-Laudon! Was hat die mit an andern z'gehn? Geh', zag mar's! A paar Fotzn kann's ham von mir, daß s' Stern siecht am helliachten Tag.«

»Tua dar nix an. Hätt' s' di soll'n mit dein' Klamsch daherzarr'n? G'spür i mein' Arm nimmer, wia's di eing'hackelt hast in mi und nachzarr'n laßt wie a Sack.«

Doch der eifersüchtige Liebhaber war nicht zu beruhigen. Er lief nach rückwärts und sah in einiger Entfernung, getrennt von allen, als letztes Paar seine Geliebte am Arme Antons daherkommen.

»Poldl!« kreischte er so energisch, als er vermochte, »Poldl, da gehst her! Was is das für a Manier, ha? Schau, daß i net unrecht versteh', sunst . . . . .«

Aber die Poldl nahm von ihrem Bräutigam so wenig Notiz, als wäre er gar nicht vorhanden gewesen. Sie ging an ihm ganz einfach vorbei. Der Futteralmacher, der perplex eine Weile stehen geblieben, eilte dem Paare nach und wandte sich an Anton:

»Sö, lassen S' das Madl stehn, ehnder als was passiert. Verstanden?«

Anton sah sich den kühnen Knirps an. »Was wolln S' von mir?« frug er ruhig.

»Das Madl lassen S' stehn! Dös g'hört mir. I leid's anmal net.«

»Reden S' mit mir?«

258 »Ja freili. Mit wem denn? Wann S' net augenblickli das Madl auslassen, werd'n S' seg'n, was derleb'n.«

Der Wortwechsel hatte die Vorangehenden veranlaßt stehen zu bleiben und die Streitenden, wenn von solchen in Zweizahl die Rede sein konnte, herankommen zu lassen. Auch der Schwager war herbeigeeilt.

»Was is? Was gibt's denn?« erkundigte er sich.

»Schau, daß d' den dummen Buam da auf d' Seiten ramst«, sagte Poldi zu ihrem Bruder. »A andersmal soll er dahambleib'n und si kalte Umschläg' aufs Hirn machen, wann er nix vertrag'n kann. Z'erst schlaft er vor lauter Rausch, dann möcht' er fremde, anständige Leut' beleidigen.«

»Geh', kumm her« sagte der Bruder gemütlich, faßte seinen Schwager in spe unter den Arm und zog ihn mit sich, »was machst denn für Tanz? Glaubst, der beißt dem Madl was o?«

Doch der kleine Wüterich, bei dem der Alkohol in der frischen Luft erst zu wirken begann, tobte wie ein Hampelmann mit dem freien Arm und beiden Füßen.

»Laß mi aus, daß i den in Mag'n eintritt. I reiß' eahm d' Haxen und Uhrwascheln aus. Was, hat s' g'sagt, bin i? Ar Bua? Laß mi aus, sag' i, daß i ihr a paar Tetschen einihau. So a Ruaß. Geh' i bitt di, mach' mi net rebellisch und lass' aus! Aner von uns zwa muaß hin werden. Der Kerl muaß a Leich sein.«

Man lachte herzlich über den bramarbasierenden Bräutigam, der jemanden zur »Leich« machen wollte. Mittlerweile war man bei einer Branntweinschenke angelangt und bald genug dabei, den Magen zu »wärmen«. Die Schnäpse flossen gleich Öl durch die Gurgel und übten auf den vorher so 259 mordgierigen Futteralmacher eine derart besänftigende Wirkung aus, daß er sich in aller Form die Freundschaft seines Nebenbuhlers erbat, ja er trieb das Gefühl für edle Versöhnlichkeit soweit, daß er zugunsten seines einzigen und besten Freundes zurücktreten zu wollen erklärte. – – – – – – – –

Endlich einigten sich doch alle zum Auseinandergehn, bis auf Tschickerl, der unaufhörlich betonte, es sei eine Schande, man finde keine Männer mehr, dem aber schließlich ein Glas stärksten Branntweins, das er sich vermaß zur Probe seiner Riesenkonstitution zu leeren, den Rest gab, so daß man um einen Einspänner schicken mußte, der ihn nach seiner Wohnung brachte.

Zum Abschied drückte Poldi Anton noch einmal die Hand und flüsterte: »Net vergessen!« Arme Poldi! Es kommt in gewissen Dingen nicht auf einen Vorsatz an. Zwei blauen strahlenden Augen können die deinen, so hübsch und feurig sie auch sind, keine Konkurrenz machen. 260

 


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