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Die Tokugawa-Zeit

Die Literatur der Tokugawa-Epoche, der Neuzeit Japans, ist in ihren charakteristischen wichtigsten Erzeugnissen bereits von den Fesseln der altjapanischen Überlieferung befreit. Entscheidend für ihren Charakter ist ihr neues Publikum: die Leser der Großstädte Kioto und Osaka. Gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts wird das alte Japan zentralisiert, die in dauernder Fehde das Land zerfleischenden Daimyos, Barone, einer straffen Zentralgewalt unterworfen. Die großen Namen dieser Umwälzung sind Hideyoshi, der populäre Einiger Japans, und sein Nachfolger Jeyasu, der eigentliche Diktator in Krieg und Frieden und Umgestalter der Verfassung. Die Herrschaft der Ashikaga wird ersetzt durch ein neues Hausmeiertum der Tokugawa, die nun, bis zur Revolution des Jahres 1868, den Shogunat in festen Händen halten. Japan genießt eine 250jährige innere Ruhe als festgefügter Feudalstaat. Der Hof, der nach Yedo (dem heutigen Tokio) verlegt wird, wirkt auf den Adel und das Land ähnlich wie einst Versailles und Paris auf Frankreich, Yedo selbst wird zur Millionenstadt. Schon in die Frühzeit des neuen Shogunats fallen die Anfänge des Bücherwesens und der Buchdruckkunst, Kunst und chinesisches Wissen werden generell gefördert. Der Konfuzianismus dringt, in seiner neuen ausgebildeteren Gestalt der Philosophie der Sung-Zeit, in alle Kanäle des Staates und der Gesellschaft, der Buddhismus wird gleichzeitig zurückgedrängt in eine Art Volksreligion. Keramik und Seidenbau ernähren neue Schichten, der ritterliche Geist wird durch die »Hundert Gesetze« lebendig erhalten. In den reich gewordenen Kaufmannsstädten Kioto und Osaka erwächst die Schicht der Chonin (Bourgeois), die bei bedeutender Ausbreitung des (von Bonzen begründeten) Volksschulunterrichtes zu einer der lesehungrigsten Öffentlichkeiten werden, die die Kulturgeschichte kennt. Aber auch zahllose historische, geographische, politische und religiöse, philologische und archäologische, juristische und medizinische Arbeiten erscheinen jetzt neben Kommentaren zu den alten, vor allem chinesischen Klassikern, neben gelehrter und populärer Lyrik, und einer, nur mit dem zeitgenössischen Frankreich vergleichbaren, teils romantischen teils realistischen Romanliteratur und einer ganz neuen Volksdramatik. Das klassische Vorbild bietet auch weiterhin die chinesische Literatur der Sung-Zeit. Der Fujiwara Seigwa und der Jurist Hayashi Razan begründen schon um 1600 als Schüler des großen Chu-hi die neue Sinologenschule der Kangakusha als eine bereits von Anfang an offizielle Staatsphilosophie. Unter mancherlei Denkern und Sekten, deren Geisteskämpfe später so heftig wurden, daß die Regierung zu Ende des Jahrhunderts, gleich der chinesischen, jede nicht orthodoxe Schreiberei verbot, gewannen den größten Einfluß der Arzt und Pädagoge Kaibara Ekken (1630-1714) als Verfasser zahlreicher ethischer Schriften, der eigentliche Präceptor Nipponiae, dem die von uns abgedruckte jedenfalls eminent chu-hi-istische »Große Lehre für Frauen« zugeschrieben wird, und der geistvolle Arai-Hakuseki, zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts allmächtiger Minister des Shoguns, ein Mann, der dreihundert gelehrte, größtenteils historische Bücher geschrieben haben soll (darunter auch einen dreibändigen »Bericht über die Westlanddinge«, unter anderem Gespräche mit dem römisch-katholischen Pater Sidotti). Hakusekis Schüler ist Muro Kyosu (Taubennest, wie er sich nach seinem frühern Landsitz nannte), der Verfasser der Miszellaneen, sokratischer Dialoge des alten Philosophen mit seinen Jüngern. So herrschend diese sinologische Richtung auch war, so konnte sie doch das Aufkommen der japanischen Gegenbewegung der Wagakusha nicht hindern, die, wie so oft in der Geschichte, als romantisch philologische und religiös gefärbte Bewegung begann und schließlich in eine politische Umwälzung (Wiedererstarkung des solange machtlosen Mikado) auslief. Diese Japonologenschule wird begründet von dem Philologen Kitamura Kigin (1618-1705) und dem Bonzen Kaichu, der unter anderem das »Manyoshu« durch Kommentare zugänglich machte. Recht mittelalterlich gesinnt wird die Schule dann in der nächsten Generation des Shintopriesters Kada no Adsuma Maro und des Shinto-Priesters Kamo Mabuchi (1697-1769). Dieser romantisch lebende Gelehrte wirkte wie durch Beispiel und Schriften auch durch das lebendige Wort als Schöpfer eines von chinesischem Sprach- und Denkgut gereinigten, erneuerten Altjapanisch. Sein bedeutendster Schüler, aus dem Gebiet des uralten (auch in unserem Buche vielgenannten) Heiligtumes von Ise stammend, Motoori Norinaga (1730-1801), ist der eigentliche Erklärer des »Kojiki« und bereits als ein Reformator des Shintoismus anzusehen, den er zu einer philosophischen Religion aus einem buddhistisch beeinflußten Polytheismus zu erwecken strebt. Die von seinem Jünger Hirata Atsutane (1776-1843) für orthodox anerkannten Riten und Traditionen bilden seit der Revolution von 1868 die offizielle Staatsreligion des Mikadoreiches. – Als Blütezeit dieser ganzen Epoche gilt aber die berühmte Genroku-Ära (um 1700), wo neben Ekken, Hakuseki, Kaichu usw. noch die Dichter Saikaku, Chikamatsu, Basho neben Malern wie Korin und Moronobu wirkten.

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Die »Große Schule der Frauen«

Diese »Große Schule«, im Sinne von Chuhis »Kleiner Lehre«, Siao-Lioh, dem Katechismus Ostasiens, verfaßt, erscheint als ein Kabinettstück chinesischer und überhaupt strenger Gebundenheit, die von dem Moralkodex der europäischen Frau des Mittelalters und der Reformation mehr verschieden ist als von dem Alt-Japans. Sie ist aber auch aufgebaut auf ein ganzes System ältester volksreligiöser Anschauungen und Einrichtungen, auf die leider im Einzelnen nicht eingegangen werden kann. Die Vollendung des Ahnen-(Geschlechter-)Kultes und des damit innerlich identischen Patriarchats im fernen Osten ist hier ganz augenfällig. Die moralische und kulturelle oder auch nur intellektuelle Beurteilung einer solchen Schrift darf daher nicht zu oberflächlich und ohne nähere Kenntnisse unternommen werden. Wir glauben, diese Vorbemerkung vor allem den Leserinnen schuldig zu sein.

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Die Kangakusha (Konfuzianer)

1. Ist eine junge Frau herangewachsen, so betritt sie das Haus eines Fremden, leistet Dienste dem Vater und der Mutter des Mannes. Weit mehr als ein Knabe muß sie daher die Lehren der eigenen Eltern aufnehmen. Lassen Vater und Mutter sie aus übergroßer Zärtlichkeit nach ihren eigenen Launen aufwachsen und kommt sie dann in das Haus ihres Gatten, wird sie den eigenen Willen haben und der Mann wird sehr unzufrieden sein. Auch ganz gerechte Vorwürfe des Schwiegervaters wird sie nicht ertragen, sie wird sich gegen ihn erzürnen, schlecht von ihm reden, die Beziehungen werden so selbst schlecht werden, schließlich wird man sie mit Schande davonjagen. Vater und Mutter der jungen Frau werden sich die schlechte Erziehung nicht eingestehen wollen und nur von dem Gatten und dem Schwiegervater Übles denken. Mit Unrecht natürlich. Solche Verhältnisse kommen immer von der schlechten Erziehung her.

2. Bei jeder Frau ist Adel des Herzens wichtiger als äußere Schönheit. Hat eine Frau kein gutes Herz, so ist ihr Herz immer unruhig. Die Augen zeigen Schrecken an. Sie gerät in Zorn gegen die Umgebung, sie gebraucht derbe Worte, schwatzt beständig. Sie muß immer das erste Wort haben. Sie macht den andern Vorwürfe, ist mißgünstig, eitel, medisant. Man verlacht sie überall, sie aber hält sich in allem für die erste. Das alles steht im Widerspruch zur Schule der Frauen. Jede Frau soll liebenswürdig sein und sonst nichts, dabei nur gehorsam, reinen Herzens, feinfühlig und gelassen. So ist's in Ordnung.

3. Ein Mädchen soll von Kindheit auf die Trennung der Geschlechter beachten. Niemals, auch keinen einzigen Augenblick soll man sie gewisse leichtfertige Scherze beobachten und anhören lassen. Nach dem Gesetz des Altertums durften Männer wie Frauen sich nicht auf derselben Matte niederlassen, ihre Kleider nicht miteinander in Ordnung bringen, nicht miteinander baden, nicht einmal ein Ding von Hand zu Hand reichen. Geht eine Frau im Dunkeln aus, soll sie eine Laterne mit sich tragen. Nicht nur gegen die Fremden, auch gegen den eigenen Gatten und gegen die Brüder soll sie Distanz wahren. Heutzutage läßt man im Volke diese Regel unbeachtet und benimmt sich danach. Man zieht seinen Namen in den Kot, man berechtigt seine Eltern und Kinder zu Vorwürfen und zerstört sein eigenes Leben: Ist das nicht jämmerlich? Ein Mädchen soll niemals einem Mann näher treten außer durch den Freiwerber und nach dem Wunsch der Eltern. So lehrt es der »Kleine Weg« (Chinas). Sogar mit Lebensgefahr soll sie ihr Herz gleich dem Metall, gleich dem Felsen verhärten und die Haltung bewahren.

4. Für eine Vermählte soll ihr Haus nur das Haus ihres Gatten sein. In China sagt man darum nicht, daß sie das Haus des Gatten »bezieht«, sondern dorthin zurückkehrt. Ist das Haus des Gatten gering und schlicht, soll sie es ihm nicht übelnehmen, sondern immer denken: »Diese Ärmlichkeit hat mir der Himmel wegen meiner frühern Sünden gegeben.« Einmal vermählt, soll sie das Haus nicht wieder verlassen, so will es der »Spiegel der Frauen«, so rät der Weise der Vorzeit (Konfutse). Verläßt sie diesen Pfad der rechten Frau und jagt man sie darum aus dem Hause, so verbringt sie ihr ganzes Leben in Schande. In dieser Richtung gibt es sieben üble Dinge der Frau, genannt die »Sieben Gründe der Scheidung«: »Soll einen Scheidebrief erhalten: das Weib, das den Eltern des Gatten nicht gehorcht, das Weib, das kinderlos bleibt (denn man nimmt eine Frau, um Kind und Kindeskinder von ihr zu erhalten. Immerhin, wenn die Frau nur ein gutes Herz hat, ein gutes Betragen, nicht eifersüchtig ist, soll man sie nicht zurückschicken. In diesem Fall braucht man nur ein Kind aus dem gleichen Geschlecht anzunehmen. Auch wenn man etwa ein Kind von einer Nebenfrau hat, muß man die Kinderlose nicht entlassen). Dann – so ein Weib unzüchtig ist, muß sie den Scheidebrief erhalten, – wenn ein Weib eifersüchtig ist – wenn sie eine böse Krankheit hat, wie den Aussatz. Auch wenn sie zuviel schwatzt.« Dann, wenn sie immer von allem hinredet ohne Rückhalt, werden die Beziehungen zwischen den Angehörigen bald schlecht werden und das Haus in Unordnung geraten. Endlich noch das Weib, das zum Diebstahl neigt. Diese beiden Gründe der Scheidung finden sich bei dem Weisen. Eine Frau, die einmal vermählt und entlassen wieder heiratet, auch wenn der Gatte reicher und vornehmer ist, entfernt sich von dem »Rechten Weg der Frauen«, und dies ist die größte Schande.

5. Solange die Frau im eigenen Haushalt lebt, schuldet sie kindliche Ehrfurcht dem eigenen Vater und der eigenen Mutter. Einmal jedoch in das Haus des Gatten gekommen, hat sie den Schwiegervater und die Schwiegermutter noch höher zu halten als die eigenen Eltern. Sie hat sie zu lieben, zu achten, ihr Herz muß sich für sie in Kindesliebe verzehren. Frauen, ehrt also nicht eure eigenen Eltern mehr, schätzt euren Schwiegervater nicht gering. Die Frau soll auch niemals versäumen, dieselben des Morgens und des Abends zum Gruß aufzusuchen. Sie soll niemals im Dienst dieser Eltern nachlässig sein. Erteilt ihr des Gatten Vater oder seine Mutter einen Auftrag, so soll sie ihn ausführen, niemals sich weigern. Sie soll in zehntausend Dingen diesen Vater und diese Mutter befragen und ihren Ratschlägen gehorsam sein. Sogar wenn Schwiegervater oder Schwiegermutter euch hassen oder Übles von euch reden, sollt ihr nicht zornig werden und ihnen nicht gram sein! Wenn ihr ihnen trotzdem weiter kindliche Ehrfurcht bezeigt, ihr ihnen aufrichtig dient, werden sich die Beziehungen auch zum Schlusse verbessern.

6. Das Weib erkennt keinen Gebieter (Lehnsherrn). Sie muß darum ihren Gatten als ihren Gebieter anerkennen, ihn verehren und ihm achtungsvoll dienen. Niemals darf sie ihn geringschätzen oder gar geringschätzig behandeln. Ganz allgemein besteht die Schule der Frauen im Gehorsam gegen den Mann. In Gegenwart des Gatten sollen ihre Züge und ihre Worte nur von Höflichkeit, Bescheidenheit und Sanftmut zeugen. Üble Launen, Ungehorsam, Hochmut, Trotz: alles das ist nicht in Ordnung. Das muß eine Frau vor allem im Auge behalten. Erteilt ihr der Gatte einen Auftrag, so soll sie davon nichts abhandeln. Bist du über etwas unklar, so frage den Gatten und gehorche ihm dann! Fragt der Gatte irgend etwas, so erwidere ihm korrekt! Jede leichtfertige Antwort begründet eine Unhöflichkeit. Gerät der Gatte in Zorn, so gehorche ihm mit Zittern, gerate nicht selbst in Zorn und widersetze dich nicht seinen Gefühlen (Willen)! Eine Frau muß den Himmel in ihrem Gatten sehen. Durch Entgegenarbeiten soll sie sich nicht dem Zorn des Himmels aussetzen.

7. Die Schwäger und Schwägerinnen sind die Brüder und Schwestern des Gatten: auch sie soll die Frau hochschätzen. Würde sie den Verwandten des Gatten verhaßt und redeten sie Übles von ihr, so würde sie auch dem Herzen der Schwiegereltern verhaßt werden, was nicht gut für sie selber wäre. Ist sie aber freundlich gegen die Verwandten, so führt dieses zum Herzen der Schwiegereltern. Auch der Gattin des älteren Bruders ihres Gatten soll sie liebenswürdig begegnen. Jedenfalls soll sie die beiden hochachten, nicht anders wie ihren eigenen älteren Bruder und ihre eigene ältere Schwester.

8. Niemals soll die Frau ihr Herz der Eifersucht hingeben. Neigt der Mann zu leichten Sitten, so soll sie ihn ermahnen, aber immer ohne eigene Aufregung oder Klage. Wird ihre Eifersucht zu groß, so werden ihr Gesicht und ihre Worte unangenehm und abstoßend. Ihr Gatte wird sich darum von ihr abwenden und sie verlassen. Ist der Mann ein Wüstling, vergeht er sich des öfteren, bleibe weiter liebenswürdig und ermahne ihn mit sanfter Stimme! Hört er trotzdem nicht auf die Ermahnung, wird er gar zornig, überlaß ihn einen Augenblick sich selber, weise ihn, wenn sein Herz erst beruhigt ist, dann von neuem zurecht! Niemals aber widersetzt euch ihm mit harten Mienen und schneidender Stimme.

9. Sei zurückhaltend in deiner Rede und schwatze nicht! Niemals rede von dem Nächsten Übles. Hörst du selbst von einem andren Übles reden, so verbirg es in deinem Herzen, schwatz es aber nicht weiter! Verbreitet man erst üble Reden, so werden auch die Beziehungen der Angehörigen üble, des Hauses Frieden wird gestört.

10. Immer soll eine Frau auf ihrer Hut sein und um ihr Verhalten Sorge tragen. Des Morgens soll sie früh aufstehen, des Abends spät zu Bett gehen. Über Tag soll sie nicht schläfrig sein. Ihr Herz gehöre den Dingen des Hauses. Sie soll nicht ermüden zu stricken, zu nähen und zu flicken. Sie soll nicht viel Tee trinken noch Reiswein. Frivolitäten, wie Komödie, Volkslieder, Dramen soll sie nicht anhören. Wo viel Leute beisammen sind, dort soll sie nicht oft hingehen, wie zum Beispiel zu dem Tempel des Shinto und in die Tempel des Buddha. Dies solang sie nicht mindestens 40 Jahre alt ist.

11. Laß dich nicht verführen zu den Wahrsagerinnen, Zauberinnen und anderen! Lästre nicht die Götter und nicht die Boddhisattvas! Bete nicht ohne äußere Ehrfurcht! Erfüllst du getreulich deine irdische Pflicht, so werden auch die Götter und die Boddhisattvas dich beschützen und auch ohne Gebet.

12. Bist du die Gattin eines Mannes geworden, so behüte sein Haus getreulich. Ist die Haltung einer Frau schlecht und leichtfertig, so zerschlägt sie den Haushalt. In allen Dingen sei sparsam und mache keine unnützen Ausgaben! Deine Kleidung, dein Getränk und deine Speise sei nach deinen Vorzügen! Niemals aber sollst du dich dem Luxus hingeben.

13. Zum Schmucke ihres Leibes soll sie die Farbe und Zeichnung der Gewänder, nichts auffällig wählen. Es genügt, an Leib und Gewändern rein und geziemend zu erscheinen. Auffällige Kleider, um fremde Blicke auf sich zu ziehen, ist eine Sünde. Lege nur das an, was deiner Bescheidenheit entspricht!

14. Eine junge Frau soll sich nicht in zu familiärer Weise ihren Verwandten, Freunden, Dienern ihres Mannes und überhaupt nicht jüngern Männern nähern. Die Trennung zwischen Männern und Frauen soll sie immer tadellos beachten. In keinem Falle darf sie an einen jungen Mann einen Brief richten.

15. Bevorzuge nicht deine Eltern gegenüber den Eltern deines Gatten! Zum neuen Jahre, an den großen Festen und so weiter erweise erst dem Gatten Ehrendienste und erst danach deinen Eltern! Ohne die Erlaubnis deines Gatten suche niemand auf und verlasse das Haus nicht! Mache ohne sein Wissen keine Geschenke!

16. Die Frau setzt das eigene Geschlecht nicht fort, sondern das Geschlecht ihrer Schwiegereltern. Sie soll also diese höher noch als ihre leiblichen Eltern stellen und ihnen alle Kindespflichten erfüllen. Nach ihrer Vermählung soll sie das eigene Elternhaus nicht zu häufig betreten. Gar erst an dritte Personen soll sie womöglich immer nur einen Boten schicken, anstatt selbst zu erscheinen. Ist ihr väterliches Haus reich, so soll ihr das nicht zu Kopfe steigen und sie sich dessen nicht rühmen.

17. Selbst wenn du ein zahlreiches Gesinde hast, befasse dich selbst mit allem im Hause! So will es das Gesetz der Frauen. Die Kleider der Schwiegereltern soll sie nähen, das Essen herrichten, die Kleider des Gatten in die gehörigen Falten legen, die Matten fegen, die Kinder aufziehen, was schmutzig ist waschen. Halte dich also viel ans Haus und verlasse es möglichst wenig!

18. Mädchen in deinem Dienst verwende mit Vorsicht! Es sind leichtfertige Geschöpfe von schlechter Erziehung, unintelligent, von niederer Gesinnung, sie reden viel Derbes, sie bekümmern sich um alle Angelegenheiten des Mannes, der Schwiegereltern, der Schwäger und anderer Leute, um alles, was diese angehen kann und dir etwa nicht behagt, und sie reden davon übel in deinen Ohren, womit sie dir einen Dienst erweisen wollen. Hört eine Frau ohne Überlegung darauf, so gibt es Ärger im Haus. Da die Familie deines Gatten dir von Ursprung fremd ist, so wirst du dich leicht erregen, ungehorsam werden, die dir entgegengebrachte Liebe vergessen. Glaube also weniger den Worten deiner Mädchen und halte dich mehr an die zärtlichen Schwiegereltern und Verwandten! Schwatzt eine Dienstperson zuviel, ist sie schlecht, so entlasse sie auf der Stelle! Denn diese Leute sind die Ursache häuslicher Zwistigkeiten und Verwirrung: eine wirklich böse Sache. Auch wirst du, wenn du solche niedere Personen verwendest, noch andere Unannehmlichkeit erfahren. Und wenn du sie immer wieder ausschiltst, ihnen ihre Fehler vorhältst, wirst du nie zur Ruhe gelangen, immer in Aufregung sein, ebenso wie dein Haus. Findest du also an ihnen etwas Schlechtes, so weise sie ein oder das andere Mal zurecht, mache sie auf Fehler aufmerksam, die kleinen Vergehen jedoch übersieh gänzlich! Im Herzen magst du Mitleid mit ihnen haben, nur nach außen kehre die strenge Miene hervor, damit sie nicht träge werden! Hast du Gelegenheit, ihnen etwas zuzuwenden, so zeige dich nicht geizig. Sei aber auch nicht zu freigebig gegen unnütze Leute, bloß darum, weil du an ihnen Gefallen findest!

19. Die Übel, die von einem schlechten Herzen der Frauen kommen, sind die folgenden: unbescheidener Eigensinn, schneller Zorn, Klatschsucht, Eifersucht, geistige Kurzsichtigkeit, Beschränktheit. Diese fünf Übel weisen unter zehn Frauen sieben oder acht auf. Die Frau steht darum unter dem Manne, sei also behutsam und werde in diesem allem möglichst besser. Denn alle diese fünf Übel entstehen vor allem aus der Kurzsichtigkeit des Weibes. Das Weib ist ein Wesen von negativer Substanz, der Schatten des Lichts, diese Substanz ist nächtlich dunkel. Infolgedessen ist das Weib im Vergleich zum Manne beschränkt. Sie begreift nicht einmal das einfachste, was ihr unter den Augen liegt. Sie begreift nicht, was zu verurteilen ist. Sie begreift nicht, was dem Mann oder den Kindern Unglück bringen muß. Dagegen beklagt sie sich über ganz harmlose Leute, beschimpft sie, verflucht sie. Oder sie ist neidisch auf die anderen und will für sich selbst oben hinauf. Dabei aber wird sie allen verhaßt und peinlich und hat nur noch Feinde. Sie begreift dann noch immer nicht, ein wirklicher Jammer. Bei der Kindererziehung schwimmt sie in lauter Zärtlichkeiten und erzieht darum schlecht. Da sie also nun einfältig ist, soll sie in allem Bescheidenheit üben und dem Manne gehorchen. Nach altem Gesetz beließ man ein neugeborenes Mädchen drei Tage lang auf dem Estrich. Das geschah, weil der Mann gleich dem Himmel ist und die Frau gleich der Erde. Sie lasse also in allem dem Manne die Vorhand und befasse sich erst nach ihm damit. Ist unter deinen Handlungen und an dir etwas Gutes, so rühme dich dessen nicht! Hast du etwas übel getan und wird es getadelt, so bestreite es nicht, trachte statt dessen, deinen Fehler zu bessern und nicht zu wiederholen! Verspottet man dich, so mußt du deshalb nicht in Zorn geraten und trage vielmehr auch das in Furcht und Geduld! Wenn eine Frau also gesinnt ist, so werden die Beziehungen der Gatten immer besser werden. Sie werden lang leben und dauernd glücklich sein. In ihrem Hause wird Frieden sein.

20. Alles dies muß man die Frauen schon von Kindheit auf lehren. Schreibe dieses regelmäßig nieder. Gib es deiner Tochter zu lesen, daß sie es nicht vergesse. Die Männer von heute geben ihren Töchtern eine ungeheure Menge von Kleidung und Hausrat mit, dafür sollten sie sie lieber dieses Gesetz lehren, das wäre ein Schatz für das ganze weitere Leben der Tochter. Ein altes Wort besagt: ein Mann gibt gar leicht eine Million Kupferstücke für die Aussteuer seiner Tochter aus, er gibt nicht leicht hunderttausend für die Erziehung aus. So ist es. Und so mögen es die Väter von Töchtern in Erinnerung behalten.

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Arai Hakuseki (Aus dem »Buch der glühenden Scheite«)

Der Mann, der mein Vater war, verlor seine Mutter mit vier Jahren, seinen Vater mit neun Jahren. So wußte er nicht viel von seinen Eltern zu sagen. Diese hießen Kageyu, die Großmutter war Tochter eines gewissen Someya. Alle beide starben zu Shimotuma in Hitachi. Unser Name Arai stammt von den Minamoto von Kodsuke (dem Geschlecht der Hausmeier aus dem 10. Jhdt.). Der genannte Someya war aus dem Haus der Fujiwara von Sagami. Warum sie nach Hitachi verzogen, dieses hab' ich von irgend jemandem erfahren, doch weiß ich nicht, ob von dem Vater selbst. Der Vater erzählte: »Mein Vater büßte sein Leben ein und hielt sich in diesem Landstrich verborgen. Er hatte große Augen, einen starken Bart, sein Gesicht war von schrecklichem Ausdruck. Als er starb, hatte er noch kein weißes Haar. Zum Essen bediente er sich regelmäßig schwarzgelackter Stäbchen mit Schwertlilien darauf, nach dem Speisen legte er die Stäbchen beiseite. Meine alte Amme erzählte mir auf Befragen, daß der Vater in der Schlacht einmal einen hervorragenden Kopf abgeschnitten und in das Feldlager des Führers gebracht habe. Der Feldherr sagte: »Ihr seid müde, nehmt, esset hier!« und er gab ihm sein eigenes Essen zusammen mit den Stäbchen. Dies war damals eine außerordentliche Ehre, und er trennte sich von den Stäbchen nicht mehr. Diese Geschichte hörte ich noch als kleiner Knabe. Wann und wo diese Schlacht geliefert wurde, und wer der Feldherr war, ich weiß es nicht.

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Im Herbste meines achten Lebensjahres nach der Entfernung des Herrn Tobe (des Lehnsherrn) lehrte man mich die Schönschrift. Gegen Ende des Winters kam er zurück, und ich diente ihm wie zuvor. Im Herbste des folgenden Jahres, als er wieder in seine Provinz ging, teilte er meine Zeit ein und gebot mir, dabei alltäglich dreitausend Lettern und allabendlich noch eintausend dazu zu schreiben. Im Winter an den kurzen Tagen ging die Sonne unter, und ich hatte meine Aufgabe noch nicht vollendet. Dann trug ich mein Täfelchen auf die gegen Westen liegende Veranda und schrieb dort bis zu Ende. Abends, wenn ich die Schrift durchsah, konnte ich nicht mehr gegen meine Müdigkeit ankämpfen. Ich beschloß also, zwei Wassereimer auf der Veranda aufzustellen. Wurde ich zu sehr schläfrig, so zog ich mein Kleid aus und übergoß mich mit dem einen Eimer, danach kleidete ich mich wieder an und setzte meine Arbeit fort. Dank dem kalten Wasser blieb ich wieder einige Zeit frisch. Allmählich aber wurde ich wieder warm, und mich schläferte aufs neue. Dann verwandte ich den zweiten Eimer. Mit Hilfe dieser zwei Güsse konnte ich meine Pflichten fast immer erfüllen. Es war dies im Herbst und Winter meines neunten Lebensjahres. Mit der Zeit schrieb ich auch schon die Briefe meines Vaters an seiner Stelle in schicklichen Formen. Im Herbst meines elften Jahres gab man mir die Auszüge aus dem ›Teikinorai‹. Im elften Monat hieß man mich dies Werk innerhalb zehn Tagen sorgfältig abschreiben, dann band man es zu einem Buch und zeigte es dem Herrn Tobe. Dieser rühmte mich sehr. Von meinem vierzehnten Jahre an besorgte ich dann nahezu seinen ganzen Briefwechsel.

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Aus dem »Archiv nach Lehensbriefen«

(Wie Itakura Shigemune Recht sprach)

[Shigemune war Statthalter von Kioto im siebzehnten Jahrhundert]

Das Ansehen dieses Beamten und seinen Ruhm auf Erden kann man nicht leicht schildern. Ich beschränke mich daher auf das Entscheidende. Ich setze eine Tatsache hierher:

Seit seiner Ernennung suchte Shigemune täglich den Gerichtshof auf. Er verneigt sich zuvor in dem gegen den Sonnenuntergang gelegenen Gang, dann tritt er ein. Dort stellt er die Teemühle vor sich, läßt sich hinter eine Papierwand nieder und spricht und fällt seine Urteile, immer zugleich den Tee persönlich zerreibend. Man fand dies erstaunlich, doch man konnte ihn nicht gut danach befragen. Erst nach Jahren fragte ihn jemand nach dem Grunde und erhielt zur Antwort: »Warum ich gerade in dem Ostgang mein Gebet verrichte? Ich neige mich vor den Göttern Atagos (Berg bei Kioto und Verehrungsstätte des vor Brand schützenden Feuergottes). Unter den unzähligen Götterscharen sind die Götter von Atago besonders berühmt durch ihre göttliche Macht. Ich beuge mich vor ihnen und bitte sie um eines: Laßt Shigemunes Herz bei der Urteilsfällung gerecht sein! Wenn aber nicht in allem und jedem, so nehmet ihm zur Strafe das Leben. Dieses Gebet habe ich jeden Tag gesprochen. Ferner dacht ich: Wenn die Urteile eines Mannes nicht klar sind, so muß sein Herz von einer Leidenschaft bewegt sein. Tadellose Männer können vielleicht ihre Leidenschaft zurückdämmen, doch Shigemune ist nicht so. Ich stellte darum fest, ob mein Herz unruhig oder ruhig sei, dadurch, daß ich selber den Tee mahlte. Sooft mein Herz ruhig und selbstgewiß ist, ist es auch meine Hand, und die Mühle läuft gleichmäßig, der gemahlene Tee wird ganz fein. Ich weiß dann, daß auch mein Herz nicht zittert, und ich fälle mein Urteil. Warum ich hinter einem Papiervorhang verhöre? Weil man unter Menschengesichtern peinliche sowie angenehme findet, offene und verbissene, Gesichter von allerlei Art. Die Aussagen eines Menschen mit offenen Zügen machen auf uns Eindruck der Wahrheit; die eines böse aussehenden aber den der Lüge, so gerecht seine Sache auch sein mag. Einem sympathisch Aussehenden glaubt man seine Klage aufs Wort, während man einem widrig Aussehenden ohne weiteres unrecht gibt. Nämlich, noch ehe solche Leute gesprochen haben, war unser Herz schon von den Augen beeinflußt, und dann haben wir in unserem Herzen schon das Vorurteil gesprochen. Wenn wir dann die Sache verhandeln hören, so finden wir genügend Gründe, um sie uns entsprechend zurechtzulegen. Und doch gibt es vor dem Richter ganz abscheuliche Menschen von angenehmem Aussehen sowie angenehme unter jenen, deren Äußeres abscheulich ist; es gibt Lügner unter den Aufrichtigen, Aufrichtige unter den Quenglern, und was gibt es denn nicht alles!

Das Herz des Menschen ist nicht leicht zu erforschen, wir dürfen ihn niemals nach seinem Gesicht beurteilen. Ja, vormals urteilte man nach der Farbe (dem Aussehen) der Leute. Solche Urteile konnten nur von ganz Untrüglichen gefällt werden. Ein Mann wie Shigemune hat sich zu oft von dem Augenschein täuschen lassen. Davon abgesehen, fürchtet sich jeder Mensch vor dem Gerichtshof. Wie sehr erschrickt man erst vor dem Manne, der ein Recht über Leben und Tod hat. Da bringt man seine Sache nicht ordentlich vor, und man wird darum vielleicht wie für ein Verbrechen oder ein Vergehen bestraft. Besser also, daß Richter und Angeklagter sich gegenseitig nicht ins Gesicht sehen. Aus diesem Grunde habe ich die Scheidewand anbringen lassen.«

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Muro Kiuso
Der Greis und der Baum (Parabel)

Diese Parabel, innerhalb unserer Kultur schon in der Antike bekannt, mag als sprechendes Beispiel eines eigentlich chinesischen Geistes östlicher Weisheit hier stehen, und übrigens gleich der Geschichte des Shigemune auf Seite 309 mit ihrer geistreichen Form an die, noch zu wenig untersuchten, Einflüsse Sinojapans auf das Europa der Aufklärung erinnern. Ein gewisser gemeinsamer Zug der Zeit zeigt sich wie im Mittelalter so auch unter anderem im achtzehnten Jahrhundert in Asien wie in Europa.

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Zur Zeit der Kwanei (1624/1643) gelangte der Shogun eines Tages auf der Falkenjagd in die Gegend von Yanaka. Er jagte zu Fuße und blickte sich zur Rechten und zur Linken um, dabei geriet er in die Umfriedung des Tempels. Ein Bonze von etwa achtzig Jahren stand dort in dem Garten und pfropfte mit eigenen Händen ein Reis. Das Gefolge des Shogun war noch zurück, zwei oder drei Leute waren nur zu seiner Seite. Der Bonze erkannte also die vornehme Persönlichkeit nicht und schenkte ihr keine Beachtung. »Mönch, was tust du da?«, fragte der Shogun kurz. Der alte Mönch, etwas erstaunt über diese Art, erwiderte ebenso: »Ich pfropfe.« Der Shogun bemerkte lächelnd: »In Eurem Alter pfropfen! Ihr wißt ja nicht, ob Ihr das Aufkommen des Baumes noch erleben werdet! Die Mühe lohnt sich wahrhaftig.« »Wer seid Ihr?«, erwiderte der alte Bonze, »daß Ihr zu mir so leichtfertige, oberflächliche Reden führt. Überleget etwas besser! Wenn ich heute diese Bäume pfropfe, so werden sie zur Zeit meiner Nachfolger schon hochgewachsen sein. Dann wird ein dichter Wald den Tempel beschatten. Was ich tue, das tue ich für den Tempel, nicht für mich.«

Der Shogun verwunderte sich über solche Treue und sagte: »Was Ihr sagt, das ist wörtlich wahr.« Indessen kamen die Männer des Gefolges einer nach dem andern mit den zahlreichen Geräten, geschmückt mit dem Wappen des Shoguns (drei Haselwurzblättern, dem bekannten Wappen der Tokugawa). Als der alte Mönch dies sah, flüchtete er erschreckt in das Innere des Tempels. Der Shogun aber rief ihn zurück und ließ ihm zahlreiche Geschenke überreichen.

Wie dieser alte Mönch, so handelt auch der Greis (gemeint ist der Verfasser, der immer in der dritten Person von sich spricht). Trotz seiner hohen Jahre und seiner Schwäche gedenkt er, solange er am Leben ist, seine klassischen Kenntnisse (in der chinesischen Philosophie) zu vertiefen, sie den Menschen zu übermitteln und zahlreiche Werke zu hinterlassen. Sind diese imstande, die wahre Weisheit zu vermitteln, vermögen sie auf irgendeine Art den Weg (des Buddha) zu erleichtern, so wird der Greis auch nach seinem Tode noch am Leben sein. Wie sagte doch jener alte Dichter: »Wenn auch der Leib in Staub zerfallen, sind doch die Knochen noch da.« Nicht mehr begehr' auch ich. Ich strenge mich nicht an, berühmt zu sein. Begreife du mein Herz und nutze es!

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Die Wagakusha (Nationalen) Kamo Mabuchi
(Vom Altjapanischen)

(Aus den »Betrachtungen über den Geist des Schrifttums«, Buniko)

Die Menschen der Vorzeit sangen, sooft sie etwas in ihrem Herzen trugen, mit lauter Stimme: das war die sogenannte Uta. Wenn sie irgend etwas Auffälliges mit ihren Augen ersahen oder mit ihren Ohren vernahmen, drückten sie, was sie dabei dachten, durch eine Reihe von Worten aus, den sogenannten Tatae-goto (Essay), welches man (in China) Fumi nannte. Derart kommt die Uta aus dem Innern, das Tatae-goto aus dem Äußeren. Durch diese beiden Werkzeuge gaben die Menschen ihre Gedanken in allen Lagen wieder. Die Herzen der Menschen wurden so beruhigt, der Götter Werke gepriesen, auch die Beziehungen von Kaiser und Untertanen geordnet; alles war aufs beste bestellt. In dieser alten Zeit waren aber schon die Worte des täglichen Umgangs reizvoll; darum auch die Uta und die in dieser Umgangssprache verfaßten Tatae-goto. Allmählich begann man nun für die Uta und Tatae-goto gewählte Worte zu nehmen, so entstanden die anmutigen Erzeugnisse unseres Schrifttums. In einem Gleichnis: man liebt die duftenden Bäume und Kräuter von entzückenden Farben, man liebt aber die schlecht singenden Vögel und Insekten (Zikaden) nicht. So ist das menschliche Herz. Man soll also, was man zu sagen hat, auf anziehende und angenehme Art sagen. Nicht anders hat unser erhabener Ahn, der Himmelsgott (mit Ehrfurcht sei es gesagt!), die Erhellung des ewigen Himmels angeordnet, als er den gewaltigen gütigen Befehl erteilte. Nicht anders auch die erhabenen Himmelssöhne (mit Ehrfurcht sei es berichtet!), die Tausende der Menschen mit ihren erlauchten glanzvollen Erlassen zu begnaden geruht. Die in unserem schönen Lande Geborenen mögen also unsere Sprache schätzen lernen.

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Motoori Norinaga

(Aus den kritischen Studien)

In China lebte ein gewisser Sonko, der die Bücher sehr liebte. Seine Familie war unbemittelt, darum konnte er kein Öl kaufen. Also las er nachts beim Schein der Schneefälle. In China gleichfalls liebte ein gewisser Shain das Lesen ebenso sehr. Auch er war arm, des Sommers studierte er beim Licht von Glühwürmchen, die er sammelte. Das sind zwei hochberühmte alte Geschichten, die jedermann kennt. Und gar manche haben diese Leistungen in Versen besungen.

Trotzdem sind diese beiden Geschichten nach seiner Meinung nur Märchen, wie sie die immer zur Ausrufung ihres Ruhmes geneigten Leute jenes Landes zugerichtet haben. Dieses sind meine Gründe. Hätte jemand kein Geld für Öl gehabt, so brauchte er nur zu dem Nachbar zu gehn und bei ihm zu lesen. (Solche gesellige Lektüre ist in Japan alter Brauch; man vergleiche die märchenschwätzenden »Spinnstuben« der Europäer, oder insbesondere die »Schule« der Juden und andern Orientalen.) Wenn er aber durchaus keine Lampe ausleihen konnte, so wäre das Mondlicht jedenfalls weit heller gewesen als das Licht von Schneeflächen oder von Leuchtkäfern. Überdies sind die Jahreszeiten, wo es Schnee und wo es Leuchtkäfer gibt, nur kurz. Lasen sie also in den ganzen Monaten, wo sie weder Schnee noch Leuchtkäfer hatten, überhaupt nichts? Ich muß da wirklich darüber lachen.

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Abfahrt nach Yoshino (dem in der ganzen klassischen Dichtung gefeierten Kirschblütenort)

Dieses Jahr, das neunte der Meiwa-Zeit, war für mich ein sehr gutes Jahr. Ich wollte die Kirschbäume aufsuchen, von denen »die Guten, gut zusehend, Gutes redeten«! (zitiert aus dem Manyoshu.) Schon seit etlichen zwanzig Jahren trug ich mich mit der Absicht dieser Bergfahrt. In einem jeden Frühling war ich immer wieder verhindert, und dieser Wunsch wurde alt in meinem Herzen. Ich schütterte mein Herz, beschloß, in diesem Jahr unter allen Umständen zu reisen. Die Reise ist nicht groß, und der Vorbereitungen sind nicht viele; und doch war mein Herz unruhig. Am Abend vor der Abreise schnitt ich frühzeitig Hanf (für Weihebänder, die »Nusa«) und ich tat sie in die (für sie bestimmte) Tasche. Auf die Tasche wurde das folgende Gedicht geschrieben:

Nehmet, ihr
Mit Blütenbrokat
Reich beschenkten Götter,
Doch gnädig die Frühlingsgabe,
Um die mein Herz sich abgemüht!

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(Das Gedicht ist eine Variation des auf Seite 108 abgedruckten klassischen Kokinshugedichtes). – Es war zu Beginn des Keim-Mondes, und im ersten Grauen des fünften Tages, noch in der Dunkelheit, brach ich dann auf ... (Aus dem ›Tagebuch‹, Sugegasa Nikki)

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Tanka

(Das berühmteste Gedicht des Autors)

(Das »Kissenwort« Shikishima, von nicht ganz sicherer Bedeutung, heißt etwa »Inselnausbreitend«.)

Was ist das Herz
Von Yamato,
Shikishima?
Blüte der Bergkirsche ist es,
Süß duftend im Morgenlicht.

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Hirata Atsutane (Aus einer Vorlesung)

Die Bedeutung des Autors liegt, wie ausgeführt, vor allem auf religiösem und kirchenpolitischem Gebiete, sowie in seinem Vorkämpfertum für das Mikadotum, weshalb er noch 1841 von der Regierung der Shogune verbannt und mit einem Verbot jeglicher Veröffentlichung belegt wurde.

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In den beiden Vorlesungen, von heute u. s. w., will ich mit einigen kurzen Worten die Dichtung Japans behandeln. Jedermann sollte Gedichte verfassen und auf diesem Wege die menschliche Natur studieren. Man soll diese Gedichte aber im Stil der Dichter des Manyoshu machen, sich um die zeitgenössischen Vorbilder nicht weiter kümmern. Ich will Ihnen jetzt die Ansichten des Alten von Sudsunoya auseinandersetzen (Motooris, auch des »Alten vom Glöckchenhause«) zusammen mit der der andern »Lehrmeister« vor mir, und dazu mit meinen eigenen Ansichten. – Unter den auf kaiserlichen Befehl erfolgten Sammlungen haben sie das »Shinsendsaishu« (Neue Sammlung aus Eintausend Jahren, Nambokuchozeit). In dieser steht ein Gedicht des Fujiwara Noboyushi:

O, in dieser Welt
Ein Blatt (Wort) zu hinterlassen
Gleich dem Blatte auch nur
Der Zwergbambus an dem Ufer
Des Teiches!

Der Dichter wollte damit dem Kummer eines tatenlosen Lebens Ausdruck verleihen. Er dachte daran, ein Gedicht oder ein Essay zu hinterlassen, das der Nachwelt sein Gedächtnis aufnötige. Nichts anderes meint ein Gedicht im Zokushuishu (»Nachlese der Sammlung sämtlicher Überbleibsel«, Kamakura-Zeit) ein Gedicht von Tamba no Tsunenaga Ason:

Ich bin nur ein schlichter
Knecht,
Und doch begehr ich, für ewig
In den Wolken
Den Schall meiner Spur.

Er wollte also trotz seiner niederen Umstände so ausgezeichnete Verse abfassen, daß er allgemein gerühmt werde! – Diese genannten Gedichte sollen uns den Mut geben, die Dichtkunst wohl zu studieren. Trachten Sie diese Gedichte auswendig zu können und sagen Sie sich dieselben immer vor! Dank der Herzenstiefe dieser beiden Dichter wurden sie auch beide in die kaiserlichen Sammlungen aufgenommen. Sie sind auf diesem Wege bis auf uns gekommen, und sie werden wohl so lange wie Himmel und Erde dauern. Männer aus dem Volk und einfache Frauen können so durch ihre Dichtungen ihren Namen in der Welt und bis zu den Ohren des Mikado hin verbreiten. In den anbefohlenen Sammlungen der einzelnen Aeren, wie im Kokinshu, findet man viele einfache Frauen und sogar Frauen von zweifelhaftem Rufe, als Dichter. Und sie alle haben das Glück eines so lang wie Himmel und Erde währenden Namens. Von denen abgesehen, die keine Begabung (Neigung) zur Gelehrsamkeit mitbringen, können wir alle durch wertvolle Schriften oder durch das Abfassen wahrer Dichtungen einen Namen hinterlassen.

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Der Roman

Der erotische Roman

Bis zur zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bringt die japanische Neuzeit nur Geschichten wie schon das Mittelalter hervor, die altertümlichen Volksbücher (Otogo-zoshi) und Kriegsgeschichten, die Bilderbogen (Emakimono), Parabeln und Geister- und Geniengeschichten von chinesischer Art, aber auch zahlreiche Übersetzungen (darunter als erstes europäisches Werk die, vermutlich von einem Missionar aus dem Holländischen übertragenen »Isopu Monogatari «, Fabeln des Äsop). Daneben wächst eine realistische Novelle empor, und 1682 erscheint der erste große und epochemachende erotische Roman »Ein Wüstling« (Koshoku Ichidai Otoko) des

Saikaku

aus Osaka, eine realistische Erneuerung des alten, in der japanischen Literatur klassischen Genji-Themas, ein Buch, das wie einst das Kinpingmei in China wirkte, so daß der Autor alsbald zwei Fortsetzungen lieferte. Schon in diesem Erstlingswerke war ein neuer, die Umgangssprache mit dem Klassizismus und dem Pathos des älteren Japanisch verbindender Stil gewagt, der danach in den weiteren Büchern des Dichters »Ein wollüstiges Weib« (Ichi-dai onna)und »Fünf Freudendamen« seine eigene Klassizität erreichte. Saikakus Bücher brachten geradezu eine erotische Woge ins Land und wurden darum, wenn auch erfolglos, verboten. Saikaku schrieb dann noch einen scheinbar moralisierenden »Großen Spiegel der Männerliebe«, eine Satire gegen die ritterlichen Lebemänner, schließlich eine Anzahl bürgerlicher Romane und Novellen; Jishu und der berühmte Bohemien Kiseki, für den großen Hachimonjia-Verlag Novellen im Stile Saikakus, sowie die berüchtigten Schauspieler- und Dirnenanekdoten (Hyobanki). Saikaku hat übrigens als echter alter Meister sehr vieles von Schülerhand ausführen lassen. Diese erotische, gelegentlich pornographische, Literatur herrscht dann in den Kaufmannsständen zwei ganze Menschenalter hindurch: in dem ritterlichen Yedo noch länger als in Osaka, bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts, zuletzt in den ebenso beliebten wie berüchtigten »Büchern des Raffinements« (auch einfach »Hefte« Ko-bon genannt). Erst im neunzehnten Jahrhundert wendet man sich den romanhaften Liebesromanen zu, den Ninjobon (Gefühlsbücher), wie dem »Frühlingszauber entzaubernden Pflaumenkalender« oder dem »Garten von Tatsumi in Blütenpracht« von dem Dichter Shunsui (1789 bis 1842). Übrigens wurde auch diese Gattung im Jahre 1842 verboten.

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Aus dem »Wüstling«

»Ich habe alle Freudenviertel der weiten Welt besucht; mein Leib ist vom Vergnügen ausgemergelt, und diese Welt hat folglich keinen Reiz mehr für mich. Ich habe keine Eltern, keine Kinder, kein Weib. Ich denke nach und spreche zu mir selber: Du hast dich ohne Ende in die sinnlichen Genüsse gestürzt, bist in der Finsternis zwischen Welt und Hölle umhergeirrt und hast nicht erkannt, daß dein Leib sich in deinem Leibe verzehrte, wie das Feuer auf dem Herde erlischt. Im nächsten Jahre trittst du in die Sechziger ein, in einen neuen Wirbel. Du bist so alt, so taub geworden, daß du kaum noch das Geräusch des Wagens hörst, auf dem du fährst, seitdem deine geschwächten Beine dir den Dienst versagen. Du kannst nicht einen einzigen Schritt tun, ohne dich auf deinen Maulbeerstock zu stützen. Ach, wie das alles erbärmlich und lächerlich ist! Und nicht nur mit dir allein ist es so. Auf die Haare der Weiber, mit denen du dich vergnügtest, ist der weiße Reif gefallen; ihre Stirnen sind wie deinige von tiefen Runzeln durchfurcht. So vergeht nicht ein Tag, an dem du nicht vor Ärger ersticken möchtest. Die kleinen Mädchen, die du ehemals, den Sonnenschirm in der Hand, auf der Schulter trugst, sind herangewachsen: sie sind brave Hausfrauen geworden und bilden die Lust ihrer Männer. Was gibt es Wechselvolleres auf der Welt als das Leben? Bis heute hast du noch kein einziges Samenkorn für dein Glück im künftigen Leben gesät. Wenn du stirbst, wird dich der Teufel verschlingen. So denkst du, und du möchtest dein Verhalten ändern, aber du findest, daß es zu beschwerlich und zu anstrengend ist, auf dem Heilswege des gnädigen Buddha zu wandeln. Ach, wie elend ist doch das Lebensende! Komme, was da kommen will!«

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Aus der »Dirne«

... Irgend jemand sagt einmal: Ein schönes Weib ist wie eine Axt am Leben. Gewiß, ihr Blütenanblick vom Morgen muß sich in den dürren Zweig des Abends verwandeln, da kann ihr niemand helfen. Aber sehr töricht bleibt darum doch jeder, der sein Leben frühzeitig der Leidenschaft aufopfert wie einem grausamen Sturm am Morgen.

Immer aber gibt es solche junge Leute. Ich erinnere mich noch: eines Frühlings hatte ich in Saga im Westen der Hauptstadt ein Geschäft. Auf der Überfahrt über den Umedsu – die Ufer blütenübersät – traf ich einen jungen Menschen an, bleich. Er dachte offensichtlich daran, sein Leben wegen Liebe zu beschließen, seinen Vater zu seinem Erben zu machen. Er sagte zu einem nahen Gefährten: Könnte ich doch so lange leben wie dieses Flüßchen hier, das strömt ohne Ende! Der Freund sprach darauf verwundert: Aber ich möchte lieber in ein Land ohne Frauen gelangen. Ohne Schmerzen. Dort könnte ich still dahin leben.

Diese beiden jungen Leute sahen das Leben jeder auf seine Art an. Zur Zeit aber wanderten sie beide den Bergpfad gegen Norden. Begierig, was sich mit ihnen zutragen würde, ging ich hinter ihnen her.

Nach einigen Stunden kamen wir zu einer Höhle, umwachsen von Knieholz, von Lespedezien und anderm Buschwerk. Das Dach, besät mit welkem Blattwerk vom letzten Herbst, hatte man mit den lebenden Fäden des Kugelfadens geheftet. In der Stille war nur eine nahe Quelle sprudelnden Wassers zu vernehmen. Ich lugte ins Innere – wer nur da drinnen konnte allein wohnen? Ich sah eine alte Vettel. Ihr Haar war dreifach aufgeknotet, weißer Reif lag oben drauf. Ihr Kleid war seiden, gefüttert, von himmelblauer Farbe mit zwei Reihen Chrysanthemum bestickt. Trotz ihres Alters erschien sie noch schön. Man konnte sich ohne weiteres vorstellen, wie sie zu ihrer Zeit die Jünglinge gequält hatte! Über dem Eingang war auch wirklich eine Schrift zu lesen auf einer niedergelassenen Rolle: »Letztes Haus der Wollust«. Ich fühlte, wie mein Herz mir schon entflohen war, dort hinein vorausgeeilt. Ich kam ganz nahe. Ich beobachtete die beiden Jünglinge. Sie pochten nicht erst lang, vielmehr traten sie unangemeldet bei dem Eingang ein. Die Greisin empfing sie mit einem Lächeln. »So, man kommt immer noch mich zu besuchen? Gibt es doch draußen so viel frische Blüten, wozu im Gebirge den dürren Zweig besuchen? Seit sieben Jahren schon leb ich außer der Welt. Daß es Frühling wird, merk ich nur daran, daß die Pflaumbäume erblühn, Winter ist, wenn der grüne Berg sein Schneegewand anzieht. Ich seh keinen Menschen auf der Welt. Was wollt ihr hier von mir?« – Darauf sagte der Gefährte: »Mich quält die Liebe – und Eine, die ich nicht nennen mag. Ich hab' erfahren, daß auf diesem Berge eine ältere Dame wohnt, die sich auskennt. Ich möchte Euch um Rat aus dem Schatz Eurer Erfahrung gebeten haben.« Er reichte ihr dazu eine Schale Wein. Die Alte war damit völlig zufrieden. Sie plärrte irgendwelch Liebeslied zu den Saiten. Dann begann sie, wie traumbenommen, ihre ganze abenteuerliche Geschichte zu erzählen ...

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Sie ist eine vorzeiten hochberühmte Kurtisane aus vornehmer Familie. Am Hofe des Shogun erzogen, hat sie frühzeitig einem jungen Mann das Leben gekostet. Darum aus der Gesellschaft verjagt, wird sie bald eine Kokotte, ohne Gewissen, raffiniert und allbegehrt, der zahllose Opfer fallen. Auch um alle Mutterschaft hat sie sich gebracht. Alt geworden, gänzlich verarmt, vertauschte sie, auch noch von Gewissensbissen gefoltert, ihr Elend am Ende mit der Stätte der Büßerin.

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Der romantische Roman

Die Volkshistorien von legendärem und romantischem Inhalt entwickelten sich währenddessen zu den durch ihre Holzschnitte anderweitig hervorragenden »Bunten Büchern« (Kusa Zoshi). Die (übrigens durch Holzschnitte reich illustrierten) Lesebücher (Yomi-hon) sind dagegen mehr moralisierend. Auch diese Büchlein entwickeln sich zur Romanform. Echt japanisch sind die geschichtlich-romantischen Jitsuroku mono (Echten Berichte), anonyme Volksbücher; Unterhaltungsbücher die Gokan-mono. Doch wird die ganze Flut der realistischen und romantischen Erzählungsliteratur im 18. Jhdt. immer unübersehbarer.

Aus den »Ruhmvollen Urteilen«

Das Ooka Meiyo Seidan (die »Ruhmvollen Urteile« des Ooka Tadasuke Echisen no kami, Statthalters von Edo in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts) ist das berühmteste unter den anonymen »Echten Berichten«. Das erste »Urteil« entscheidet den Fall des Tenichibo, einer Art von falschem Demetrius, eines Bonzen, der sich für den Sohn des Shogun Yoshimune ausgab, wofür er bei den Kaufleuten Kiotos und Osakas hinreichende Unterstützung fand. Er vertrat also offenbar irgendeine bedeutende Schicht oder wenigstens Interessengruppe. Die vom Shogun eingesetzte Untersuchungskommission wagte keine Anzweifelung, bis der genannte Ooka für sich allein den Chunagon Tsunasada, Herrn von Mito, das Haupt einer der drei Shogunfamilien, in die Angelegenheit zog. Tenichibo wurde dann zugleich mit seinen bedeutendsten Anhängern hingerichtet.

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Der »Chunagon« Tsunasada verwunderte sich nicht wenig und fragte: »Welch eine wichtige Angelegenheit kann das denn betreffen? Gewiß ist etwas von Bedeutung vorgefallen. Laß Echisen im Empfangszimmer Platz nehmen, ich komme im Augenblick.« Ein Samurai führte ihn also hinein. Der hohe Herr saß dort im Nachtgewand. Echisen (Ooka) begrüßt ihn von der Schwelle aus. Der hohe Herr richtet an ihn das Wort: »Tretet näher, Echisen.« Echisen nähert sich um einige Schritte und verbeugt sich nochmals. »Ich bedaure unendlich, daß ich Euch bei Nacht stören muß. Doch es handelt sich um eine hochwichtige Staatssache. Ihr seid sehr gnädig, mir trotz Eures Leidens Gehör zu verstatten.« Der Herr Tsunasada erhebt sich von seinem Platz: »Es ist vielleicht frevelhaft, eine wichtige Staatssache in dieser Kleidung anzuhören. Doch verzeiht mir, Echisen, haltet es meiner Krankheit zugute!« Echisen beginnt zu sprechen mit schuldiger Achtung: »Gewiß vernahmt Ihr schon die Ankunft des Herrn Tenichibo in seinem Schlosse Isu Yatsuyama. Er wurde eingeladen in das Schloß des Herrn von Isu, um dort seine Persönlichkeit festzustellen. Man hat nun dort beschlossen, daß in Anbetracht der gewissen von ihm vorgelegten Beweise eine Zusammenkunft mit dem Shogun unverzüglich veranstaltet werde. Indessen habe ich ein wenig die Wissenschaft des Prüfens studiert, und so hab' ich das Gesicht des Herrn Tinichibu dort im Empfangsraum des Herrn von Isu aus der Entfernung betrachtet. Ich fand zwischen seinem Auge und der Wange ein gewisses schlechtes Zeichen, das darauf schließen läßt, er habe immer Abenteuer im Sinn. Alsdann entdeckte ich noch einen roten Streif quer über die Pupille. Das ist ein Zeichen, daß der betreffende Mann durch das Schwert umkommen wird, und zwar innerhalb von dreißig Tagen. Ein Mann, der diese furchtbaren Kennzeichen aufweist, kann nicht gut ein Nachkomme des erhabenen Shogun sein! Man muß zugeben, die von ihm vorgebrachten Beweisstücke sind echt. Doch der sie vorgebracht, der muß deshalb noch nicht echt sein. Ich bat also meine Vorgesetzten, mich die Angelegenheit überprüfen zu lassen, man gewährte mir dies nicht. Heute morgen begab ich mich in das Schloß und erbat mir die Überprüfung von dem Shogun durch Vermittlung des Herrn Statthatters von Ise. Doch die Vaterliebe war stärker, und man gebot mir, mich in meinem Hause aufzuhalten, zuerst wegen Geringschätzung meiner Vorgesetzten, und zweitens, weil eine bereits entschiedene Sache nicht wieder neu geprüft werden dürfe. Ich habe darum beschlossen, mich umzubringen, falls die Zusammenkunft morgen stattfindet: Denn wenn der Mann erst nachher als Betrüger erkannt wird, so ist es zu spät. Die lichtvolle Justiz der Regierung erscheint dann verdunkelt und wird zum Gespött. Darum bin ich hier in Euer erhabnes Haus gekommen, trotz des Shogunwortes und -Verbotes, meine eigene Schwelle zu überschreiten. Falls Ihr meine Bitte nicht aufzunehmen gedenkt, werde ich mich also töten mit Hinterlassung eines letzten Willens. Man wird ihm zufolge die Person dieses Mannes nochmals prüfen, und die Zusammenkunft wird bis auf weiteres nicht stattfinden. Ich bin also in Eurem erhabnen Schlosse als einer, der nicht mehr am Leben ist.« Der Herr Tsunada, als er dies vernommen hatte, erwiderte: »Echisen, deine Hingebung rührt mich. Du hast dich in dieser Angelegenheit vorzüglich benommen. Diese Sache von allgemeiner Tragweite ist wichtiger als meine Krankheit. Ich werde sogleich am Morgen in das Schloß gehen und selber mit dem Shogun sprechen. Verhalte dich ruhig und bleibe auch weiter achtsam! Überbringt dir jemand den Befehl, dir den Bauch zu eröffnen, noch ehe ich den Shogun gesprochen habe, so weise den Befehl zurück! Weigere, dich dem Befehl Entschließung zu unterwerfen, sooft es not tut, solange du von mir keine Mitteilung hast! Nicht du wirst dann den Anordnungen des Shogun ungehorsam sein, vielmehr ich allein. Sei also unbesorgt!« Der Herr Echisen verließ auf diese gütigen Worte hin mit Freudentränen das Schloß.

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Santo Kyoden (1767-1848)

ist der erste Hauptmeister des historischen Romans. Seine von wildem Kriegsgeschrei erfüllte Dichtung »Inadsuma-Boyoshi« mag hier in der Analyse von Karl Florenz als Beispiel der Gattung dienen:

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»Kumode, die zweite Frau des kränklichen, alten Fürsten Sasaki, und dessen ehrgeiziger, verschlagener Haushofmeister Fuwa Do-ken spinnen Intrigen, erstere und ihr eigenes Söhnchen an Stelle des Erbprinzen aus erster Ehe zu setzen, letzterer, um sich selbst zum Fürsten zu machen. Der Erbprinz hält sich als Kammerherr am Hofe des Shoguns Yoshimasa in Kyo-to auf und wird von Banzaemon, Dokens bösem Sohn, in der Absicht ihn zu verderben, zu liederlichem Lebenswandel verleitet. Der Erbsohn nimmt die Sängerin Fujinami zur Nebenfrau, zu der auch Banzaemon eine sträfliche Neigung faßt. Dieser wird deshalb vom Erbprinzen verbannt und von Nagoya Sansaburo, dem ehelichen Sohne des getreuen Vasallen Nagoya Sanzaemon, auf Geheiß seines Herrn mit einer Sandale ins Gesicht geschlagen (große Schande, Motiv aus dem Drama Kagami-yama). Hierauf Racheplan des schurkischen Banzaemon. Auf Wunsch des Shoguns holt Sansaburo ein hundert Krabben darstellendes Rollbild des berühmten Malers Kose no Kanaoka (Engi-Ära), einen Erbschatz der Sasaki-Familie, nach Kyoto, aber in einer stürmischen Nacht wird es von dem in Geldnot befindlichen Vasallen Hasebe Umpachi gestohlen. In derselben Nacht wird auch die Sängerin Fujinami, als sie sich aus dem Zimmer des Erbprinzen nach ihrem Zimmer begibt, von einem treuen Diener des Fürsten, Sasara ermordet, weil dieser in ihr die Ursache zum Ruin des Prinzen sieht und durch den Mord seinen Herrn zu retten glaubt. Der Verdacht beider Taten fällt auf Sasara, der mit seiner Familie in eine andere Provinz flüchtet, dort einsam lebt und sich Namuemon nennt, weil er für das Seelenheil der unschuldig getöteten Fujinami immer das Gebet »Namu Amida-Butsu« (der volkstümlichen Amida-Buddhasekte) rezitiert. Dem Haushofmeister Fuwa Doken gelingt es nunmehr, den Erbprinzen so zu verleumden, daß er vom Fürsten enterbt und verstoßen wird. Auch des Prinzen rechte Frau und sein Söhnchen Tsukiwakamaru sollen beseitigt werden. Der Abt Raigo wird Dokens Helfershelfer dabei. Er läßt die beiden durch seine Rattendämonen quälen, welche die Verfolgten im Schlafe stören und auf ihnen herumklettern; Raiga selbst erscheint in Gestalt einer großen Ratte. Sansaburo aber hilft ihnen, hält nachts Wache und verwundet Raigo durch einen Schwertmesserwurf an der Stirn (Motiv aus dem Drama Senhai-hagi). So ist der erste Versuch, Mutter und Kind zu Tode zu quälen, vereitelt. Nun wird ein zweiter Versuch mit zur Verhexung gebrauchten Puppen gemacht. Die Intriganten legen zwei Puppen in einen Kasten mit einer Bittschrift an die Götter, daß sie Kumode und ihren Sohn sterben lassen möchten. Die Verhexungsformel ist in der Handschrift der Prinzgemahlin geschrieben, und der Kasten wird in einem Winkel des Schloßgartens vergraben. Kumode stellt sich nun krank. Reigo wird zum Wegbeschwören der Krankheit gerufen, diagnostiziert die Verhexung, man läßt nach dem vermuteten Zauber graben und findet den Kasten. Fuwa Doken schickt eine Häscherbande aus mit dem Befehl, die Prinzessin und ihren Sohn zu töten, aber beide werden gerettet, letzterer durch Sasara. Der alte Nagoya indessen, der sich gerade in den Palast begeben wollte, um sich das Leben der Prinzessin und Tsukiwakamarus zu erbitten, wird von Banzaemon und Genossen irrtümlich für Sansaburo gehalten und getötet. Daraus erwächst für letzteren die Pflicht der Blutrache.

Der Anführer der Häscherbande kommt Tsukiwakamaru auf die Spur und fordert von Asara dessen Kopf. Sasaras Sohn möchte sich für den Herrn opfern. Er beleidigt deshalb seinen Vater absichtlich, so daß dieser ihn mit dem Schwert zusammenhaut. Der tödlich Verwundete klärt die Sache auf, spielt vor dem Sterben auf der Biwa-Laute noch die Episode aus dem Heike Monogatari, in welcher Kumagai Naozane den Atsumori tötet (und durch die Auslieferung seines abgeschnittenen Kopfes statt des Kopfes Tsukiwakamarus wird somit das Leben des letzteren gerettet [Terakoya-Motiv]). Zu dieser Zeit hatte Sasara auch das gestohlene Krabben-Kakemono bei einem Althändler aufgefunden. Damit der Vater es kaufen und dem ehemaligen Herrn bringen könne, verkauft er Sasaras Tochter mit Zustimmung der Mutter in ein Bordell, und mit dem Sündengeld wird das Bild erworben. Sasara begibt sich auf die Suche nach dem verstoßenen Erbprinzen, und es werden noch viele staunenswerte Dinge erzählt. Nur über die Rache Sansaburos an Fuwa Banzaemon sei noch berichtet.

Banzaemon und vier Freunde verkehren viel in Gojo-zaka (Bordellviertel von Kyoto) in ein und derselben Tracht, nämlich in Kleidern mit Inazuma-Muster (Wetterwolken-Muster), was darauf berechnet war, Sansaburo anzulocken. Sansaburos treuer Diener Shikazo hört davon, und um sie auf die Probe zu stellen, erscheint auch er in einer sehr auffälligen Tracht mit dem Wappen Sansaburos in Gojo-zaka. Zwischen ihm und einem der Freunde Banzaemons kommt es zu einem Saya-ate, das ist Schwertscheiden-Zusammenstoß. Die Kurtisane Katsuragi, einst die Verlobte Sansaburos, aber von ihrer bösen Mutter ins Bordell verkauft, tritt dazwischen, und nachdem Banzaemons Freund sich entfernt hat, lädt sie Shikazo zu sich ein und bittet ihn, seinen Herrn einmal zu ihr schicken. Sansaburo folgt der Einladung. Sie teilt ihm mit, daß an einem gewissen Tage Banzaemon und seine Freunde nach Gojo-zaka kommen und bei Tagesanbruch am folgenden Morgen wieder fortgehen würden. Sansaburo lauert ihnen auf, tötet die ersten vier nacheinander, dann den fünften in einer Sänfte getragenen, den er für Banzaemon hält, und schneidet diesem den Kopf ab. Dabei findet er am Gewande des Getöteten einen Brief befestigt, liest ihn gleich und erkennt auch, daß er den Kopf Katsuragis in der Hand hat. Der von Katsuragi geschriebene Brief berichtet, daß sie Banzaemons Halbschwester (von einer Konkubine Dokens) sei und sich opfere, weil Banzaemon sie aufgefordert habe, ihm Gelegenheit zu geben, Sansaburo zu töten. Nach Hause zurückgekehrt, legt Sansaburo den Kopf Katsuragis auf den Butsudan (Buddha-Hausschrein) und betet. Da kommt von unten zwischen den Matten eine Schwertspitze mit heftigem Stoß zum Vorschein (Motiv wie im Drama Asagao, Wirtshausszene). Sansaburo tut, als ob er schwer verwundet sei, und hält sich ganz still; da kommt der unter dem Fußboden verborgene Banzaemon hervor, um dem Feinde vollends den Garaus zu machen. Kampf und Tod Banzaemons. In Trauer über die Ermordung seiner Verlobten und daß er den verschollenen Erbprinzen nicht ausfindig machen konnte, will Sansaburo sich töten. Da kommt zur rechten Zeit der berühmte Taktiker Umezu Kamon, dessen Vater Sasakis Vasall war, tröstet ihn und verspricht, ihm und dem Prinzen zu ihrem Rechte zu verhelfen. Er hat den Abt Raigo festgenommen, dieser wird mit Doken und Kumode konfrontiert, worauf die Bösewichter bestraft werden und die Guten gedeihen.

Im Suibodai, dessen Hauptperson der Bonze und große Sake-Trinker Ikkyu ist (obgleich Bonze, ißt er auch Fische und verkehrt im Freudenviertel), treten die Geister von Doken, Kumode, Banzaemon und seinen Freunden auf, um Sansaburo und Genossen zu quälen. Das Krabben-Kakemono, das schon im vorigen Roman Wunder wirkte, indem die hundert Krabben aus dem Bild hervorkrochen und eine dämonische Schlange zerstückelten, welche sich um Sasaras Tochter gewunden hatte und durch nichts wegzubannen war, übt aber auch hier seine Wunderkräfte.

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Kyokute Bakin

Schon Kyoden wird eine ungeheure Phantasie und Leichtigkeit nachgerühmt. Ihn übertrifft noch bei weitem sein Schüler Bakin (1767 bis 1848, Pseudonym für Takidsawa Kai), der Balzac des fernen Ostens, unter dessen Namen zweitausend Bände umlaufen. Bakin gilt als größter Meister der Sprache. Doch wohnt seinen Werken eine ausgesprochen konfuzianische Tendenz von etwas buddhistischer Färbung, also eine Art Stoik inne, die noch über seine hervorragende dichterische Bedeutung hinausreicht und ihn zu einem repräsentativen Schriftsteller macht. In ihm ist vielleicht ganz Japan erhalten mit seinen chinesischen und nationalen Ursprüngen, und alle mythenbildende und heldenschaffende Phantastik einer halb barbarischen, halb überfeinerten reichen Kultur. Von seinem berühmtesten Werke, der großartig und kühn geistig konzipierten »Geschichte der acht Hunde«, sowie von seinem »Musobyoe kocho Monogatari« drucken wir unten die stoffliche Analyse von Karl Florenz und eine weitere Probe nach Revon ab. Nahezu die gesamte ungeheure japanische Erzählungsliteratur ist bis heute unübersetzt und praktisch unübersetzbar, wie ihre chinesischen Vorbilder. Bakins umfassender Geist griff auch zur Satire, zur chinesischen Literatur, die er vielfach übersetzte, so wie er auch im allgemeinen als Herausgeber noch nebenher tätig war.

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Die Geschichte der acht Hunde (Hakkenden)

Der Fürst Satomi Yoshizane im Lande Awa wird plötzlich von Anzai Kagetsura, der ihm bisher Freundschaft geheuchelt hat, überfallen und in seinem Schlosse belagert. Schon sieben Tage fehlt es an der nötigen Nahrung, da erblickt der Fürst, im Garten umherwandelnd, seinen treuen Hund Yatsubusa und spricht zu ihm: »Wenn du meiner Gunstbezeugungen gedächtest, so würdest du den feindlichen Heerführer töten und uns vom Tode erretten. Willst du es versuchen?« Da der Hund den Herrn ansieht, als verstände er ihn, streichelt der Fürst seinen Kopf und sagt: »Wenn du es vollführst, so sollst du immer schönes Futter bekommen!« Da der Hund mit diesem Angebot nicht zufrieden scheint, fährt er fort: »So will ich dir ein Amt geben oder ein Gebiet abtreten, und wenn das noch nicht genug ist, will ich dir meine Tochter Fuse-hime geben.« Dies schien den Hund zu befriedigen. Er lief schnell davon, und als der Fürst und seine Krieger eben ihre Henkersmahlzeit einnehmen wollten, brachte der Hund plötzlich den Kopf des feindlichen Führers herbei, den er in der Nacht totgebissen hatte. So wurde der Fürst von seinem gefährlichen Gegner befreit, dachte aber nun keineswegs im Ernst daran, sein Versprechen zu erfüllen. Darob war der Hund sehr zornig, denn er war kein gewöhnlicher Hund. Der böse Geist einer vom Fürsten zum Tode verurteilten Dirne namens Tamazusa war nämlich in ihn gefahren und trieb ihn zu seinen Handlungen, um am Fürstenhause Satomi Rache zu nehmen. (Das Motiv des Hundes als Stammvater findet sich jedoch, ohne jeden weiteren Erklärungsversuch, auch in der ältesten chinesischen Legende. Es hat für den ethnologisch Gebildeten nichts weiter Verwunderliches.)

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»Der Haushund Yatsubusa legte sich dicht bei der Prinzessin Fuse-hime nieder, die eben tief in Lektüre versunken war. Der Hund wollte gar nicht von ihr weichen, trotzdem mehrere Kammermädchen alle Mittel erschöpften, ihn aus dem Zimmer hinauszujagen. Weder Prügel noch Lanze konnten ihn wegtreiben. Je mehr man sich bemühte, desto wilder wurde der Hund. Funken sprühten aus seinen großen Augen, als ob es blitzte, sein Knurren dröhnte dumpf, wie wenn der Donner hinter den Bergen rollte, seine knirschenden Zähne und sein giftiger Rachen gaben ihm ein so schreckliches Aussehen, daß man vor Furcht nicht wagen konnte, in seine Nähe zu kommen. Endlich erschien der Fürst Satomi, der Vater der Prinzessin, eine Lanze in der Hand. Nachdem er sich im Zimmer umgesehen hatte, befahl er den Kammermädchen und Dienern, welche nach ihm hereinkamen, wegzubleiben. Nun stürzte er auf den Hund los und suchte ihn zuerst durch Bedrohung mit der Lanze hinauszutreiben. Aber nein, alle seine Drohungen waren umsonst. Er heulte sogar nur um so lauter und war im Begriff seinen Herrn anzufallen.« Vor Ärger rot, hob der Fürst nun an: »Du böser, schlauer Dämon! Es ist eine fruchtlose Mühe, einem solchen vernunftlosen Tiere zuzusprechen. Doch du erkennst wohl deinen Herrn, der seit siebzehn Jahren dich ernährte. Welche Wohltat ist größer als diese siebzehnjährige sorgliche Pflege und Ernährung? Kannst du diese Wohltat nicht anerkennen, so sollst du durch diese Lanze fühlen, wie groß des Herrn Gunst gewesen ist.« Damit streckte er die Lanze vor, um ihn zu durchbohren. Die Prinzessin Fuse-hime erhob sich rasch und trat vor den Fürsten: »Warte doch noch einen Augenblick, mein lieber Vater! Soll das die Handlung eines Fürsten sein, daß er einen Hund schilt und tötet, wie ein Schlächter zu tun pflegt? Ich habe dir etwas zu sagen: »Bitte, schenk ihm das Leben!« – Satomi entgegnete: »Deine Mahnung ist mir unbegreiflich. Frisch heraus, was hast du zu sagen?« – Fuse-hime wischte sich die Tränen ab, welche ihre schönen Augen befeuchteten, und strich ihre Kleidung zurecht: »Von alten Zeiten her rühmte sich jede weise Regierung eines verehrten Fürsten, daß unter ihr jeder Dienst belohnt und jede Missetat bestraft werde. Ja, Belohnung und Strafe bilden auch jetzt noch die wichtigsten Handlungen einer Regierung. Wenn Tat und Arbeit nicht belohnt und Vergehen und Missetaten nicht bestraft werden, so wird der Staat in Unordnung geraten. Denn wer möchte in einem solchen Staate arbeiten! So habe ich hier ein Beispiel: Ende dieses Schachtel-Zitats sehr unklar - a.]Wer hat den Kopf deines unüberwindlichen Feindes geholt, als unsere Festung beinahe von ihm zerstört worden wäre? Wie ängstliche Anstrengungen haben wir damals gemacht, um unser Schloß gegen den Feind zu verteidigen! Wer war der Retter, der uns aus diesem trüben unglücklichen Zustand erlöste? Sowohl unsere ganze Familie, als auch dreitausend streitbare Männer haben ihr Leben nur diesem einzigen Retter zu verdanken. Nun, wer ist dieser Retter? Der Retter ist kein anderer als dieser Hund. So einen großen Dienst hat uns dieser Hund geleistet! Und nun soll ihm mit dem Tode vergolten werden? Warum ihn so grausam behandeln? Meinst du nicht, daß er dann das unglücklichste Wesen sein würde?« – Satomi hörte ihr ungeduldig zu: »Ich kann dich nicht verstehen. Seit er den Feind vernichtete, ernannte ich einen Mann zum Hundepfleger, der sich nur um ihn zu bekümmern hat. Leckerbissen und gewählte Essenzen werden auf seiner Tafel aufgetragen. Sein Lager, worauf er sitzt und schläft, ist ganz mit seidenen und gestickten Tüchern bedeckt und mit den feinsten Federn ausgestopft. Kann das nicht die höchste Belohnung genannt werden, die ein Hund, ein Tier von seinem Herrn zu erhalten vermag?« – Fuse-hime sah den Vater an und sagte: »Du hast mich ein chinesisches Sprichwort gelehrt: ›Das Wort eines Fürsten ist wie Schweißtropfen‹. Ja, eines Fürsten Rede und Wort muß immer ernst und wahr sein und darf nie nachträglich zurückgenommen werden, wenn es einmal ausgesprochen ist. Ach, mein Vater! Als wir von Kagetsuras starker Heeresmacht belagert waren, da hattest du versprochen: ›Wenn du das Haupt Kagetsuras als Beute bringst, so kannst du die Hand meiner Tochter bekommen!‹ Obgleich das bloß ein Scherz gewesen sein mag, so hat der Hund doch alsbald auf deinen Befehl mit Erfolg des Feindes Haupt geholt. Wie durftest du dein Versprechen unerfüllt lassen? Denke dir einmal, daß er ein Mensch wäre? Wer kann sich damit zufrieden geben, nur mit Nahrung und Kleidung belohnt zu werden, nachdem er einen heißen Kampf auf Leben und Tod bestanden und unschätzbare Beute heimgebracht hat? Allerdings ist er ein Tier und kein Mensch. Doch er hat bestanden, was kein Mensch bestand. Er hat mehr getan, als irgendein Mensch damals vollbringen konnte. Es ist ein seltsamer Vorfall, daß ein Hund eine so große Tat vollbrachte. Nur ein Hund von solch seltsamen Eigenschaften kann es wagen, sich um ein Menschenweib zu bewerben. Ich meine, daß dieser Hund wirklich ein Recht hat, mich von deiner Hand zu fordern. Es ist jetzt deine Pflicht, daß du jenes Versprechen erfüllst. Ich sehe keinen andern Ausweg, als daß ich mich dem Hunde überlasse. Ach, Vater! vergib, daß ich mit einem Hunde mein ganzes Leben zubringen will. Ach, in der weiten Welt gibt es kein zweites so armes und unglückliches Wesen wie mich, die ich den Vater verlassen und einem Hunde angehören muß.«

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Der Fürst wirft hierauf die Lanze zu Boden und argumentiert selber, daß ein Herrscher die von ihm gegebenen Gesetze nicht übertreten dürfe, weil sonst auch die Untertanen die Gesetze nicht achten und zu Aufruhr schreiten würden. Er habe zwar nie die Absicht gehabt, dem Hunde seine Tochter zu überlassen, müsse aber freilich sein Wort erfüllen. Er erinnert sich des Ausspruchs eines alten Wahrsagers, daß ein Fluch auf der Tochter ruhe, und glaubt an Schicksalbestimmung. Die Prinzessin hält nun dem Hund eine Predigt über die Ungleichheit zwischen ihr und ihm. Obgleich man sonst nur unter seinesgleichen heirate, wolle sie trotzdem mit innerlichem Widerwillen das Versprechen ihres Vaters erfüllen. Sie betrachte es als ihr Schicksal. Wenn er sie aber je begehre, so würde sie ihn sofort mit ihrem Dolche erstechen und dann sich selber töten. Dagegen, wenn er den Unterschied zwischen Mensch und Tier beachte, so wolle sie ihn als guten Führer betrachten, der sie zur Erlösung aus dem Fluche geleite. Unter der Bedingung wolle sie ihm überallhin folgen. Der Hund nickt Zustimmung und trägt sie nach einem versteckten Ort im Gebirge Toyama, und der Fürst verbietet seinen Untertanen bei Todesstrafe das Betreten des Geländes. Durch heilige Ermahnungen gelingt es der hochgesinnten Prinzessin den Hund von dem bösen Geiste und das Haus Satomi von dem Fluche zu erlösen. Ein Jahr lang lebt sie mit dem Hund zusammen. Eines Tages begegnet ihr im Walde ein heiliger Wunderknabe und verkündet ihr, die sich schon längere Zeit unpäßlich fühlt, daß sie von dem Hunde schwanger sei. Er fügt hinzu, ihre Kinder würden gestaltlos geboren, sogleich nach ihrer Geburt aber wiedergeboren werden (Anlehnung an buddhistische Glaubenslehren.) Da beschließt die Prinzessin zu sterben, macht ihr Testament und befiehlt auch dem Hunde, sich im Flusse zu ersäufen. Gerade als dies ausgeführt werden sollte, naht ein treuer Ritter des Fürsten, Daisuke Kanamari, in der Absicht, die Prinzessin von dem Hunde zu befreien. Er tötet den Hund mit einem Gewehrschuß, aber die Kugel durchschlägt dessen Körper und trifft auch die Prinzessin in die rechte Brust. Fuse-hime macht darauf durch Bauchaufschneiden (Harakiri) ihrem Leben ein Ende. Aus ihrem Leibe steigt ein wunderbarer Nebel zum Himmel empor, und von den 108 Perlen des Lieblingsrosenkranzes der Prinzessin verschwinden die acht Perlen, welche die konfuzianischen Haupttugenden: Humanität, Rechtlichkeit, Höflichkeit, Weisheit, Loyalität, Treue, kindliche Pietät und brüderliche Liebe bedeuten. Aus diesen Perlen nehmen acht Ritter ihren mystischen Ursprung. Sie werden leiblich an verschiedenen Orten von verschiedenen Eltern geboren, und jeder erhält bei Gelegenheit eine der verschwundenen Kristallperlen des Rosenkranzes. Die Ritter sind die Verkörperungen der betreffenden acht Tugenden. Sie alle besitzen von Geburt an wunderbare Kraft und hervorragende Eigenschaften und unterscheiden sich individuell so wenig voneinander, daß sie eigentlich wie ein einziger Held, der nur unter verschiedenen Namen auftritt, erscheinen. Ihre Handlungen werden dadurch farblos und die Personen verlieren alles wahre menschliche Interesse. Bakin zieht hier seinen Helden den Menschen aus, um sie ganz zu Göttern zu machen.

Gar viele äußere und innere Nöte haben nun die Ritter Inutsuka Shino, Inukai Genachi, Inumura Daikaku zu bestehen. (Diese beiden töteten eine Art Wer-Luchs, der den Vater Daikakus umgebracht hatte, ein häufiges Motiv der chinesischen Legende und Volksreligion.) Nach vielem abenteuerlichen Umherwandern finden sie sich alle im Lande Awa zusammen und dienen dem Fürsten Satomi als seine getreuen Vasallen, mit deren Hilfe er seine Feinde vernichtet. Zum Lohn für den Dienst bekommt jeder der acht Ritter eine Tochter des Fürsten zur Frau und ein Schloß. Am Schluß werden sie alle wundertätige Einsiedler. (Florenz.)

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Aus den »Acht-Hunden«

Die Begegnung mit dem Menschenluchs

Menschen-(Wer)tiere aller Art, besonders Füchse, Hirsche und große Katzen, aber auch zum Beispiel Schildkröten und Fische, Ratten und sogar Insekten finden sich überall in der chinesischen Anschauung und Literatur von den archaischen bis in die modernen Zeiten.

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Der Hund (Inukai Gempachi) setzte seinen breiten Binsenhut auf: »Alter,« sprach er, »ich freute mich sehr, diese schreckliche Geschichte vom Berge Koshin von Euch zu vernehmen. Sie hat mir über die Mühsale meiner Reise hinweggeholfen. Ihr sagt also, es sei gefährlich, den Berg zu beschreiten. Ich bin aber ein wenig eilig und muß Neues von einem Freunde hören. So will ich trotzdem losziehen. Nur Bogen und Pfeile will ich mir nach Eurem Rate besorgen.« Der Greis sah nach der untergehenden Sonne. »Die Sonne«, sprach er, »strahlt schon tiefer als dort die Eichenkrone. Die Nacht wird sogleich hereinbrechen. Ihr müßt sehr eilen, wenn Ihr noch das nächste Dorf erreichen wollt. Ich würde Euch darum raten, lieber bei mir zu übernachten. Doch könntet Ihr etwa auf den Gedanken kommen, es geschehe um einiger Groschen willen. So will ich Euch nur Bogen und Pfeile vorlegen, wählet Euch einen aus!« Gempachi griff nach einem Bogen: »Rüstet mir diesen!« Mosuhe (der Alte) spannte die Sehne und legte zwei Pfeile drauf. Gempachi zog die Börse, zahlte den Preis. Darauf Mosuhe: »Herr, nehmt Euch in acht! Macht schleunig zu jenem Dorfe am Fuße des drübern Abhangs! Von hier bis zum Gipfel sind es nahezu drei und einhalb Meilen. Doch, weil es immer aufwärts geht, müßt Ihr reichlich vier Marschmeilen rechnen. Wenn der Wind umspringt, wird es vielleicht Regen geben. Lebt wohl und nehmt Euch in acht!« Gempachi bedankte sich für seinen guten Willen. Er setzt den Hut auf, preßt den kleinen Bogen an die Brust, schreitet hastig bergauf. So auf dem Wege sagte sich Gempachi, daß der ehrliche Teewirt wohl ein wenig mehr Geld hätte verdienen wollen. Was so ein Mann redet, schien ihm nicht sehr vertrauenswürdig. »Ich will irgendwo übernachten, da oder dort!« sagte er sich. In diesen Gedanken schritt er schnell auf dem steilen Pfade aus, ohne Führer. Es war zu Beginn des neunten Monats. Die Sonne war nahe am Untergang. Der Himmel umzog sich. Er sah bald den Weg nicht mehr vor sich. Sehr beunruhigt, dachte er: »Das habe ich nicht vorausgesehen. Wichtiger als Bogen und Pfeile wäre der Ankauf von Fackeln gewesen.« Und er bedauerte das. Indessen schritt er trotz der Dunkelheit immer aufrecht weiter. Kein Mensch ließ sich blicken hier auf dem steilen Berge, den er nach dem Wege hätte fragen können. So erkannte er bald, daß er sich auf dem Berge verirrt hatte. Nur das Röhren der Hirsche war zu erkennen. »Gehe ich noch weiter«, dachte er bei sich, »in dieser Dunkelheit, so komme ich niemals heraus. Besser übernachte ich hier bis zur Morgenröte. Doch nein! Verbringe ich die Nacht hier, so werde ich von den wilden Tieren, Raubzeug und den Schlangen angefallen. Gehe ich aber nur weiter, die ganze Nacht, in welcher Richtung immer, so muß ich unzweifelhaft in irgendein Dorf kommen.« So dachte er und damit stieg er aufwärts und wieder abwärts, viele Meilen weit.

Mit einemmal fand er sich gegenüber einem Steintor. In dem schwachen Lichte des Viertelmondes sah er, daß es der berüchtigte Fels »Mutterschoß-Tor« war, vor welchem der Luchs allabendlich wechselte. Er war erschrocken und wußte nicht, was tun. Er dachte: »So hab' ich mich so tief in den Schoß des Berges verirrt, daß ich nicht mehr in das Dorf am Fuße kommen kann. Am besten übernachte ich in dieser Höhlung. Morgen kann ich dann zum Dorfe hinabsteigen.« Er setzte sich nieder in der Höhle, Pfeil und Bogen zur Hand. Nun verschwand auch der Mond. Die Luft war schwarz wie Rabenfedern. Ganz hoch und steil war es hier. Die Hirsche hörte man nicht länger. Der scharfe Bergwind peinigte die Haut, es war sehr kalt. »Da war ich ein schöner Narr«, dachte er bei sich. »Ich glaubte, ein Bauer schwatze so daher, und wollte nicht auf ihn hören. Wie töricht, daß ich mich in diese Gefahr begeben habe.« Reuig gedachte er seiner Freunde, seiner Eltern, erinnerte sich alter Tage. So saß er da in völliger Einsamkeit, das erste Rot zu erwarten.

Nach der Helligkeit der Sterne zu schließen, mußte es die Stunde des Stieres sein. Da sah Gempachi mit einem Male zwei oder drei Lichtlein wie Glühwürmer an sich herankommen. Er hielt sie für Irrlichter oder Greifen (Tengu). Er nahm den Bogen und kletterte oberhalb seines Versteckes auf einen Baum, legte einen Pfeil auf und beobachtete die Lichter. Immer näherkommend wurden sie immer größer und größer, zuletzt erleuchteten sie die Stätte wie Laternen. Als sie bis auf die Entfernung von vier oder fünf Tan (50 Meter) nahe waren, sah Gempachi, daß das Licht nicht von den Irrlichtern der Greifen kam, es waren die Augen eines schrecklichen Wesens. Sein Gesicht war wie das Gesicht eines zornigen Tigers, sein Rachen war bis zu den Ohren gespalten, er glich einem Teller voll Blut. Die weißen Zähne standen wie zweischneidige Schwerter, die langen Barthaare hingen wie Zweige einer Weide im Rauhreif. Alles übrige aber war das Äußere eines Menschen. Zwei Schwerter staken in seinem Gürtel. Es saß auf einem fuchsbraunen Roß. Doch auch dieses Roß war von besonderer Art: der Rumpf wie ein dürrer, abgestorbener moosbedeckter Baum mit Flechten, die Füße wie Äste und der Schweif ein Rohrkolben. Diesen Geist begleiteten zwei Knappen, des einen Kopf von der Farbe des Indigo, der des anderen rot wie ein Porphyr. Herr und Knappen kamen im Gespräch auf die Höhle zu. Sie lachten mitunter auf. Gempachi sah auf sie und blieb ganz still. Er dachte in seinem Herzen: »Der zu Rosse ist sicher der Fürst dieser Geister. Entweder ich töte ihn auf der Stelle oder er tötet mich. Ich will ihn mit einem Pfeil erlegen, dann werden die andern fliehen. Und übrigens sind diese andern nicht furchtbar.« Immer mit dem Bogen und den Pfeil in seiner Hand klomm er also höher den Baum hinauf. An einer günstigen Stelle erwartete er dann den rechten Augenblick zum Schusse. Die Gespenster aber nahten sich aber ohne Argwohn weiter der Höhle, in vertraulichem Gespräche. Gempachi, vorzüglich zielend, entsandte den Pfeil, der dem Wesen zu Rosse das linke Auge durchschoß. Das Wesen gab einen Wehlaut von sich und fiel vom Rücken seines Tieres. Die beiden Knappen ergriffen es bei den Händen und bei den Füßen, luden es wieder auf das Roß und entflohen in der gleichen Richtung, aus der sie gekommen waren.

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Yumiharidsuki, der Bogenheld

[Der bereits im Hogen-Monogatari gefeierte Minamoto. Bakin hat die Ereignisse (von 1156 n. Chr.) noch romantischer ausgestaltet als das alte Volksbuch.]

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Tametomo, ein tapferer, stolzer, zügelloser, aber kluger Mensch, groß und stark wie ein Riese, scharfen Auges und gewaltigen Armes, der mit Leichtigkeit seinen zähen, neun Fuß langen, nimmer fehlenden Bogen spannt, wird von seinem zürnenden Vater nach dem Westlande Kyushu verbannt. Dort heiratet er Shiranui, die schöne Tochter des Landesfürsten, und lebt glücklich mit ihr, bis er sich nach der weit im Südmeer gelegenen Ryukyu-Insel einschifft, um auf Refehl des Kaisers einen wunderbaren Kranich zu fangen. Ihn begleitet ein Jäger, der in altertümlicher geheiligter Weise ohne Waffen durch geschickte Steinwürfe seine Beute zu erlegen pflegt. Zurückgekehrt von Ryukyu, wo er allerhand seltsame Abenteuer erlebt, unter anderm heil und unversehrt in einen Tausende von Fuß tiefen Abgrund fällt, nimmt er von der besorgten Gattin schmerzlichen Abschied und begibt sich nach der Residenzstadt Kyoto, um dort den gefangenen Kranich persönlich an den Kaiser abzugeben. Er gerät in die politischen Verwirrungen des Hogen-Kriegs, nimmt mit seinem Vater Tameyoshi an der Verschwörung des Exkaisers Sutoku teil, kämpft zwar sehr tapfer, wird aber mit seinen Anhängern, da der Oberfeldherr auf seinen Rat nicht hört, geschlagen. Er flieht nach dem Badeort Ishiyama, dort seine Wunden zu heilen, und wird durch die Ränke eines Verräters gefangengenommen und nach der Insel Oshima von Izu verbannt. Hier vermählt er sich mit der Eingeborenen Sasae, die ihm drei Kinder gebiert, und verbringt zehn glückliche Jahre, wegen seiner Tapferkeit und Güte als Herrscher verehrt. Eines Tages kommt ein feindliches Schiff heran, er bringt es aber durch einen einzigen Pfeilschuß seines mächtigen Bogens zum Sinken und entflieht vor weiteren Nachstellungen über die See nach Iyo. Ein Traum lenkt ihn von der Absicht ab, am Grabe des dorthin verbannten und daselbst gestorbenen Exkaisers Sutoku Selbstmord zu begehen. Er begibt sich weiter nach Higo und trifft unerwartet mit seiner Gattin Shiranui zusammen, die, von bösen Feinden aus ihrem Schloß und Land vertrieben, sich verborgen hält. Sieben Jahre leben sie wieder glücklich miteinander; auch gebiert sie ihm einen Sohn, Shuntenmaru, den späteren König von Ryukyu. Dann schifft er sich mit seiner Frau und mit dreißig Rittern nach der Residenz ein, Rache an den Mördern seines Vaters zu nehmen. Unterwegs überfällt sie ein fürchterlicher Orkan; Shiranui gibt sich den Tod in den Wellen, um den Sturm zu beschwichtigen; alle Krieger gehen unter, nur Tametomo wird auf den Wogen mit Hilfe von Geistern nach Ryukyu getragen. Dort hatte der Zauberer Moun, der schon lange nach dem Throne strebte, den törichten König und die wollüstige Königin umgebracht und stellt nun auch der Prinzessin, einer Tochter aus erster Ehe, welche vor der gehässigen Stiefmutter hatte entfliehen müssen, nach. Tametomo rettet sie aber. Die Prinzessin stirbt, wacht aber wieder auf, und zu seinem Erstaunen nimmt sie die Züge und Stimme seiner für ihn gestorbenen Gattin Shiranui an (gleichfalls ein Motiv der chinesischen Dichter). Denn um ihrer sittlichen Reinheit willen ist es dieser durch die Gnade des vergöttlichten Exkaisers Sutoku vergönnt, wieder in der Welt zu erscheinen. Die von Shiranuis Geist beseelte Prinzessin wird nun Tametomos Weib. Er führt Krieg gegen den Verräter Moun, wird geschlagen, flieht mit der neuen Shiranui nach Hamashima und trifft dort seinen Sohn Shuntenmaru an, der durch einen Sturm dorthin verschlagen ist. Die Pläne seines Sohnes befolgend, besiegt Tametomo nun den Feind, Shuntenmaru selber erschlägt den Moun. Jetzt ist die Erdenlaufbahn Tametomos beendet. Er steigt mit seiner Gattin zum Himmel empor, wo Suntokuin, sein Vater und seine Brüder ihn freundlich empfangen. Shuntenmaru besteigt den Thron von Ryukyu und wird Ahnherr einer langen Reihe von Königen. (Florenz.)

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Der Roman des Musobyoe

Musobyoe war ein Fischer, der täglich in seinem Kahn in die See stach und fischte. Eines Tages erscheint ihm plötzlich sein Urahnherr Urashimataro auf einer ungeheuren Schildkröte (Totemtier, Symbol des langen Lebens) und lobt ihn wegen seines friedlichen Gewerbes auf einsamer See, fern von dem Getriebe der Welt. Er schenkt Musobyoe eine Angelrute und Angelschnur mit der Weisung, er solle sich aus Rute und Schnur einen Papierdrachen herstellen, sich daraufsetzen und ihn aufsteigen lassen. Der Wind würde den Drachen in die acht Wunderländer fortführen, nämlich in das Land der Kinder, der Verliebten, der Trunkenbolde, der Geizhälse, der Lügner, der Mühseligen, der Betrübten und der Vergnügten. Hierauf verschwindet Urashimataro, und Musobyoe eilt nach Hause, fertigt den Drachen, bindet das eine Ende der Schnur an einen Baum und setzt sich auf den Drachen. Dieser steigt von selbst auf, die kurze Schnur verlängert sich, und Musobyoe gelangt im Nu ins Kinderland. Hier sieht er, wie die Bewohner mit Ausnahme von wenigen Eltern alle nur Kinder sind, fortwährend weinen und schreien und ihre Eltern plagen, ohne daß diese darüber ungehalten werden. Dieser Anblick prägt in Musobyos Seele ein tiefes Gefühl kindlicher Pietät. Der Wind dreht sich und treibt ihn ins Land der sinnlichen Lust. Er beobachtet, was alles aus der Liebe entspringt: Eifersucht, Zank usw. Eines Tages erblickt er ein hübsches Haus, worin ein Jüngling mit zahlreichen schönen Mädchen herumtollt. »Kommt und ringt mit mir!« ruft der Jüngling, und alle Mädchen klammern sich an ihn. Er wirft eine nach der andern zu Boden, wo sie oft in bedenkliche Lagen geraten. Musobyoe, der alles von oben bemerkt, denkt bei sich: »Was ist das doch für ein glückliches Geschöpf, das mitten zwischen so vielen schönen Mädchen leben kann!« Da verliert er seine Haltung und fällt von dem Drachen auf die Erde herunter (wie der Heilige von Kume aus den Wolken): Überall sucht er das soeben beobachtete Haus, vermag es aber nicht mehr zu finden. Plötzlich hört er von fern eine Koto-Harfe. Er geht der schönen Melodie nach und gelangt zu einem Hause, dessen Inneres er durch den Zaun ausspäht. Er sieht einen Greis dasitzen und neben ihm ein schönes Mädchen, das spielt und singt. Glühende Eifersucht erfaßt Musobyoe. Er will dem Greis das Mädchen nicht gönnen, bricht durch den Zaun und ist im Begriff in das Innere zu dringen, als eine Magd ihn zurückhält. Er wird vor den Greis geführt und erkennt in demselben – Urashimataro, der ihm die weise Lehre gibt, man soll sich von seinen Leidenschaften nicht hinreißen lassen. Urashima läßt ihn nun zu Schiff in die nächsten beiden Länder reisen und verspricht, ihm den Drachen im Lande der Habgierigen wiederzugeben. Musobyoe durchreist dann der Reihe nach die übrigen Länder. Im Lande der Vergnügten wird ihm sein Drachen gestohlen, worüber er mit den Leuten in Streit gerät. Man schlägt ihn auf den Kopf – in Wirklichkeit stößt er aber mit dem Kopf gegen den Rand seines Kahnes und erwacht dadurch aus dem Schlaf und Traum. Nachher schreibt er alles, was er gesehen hat, auf und übergibt es der Öffentlichkeit. (Florenz.)

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Der komische Roman

Hervorragendes, dem Charakter und der Stufe der sino-japanischen Kultur entsprechend, leisteten die Japaner auch in dem komischen und grotesken Roman. Die Tollstücke (Kyogen) des Mittelalters haben wir bereits erwähnt, jetzt schrieb man auch »Verrückte Aufsätze« (Kyobun)und »Verrückte Verse« (Kyoka). Hiraga Gennai lieferte dem verlotterten buddhistischen Klerus, den Konfuzianern und der Samuraikaste manche berühmt gewordene Geistesschlacht. Ikku (1765 bis 1835), ein halb legendär gewordener Vollblutbohémien, wird der eigentliche Klassiker des komischen Romanes, sein Hauptwerk »Auf Schustersrappen« (»Hiza-kuri-ge«), die toll durcheinander gewirbelte in Form und Sprache gleich unfaßbare, kühne Geschichte der beiden gebildeten Landstreicher Yaji und Kida, von der wir einige Seiten abdrucken) erinnert den Deutschen an den genialen Possengestalter Nestroy. Samba (1775 bis 1822), ein gleichfalls zigeunerhaft lebender Mensch, hat seinem Lande und künftigen Übersetzern ein japanisches »Vanity-fair« (»Die Welt im Badehaus, Die Welt in der Barbierstube«) hinterlassen. Der Bericht geht hier durchwegs, wie vielfach schon bei Ikku, in Gespräche verschiedener Mundarten über. Samba fand noch zahlreiche mehr oder minder glückliche Nachahmer. Über sein persönliches Leben wie über das des Ikku wissen die Japaner viel zu seinen Werken Passendes zu berichten, wie, mutatis mutandis, über Kyoden und Bakin.

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Ikku

Aus dem »Schustersrappen« (von 1822)

Kidahashiund Yashirobi, die beiden Helden des Buches, haben sich »mit allem guten Mut, leidlichem Geld und frischem Blut« von Yedo auf die Wanderschaft nach Kyoto begeben; aber als sie erst einen kleinen Teil der Reise zurückgelegt hatten, wird dem Kida in einer Herberge zu Mishima (bei Numazu) von einem Diebe das Reisegeld gestohlen. Traurig wandern sie weiter und erreichen endlich hungrig und müde, denn sie hatten kein Geld mehr, um sich etwas Eßbares zu kaufen, über Numazu, »Sumpfhafen«, den Flecken Hara, »Heidefeld«. Ganz niedergebrochen improvisiert der alte Yaji, immer an seinen leeren Magen denkend, einen Vers:

»Ungegessen, ungetrunken
»Sind wir durch das Städtchen »Sumpffurt«
»Ohne Sumpfen durchgehunken.
»Unsre müden Beine tragen
»Uns nun in den Flecken Magen.«

Die witzigsten Verse spotten leider jeder Übersetzungskunst, da sie, wie der eben angeführte, nur auf Klangwitzen beruhen. (Karl Florenz.)

Unsere hier folgende Übertragung sucht den volkstümlichen, mundartlich wechselnden Charakter des Originals durch eine Analogie zu wahren. Der deutsche Herausgeber ist sich dabei des Wagnisses wohl bewußt, vertraut aber auf die grundsätzliche Richtigkeit eines solchen Rekonstruktionsverfahrens in dem besonderen Falle.

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Von Kakegawa nach Fukuroi ist es zwei Meilen, sechzehnhundert Meter. Frühe auf der Poststation. Pferdewiehern. Yashirobi und Kidahashi erheben sich, reiben den Schlaf aus den Augen und schicken sich zur Weiterreise an. Sie verlassen das Wirtshaus, kommen an dem Tempel des Kriegsgottes (Hachiman) vorbei. Zwischen dem »Feld der Schwiegermutter« und dem »Reisfeld der Schwiegertochter« gegenüber auf der Straße angekommen, dichtet Yashirobi einen Vers:

Das Feld der Mama ist vertrocknet,
Dem Feld der Tochter jedoch, vorzüglich bewässert, geht es wohl!

Von da gelangten sie weiter zum Shioigawa. Die Brücke über diesen Fluß war zerstört. Wahrscheinlich hatte es tags zuvor etwas geregnet. Wie dem auch war, die Wanderer mußten ihre langen Hosen ausziehen, den Saum des Rockes aufstecken und eine Furt suchen. Yashirobi und Kidahashi schickten sich gerade dazu an, als – feine Sache! – zwei privilegierte Blinde auf dem Weg nach Kioto hinzukamen. Sie hatten zweifellos schon gehört, wie man den Fluß passieren müßte, denn der eine, mit Namen Inuitshi, fragte den Kidahashi: »Entschuldigen Sie bitte, kriegt man das Wasser bis an das Knie?«

»Natürlich, natürlich, nicht einmal bis an die Hosen. Aber die Strömung ist stark, ihr müßt beim Waten sehr aufpassen.«

»Spaß,« sagte Inuitshi, »das Wasser macht auch genug Krach. Wie ein Kochkessel.« Und damit liest er Steine auf und wirft sie in den Fluß: »Wie tief wird der wohl sein?« Dann, laut: »Da scheint es weniger tief. Hallo, Saoitshi. Das hat doch keinen Zweck, daß wir alle beide unsere Hosen naßmachen. Du hast jüngere Beine, nimm mich auf den Buckel!«

»Ha, ha, du bist 'n Schlaukopf. Losen, das ist das einzige. Wer verliert, der schleppt den anderen hinüber.«

»Machen wir. Also los!« Sie loseten also. Ein jeder der Beiden fuhr in der Luft herum gleich Windmühlenflügeln, und versicherte sich dabei zugleich der Hand des anderen.

»Gewonnen!« rief Inuitshi.

»Halts Maul. Gut, nimm die Pakete auf den Rücken! Hast du sie? Na denn los.«

Und Saoitshi, bereit zum Waten, bot seinen Buckel dar. Den Augenblick benutzte Yashirobi, um den Saoitshi zu besteigen, vor sich hinmurmelnd: »Ich danke dir auch schön.« Saoitshi, in der Meinung, den zweiten Blinden zu tragen, geht in den Fluß hinein und kommt leicht und schnell, ohne Störung ans andere Ufer.

Indessen ruft der zurückgelassene Inuitshi: »Hör doch, du Kerl, was hast du eigentlich im Kopf? Warum nimmst du mich nicht? Mach 'n bißchen tau.«

Saoitshi hört das vom andern Ufer und ärgert sich: »Mach doch bloß keene Witze. Ich hab dich doch eben abgeladen. Dat soll wohl eine Verhohnepiepelung sein, daß ich dich noch mal tragen muß.«

Inuitshi: »Red keinen Stuß, du bist allein hinüber, gemeines Aas.«

Saoitshi: »Selber Aas.«

Inuitshi: »Wat, du erlaubst dir so 'ne Anrede an einen rangältern Kollegen, du Lausejunge! Ja oder nein? Trägst du mich? Oder soll ich dir Beine machen?« Und er gerät in so große Wut, daß man von seinen blinden Augen nur das Weiße sieht.

Saoitshi weiß sich nicht zu helfen, kommt deshalb wieder zurück und sagt etwas höflicher: »Nun, bitte, besteige mich!« Dabei bietet er ihm schon den Rücken. »So ist es in Ordnung«, denkt der Schelm Kidahashi, legt ihm den Arm um den Hals und steigt stolz zu Pferde auf Saoitshi. Und der, ohne zu zaudern, watet wieder hinein in den Fluß.

Inuitshi, jetzt ganz ungeduldig geworden: »Nanu, Saoitshi, wird's man bald?«

Ihn hört Saoitshi mitten im Flusse: »Nanu, wat ist denn dat for 'n Affe auf mir?« Und, plump, plump, schmeißt er den Kidahashi von seinem Rücken ins Wasser.

Kidahashi: »Ohe! Ohe! ... Hilfe! Hilfe!« Da er auf den Bauch gefallen ist, zappelt er nur so in der Luft mit Armen und Beinen. Yashirobi muß ins Wasser springen und ihn herausziehen. Kidahashi ist naß von Kopf zu Fuß, daß man ihn auswinden könnte. »Eh,« stöhnt er, »dieser Schuft von einem Blinden, wie der mich geschüttelt hat.« Yashirobi lacht dazu: »Ha, ha, ha, ha, ha ... Zieh dich vor allem aus, daß ich deine Kleider auswinde.«

Kidahashi: »Im Grunde, Väterchen Yatshi, bist du daran schuld. Warum hast du dich auch auf den Buckel nehmen lassen? Du hast mir damit das schlechte Beispiel gegeben. Und ich ...«

»Bin dann in den Fluß hineingeglitten. Das ist freilich sehr peinlich. Ha, ha – Ha, ha – Ha, ha ... Darauf hab ich so ein Gedicht gemacht:

Man wurde naß,
Man machte Spaß
Mit dem Mann ohne Augenglas.
– Wer dem Blinden eine Grube gräbt,
Fällt selbst ins Wasser.«

Kidahashi: »Na, weeßt du, dat jefällt mir jarnich. Ick pfeif auf deine Gedichte bei die Temperatur!« Er entkleidet sich dann und zitternd vor Kälte: » Grrr, grrr ...«, windet er seine Kleider aus. Inzwischen sind die beiden Blinden nachgekommen.

Yashirobi sagt: »Na so lange können wir ja nicht die zwei Japs machen, bis deine Gala-Hosen trocken sind. Zieh hier meine Unterhosen an und suchen wir uns einen trockenen Ort.«

Kidahashi: »Au wai! Bin ich schon verschnupft. Hatschi!« Und kräftig weiterschimpfend zieht er die Hosen aus dem Paket und legt sie an. Immer dabei die Kleider auswringend.

»Nun schön, ein Paket mehr zu tragen!« Alsbald dann Ankunft in dem Dorf Kake-Gawa.

*

Aus dem ersten Teehaus am Weg ruft die Kellnerin heraus: »Wollen, bitte, die Herrschaften das Diner einnehmen! Es gibt alte Rettiche, Hering und Tintenfisch à la Semba.«

Die Lastträger (drin an der Tafel) singen:

Je stärker der Wind
Je leichter unsere Lasten,
Ausfüttern sollte man,
Ausfüttern die Koffer!

Und am Schlusse jedesmal:

Shite kadotaka.

Pferdewiehern: Hü, Hü. –

Yashirobi: »Hör mal, Kidahashi, das ist doch gut! Da drin sitzen unsere verdammten Blinden und haben die Frechheit, Wein zu zechen.«

Kidahashi: »Na, so etwas! Nun wollen wir sie aber dreschen!«

Sie sprechen mit verstellter Stimme und treten in das Teehaus ein.

Kidahashi: »Mit Verlaub!«

Yashirobi: »Grüß Gott.«

Die Kellnerin: »Excusez.« (Sie bringt gefüllte Teetassen.)

Kidahashi setzt sich gerade neben die Blinden.

Die Kellnerin: »Wünschen die Herrschaften zu speisen?«

Kidahashi: »Ah na! Mir ham uns die Wampen vollg'fressen. Da schaun's mal!«

Die beiden Blinden haben natürlich keine Ahnung, daß die Herren daneben unsere Bohémiens sind, trinken ihren Wein in Ruhe.

Inuitshi: »Der Wein ist gleich alle. Noch 'n Butejchen. Was, Saoishi?«

Saoishi: »Na, ooch ne Frage. Herr Wirt, noch einmal von dem da.«

Die Kellnerin: »Sogleich, die Herren!«

Inuitshi: »Die Dösköppe, die wir da in dat Wasser geschmissen haben, wo die wohl jetzt sind?«

Saoitshi: »Hab eben ooch daran gedacht. Ha, ha – Ha, ha – Ha ... Na von mir aus! Brechen wir das Bouteijchen an!«

Er füllt eine Schale, trinkt einen Schluck und setzt sie wieder nieder. In diesem Augenblick fährt Kidahashi schnell mit der Hand dazwischen und trinkt den Rest aus. (Die Tasse steht wieder an ihrem Platz.)

Saoitshi: »Da muß ich immer noch denken: die verdammten Lausejungen! Steigen die Affen mir auf den Rücken. Na, wie der dat Wasser gesoffen hat, hat er nich schlecht gebrüllt: ›Zu Hilfe!‹ – Solche Kerls, die nichts tun als anständigen Leuten die Würmer aus der Nase ziehen, sollte man eegentlich uffhängen.«

Inuitshi: »Denk ich ooch. Anständige Menschen sind es jedenfalls nicht. Und beim Wirt, da will solch ein Gesindel immer prellen, sich aus die Affäre ziehen. Na, wat macht dat Weinchen?«

Saoitshi: »Hauptsache. Beinah hätt ich dat vergessen. (Führt die Schale an den Mund, um zu trinken.) Nanu, der Wein wieder alle? (Mißtrauisch.) Ich muß es verschüttet ham, dat Weinchen. (Tastet den Tisch ab.) Alles trocken! Na, da will ich dann dir wieder einschenken!« (Er schenkt sich selber ein, trinkt einen Schluck, setzt ihn dann wieder für Inuitshi nieder.)

Währenddessen bemächtigte sich Kidahashi geräuschlos wieder der Schale und goß sie bis auf den letzten Tropfen hinunter.

Inuitshi: »Zu komisch wär dat, wenn die zwee Lümmel jetzt mit eenem Mal 'rin kämen.«

Saoitshi: »Na, da fährt kein Omnibus nich. Eh' die ihre Hosen trocken kriegen ... Dat muß ene schöne Situation sind. So dösige Kerls habe ich (als Blinder) noch nicht gesehen. (Er greift wieder nach dem Wein. Es ist kein Tropfen drin.) Nanu, was soll dat wieda?«

Inuitshi: »Du hast 'n schon wieder umjekippt, du Dussel!«

Saoitshi: »Nee, ick hab 'n nich umjekippt. Aber verstehen tu ick dat janz und jar nich.«

Inuitshi: »Du quatschst immer nur den eenen Kohl. Und inzwischen säufst de ihn allein aus.« (Kidahashi nimmt währenddessen die Flasche und schüttet ihren ganzen Inhalt in seine und seines Spießgesellen Teetassen. Danach stellt er sie ebenso geräuschlos wieder zurück.)

Inuitshi: »Na, du Affe. Willst de mir nu endlich deine Schale rüberlangen?« (Er nimmt die Schale, faßt nach der Flasche und gießt: es fließt kein Tropfen heraus.) »Du verdammter Saoitshi, du hast 'n richtig ausgesoffen!«

Saoitshi: »Wie bitte? Wat sagt der Herr?«

Inuitshi: »Der Herr sagt: die Bouteijche ist leer.«

Saoitshi: »Die Bouteijche ist leer? Herr Wirt, Herr Wirt! Sie denken ooch, weil wir nur arme Blinde sind, können Sie uns richtig bescheißen. Ihre Bouteijche für zwei Mark enthält nicht mehr als zwei Schluck! Das finden wir 'n bißchen stark.«

Der Wirt: »Meine Herren, ich habe Ihnen eine tadellose Originalfüllung serviert. Wahrscheinlich haben Sie sie umgeworfen.«

Saoitshi (in heller Wut): »Noch einmal! Ick habe gar nischt umgeworfen. Sie, Sie haben eine Schweinerei gemacht! Sie sind kein kulanter Kaufmann. Und ick erkläre Sie: ick werde diesen Wein keinen Falls bezahlen.« (Ein kleines Mädchen, das an der Schwelle ein Baby gehütet und die Szene seit langem beobachtet hat, weist jetzt mit dem Finger auf Kidahashi:) »Sie! Sie! Der Herr dort hat den Wein der Herren Plinten auskedrungen. Er hat 'n in tie Deedossen einkekossn!«

Kidahashi: »Unerhört, das Kind da ist ja die reine Schlange. Das hier ist Tee.« (Er gießt schnell den Rest des Weins hinter.)

Der Wirt: »Allerdings, Sie riechen nach Wein. Und Sie sind auch rot im Gesicht. Sie haben den Wein der Herrschaften ausgetrunken.«

Kidahashi: »Was, Sie, ein bekannter Restaurateur, Sie schämen sich nicht, so etwas zu wiederholen. Ich bin rot. – Hm ... weil ich von Tee betrunken bin. Ich hab' eine bestimmte Neurose. Wenn ich zuviel Tee trinke, steigt er mir zu Kopf. Ein Mensch, der von Wein betrunken ist, redet doch lauter dummes Zeug. Ein Beweis, daß ich nur von Tee trunken bin, ist, daß ich thee-oretisch urteilen kann, ich stelle die Theese auf: Sie sind ein Tee-Tölpel, Sie Tee-Wirt! Ist das nicht gut?«

Saoitshi: »Nee, Junge, ich fall darauf nicht rein. Wat een Kindermund ist, dat ist een Gottesmund, sage ick. Da gibt es keine Fisimatenten. Sie haben den Wein ungesetzlicherweise sich angeeignet, Sie müssen die Kosten begleichen!«

Kidahashi: »Sie sind ein Tepp. Was ich aus der Teekanne entnommen habe, ist eben Tee. Die Thee-orie kann nicht täuschen. Da ist nicht anzutippen.« (Bepustet ihn.)

Inuitshi: »Dat erloben Sie sich, weil ick een Blinder bin. Mein Name ist Hase, ick weeß von nischt. Die Kleene ist Zeuge. Die Kleene muß mit vors Gericht.«

Saoitshi: »Das sicherste Mittel, Wirt, ist, daß Sie ooch zu die Tassen riechen. Da werd'n wir ja sehen, ob das Tee war.«

Damit ist die Sache auf den springenden Punkt gekommen. Kidahashi sucht vergeblich seine Tasse zu vertauschen, der Wirt ertappt ihn.

Der Wirt, nachdem er zu der Tasse gerochen hat: »Allerdings, sie riecht nicht nur, sie stinkt geradezu nach dem Wein. Sie haben den Wein getrunken. Sie bezahlen ihn!«

Kidahashi sieht wohl ein, daß er sich nicht aus der Affäre ziehen wird. »Nee, da ich Ihren Mosel nicht getrunken habe, werde ich ihn auch nicht bezahlen. Wenn Sie aber den Tee meinen – bitte, wie hoch berechnen Sie den Tee? Wieviel bin ich schuldig?«

Der Wirt: »Also meinetwegen, bezahlen Sie den Tee: Zwei 1/1 Flaschen macht vier Mark.«

Kidahashi: »1/1 Flaschen Tee. Hab' ich allerdings noch nicht gehört.«

Yashirobi: »Mein Freund, die Geschichte wird abgeschmackt. Schluß damit! Du fängst die Sachen immer am falschen Ende an, lieber Freund. Zahl' jetzt gefälligst, solange du es noch gutwillig tun kannst.«

Kidahashi, sehr bedrängt, zahlt die verlangte Summe.

Saoitshi: »Aber die Männekens kommen mir bekannt vor. Sind dat nicht dieselben Lumpen, die mir auf den Buckel gestiegen sind? Einfach den Wein entwenden. Wenn dat keene Diebe sein sollen.«

Kidahashi: »Ich ein Dieb? Du infamer Bettelfritze.« (Will auf ihn los.)

Yashirobi: »Weg da, weg da! Das Unrecht ist auf deiner Seite. (Zu den Blinden:) Verzeihen die Herren. Aber wenn er zuviel Tee getrunken hat, wird er einfach ein Lümmel. – Jetzt aber schnell fort! Grüß Gott! Nu, auf Wiedersehen!« Er führt Kidahashi mit Gewalt ab, beide schauen, daß sie schleunigst aus dem Dorf kommen.

Kidahashi, in richtiger Wut: »Ekelhaft. Heut hab' ich nicht das geringste Schwein. Ich trinke Wein für mein Geld und werde noch herausgeschmissen. Gibt es da Götter?«

Yashirobi: »Ha, ha – ha, ha – ha, ha. Du bist eben nicht entfernt so begabt wie ich.«

Couplet:

Wie man's macht,
Immer geht
Alles schief.
Die Weinlache,
Auslache,
Auf dem Tisch!
Kusch.

Sie gehen unter Lachen weiter.

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Kida ist überhaupt der Prügelknabe. In einem Wirtshaus schleicht er sich ins Nachbarzimmer zu einer dort schlafenden blinden Sängerin. Die Blinden haben die Gewohnheit, mit ihren Habseligkeiten im Arm zu schlafen, damit sie nicht gestohlen werden. Das Paket, das die Blinde umklammert hält, ist Kida im Wege; als er es aber beseitigen will, wacht die Sängerin auf, hält Kida für einen Dieb und schlägt fürchterlichen Lärm.

Eines späten Nachmittags soll Kida nach einem Städtchen vorausgehen und dort die Gasthofsgelegenheiten auskundschaften. Yaji wartet in einem Teehause an der Landstraße und hört von den Leuten, daß es in der Nähe gespenstige Füchse (Menschen-[Wer-]füchse, nach ganz allgemeinem sinojapanischen Volksglauben) geben soll. Auch der vorausgegangene Kida vernimmt unterwegs von dem Spuk und wagt sich vor Angst nicht weiter. Der nachkommende Yaji trifft ihn so am Wege kauernd, hält ihn für einen verkappten Fuchs, der Kidas Gestalt angenommen hat, weil ja Kida schon längst in der Stadt sein muß, geht mit dem Knüttel auf ihn los und prügelt ihn ganz vorschriftsgemäß, wobei er ihn am Lendentuch festhält und immerfort schreit: »Zeige mir deinen Fuchsschwanz!« Da kommt ein Hund gelaufen. Yaji hetzt ihn auf Kida: aber weil der Hund ihm nicht folgt, merkt er endlich, daß es doch kein Fuchs, sondern Kida persönlich sein müsse. Trotzdem wird Yaji den Verdacht nicht los, daß die Füchse ihm einen Streich spielen werden. Der Sohn des Wirts, bei dem sie einkehrten, feiert gerade seine Hochzeit. Als Gäste des Hauses bekommen die beiden deshalb ohne Vergütung das vortrefflichste Essen und reichlich Sake vorgesetzt. Der argwöhnische Yaji hält aber das Essen für verhexten Kot und den Sake für Pferdeharn und rührt trotz seines Hungers nichts an, während Kida mit größtem Appetit ißt und trinkt. Schließlich kann Yaji das nicht länger mit ansehen und tut gleichfalls mit. Braut und Bräutigam gehen nun ins Nebenzimmer schlafen. Yaji und Kida werden von Neugierde geplagt, wollen durch eine Ritze zwischen den Pappschiebetüren gucken, drängen einander immer von der Spalte weg und drücken dabei endlich die Schiebetür aus dem Rahmen, daß sie polternd drüben auf die papierne Nachtlaterne fällt. Darauf großer Lärm, alles kommt herbeigelaufen. Die beiden müssen um Entschuldigung bitten und sich ruhig schlafen legen.

In Kyoto angelangt will Yaji die Weiber, die an der Straße Leitern, Reibhölzer und dergleichen verkaufen, hänseln. Er fragt nach dem Preis einer Leiter und handelt ab, natürlich ohne echte Kaufabsichten. Wider Erwarten willigt die Verkäuferin in sein Angebot ein und zwingt ihn nun zu bezahlen. Um sein Geld nicht umsonst ausgegeben zu haben, nimmt Yaji die schwere Leiter und schleppt sie tagelang, über die Schulter, mit sich herum. Schließlich wirft er sie wütend weg. (Florenz.)

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Samba (Aus dem Ukiyo-buro) (von 1811)

[Die Leute in der Badestube]

In der Badeanstalt eines Handelsviertels zwei Bürgerfrauen. Die eine aus besserem Stand, spricht ziemlich gewählt, die andere etwa sechzigjährig gemeiner. Sie beglückwünschen sich zunächst zum neuen Jahre, dann reden sie von Toiletten, schließlich kommen sie auf die Dienstmädchen zu sprechen.

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Bessere Dame: Also wirklich, Ihr Mädchen arbeitet fleißig? Wenn Sie kein Wasser mehr haben, bringt sie einen Eimer, und geweckt ist sie? Und wirklich nett? Unsere San hat gar keinen Willen. Sie macht uns beständig Ärger. Vor einigen Tagen erst sagte sie wieder, sie wäre verschnupft, und legt sich zu Bett.

Einfache Dame: Dat kann Sie aber doch gar nich passen. Dat ist doch scheußlich. Ne kranke Hausgehilfin.

Bessere Dame: Und das Allerschlimmste, sie will natürlich keine Medikamente nehmen. Wenn man krank ist, muß man sich eben im Bett halten. Wie soll man anders gesund werden? Ich sag ihr also: »Bleiben Sie zu Bette, San, und genießen Sie auch etwas!« Sie muß doch auch wieder bald aufstehen. Aber die Dienstboten, ich sage Ihnen, müssen natürlich immer ihren Willen haben.

Einfache Dame: Dat will ick glooben. Die Mächens wollen natürlich nicht im Bett bleiben und essen. Die eine wie die andere. Nicht einmal ein gesunder Mensch kann dat aushalten, nich zu essen. Und so eene is krank und will nischt essen. Dat is doch nich schön, ooch nich jejen die Herrschaft.

Bessere Dame: Ich habe schon soviel Mädchen gehabt, und ich versichere Sie, es ist heutzutage weit leichter Mädchen zu sein als Herrschaft.

Einfache Dame: Na, dat Mächen, dat Sie neulich hatten, war aber eijenlich jarnich so oone.

Bessere Dame: Ja, sie war ziemlich lange bei mir, aber sie hat einen Mann gefunden. Ich gab ihr die Erlaubnis, zu heiraten.

Einfache Dame: Dat war sehr schön von Sie.

Bessere Dame: Hingegen die, die wir jetzt haben, ist zu gar nichts nutze. Denken Sie, wenn ich sie ausschelte, läßt sie einfach die Tassen zu Boden fallen! Nun, und sind Sie freundlich zu ihr, so wird sie natürlich unerträglich. Sie hat eine wundervolle Eigenschaft: immer schmollen und sich bei dem geringsten Anlaß zu Bette legen.

Einfache Dame: Na, ich sage Sie, unsere Rin ist ooch nicht von Pappe.

Immer 'ne Antwort. Immer quatschen und natürlich jibt sie dabei ooch nich acht und macht alles kaput. Nach 'm Frühstück muß sie natürlich die Sachen raustragen, dat soll heeßen, sie rückt so 'n bißchen an die Stühle und jeht in unser Dienstbotenzimmer rauf und kämmt sich bis Mittag. Dann hat sie Wäsche und quatscht den janzen Tag herum. »Na«, sag ich, »Rin, wollen Sie nicht man bißchen nach dem Essen sehn?« Alles muß ich hier zweimal sagen, jeden Tag frisch. Nur, ochotte doch, sich nich zuviel abschuften! Wenn sie nach dem Brunnen jeht, können Sie Gift darauf nehmen, sie schafft nach zwei Stunden einen Eimer voll. Na, und was sie erst auf uns zu die andere Mächens schimpft. Mit jedem Fatzken muß sie anbändeln. Gestern versteck ich mich natürlich hinter der Tür. Ich will man hören, was sie angeblich gegen uns hat. Na, die frühere Herrschaft war natürlich viel besser. Die will sie natürlich ausjerechnet wieder haben. »Ich kündige auch zum März, und wenn die Jnädije mich auf den Knien bittet, so bleib ich nicht bei dieser schrecklichen Gesellschaft. Ich wär schon längst weg, wenn die Pensionskosten nicht so teuer wären. So dumm bin ich nicht!« Dat sagte sie Sie. Ich kann sie ooch nich riechen. Man sagt, wenn eens an der Türe horcht, macht man einen Regenwurm kaput, aber dat is ihre Schuld, das müssen Sie mich zugeben.

Bessere Dame: Meinem Mädchen darf man wieder überhaupt nichts sagen. Sie fängt dann zu singen an, selbstverständlich ganz falsch. Ich will ja nicht sagen, daß wir alle immer ästhetisch sind, aber ich sage Ihnen, wenn die sich die Haartour wie zwei Storchenflügel aufrichtet, und wie sie sich dick Puder auflegt, sie ruiniert sich die ganze Bluse damit, das ist zu unästhetisch. Sie dürfen nicht glauben, daß ich jemand ausforsche, aber sie hat wahrhaftig in zwei oder drei Tagen für 40 Pfennige Schminke ausgegeben. Sie verwendet auch viel zuviel Haarwasser. Denken Sie sich, wat dat kostet!

Einfache Dame: Tu kom sche nuh. Unsere muß immer wie eine Schneppe aussehn. Dafür trägt sie ooch keen Hauskleid. Feuer macht sie in großer Toilette. Ick rede doch man immer: »Na, ziehn Sie man erst ihre alten Fahnen an und ihre Hauslatschen!« Nicht in die Lamäng. Ich sage Sie, wie sie mit die neuen Stiefletten und die Batistschürze, alles naß von die Wäsche, durch unsern Salon geht wie eine Prinzessin. Dat müßten Sie sehen.

[Einige Damen kommen hinzu und beleben das Gespräch über das Thema neu.]

*

Dichtung

Die Dichtung der Tokugawa-Zeit zeigt wie die Prosa die beiden Hauptströmungen: des Intellektualismus in den höhern Schichten und der Volks- oder Kolportageliteratur. Die Intellektuellen feilen ihre Epigramme, und das Volk geht in die Theater mit ihrem rhythmischen Pathos.

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Das Epigramm (Haikai)

An die Stelle der Tanka setzt das moderne neuzeitliche Japan den noch kürzeren lyrischen Dreizeiler. Dieser leistet ein Äußerstes, die Gefühle und Gedanken in den Brennpunkt eines Einzeleindrucks zu vereinigen. Um dies zu verstehen, muß man sich vor Augen halten, daß die Dichtkunst schon seit der Heian-Zeit höfisch war, und das höfische Spiel (das bereits genannte uta awase) unter anderm in einer chinesischen Form der »gebundenen Verse« (Renga) gepflegt wurde. Man dichtete so in Turnieren ganze ›Ketten‹ von Kurzgedichten, in der Art primitiver Wettgesänge, wobei das Thema immer weitergesponnen wurde, bis man schließlich schon jede Hälfte der Tanka als ein selbständiges Gedicht behandelte. Das Wort Haikai bedeutet eigentlich Scherzgedicht. Im sechzehnten Jahrhundert wurde dann die neue leichte Form von dem Bonzen und Einsiedler Yamadsaki Sokan (1465-1553) und seinen Nachfolgern Arakida Moritake, Matsunaga Teitoku, Yasuhara Teishitsu, Nishiyama Soin ausgestaltet; von Matsuo, genannt Basho (1644-1694), auf eine dann nicht wieder erreichte Höhe geführt.

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Basho

gehört zu den genialsten Dichtern des fernen Ostens. Zu Ueno in der Provinz Iga aus einem Samurai-(Ritter)geschlechte entstammend, verlebte er seine Kindheit am Hofe des Daimyo (des Grafen) seiner Heimat, von dessen gelehrtem Sohn er in dieser Kunst unterwiesen wurde. Nach dem plötzlichen Tod des jungen Daimyo ging Basho in ein Kloster. Er setzte zwar seine Studien bei den gelehrtesten Männern Yedos fort und machte überall weite Reisen im Lande, doch blieb er dabei das Muster wie wir sagen würden eines franziskanischen Mönches. Seinen Dichternamen Basho (»Bananenbaum«) nahm Matsuo gemäß alter sino-japanischer Sitte von einer Wohnstätte, dem Garten eines Freundes.

Bashos Einfluß auf seine dichtenden Zeitgenossen und auf das gebildete Publikum ist außerordentlich. Die begabtesten Dichter ließen sich als seine Schüler feiern, und alle Welt begann in Bashos Art Epigramme zu dichten. Sein Buhm war demnach ganz außerordentlich und hat sich bis auf die Gegenwart erhalten. Basho starb auf der Reise, bei der Dichterin Sonojo, angeblich im Kreise seiner Schüler. Es scheint, daß da eine gewisse Legendenbildung nach geistlichem Vorbild zu dem in Japan allgemeinen Zug literarischer Anekdoten hinzugekommen ist. Die von uns mitgeteilten Verse des Dichters sind unter den berühmtesten ausgewählt. Das erste Epigramm (auf ein Schlachtfeld) geht auf ein chinesisches Vorbild zurück. Die japanische Literatur zeigt überhaupt, wie schon mehrere Kritiker bemerkt haben, einen gewissen gelegentlichen Pazifismus oder richtiger eine Abneigung, physische Gewalttat und Taten des Krieges darzustellen. Von all den kriegerischen Zügen der Nation bleibt außer in den Geschichtsromanen des Mittelalters nichts übrig außer einer gewissen sentimentalen Nebendarstellung des Kriegerischen. Dieser Zug ist nicht eigentlich buddhistisch, sondern schon vorbuddhistisch, wie man unter anderen aus dem Gedicht des uradligen Militaristen Yoshi Yakamochi ersehen kann. Basho persönlich war von einer solchen Delikatesse des Fühlens, daß er eine unschöne Handlung mit den Worten abgelehnt haben soll: »Das ist nicht Dichtung.« Die ersten sechs Epigrammdichter, von Sokan bis Basho, werden von den Japanern die »Sechs Weisen des Haikai« genannt, so wie die ältesten Tankadichter die »Sechs Genien« (Rokasen). Unter den zahlreichen Schülern Bashos werden dann ähnlich die »Zehn Weisen« hervorgehoben. Es sind dies vor allem Enomoto Kikaku und der Bohémien Ransetsu, sein demütiger Freund; dann wieder deren Schüler: der gefeierte Mukai Kyorai, Morikawa Kyoroku, Kakami Shiko, endlich die weniger berühmten Naito Joso (1663-1704), Shida Yaha (1663-1740), Kawai Sora, Tichabana Hokushi und Ochi Etsujin.

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Vorläufer Bashos

Sokan

Der Vollmond – an einen Stamm
Binde ihn: welch ein schöner Fächer!

Moritake

(N.d.Sprichw.: »Die Blüte kehrt nicht zum Zweig«)

Die Blüte kehrte zum Zweig,
Die dort fiel? – Sieh hin!
– Ein Falter ist es!

Teitoku

Für alle Nachtschwärmer
Am Morgen einschläfernder Mohn (wird)
Der Herbst-Vollmond!

Teishitsu

»Dort, dort!«
»Schau doch« – Aufgeblüht –
Yoshino!!

Soin

Von Holland
Die Schriftzeichen hier in dem Grau:
Ein Flug Wildgänse!

Dem Shoka (16. Jhdt.) zugeschrieben

(Die drei Gewaltigen Japans)

Nobunaga: Er singt nicht.
Drehn wir ihm den Kragen um,
Dem (Berg)Kuckuck!

Hideyoshi: Singst du nicht?
Wir machen dich singen,
Bergkuckuck!

Jeyasu: Singt er nicht,
Wird er doch singen,
Der Kuckuck!

Basho
(Auf ein Schlachtfeld)

O Frühlings Gras:
Sproß der Träume
So manchen Kriegers!

*

Am Straßenrande
Die Stockrose – Speise ward
Dem Pferdemaul!

*

So dicht die Blütenwolken!
Die Glocke! – Läutet Uen?
Läutet Asakusa fern?

*

Die kurze Nacht:
»O Kirschbäume!« – Die Kirschbäume
Stehn schon im Licht!

*

Sperling, mein Bruder,
Verschone du die Tiere
Im Blütenkelch!

*

Steh auf, steh auf,
Auf daß du mein Freund seist,
Du schlafender Schmetterling!

*

(Thema)

Die rote Libelle,
Entreiß ihr die Flügel:
– Ein Goldrot-Stift!

(Antwort Bashos)

Goldrotstift!
Leih ich Dir Flügel?
– Nun Libelle!

*

O, der alte Teich!
– Das Plätschern des Wassers
Beim Frosch-Sprung!

*

Der Lerchenschlag,
Er nimmt kein Ende
In Licht und Tag!

*

War es Leibweh von Gerst' und Reis,
Ist es Liebesweh, Frau Katze,
Daß du miaust?

*

Wolken wohl überwand
Der Mond hier im Spiel,
Der dann doch abnahm!

*

Im Mond, so hell er schien,
War's ein blühender Kirschpark
– Das Baumwollfeld!

*

Kein Öl
Heut zur Nacht! – Doch sieh,
Der Mond schaut zum Fenster!

*

Zu neuen Malen
Neunmal ward ich wach – Nach allem
Ist es Sieben erst!

*

Die Wolken, vorüberflitzend (sind)
Ausruhen dem gereckten Hals
Bei der Mond-Partie!

*

Schlangen frißt er!
– Wie krächzend ward mir
Der Goldfasan!

*

Zuerst immer lustig,
Zuletzt immer durstig:
Auf dem Schiff die Kormorane!

*

Ihres Lebenspfades
Kürze verrät nicht
Der Zikade Stimme.

*

Nun wollen wir gehn,
Den Schnee anschaun,
Solange – es geht!

*

Die ganzen Greise
Am Stab, die Weißhaare
An den Ahnengräbern!

*

(Boshos Schwanensang)

Schwerkrank auf meiner Reise,
Im Traume wandelt' ich
In (überweite) Wüste.

*

Die sechs Weisen
Kikaku

O herrliche Pflaumenbluth
– Und daneben gleich wohnt
Der Dichter, Herr Pflaumenbluth!

*

O, hochpreisbare Nacht
Des Sommers! Die Mücken
Allein zieh ich bar ab!

*

(An einen verschuldeten Ritter)

O Ultimo!
Der Mensch ist nur
Den Wassern gleich!

(mit der angeblichen Ergänzung des Angeredeten:

Dies »Glücksschiff« (Amulett), Mensch
Bringt Dir morgen Bargeld.)

Ransetsu

»Auf hundert Wucherblumen« (Chrysanthemen)
(Originaltitel)

Weiße Wucherblume
Goldwucherblume!
Euere Art genügte mir!

*

Das Chrysanthemum all erblüht.
Ihr Falter, spielet herzu
Auf der Palette!

*

Ein Blatt
Segelt nieder, zu ruhen
Auf einem Grabstein.

Kyorai

Das lange Schwert
Eines Herrn, gebeugt über die Blume:
Wie nur?!

*

Das unzugängliche
Haus der Regierung. – Dahinter
Horch der Kuckuck!

Kyoroku

Die Insel Awaji:
Vorbei die Ebbe,
Nur der Mond, zunehmend.

*

(Die Kranken bei der Moxakur

Sie schauern, eh' trocknet
Des Brennkrautes Brandmal.
Zephyr im Frühling!

Shiko

Die weißen Wolken
Hinter der Hecke:
Lilien sind es!

*

Der Liebesschmerzen
Nun satt, das Kätzchen
Süßes uns mauste.

Joso

Im Herbst die Grille
Entseelt. Daneben
Die leere Hülle.

Yaha

Die Nachtigall!
Und zugleich an der Tür
Der »Kuchen!«-ausrufer.

Sora

Wandern!
Fall ich, fall ich doch
In blühenden Ginster!

Hokushi

Brand! – Immerhin
Die schönen Blüten
Regneten so auch!

Etsujin

Tempel im Gebirge!
Lautes Klopfen: der Reis wird
Enthülst bei dem Mondlicht!

*

Die weitre Schule Bashos

Notizen

Sugiyma Sampu (1648–1733) gilt auch mitunter als unmittelbarer Schüler des Meisters. – Idsembo aus sehr wohlhabendem Hause lebte freiwillig als eine Art Landstreicher oder vermutlich Bohémien. Er ist berühmt durch seine Begabung, das Gedicht auf ein einziges Wort aufzubauen. So lautet z.&nbsp;B. die hier übertragene Haikai vom Platzregen:

»Shigure keri
Hashiri-iri keri
Hare ni kiri«

Die Dichterin Chigetsu-ni nahm als Witwe den Schleier, daher die Anspielung ihres Gedichtes. – Otsuyu erweckt durch sein Epigramm die Vorstellung eines Platzregens. – Josen protestiert gegen die volkstümliche Komödie. – Die Dichterin Shushiki (1665–1728) spricht ein buddhistisches Gefühl aus. – Die Dichterin Sono-Jo (1665–1726), Bashos Freundin. Onitsura (1661–1738) stand der Schule Bashos fern, wurde aber von dem Meister selber sehr hoch geschätzt.

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Sampu

Wie warten wohl die Jungen
So lang – der so hoch
Gestiegenen Lerche!

Idsembo

Platzregen da.
Ich fort und wieder da.
Sonne wieder da.

Die Nonne Chigetsu

Aus Gerstenstroh
Dir bau ich ein Häuschen;
Nonnenfrosch!

Otsuyu

Platzregen!
So viel Köpfe, so vielerlei
Dinge auf den Köpfen!

Dichter bis zum 18. Jahrhundert

Josen

Die Blumen klagen:
»Das Gesindel
Kommt zu uns – aus der Komödie!«

Shushiki
(Buddhistisch)

Aus meinem Traum
Erwache ich. – Die Iris
Wird immer blau blühn!

Sonojo

So prunkvoll
Wie niemand! – Und nun,
In Kleidern von Papier!

Onitsura

Nun wieder Sommer.
»Winter ist doch besser.«
So sagt man.

Onitsura

Skelette, ausgeputzte,
Betrachten alle
Die Blumen!

*

Dichter vom Ende des 18. Jahrhunderts

Notizen

Kagano Chiyo (1703–1775), die bedeutendste unter einer ganzen Gruppe von Dichterinnen von hohem Rufe – Yokoi Yayu (1703–1783) war eine genialische Natur. Das Dichten war ihm so natürlich, daß er behauptete, Kinder sprächen in Versen. Man bedenke dabei, daß die japanische Dichtung nicht auf Reim noch auf Silbenzählung, sondern nur auf dem Wohllaut der einfachsten Silben beruht. Er war besonders als Improvisator berühmt. Sein mitgeteiltes Gedicht spielt mit dem Blumennamen »Tagesantlitz« (hirugao, Calystegia sepium) für die japanische Winde, die nicht wie »Morgenantlitz« und »Abendantlitz« (Lagenaria vulgaris) vom Tau benetzt werde. – Buson (1716–1783) ist der berühmte Landschafts- und Tiermaler von Osaka, dessen Werke in einigen Tempeln erhalten sind. Er soll eines Nachts in sein Haus ein großes Loch gebohrt und das Dach angesteckt haben, um den Effekt: Mondlicht und Feuer, zu studieren. Der so entstandene Brand des Hauses habe dann ein ganzes Stadtviertel niedergelegt. Se non è vero, è mal trovato. In einem der mitgeteilten Gedichte umreißt er den Eindruck zweier von oben gesehener Spaziergänger, in einem andern amüsiert er sich über eine philologische Streitfrage, ob »ume« – »mume« ausgesprochen werde. – Ryota (1719–1787) hinterließ an sechzig Bände. – Ranko (1718–1799) spielt hier vielleicht auf das japanische Sprichwort an: »Nicht die Herren Ärzte noch die heißen Quellen von Kusaso können die Liebe heilen.« – Issa (1763–1827) ist von ähnlicher buddhistischer Gesinnung wie Basho. Das mitgeteilte Epigramm auf die Sperlingjungen soll er mit fünf Jahren verfaßt haben, was natürlich für die japanische Anekdotensucht bezeichnender ist als für den Dichter. Das zweite Epigramm lehnt die Geschenke eines Daimyo ab, der über eine Million Koku (Natural-)Einkommen besaß. Issa, ein überzeugter Buddhist, tötete kein lebendes Wesen, er eilte jedem Tier, wie er in seinen Gedichten sagt, zur Hilfe.

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Chiyo

Nun, da sie ruht,
Die Flügel noch zittern
Der zarten Motte.

*

Von Winden
Mein Eimer unbrauchbar.
Wasser darum erbat ich.

*

»Der Kuckuck«
Gesagt – und schon
Der Morgen kam!

*

Wird herbe sie?
Nicht weiß ich's. Die Frucht
Doch hab ich gekostet.

*

(Die Witwe)

Erwach ich, entschlummere ich:
Das Moskitonetz
Wie weit gefaltet!

*

Libellen zu fangen,
Wie bist du so weit, ach,
So weit gegangen.

(Deutsch von Karl Florenz)

Yokoi Yayu

Ach »Morgenschön« (Blume)
Dich netzet nie
Nicht Abendtau, noch Morgentau!

Buson

Die Nachtigall
Und – die Familie
Beim Nachtessen!

*

Vergangenheit:
Hort du aufgespeicherter
Langsamer Tage!

*

Im Lenzregen
Spazieren gehen
Ein Mantel und ein Regenschirm!

*

Die Zwetschken blühn:
Welche nun sind Zwetschken?
Welche sind Zwetschen?

Ryota

Wie hoch der Mond!
Wiedergeboren,
O, würd ich Kiefer am Berge!

Ronko

Nun die Saison:
Und überall
Der Strom heißer Quellen.

Issa

Sperling, verwaister,
Spiele du kindlich
Mit mir!

*

(Einkünfte)

Was sind Koku
Eine Million?
Tau auf Bambus.

*

Armseliger Frosch,
Nichts fürchte! Denn wisse:
Issa ist hier!

*

Das Kyoka und das Kyoku – Das Senyu

Das Kyoka (Tollgedicht) ist eine parodistische Tanka, also ein Fünfzeiler, das Kyoku (Tollverse) nur ein Dreizeiler. Die Anfänge des Kyoka gehen bereits in das 12. Jahrhundert zurück, die Blütezeit ist aber erst das Rokoko, die Hauptmeister Sorori, eine Art Possenreißer des oft genannten (Einigers Japans) Hidejoshi, dann des gelehrten Satirikers Shokusanjin. Das Senyu ist des eigentliche Epigramm Japans.

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Senyu

(›Seligen-namen‹ wurden bei Lebzeiten rot eingeritzt)

Die auf dem Grabstein
Noch rote, trauernde Witwe
Ist schwanger geworden!

Sorori

(Parodie auf das Gedicht auf Seite 102)

Sorori soll von Hideyoshi ein Geschenk von Reis gleich dem »Inhalt eines Sackes« erbeten haben. Er erschien mit einem ungeheuren Sack, der eine ganze Scheune ausleeren konnte! Wortspiel von Kami gleich Götter und Papier, und Karakure(nai): Purpur und leere Scheune, hier analog wiedergegeben (Mythen und Mieten).

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Nie – auch da Götter,
Die »schnellen Gewaltherrn«,
Noch herrschten, zur Mythenzeit –
Nie vernahm man von Säcken,
Die, Mieten leerend, sich füllten!

Shokusanjin

(Motiv)

Siebenfach, achtfach
Im Blütenkreis
Die Goldrose,
Ein Kuß! Ohne Frucht
Bleibt sie leider!

Parodie:

Sieben Stück, acht Stück
(Couleur: Goldrose)
In meiner Tasche das Nasenwischpapier:
Ohne Kurs bleibt es leider!

Ishikawa Gabo

Daß die Dichter nichts können,
Geht noch an. – Man bedenke,
Wenn nun jeglicher Dichterling
An Himmel und Erde rütteln könnte!

Katsube Magao

Nur mit den Fäden
Der Weide, die, nachgiebig,
Dem Winde nicht widersteht,
– Sollte den Sack Geduld
Man nähen!

Anonym

Betrunken, schau ich
Nach dem Kuckuck: Da
Schau! unzählige Monde!

Desgleichen

Im Eingang:

In dieses Haus
Kommen so viel Leute.
Es ist mir zu dumm.

Die Rückseite (für die so Fortgewiesenen):

Die Aufschrift, mein Lieber,
Gilt nicht für dich!

*

Das Haibun (Scherzfabel)

Das Haibun, das heißt Prosakomik, ist gleichfalls von Basho und seiner Schule gepflegt worden. Der bekannteste Autor der Gattung ist aber Yokoi Yagu, von dem man oben ein Haikai kennen gelernt hat. Er ist unter anderm der Verfasser des bekannten » Lob des Sackes«.

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Ein Gefäß gibt all dem Form, was es enthält (japanisches Sprichwort, siehe u. a. Seite 408). Ein Sack aber ist nicht so eigensinnig, er paßt sich selber an. Ist er voll, so reicht er über die Schultern hinaus, ist er aber leer, so kann man ihn gefaltet in seinen Kimono stecken. Wie muß doch so ein Mehlsack, der weiß was ihm zu tun zukommt, lachen über die Welt im Topfe. (Chinesisches Märchen von der Zauberstadt in einem Kochtopf):

Auf, zum Vollmond! Auf, zu Blumen!
Mein (Ruck-)Sack, der sich frei
Jedesmal wandelt!

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Die Kyobun

Das Kyobun verhält sich zu dem Kyoka wie das Haibun zu der Haikai. Es ist die volkstümlichere Art, die aber so wie die Haikai von den besten Autoren des Kyoka mit vollem Erfolg gehandhabt wurde. Die besten dieser »komischen Geschichten« finden sich aber wohl in den Romanen. So zum Beispiel das folgende parodistische Stück des berühmten Samba, in Anspielung auf die konfuzianischen »Fünf Kardinaltugenden« (Go-jo).

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Die »Fünf Tugenden« des Volksbades

Im allgemeinen kann man die Fünf Tugenden des Volksbades so erklären: Es wärmt, es entfernt den Dreck, es heilt Krankheiten und es beseitigt die Müdigkeit: das ist seine »Menschlichkeit«. Man nimmt dem Nächsten den Eimer, dafür übergibt man ihm seinen leeren Eimer, man nimmt nicht zu viele Eimer für sich allein in Beschlag: Das ist seine Gerechtigkeit. Man spricht höflich beim Eintritt: »Verzeihen Sie, mich fröstelt« oder »Bitte wollen Sie mich durchlassen!«, »Lassen Sie sich das warme Wasser recht behagen!«, »Auf Wiedersehn« und ähnliches: Das sind seine guten Sitten. Man reinigt sich mit Reiskleie, mit Seifenpulver, mit Bimsstein: Alles das macht die Weisheit (das Wissen) aus. Beklagt sich jemand, daß das Wasser zu warm sei, so gießt man kaltes zu, und im entgegengesetzten Falle warmes. Auch reibt man sich gegenseitig den Rücken: Das ist die Einfalt. – Da die Volksbäder alle Kardinaltugenden aufweisen, kommen ihren Besuchern die Lehren des eckigen Gefäßes (alte sakrale Form) und des runden Eimers zugute: Sie bringen ihnen ins Gedächtnis, daß das Wasser die Gestalt seines Behälters annimmt. Sie lehren also, sich mit aller Welt zu vertragen, dabei aber doch rein zu bleiben wie sogar die Geräte des Volksbades.

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Das Drama

Außer dem oben genannten »No« für ein mehr auserlesenes Publikum kennt die japanische Literatur auch eine eigentliche Volksbühne. Diese aber entwickelte sich im Gegensatz zu der chinesischen Bühne erst in der Tokugawa-Zeit.

Als Begründerin der Gattung erscheint eine Frau: Okuni, Tänzerin an dem großen, von uns oft genannten Tempel zu Idsumo. Diese entfloh im Jahre 1603 nach Kioto in Gesellschaft eines ehemaligen Samurai, wo sie zunächst in dem ausgetrockneten Bette des Kamoflusses die heiligen Tänze öffentlich aufgeführt haben soll. Danach sammelte sie eine weibliche weltliche Truppe, mit der sie die »Kabuki« (Stücke für Gesang und Tanz) aufführte, in Anlehnung an die No und besonders die »Tollstücke«. Der Name blieb dann dem Volksstücke im allgemeinen. Später tauchte Okuni in Yeddo wieder auf mit einer Truppe von Männern und von der Prostitution nicht weit entfernten Frauen. Das war das sogenannte »Keisei-Kabuki«, das Theater der Kurtisanen. Doch die Regierung des Shogun verbot ganz allgemein das Auftreten von Frauen auf der Bühne. Diese wandelte sich nun in das »Wakashu-Kabuki«, das »Theater der Jünglinge«, dessen Aufführungen jedoch den gleichen Charakter trugen. Die Popularität dieses Theaters stieg von Jahr zu Jahr; seit 1639 gab es Aufführungen im Freien, die sogenannten »Shibai« oder »Szenen auf der Wiese«, welcher Ausdruck später das Theater überhaupt bedeutete. Das Niveau der Stücke und der Aufführungen hob sich langsam im folgenden 18. Jahrhundert zu einer wirklichen Höhe.

Diese spätere Blütezeit geht interessanterweise auf das Puppentheater zurück. Seit längerem wurde die »Geschichte der Joruri, in zwölf Stücken«, ein Kurtisanenstück aus dem 16. Jahrhundert in eigentümlicher Weise vorgetragen von Biwa-Spielern, den Nachfolgern ältrer Rezitatoren. Diese Joruri wurde so häufig vorgetragen, daß der Name allmählich ganz allgemein für jede Rezitation dieser Art galt. Um 1700 vereinigte dann der Jorurirezitator Menukiya Chodsaburo seine Kunst mit dem Marionettenspiel eines gewissen Hikita zu dem »Joruri-Puppenspiel« (Ayatsuri-Joruri), zu dessen frühesten Gönnern der Kaiser selbst zählte. Diese Gattung verdrängte in kurzer Zeit völlig das alte »Kabuki«; in dem »Takemotosaal«, dem 1685 in Osaka eröffneten Marionettentheater des Gitarrensängers Takemoto Gidayu, wurde mit solchem Erfolg gespielt, daß der letztere Personenname Gidayu fortan wie Joruri zugleich Ausdruck für Theater überhaupt ward. Dieser Bühne wurden die Stücke der beiden besten dramatischen Dichter Japans, des Chikamatsu Mondsaemon und des Takedan Idsumo übergeben. Gegen diese Konkurrenz versuchte das Kabuki bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts sein Programm literarisch zu verbessern. Es entstanden die Gattungen des »Geschichtsstückes« (Jidai-Mono) und der Sittenkomödie (Sewa-Mono). An Stelle des alten Marionettenspiels mit seiner rezitatorischen Begleitung, gab es also fortan einen richtigen Bühnendialog, allerdings noch mit Resten von Chor und Orchester. Dieses verbesserte Kabuki wurde dann im einzelnen wiederholt reformiert, so besonders 1847 die Sittenkomödie. In dieser Form hat es sich bis auf den heutigen Tag als eine Art Melodram in den »Kiakuron«, den Rollenbüchern der Schauspieler, erhalten.

Von den beiden obengenannten Dichtern seien hier eine Szene und ein Akt mitgeteilt, und zwar von Chikamatsu der Teil eines Joruri, von Takedan ein Kabukiakt aus dem Chushingura, dem berühmtesten Stück Japans.

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Chikamatsu

Chikamatsu war der eigentliche Schöpfer des populären Dramas, dessen unerreichter Meister er nach Ansicht der Japaner geblieben ist. Er wurde 1653 in der Provinz Choshu geboren und in verschiedenen vornehmen Häusern Kiotos erzogen; ehe er seine literarische Berufung entdeckte, lebte er wie ein Vagabund. Von 1685 bis zu seinem Tode 1724 hörte er nicht auf, für das Theater zu schreiben, und das mit einer genialen Leichtigkeit. Er war ungeheuer produktiv. Wohl hundert Stücke schrieb er, die meisten in fünf Akten. In dem bekanntesten, »Kokuseny-Kassen« (1715) erzählt er uns von den »Kämpfen des Kokusenya«, eines kühnen Piraten, Sprößlings eines Chinesen und einer Japanerin, der die Holländer von Formosa (1661-1662) verjagte. Später wandte sich der (adlige) Dichter bürgerlichen Stoffen zu, und stellte die Typen der gleichzeitigen Romanliteratur auf seine primitive Bühne. »Yugiri und der brausende Wirbelwind von Awa« ist eine seiner »höfischen Komödien« (Keïsei-Kyogen), die eine so große Rolle in der damaligen Literatur spielten. Yugiri war eine Schönheit, die bereits kurz nach ihrem Tode (1678) Gegenstand eines Schauspieles, verfaßt von dem Schauspieler Sakata Tojuro, wurde. Chikamatsu nahm dies Motiv der niederen Gattung des älteren Kabuki und gestaltete es zu einem poetischen Joruri. Er schilderte die Liebe der Heldin zu einem Haussohne Fujiya Idsaemon. Die Kurtisane wird als Vorbild echter Treue dargestellt. Der »Wirbelwind von Awa« ist ein die Liebenden verfolgender Samurai.

In der hier übertragenen Szene des Stückes findet sich der Held in dem Freudenhaus ein, um dort seine Yugiri immer wieder zu sehen. Die Sprache des Stückes ist eine Art rhythmischer Prosa, deren Pausen wir durch Striche wiedergeben. Bei solchen Aufführungen saß der Rezitator vor einem Pult und bezeichnete diese Pausen durch Fächerschläge. Er sprach mit wechselnder Stimme den ganzen Dialog sowie die verbindende Erzählung. Nur im eigentlichen Puppentheater wurden die einzelnen Rollen für sich aus einer Art Proszeniumloge gesprochen, während Chor und Orchester den musikalischen Teil vortrugen. So sang der Chor – wie bereits im alten No (Yokyoku) – auch alles, was wir heute als »Szenische Bemerkung« wiedergeben würden. Die zweite Person der Szene, Kidsaemon, ist der Besitzer des Hauses.

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Chor: Zu Ende des Monats Shiwasu (der letzte Monat des Jahres, unmittelbar vor der Neujahrseintreibung aller Schulden). Idsaemon blickt in kläglichem Aufzug in das Yoshidaya (das Freudenhaus). Er fragt:

Idsaemon: Ist Kidsaemon zu Hause? – Kidsaemon! Kidsaemon!

Chor: Da sagte hochmütigen Tones

Ein Bedienter: – Wer ist der Mensch? – Ist es der Windgott? Ist es eine Scheuche? – Er fragt hochmütig: Ist Kidsaemon zu Hause? – Wie ein Mensch, der Geld hat. – Wie einer, der hundert Goldstücke an einem Abend ausgibt.

Idsaemon: – Hundert Goldstücke sind für mich gar nicht viel – ich will den Kidsaemon sehen, hab' ein Recht darauf.

Der Bediente: – Was wollen Sie wissen? – Ich werde es Ihnen sogleich zeigen. –

Chor: Mit diesen Worten greift er nach einem Besen und bedroht ihn. – Jetzt kommt Kidsaemon herzu.

Kidsaemon: – Was tut ihr, ihr Bedienten? – Wollt ihr nicht höflich sein? – Wer sind Sie, Herr? –

Chor: Er blickt ihm unter seinen großen Hut –

Kidsaemon: Sind Sie nicht Idsaemon? – Freut mich sehr, Sie zu sehen. – Ich hörte schon in Umamachi, daß Sie in Kioto sind. – Frau Yugiri hat Ihnen wiederholt geschrieben. – Sie hat auch zwei-, dreimal Leute zu Ihnen geschickt. – Wir haben just von Ihnen gesprochen. – Bitte, treten Sie hier immer ein! – Wir wollen von den Vorfällen der zwei Jahre uns unterhalten.

Chor: Damit zieht er ihn am Ärmel hinein.

Idsaemon: – Ziehen Sie nicht zu sehr an meinem Papierkleid. – Wenn Sie so zerren, wird es reißen. – Wenn Sie es zu fest halten, wird es gedrückt.

Chor: Damit zieht Idsaemon die Schuhe von den Füßen und betritt das Haus. – Kidsaemon denkt: ob ihm nicht kalt ist? – Darum bringt er ihm ein gefüttertes Kleid aus Seidenkrepp.

Idsaemon: – Ich danke vielmals. – Ich bin die Kälte schon gewohnt. – Und ich kann sie in meinem Papierrock recht gut aushalten. – Aber ich danke Ihnen darum nicht minder. –

Chor: Er tut das Gewand um. Kidsaemon blickt ihn an.

Kidsaemon: Wie hat sich doch alles verändert! Der Herr Idsaemon von Fujiya. – Er müßt' einen Rock von Chinaseide tragen. – Das wäre noch immer kein Luxus. – Und Sie bedanken sich für meinen Rock! – Sie machen mich ganz verlegen.

Idsaemon: – O Kidsa, mich kränkt es gar nicht, daß ich dieses Papiergewand tragen muß. – Auch die Rinder und Pferde können gut – schwere Lasten und Holzlasten tragen. – Und wenn Hunde und Katzen das täten, wäre es verwunderlich. – So ist es auch mit mir. – Ich in einem Papierkleid. – Ich schleppe eine Schuld von Goldmünzen auf meinem Buckel. – Und das tut mir gar nichts – Idsaemon von Fujiya ist ein Mann dazu. – Seinesgleichen gibt es nicht in ganz Japan. – Mein Leib ist Geld wert. –

Kidsaemon: – Sie sind auch Geld wert. – So bringen Sie mir also Geld! – Es wird uns gut gehen. –

Chor: Er bietet ihm Reiswein an. Seine Frau kommt mit dem Reiswein und den Schalen.

Die Frau: – Herr Idsaemon, wie lange schon hab ich Sie nicht gesehen! – Ich freue mich wirklich über Ihren Besuch. –

Idsaemon: Ihr seid beide zu liebenswürdig. – Doch ihr redet gar nicht von Yugiri. – Man sagte mir, Yugiri sei aus Unruhe über mich – krank geworden. Die Krankheit ist doch nicht ernst. – Sie ist doch nicht gefährlich? – Ach, ist sie vielleicht schon tot? – Der Herbstnebel? (auf japanisch: Yokiri).

Chor: Und Idsaemon trocknet seine Tränen. –

Kidsaemon: Sie haben recht, es war so. – Frau Yugiri war im letzten Herbst wirklich sehr krank, doch geht es ihr jetzt viel besser. – Ein Samurai aus Awa ist vor einigen Tagen gekommen. – Er unterhält sich mit Frau Yugiri hier nebenan.

Chor: Idsaemon ist davon überrascht. –

Idsaemon: –Ist das wirklich wahr? –

Kidsaemon: – Nichts ist gewisser. – Gehen Sie selbst in das Nebenzimmer, – Sie werden sich selbst überzeugen mit eigenen Augen.

Chor: Idsaemon ist in stummer Verzweiflung.

Idsaemon: – Frau Kidsaemon, seit der Himmel steht und die Erde – hat es noch keine getreue Kurtisane gegeben – und noch keinen Phönix. – Nun aber lieb ich die Ungetreue gar nicht mehr. – Allein, jedoch, Sie wissen, ich hab' von ihr einen Sohn. – Einen Knaben, der bald sieben Jahre wird. – Man sagt, sie hätte ihn zu einer Pflegemutter getan. – Und deshalb bin ich heute hier. – Und doch hat sie ihn wohl gar nicht dahin getan. – Gewiß hat sie ihn ermordet, in den Fluß geworfen. – Der Samurai von Awa hier da drin – ist sicherlich mein früherer Nebenbuhler. – Fürwahr, besser kauft man Lumpen ein – als Schwüre einer Kurtisane. – Ich gab ihr soviel Geld. Für Liebesbriefe – hätte ich Lumpen eingekauft. – Für siebenhundert Goldstücke – einen Fuji aus Papier hätte ich aufbauen können. – So netzte ich den Ärmel meines Papiergewands – mit ganz überflüssigen Tränen. – Ich nehme Abschied von euch – solang es noch hält.

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Nun wird Idsaemon von seinen Wirten zurückgehalten und sieht seine Geliebte wieder. Er läßt sich überzeugen, daß sie ihm treu geblieben ist. Der angebliche Samurai war dessen als Mann verkleidete Gattin. Da diese kinderlos ist und den Sohn Yugiris für gezeugt von ihrem Mann hielt, war sie ihn zu adoptieren gekommen. Alles wird nun zugunsten des Kindes geregelt, und beide Eltern, Idsaemon und Yugiri, treten, um sich nicht von ihm zu trennen, in die Dienste des Samurai. Doch eines Tages ist Idsaemon so unvorsichtig, das Kind über seine Geburt aufzuklären, der Samurai entläßt darauf alle drei, und sie führen wieder ein elendes Leben. Da erkrankt Idsaemons Vater, der den verschwenderischen Sohn enterbt hat, schwer, er läßt die Liebenden rufen und gibt, gerührt von Yugiris schöner Gesinnung, seine Einwilligung zur Ehe. Man bringt das Kind zu ihm und er gewinnt neuen Lebenswillen, wird wieder gesund, und alle leben fortan glücklich in einem auch von dem japanischen Publikum bevorzugten »happy end«.

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Takeda Idsumo

Takeda Idsumo (von 1688 bis 1756) war Chikamatsus eigentlicher Nachfolger, den er, wenn nicht an Berühmtheit, so an Begabung ungefähr erreichte. Die Japaner schätzen an Chikamatsu besonders die herrliche Sprache. Idsumo ist ihm jedoch zumeist in der Komposition über. Der blutrünstige, aufregende Charakter des Geschichtsstückes ist aber bei beiden der gleiche, ebenso wie das erotische Niveau ihrer Sittenkomödien. Zu den berühmtesten Stücken Takedas (die er zum Teil zusammen mit Mitarbeitern verfaßte) gehört der »Spiegel der Schönschreibekunst des Suga-wara« (des Michidsane, Seite 105), »Die Dorfschule« (Terakoya) und vor allem Japans Lieblingsdrama »Der Fonds der getreuen Vasallen« (Chushingura). Dies ist die dramatisierte Geschichte der Blutrache der siebenundachtzig Ronin, zu deutsch: Wellenmänner, d. h. deklassierter Ritter ohne Stellung und Einkommen. Solche Katastrophen ereigneten sich vor allem bei der kriegerischen oder strafweisen Auflösung (und eventuellen Konfiskation) eines Lehns-Verbandes. Dann konnten die Ritter nicht mehr standesgemäß leben, sondern lebten vielfach, wie man etwa im deutschen Mittelalter sagte »aus dem Stegreif« als Räuber oder als Bohémiens in den Städten.

Der »Fonds oder Schatz der getreuen Vasallen« geht auf ein im feudalen Japan hochpopuläres Ereignis vom Jahre 1701 unserer Zeitrechnung zurück, ist aber von dem Dichter aus Gründen der Rücksicht ins Mittelalter zurückverlegt worden. Die für Japan außerordentlich charakteristische Geschichte ist etwa die folgende: Der junge Asano, Herr von Akao, war am Hofe des Shogun mit der Mitwirkung an dem Empfange einer Gesandtschaft des Mikado beauftragt worden; hierbei wurde er von dem vornehmeren Baron Kira aber in seiner Ritterehre so ostentativ und gewalttätig gekränkt, daß er schließlich im Palaste des Shogun selber gegen diesen Vorgesetzten das Schwert ziehen mußte. Für diesen Bruch des Burgfriedens wurde Asano dem Gesetze gemäß zum Tode, d.&nbsp;h. zum ritterlichen Selbstmord, verurteilt, sein Geschlecht für erloschen erklärt, sein Vermögen eingezogen und entsprechend der japanischen Auffassung auch seine Vasallen sämtlich mit Einziehung ihrer Lehen bestraft. Der Baron Oishi, eine Art Haushofmeister des Hingerichteten, verschwor sich darauf heimlich mit 46 getreuen Vasallen zur Blutrache mit Einsetzung des eigenen Lebens. Diese 46 »Ronins« lebten, um ihre Verschwörung vor den Polizeibehörden ganz geheimzuhalten, als einfache Handwerker oder Landstreicher. Oishi, das Haupt der Verschwörung, verstieß Frau und Kinder, heiratete in Kioto eine Prostituierte und führte ein so wüstes, trunkenes Leben, daß, wie wenigstens die Dichtung angibt, seine ehemaligen Standesgenossen ihn sogar auf der Straße mit Füßen traten. Alles dieses geschah, um die Behörden und den Beleidiger Kira vollkommen in Sicherheit zu wiegen. Im Januar 1703 aber überfielen die Verschworenen während eines schrecklichen Schneesturmes den Baron Kira in seiner Residenz, die sie erstürmten, wobei sie alle männlichen Bewohner niedermachten und den Baron endlich im Herde versteckt fanden. Oishi und seine Mitverschworenen knieten vor ihm nieder als ihrem Vorgesetzten und forderten ihn in aller Form zum Selbstmord, in Sühne des erzwungenen Selbstmordes ihres Lehnsherrn, auf. Kira weigerte sich und Oishi erstach ihn darauf, angeblich mit demselben Schwerte, mit dem sein Lehnsherr sich hatte umbringen müssen. Dann löschten die Verschworenen alle Feuer im Hause, sprachen den Witwen und Waisen Trost zu, und zogen sich mit dem blutigen Haupte Kiras in Ordnung und von der Bevölkerung freundlich aufgenommen zurück. Auch ein Teil des Adels bewirtete sie, die Polizei des Shogun ließ sich nicht blicken. So gelangten die Verschworenen in das Kloster, zur Grabstätte ihres Lehnsherrn, an dessen Toren sie von dem Abt feierlich empfangen wurden. Dort legten sie an der Gruft des Asan das Haupt Kiras als Opfer nieder, brachten die gewöhnlichen anderen Opfer dar und erwarteten, während die Mönche ihre Gebete verrichteten, das zu erwartende Todesurteil aus der Hauptstadt. Einer nach dem anderen verübten sie dann in den umliegenden Schlössern offiziellen Selbstmord, worauf sie rings um die Grabstätte ihres Lehnsherrn bestattet wurden. Zur Ausführung ihrer Blutrache hatten sie einen Fonds sammeln müssen, nach dem Chikamatsus Stück (übrigens nur eine von den vielen Dramatisierungen des Themas) benannt ist. Das Chushingura wird noch heute als einziges altes Historienstück in seinem ganzen Umfange, nämlich mit zwölf Akten, aufgeführt. Der sechste Akt enthält die Episode des Ronin Kampei, der zunächst von der Verschwörung als ungetreu ausgeschlossen blieb, dafür, daß er während der tragischen Gefängnisszene im Shogun-Schlosse seinem Lehnsherrn, wenn auch ohne bösen Willen, nicht zur Seite gestanden hatte; dann aber wegen seiner in den mitgeteilten Szenen geschilderten wahren Treue ehrenhalber bei seinem Tode in die Liste der Verschwörer, übrigens 46 Ritter und ein Diener, mit aufgenommen wurde.

Wieweit diese gewiß großartige Geschichte historische Wahrheit und wieweit sie ein romantischer Überbau über den einfachen Bericht von einem politisch-wirtschaftlichen Zusammenbruch einer Feudalgruppe ist, läßt sich natürlich nicht ohne weiteres feststellen. Für die sittlichen und literarischen Ideale Japans bleibt sie unter allen Umständen hochbedeutsam.

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Aus dem »Schatz der getreuen Vasallen«

Der Ronin Kampei wird von Mutter und Schwiegermutter auf der Burg seines Schwiegervaters erwartet. Dieser selbst ist ausgegangen, um mit dem Besitzer eines Freudenhauses in Kyoto einen Verkaufsvertrag betreffend seine Tochter abzuschließen. Der Kaufschilling soll in den »Schatz der Getreuen« wandern.

 

Die Mutter: Ich weiß nicht, wo dein Vater bleibt. Ich bin zu unruhig. Ich bin schon einmal das Dorf zu Ende gelaufen. Auch da ist nicht einmal sein Schatten.

Okaru: Auch ich kann es mir nicht erklären. Ich will nochmals hineilen.

Mutter: Nein, laß das. Eine junge Frau soll nicht allein ausgehen. Und du wolltest doch nicht einmal ins Dorf hinunter, als du noch ganz Kind warst. Man schickte dich an den Hof des Herrn Enya. Du aber hattest immer nur Heimweh nach dem dichtbewachsenen Wall. So mußte man dich zurücknehmen. Jetzt lebst du mit Kampei. Du scheinst ja glücklich.

Okaru: Verwundert dich das, Mütterchen? Ist eine Frau mit dem geliebten Manne, was kümmert sie dann ein verlornes Dorf oder die Armut? Jetzt wird doch bald das Allerseelenfest sein, und ich werde mit Herrn Kampei mir die Tänze ansehen. Du sagtest doch, du hättest schon im Dorfe singen gehört. Sag, erinnerst du dich noch deiner Jugend?

Mutter: Du plauderst so heiter, und doch weiß ich in deinem Herzen ...

Okaru: Nein, nein, für meinen Gemahl in Gionmachi (Dirnenstraße), dazu bin ich jederzeit bereit. Ich bin nur bekümmert, daß ich euch alte Leute in der Not lassen soll. Mein Bruder war arm, doch ein Vasall des Herrn Enya. Ihr könnt keinen Fremden um Beistand bitten.

(Prodit Ichimonjiya mit einer Sänfte)

Ichimonjiya: Wir sind am Ort. Ist Herr Yoichibei im Hause?

Mutter: Ihr müßt von weit kommen. Tochter, bring das Rauchgeschirr und den Tee!

Ichimonjiya: Was ich sagen wollte: Gestern abend hat der Herr Gemahl schwere Not gehabt. Er ist doch glücklich heimgekehrt?

Mutter: Wie das; mein Gemahl ist nicht bei Ihnen?

Ichimonjiya: Merkwürdig. Noch nicht heimgekehrt. Haha! er wird vor dem Tempel des Reisgottes spaziert sein, da wird ihn irgendein Fuchs mit der Perle am Schweif verzaubert haben. – Was ich sagen wollte: Es bleibt dabei, was ich mit Ihnen abgemacht habe: Eure Tochter wird auf fünf Jahre in Dienst gestellt. Das Entgelt hundert Dukaten. – Wir haben uns die Hände geschüttelt. Der Herr Gemahl sagte: »Ich muß noch heut abend eine Zahlung leisten; fertigt das Papier aus und zahlt mir die hundert Dukaten dafür!« Er bat mich darum unter Tränen. Also hab ich ihm nach dem Vertrag die Hälfte ausbezahlt. Den Rest von fünfzig Dukaten, nicht wahr, soll ich, nach Abmachung, gegen die Dame anfordern. Damit ging er glücklich fort. »Reiset doch nicht bei Nacht mit dem vielen Geld!«, rief ich ihm noch nach. Er aber hörte auf mich nicht. Fort war er. Ich denke, er hat sich gewiß irgendwo unterwegs aufgehalten.

Okaru: Es gibt aber doch keinen Ort, wo er sich hätte aufhalten können.

Mutter: Er mußte sich doch freuen, daß er uns das Geld zeigen könnte. Er mußte doch schleunigst zurückkommen, je eher, je lieber. Ich begreife das gar nicht.

Ichimonjiya: Ob Sie es begreifen oder nicht, das geht mich gar nichts an. Ich nehme die Dame mit mir gegen den Rest der Summe. Hier die restliche Kassa: fünfzig Dukaten. Macht hundert Dukaten im ganzen. Ich händige sie Euch also ein. Bitte sie zu nehmen!

Mutter: Aber, Herr Ichimonjiya, solange der Vater nicht zu Hause ist, kann ich Okaru nicht ausliefern.

Ichimonjiya: Wir vertrödeln die Zeit. Das gibt's nicht. Hier sehen Sie das Siegel Ihres Gatten! Die Person, die ich mit meinem Geld gekauft habe, gehört mir. Jeder Aufschub, auch nur um einen Tag, bedeutet für mich einen Vermögensverlust.

(Er nimmt die junge Frau an der Hand und will sie fortführen)

Mutter: Einen Augenblick!

(Er drängt die Mutter von sich und stößt Okaru in die Sänfte – Prodit Kampei, ein Gewehr auf der Schulter, in einem Strohmantel, mit einem Binsenhut)

Kampei: Mein Weib, was tust du in der Sänfte? Wohin willst du?

Mutter: O Herr Kampei, Ihr seid im rechten Augenblick nach Haus gekommen.

Kampei: Ihr habt da irgendein Geheimnis miteinander. Meine Mutter, Frau, erkläret mir!

Ichimonjiya: Ihr seid der Gatte meines Dienstmädchens. Hier, bitte, das Siegel des Vaters mit der Bestimmung, daß nicht der Gatte noch sonst irgendein Dritter gegen den Vertrag Einwände machen kann. Also, sowieso. Liefern Sie mir meine Dienerin!

Mutter: O mein Sohn! Ihr wißt es ja nicht. Kürzlich habe ich durch meine Tochter erfahren, daß Ihr Geld braucht; wir hätten es Euch gern gegeben, doch wir haben gar nichts. Da sagte Vater: »Vielleicht denkt er daran, seine Frau zu verkaufen. Und er hat nicht genug Vertrauen zu seinen Schwiegereltern, um es ihnen vorzuschlagen. Es ist besser, Yoichibei verkauft seine Tochter hinter dem Rücken des Sohnes. Im Notfall muß der Samurai ja sogar töten, um Geld zu haben. Wie könnte es da schändlich sein, sein Weib zu verkaufen für den Lehnsherrn!« – So ist er gestern nach Gionmachi gegangen, doch er kommt nicht zurück. Und als wir so in der Unruhe saßen, da kam dieser Herr und erzählte, das halbe Geld habe er schon dem Vater gegeben; für fünfzig Dukaten will er jetzt die Tochter mitnehmen. Ich machte ihm umsonst begreiflich, er müsse doch die Rückkehr des Vaters abwarten. Er will auf mich nicht hören. Er will sie sogleich mitnehmen. Was ist zu tun, Herr Kampei?

Kampei: Bei den Göttern, die Güte meines Vaters ist sehr groß. Unerwarteterweise habe ich da etwas Besseres. Ich werde es sogleich sagen. – Unter keinen Umständen darf meine Frau vor der Rückkehr des Vaters ausgehändigt werden.

Ichimonjiya: Warum denn nicht?

Kampei: Man muß die Rückkehr des Vaters abwarten. Ich bezweifle allerdings nicht, daß Sie ihm gestern abend die fünfzig Dukaten, also die halbe Summe, gegeben haben.

Ichimonjiya: Nun also! Ich bin Ichimonjiya, in ganz Kioto und Osaka als Besitzer bekannt von so vielen Damen, wie die Fraueninsel hat. Ich bin viel zu stolz, um zu behaupten, ich hätte bezahlt, wenn ich nicht bezahlt habe. Überdies ist hier noch ein Beweis. Als Ihr Herr Vater die fünfzig Dukaten in einem Taschentuch forttragen wollte, warnte ich ihn: »Das ist zu gefährlich. Bindet Euch das um den Hals!« Ich gab ihm einen Geldbeutel aus demselben Stoff und derselben Zeichnung, wie das Kleid hier an meinem Leibe. Er wird bald hier sein mit dem Beutel an seinem Hals. Ist das dann vielleicht ein Beweis?

(Kampei zieht heimlich einen Beutel aus seiner Brust, erschrickt)

Kampei (beiseite): Alles verloren! Es war der Vater!

Okaru: Mein geliebter Gatte, errege dich nicht, aber sprich: Muß ich nun fortgehen oder nicht?

Kampei: Jawohl. Da er das versichert, mußt du fortgehen.

Okaru: Und darf meinen Vater nicht zuvor sehen?

Kampei: Ich habe den Vater noch heute morgen gesehen. Es ist unbestimmt, wann er zurückkommt.

Okaru: Ihr habt den Vater gesehen? Warum sagt Ihr das jetzt erst? Warum ließet Ihr uns in der Unruhe?

Ichimonjiya: Das Sprichwort sagt: »Eh du einen Menschen beschuldigst, untersuche die Sache siebenmal.« Nun habt Ihr also Nachricht von Eurem Vater. Da können wir beide beruhigt sein. Es ist mir sehr angenehm, daß die Sache so beendigt ist. Okarus Mutter und Gatte, wenn ihr bei Gelegenheit an der Sechsten Straße vorbeikommt, besucht mich bitte! Und Ihr, bitte, jetzt in die Sänfte!

Okaru: Herr Kampei, ich gehe also fort. Ich empfehle Euch meine armen greisen Eltern, besonders den Vater, der so oft krank ist. Sorgt für ihn!

Mutter: Mein Sohn, Ihr wollt gewiß Eurer Frau Lebewohl sagen. Nur, fürchte ich, ihr könntet beide schwach werden.

Okaru: Ich bin ganz schmerzlos. Ich bin ja für meinen Gatten verkauft. Ich gehe ganz froh, Mutter. Nur soll ich gehen, ohne den Vater gesehen zu haben?

Mutter: Dein Vater wird sogleich zurückkommen. Gebrauche recht fleißig die Salbe, damit du nicht krank wirst, und wenn du zurückkehrst, will ich sehen, daß du gut aussiehst! Du hast Taschentücher mit und einen Fächer, alles, was du brauchst, und errege dich nicht! Gib auch acht, daß du nicht hinfällst und dich verletzest! Nun ist es gut. Leb wohl! (Exit Okaru.) Warum bin ich so unglücklich? Meine Tochter ist doch so hübsch wie jede andere?

(Okaru weint in der Sänfte – Exit Ichimonjiya mit den Trägern)

Mutter: Ach, da haben wir schlecht gehandelt. Meine Tochter wird sicherlich unglücklich sein. Doch, mein Sohn, ich selbst, die Mutter, habe alles aufgegeben. Denkt jetzt nicht mehr an Euer Weib! – Doch warum kommt mein Mann nicht? Ihr sagtet doch, Ihr habt ihn noch kürzlich gesehen.

Kampei: Hm, das hab' ich.

Mutter: Wo aber? Wo habt Ihr ihn denn gelassen?

Kampei: Wo ich ihn gelassen habe? – Vielleicht in Toba ... in Fushimi ... Yodo ... oder in Takeda? ...

(Prodeunt drei Jäger mit dem Leichnam eines Greises in einem Strohmantel auf der Schulter)

Der eine Jäger: Da wir in den Bergen streiften nach getanem Werk, haben wir so Euren Gemahl gefunden, ermordet. Wir bringen ihn her.

Mutter: Wer hat das getan? – Mein Sohn, wer hat das getan? Räche du mich! Räche du mich! (Gegen die Leiche gekehrt) Mein Gatte, mein Gatte!

Die Jäger: Meine Dame, es tut uns furchtbar leid. Man muß auf das Bezirksamt gehen, den Mörder ausforschen lassen. (exeunt)

Mutter: Mein Sohn, es scheint mir unmöglich, und doch kann ich Euch nicht begreifen! Gewiß wart Ihr ehemals ein Edelmann, und doch kann ich mir nicht erklären, daß dieser Anblick Eures Vaters Euch nicht berührt! Ihr seid ihm unterwegs begegnet. Ihr habt kein Geld von ihm empfangen? Was sagte er Euch denn, der alte Mann? Sagt es mir wieder! – Wie? Ihr habt mir nichts zu erwidern? Den Beweis halte ich hier in meiner Hand! (Sie zieht den Geldbeutel aus dem Gewande Kampeis) Diese Blutflecken sprechen ihre Sprache! Es ist kein Zweifel! Nur Ihr habt den Vater ermordet!

Kampei: Nein ... nein ...

Mutter: Wie, du wagst noch zu lügen? Niemals wirst du dein schwarzes Herz verdecken können. Der »Mann auf hoher Himmelsbahn« bringt alles an den Tag. Was willst du mit diesem Geld, das du deinem Vater räuberisch abgenommen hast? Ich begreife: Du dachtest, Elender, der alte Vater wolle, arm wie er war, das halbe Kaufgeld für sich behalten! Darum hast du ihn bestohlen und ermordet. Bis zur Stunde hatte ich Euch für einen ehrenwerten Mann gehalten; ich habe mich fürchterlich geirrt. Ich komme außer Sinnen! So ein Verworfener! Es stumpft mich ab, ich kann keine Träne verlieren! ( Gegen Yoichibei gewendet) Mein geliebter Yoichibei, du kanntest diesen Sohn nicht, die wilde Bestie. Darum beschlossest du im Herzen, ihn wieder zum Edelmann zu machen. Trotz deines Alters wandertest du in die Hauptstadt durch die Nacht, so sorgsam warst du für ihn. Es war dein Verderb. Der Hund, sagt man, beißt die Hand seines Herrn. ( Zu Kampei) Wie war es dir möglich, ihn so tierisch zu ermorden, du Schlangen-Dämon. Gib mir meinen Mann wieder! Bring ihn mir wieder ledendig!

(Sie faßt Kampei am Schopfe und schlägt ihn) (Prodeunt zwei Edelleute, Goemon und Yagoro, die Hüte tief ins Gesicht gezogen)

Die beiden Edelleute: Ist Herr Hayano Kampei nicht zu Hause? Hara Goemon und Sensaki Yagoro erbitten die Ehre seiner Gegenwart.

Kampei: Guten Tag, ihr Herren, ich bin geehrt durch euren Vorspruch in dieser geringen Hütte.

Goemon: Es ist doch irgend etwas vorgefallen ...

Kampei: Nichts. Eine geringe häusliche Angelegenheit. Tretet ruhig ein, bitte!

Die beiden Edelleute: Wir nehmen uns solche Freiheit.

Kampei: Ich bin sehr betrübt, da ich bei dem Großen Anlaß fern von unserem seligen Herrn abwesend war. Ich weiß, für diese Nachlässigkeit gibt es keine Entschuldigung; doch ich bitte um eure gütige Fürsprache, daß man mir verzeihe und daß ich wieder zusammen mit den andern getreuen Dienern an der Feier des Jahrestages unseres seligen Herrn teilnehmen kann. Ich bitte euch innig darum.

Goemon: Obwohl Ihr nur ein armer Junker seid, habt Ihr eine große Summe für die Kosten des Denkmals gezeichnet. Der Yuranosuke spricht Euch seine Anerkennung aus. Allein, wenn wir Ritter dieses Denkmal zu errichten gedenken, so wollen wir es zu Ehren unseres seligen Herrn tun. Wenn wir das Geld eines Mannes mit verwenden, der gegen ihn so unloyal und gleichgültig gewesen ist, so würden wir den erlauchtesten Geist unseres Herrn in seinem Herzen sicherlich erzürnen. Wir sind deshalb beauftragt, Euch das Geld zurückzustellen. Die Sendung ist nicht eröffnet.

Mutter ( in Tränen ausgebrochen): Böser Mensch, erkennst du die Rache des Vaters? – Hört an, ihr Herren, der Vater dieses Elenden, ein hochbetagter Herr, dachte nicht mehr an sich selbst und verkaufte seine eigene Tochter, um diesem Geld zu geben. Er aber lauerte ihm auf dem Heimweg auf, er ermordete und beraubte ihn. Das Geld, auf so schmähliche Weise gewonnen, darf es irgendwie eurem erhabenen Lehnsherrn dienen? Dann wäre es nicht wahr, daß wir immer dem »Mann auf der hohen Himmelsbahn« in den Augen sind. Die Götter und die Boddhisattvas wären taub vor meinen Bitten, wenn sie diesen Räuber, diesen Vatermörder ungestraft ausgehen ließen. Rächet ihr mich mit euern Händen, meine Hand ist zu schwach dazu.

( Sie bricht in Tränen aus. Die beiden Edelleute greifen zu den Schwertern und treten an Kampei heran)

Yagoro: Kampei, du Mann ohne Herz, wie vermochtest du so, mit dem Blutgeld in der Hand, um Gnade zu bitten? Du bist Vieh in Menschengestalt. Niemals wirst du das Gesetz des Samurai erfassen. Ein Bösewicht, der wie du seinen Schwiegervater getötet hat – das ist seinen Vater selbst – nur in der Absicht, um sein Geld zu rauben, er müßte von der Lanze des Henkers durchstoßen werden.

Goemon: Der Weise der Vorzeit predigt sogar: »Wenn du durstig bist, darfst du nicht aus der Quelle der Diebe trinken«. Wie konnte das Geld, um das du den Vater erschlagen hast, jemals im Dienst unseres seligen Herrn verwendet werden? Unser Herr Yuranosuke nahm an, daß dein Geld nicht auf ehrlichem Wege erworben sei. Darum nur befahl er, es dir zurückzustellen. Die Kraft seiner Gedanken ist wirklich bewundernswert. Um der Götter willen, wenn das bekannt wird in der Welt, wird es überall heißen, daß Hajano Kampei, ein Lehnsherr des Enya Hangwan, eine schmählich verbotene Handlung begangen hat! Das ist nicht deine Schande allein, das gereicht auch zur Schande unseres seligen Herrn. Hast du das nicht bedacht, du Idiot! Du hattest doch Verstand genug gehabt, dies hier nicht an dich zu nehmen. Welcher Geist ist in dich gefahren?

(Kampei nimmt schnell seinen Dolch und stößt ihn sich in den Bauch)

Kampei: Verzeiht, ich bitt euch, mein unseliges Abenteuer! Ich beschloß, mir den Leib zu öffnen, wenn ich meine Begnadigung nicht erlangen könnte. Nun aber kann die Ermordung meines Schwiegervaters zur Schande unseres seligen Herrn gereichen. Ich muß mich daher erklären. Seid ihr Herren so gütig, mich anzuhören! Gestern abend, nach meinem Besuch bei Herrn Yagoro, wanderte ich auf einem finstern Waldpfad. Da stieß ich auf einen Eber und erlegte ihn sogleich mit zwei Kugeln. Ich ging heran an das Tier. Als ich hingriff, war es kein Eber. Es war ein reisender Mann. Es war alles zu spät. Ich dachte, er hätte vielleicht Heilmittel bei sich; so suchte ich in seinem Gewande, und zu meiner Überraschung fand ich hier den Beutel mit Geld. Ich sah wohl ein, daß der Erwerb unredlich war, dennoch dacht' ich, er wäre mir vom Himmel geschenkt. Ich nehme das Geld, ich gehe zu Yagoro und händige es ihm ein. Nach Hause zurückgekehrt, erfuhr ich, daß der Getötete mein Vater war und daß das von mir geraubte Geld das Kaufgeld für mein Weib sei. Also ist alles entgegengesetzt gekommen, wie ich dachte. Nicht anders als die beiden gekreuzten Schnäbel eines Kreuzschnabels. Kampei, du bist auf das gründlichste von dem Waffenglück verlassen! Ihr Herren, habt Mitleid mit mir!

(Er bricht in Tränen aus. Yagoro nähert sich der Leiche und untersucht die Wunde)

Yagoro: Herr Goemon, das seht Ihr, diese Wunde sieht nicht wie eine Kugelwunde aus! Doch ist es eine Säbelwunde. Kampei, du bist zu voreilig gewesen!

(Kampei zeigt durch eine Bewegung sein Erstaunen, ebenso die Mutter)

Goemon: Wirklich, Herr Sensaki, ich erinnere mich, auf unserem Wege haben Sie doch einen Wanderer mit einer Schußwunde gefunden. Wir erkannten in ihm den Sadakuro, den Menschen, der von seinem Vater, dem bekannten Geizhals Ono von Kodoyu, wegen seines Betragens aus dem Hause gejagt wurde. Dann hieß es, der Mensch wäre Straßenräuber geworden. Er muß es gewesen sein, der Kampeis Vater umgebracht hat.

Mutter: Also ein anderer hat meinen Gatten erschlagen. ( Gegen Kampei gerichtet) Ich bitte Euch mit aufgehobenen Händen; als blödes altes Weib hab' ich mich gegen Euch hinreißen lassen. Ich bitt Euch um Verzeihung. Verzeiht mir, Herr Kampei! Scheidet nicht im Zorn gegen mich!

Kampei: Nun gibt es den Verdacht der Mutter und meine Unehre nicht mehr. Ich gehe hin zu meinem Vater. Neben ihm werde ich den »Scheideweg der Drei Pfade« betreten. Meinen Leib, ich will ihn jetzt öffnen.

Goemon: Halt ein, halt ein! Ohne Vorwissen habt Ihr den Feind Eures Vaters erschlagen. Beweist das nicht, daß Euer Waffenglück noch nicht am Ende ist, daß der göttliche »Bogenschütze« Euch noch gnädig ist? Solange Ihr noch am Leben seid, hat Goemon Euch etwas zu zeigen. ( Er nimmt eine Schreibrolle aus dem Kleid, entfaltet sie und liest:) »Jetzo, in Blutrache unseres seligen Herrn an seinem Feind Ko von Mornao, schwören wir einen feierlichen Schwur – unser Urkund dessen haben wir unsere Siegel beigelegt.«

Kampei: Gebt mir noch schleunigst die Namen kund!

Goemon: Die Anzahl der Verschworenen ist fünfundvierzig. – Da wir nun Euer Herz ganz erkannt haben, setze ich Euren Namen hin. Das sind wir nun sechsundvierzig getreue Vasallen. Ich geb Euch das als Geschenk mit auf den »Weg der Finsternis«.

(Er nimmt sein Schreibzeug aus dem Gürtel und fügt den Namen bei)

Goemon: Kampei, setze darunter deinen Namen!

Kampei: Ich danke Euch.

(Er nimmt die Eingeweide aus seinem geöffneten Leibe und siegelt mit seinem Blut)

Kampei: Hier habe ich mein »Blutsiegel« daruntergesetzt. Ich bin Euch unendlich dankbar. Meine Wünsche sind erfüllt. Mutter, klagt nicht! Der Tod meines Vaters, die Knechtschaft meines Weibes, sie werden nicht nutzlos bleiben. Hier, nehmt dieses Geld, gebraucht es zu den Zwecken der Verschworenen!

Mutter: Dieser Beutel enthält das Herz des Herrn Kampei. Nehmt ihn mit Euch auf den Rachezug, als wäre es mein Sohn selber.

Goemon: Ihr habt recht, Mutter. Mit Freuden nehme ich ihn. Ich glaube, das Geld in dem Beutel von Stoff ist der goldene Buddha, der Euch die Seligkeit spenden wird.

Kampei: Seine Seligkeit, ich verachte sie! – Ich sterbe, aber meine Seele bleibt auf dieser Welt, sie folgt euch zur Rache.

Mutter ( in Tränen): Herr Kampei, daß ich meine Tochter nicht mehr verständigen kann! Daß sie nicht die Freude genießt, diesem letzten Augenblick beizuwohnen.

Kampei: Nein, nein, teilt ihr nur den Tod meines Vaters mit! Aber sprecht nicht von dem letzten Augenblick Kampeis! Mein Weib hat sich für ihren Herrn aufgeopfert. Würde sie – weil betrübt – nur ihrem Dienst nicht gerecht werden, so wäre sie pflichtvergessen auch gegen ihn. Sie soll bleiben, wo sie ist. Verständiget sie nicht! – Nun aber habe ich euch nichts mehr zu sagen.

(Er durchbohrt sich aufs neue mit seinem Dolch und stirbt)

Mutter: Ach, mein Sohn ist tot. Gibt es in dieser Welt eine Unglücklichere als ich? Mein Mann ist tot. Mein Sohn, meines Alters Stütze, ist tot. Meine Tochter ist fort von hier. Die alte Mutter, von allen verlassen, was soll sie beginnen? Mein teurer Gatte, mein geliebter Herr Yoichibei, nimm mich mit dir. ( Sie bricht in Schluchzen aus) Mein Sohn – ach – nimm deine Mutter mit! ( Sie stöhnt)

Goemon: Verehrte unglückliche Dame, Sie haben wohl Anlaß, zu klagen. Allerdings, wenn ich Bericht über den Tod Kampeis an den Herrn Oboshi erstatten werde, wird er Sie stolz und glücklich machen. Hier ist eine Summe von hundert Dukaten für die hunderttägigen Gebete und Opfer für das Seelenheil Ihres Gatten und Ihres Sohnes. – Lebt wohl! Betet mit Kraft!

Beide Edelleute: Leben Sie wohl, gnädige Frau! Leben Sie wohl! – Leben Sie wohl!

(Exeunt beide Edelleute weinend)

*

Briefe

Einigen Erfolg haben auch, wie in Europa, Briefsammlungen gehabt, aus denen wir hier zwei Briefe von Hokusai mitteilen (nach der französischen Übersetzung von Gonse). Der erste der beiden Briefe zeigt die Kunst- und Naturauffassung des berühmten Meisters, der zweite, menschlich rührende, ist unmittelbar vor dem Tode des fast neunzigjährigen Hokusai geschrieben. Sie lauten:

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Seit meinem sechsten Jahre fühlte ich den Drang, die Gestalten der Dinge abzuzeichnen. Gegen fünfzig Jahre alt, habe ich eine Anzahl von Zeichnungen veröffentlicht, aber ich bin unzufrieden mit allem, was ich vor meinem siebzigsten Jahre geschaffen habe. Erst in einem Alter von dreiundsiebzig Jahren habe ich annähernd die wahre Gestalt und Natur der Vögel, Fische und Pflanzen erfaßt. Folglich werde ich im Alter von achtzig Jahren noch große Fortschritte gemacht haben; mit neunzig Jahren werde ich ins Wesen aller Dinge eindringen; mit hundert Jahren werde ich sicherlich zu einem höheren, unbeschreiblichen Zustand aufgestiegen sein,und habe ich erst hundertzehn Jahre erreicht, so wird alles, jeder Punkt, jede Linie leben. Ich lade diejenigen, welche so lange leben werden wie ich, dazu ein, sich zu überzeugen, ob ich mein Wort halten werde. Geschrieben im Alter von fünfundsiebzig Jahren von mir, weiland Hokusai, jetzt genannt Huakiyo-Roji, der in das Zeichnen vernarrte Greis.«

 

»Der König Ema (Herrscher der Unterwelt) ist recht alt geworden und bereitet sich vor zum Rücktritt von den Geschäften. Zu diesem Zwecke hat er sich ein hübsches, kleines Landhaus bauen lassen und ersucht mich, hinzukommen, ihm einen Kakemono zu malen. Ich werde also in einigen Tagen abreisen müssen und alsdann meine Zeichnungen mit mir nehmen. An der Ecke der Straße der Unterwelt werde ich mir eine Wohnung mieten, wo ich mich glücklich schätzen werde, Dich zu empfangen, wenn Du Gelegenheit findest, dort vorüberzukommen. Hokusai.«

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