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IX.

Wieder blinkt das Kirchlein auf dem Dobratsch herab ins winterliche Thal, diesmal von der Morgensonne bestrahlt, und im Angesicht des verschneiten Bergkolosses schreitet Heinz, mit dem gut verhüllten Büblein auf dem Arm, begleitet von Jerza, tapfer aus auf der steifgefrorenen Straße. Der harstige Schnee knirscht unter den Tritten, und der frische Morgenwind rötet die Wangen des einträchtig neben einander pilgernden Paares. Heinz mit seinem übervollen Herzen plauderte anfangs munter, aber Jerza bleibt bei aller Herzlichkeit stumm; sie ist nicht Herr über ihre Gefühle, zu groß ist die Erregung über die kommende Stunde des Wiedereintrittes ins elterliche Haus. Wohl hat Heinz versichert, daß der alte Vater sich nach der Tochter sehnt, aber es ist Jerza doch beklommen ums Herz. Hügel auf und ab geht es auf der Gailthaler Straße; hastiger wird Jerzas Schritt, je näher das Heimatsdorf Feistritz rückt, dessen herrlicher Kirchturm vom Felsen herab grüßt. Endlich sind die ersten Häuser erreicht, an denen der Achomizbach vorüber rauscht. Jerza zögert jetzt und hält inne, sie legt die Hand auf die wogende Büste, als wollte sie das Herzklopfen dämpfen. »Mut, Jerza!« ruft Heinz, und haucht zugleich das rotgewordene Näschen seines Schützlings an, der in seinen Armen eingeschlafen ist.

Und Jerza schreitet weiter. Heller wird ihr Auge, denn aus den Häusern grüßen die Dörfler herzerquickend freundlich, und die Dirnen stürmen heraus und drücken der Heimkehrenden die Hand. »Willkommen, Jerza, in der Heimat!« Und freudig schließen sich die Mädchen dem Paare an, Jerza hält einen Einzug, den sie niemals zu hoffen wagte. Jetzt ist sie vor dem Vaterhause angelangt, das still wie immer am Bache liegt. Die begleitenden Mädchen bilden einen Halbkreis wie in Erwartung besonderer Ereignisse: da ertönt ein Jubelruf aus dem Hause, und heraus eilt mit offenen Armen die liebe, gute, alte Mutter, und Jerza stürzt an Mütterchens Brust.

» Mati!«

»Jerza!«

Und die Mädchen stimmen, tiefergriffen, ein Liedchen an, das schwermütig beginnend mit einem Jubelruf ausklingt: Willkommen in der Heimat! Jerza aber löst sich aus Mütterchens Armen, nimmt Heinzen bei der Hand und spricht: »Sieh hier, Mati, der Jäger Heinz hat mir Kunde gebracht, nimm auch ihn freundlich auf im Elternhause.«

Und Mütterchen drängt geschäftig beide ins Haus: »Gott segne euren Eintritt!«

» Zivio!« rufen die Dirnen, und kehren dann in ihre Heimstätten zurück.

Im Hause nimmt Mütterchen den Jungen aus Heinzens Armen, der Knirps ist ja ganz durchfroren und muß schleunigst warm gebettet werden.

»Wo ist Očele?« fragt Jerza in der behaglich erwärmten, rauchgeschwärzten Wohnstube.

»Vater liegt oben, doch muß er erst auf deine beglückende Ankunft vorbereitet werden. Die Freude ist zu groß! – Vater ist seit einigen Tagen vom Pfarrhofe herabgebracht, die Wunde ist im langsamen Heilen; er selbst hat verlangt in sein eigenes Heim verbracht zu werden. Und schier stündlich fragt er nach Jerza!«

Geschäftig huscht Mütterchen die Treppe hinauf, dem Vater die Freudenbotschaft zu überbringen. Indes sind Dirnen und Knechte herbeigeeilt, die Tochter des Hauses zu begrüßen, und groß ist der Jubel über die Heimkehr unter guten Zeichen. Etwas scheu betrachten sie freilich den deutschen Jäger, von dem sie nicht wissen, was sie halten sollen.

Da ruft Mutter vom oberen Stockwerk herab: »Jerza, pojd sem!«

»Komm mit, Heinz!« sagt Jerza und eilt die Stiege hinan, begleitet vom Jäger, dem nun doch etwas Angst wird, was der alte Jabornigg wohl sagen wird. Jerza ist in die Krankenstube gestürmt, sie kniet vor Vaters Bett, und küßt demütig seine abgemagerte Hand. Scheu steht Heinz vor der Thüre.

» Očele! Lieber, guter Vater! Nimm deine Tochter wieder auf in Liebe! Verzeihe ihr!«

»Nicht so, mein Kind! Verzeihe du, was ich gefehlt im Jähzorn und Übereilung! Du bist die fleckenlose, reine, meine stolze, liebe Jerza! Sei willkommen im Vaterhause, dein Vater dankt dir für die Heimkehr! Und hier an Vaters Brust ist fürder dein Platz! Gott hat meinen Sinn gelenkt und milde gemacht seit jener Unheilsnacht! Des Priesters Wort ist wahr, und ich bin glücklich, mein Kind wieder zu besitzen.«

Unter Thränen dankt Jerza Gott für diese Wendung, und schluchzend küßt sie immer wieder die väterliche Hand, die der Greis wie segnend auf ihren Scheitel gelegt hatte.

»Doch nun, Vater, eine Bitte!«

»Sprich, mein Kind! Die erste Bitte im elterlichen Heim, sie sei gewährt!«

»Nimm, Vater, auch den Mann freundlich auf, der mir die Kunde von deiner Verzeihung brachte, und den ich – – – –«

»Herein mit ihm, laßt mich die Hand ihm drücken!«

»Heinz!« ruft Jerza und eilt zur Thüre. »Komm herein, Heinz, der Vater will dir Willkomm bieten!« Und Jerza führt gleichzeitig den Jäger an das Krankenbett. »Hier, Vater, ist mein Beschützer in Not und Gefahr, der Überbringer deiner Botschaft!«

»Ha! Der Deutsche!«

»Wie? Vater! Warum der feindselige Ton in deiner Rede?«

»Nein, nein! Es soll vergessen sein! Er hat mir meine Tochter wiedergebracht – hab' Dank, Deutscher, sei willkommen in meinem Hause!« Der Greis streckte die Hand entgegen, und freudig drückte sie Heinz, zugleich Dank sagend für den Willkomm.

Allmählich legte sich die Erregung und Väterchen wollte nun aus Jerzas Munde die Schilderung ihrer Erlebnisse haben, so daß das Mädchen des Langen zu erzählen hatte. Doch mehrmals unterbricht der Greis des Mädchens Rede, ihm däuchte manches lückenhaft, weil Jerza nie der Schandthaten Mathijas erwähnte, so des Mordanfalles an den Wänden des Poludnig und der Anstiftung zur Kindslegung.

»Mordanfall? Was sagst du, Vater? Wer ist angefallen worden?« fragt erstaunt Jerza.

»Geschändet ist windisches Blut durch den tückischen Dolchstich Mathijas in den Rücken seines Lebensretters!«

»Wer ist der Retter?«

»Derselbe Deutsche, der nach der unterbrochenen Christmesse den toten Kirchenschänder herabtrug.«

»Heinz?« Mit einem Schreckensrufe ist Jerza aufgesprungen, und wirft sich Heinzen an die starke Brust: »Mein lieber, guter Heinz! O welches Glück, daß du am Leben bliebest!«

Im selben Augenblick öffnet sich die Thüre, und als Krankenbesucher tritt der Pfarrer in die Stube, der freudig überrascht über die Rückkehr Jerzas, dieser die Hände reicht und sie herzlich willkommen heißt. »Und an der Brust des wackeren Jägers sah ich meine brave, wackere Jerza?! Soll mir ein gutes Zeichen sein! – Was meint Ihr, Vater Jabornigg, dazu?«

»Noch bin ich nicht gefragt und habe keine Meinung!«

»Nu, nu, Alter, nicht gleich so brummig. Gott hat es so gewollt!«

Hold erglühend kniet Jerza sich abermals an Vaters Bett hin, und bittet um seine Einwilligung zum Verlöbnis mit dem Heinz.

Ein Zittern geht durch den Körper des Greises, und seine Lippen zucken.

Da erhebt der Priester seine Stimme: »Gleich vor dem Herrn ist Herr und Knecht, und vor seinem Richterstuhl erscheinen alle Nationen! Eintracht soll herrschen wie überall, so auch in diesem Thale und Hause! Deutsch und windisch hat nur einen Gott und ein gemeinsames Vaterland!«

Der Greis nickte, und Thränen rannen aus seinen tiefen eingefallenen Augen. »Willst du ihn für das ganze Leben, Jerza?«

»Ja, Vater!«

»Bedenke, mein Kind, ein armer Jäger?«

»Du irrst, Vater! Wohl war er dies aus Liebe zum grünen Beruf, doch ist er begüterter Bauersleute Sohn am Preseggersee.«

»Aber doch ein Deutscher, und niemals habe ich je gehört, daß ein windisch Mädchen einen Deutschen nahm.«

»Nun, Väterchen, mit deiner Zustimmung mache ich den Anfang.«

»Was aber werden des Deutschen Eltern sagen?«

»Sie haben mit uns gestern Abend Verlobung gefeiert. Ihren Segen haben wir. Bitte, lieber, guter Vater, segne auch du uns!« Heinz und Jerza knieten vor dem Alten, der zitternd die Hand erhob, und das Zeichen des Kreuzes über dem Paare machte, worauf der Pfarrer es mit dem Weihwasser aus dem Kesselchen an der Thüre besprengte: »Gott mit euch!«

*

Ein Zettelanschlag an der Kirchenthüre zu Feistritz hat große Bewegung im Dorfe hervorgerufen durch die Mitteilung des Pfarramtes, daß am nächsten Sonntag durch den vom Bischöfe bevollmächtigten Pfarrer die Reconciliation des Gotteshauses vorgenommen werde. Bis in die entlegensten Einödhöfe verbreitete sich diese Kunde, und die Gläubigen freuten sich der Wiederöffnung ihrer Kirche. In dichten Scharen kamen sie daher am Sonntag herab, nur gebrechliche Greise und kleine Kinder blieben in den Häusern. Im Kreise umstanden sie die noch geschlossene Kirche, und allseitig ward der mit verbundenem Kopfe erschienene, von Heinz und Jerza unterstützte alte Jabornigg herzlich begrüßt. Im vollen Ornate, begleitet von den Kaplänen und Ministranten, zog der Pfarrer vor das Portal, besprengte die Kirche von außen mit dem ad hoc geweihten Wasser, sowie den Friedhof, und öffnete unter Gebeten das Gotteshaus, worauf, gefolgt von der Gläubigenschar, Einzug gehalten, und vor dem Hochaltar in feierlicher Weise die Allerheiligen-Litanei gesungen wurde. Sodann besprengte der Pfarrer das Innere der Kirche dreimal, die Wände nach oben, nach unten, und schritt hierauf zur Stelle, wo des alten Jabornigg Blut geflossen war. Unter feierlichem Gebete ward die befleckte Stelle mit dem gregorianischen, vom hochwürdigsten Bischof geweihten Wasser Pontificale Romanorum. Venetiis 1717, pag. 270 ff. – cf. Amberger: Pastoraltheologie II. 898 f. besonders besprengt und entsühnt.

In ernster Weise hielt der Priester dann von der Kanzel eine Ansprache an die Gemeinde, der nun die Kirche wieder geöffnet sei durch die Gnade Gottes, und die sich fürder würdig zeigen möge des Besitzes eines Gotteshauses. Und am Schlusse der erbauungsvollen Predigt verkündigte der Pfarrer der aufhorchenden Gemeinde das erstmalige Aufgebot des Paares Heinz und Jerza, das die heilige Ehe eingehen wolle nach dreimaliger Verkündigung.

Inbrünstig flehte das Paar wie die ganze Gemeinde während des Hochamtes um den Segen des Himmels. Und nach beendigtem Gottesdienste wünschte die Bevölkerung des Dorfes herzlich Glück der schönen Jerza, der Dobratschrose.

 


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