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Kamakura-Zeit

Gedichte

Auch nach der Heian-Zeit erschienen immer zahlreichere kaiserliche Sammlungen, herausgegeben von den neuen Dichterschulen der Nachkommen des Sadaie (Teika). Die erste Anthologie Shin-Kokinshu vom Jahre 1205 enthält noch zahlreiche Gedichte vom Charakter der Heian-Zeit. Acht weitere Sammlungen erschienen dann während des Kamakura, vier mit Gedichten aus der Nambokucho-Zeit, schließlich eine letzte Sammlung mit Versen der Muromachi-Periode. Alle zusammen bilden das Nijuchidai-shu die »Sammlung aus Einundzwanzig Reichen« (Perioden).

Der Charakter der Gedichte wird immer artistischer, sprachknapper. Einen bedeutenden Ruhm genießt Sanetomo, der sogenannte »Staatsmann von Kamakura«, der letzte der Shogune aus dem Geschlecht Yoritomos, der 1219 zu Kamakura im Tempel des Gottes Hachiman, des Schirmgottes der Minamoto, von seinem Neffen erstochen wurde.

Aus der Kamakura-Zeit ist auch noch die private Sammlung des Hyakunin-isshu (»Auf hundert Mann je ein Gedicht«, d. h. Hundert Gedichte von hundert Dichtern). Die Sammlung wird dem Fujiwara Sadaie (1161 bis 1241) zugeschrieben, bekannter unter dem sinojapanischen Namen Teika, der persönlich und durch seine drei Söhne der Begründer dreier Dichtersippen und des späteren adeligen Meistergesangs wurde. Dieser Dichter soll danach die Hundert Gedichte auf farbiges Papier gemalt haben zur Ausstattung eines Landhauses, und seine Sammlung hat wenigstens späterhin zu jedem gebildeten japanischen Hause gehört. Seit Ende des siebzehnten Jahrhunderts findet man sie als klassisches Schulbuch für junge Damen und als Kartenspiel! Die »Hundert Gedichte« sind demnach jedem modernen Japaner vertraut. Die meisten dieser Gedichte haben wir jedoch bereits unter den Liedern der vorigen (Heian)-Periode abgedruckt, zu der sie zeitlich gehören. Hier geben wir nur den Nachtrag aus der Kamakura-Zeit selbst.

Die Dichter sind: Kintsune (1169 bis 1244), ein Bonze, der vorher eine bedeutende politische Rolle gespielt hatte. Kintsune ist der Ahnherr des Geschlechtes Saionji, aus dem der japanische Ministerpräsident dieses Namens entstammt, der Vorsitzende der japanischen »Verfassungspartei« und Hauptvertreter Japans bei den Friedenskonferenzen von 1919.

Der Fujiwara Jetaka, chinesisch Karyu. Der Alt-Kaiser Toba (1184 bis 1198), der Zeitgenosse des bereits genannten Shoguns Sanetomo, nach dessen Tode (Ermordung) er die Macht wieder an sich reißen wollte, jedoch geschlagen und auf die Insel Oki verbannt wurde.

Endlich dessen Sohn, der Kaiser Juntoku, der 1211 bis 1221 zu Lebzeiten des Vaters gleich so vielen seiner Vorgänger eingesetzt und nach Erreichung des Jünglingsalters wieder verbannt wurde. In seiner Verbannung soll er die mitgeteilten Verse geschrieben haben, die gleich den Versen seines Vaters persönliche Gefühle des Ex-Regenten ausdrücken. Sein Gedicht, das letzte von uns gebrachte Gedicht Alt-Japans, ist wieder charakteristischerweise auf ein »Angelwort« aufgebaut: Shinobu (Davalia) ist eine Erikaart, deren Namen zugleich »Liebesgedanken« bedeutet (etwa »Vergißmeinnicht«).

Der Schwerpunkt der Literatur Japans liegt aber in der Kamakura-Zeit bereits in der, sprachlich mehr sinojapanischen, Prosa.

–-

Der Shogun Sanetomo

In dieser Welt
O gäbe es Dauer!
Wie rührend dieses Boot,
Den Leinpfad entlang gezogen von den Fischerfraun!

(Aus der kaiserlichen Sammlung Shinchokujenshu.)

Aus den »Hundert Gedichten« (Sammlung des Teika)

Der Bonze (Kintsune)

Der Schnee nicht war es
Der Blütenschnee
Allein nicht war's,
Im Gartensturm –
Was fiel und verfiel, war ich selber!

Sadaie (Teika)

Wie der Tang, entzündet
Der Meeres-Dung,
Im Abendlicht,
So verzehr' ich mich
Am Strande »Einsam«,
– Einsam, da Sie mir fehlt!

Karyu

Abend. Vom Nara-
Flusse der leise Wind,
Die Sühnung am Flusse:
Der Sommer ist da!

Des Exkaisers Go-Toba Spruch

Solche sind, die ich beklage
Solche, die ich verachte,
Mein eig'nes Leben
Nicht acht' ich's, der Kläger.

Des Exkaisers Juntoku Spruch

O Haus-der-Hundert-Steine!
Noch mehr als deine
Gestürzten Balken
Vergiß-mein-nicht!

*

Schriften des Kamakura

Der Geschichtsroman

Die Literatur der Kamakura-Zeit ist eine Literatur des Krieges. Buddhistische ritterliche Chroniken überliefern uns die Kämpfe um die Nachfolge der Shogune von Kioto: zunächst das Hogen und das Heiji Monogatari noch vom Ausgang der Heian-Zeit. Danach das Heike-Monogatari und das Gempei Seisuki, das sind die Geschichte der Hei und die »Geschichte der Größe und des Falls der Gen und Hei«, nämlich des Kampfes zwischen den Häusern Minamoto (auf chinesisch Gen) und Taira (auf chinesisch Hei) bis zum Endsieg der Minamoto in der Seeschlacht von Dannoura (1185), deren Bericht hier von uns mitgeteilt ist.

Verfasser und genaue Abfassungszeit aller dieser Werke sind unbekannt. Man kann nur annehmen, daß die beiden letztgenannten Schriften ungefähr gleichzeitig in der ersten Hälfte der neuen Zeit erschienen sind. Beide Werke sind ausgesprochene Geschichtsromane; das Heike-Monogatari ist vom Standpunkt eines Anhängers der Hei oder Taira, das Gempei-Monogatari ist vom politischen oder besser Gefühlsstandpunkt eines Anhängers der siegreichen Gen-Minamoto geschrieben. Das Heike-Monogatari zeigt jedoch älteren Sprachcharakter, eine Art rhythmischer Prosa mit eingestreuten Versen von fünf und sieben Silben. Sicherlich wurde es rezitiert in einem Sprechgesang, von einer Klasse blinder Sänger, genannt Biwa hoshi, den »Lauten-Bonzen«, den Nachfolgern älterer Rezitatoren, Fahrenden also.

Durch diesen Vortrag ist das Heike-Monogatari besonders volkstümlich geworden und bis auf den heutigen Tag geblieben. Es ist das eigentliche »Chanson de geste« der Japaner. Die Übertragung von Karl Florenz, die wir hier abdrucken, folgt allerdings nicht diesem Stile. Im Original ist jedes auf das kaiserliche Haus bezügliche Substantiv offiziös wie im Kojiki mit dem Epitheton »göttlich-erhaben« versehen sowie der Ausdruck für jede Aktion mit dem Adverb »ehrfurchtsvoll« (so versenken die Wellen ehrfurchtsvoll den göttlich-erhabenen Leib des Kaiserkindes, das Schloß ist göttlich-erhaben usw.), welche Phraseologie in der Florenzschen Übertragung weggefallen ist. (Die in der Erzählung erwähnten »zehn Tugenden« Ju-sen sind die zehn buddhistischen Tugenden, die drei körperlichen: nichts Lebendiges zu töten, nichts zu entwenden, keinen Ehebruch zu begehen, dann die »vier Tugenden der Zunge«, nämlich: nicht lügen, nicht übertreiben, nichts Übles reden, nicht doppelzüngig sein, und endlich die »drei Tugenden des Geistes«, das ist: nicht heftig begehren, nicht der Leidenschaft nachgeben, keiner Irrlehre oder Zweifelsucht folgen.)

Aus dem Gempei Seisuki, dem künstlerisch höherstehenden der beiden Werke, dessen Sprache den Übergang von dem den heutigen Japanern unverständlichen Altjapanisch zum Neujapanischen bildet, bringen wir die für den romantischen und reich individualisierenden Charakter bezeichnende Erzählung von dem ritterlichen Ende eines Samurai. (Die Erzählung hat in dem Original einen [vielleicht interpolierten] Nachsatz, die Anspielung auf eine chinesische Legende, deren Mitteilung wir uns nicht versagen können: Der Chinese Kioyu, ein Weiser Chinas, dessen Lebenszeit die Legende in das vierte Jahrtausend v. Chr. hinaufrückt, genießt einen so hohen Ruf, daß der Kaiser Yao ihn durch Abgesandte auffordern läßt, an seiner Stelle die Herrschaft oder Regierung zu übernehmen. Kioyu geht wortlos zum Flusse, um seine Ohren von dem Schmutz, der in dieser Botschaft notwendig enthalten ist, zu reinigen oder vielleicht zu entsühnen. Sofu, ein Genosse des Weisen, führt eben seinen Ochsen zur Tränke und zieht ihn sogleich von dem Wasser zurück, das nun die Verunreinigung und Sünde der kaiserlichen Botschaft enthält. Diese taoistische Geschichte erreicht wohl an Kraft alles Indische, soweit sie nicht etwa selbst unmittelbar indisch beeinflußt ist.)

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Aus dem Heike Monogatari

I
(Wie Tomomori das Schlachtfeld verließ und sich einschiffte)

Während also einerseits dies geschah, rettete sich der neue Kanzler Herr Tomomori nach dem Strande. Aber weil jener der Statthalter der Provinz Musashi war, und es daher unter den Feinden einige gab, die ihn wohl kannten, so verfolgten ihn drei Berittene aus der Kodama-Gemeinde, indem sie ihre Fahnen mit dem Uchiwa-Wappen schwangen und riefen: »Der Mann, der da flieht, scheint ein Feldherr zu sein. Wie feige zeigt er uns den Rücken!« So rufend, kamen sie ganz dicht an ihn heran. Da aber schnellte Kemmotsu-taro Yorikata, des Kanzlers Vasall, ein vortrefflicher Bogenschütze, einen Pfeil von dem straffgespannten Bogen. Der feindliche Fahnenträger ließ sich durch diesen Pfeil den Knochen am Gelenk durchschießen und fiel vom Pferde. Die beiden andern stürzten mit seitwärts vorgehaltenem Hinterhelmschutz auf ihn los, und als der Kanzler dadurch gefährdet schien, stürzte sein Sohn Tomo-akira, der Statthalter von Musashi, sich mitten zwischen sie, wurde mit den Beiden handgemein, sprang vom Pferde, packte den einen seiner Gegner fest und schnitt ihm den Kopf ab. In diesem Augenblick fiel ihn der feindliche Knappe an und tötete ihn, den Gouverneur von Musashi. Der Bogenschütz Yori-kata eilte herzu, den Bogen klatsch von sich werfend, und nahm dem Knappen den Kopf. Als Yori-kata, den Kopf seines Herrn und den des Knappen in der Hand, das Pferd besteigen wollte, ließ er sich das Kniegelenk durchschießen, und als er jetzt das Ende gekommen meinte, schnitt er sich den Bauch auf, um nicht in die Hände der Feinde zu fallen, und starb so. Während dieser tumultuösen Vorgänge rettete sich der neue Kanzler auf ein Schiff, weil er auf einem vortrefflichen Pferde namens Inoue geritten und auf ihm drei Cho weit über das Wasser des Meeres geschwommen war. – Tomo-akira hatte auf der Stelle das Haupt eines Helden gewonnen und sich dadurch den Ruhm eines heldenmütigen Mannes verdient. Er hatte seinen Vater vom Tode gerettet und dabei für immer sein eigenes Leben verloren. – Und da auf dem Schiffe kein Raum war, wo man das Pferd hätte hinstellen können, so drehte Tomomori des Pferdes Kopf nach dem der Küste zugekehrten Schiffsbord und gab ihm einen Peitschenhieb. Da ging das Pferd schwimmend zurück. Awa no Mimbu Narishige sagte darauf: »Bequemt Euch, jenes Pferd zu erschießen! Es kommt sonst in den Besitz der Feinde.« Doch der Staatsrat entgegnete: »Wie könnte ich das Pferd töten, das mir das Leben gerettet hat? Und sollte das Roß auch dem Feinde anheimfallen!« Und es war, als ob ihn der Abschied mit Trauer erfüllte. Das Pferd erreichte schwimmend das brandende Gestade, blickte, von Wasser triefend, nach dem Schiffe zurück, des jahrelangen innigen Verhältnisses zu seinem Herrn gedenkend, und wieherte dreimal. Es war doch traurig, wenn es auch nur ein Tier war!

*

II
Die Seeschlacht von Dan-no-ura

(Der entscheidende Sieg der Minamoto [Gen] über die Taira [Hei] im Kampf um den Shogunat)

»Die Einnahme von Yashima schnitt die Hei von (der Insel) Kyushu ab. Unfähig, einen Zufluchtshafen zu finden, trieben sie nach Dan-no-ura in Nagato Akama (Shimonoseki), Moji und Hikoshima hin. Hier blieben sie an Bord ihrer Schiffe auf dem Wasser. Die Gen-Flotte kam in der Bucht von Katsura in der Provinz Awa an. Die Gen waren in den verschiedenen Gefechten hier und da Sieger geblieben, hatten den Palast von Yashima erobert und folgten nun den Bewegungen der Hei-Schiffe, indem sie die Verfolgung zu Lande aufnahmen, wie der Habicht hinter den Fasanen her ist, wenn die Heiden abgebrannt sind und ihnen kein schützender Ort mehr bleibt. Die Gen-Flotte erreichte einen Ort namens Oitsuheitsu, über zwanzig Cho (etwa eine halbe geographische Meile) von der Stellung der Anhänger des Hei-Hauses entfernt. Am 24. März desselben Jahres (1185) griff Yoshitsune (der berühmteste Ritter Japans) bei Morgengrauen auf über siebenhundert Schiffen an. Die Hei waren nicht unvorbereitet. Mit mehr als fünfhundert Kriegsfahrzeugen rückten sie ihm entgegen und tauschten die Pfeile aus. Die beiden Heere der Gen und Hei zählten zusammen über hunderttausend Mann, und der Lärm des Schlachtgeschreis auf beiden Seiden und das Getön der Brummpfeile, wie sie hinüber und herüber schwirrten, war betäubend; man sollte denken, daß es bis zum azurnen Himmel oben hörbar war und in den tiefsten Tiefen des Meeres widerhallte. Der Gen-General Noriyori war inzwischen mit dreißigtausend Berittenen in Kyushu angekommen und hatte so den Feinden den Rückzug nach dieser Seite hin verlegt. Die Hei waren wie ein Vogel im Käfig, der nicht entfliehen kann, oder wie ein Fisch in der Reuse, aus der es keinen Ausweg gibt. Auf der See schwammen die Schiffe, auf dem Lande waren die Reitstangen eine neben der anderen. Ost und West, Süd und Nord waren verschlossen, nirgends war ein Entkommen möglich.

Der Taira Tomomori stand vorn am Bug seines Schiffes und sprach: »Laßt uns diesen Tag als unseren letzten betrachten und alle Gedanken an einen Rückzug verbannen. In alten und in neuen Zeiten hat es Beispiele gegeben, daß selbst berühmte Heerführer und tapfere Krieger, wenn ihre Heere geschlagen waren und ihr gutes Glück sie verlassen hatte, von Reisenden aufgebracht und von Wanderern gefangen genommen wurden. All dies kam her von dem Bemühen, einen unvermeidlichen Tod vermeiden zu wollen. Laßt uns alle heute unser Leben der Vernichtung anheimgeben und an nichts anderes denken als unsern Namen der Nachwelt zu überliefern. Laßt uns vor diesen Gesellen aus dem Ostlande keinerlei Schwäche zeigen! Oder sollen wir etwa mit unserm Leben geizen? Wir wollen uns verbünden in dem Entschluß, Yoshitsune zu ergreifen und ihn in die See zu schleudern. Dies sollte unser Hauptziel in der heutigen Schlacht sein!« – – –

Als Yoshitsune bemerkte, daß seine Truppen zu weichen anfingen, spülte er sich den Mund mit Meerwasser und betete mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen zum großen Bodhisattva Hachiman um Beistand. Hierauf kam ein Paar weiße Tauben herbeigeflogen und ließ sich auf Yoshitsunes Fahne nieder. Während die Gen und Hei sagten: »Seht da, seht da«, kam eine schwarze Wolkenmasse von Osten herangeschwebt und blieb dann über dem Schlachtgefilde hängen. Aus dieser Wolke kam eine weiße Fahne herab, während Yoshitsunes Fahne hin- und herwehend mit den Wolken davonschwebte. Die Gen falteten ihre Hände zum Gebet, während den Hei die Haare zu Berge standen und die Herzen ihnen im Busen zusammenschrumpften. Durch dieses günstige Vorzeichen von neuem Mute beseelt, erhoben die Gen-Soldaten ein lautes Geschrei. Einige schifften sich in Boote ein und ruderten kämpfend darauf los; andere marschierten am Lande hin, legten Pfeil auf Pfeil in rascher Folge auf den Bogen und kämpften eine Pfeilschlacht. – – –

Der Gen waren viele, und vom Erfolg ermutigt, drängten sie vorwärts zum Angriff. Die Hei waren weniger zahlreich, verhielten sich aber so, als wenn dieser Tag ihr letzter wäre. Kann die Schlacht zwischen Indra und den Asura schrecklicher gewesen sein als diese? Die Hei-Schiffe waren in doppelter oder dreifacher Linie aufgestellt. Das Schiff von chinesischer Bauart war so mit Truppen besetzt, daß man die Anwesenheit des Generals an Bord daraus ersehen konnte. Auf den gewöhnlichen Kampfschiffen hatten sich die Daijin und andere Offiziere von niedrigerem Range eingeschifft. Der Plan der Hei war, daß, während die Gen das chinesische Schiff angriffen, die Kampfschiffe die feindlichen Schiffe umgehen, sie einschließen und die Gen bis auf den letzten Mann niedermachen sollten.

Da änderte Shigeyoshi, der bisher der Sache der Hei so treu angehangen hatte, plötzlich seinen Sinn, ruderte mit mehr als dreihundert Schiffen, welche mit Shikoku-Leuten bemannt waren, von dannen und sah der Schlacht müßig zu; bereit, seine Pfeile gegen die Gen abzuschießen, wenn die Hei sich als die stärkeren erweisen sollten, umgekehrt aber sie gegen die Hei zu richten, wenn die Gen im Vorteil sein würden. Wie wahr ist es doch, daß man sich auf den Himmel verlassen kann; daß aber das einzige Ding, worauf man sich nicht verlassen darf, des Menschen Gesinnung ist!«

*

»Niidono (die in den Händen der Tairo [Hei] befindliche Kaiserin-Witwe, die bereits vor langem den Schleier genommen hatte, Großmutter des zum Kaiser gemachten Knaben) war schon lange auf die Niederlage der Taira vorbereitet. Sie steckte ihr seidenes Beinkleid seitwärts hoch auf, nahm das heilige Siegel unter den Arm und umgürtete ihre Lenden mit dem heiligen Schwert. Dann nahm sie den Kaiser an die Brust und sprach: »Obgleich ich nur ein Weib bin, will ich den Feind nicht Hand an mich legen lassen. Ich werde meinen Fürsten begleiten. Ihr alle, die ihr seinen Willen achtet, folget uns eiligst!« Sprach's und stellte ruhig den Fuß auf den Rand des Schiffes. Der Kaiser hatte in diesem Jahr sein achtes Lebensjahr erreicht, sah aber viel älter aus. Sein erlauchtes Gesicht war so schön, daß es Glanz um sich verbreitete. Seine schwarzen Haare hingen ihm lose auf den Rücken herab. Mit erstaunter Miene fragte er: »Amaze (Nonne), wo willst du mit mir hin?« Niidono wandte dem Fürstenkinde ihr Antlitz zu und sprach, indem ihr die Tränen aus den Augen tropften: »Wisset, mein Gebieter: obgleich Ihr in dieser Welt als Herrscher über zehntausend Wagen geboren seid, weil Ihr in einer früheren Existenz die zehn Gebote gehalten habt, so seid Ihr doch in ein böses Geschick verwickelt worden, und Euer gutes Glück ist jetzt zu Ende. Bitte, kehrt Euch nach Osten und saget dem Schrein der großen Gottheit zu Ise Lebewohl. Wendet Euch dann nach Westen, rufet den Namen Buddhas an und überantwortet Euch feierlich denen, welche Euch vom Paradies des Westlandes entgegenkommen werden. Diese Welt ist die Region des Jammers, ein entlegenes Fleckchen so klein wie ein Hirsenkorn. Aber unter den Wellen ist eine schöne Stadt, genannt das reine Land der vollkommenen Glückseligkeit. Dorthin will ich Euch mitnehmen.« Mit diesen Worten beschwichtigte sie ihn. Das Kind band hierauf seinen Schopf an sein kaiserliches Gewand von der Farbe der Bergtaube und faltete mit Tränen in den Augen seine lieben kleinen Hände. Zuerst kehrte er sich nach Osten und sagte dem Schrein der Gottheit zu Ise und dem Hachiman-Schrein Lebewohl; dann kehrte er sich gegen Westen und rief den Namen Buddhas an. Hierauf erkühnte sich Niidono, ihn auf die Arme zu nehmen, und indem sie ihn mit den Worten: »Dort unten unter den Wellen ist eine Stadt« beschwichtigte, versank sie mit ihm in den Grund, eintausend Faden tief. Ach, welch' ein Jammer! – Die wechselvollen Winde des Frühlings zerstreuten eilig die hehre Blütengestalt. Ach, welch ein Leid! – Die rauhen Wogen der Trennung begruben das Juwelenwesen. Sein Palast war Chosei geheißen, um anzuzeigen, daß er ihm als immerwährender Aufenthalt dienen sollte; und über dem Tore stand Furo geschrieben, das ist das Tor, durch welches das Alter keinen Zutritt hat. Aber ehe zehn Jahre verflossen waren, war er zum Getriebe der tiefen See geworden. Bei einem so tugendhaften Monarchen würde es nicht am Platze sein, von Belohnung und Vergeltung zu reden. Er ist der Drache der Region über den Wolken, der herabsteigt und sich in einen Fisch verwandelt.« (Er wurde als Gott dem indischen Varuna gleichgesetzt).

*

Aus »Der Gen und Hei Fall und Größe«

Bedachte sich ein Samurai, ein Mann der Hei, sässig im Lande Musashi, des Namens von Nagai Graf Saito, Sanemori. »Nun zähl ich mehr denn siebzig Jahr. Keinen Ruhm mehr hab ich zu gewinnen. Meinem Tod vermag ich nicht zu entkommen. Einerlei, wo ich ihn finde.« So legt' er denn seinen Waffenrock an, rotseidengestickt, darauf seinen Harnisch und Schienen mit den gefärbten Flechsen. Um die Schulter tat er die achtzehn Pfeile, gefiedert mit Falkengefieder. So zog er allein in den Kampf, forcht den Tod nicht. Im Koso-Heer damals ritt ein Mann, sässig aus dem Shinanland, des Namens Tezuka Taro Junker Mizumori. Den Blick auf Sanemori gerichtet, ritt er ihn flugs an. Der Alte gleicherweis, den Blick auf den Tezuka gerichtet, nahm ihn an. Der Tezuka, herangekommen, fragt da: »Wer seid Ihr, daß Ihr als Einzelner in den Kampf zieht? Seid Ihr ein Feldhauptmann oder ein schlichter Ritter? Ihr seid mir verdrießlich. Gebt mir Euren Namen kund. Ich selbst bin der Stammhalter Mizumori von den Tezuka auf Kanadsashi aus dem Dorfe Sura in Shinano. Ich rühm mich ein guter Gegner. Kündet Euren Namen, auf daß wir loslegen.« Sanemori sagt: »Ich habe Euch schon nennen hören. Ich selbst nenn mich nicht. Weiß selber wohl warum. Ich haß Euch nicht. Trennt mir den Kopf ohne weiteres, um ihn zu den Gens zu schicken. Sie werden ihn Euch wohl lohnen. Werft ihn aber nicht in den Fluß. Der Herr Kiso kennt mich seit langem. Ich kämpf allein, weil ich lebenssatt bin. Wer auch Gegner sein mag, der Kampf ist schön. Nun komm an, Tezuka.«

Damit ließ er den Bogen fallen, sprengte gegen Tezuka. Ein Mann des Selbigen, der nicht wollt, daß sein Herr gegriffen würde, warf sich dazwischen. Der ward nun selbst gegriffen von dem Sanemori. »Du bist ein Mann des Tezuka. Ich kann dich deshalb nicht schonen.«

Damit griff er ihm hinten in die Harnischplatte und indem er mit seiner Linken ihm in den Zügel fiel, riß er ihn vom Roß und zerrt' ihn also, daß seine Füße länger kein Fuß hoch über dem Boden waren. Der Tezuka, um seinen Mann zu retten, greift dem Feind nun selber von hinten an die Harnischplatte. Uff, so kommt er selber aus dem Sattel nieder. Sanemori hätte gern gegen zwei Feinde zugleich gekämpft. Also fallen sie ihrer drei miteinander zu Boden von den Pferden. Sanemori greift schnell den Mann des Tezuka und trennt ihm mit dem Schwert das Haupt ab. Zugleich lockert der Tezuka Sanemoris rechte Schulterplatte und stößt ihm seine Waffe bis übers Heft in den Leib. Darauf trennt er auch ihm das Haupt ab.

So trägt der Tezuka das Haupt seines Gegners mit fort, reitet vor den Herren Kiso und spricht: »Mizumori ist Preisträger eines gewaltigen Heldenhaupts geworden! Auf meine Aufforderung, sich zu nennen, erwiderte er nur: ›Ich verschweig mich aus Gründen. Doch der Herr Kiso kennt mich lang.‹ Und dabei blieb's also. Fragt' ich mich: ›Ist's ein Ritter?‹, so trug er gestickte Seide. Fragt' ich mich: ›Ist's ein Feldhauptmann?‹, so war er da ohne Ritter. Fragt' ich mich: ›Stammt er aus dem Westen?‹, so redete er, wie die Bando reden. Fragt'ich mich: ›Ist's ein Junger?‹, so zeugten doch seine Falten von seinen hohen Jahren. Fragt' ich mich: ›War's ein Alter?‹, so zeugten doch die schwarzen Haare und der Bart von seiner Vollkraft. Wessen ist nun dieses Haupt?«

Kiso dacht eine Weile nach, sodann klagt er: »O wehe! Das kann doch keiner denn der Graf Saito von Musashi sein! Allein, da ich doch ganz jung war, zu der Zeit, da wir Verkehr pflogen, müßt er freilich heute den Kopf voll weißer Haare haben! Wieso sind nur seine Haare und sein Bart schwarz? Es will mir dennoch scheinen, als ob dies seine Züge wären. Das ist doch zu seltsam. Higuchi ist sein alter Waffengefährte. Higuchi muß ihn kennen.«

Higuchi wurde herzugerufen. Nahm das Haupt, warf nur einen Blick darauf. Und schon heult er. Plärrte: »Ach weh, es ist Sanemuri!« »Und woher der schwarze Bart, die schwarzen Haare?« »Jetzt erinnere ich mich«, meint Higuchi. »Immer pflegte Sanemuri zu sagen: ›Die alten Leute, die Pfeile und Bogen zum Kampf ergreifen, sollten sich das Haar mit Tusche schwärzen. Darum sag ich: Schon in Friedenszeiten verlachen die jungen Leute das weiße Haar. Nun gar erst im Felde. Sprengt da ein Alter an, so nennen sie ihn unsinnig. Weicht er wieder, so verhöhnen sie ihn als Memme. In keinem Fall kann man den jungen Leuten ankommen. Auch der Feind verachtet den Greis als zu allem unnütz. Nichts Traurigeres, weiß Gott, als die weißen Haare.‹ ›Man soll ein Wort hinterlassen‹, sagte damals noch Sanemuri, ›um die Menschen an einen zu erinnern.‹ Darum also hat er sich das Haar geschwärzt!«

Und da sie Gefährten gewesen waren, bat Kanemitsu, der Junker von Higuchi, um Wasser und wusch damit das Haupt, das alsbald ein Greisenhaupt voll weißer Haare wurde. Nun sah'n erst alle, daß es wirklich Graf Sanemuri war ...

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Briefe

Aus dem Briefsteller Tekin-Orai (»Hauslehre Briefwechsel«) des Bonzen Gene, der bis in das neunzehnte Jahrhundert vielfach als Musterbuch benutzt wurde, bringt Florenz in seinem Standardwerk einen Brief in dem noch kürzlich üblichen sogenannten Soostil, einem chinesisch korrumpierten Japanisch, sowie einen Brief des von uns oben genannten Dichters Teika.

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Brief des Priesters Gene

Die herzlichsten Glückwünsche zum Neuen Jahre spreche ich Ihnen hierdurch aus. Den Gratulationsbesuch bei Hofe hätte ich schon am Ersten oder Dritten zeitig abstatten sollen, aber von anderen zu einer Lustpartie am Tage der Ratte aufgefordert, habe ich ihn trotz des besten Willens versäumt. Dies kommt mir ebenso (unnatürlich) vor, als ob die Nachtigallen im Tale die Blüten, die unfern der Traufe (meines Daches) wachsen, vergessen oder die Schmetterlinge im Garten statt in der Sonne sich im Schatten tummeln wollten. Das ist gar nicht meine eigentliche Absicht gewesen. Übrigens veranstalten wir demnächst allerhand Arten von Bogenschießen, als da sind: Wettschießen mit Jokyu und kleinen Sperlingsbögen, Schießen nach Strohhüten, Pfählchenschießen, Schießen nach einem künstlichen Hirsch im Gebüsch, Rundscheibenschießen ...(?) usw. Es wäre uns überaus lieb, wenn Sie einige ordentlich ausgebildete Bogenschützen und gewandte Kampfspieler auffordern und sich mit ihnen zu uns bemühen wollten. Ich hätte noch vieles zu berichten, das alles jedoch mündlich ... Mit hochachtungsvoller Verehrung ...

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Brief des Dichters Teika

Ihre monatlichen Hundert Gedichte habe ich genau durchgesehen. Die diesmaligen sind wirklich schön. Für die mir seit Jahren erwiesene Gunst Ihnen zu Dank verpflichtet und Ihren einnehmenden Worten nicht widerstehen könnend, habe ich einen Teil der von meinem seligen Vater vererbten Lehre (der Dichtkunst) aufgeschrieben. Zwar fürchte ich, daß ich mich der Spottlust der Nachwelt aussetzen könnte ... habe ich doch kaum maßgebliche Gedanken notiert. Bitte, zeigen Sie es ja keinem andern. Die Lehre, die ich seit Jahren gepflegt und geprüft habe, ist im wesentlichen außerhalb dieser Artikel nicht zu suchen. Ich glaube das ganze Geheimnis so ziemlich enthüllt zu haben und möchte Sie bitten, es als den Kern dieser Lehre betrachten zu wollen.

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Das Hojoki

Die Zeit der Bürgerkriege, die dem nichtkriegerischen Schrifttum im allgemeinen nicht günstig war, brachte trotzdem eine Reihe weiterer Tagebücher, so der Hofdame Ben (Ben no Naishi Nikki) über Ereignisse aus der Zeit um 1250, dann Reiseberichte, wie den »Bericht des sechzehnten Mondentages« der Nonne Abutsu. Diese Berichte sind jedoch literarisch den Tagebüchern der Heian-Zeit nicht gleichwertig. Hingegen erscheint in der Kamakura-Zeit ein berühmtes Kabinettstück Alt-Japans, das Hojoki oder Hüttenbuch des Einsiedlers und Erbpriesters (Kamo) Chomei.

Der Erbpriester (Kamo) Chomei ist 1154 in dem Dorfe Shimo-Kamo bei Kioto aus dem Geschlechte der Priester beim Tempel dieses Namens geboren. In seiner Jugend nannte man ihn Kikudayu (das kleine Chrysanthemum). Erst herangewachsen erhielt er nach japanischer und chinesischer primitiver Sitte seinen definitiven Namen: Chomei.

Chomeis Begabung brachte ihn als Pagen an den Hof des uns als Dichter bereits bekannten Go-Toba, wo er bis zum Kanzler der Abteilung für Dichtung aufstieg. Um sein fünfunddreißigstes Jahr jedoch verließ er aus Anlaß der Verweigerung des erblichen Tempelamtes und sicherlich so erschüttert von dem allgemeinen Weltlauf und den Ereignissen der Zeit, wie er es in seinem Buche angibt, das Weltleben und lebte fortan als Bonze im Lande. Nach seinem fünfzigsten Jahre schloß er sich dann als Einsiedler im Hino-Gebirge ein. Da er aber als Dichter so hochberühmt war, daß zum Beispiel später das neue Shin-Kokinshu zwölf Gedichte von ihm brachte, lud der dichtende Shogun Sanetomo (Seite 214) ihn in seine Residenz. Chomei zog sich aber bald wieder in seine Hütte zurück, wo er 1212 (übrigens zur genauen Zeit des beginnenden Franziskanertums) sein berühmtes Buch verfaßte. In seiner Hütte scheint er auch dann vier Jahre später im Alter von fast siebzig Jahren gestorben zu sein.

Dieses Buch, das wir in der Gänze wiedergeben, bedarf im allgemeinen keiner Erklärung, da es seine eigene abgeschlossene Welt in vollkommener Sinnlichkeit ausdrückt. Immerhin ist das in den letzten Jahren auch in zwei deutschen Übertragungen selbständig erschienene Büchlein bei all seinen ansprechenden Qualitäten auch nicht zu überschätzen Es ist kein selbständiges gedankliches oder auch religiöses Erzeugnis, es ist durchaus ein von den Eitelkeiten der Literatur und von den Notwendigkeiten der literarischen Technik getragenes Stimmungsbuch.

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Wasser, das Strömen des Flusses, ohne Halt verläuft es: das Wasser bleibt nicht das gleiche. In dem Wirbel der Schaum, immer neu gezeugt, währet doch nicht; gleicherweis in diesem Leben der Mensch und sein Währen, worin er hauset.

In der Kaiserstadt, dem »Edelsteinpflaster«, stehen der Großen und daneben der Geringen Häuser, von Geschlecht zu Geschlecht gelehnt an jene; mit Balken und Ziegeln eines das andere überglänzend. Siehe du aber zu: Gar wenige sind von den Vorvätern vererbt. Da sind Häuser, so, vor Jahresfrist umgeworfen, im letzten Jahre erst auferstunden. Andere, einst gar große Schlösser, sind arg zerfallen: in ihrer Umwallung stehen ganz kleine Häuser. Nicht anders ihre Bewohner: allüberall findst du allezeit vieles Volk; nur, von vielleicht zwanzig oder dreißig der früheren Zeiten sind wohl zwei, drei übrig. Wer des Morgens geboren ward, ist abends schon hingegangen. Dies ist das Leben: ein tanzender Schaum.

Von all den Menschen, den neugeborenen wie den jüngst verstorbenen, weiß irgend jemand, woher sie kamen, noch wohin sie gehen? In dieser Zeltstadt, kennen sie vielleicht ihrer Leiden Ursachen, ihrer Freuden Grund? Herr und Haus, nicht vermagst Du zu entscheiden, wer von beiden vergänglicher ist. Denn beide sind wie der Tau auf dem Eibisch (chinesisches Bild der Vergänglichkeit, siehe auch bei Basho), dem Morgenspiegel. Zuerst zwar fällt der Tropfen, dann aber welket auch die Blüte im Sonnnestrahl. Doch geschieht's auch, daß die Blüte welk ist, noch ehe der Tau verschwand. Dann sicherlich schwindet auch der noch vor Nachmittag.

*

Vielerlei in diesen vierzig Lenzen und vierzig Wintern, seit ich das Herz der Dinge erfaßt, von vieler und auch fremder Art habe ich Dinge mit angesehen: Am achtzehnten Tage des vierten Mondes im dritten Jahr der Angen-Zeit schnob ein gewaltiger Sturm die ganze Nacht hindurch. Gegen die Stunde des Hundes brach ein Feuer aus auf der Seite des Drachens (Südost) in der Kaiserstadt. Es verbreitete sich in der Richtung Hund-Eber, schlug durch bis zum Tore des Scharlachphönix, zu dem Großen Thronsaal, den Gebäuden des »Hohen Wissens« (der kaiserlichen Hochschule), der »Inneren Verwaltung«. Sie alle wurden in dieser einzigen Nacht in Asche gelegt. Es hieß, das Feuer habe seinen Ursprung in einem Haus des Gäßchens Higuchitomi genommen, das damals als Hospital eingerichtet war. Der Wind sprang um nach allen Richtungen, und der Brand verästelte sich demgemäß. Es war, als ob ein Fächer entfaltet würde; sogar abgelegene Viertel erstickten im Qualm, in der Nähe aber wurde alles von den Flammen ergriffen. Die Asche wirbelte bis zum Himmel und gab, purpurrot, die Farbe des Feuers wieder; der Wind riß einzelne Flammen los und trug sie nach fernen Häusern, ein bis zwei Cho weit (etwas über zweihundert Meter). Und die in dieser Verwüstung ihre Wohnsitze hatten, wie hätten sie ruhig bleiben können? Etliche fielen zu Boden, vom Rauch erstickt; andere kamen sehr schnell in den Flammen um. Manche retteten mit großer Mühe ihr Leben, doch verloren sie ihr ganzes Hab und Gut. Die »Sieben Kleinodien« (buddhistisch: Gold, Silber, Bergkristall, Achat, Katzenauge, Perlen, Korallen) und die »Zehntausend Schätze« wurden zu Asche. Wie groß waren doch diese Einbußen! Sechzehn Paläste hoher Würdenträger wurden von den Flammen verzehrt, neben zahllosen anderen Häusern. Ein ganzes Dritteil der Kaiserstadt verschwand. Von Männern und Frauen kamen viele Tausende um; die Zahl der Rosse und Rinder läßt sich gar nicht angeben. Sind doch alle Pläne des Menschen Torheit: wie töricht ist es nun gar, Reichtümer und Kräfte für Bauten in einer so sehr gefährdeten Stadt zu verschwenden!

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Wiederum, am neunundzwanzigsten Tage des Deutzienmondes im vierten Jahre der Ära Jisho, stieß ein furchtbarer Wirbelwind vor in das Viertel Nakanomikado Kyogoku (von Kioto). Er fegte gewalttätig bis zur sechsten Straße. Auf eine Entfernung von drei bis vier Cho stand kein Haus, groß oder klein, mehr. Die einen wurden platt niedergelegt, von den andern standen nur noch die Stützen und Dachsparren aufrecht. Manche Türstützen wurden herausgerissen und fünf, sechs Cho weit geführt; die Zäune wurden dadurch umgelegt und alle benachbarten Grundstücke verwüstet. Wie nun gar wirbelten die zahllosen Gegenstände aus dem Hausinnern in der Luft! – Die Schindeln und andere Dachteile wurden zerrissen wie trockene Blätter im Wintersturm. Der Staub hob sich so dick wie Rauch, so daß man nicht vor sich sehen konnte. Der Lärm war furchtbar; man verstand seinen Nächsten nicht: der Höllensturm, so dachte man, konnte nicht furchtbarer sein. Nicht nur Häuser wurden so zerstört, auch zahlreiche Menschen waren verletzt oder gelähmt, während man an ihren Häusern besserte. Der Typhon entfernte sich endlich in der Richtung Gais-Affe; auch dort noch brachte er zahllosen Menschen Unheil. Wirbelwinde kommen allerdings häufig vor, doch nicht oft von solcher Stärke. Und man fragte sich darum, ob dieser hier nicht nur ein Vorbote noch weiteren Unheils sei.

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In dem Feuchten Monat des gleichen Jahres wurde ganz unerwartet eine Verlegung der Residenz anbefohlen. In der Vorzeit war diese hier schon seit Jahrhunderten, seit dem Kaiser Saga, festgesetzt. Da niemand einen ernsthaften Grund der Neuerung einsah, hielt alle Welt sie für ungünstig und beklagte sie. Dessen ungeachtet aber und trotz allen Vorstellungen verfügte sich der Kaiser mit seinen Räten, den Herren und dem gesamten Hofe nach Naniva im Gau Setsu. Wer, der irgend etwas erreichen wollte, hätte da in der alten Residenz zu verbleiben gewagt! Alle jene, die sich um ein Amt bewarben oder Klienten eines großen Herrn waren, verlegten ihre Behausung, so gut sie es konnten. Kein Mensch wollte um einen Tag zurück sein. Nur wer ganz ohne alle Beziehungen und Ansprüche war, blieb traurig zurück: vor ihm lag keine Zukunft mehr. Auch die Wohnstätten, deren Giebel noch eben miteinander gewetteifert hatten, lagen von Tag zu Tag verlassener, die niedergerissenen Behausungen flößte man auf dem Yodofluß weiter (in die neue Hauptstadt); die Grundstücke wurden also zu Feldern. Sogar das Herz der Menschen wurde ein anderes: niemand dachte mehr daran, im Ochsen-(Zeremonien)wagen zu fahren, jeder setzte sich aufs Roß. Niemand wollte mehr im Nordwesten begütert sein, alle nur noch im Südosten.

Damals führten mich Geschäfte nach der neuen Residenz. Ich sah sogleich, daß die Örtlichkeit viel zu eng zur Anlage von Gassen war. Im Norden lagen die steilen Hänge eines Berges, im Süden ein bloßer Meeresstrand. Immerzu vernahm man den ermüdenden Wogenlärm, und der Meereswind blies ohne Unterlaß. Die kaiserliche Pfalz dort in den Bergen sah ungefähr wie das »Runde Blockhaus« (der Legende, Einsiedelei des Kaisers Tenchi, gefeiert im ›Manyoshu‹) aus, obgleich sie in einigem ganz zierlich war. Täglich kamen Häuser neu an auf dem Wasserweg, und man wußte nicht, wo sie aufstellen. Es gab lauter Erdarbeiten und fast keine fertiggestellten Wohnungen.

So war die alte Hauptstadt verlassen und die neue noch nicht aufgerichtet. Die Menschen hatten das Gefühl, auf Wolken zu schweben. Die Altangesessenen beklagten die (Wegnahme ihres Besitzes) und die Ankömmlinge die Mühsal der Bauarbeiten. Auf der Straße sah man Leute zu Pferde, die auf einen Wagen Anspruch hatten; die in herrschaftlicher Gewandung einhergehen sollten, trugen alle militärische Kimonos. Die feine Gesittung der alten Residenz war verloren; alle waren nur noch Krieger im Zeltlager. Solche ungünstigen Vorzeichen verkündeten öffentliches Unheil. Alle Welt war auch in Unruhe, es verging längere Zeit, ehe die Geister ihr Gleichgewicht wieder fanden. Doch die allgemeine Aufregung blieb endlich nicht ohne Folgen: noch im Winter des gleichen Jahres kehrte man in die alte Hauptstadt zurück!

Was wurde indessen aus den bereits niedergerissenen Häusern? Diese konnte man nicht (in gleicher Weise) wieder aufbauen. Man sagt, in den alten weisen Zeiten hätten die Menschen ihr Land mit Gefühl für das Volk beherrscht. Ihr eigenes Schloß trug nur ein Strohdach auf grob behauenen Balken, und wenn sich der Rauch nicht aus den Hütten erhob, wurden die Steuern nachgelassen. (Siehe Kojiki, Seite 74). Man beurteile danach die heutige Gesellschaft gegenüber der alten!

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Etwa in der Yova-Zeit (ich erinnere mich nicht genau, es ist ja so lange her) wütete zwei Jahre lang die Hungersnot. Es gab immer entweder Trockenheit im Frühling und Sommer, oder Überschwemmung im Herbst und Winter. Die Naturereignisse folgten aufeinander: man konnte keine der fünf Getreidearten einbringen. Vergebens pflügte man im Sommer, man erntete trotzdem nicht im Herbst, man bewahrte nichts im Winter. Die Leute am Lande bekümmerten sich nicht mehr um ihre Felder oder wanderten aus, manche ließen ihre Häuser im Stich und zogen in die Berge. Man versuchte es mit allen möglichen Bittgängen. Man veranstaltete außerordentliche Beschwörungen; alles vergeblich. Das Leben in der Stadt hängt in Allem vom Lande ab. Da nun das Land nichts mehr nach der Stadt brachte, wie hätte da die Stadt ihr Ansehen bewahren können? Man bat und flehte und man bot seine ganzen Reichtümer zum Tausch, allein niemand wollte sie haben. Fand sich mitunter doch ein Käufer, so wog sein Korn reichlich Gold auf. Auf den Landstraßen wimmelten die Bettler, die einem die Ohren mit ihrem Jammern zerrissen. – In diesem Elend ging das erste Jahr zu Ende.

Danach, für das folgende Jahr erwartete man eine Besserung der Lage. – Da brach die Seuche aus, und alles wurde noch viel schlimmer. Alles starb Hungers: wir waren von Tag zu Tag wie die Fische in einer kleinen (austrocknenden) Lache. Wohlgekleidete Leute mit Hüten und Schuhen bettelten an den Türen. Nicht selten wunderte man sich, daß sie sich noch auf den Füßen aufrecht hielten, da fielen sie auch schon vor Schwäche um. Unzählig waren die Leute, die an eine Wand gelehnt oder in den Straßengräben Hungers starben. Da niemand ihre Leichname fortschaffte, war die ganze Stadt verpestet: man konnte diese gar nicht ansehen. Den Fluß entlang war nicht einmal Raum mehr für Pferde und Wagen. Die armen Holzfäller hatten nicht Kraft genug, das Holz heranzubringen. Es wurde so selten, daß die Leute ihre Häuser abtrugen und veräußerten. Und doch war dabei eine volle Manneslast kaum hoch genug im Preise für den Lebensunterhalt eines Tages.

Seltsam war der Anblick inmitten all dieses Brennholzes von feuerrot oder mit Gold- und Silbergirlanden ausgemalten Bauteilen. Forschte man nach, so erfuhr man, daß Leute in ihrer äußersten Not in die alten Tempel gegangen waren, um dort Bilder des Buddha zu entwenden, die heiligen Geräte zu zerbrechen und in kleinen Stücken zu verkaufen. Diese verzweifelten Dinge habe ich selbst mit Augen angesehen. Denn ich bin in einer Welt der Unreinheit und des Bösen geboren.

Recht kläglich war es auch, mit zu erleben, wenn von einem Paare, von dem eins zärtlich an dem andern hing, der zärtlich liebende Teil zuerst verstarb, weil er selbstvergessen dem andern immer alles, was er sich noch hatte verschaffen können, gegeben hatte. Von Eltern und Kindern starben so die Eltern vorerst. Man sah sogar Säuglinge an der Brust von Müttern, die sie noch für lebend hielten.

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Im Ninwaji lebte ein Bonze des Namens Ryugio Hoin. Der war so mitleidsvoll beim Anblick der zahllosen Sterbenden, daß er zusammen mit einigen anderen heiligen Persönlichkeiten eine Vereinigung gründete, die auf die Stirne jedes aufgefundenen Toten den Buchstaben A (d. h. Amida-Buddha), das Zeichen der Kommunion schrieben. Der also, allein binnen des vierten und fünften Monates und im bloßen Raume südlich von der »Ersten«, nördlich von der »Neunten Straße«, zwischen Kiogogu östlich und Shujako westlich, gezählten Leichname waren mehr als zweiundvierzigtausenddreihundert. Dazu kamen noch die in den andern Vierteln und in den Vororten Kawara, Shitakawa, Nishi-no-kio, diese waren zahllos. Dazu noch die aus den Provinzen, den »Sieben Kreisen.« Soviel ich gelesen, ist unter dem Kaiser Sutoko in der Aera Chojo ein ähnliches vorgefallen, worüber mir nichts Näheres bekannt geworden ist. Das aber, was ich gesehen und hier berichtet habe, das ist jedenfalls der kläglichste Anblick meines Lebens gewesen.

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(Die hier geschilderte Kongregation ist Ursprung der noch heute bestehenden »Shin-Sekte« des Erlösers Amidabuddha, der eigentlichen Religion des kleinen Volkes, die viele verwandte Züge zu der katholischen Volksreligion aufweist und im Gegensatz zu der im Adel vorherrschenden meditativen Zen steht, und natürlich auch zu dem staatsoffiziellen Shinto. Doch darf man nicht vergessen, daß in Japan und China, wie auch zum Beispiel in der Antike, die Kulte einander nicht ausschließen, sondern sich eher, auch in dem einzelnen Gläubigen, zu ergänzen pflegen.)

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Im zweiten Jahr der Aera Genreki (1185) war ein großes Erdbeben. Die Erscheinungen waren ganz ungewöhnlich. Berge stürzten zusammen und verschütteten die Flüsse; das Meer flutete herein und überschwemmte das Land; die Erde spaltete sich, Wasser sprudelte empor; Felsen brachen auseinander und wälzten sich in die Täler hinein. Die am Strand dahinrudernden Boote schwankten auf den Wogen hin und her; die ihren Weg dahinschreitenden Pferde wurden irre, wohin sie ihre Füße stellen sollten. Vollends um die Hauptstadt herum blieb allerorten von Hallen, Häusern, Pagoden und Ahnentempeln nicht eines unversehrt. Wie sie entweder in sich zusammenstürzten oder umfielen, stiegen Staub und Asche in die Höhe wie stark qualmender Rauch. Das Getön vom Zittern der Erde und dem Zerbrechen der Häuser war von Donnergeroll nicht verschieden. Wenn man drinnen im Hause war, wurde man plötzlich zerquetscht; wenn man hinauslief, so zerklüftete sich wieder der Boden. Da man keine Flügel hatte, konnte man sich nicht in den Himmel erheben; da man kein Drache war, war es unmöglich, in die Wolken emporzusteigen. Ich gelangte zur Einsicht, daß unter allen Schrecken ein Erdbeben am schrecklichsten ist. Während dieses Vorkommnisses hatte sich gerade das sechs- bis siebenjährige einzige Kind eines Kriegers unter dem Dach der Lehmmauer ein kleines Hüttchen gebaut und spielte sein kindlich-einfältiges Spiel, als es plötzlich von der einstürzenden Mauer verschüttet und ohne eine Spur [seiner früheren Gestalt] plattgedrückt wurde. Beide Augen wurden einen Zoll herausgetrieben. Die Eltern faßten es in ihre Arme, und ihre Stimme nicht schonend, wehklagten sie beide laut. Wie jammervoll und traurig war das anzusehen! Ich konnte wahrnehmen, daß aus Trauer um das Kind sogar der tapfere Mann die Scham vergaß [und laut klagte], und ich bedauerte ihn sehr und fand sein Verhalten ganz natürlich. Das so heftige Beben hörte zwar nach kurzer Zeit auf, aber das Nachzittern hörte noch lange nicht auf. Es gab keinen Tag, wo nicht zwanzig oder dreißig Erdbebenstöße von solcher Art, daß man gewöhnlich darüber erschrickt, kamen. Nach zehn bis zwanzig Tagen wurden die Stöße allmählich seltener, erst vier- bis fünfmal, dann zwei- bis dreimal, dann alle zwei Tage einmal, dann in zwei bis drei Tagen einmal, und so weiter. Das Nachzittern mochte etwa drei Monate gedauert haben. Unter den vier Elementen richten Wasser, Feuer und Wind beständig Schaden an, aber was die Erde anbelangt, so verursacht sie [für gewöhnlich] nicht so besondere Katastrophen. Vorzeiten, in der Periode Saiko (854 bis 856), stürzte bei einem großen Erdbeben der Kopf der Buddhastatue im Tempel Todai-ji herab, und andere fürchterliche Dinge ereigneten sich, aber so schlimm wie diesmal war es doch noch lange nicht. Jetzt redeten die Leute alle Untröstliches, und es schien, als ob der Schmutz ihrer Herzen einigermaßen sich läuterte, aber wie die Tage und Monde sich häuften und das Jahr vorübergegangen war, gab es nicht einmal mehr Leute, die auch nur ein Wort davon sprachen. (Karl Florenz.)

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Wie eitel dieses Leben, wie wenig fest wir selbst mit unsern Hütten stehn: dieses ersieht man wohl aus allem hier Berichteten. Doch auch wenn wir in eigenen Verhältnissen verbleiben und in unsern Umständen, haben wir manchen Anlaß der Unruhe:

Wie wenig glücklich ist doch, wer unter der Hand eines Großen lebt! Er kennt vielleicht Augenblicke besonderer Freude, doch niemals ein dauerhaftes Glück. Er darf nicht klagen, noch aufbegehren, wenn er leidet. Für ihn ist es nicht leicht, sich zu bewegen. Ob er sitzt oder steht, kennt er die Furcht. Er ist wie ein Sperling zunächst einem Falkennest. Wohnt aber ein Armer nahe dem Hause eines Reichen: ob er nun ausgeht oder heimkehrt, des Morgens wie des Abends, fühlt er sich gedemütigt und beschämt von seinem ärmlichen Aussehen. Sein Weib und seine Kinder, seine Dienstboten beneiden jenen Hausstand hochmütigen, sinnverwirrenden Ansehens. Haust man aber in engen Gassen, so kann man sich vor dem Brand bei dem Nachbarn nicht schützen. Wohnt man fern von der Stadt, so hat man die Mühe der Reise und Rückreise, und mitunter wird man gar von Dieben heimgesucht. Verfügt man über vieles, so ergreift einen Geiz. Lebt man wieder für sich, so wird man von allen gering geschätzt. Reichtum bringt allemal Sorgen, und Armut ermangelt jeglichen Dings. Wer von einem andern abhängt, der wird ein Sklave, wer selbst Andere beschirmt, der darf nicht aufhören, sie zu lieben. Der Welt zu Gefallen leben, heißt: sich selbst ermüden; der Welt entgegen sein, für einen Narren gelten.

Um seinen Leib in dieser Welt auf einige Augenblicke nur stille zu halten, welchen Ort soll man dafür suchen? Was muß man tun?

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Sehr lange Zeit verbrachte ich in meinem, mir von meiner Vatersmutter überkommenen Hause. Allein ich verlor die Meinen, und auch mein Leib war geschwächt. Also konnte ich nicht länger darin weilen, und, ein weniges über dreißig Jahre alt, baute ich mir eine Hütte nach meinem eigenen Sinn.

Verglichen mit meinem vormaligen Wohnsitz, umfaßte dieser hier nur seinen zehnten Teil. Er enthielt nur einen einzigen Raum; er war nicht eigentlich ein Haus zu nennen. Er hatte eine Art Außenwand, doch mangels jeden Materials keinen Eingang. Stützen waren schlichter Bambus, das Ganze glich eher einem Wagendach. Bei Schnee oder Sturm lief man darin immer einige Gefahr. Von dem nahen Flusse her war ich allen Überschwemmungen ausgesetzt, ebenso wie den »Weißen Wellen« (das heißt den Räubern). Ein solches trübseliges Leben verbrachte ich da nahezu dreißig Jahre lang, in wirklicher Niedergeschlagenheit.

In diesen Jahren ersah ich aus allem, was mich umgab, die Unstetigkeit meines Schicksals. In meinem fünfzigsten Jahr verließ ich so Haus wie Welt. Ich hatte nicht Weib, nicht Kinder, nichts hielt mich darum zurück. Ich hatte nicht Amt noch Löhnung: was hätte mich also an die Leute geknüpft?

Recht ohne Gewinn verbrachte ich dann einige Jahre hoch in den Wolken des Ohara-Berges. Und nun, da der trübe Tau des sechzigsten nicht leicht mehr verfliegt, habe ich mir ein neues Heim gebaut, ein letztes Laub an meinen Stamm, gleich wie ein Wanderer sich für eine Nacht schützt, wie ein alter Seidenwurm sein Gespinst herstellt. Verglichen mit meinem vormaligen Sitze, ist dieses hier noch hundertmal geringer. Mein Leben neigt sich immer mehr zu Boden, mein Haus wird immer enger.

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Dies hier ist kein gewöhnliches Haus: zehn Schuh mißt es die Breite und Länge, und kaum sieben Schuh ist es hoch. Ich verlangte nach keiner festen Stätte, so führte ich auch keinen Unterbau auf. Ich glättete den Grund; dann richtete ich ein strohenes Dach auf, und ich verband alle Balken darunter mit Klammern, so daß ich das Ganze leicht fortschaffen könnte, wenn der Ort mir künftig mißbehagte. Wie groß wäre die Mühe des neuen Aufbaues? Zwei Karren würden genügen, und an Kosten hätte ich bloß das Leihgeld für diese.

An dem Tage als ich meine Spuren verwischte in den Schluchten des Hino-Gebirges, habe ich mir an der Südwand der Hütte einen Rolladen hergestellt; darunter ist eine Bambusmatte. An der Westwand ist der Hausaltar mit einer Darstellung des Amida Buddha also angebracht, daß die auffallenden Strahlen der untergehenden Sonne die Brauen vergolden. Die beiden Flügel des Weiheschrankes habe ich mit Bildnissen des Fu-Gen und des Fu-Do (der Boddhisatvas Samantabhadra und Achala) behängt. Oberhalb der Schiebetüren der Nordseite ist ein Brett, und darauf stehen in drei bis vier schwarzen Lederbehältnissen: japanische Gedichte, Musikalien und das Ojoyoshu (Auswahl von Sutren des Bonzen Genshin) und andere Bücher. Dem zur Seite eine Harfe, die »Zerleg«-Harfe, und eine Laute, die Zusammensetz-Laute. Die Westwand habe ich mit einer Lage Heidekraut überzogen, und ich schlafe auf Stroh. Vor dem östlichen Schiebefenster steht mein Schreibtisch. Dann noch vor dem Schlafholz ein Becken für Holzkohle. Nördlich meiner Zelle habe ich mir ein kleines Stück Garten angelegt und mit einer niedrigen, wenig dichten Hecke umzogen. Darin ziehe ich Heilkräuter. Dieses ist meine Hütte eines flüchtigen Aufenthalts. – –

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Was ihre Umgebung betrifft, so leitet an der Südseite ein Bambusrohr das Wasser in ein Becken aus geschichteten Steinen. Der nahe Wald gewährt mir Brennholz. Es ist der Forst Toyama: Der kriechende Euonymus überwuchert dort die Fußspur des Menschen. Mein Tal ist dicht bewaldet, öffnet sich aber gegen Westen (die Richtung nach den Heiligen Stätten des Buddha). Durch diese Lage fällt mir die geistliche Betrachtung leichter.

Im Lenz sehe ich die wogenden Glyzinien wie violette Wolken, die ihre Düfte gegen Westen hauchen. Im Sommer vernehme ich den (Berg-)Kuckuck, seine Rufe laden mich ein, die Bergreise des Jenseits zu unternehmen. Im Herbste wieder füllt der Sang der grünen Abendgrillen meine Ohren, gleich als klagten diese über das Leben, das so leer ist wie die von ihnen zurückgelassenen Hüllen (feststehende Motive der Meditation und der Dichtung). Im Winter endlich erfreue ich mich des erst hochliegenden, dann wieder schmelzenden Schnees. Diesem gleichen darin die Sünden des Menschen.

Bin ich nicht gestimmt zu Gebeten oder zu den Heiligen Schriften, so ruhe ich ganz nach meinen Gefallen. Da ist niemand, der mich daran hindern könnte, und auch kein Bekannter, vor dem ich mich zu schämen brauchte. Ohne das Schweigegelübde abgelegt zu haben, halte ich doch strenges Schweigen; ich bin ganz allein! Ich habe keine Ordensregel: die Umstände selbst nötigen mich die Gebote einzuhalten. Des Morgens gehe ich, die weißen Wellen zu betrachten; da fühle ich, wie der Novize Mansie (religiöser Dichter des achten Jahrhunderts) fühlte. Und des Abends, wenn der Wind die Blätter des kriechenden Kugelfadens aufwühlt, denke ich an die Wasser von Jinyo (Verbannungsort des chinesischen Dichters Pe-Lo-Pien, von den Japanern Haku Rakuten genannt). Dann ahme ich den musikalischen Stil des Gentoku (des Tsunenobu, vergleiche Seite 129) nach. Fühle ich mich dazu gestimmt, so spiele ich die alte Weise vom »Herbstwind« zu der Begleitung der Fichten draußen oder den (chinesischen) »Eilenden Quell« auf der Laute zu dem Murmeln des vorbeifließenden Bächleins. Ich bin nicht begabt, doch brauche ich mich auch nicht anzustrengen, fremden Ohren zu schmeicheln. Ich spiele und singe für mich allein. Also beruhige ich mein Herz.

Unten am Fuß des Berges ist eine Hütte aus Dornen; die Wohnung des Waldwärters. Sein junger Sohn besucht mich mitunter. Bin ich müßig oder übel gelaunt, so begleite ich ihn. Er ist sechzehn Jahre alt so wie ich selbst sechzig. Doch trotz dieses großen Altersunterschiedes freuen wir uns beide der gleichen Dinge. Das eine Mal pflücken wir die Sprossen jungen Imperatenschilfs, das andere Mal Felsenbirnen, dann wieder die Wurzelstöcke der Dioskoreen oder die Blätter der Nachtkerze. Wir besuchen die Reisfelder zu Füßen unseres Berges: dort lesen wir die gesichelten Halme und flechten dann Ährenkränze (für die Götter, Türbehänge). Bei schönem Wetter ersteigen wir auch den Gipfel des Berges, und ich erschaue in weiter Ferne den Himmel meiner Heimat. Dazu sehen wir noch den Kobata-Berg und die Dörfer Fushini, Toba, Hatsukaji. Die Schönheit der Landschaft erkennt keinen Herrn. Nichts verhindert mich, meine Blicke an ihr zu erfreuen. Ohne die Mühsal einer Fußwanderung kann ich von dort noch weiterhin dem Kamm der Berge folgen. So überschreite ich Sumiyama, danach Kasatori, ich verrichte meine Andacht im Iwama-Tempel (der Göttin Kwanon, der buddhistischen Madonna Sino-Japans) oder ich bete zu Ishiyama; dann dringe ich fürder vor über Awadsus-Ebene auf den Pfaden des Semimaru (des Dichter-Spielmanns, Seite 117), ich überschreite den Tagami-Fluß auf der Pilgerfahrt nach der Gruft des Sarumaru Tayu (des Dichters von Seite 107). Auf der Heimkehr brechen wir dann, je nach der Jahreszeit, Kirschzweige oder wir bringen rotes Ahornlaub heim; wir pflücken die Blätter der Heidesträucher oder auch die Früchte von den Bäumen. Ich opfere dem Buddha sein Teil, das übrige behalten wir.

In stillen Nächten wieder betrachte ich den Mond, der rein erglänzt. Dann denke ich an die Menschen der Vorzeit. Höre ich die Schreie der Affen, so benetze ich meine Ärmel mit meinen Tränen. Bei den Glühwürmern im Busch denke ich an die fernen Feuer der Boote um die Insel Maki. Der Regen vor Tag tönt mir wie das Windesrauschen im Laub. Höre ich des Goldfasanes Ruf Horo-horo, so frage ich mich: Ist's der Vater, ist es die Mutter? (Wörtlich nach einem Gedicht des heiligen Bonzen Gyoke). Aus den Bergen kommen die Hirsche furchtlos bis an mich heran: dann fühle ich erst, wie ferne ich den Menschen bin. Mitunter, wenn ich die Asche wende, erscheint sie mir wie ein alter Freund. Mein Berg ist keine Schreckenstätte, allein das Krächzen der Eulen weckt in mir Trübsinn. Der Schönheiten dieses Berges sind unzählige. Tiefer Denkende würden leichthin noch manche neue finden.

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Als ich zuerst meine Wohnung an dieser Stätte nahm, damals sollte es nicht auf die Dauer sein. Doch sind nun schon fünf Jahre ins Land gegangen. Meine Hütte eines Augenblickes ist zur alten Hütte geworden; ihr Dach trägt Schichten abgestorbener Blätter und ihr Estrich ist moosbedeckt. Höre ich einmal Neues aus der Hauptstadt, so ist es, daß diese oder jene Persönlichkeit verstorben ist. Die Hingegangenen der niedern Stände müssen ganz zahllos sein. Oder ich erfahre, daß so und so viele Häuser niedergebrannt sind. Nur meine Augenblickshütte steht fest und ungefährdet. – So eng sie auch ist, so umfaßt sie ein Lager für die Nacht, eine Matte für den Tag. Ich bedarf keines mehreren. Der Einsiedlerkrebs läßt nicht von seiner geringen Muschel; er weiß, was ihm nottut. Der Fischräuber horstet auf unzugänglichen Klippen; er fürchtet die Menschen. Nicht anders ist auch meine Lage. Ich kenne mich selbst, und kenne auch die Welt. Mein einziges Begehr ist ein Leben in der Stille ohne alle Verpflichtungen. Ich will mich nicht quälen lassen. Die andern draußen bauen Häuser, nicht für sich selbst, vielmehr für ihre Frauen, Kinder, Angehörigen, Freunde, für ihren Herrn oder Meister, für ihre Schätze, Rosse, Rinder. Ich habe mein Haus für mich gebaut und für keinen andern. So wie die Welt heute ist, fände ich keinen Gefährten, fände ich nicht einmal einen Diener, der mein Vertrauen verdiente. Würde ich meine Hütte erweitern, wen denn sollte ich darin bei mir aufnehmen? Die Freunde sind zumeist solche, die die Reichen und die zum Geben Willigen ehren; der Gerechte und der Wohlgesinnte gelten ihnen wenig. Bessere Freunde sind die Harfen, Flöten, Mond und Blüten. Ich bin auch weit lieber mein eigener Diener. In allem, was zu tun ist, bediene ich mich nur meines eigenen Körpers. Das fällt mitunter schwer, doch immer noch leichter, als Fremde zum Gehorsam zu bringen. Will ich ausgehen, so gehe ich eben; das macht ein wenig Mühe, aber doch weniger, als sich um Pferd und Sattelzeug, um Ochsengespann und Wagen sorgen. Ich teile meinen Körper in zwei Abteilungen: Die Hände sind die Dienerschaft, die Füße das Gefährt, und beide sind so fügsam, wie man nur wünschen kann. Mein Wille kennt genau die Kräfte meines Leibes; er heißt ihn ruhen, wenn er müde ist, und er verwendet ihn, wenn er dazu fähig ist. So sehr er ihn auch belastet, überlastet er ihn niemals. Auch läßt er ihn nicht faul werden. Im übrigen sind Gänge und Bewegung nur gesund: wozu also träge sein? Und zu allem ist es noch sündhaft, den nächsten zu belasten und zu bedrücken; auch darum soll man nicht die Kräfte eines Andern verwenden.

Ganz ähnlich steht es mit der Nahrung und der Bekleidung. Ein Gewebe von Glyzinienfasern und eine Decke aus Hanf bedecken meine Haut hinreichend. Die Rohrsprossen des Mooses, die Früchte vom Berge reichen zu meinem Unterhalt aus. Ich lebe nicht unter Leuten, darum brauche ich mich nicht um mein Äußeres zu bekümmern. Ich habe keine Freuden, darum reizen mich die einfachsten Speisen. Ich rede dabei nicht einmal von den Reichen; ich denke nur an meine eigene Vergangenheit und Gegenwart. Seit ich auf die Welt verzichtet und sie verlassen habe, kenne ich nicht Neid noch Furcht. Ich überlasse mein Leben dem Himmel und bekümmere mich nicht weiter darum. Mein Dasein betrachte ich als eine Wolke im Winde; ich rechne nicht darauf und ich schätze es nicht gering. Auf meinem Kissen eines leichten Schlafes beruht mein ganzes Glück; alles was ich erhoffe, erhoffe ich von der Schönheit der Jahreszeiten.

Vom Willen allein hängen die »Drei Welten« (Begehrlichkeit, Wollust und Tugend) ab. Ist der Wille nicht in Ordnung, was nützen ihm dann Rinder und Pferde und die »Sieben Kostbarkeiten«? Schlösser, Burgen und Türme können uns nicht glücklich machen. Ich aber bin glücklich in meiner Einsamkeit, in meiner Hütte oder vielmehr Zelle. Komme ich irgend einmal in die Stadt, so fühle ich mich wohl irgendwie als Bettler beschämt; bin ich aber wieder zu Hause, bedaure ich dann alle, die so töricht und elend am Staube hängen. Glaubt man mir etwa nicht, so betrachte man doch den Zustand der Fische und der Vögel. Die Fische werden nicht müde des Wassers; um sie zu begreifen müßte man selber Fisch sein. Die Vögel fliegen gerne im Walde: um sie zu begreifen, müßte man selber Vogel sein. Nicht anders ist es mit den Freuden der Einsamkeit. Wer, der nicht einsam gelebt hat, wer vermöchte sie zu erfassen?

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Der Schatten im Monde meines Lebens ist nahe seinem Ende gerückt; bald wird er hinter dem Berge verschwunden sein. Warum sollte ich mich um Irdisches sorgen? Muß ich doch bald nach dem Dunkel der »Drei Wege« aufbrechen.

(Der Weg des Feuers, der Dornenweg und der Blutweg nach der Hölle; Ausdruck der Demut des Autors.)

Der Buddha hat uns gelehrt, an nichts in dieser Welt zu haften. Selbst meine Hütte von brüchigem Gras zu lieben wäre eine Sünde. Sogar meine Ruhe und mein Frieden hemmen mich auf dem Pfade meiner Erleuchtung. Wie dürfte ich kostbare Zeit an leere Freuden verschwenden? In der Stille eines Morgens habe ich lange nachgedacht, und ich fragte mich in meinem Herzen: »Du hast der Welt entsagt, und du hast die Berge und Wälder zu deinen Freunden gemacht, um darin Ruhe und Frieden zu finden, um dem Buddha auf seinem Wege zu folgen. Doch dein äußeres Leben nur gleicht dem eines Heiligen, deine Seele selbst steckt tief in der Unreinheit. Deine Hütte befleckt das Vorbild des Heiligen Jomyo (des indischen Vimalakirti; dieser versammelte in seiner Hütte von zehn Fuß Länge tausende Andächtige). Dein Gehorsam aber bleibt weit zurück hinter dem Leben des »einfältigen Haudoko« (Jüngers des Buddha). Macht dir die Einsamkeit also Kummer oder trübst du dich also selber, unerleuchtetes Herz?« Mein Herz wußte darauf keine Antwort. Meine Zunge nur wiederholte von selbst zu zweien-, dreienmalen die Ausrufung des Erleuchteten (Die heilige Formel: »Namu; Amida; Butsu; Verehrung dir, ewiger Buddha«). Darüber hinaus gibt es nichts.

§§§

Geschrieben am letzten Tage des Keimmonates im zweiten Jahre der Zeit Kemraku (Zwölfhundertzwölf) in seiner Hütte zu Toyama von dem Bonzen Renin. (»Lotussprosse«, Klostername des Verfassers.)

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