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Nambokuchozeit und Muromachizeit

Geschichtswerke

Aus der »Geschichte des Großen Friedens«

Nach den Bürgerkriegen brachte die andauernde Eifersucht des südlichen und des nördlichen Hofes ein weiteres großes Geschichtswerk, das »Taiheiki, die Geschichte des großen Friedens«, hervor. Mit ihm ist die Reihe der japanischen Geschichtsromane abgeschlossen. Der Name des Werkes »Geschichte des großen Friedens« ist allerdings etwas irreführend, da es im Gegenteil nur von Gewalttaten im Kampf der Kaiser gegen die Hojoregenten berichtet. Als Autor wird der am Hofe des Alt-Kaisers Daigo lebende Bonze Gene (1319 bis 1338) genannt, doch soll das Buch erst 1382 von anderen Mönchen abgeschlossen worden sein. Nach anderen Berichten ist der Verfasser jedoch ein anderer Mönch vom Berge Hiei namens Kojima. Jedenfalls aber dürfte es um 1370 verfaßt sein, da darin Ereignisse des Jahres 1367 berichtet werden. Der Stil ist gelehrt, beschwert mit buddhistischen Sentenzen, mit chinesischer Gelehrsamkeit und chinesischen Lehnwörtern; er hält die Mitte zwischen Prosa und Versen, in die er stellenweise übergeht wie manche Chroniken des europäischen Mittelalters, und die bereits einigermaßen an den lyrischen Schwung der späteren buddhistischen Dramen anklingen.

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Flucht des Prinzen Oto

Dieser Prinz, ein Sohn des Exkaisers Daigo, zum Shogun ernannt, wurde von den Ashikaga besiegt und zu Kamakura in ein unterirdisches Verlies geworfen, dort schließlich ermordet.

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Der Hogen (Prälat) Anatsu Kosen erkannte, wo der Prinz sich aufhielt; am frühen Morgen erschien er im Hanyaji (»Tempel der Weisheit«) mit fünfhundert Reitern. Der Prinz war ganz allein, niemand bei ihm, der auch nur auf eine Weile seine Flucht decken konnte. Viel Krieger waren schon in den Hof eingedrungen, er konnte nicht mehr in einer Verkleidung entschlüpfen. So begann er schon zum »Harakiri« die Kleider abzuwerfen. Immerhin, dachte er, hab' ich noch Zeit, bis alles verloren ist. Er besah den Altar. Vor ihm standen drei Kisten mit der »Großen Weisheit« (Daihanya, Sutren, gesammelt in 600 Bänden), die man verlesen wollte. Von zweien waren die Deckel noch nicht abgehoben, der eine stand offen, die Hälfte der heiligen Rollen war herausgenommen. In diese stieg er mit seinem erlauchten Leib, legte sich auf den Boden, bedeckte sich mit einer Anzahl der heiligen Schriften, blieb dort, für sich das »Majinai« murmelnd, auf daß sein Körper unsichtbar werde. Das eisblanke Schwert hatte er gezogen, hielt es gegen seinen erlauchten Leib, bereit, es da hinein zu stoßen, sofern er entdeckt würde. Er hörte schon einen Knappen sagen: »Hier ist der Prinz«. Und das, was da in seinem erlauchten Herzen vorging, kann man sich unschwer vorstellen. Die Söldner überschwemmten den ganzen Tempel, spähten unter den Altar, rissen den Boden auf, ließen keinen Winkel unbeachtet. Sie fanden ihn nicht. »Diese Truhen mit Daihanya sind verdächtig, wir wollen sie öffnen, sie uns ansehen.« Mit diesen Worten öffneten sie die beiden verschlossenen Truhen, warfen die Schriften heraus, stürzten sie um: er war nicht darinnen! Damit ließen sie die halbgeöffnete dritte stehen und verließen das Heiligtum.

Der Prinz sah sein Leben so wie durch ein Wunder gerettet, er deuchte sich im Traum und blieb unbeweglich in seiner Truhe. »Wenn aber die Leute wiederkämen und genauer nachsähen?« In diesen erlauchten Gedanken legt' er sich in eine der bereits durchstöberten Truhen. Und genau nach seiner erlauchten Erwartung kamen die Krieger aufs neue. »Diese Truhe, die wir noch nicht untersucht haben, ist nicht minder verdächtig.« Demnach suchten sie, warfen alle heiligen Schriften heraus, dann machten sie den Witz: Haben wir nicht die Truhe mit den Daihanya gut durchsucht? Der Prinz Oto war nicht darin, nur Genzo Sanzo von Oto (sinojapanisch für die Tangdynastie, zu deren Zeit Genzo, der Sammler dieser heiligen Schriften lebte). Über diesen Scherz lachten alle gewaltig und verschwanden durch das große Tor. »Das verdanke ich allein meiner Verehrung des Marishiten (der Marichi Dêva) und dem Schutze der »Sechzehn Guten Götter!« (wohl der sechzehn Jünger des Buddha.) Und Freudetränen fielen auf seinen Ärmel.

Da also sein Versteck nahe der Südstadt (Nara) nicht mehr sicher war, verließ er das Hanyaji und wandte sich nach Kumano. Mit ihm waren ... (es folgen die vollen Namen von neun Rittern). Der Prinz mit den Seinen legte gelbe Gewänder an, sie drückten die Hüte bis in die Augenbrauen, sie trugen Reisekisten und wählten ihren Ältesten aus wie zum Führer ihres Pilgerzuges. So stellten sie sich an, als wollten sie den Tempel von Kumano besuchen.

Dieser Fürst, erzogen im Palaste des Drachen, im Palaste des Phönix (chinesische Kaisersymbole) hatte noch nie sein Blütendach und seinen duftenden Wagen verlassen. Die weite Fußwanderung mußte ihn nicht wenig anstrengen!

Die Männer seines Gefolges fühlten Unruhe. Doch gegen ihre Erwartung war er wie erfahren in allen diesen Dingen. Er legte die armseligen Strümpfe und die Strohschuhe an, ohne sich im mindesten müde zu zeigen, versäumte niemals, die bunten Bänder darzubringen, noch in irgendeinem der mehreren Tempel seine Andacht zu verrichten. Er hielt sich so gut, daß alle die Pilger, die ihnen begegneten, und nicht einmal die Bonzen der Wallfahrtsorte, die doch in diesen Dingen gerissen waren, irgend etwas entdecken konnten.

Wie sie nun fern erspähten
Den Hafen von Yura,
Auf hoher See da ruderten
Vorbei gesteuerte Schiffe,
Vielfach wie der Meerlilien am Strande
(Wer könnte sie zählen?)
Blätter, auf Wogen so
Pfiffen die Seevögel.
Die fernen Berge der Straße von Kii
Kaum ersehbar;
Die Wellen am Strande
Stürmten gegen die Föhren Fukiages.
Waka und Fukiage
Sichtbar; das Juwelen-Eiland
Hellgeschliffen vom Monde,
Und jetzo sein Glänzen von neuem.
Indessen, der Reiseweg
An den Ufern des krummen Strandes
Zerbricht die Herzen (erschöpft)
Wie er es pfleget!
Beim verlassenen Dorf die Bäume,
Regensvoll,
Die Glocke des fernen Heiligtums
Stimmen elend.
In diesem Augenblicke grad
In Kirime no Oji
Geruhten sie anzulangen.

Selbigen Abend verbrachten sie im Tau vor einem kleinen Heiligtum. Im Morgenrot spendeten sie Dankbänder und erfrugen den Weg nach dem Flusse Totzu, und zogen weiter ...

*

Die »Geschichte der rechtmäßigen Thronfolge«

Eine strengere Geschichtschreibung beginnt in Japan mit der »Geschichte der rechtmäßigen Thronfolge der Gottkaiser«, dem Jino-Shotoki, verfaßt von dem Minamoto Chikafusa (1283 bis 1354) aus dem großen Geschlecht der Kitabake von Ise. In den politischen Wirren der ersten Hälfte des Jahrhunderts spielt dieser Politiker eine nicht unbedeutende Rolle zugunsten des Kaisers Go-Daigo; auch sein Geschichtswerk, das aus den vierziger Jahren stammt, verficht die Ansprüche des legitimen Hofes. Das Buch beginnt noch mythisch mit der Weltschöpfung und den ersten Himmelsherrschern. Erst der letzte Band stellt die Ereignisse dar, an denen der Verfasser selbst teilgenommen hat. Es ist das Werk eines chinesisch gerichteten und chinesisch gebildeten Staatsmanns mit zahlreichen Reflexionen über Gegenstände der Regierung und Verwaltung. Geschrieben ist das Werk in der sino-japanischen Mischsprache Wakankonku-bun; es bekämpft insbesondere das Günstlingswesen, den Brauch, Ämter bloß nach ihren Einkünften zu verleihen, und das Anwachsen des klösterlichen Besitzes. In einem gewissen Sinne kann man das Jino-Shotoki darum als das älteste pragmatische Geschichtswerk Alt-Japans bezeichnen.

   

Der abgesetzte Mikado

Das hier abgedruckte Stück berichtet von dem jugendlichen, 1221 im Alter von vier Jahren auf den Thron gehobenen Kaiser Kanenari, der seit 1869 als 85. Mikado mit dem Namen Chukyo in die Liste der Kaiser aufgenommen wurde.

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Der abgesetzte Kaiser, Kanenari mit Namen, war der Kronprinz des Kaisers Juntoku. Seine Mutter war Higashi-Ichijoin Fujiwara no Mitsuko, eine Tochter des verstorbenen Premierministers und Regenten Yoshitsune. Seit dem Frühling des dritten Jahres Shokyu (1221) hatte der letzte Kaiser gewisse Pläne und entsagte plötzlich dem Throne. Juntoku beabsichtigte die Führung des Krieges (gegen die Usurpatoren in Kamakura) ganz nach seinem eigenen Gutdünken zu leiten. Deshalb wohl trat er den Thron an den neuen Kaiser ab. Aber noch vor der Thronbesteigung schlug der Kriegsplan fehl, und der Kaiser flüchtete sich in die Villa des Ministers und Regenten Michi-ie, seines Onkels mütterlicherseits. Die drei heiligen Insignien ließ er im Kanin-Palaste zurück. Siebenundsiebzig Tage lang nach der Abtretung des Thrones (durch seinen Vater) hatte er zwar die heiligen Schätze inne, doch war er nicht der Reihe der kaiserlichen Throninhaber zugerechnet, ein Fall, der dem des Kaisers Iitoyo analog ist. Ohne erst die Zeremonie des Gembuko vollzogen zu haben, starb er im Alter von 17 Jahren. Wenn man über die Wirren der damaligen Zeit nachdenkt, so tritt einem die Befürchtung nahe, daß die Nachwelt darüber in Irrtum geraten möchte, und daß die Untertanen sich veranlaßt fühlen können, sich gegen die Obrigkeit aufzulehnen. Deshalb soll man sich den Zusammenhang der Dinge klar machen. Yoritomos Verdienste standen bis dahin einzig da, doch ist es begreiflich, daß die Kaiser darüber in Unruhe gerieten, daß sie das ganze Reich in seinem tatsächlichen Besitze sahen. Dazu kommt noch, daß seine direkten Nachkommen ausstarben und seine, Nonne gewordene Witwe und der Aftervasall (Hojo) Yishitoki die Regierung in die Hand nahmen. Um so weniger ist es zu mißbilligen, daß die Kaiser seine Nachfolger zu vertilgen und nach eigenem Belieben zu schalten und zu walten versuchten. Allein seit der Regierungszeit der Kaiser Shirakawa und Toba hatte die kaiserliche Herrschaft immer mehr ihre frühere Herrlichkeit eingebüßt. Zur Zeit des Go-Shirakawa (1156 bis 1158) kam es zur Gewalttat mit Waffen; tückische Vasallen verwirrten das Land, und das ganze Volk verfiel in die äußerste Not. Yoritomo bemühte sich, die Ordnung wiederherzustellen. Der kaiserliche Hof erlangte zwar bei weitem seinen alten Glanz nicht wieder, doch regte sich im Innern des Palastes kein Staub mehr, und die Schultern des Volkes konnten sich ausruhen. Hoch und niedrig erfreute sich behaglich des Friedens, und Ost und West huldigte seinem wohltätigen Einflusse. Selbst als Sanetomo ums Leben kam, zeigte sich kein Empörer (gegen das Shogunat). Wie hätte man es auch, ohne eine segensreiche Regierung zu schaffen, zerstören dürfen?

Wäre dies auch möglich gewesen, so würde doch weder das Volk sich behaglich gefühlt noch der Himmel seine Zustimmung gegeben haben. Das Heer eines regierenden Fürsten soll die Frevler bestrafen, aber nicht die Unschuldigen vernichten. Yoritomo gelangte zu einem hohen Posten und wurde mit dem Amt eines Shugo (Generalstatthalters) beehrt. Dies alles geschah jedoch auf den hohen Befehl des Hoo (des Mönch gewordenen Kaisers Go-Shirakawa), und Yoritomo hatte sich somit keine Usurpation zuschulden kommen lassen. Seine Witwe waltete nach ihm, und Yoshitoki übte lange seine Machtvollkommenheit aus, aber niemand verweigerte den Gehorsam. Wer könnte hier irgend etwas von einer Schuld wahrnehmen? War es nicht ein Unrecht des Landesherrn, solche Leute aus nur teilweise zu rechtfertigenden Gründen wie Rebellen bestrafen zu wollen? Die Zeit war nicht zu vergleichen mit einer solchen, wo siegreiche Empörer sich aufspielten. Ohne Zweifel war das Unternehmen (der Exkaiser) ein verfrühter Versuch, und auf die Zustimmung des Himmels war nicht zu rechnen. Indessen ist es doch ein großer Frevel, wenn die Untertanen die Herrscher vergewaltigen, und am Ende wird sich doch alles dem wohltätigen Einflusse des Kaisers unterwerfen. Also muß eine wahrhaft segensreiche Regierung die kaiserliche Macht und Würde unerschütterlich begründen und in Besitz der Mittel versetzen, alle andern überwältigen zu können. Dann erst sollte man mit einem Kriege vorgehen. Hätten jene (Exkaiser) sich von historischen Beispielen aus Kriegs- nnd Friedenszeiten warnen und nicht von ihrem Eigennutz leiten lassen, so würden sie bei der Entscheidung, ob man zu den Waffen greifen soll und Bogen und Pfeil in Bereitschaft setzen soll, sich nach dem Ratschluß des Himmels und nach den Wünschen des Volkes gerichtet haben. Später wurde die Reihenfolge der Thronbesteigung ins rechte Gleis gerückt, und in den Zeiten ihrer Nachkommen wendete sich das Glück wieder zugunsten der Vereinheitlichung des Staates (durch Abschaffung der Militärherrschaft in Kamakura unter Go-Daigo). Ihre Absicht ist also doch nicht erfüllt geblieben, aber es war zu bedauern, daß sie eine Zeitlang aus ihrer Machtsphäre gestürzt (und auf ferne Inseln verbannt) wurden. (Florenz.)

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»Die Aufzeichnungen der Muße«

»Die Aufzeichnungen der Muße« gehören in die berühmte Japan-Reihe der »Dame Sei« und des »Hojiki«, von denen sich aber das Werk in mancher Beziehung weit entfernt. Sein Verfasser, der Bonze Kenko, wurde 1283 aus dem alten Priestergeschlechte der »Urabe« geboren, jener am Schlusse des Shinto-Rituals der Sühnung funktionierenden Priester, die ihre Abstammung, wie wir im »Kojiki« gesehen haben, von dem Gott »Oberpriester« (Ame-no-Koyane) über den ersten »Fujiwara«, den Nakatomi Kamatari her leiteten. Sein Vater, der Urabe Kaneaki verrichtete Dienste am Shinto-Tempel von Yoshida in der Nähe von Kioto. Der eigentliche Name des Sohnes war Kaneoshi, Kenko ist sein Buddhistenname. Als junger Mann studierte Kenko die Lehren des Laotse ebensowohl wie die Dichtung Alt-Japans. Unter dem Kaiser Uda war er Offizier der Leibgarde. Dann starb der Exkaiser, und der 42 Jahre alte Kenko wurde Mönch, reiste aber überall in Japan umher. Er blieb im Herzen immer ein Anhänger seiner Partei, des südlichen Hofes, konnte sich aber den Ansprüchen des übermächtigen nördlichen Hofes, die ihn als Literaten immer wieder nach Kioto beriefen, nicht ganz entziehen. Trotzdem verweigerte er standhaft die Annahme von Gnaden durch die von ihm als illegitim angesehene Dynastie. Kenko starb im Jahre 1350. Die Japaner machten ihn zum »Shi-Teno«, einem der vier Himmelskönige oder »Himmelswächter« im buddhistischen Pantheon (vgl. auch Tenjin-Sama). Von den Gedichten Kenkos bringen wir eine Probe am Schlusse unseres Buches. Er erhielt auch nach seinem Tode den Rang eines »Gon-so-su«, eines Unterbischofs.

Der eigentliche Charakter von Kenkos Aufzeichnungen ist schwer festzustellen. Sogar die kulturnahe japanische Kritik konnte sich darüber niemals einigen. Nahm er die Religion ernst oder spielte er als geistreicher Weltmann mit ihr? Dieser letzten Meinung war zuerst der berühmte Neukonfutseaner Muro-Kyuso, dem wir später innerhalb der Literatur des 17. Jahrhunderts noch begegnen werden. Über das Leben Kenkos werden auch Einzelheiten berichtet zur Stütze dieser letzteren Auffassung. Aber diese Einzelheiten sind schlecht erwiesen und würden, sogar erwiesen, noch die Möglichkeit einer grundsätzlichen Religiosität offen lassen. Die Schrift gibt natürlich eher Aufschlüsse. Sie zeigt, daß der Autor ein jedenfalls in der Welt in jedem Sinne welterfahrener Mann war. Er dürfte in dem gleichen Sinn Buddhist gewesen sein wie die europäischen geistlichen Autoren des Mittelalters Christen waren: als ein Priester und ein Intellektueller.

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Aus den »Stunden der Muße«

In Stunden der Muße und des Verdrusses zeichne ich ohne weitere Ursache immer wieder alles Unbedeutende auf, das mir in den Sinn kommt. Aufrichtig gesagt, vermag das sehr zu zerstreuen.

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Die Menschen, die in diese Welt kommen, begehren für sich alles Mögliche. Der göttlich-erhabene Thron des Kaisers verdient gewiß Ehrfurcht, und selbst das geringste Blatt des Bambushaines (des Kaiserhauses) ist nicht aus irdischem Samen. Auch der Anblick des Kanzlers und selbst der mit der Wache betrauten Beamten ist eindrucksvoll; noch ihre Kinder und Kindeskinder bewahren selbst im etwaigen Elend Haltung. Leute aus niederem Stande wiederum kommen vielleicht zu Geld und scheinen im Glück zu sein, doch ihnen gebührt keine Achtung.

Niemand aber ist so unglücklich wie ein Mönch. Sei Shonagon schreibt: »Man macht von ihm nicht mehr Aufhebens als von einem Stück Holz.« Und sie schreibt dies mit Recht. Indessen ist dieses heftige Aburteilen doch nicht unbedingt am Platze. Wer der Welt ganz entsagt hat, der kann auch glücklicher sein, als mancher Mann denkt.

Jedermann will von gefälligem Äußeren sein. Sagt jemand, was zu hören gefällig ist, sagt er es in guter Art und ohne zuviel Worte, so ist man gern in seiner Gesellschaft. Nur solche, die nach etwas aussehen und schlechte Männer sind, die verdienen, offen gesprochen, ehrliches Mitleid. Anmut und wohlgefälliges Benehmen sind Dinge, die einem angeboren sein müssen. Aber auch die Einsicht des Herzens, warum kann auch sie nicht schrittweise erworben werden? Wer aber geradsinnig ist und doch geistlos, dessen Vorzüge erscheinen ohne Wert, und er bleibt selbst in den niederen Ständen ungeachtet. Eins nur muß man beharrlich suchen: den Weg nämlich des wahrhaften Wissens, das ist der chinesischen Schriften, der Dichtung Japans, der Musik, der ererbten Sitten, der öffentlichen Verwaltung. In all diesem ein Spiegel sein für andere, danach muß sich unser Begehren richten. Und dazu eine schöne und schnelle Handschrift, eine wohllautende Stimme und Kenntnis des Gesanges, auch kein Spielverderber sein, dies geziemt dem Manne.

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Die Lehren jedoch der alten Weisen vergessen, das Leid des Volkes unbeachtet lassen und den Verfall der Sitten unbeachtet lassen, nur daran denken, wie man an allem sein eigenes Licht entzünde und erglänzen lasse, dieses ist wirklich armselig. »Zur Kleidung und Kopfbedeckung, zur Ausfahrt gebrauche was du hast, und such keinen weiteren Aufwand.« Dies sind die Worte des Testamentes des Herrn Kujo (eines Fujiwara, Kanzlers im zehnten Jahrhundert). Und in seiner Schrift, wo die Dinge des Palastes beschrieben sind, sagt der Alt-Kaiser Juntoku (1211 bis 1221, vergleiche Verse auf Seite 215): »Für den Kaiser ist das Schlichteste gerade das Beste.«

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Ein junger Mann, der sich in allen Hinsichten auszeichnet, aber den Weibern nicht hold ist, ist abgeschmackt wie ein Becher aus Edelstein, welchem der Boden fehlt. Daß man von Tau und Reif durchnäßt umherirrt, keine Muße im Herzen hat, sich den Ermahnungen der Eltern und dem Spott der Leute zu entziehen sucht, in Gedanken wirr hin und her schwankt, das kommt meistens daher, daß man allein zu Bette geht und schlaflose Nächte hat. Das macht Vergnügen. Doch sollte man nicht bloß tändeln, sondern es ist zu wünschen, daß man von einem Weibe ernstlich geliebt werde. (Florenz.)

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Der Dinge letzte nicht vergessen, den Weg der Hotoke (des Buddha) gehen, das ist unsere Aufgabe.

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Nicht zu denen gehören, die nur, weil sie sich unglücklich und elend fühlen, sich mit einem Male zur Weltflucht entschließen und ihr Haupt scheren – vielmehr seine Türe verschlossen halten und seine Tage hinbringen ohne jede Hoffnung, dieses ist gewiß das beste. Wie der Chunagon Akimoto (elftes Jahrhundert) sagte: »Man muß den Mond in den Bergen besehen als Unverbannter.« Dies ist auch meine Meinung.

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Ich weiß wohl, daß ich in keiner Richtung außergewöhnlich bin. Um so mehr Grund habe ich, mir keine Nachkommen zu wünschen. Der Kanzler Kujo, der Kanzler zur Linken von Hanasono (unter dem Kaiser Toba, zwölftes Jahrhundert), sie beide verlangten für sich nach keiner Nachkommenschaft. Der Minister von Somedono (Fujiwara, unter Kaiser Seiwa, neuntes Jahrhundert), er sagte: »Besser ist es, keine Kinder zu haben, denn unbegabte Kinder sind eine allzu große Last.« Dieses Wort spricht bei ihm der Greis Yotsugi (in dem »Großen Spiegel«, siehe oben). Der große Shotoku (Prinz, führte 600 den Buddhismus ein) gebot, als er sein Grabmal erbaute, alle Wege zu ihm abzubrechen, er wollte von seinen Nachkommen keine Opferspenden haben.

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Nicht hinschwinden; so wie der Tau auf der Ebene Adashinos hinschwindet (alter Kirchhof Kiotos), nicht sich auflösen wie der Rauch vom Berge Toribe sich auflöst (altes Krematorium), vielmehr ewig in dieser Welt sein, wäre dies möglich, wie könnte man dann die Trauer in den Dingen begreifen? Wir lieben das Leben nur, weil es uns ungewiß ist. Dennoch, wenn wir alles Lebende betrachten, so ist da nichts, was den Menschen an Lebensdauer gleichkommt. Die Eintagsfliege erlebt den Abend nicht, die Sommergrille kennt nicht den Frühling noch den Herbst. Uns aber ist es süß und leicht, ein Jahr ohne Tun zu verbringen. Hängt man gar sehr am Leben, so wären tausend Jahre nur wie der Traum einer Nacht. So aber in dieser flüchtigen Welt, wozu erst unser mäßiges Bild zurücklassen? Je länger man lebt, desto mehr schämt man sich seines Lebens. Man müßte vor seinem vierzigsten Jahr sterben, zu höchsten. Nach diesen Jahren ist man nicht mehr hochsinnig genug, sich seiner Häßlichkeit zu schämen; vielmehr will man überall obenan sein, man protzt mit seinen Kindern und seinen Enkeln, man wünscht möglichst lange zu leben, um auch ihre Erfolge zu genießen. Kurz, man wird gierig nach allem, man denkt nicht mehr, wie traurig die Welt ist. Man wird verächtlich. (Der Verfasser erlebte allerdings selbst das 67. Jahr.)

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Nichts macht das Herz trüber als die Sinnlichkeit! Wie lächerlich macht sie uns doch! Obwohl wir wissen, daß der Duft der Gewänder nur entliehen, durch Räuchern entstanden ist, wird unser Herz durch den unsagbar süßen Wohlgeruch zu schnellerem Schlagen angeregt. Der Einsiedler, Heilige von Kume, als er die weißen Schenkel einer Wäsche waschenden Frau erblickt hatte, verlor seine Wunderkraft; und das ist begreiflich, denn die Weiße, das Runde und das Üppige der Arme, der Beine und des nackten Körpers sind nicht bloße von außen hinzugekommene Eigenschaften.

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Das Weib fällt dem Auge des Mannes besonders durch die Schönheit ihrer Haare auf. Ihre Eigenschaften und ihre Gemütsart lassen sich, selbst wenn sie hinter einer Scheidewand verborgen wäre (daß man sie nicht mit Augen sehen kann), aus der Art und Weise, wie sie das Unbedeutendste spricht, erraten. Gelegentlich bringt sie sogar durch ihre bloße Haltung beim Sitzen unser Herz in Verwirrung. Wenn man von einem Weibe zärtlich behandelt worden ist, so schläft man schlecht, gäbe ganz gern sein Leben hin und erträgt geduldig Dinge, die eigentlich unerträglich sind: und das alles kommt bloß daher, daß man des Weibes begehrt. Liebe und Leidenschaft haben in der Tat tiefe Wurzeln und weitentlegene Quellen. So reich auch unsere irdischen sechs Sinne an Lüsten sind, so vermag man diesen doch noch ziemlich leicht zu entsagen. Nur diese eine Sinnestäuschung (die Liebe) ist von allen Begierden am schwersten zu unterdrücken; in dieser Beziehung sind, deucht mich, Alte und Junge, Weise und Toren einander gleich. – Es geht eine Sage, daß selbst der dickleibige Elefant durch ein aus Weiberhaaren geflochtenes Seil gebändigt werden könne, und daß im Herbste der Hirsch mit einer aus dem Holzschuh eines Weibes verfertigten Pfeife angelockt werde. So muß man sich vor dieser Sinnestäuschung fürchten, sich vor ihr hüten, indem man Selbstbeherrschung übt. (Florenz.)

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(Der Elefant dieser Sage ist offenbar identisch mit dem ›Einhorn‹ Europas, das ist dem buddhistischen Symbol des einsiedlerischen weisen Nashorns. Interessant ist auch die Wiederkehr des aus der Bibel bekannten Motivs der verführerischen Wäscherin oder Badenden.)

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Geziemliches in unserer Wohnung ist sehr rühmenswert, obwohl der Aufenthalt nur vorübergehend ist; im Hause eines Mannes ohne Tadel, und der in Ruhe und Frieden haust, scheint die Farbe des Mondlichtes mehr am Orte zu sein als in jedem anderen Hause. Nicht zu neu noch zu glänzend und im Schatten alter, dichtbeblätterter Bäume sei der Garten nicht allzu künstlich, die Matten des Eingangs und die Hecken von Bambus wohl aufeinander abgestimmt, das Gerät im Innern mit einem Hauche von Altertum; ein solches Haus bringt seinem Bewohner Achtung ein.

Geräte aber von zahlreichen Werkmeistern im Schweiße ihres Angesichts poliert, seltener und kostbarer China- und Japanhausrat, überall zu zahlreich herumstehend, die Bäume des Gartens allzusehr geschnitzelt, solches alles ist ein widriger Anblick. Es ist verächtlich; und doch, die Bewohnenden, können sie lange darin bleiben? Auch sie werden dahingehen, wie der Rauch über ein kleines. Beim ersten Blicke denk ich das.

Überhaupt kann man aus der Wohnung sehr vieles schließen. Der Kanzler des Alt-Kaisers Tokudaiji (der dichtende Fujiwara Sanesada) spannte über das Dach seines Schlosses Stricke, um die Falken fernzuhalten. Darauf redete zu ihm Saigo (der Bonze und berühmte Tanka-Dichter): »Was tut's, wenn auch Falken auf einem Dache nisten? Das Herz meines Herrn ist durchsichtig.« Und von Stund ab besuchte er ihn nicht mehr. Kürzlich aber spannte man Stricke über das Dach des Schlosses von Osaka, wo der Prinz Aya no Koji wohnt, und ich entsann mich dieser Geschichte. Indessen erklärte man mir, der Prinz habe nur Mitleid mit den Teichfröschen, die bis dahin beständig von den Raben auf seinem Dache verfolgt waren. Und darin gab ich ihm recht. Vielleicht hatte der Kanzler vorzeiten einen ähnlichen Grund.

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Als ich einst im Monat Kaminadsuki (»Götterlos«, weil alle Götter um diese Zeit nach dem großen Tempel von Ise sich begaben) über eine Örtlichkeit namens Kurusu weiterschritt, eine gewisse Berggegend aufsuchte und daselbst angekommen war, fand ich eine einsame Hütte am Ende eines sich lang hinziehenden, schmalen, moosbewachsenen, durch öfteres Hin- und Hertreten gebildeten Pfades. Kein Laut war da vernehmbar, ausgenommen die fallenden Tropfen aus einer Wasserleitungsröhre, die unter Blättern ganz begraben lag. Auf dem Akadana (Altar, wo Wasser dargebracht wird und buddhistische Idole aufgestellt werden) waren abgepflückte Astern und Ahornzweige und so weiter eingesteckt, ein offenbares Zeichen, daß hier jemand wohne. Wie ich so bei mir dachte: Auch auf solche Weise läßt sich doch leben! da bemerkte ich drüben im Garten einen großen Orangenbaum, dessen Zweige von Früchten gebogen waren, der aber ringsum strengstens umzäunt war. Mein Entzücken wurde dadurch etwas abgekühlt, und ich meinte: Wenn nur dieser Baum nicht wäre! (Florenz.)

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Mit einem gleichgestimmten Menschen ruhig von heitern Dingen oder auch von der Trübsal des Lebens reden, in voller Unbefangenheit reden, dieses wäre wohl erfreulich. Ein solcher Mensch aber lebt nicht, und habe ich jemand vor mir, der mir nur nicht widersprechen mag, so fühle ich mich allein. Man spricht Gedanken offen gegen Gedanken aus, also kann man wohl die Stunde der Muße und Trübsal hinbringen, über dieses und jenes sprechen. Wenn aber der andere nur von minderwertigen Dingen redet, welchen Gewinn soll man daraus ziehen?

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Beim Schein einer Lampe allein Schriften eröffnen, mit den Männern der Vergangenheit als Freunden, ein solches Leben ist mir das erwünschteste. Von Dichtungen die schwermütigen Bücher des Monds (chinesische Sammlung), die Sammlung von Haku Rakuten (Pe Lo Tien, chinesischer Dichter des 11. Jahrhunderts), dazu noch die Worte des Roshi (Laotse), die Bände Nanka (des chinesischen Philosophen Soshi) und die mehrfachen Schriften der Weisen unseres Landes, in all diesen alten Büchern, wie viele Schätze sind darin enthalten!

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[Betrachtungen über Musik und einiges andere.]

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Die Übergänge und der Wechsel der Jahreszeit regen zur Betrachtung in allen Dingen an. Die Schwermut kommt besonders dem Herbste zu, nach allgemeiner Meinung. Was aber das Herz erneut und erfreut, ist der Frühling. Der süße Schall der Vögel insonderheit von frühlinghafter Art, indessen unter der gütigen Sonne die Kräuter an den Hecken aufsprießen. Um diese Zeit wird der Frühling erst Frühling, die Nebel steigen auf und die Blüten entfalten sich, die eine Art nach der andern. Danach wechseln Regen und Winde. Zur Wehmut unserer Herzen fallen die Blüten ab, und bald sind nur noch die grünen Blätter übrig. Auf zehntausend Arten wird unser Herz betrübt. Die Orangenblüte ist hochberühmt, aber auch der Duft des Pflaumenbaumes erinnert uns an die Vergangenheit und macht uns traurig. Die Frische der Goldrosen, die Gebrechlichkeit der Glyzinien, wir können unser Herz nicht von ihnen wenden.

Zur Zeit des Kwambutsu (Geburtsfest des Buddha) und zur Zeit des Festes (des Tempels Kamo, an dem der Verfasser Dienst tat) wird das frische Laub der jungen Sprossen dichter. Die Melancholie der ganzen Welt und das Bedürfnis nach Mitgefühl wächst im Menschen. So fühlen gewißlich alle. In dem »Monde des schnellen Sprossens«, wo man die Iris aufs Dach setzt und den Reis harkt, so oft da das Wasser wirbelt, schmilzt unser Herz. Im »Feucht-Monat« erscheint das »Abendgesicht« (die Lagenarie) der armen Hütten in seiner ganzen Weiße, man vertreibt die Mücken mit Rauch, unsere Sinne erwachen; die »Sühnung« ist nicht minder anziehend.

Feiert man dann den »Siebenten Abend« , so sind wir entzückt. Allmählich werden die Nächte kühl, und die Wildgänse kommen mit ihrem Geschrei, die untern Blättchen der Lespedeza werden nacheinander rot, man erntet und man trocknet den ersten Reis, den Frühreis. Alles häuft sich zu dieser Zeit noch mehr als im Herbst. Dann sind auch noch die Tage nach den Gewittern anziehend. Ich darf nicht fortfahren, ich müßte all die alten Dinge aus dem Genji Monogatari und dem Genji no Soshi wiederholen. Indes, man kann das immer wieder sagen; und seine Gedanken nicht aussprechen, bläht die Eingeweide. Darum schildere ich mit flinkem Pinsel, mein Trübsal und meinen Verdruß zu bekämpfen. Freilich sollte man das eher von sich werfen, als den Menschen vorführen.

Die trübseligen Landschaften des Winters sind aber nicht geringer als die Landschaften des Herbstes. An den Uferpflanzen des künstlichen Weihers fallen die geröteten Blätter einzeln und lagern still. Am Morgen liegt der Reif ganz weiß da, und aus dem Weiher steigt ein Dunst, das ist köstlich. Zu Ende des Jahres sind alle Leute in äußerer Erregung, was mein Mitleid erweckt. Es ist zu widerwärtig. Kein Mensch betrachtet länger den Mond nach dem zwanzigsten Tag, der kalt am Himmel steht. Auch das macht unser Herz schmelzen. Zur Zeit des Triduum, und da man die Boten (zu den Kaisergräbern) entsendet, ist es herrlich. Eine öffentliche Angelegenheit nach der andern! Man bereitet sich schon eilends auf den Frühling vor, und hunderterlei wird ausgeführt. Von der Exorzisation bis zur »Verehrung nach den vier Weltenden« (Neujahrsfeier) ist alles schön. Diese letzte Nacht zündet man bei Anbruch der Dunkelheit Fackeln an, bis nach Mitternacht. Man pocht an die Türen, man läuft und man schreit aus Leibeskräften alles mögliche Zeug aus; indessen am Morgen beim Morgengrauen verebbt der Lärm, des Jahres Ende macht unser Herz schmelzen, es ist die Nacht, da die Menschen wiederkehren. Das Fest der Geister wird zu dieser Zeit in der Stadt nicht mehr gefeiert, im Osten aber besteht es noch, und es ist sehr rührend. Damit öffnet sich der Himmel nicht anders als der Himmel des Vortages, jedoch unsere Gefühle sind andere. Man sieht alle die weiten Straßen mit den überall hoch aufgerichteten Fichten; man ist zugleich heiter und betrübt.

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Ein Mann, der Welt entflohn, redete: »Mich fesselt nichts an dieses Leben, und nur den Himmel lieb ich noch anzuschaun.« Genau so fühle ich.

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Denk ich ruhig nach, so muß ich mich wider Willen um die Vergangenheit betrüben auf zehntausend Tage. Wenn dann alles still ist, und ich mich die lange Nacht über auf irgendwelche Art zerstreuen will, ordne ich die vertrauten Gegenstände. Ich verwerfe die unnützen Papiere, diese will ich nicht aufbewahren, doch ich find auch die Handschrift eines Mannes, der nicht mehr ist, oder eine Zeichnung von seiner Hand, und ich fühle seine Gegenwart wieder. Sogar die Briefe von Lebenden, wenn man sie nur nach sehr langer Zeit wieder zur Hand nimmt und an Ort und Stunde und Gelegenheit und so weiter denkt, machen uns traurig. Was diese Menschen gewohnterweise in den Händen hielten, und was da so lange unbewegt geblieben ist und ohne lebendiges Herz, das bekümmert uns.

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Ein Sklave des Rufes und des Geldes quält sich sein ganzes Leben und hat keinen Augenblick Ruhe. Das ist lächerlich. Wenn man sehr reich an Schätzen ist, kann man nicht leicht seine Gedanken auf sich selbst richten. Man erkauft sich sein Unglück und man schafft sich selbst die Schwierigkeiten. Hinterläßt man einen Goldhaufen, der den »Großen Wagen« füllen würde, so sät man nur Zwist unter seine Erben. Freuden, die den Menschen in die Augen stechen, sind keine wahren Freuden. Schöne Wagen, hochgewachsene Pferde, goldener Schmuck und Edelgestein sind lächerlich in den Augen der Klugen. Verbringe also dein Geld in die Berge und wirf deinen Schmuck in die Schluchten! Wer sich an den Gewinn hingibt, der ist außerordentlich töricht. Nur ein Wunsch ist gerecht: der Nachwelt einen unvergänglichen Namen zu hinterlassen.

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Jemand fragte den tugendhaften Mönch Hozen: »Wenn ich den Buddha anrufe, kann ich manchmal vor Schlafsucht nicht andächtig sein. Was soll ich dagegen tun?« – »Rufe den Buddha an, sobald du wieder wach bist«, war die bewundernswerte Antwort.

Wiederum: »Das Heil ist einem jeden gewiß, der es für gewiß hält. Es ist ungewiß einem, der es für ungewiß hält.« Auch bewundernswert.

Und dann wieder: »Wenn du den Buddha anrufst, auch als Zweifler, so wirst du im Paradies wandeln.« Wundervoll.

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Am fünften Tage des fünften Monats ging ich mir die Rennen von Kamo anzusehen. Vor unserem Wagen waren viel Leute; man konnte nichts erkennen. Wir stiegen also aus und gingen zu Fuße bis zu den Gittern, aber auch hier waren zahllose Menschen, man konnte nicht hindurchkommen. Dort war eben ein Bonze auf einen Lindenbaum gestiegen, um dann besser zu sehen; er schlief aber immer wieder ein und erwachte jedesmal, wenn er fallen wollte. Die Untenstehenden lachten über ihn und sagten: »Das ist ein Trottel, schläft so ruhig auf einem Baume.« Mir kam ein Gedanke in den Sinn, und ich sprach ihn aus: »Wir können jeden Augenblick hingehen, auch wir vergessen das, um den ganzen Tag das Schauspiel zu betrachten. Wir sind noch einfältiger.« Die Leute antworteten: »Wirklich, so ist es, wir sind alle einfältig.« Und darauf wandten sie sich um und sagten: »Tretet hier zwischen uns!« So wichen sie von ihrem Platz und ließen uns vortreten. Die Überlegung war gewiß sehr einfach und jedermanns Sache. Aber der Gedanke traf sie da ganz unvorgesehen. Der Mensch ist eben nicht von Holz, noch von Stein. Im geeigneten Augenblick kann er beeinflußt werden.

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Ein Bischof des Namens Ryogaku war ein bösartiger Mensch. Man nannte ihn nach einer hohen Ulme zur Seite seines Tempels den »Ulmen-Bischof«. Der Name gefiel ihm nicht, er ließ die Ulme umhauen. Doch die Wurzel blieb erhalten. Darum nannte man ihn jetzt den »Gefällten Bischof«. Er geriet in immer größeren Zorn und ließ auch die Wurzel aus dem Boden heben. Man mußte weit umgraben. Es gab ein großes Loch, und man nannte ihn fortan den »Loch-Bischof«.

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Im Tempel von Ninaji (vornehmes Kloster aus dem neunten Jahrhundert bei Kioto, dessen Äbte aus dem Kaiserhause genommen wurden) gaben die Bonzen zur Einkleidung eines Novizen ein Mahl. Einer der Mönche ergriff in voller Trunkenheit einen drei Fuß hohen Kessel, der neben ihm stand, und steckte den Kopf hinein, mit einiger Schwierigkeit, zuerst die Nase und die Ohren und endlich das ganze Gesicht, so begann er zu tanzen. Alle Anwesenden lachten unendlich. Darauf wollte er den Kopf wieder herausziehen. Es gelang ihm nicht. Man brach das Fest ab, man versuchte ihm zu Hilfe zu kommen. Langsam sickerte um den Hals Blut hervor. Sein Atem wurde schwierig. Man versuchte den Kessel zu zerschlagen, doch das ging nicht so leicht, und der Lärm der Hammerschläge war ihm unerträglich. Nach vielen anderen Versuchen wand man endlich ein Hanfgewebe um die drei Füße und führte ihn zu einem Arzt nach Kioto, wobei er sich auf einen Stock stützte. Die Leute unterwegs verwunderten sich gewaltig und sahen ihm lange nach. Der Arzt wußte nicht, was tun: »Das steht nicht in meinen Büchern. Ich weiß da nichts anzufangen.« Man mußte in das Kloster zurückgehen. Seine alte Mutter und seine Angehörigen kamen an sein Lager mit Weinen und Klagen, doch er hörte sie offenbar nicht. Da sagte jemand: »Soll er Nase und Ohren verlieren, wenn er nur sein Leben behält! Ziehen wir allesamt so sehr wir können!« Man zog darauf an dem Kessel so sehr, daß man in Gefahr geriet, seinen ganzen Kopf abzureißen. Doch der Kessel gab nach und Nase und Ohren waren verstümmelt. So wurde er auf eine klägliche Weise gerettet, und er hatte lange an den Wunden zu leiden.

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Erwarte nicht, bis du alt bist, um die (rechte) Bahn zu beschreiten! Unter den antiken Gräbern sind so viele junge Männer. Wenn die Krankheit unerwartet da ist und man da scheiden muß, da begreift man zum erstenmal den Irrtum seines bisherigen Lebens. Den Irrtum nämlich, was zu tun ist, aufzuschieben. Und dann hilft die Reue nichts. Die Dinge sind geschehen. Die Menschen sollen beständig an die Möglichkeit ihres Todes denken und das nie vergessen. Wer wird dann in seinem Herzen nicht getreulich auf den Wegen des Buddha gehen?

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              Was gewöhnlich ist:
In einem Hause zuviel Hausgerät.
In einem Schreibzeug zu viele Schreibpinsel.
Auf dem Hausaltar zu viele Boddhisattvas.
In einem Garten zuviel Felsen, Bäume und Kräuter.
In einem Geschlecht zu viele Kinder und Enkel.
Bei der Begegnung zuviel Worte.
Im Gebet zu viele Wünsche.
            Was nicht gewöhnlich ist:
In einem Bücherschrank viele Bücher.
Auf einem Misthaufen viel Mist.

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Ein Mann besaß die »Sammlung der schönsten Lieder aus Japan und China« (Wakan-Roei-Shu des Dichters Fujiwara Kinto, Seite 126[??]), schön geschrieben von Ono no Tofu. Ein Bekannter sagte ihm: »Eure Rolle ist gewiß sehr wertvoll, nur daß ein Buch aus der Hand des ›Rates der Vierten Straße‹ von Tofu kopiert ist (also einhundert Jahre danach), das gefällt mir nicht.« – »Eben deshalb hat das Buch nicht seinesgleichen auf der Welt«, war die Antwort. Und er bewahrte es um so sorgfältiger.

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Ein Samurai, der das Bogenschießen lernte, stellte sich vor dem Ziel mit zwei Pfeilen in seiner linken Hand auf. Der Lehrer sagte zu ihm: »Ein Anfänger soll nicht zwei Pfeile bei sich haben, er rechnet sonst mit dem zweiten und ist nicht achtsam mit dem ersten Pfeil. Ihr müßt euch immer vorstellen, daß ihr nur den einen Pfeil habt.«

Diesen Rat, man könnte ihn auf zehntausend Dinge ausdehnen. Wer studiert, zählt meist am Abend des einen Tags auf den nächsten, des Morgens auf den Abend. Er verschiebt, was er lernen soll. Nur die Nachlässigkeit ist immer da. Wenn man einen Gedanken hat, soll man ihn auch sogleich ausführen.

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Der Mensch vertrödelt seine Zeit. Kennt er ihren Wert? Oder ist er ganz einfältig? Für die Trägen ist ein Groschen nichts. Erst wenn die Groschen gehäuft sind, bilden sie einen Schatz. Der Krämer jedoch schätzt einen jeden Groschen. Beachten wir einen unsrer Augenblicke nicht, darum weil ihre Zahl groß ist, so kommt doch der Augenblick des Lebensendes zu bald. Nur wer den Weg verfolgt, soll die Monde und Tage schätzen und zu gebrauchen wissen.

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Im allgemeinen kann man das Folgende schwer mit ansehen:

Männer über vierzig Jahre alt, noch am Werke der Fleischeslust.

Greise, die mit jungen Leuten immer zusammen sein wollen.

Eine vertrauliche Art mit einem Obern zu sprechen, wenn man selbst nichts vorstellt.

Arme Leute, die immer Feste geben wollen.

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Wäre diese Welt eine Welt ganz ohne Frauen, man würde Gewänder, Wappenröcke, Hüte immer so lassen, wie sie immer sind. Niemand würde sie im Stande oder gar glänzend erhalten. Doch diese Frauen selbst, für welche die Männer so vieles tun, betrachten wir sie einmal auf ihre Herrlichkeit! Die Art des Weibes ist immer im Zick-Zack. Selbstsüchtig im Herzen und maßlos gierig, begreift sie das Wesen der Dinge nicht. Für einen Schein läßt sich ihr Herz immer gehn, süße Worte hat sie beständig übrig. Befragt man sie aber auch nur um irgend etwas Unbedeutendes, so antwortet sie nicht. Und fragt man sich darauf, ob hier Tiefe des Gemüts vorliegt, so beginnt sie gerade ungefragt von den schwerstwiegenden Dingen zu reden. Ihre Ränke gehen manchmal über die Klugheit des Mannes hinaus, doch das alles enthüllt sich nur zu bald. Trügerisch und unzuverlässig wird sie nicht leicht gut von dir denken, wenn du wie sie selber bist. Wie nur können wir also uns ihretwegen behelligen? Ist ein Weib klug, so wird es mißfallen. Nur wenn man von seiner Leidenschaft unterjocht ist, wird einem ein Weib süß und angenehm.

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Sieben Arten von Männern taugen nicht zu Freunden:
Ein im Rang vorgesetzter Mann.
Ein allzu junger Mann.
Ein sehr kräftiger und zeit seines Lebens gesund gebliebener Mensch.
Ein Mann, der den Reiswein zu sehr liebt.
Ein zu angriffslustiger Krieger.
Ein Lügner.
Ein Geiziger.

Drei sind gute Freunde:
Ein freigebiger Mensch.
Ein Arzt.
Ein kluger Mensch.

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Alle die China-Dinge mit Ausnahme der Arzneien kann man ganz leicht entbehren. Chinesische Bücher sind hierzulande schon weit verbreitet. Man muß sie nur abschreiben. Auf schwierigen Wegen bringen die Boote aus China zahlreiche überflüssige Dinge. Es ist zum Lachen. »Schätze nicht die Kostbarkeiten der Ferne und bewerte nicht die Seltenheiten«, heißt es irgendwo (bei Laotse).

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Alles, was angebunden ist, Pferde, Ochsen, rührt mich zum Mitleid. Doch man kann sich nicht anders behelfen. Der Hund bewacht das Haus besser, als Menschen wachen. Darum gibt es in jedem Hause einen. Mehrere sind aber überflüssig. Auch alle andern Tiere, Vögel oder Vierfüßler sind gänzlich überflüssig. Tiere, die sonst frei laufen, werden hinter Hecken verschlossen und angekettet, die freifliegenden Vögel werden mit gebrochener Schwinge in Käfigen gehalten. Diese sehnen sich nach den Wolken. Die andern träumen von der Steppe oder den Bergen. Ihre Traurigkeit kennt kein Ziel. Diese Vorstellung, wenn man sich an ihre Stelle denkt, ist unerträglich. Kann man ein Herz haben und sich freuen, sie so zu sehen?

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Dieses ist dem Menschenleib notwendig: Nahrung, Kleidung, Wohnung. Wichtig sind nur diese allein. Leidet man nicht Hunger und Durst, ist man weder dem Wind noch dem Regen ausgesetzt, kann man in Frieden leben, so lebt man auch glücklich. Indessen, man kann auch krank werden, und die Krankheit schafft unerträgliche Schmerzen: man muß also auch Heilmittel besitzen. Diese vier Dinge, die Heilmittel eingeschlossen, muß man besitzen, sonst ist man arm. Besitzt man sie, so ist man reich. Will man etwas darüber, so ist es Überfluß. Haben wir aber diese vier Dinge, wer darf uns für Arme ansehen?

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Ein Bonze des Tempels Hokedo, geweiht vom Alt-Kaiser Takakura, nahm einmal einen Spiegel zur Hand und betrachtete sich in ihm. Da er sich sehr häßlich fand, verdroß es ihn im Herzen, er mochte den Spiegel nicht mehr, vielmehr floh er ihn fortan und berührte ihn nicht. Er floh auch die Menschen, und er schloß sich in den hehren Tempel ein, wo er einzig und allein seinen Pflichten nachkam. Ich glaube, solch einen Mann gibt es heute nicht mehr. Sogar anscheinend kluge Menschen urteilen über die andern und kennen sich selber nicht. Wie will man aber die andern verstehen lernen können, wenn man sich selbst nicht kennt?

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Sogar Leute, die ohne Gemüt scheinen, können mitunter treffliche Dinge sagen. Ein Barbier von wüstem Aussehen begegnete einem Nachbar und fragte: »Hast du Kinder?« »Kein einziges«, war die Antwort. »Dann, Mann, könnt Ihr das Leid der Welt nicht verstehen. Ihr werdet immer als unerbittlicher Mensch handeln. Dies ist schrecklich. Nur durch Kinder kann man mit den zehntausend Dingen fühlen.« So sprach dieser Mensch mit Recht. Ohne den Weg der Vaterliebe gibt es kein Mitfühlen im Herzen. Die aber, die keine Kindesliebe gekannt haben, sie gelangen zu ihr, wann sie selber Kinder haben. Dann beginnen sie das Gefühl der Eltern zu begreifen.

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Der Mönch Meiun begegnete einem Orakelpriester und fragte, ob er Unglück in der Fehde haben möge. Der Priester antwortet: »Seid Ihr nicht verpflichtet, keine Wunden zu fürchten, und Ihr befragt mich doch? Darum erwidere ich: Ihr seht wie einer aus, der verwundet wird. Und in der Tat wurde er später von einem Pfeil getötet.

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Ein Mann wollte seinen Sohn zum Mönch machen und gebot ihm, zu studieren, sich in die Auseinandersetzungen der Ursachen und Wirkungen zu vertiefen und die Predigten auswendig zu lernen zum Vorbilde seines Wandels. Um gemäß diesem Rat Priester zu werden, begann der Jüngling das Reiten zu erlernen, da er doch ohne Wagen noch Sänfte mit einem Roß geholt werden und dann fallen würde, welches er vermeiden wollte. Denn nach der Vornahme der buddhistischen Handlungen würde man ihm doch Reiswein anbieten. Zeigte er sich nun als ein Mönch ohne jedes Geschick, so wäre es peinlich für den Hausherrn. Also erlernte er auch die hübschen Volkslieder. Danach war er zwar in beiden Künsten erfahren. Er war aber darüber zu alt geworden, um auch noch das Predigen zu erlernen.

Dieses verhält sich nicht so mit diesem Mönche allein, sondern im allgemeinen gilt es von allen Leuten. Solange man jung ist, denkt man daran, zu forschen, um den »Großen Weg« zu gehen. Doch das Leben scheint einem leicht, man ist lässig und man tut nur, was man vor Augen hat. Man verbringt die Tage und die Monate ohne Tun. Darüber altert der Leib. Zum Schlusse, da man noch in keiner Kunst gelehrt worden ist, da man sich noch in nichts nach seinen Wünschen zu etwas gemacht hat, da rollt das Alter herzu wie ein Reifen, der einen Abhang hinab rollt.

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Man möchte immer irgend etwas tun an dem Tage; nur, ohne daß man vorher wissen konnte, wie, ist der Tag plötzlich vorbei. Jemand, den man erwartete, ist nicht gekommen. Oder umgekehrt ist jemand, den man nicht erwartet, gekommen. Was uns sicher schien, gewann ein anderes Gesicht, worauf man nie gedacht hätte, das ist da. Etwas, das schwierig war, geht von selber. Was leicht war, wird eine Herzenspein. So gibt es jeden Tag andere Dinge und Geschäfte nacheinander. Und immer sehen sie anders aus, als man gedacht. So geht ein Jahr vorüber nicht anders als ein Tag. Nur wenn man bedenkt, daß alles sich ändern muß, findet man Dinge, die genau der Erwartung entsprechen. Man kann also nur glauben an die Unbeständigkeit. Diese allein in der Welt ist beständig und täuscht nimmer.

Der Mann soll kein Weib haben: denn ein solches ist ihm eine Last. »Immer allein«, höre ich das jemand sagen, so freue ich mich. »Ich bin der Schwiegersohn dessen und jenes geworden«, oder »Ich habe ein Weib genommen und lebe mit ihr«, dafür habe ich nur Verachtung. Ist es eine Frau ohne Besonderheit, so heißt es, man war geschmacklos, sie hübsch zu finden. Ist es eine schöne Frau, so wird man denken, man verehre sie als seinen Buddha. So immer werden die andern denken oder urteilen.

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Willst du nicht zehntausend Schwierigkeiten haben in allem, sei aufrichtig! In allem habe Achtung gegen jedermann und rede sparsam! Mann oder Weib, Greis oder Jüngling, jeder, der sich verhält, ist dem andern überlegen. Insonderheit ein junger hübscher Mensch, der so handelt, erwirbt sich Achtung, und man denkt überall zu seiner Zeit an ihn.

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Eines Tages war ich mit zahlreichen Freunden zu den »Drei Pagoden« (bei Kioto) gegangen, meine Andacht zu verrichten. Dort in dem Ryoka-in von Yokokawa sah ich eine alte Inschrift. »Ist sie von Sari oder von Kodsei geschrieben?« fragte ich. »Es ist zweifelhaft und bisher noch nicht entschieden«, antworteten mir die Bonzen. »Aber wenn sie von Kodsei ist, so muß sie auf der Rückseite gezeichnet sein. Wenn sie aber von Sari ist, kann sie nicht gezeichnet sein.« Die Rückseite, bedeckt von Staub und Insektennestern, war unglaublich schmutzig, man reinigte sie vollständig, da konnte jeder sehen: die Unterschrift des Kodsei, mit Titel und Datum, kam ganz mit voller Deutlichkeit zum Vorschein. Und alle waren sehr erfreut.

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Als ich acht Jahre war, da fragte ich meinen Vater: »Vater, was ist das, ein Buddha?« – Mein Vater erwiderte: »Ein Mensch, der ein Buddha geworden ist.« Ich fragte ihn darauf: »Wieso ist dieser Mensch ein Buddha geworden?« – »Durch die Lehren eines Buddha.« – »Wer aber hat denn diesen Buddha das gelehrt, was er diesen Menschen gelehrt hat?« – »Die Lehre eines Buddha, der vor ihm lebte.« – »Wer war dann aber der erste Buddha, der zuerst gelehrt hat? Ist er vielleicht vom Himmel heruntergekommen oder aus der Erde hervorgekrochen?« – Mein Vater lachte. Meine Fragen waren über seine Vorstellungen hinausgegangen, und er wußte mir nicht zu antworten. Danach erzählte er die Geschichte noch vielen Bekannten, und er war immer sehr stolz darauf.

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Das Singspiel No und das Tollstück Kyogen

Auch in der Nambokuchi- (Süd-Nord-Höfe) und der Muromachiperiode wurde die Sitte der Tanka-Literatur fortgesetzt. Bedeutender aber ist das lyrische Buddhistensingspiel, das No, geworden. Das alte Japan kennt, wie soviele andere Kulturen, einen magischen Tanz (Kagura), den das Kojiki, wie wir gesehen haben, auf die Künste der Himmelstänzerin (Usume) zurückführt. Ein anderer, gleichfalls vom Kojiki genannter Tanz war der Fruchtbarkeitszauber der Sprossen des Gotts »Glanzfeuer«, der sogenannten Ha-ya-bito (Falkenmänner), die zugleich Leibgarden und eine Art Spaßmacher am Kaiserhofe wurden. Ihre Mimik wiederholte die im Kojiki berichtete Unterwerfung des Gottes »Bodenfeuer«. Nach dem »Nihongi« färbten sich diese Leute mit roter Erde und stellten danach die einzelnen Handlungen der Wassernot und endlichen Unterwerfung dar. Im achten Jahrhundert kennt man auch einen Reisfeldertanz (Tamai), den danach unter dem sino-japanischen Namen Dengaku (Reis-Musik) bekannten Erntetanz des späteren japanischen Mittelalters. Die »Dengaku hoshi« (Tanzbonzen) erweiterten ihn danach zu dem »Dengaku no No« (der »Kunst-Reis-Musik«), das auch historische Szenen darstellt. Schon seit dem neunten Jahrhundert hatte diese Mimik auch noch einen Anhang in der Groteske erhalten: in dem Tollstück (Sarugaku), das allmählich das Dengaku verdrängte. Der aus China stammende Dialog wurde eingeführt zu einer Zeit, wo das chinesische Theater in hoher Blüte stand, doch sind die Stoffe des No häufiger mythologisch und heroisch als bürgerlich. Das Saragaku no No wird nun zum No-gaku (Musik-Spiel) dann zum No oder Spiel ohne weitere Bezeichnung. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts wurde dieses No von hochgeachteten Sippen ausgeführt, so von dem Geschlecht Yusaki, das in zahlreichen Nachkommen blühte. Es war dies die Zeit der Ashikaga-Shogune, die Glanzzeit des No, dessen spätere Produkte aus der folgenden (Tokugawa -)Zeit den Japanern aber gleichfalls als klassisch gelten. Die »No« sind also nicht eigentliche Dramen, sondern eben Singspiele, hervorgegangen aus Shinto-Riten und nur buddhistisch in der Gesinnung. Ihre Dichter, wohl Bonzen, sind unbekannt geblieben. Der lyrische Stil ist mitunter von hoher Schönheit, die »Kissen« und »Angelworte« dominieren und gestalten die Diktion in freiester Weise. Auffallend im Vergleich zu anderen Religionen und charakteristisch für die ganze japanische Sitte ist das Fehlen alles Obszönen. Die Szene bildete eine kleine Bühne, die nach drei Seiten geöffnet war und nur im Hintergrund von einer Wand mit einer gemalten Kiefer abgeschlossen wurde. Die Darsteller trugen Masken und prunkvolle Gewänder. Der Protagonist heißt Shite, der »Handelnde«, der Gegenspieler Waki d.i. »Der zur Seite«. Mitunter kommen auch Nebenpersonen, Begleiter genannt, vor: die Shite-tsure und Waki-tsure, sowie die kindliche Person Kokata, für die Rollen von jungen Kaisern, Höflingen usw. Links von der kleinen Bühne war der Chor aufgestellt. Das Orchester bestand aus einem dirigierenden Flötenspieler, aus einem großen und kleinen Tambourin und einer Trommel. Mitunter wurde den Hörern auch ein Textbuch beigegeben, sie waren wohl in der Mehrzahl hochgebildetes oder hochgestelltes Publikum.

Die Texte, in chinesisch durchsetztem Japanisch geschrieben, heißen Utai, also Lieder, chinesisch Yokyoku. Wir besitzen 264 solche Stücke, von denen nur zwei bis drei in europäische Sprachen übersetzt sind, darunter das hier folgende »Hagoromo«, Federnkleid. Die zweite Person dieses Spiels ist einer der aus dem Buddhismus bekannten weiblichen Engel, von der Art der persischen Peri, von Chamberlain, dem ersten Übersetzer, »Fairy« und danach auch von Revon »Fée«, von uns »Himmelsfrau« genannt.

Es gibt übrigens noch neben der offiziellen Sammlung fünftausend weitere No, die aber großenteils nicht mehr aufgeführt werden. Auch die Ereignisse des zeitgenössischen Japan, der chinesische und der russische Krieg, haben noch einige No hervorgebracht.

Die Aufführung eines No dauerte ungefähr eine Stunde. Es wurden fünf bis sechs hintereinander gespielt. Darauf folgten regelmäßig die Kyogen (Tollstücke) als Intermezzi. Bereits die japanische Antike kannte in den Aufführungen den bäuerlichen (koreanischen) Tanz, Gaku, von dem chinesischen Togaku unterschieden. Die späteren Tollstücke wurden dann von besonderen unmaskierten Darstellern in gelben Hosen dargestellt. Der Chor fiel hier weg. Die Kyogen sind wirkliche Possen, mitunter auch zugleich Satiren gegen den Adel oder den buddhistischen Klerus. Sie sind gleichfalls anonym überliefert, in Europa fast ausnahmslos unbekannt geblieben und mitunter bei aller Primitivität von bedeutender Lebensnähe und komischer Kraft. Wir bringen die charakteristische Posse Sanin-Gatawa »Die drei Krüppel«.

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Das Federnkleid (Buddhistisches Singspiel)

»Der Handelnde«: Ein Fischer
»Der zur Seite«: Eine Himmelsfrau
Der Chor
Eine Flöte und leise Trommeln

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Der Fischer: Eilenden Windes
Mein Mihostrand. Und Segel gewendet,
Meervolks Gewimmel
Auf Wellenstraßen. Wie schön!
– Ich hier am Mihostrand, ich bin ein Fischer und heiß Hakurio.

Der Chor: Auf des Berges Zehnmeilenhöh dort
Türmte die Wolke sich nicht
Noch eben –?
Durch Mondesscheibe nun glücklich
Ist die Feuchte zerstreut.
Wie schön, wie schön liegt der Meerstrand!
– Nun schon war Morgendunst. All die Unruhwellen jagend
An den Kiefernstrand, an das Frühlenzland.
Hoch droben auf Himmelsebne der Mond, verharrend
– O Land, Land, Genuß der Seele, du liegst zu Füßen dort dem armen Fischer!

Der Fischer: Vom föhrenbeschirmten Land
Auf den Strand schau ich hinab. Wie –? Blumen kreiseln in der Luft –?
Es lassen In-stru-men-te sich hören –? Ein Himmels-Götter-Duft
Dringt überall ein!
– Und wie ich noch staune der Wunder,
Da hängt ein Glanzgewand am Ast.
– Ich will hintreten. Es anfühlen.
– Diese Farben! Diese Himmelswürze! Nein, das ist kein sterbliches Kleid!
– Nehm ich es fort? Den Alten unsers Dorfs es zu weisen?
– So sei du hinfort Hakurios Erb- und Familienschatz!

Die Himmelsfrau: Du! Dieses Kleid gehört mir!
Mit welchem Recht willst du es forttragen?!

Der Fischer: Welchem Recht? – Nun, ich hab es gefunden.
Finders Recht. Ich bring es nach Haus.

Die Himmelsfrau: Dies Kleid, einer Himmelsfraue Kleid
Darf kein Erdenweib anziehn. – Zurück damit schleunigst auf seinen Platz!

Der Fischer: Ah! Einer Himmelsfraue Kleid!
Nun aber gewiß behalt ich's. Es bringt meinen Kindern Glück.
Was sag ich! Ein Schatz für das ganze Japan!
– Nein, nein, das bekommst du nicht von mir wieder.

Die Himmelsfrau: Vogel ohn' Vogelkleid, wie soll ich fliegen?
Kleidlose Himmelsfrau, wo nur mich wiegen?
– Du gibst es mir wieder, Fischer. – Ich bitte dich!

Der Fischer: O, solches Bitten kommt mir grad recht.
Die kennt nun den Hakurio schlecht.
– Der ist, Leute, von Geburt ein Lümmel.
– Ein Himmelsfedernkleid. Du, mein! Das wird Hakurio fein verstecken.
Kein Mensch soll von uns wissen. – Lebwohl! – Jetzt nehm ich es also.

Die Himmelsfrau: Die himmlische Ausgeburt,
Sinkt sie nicht hin ohn' ihr Schwingenkleid!
– Kein Kleid, nirgends ein Fortkommen!

Der Fischer: Ja, siehst du, du bist jetzt recht herunter. Grad eine Fischersfrau.

Die Himmelsfrau: Wohin? Kein Weg? Kein Himmel –

Der Fischer: Weil Hakurio nämlich das Kleid zurückhält.

Die Himmelsfrau: Dadurch ward ich kraftlos.

Der Fischer: Indes –

Der Chor: Indes – All vergeblich. – Perlentränensturz,
Haarblüten kraftlos
Sind ihr nicht – sind da nicht – schon die »Fünf
Zeichen des Sturzes« sichtbar?
Jammernder Engelsanblick!

Die Himmelsfrau: So blick ich hin nach dem Himmelsland. Nun nebelt es.
Schon verlor ich den Pfad hinter den Wolken.

Der Chor: Fährst du gen Himmel, ihre Heimat, Erdengewölk?
Wie sie nun dich neidet!
Dringt dein Laut, Phönixweib, noch in ihr Gehör
Von Ferne? Eifersucht faßt sie!
Ach, sie wünschte sich nun, dieweil hörend ihr Gekreisch,
Sich Wildgans, niedrig verwandelt!
Taucher, Möwen, Luftschwärmer im Lüftemeer,
Wellen, schwellen. Und jetzt auch der Lenzwind
Senkte, und hebt sich. – Welch ein Elend!

Der Fischer: Ein Wort. – Ich kann deinen Schmerz nicht ansehn
Deiner Wangen. – Gäb ich wieder dir dein Kleid?

Die Himmelsfrau: Guter! O, gib es!

Der Fischer: Sogleich. – Also will ich es geben. Wenn –
Wenn du – sogleich – auf der Stelle –
– Jenen Tanz für mich tanzest, davon soviel ich hörte, der Himmelsfraun!

Die Himmelsfrau: O Freude, Glück der Heimkehr! Die Freude ja gibt
Den Tanz mir ein!
Einen Tanz will ich zurücklassen, der die Menschen in Himmel hebt.
Ein Tanz baute das Schloß des Mondes.
Den will ich tanzen, Euch, armen Menschen dieser Welt!
Doch wie könnt' ich tanzen ohne meine Flügel!
Gib mir meine Flügel, ich bitt dich.

Der Fischer: Ich versteh. Und hast du einmal deine Flügel,
Dann lebwohl schön Tanz und Flöte.
In den Himmel begibst du dich schleunig.

Die Himmelsfrau: So verdächtigt – irdischer Sinn.
Der Himmel, er kennt nur Wahrheit!

Der Fischer: Ich muß mich schämen. – Hier,
Bitte, nimm dein Kleid!

Die Himmelsfrau: So steigt die Jungfrau schnell in ihr Kleid:
Gebietet das Spiel des himmlischen Federnkleids!

Der Fischer: Wie der Wind in die Federn fährt!

Die Himmelsfrau: Meine Ärmel; die Blumen im Regen!

Der Fischer: Nun spielt sie –

Die Himmelsfrau: Nun tanzt sie schon!

Der Chor: Geburtsstunde, merket,
Des heiligen Suruga, Glanz der asumischen Jungfraunfüße.
– So tanze denn, tanze den Asumaschatz!

*

(Der Chor beschreibt in etwa hundert Versen den mythischen Ursprung des Tanzes.)

*

Die Himmelsfrau: Das Kleid, jetzt grünblau, wird es jetzt nicht himmelsfarb?

Der Chor: Scheint es nun nicht weißlich, Maitages-Dunst?

Die Himmelsfrau: Ja, der Jungfrau Kleid ist ohngleichen an Farbe wie an Duft.

Der Chor: Nun zur Rechten, nun zur Linken,
Überragt vom blühnden Haar,
Bewegt sie die Ärmel des Himmelskleides.
Nun zur Brust, nun zur Schulter,
Die Ärmel, zwei Vögel selber!
Immer neu, immer neu,
Schönste Mondenjungfrau,
Zum Himmel, zum Vollmond,
Bist du das Bild der Entrückung!

Gelübde, wohlgefällig; Friede den Menschen;
Gold, Silber, Achat, Azur, Perle, Korall,
Weithin säest du die »Sieben Schätze«!

– Doch sieh, doch schon
Schwand die Zeit, das Gut. Seine Schleppe
Breitet das Kleid, pfaunaugig steuernd im Seewinde.

– O, wie wir dich jetzt hoch über den Föhren sehn unsrer Mihosbucht. Nun
Über Ashitakas Haupt, nun über dem Fuji selber!

– Nun aber sehen wir dich kaum noch. – Nun bist du
Vermengt dem Dunste
Der hohen Himmelsebne! – Nun leider
Bist du uns ganz entschwunden!

*

Die drei Krüppel

Die Gewohnheit, Krüppel zu halten, die dem modernen Menschen so sehr absurd und hier als ein »unmöglicher« Posseneinfall erscheint, findet sich bei vielen Primitiven. Ein Rest davon ist in dem christlichen Europa noch der Hofzwerg. In den Kyogen sind die Krüppel wohl aber Nachfolger echter »Zwergen«-Tänze.

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Der Hausherr.
Der Blinde.
Ein Mann ohne Füße .
Ein Stummer.

Hausherr: Ich bin hier in dieser Stadt ein Hausherr. Heute will ich lauter Krüppel um mich haben. Ich weiß schon, weshalb. Ein Plakat soll das anzeigen. So, da ist es!

Blinder: Ich bin eigentlich ein Spieler hier in dieser Stadt. Seit einigen Tagen hab ich Mißgeschick gehabt. Mußte alle meine Möbel verkaufen, von Gold und Silber zu schweigen. Ich wußte nicht, wie ich über den Tag hinwegkomme. Doch dort über dem Berg (mit dem Finger dahin zeigend) sucht irgendeiner nach Krüppeln. Ich bin ja von Natur ganz gesund. Man sagt mir immer, daß ich die Augen überall habe. Na – so will ich einmal umgekehrt den Blinden spielen. – Ich hätte freilich besser aufhören sollen, als mir alle Leute es rieten. Nun kann ich schon nicht mehr zurück. Bin auf den Hund gekommen. Da bin ich jetzt. Will mich melden und den Blinden spielen. – Hier bitte.

Hausherr: Es ist jemand draußen. Wer bist du?

Blinder: Ein Blinder, gnädiger Herr, ist wegen des Plakats da.

Hausherr: Also du bist blind. Schön, sollst mich bedienen. Komm hierher.

Blinder: Dank schön. Ich bin so frei.

Mann ohne Füße: Ich bin eigentlich ein stadtbekannter Spieler. Da hab ich mit jungen Leuten gespielt, Möbel verkaufen müssen, von Gold und Silber ganz zu schweigen. Ich wußte nicht, wie ich über den Tag wegkomme. Doch da hinter dem Berg (mit den Fingern zeigend) sucht irgendeiner nach Krüppeln. Ich bin nämlich von Natur gar nicht verkrüppelt. Ich habe wundervolle feste Beine. Nun, so will ich heute zur Abwechslung einen ohne Beine machen. (Er tut es). – Natürlich habe ich Dummheiten gemacht. Bin ganz auf dem Hund. Reue aber verspätet, ist unfruchtbar. Da bin ich jetzt. Also ein Mann ohne Beine. Hier, bitte!

Hausherr: Es ist wer draußen. Wer bist du?

Mann ohne Füße: Ich bin ein Mann ohne Beine. Komm wegen des Plakats.

Hausherr: Schön, du hast keine Beine. Du tust mir wirklich leid . Du sollst mich bedienen. Komm her!

Mann ohne Füße: Dankschön, Dankschön. Bin so frei.

Hausherr: Mach dir's bequem!

Mann ohne Füße: Dankschön. Dankschön, viel tausendmal.

Stummer: Ich bin eigentlich ein Spieler, ziemlich bekannt in dieser Stadt. Kürzlich habe ich mit andern gespielt. Hab Malheur gehabt. Mußte alles bis hinunter zu den Kleidern meiner Frau verkaufen, von Gold und Silber ganz zu schweigen. Kaum wußt' ich, wie ich über diesen Tag hinweg komme. Da hab' ich ein Plakat entdeckt, daß man Krüppel sucht hinter dem Berg. Ich bin nämlich ganz gesund von Natur. Man nennt mich überall einen Schwätzer. – Na – will ich zur Abwechslung mal einen Stummen spielen. Hab auch mein Stummen-Werkzeug mitgebracht. Der Himmel, so sagt man, läßt die Leute nicht umkommen. Komm ich an, so erhalte ich wenigstens ein Essen. Also einen Stummen nachmachen! Ich muß mit den zwei Bambusstäbchen anpochen.

Hausherr: Horch. Irgend jemand seufzt draußen. Wer bist du?

Stummer: A...a...a

Hausherr: Du bist stumm?

Stummer: A...a...a

Hausherr: Du sollst mich bedienen. Kannst du keinerlei Gewerbe?

Der Stumme zeigt, daß er sich aufs Bogenschießen versteht.

Hausherr: Du kannst Bogenschießen?

Stummer: A...a...a

Hausherr: Kannst du sonst noch etwas?

Der Stumme zeigt, daß er einen Speer werfen kann.

Hausherr: Du bist ein Lanzenschwinger? Schön, sollst ein hohes Gehalt bekommen.

Stummer: Dankschön ... (hält sich den Mund zu).

Hausherr: Komisch, dieser Stumme hat zu reden begonnen! Aber wenn ein Stummer spricht, bringt es Glück. Du sollst mich bedienen, nimm Platz!

Stummer: A...a...a

Hausherr: Endlich hab ich Krüppel um mich. Ich will ihnen Arbeit zurücklassen. Und ein wenig ausgehen. Hallo, Herr Blinder!

Blinder: Bittschön. Bittschön.

Hausherr: Ich geh fort auf vier bis fünf Tage. Du sollst solang auf die Kleider aufpassen. Gib auch gut acht!

Blinder: Seien Sie ganz unbesorgt! Ich will gut aufpassen. Glückliche Reise.

Hausherr: Schön. Hallo, Herr ohne Beine! Ich verreise auf vier bis fünf Tage. Ich vertraue Ihnen mein Geld an. Geben Sie mir auch gut acht!

Mann ohne Füße: Seien Sie unbesorgt! Glückliche Reise!

Hausherr: Schön. – Hallo, Herr Stummer!

Stummer: A...a...a

Hausherr: Ich verreise auf vier bis fünf Tage. Du übernimmst den Keller.

Stummer: A...a...a

Hausherr: Ich bleibe nicht lange.

Hausherr ab.

Blinder: Verdammt langweilig, die Augen immer geschlossen zu halten. – Ob ich sie nicht ein wenig öffne?

Mann ohne Füße: Es tut mir weh, die Beine immer nach hinten zu halten. – Ob ich sie wohl ausstrecke?

Beide schauen einander an.

Blinder: Donnerwetter, bist dus?! Du bist gewiß wegen deiner jüngsten Pleite da?

Mann ohne Füße: Erraten. Aber, ich höre da jemand seufzen. Gehen wir hin!

Blinder: Schön, gehen wir hin! Wer mag das nur sein? Wir wollen ihn erschrecken.

Beide: Hallo!

Stummer: A...a...a

Beide: Zu spaßhaft!

Stummer: Also, ihr seid es! Ihr seid gewiß wegen eurer letzten Pleiten hier.

Mann ohne Füße: Natürlich.

Stummer: Wie seid ihr hergekommen?

Mann ohne Füße: Der da ist blind. Ich habe keine Beine, und du, wie bist du hergekommen?

Stummer: Seht, man nannt mich doch einen Schwätzer. So bin ich diesmal stumm.

Blinder: Ausgezeichnet. Du bist sehr gut stumm.

Stummer: Der Herr ist auf vier bis fünf Tage verreist. Hat er euch kein Geschäft hinterlassen?

Mann ohne Füße: Natürlich, natürlich. Jeder hat sein Geschäft. Der Blinde gibt acht, daß niemand seine Kleider stiehlt.

Stummer: Ausgezeichnet.

Blinder: Und du, was hast du zu bewachen?

Stummer: Den Keller.

Beide: Ganz ausgezeichnet.

Stummer: Also, paßt auf, was ich euch sagen will! Zuerst wollen wir den Keller aufmachen, der mir anvertraut ist und die Tonfässer austrinken. Dann wollen wir die Kasse aufmachen und ein Spielchen machen. Dann wollen wir die Garderobe aufmachen und uns die Kleider anziehn. Dann laufen wir schnell weg.

Beide andere: Wunderbar einfach.

Stummer: Also, kommt her! Öffnen wir zusammen den Keller!

Wtttttttttttt ... srasara ... Die Tür ist offen.

Stummer: Erraten. Soviele Fässer ... trinken wir. Heben wir hier den Deckel auf! Ach – feinster (Schnaps). Laßt euch einschenken! Trinkt doch, trinkt, trinkt!

Beide andere: Schenk ein! Das muß man verkosten. Das muß man trinken. Das ist feinster (Schnaps). Trink doch, Stummer!

Stummer: Jetzt will ich ein Lied singen.

Beide andere: Ausgezeichnet.

Blinder: Ich will selber nachschenken.

Stummer: Genug, genug. – Trink selbst, Blinder.

Alle drei singen.

Stummer: Das war ein Schnäpschen.

Mann ohne Füße: Tanz uns etwas vor!

Blinder: So will ich tanzen.

Beide andere: Wundervoll.

Blinder: Singt dafür etwas.

Beide andere singen. Blinder tanzt.

Stummer: Ich muß noch was zu trinken haben. Tanz du einmal, Mann ohne Beine!

Mann ohne Füße: Gleich tanz ich.

Beide andere: Sehr schön. Sehr schön.

Stummer singt. Mann ohne Füße und Blinder tanzen.

Beide andere: Wundervoll. Jetzt tanze du, Stummer!

Stummer: Gleich will ich tanzen.

Alle drei verüben großen Lärm.

Hausherr (kommt mitten in den Lärm herein): Ich bin doch etwas unruhig, daß ich die drei Krüppel allein zurückgelassen habe. Aber das ist seltsam, und ich höre Lärm, wie von einem Bankett. Der Blinde hält die Augen offen – und der Stumme redet? Der Mann ohne Beine geht aufrecht daher? Ihr seid alle drei große Gauner!

Die drei Krüppel: Verdammt, er ist zurückgekommen. Was tun?

Stummer: Sie sind wieder da?

Blinder: A...a...a

Hausherr: Eben warst du doch blind, jetzt bist du stumm! Und du, Mann ohne Beine bist jetzt blind! Ihr Obergauner! Das laß ich euch nicht durchgehen!

Stummer: Verzeihen Sie doch, ich kann mich so gerade hinschleppen.

Hausherr: Du warst doch stumm und jetzt kannst du dich gerade so hinschleppen im Reden?

Stummer: A...a...a

Hausherr: Derweil redest du solch Zeug! He, ihr Gauner! Das laß ich euch nicht durchgehen!

Die drei Krüppel: Verzeihen Sie, bitte! Verzeihen Sie!

Hausherr: Nein, ich verzeih euch nicht.

*


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