Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.

Eine schwüle Juninacht ist angebrochen; dunkle Wolken verhüllen den Himmel, und nur einzelne Sternlein glitzern im Süden, wo der Wolkenschleier Lücken bildet, durch. Schwarz ragt die wuchtige Masse des Dobratsch zum dunklen Firmament auf, drohend, unheimlich. Herunten im Thal huschen Leuchtkäferchen durch die Büsche, Irrlichtern gleich, verheißend und lockend, ein zauberhaftes Gaukelspiel zu geheimnisvoller, nächtlicher Stunde. Von den Auen tönt das Rauschen der Gail herüber, und der Achomizbach murmelt durch die Erlengebüsche. In süßen Tönen schluchzt Philomene ihr schmelzend Lied der Liebe und der Klage; ein sehnsuchtsvolles Flöten: Tüh – Tüh in langgezogenen Tönen, an die sich bald ein jubelnder Triller reiht. Heißer wird das Sehnen: tjug, tjug, klingt es kräftig accelerando, dann milder: tui – tui – – tui – züküth – züküth, bis der leidenschaftliche Gesang im schmelzenden tüh thü-thü süß verklingt. So flötet es sehnsüchtig durch die Nacht – – zaubervoll, wonneberauscht, bis das Weibchen endlich lockt. Jäh unterbricht der Sänger sein Lied: Wid – wid tönt es heftig durch die schwüle Luft, ein hastig Flattern des Sängers zur Vogelbraut: ein kurzes süßes Minnen, und bald schmettert in der Ferne ein Jubellied der Freude. – – –

An eine Fruchtharpfe (harfenähnliches Schirmdach für die Getreide- etc. Garben auf freiem Felde) gelehnt, horcht die rothaarige, üppige Kathra dem Nachtigallensang zu, und je dringender das Werben in Tönen erklingt, desto größer wird auch in ihrem Herzen die Sehnsucht …

»...Träumerisch rauschen die Blätter,
Wenn der Nachtwind leise kosend
Sie berührt;– – –«

Aromatisch duftet das in den unteren Stangen der Harpfe aufgestapelte Heu: ein süßer, betäubender Duft, sinnbethörend, berauschend …

Leise raschelt es an der Harpfe, eine Hand tastet durch die Finsternis längs der Garben hin, und eine Männerstimme flüstert: »Kathra, ljubca nioja!« (mein Liebchen!)

» Tukaj sem!« (hier bin ich) lispelt das Mädchen. »Bist du's, Mathija?« Die Lippen finden sich in glutvoller Umarmung – ein langer, heißer, leidenschaftlicher Kuß. Langsam lösen sich die Arme, ein süßes Geflüster, ein neuer Kuß, und wieder umschlingt sich das liebesselige Paar.

»O, Mathija, mein alles! Wo bliebst du so lange? Du machst dich so selten! Liebst du mich noch?«

»Gewiß, mein Lieb! Doch kann ich nicht immer an deiner Seite weilen! Du weißt – manch' Geschäft heischt meine Abwesenheit, ein heimlich Gehen und Kommen – –«

»Ich zittere jedesmal für dich, wenn du in die Berge gehst; gefahrvoll sind deine Wege – wie leicht kann dich die feindliche Kugel ereilen – –«

»Unsinn! Der Finger am Drücker vereitelt jede Gefahr! Doch hab' ich heute eine Bitte an dich, mein Schätzchen …«

»Eine Bitte?«

»Ja, schöne Kathra! Du weißt doch, welche Schmach der Lindentanz mir brachte.«

»Durch Jerza!«

»Durch Jerza, die Gott verdamme!«

»Ja, aber hast du nicht selbst ein Teil der Schuld – wegen …«

»Laß gut sein – ein Scherz, nichts weiter – die dumme Jerza braucht nicht Sittenrichterin zu sein über euch; sie ist zu hochmütig geworden, stolz über die Maßen. Ist sie denn mehr, besser als die übrigen Dirnen?«

»Stolz und spröde ist das Mädchen …«

»Sag: hochnäsig! Und verdammt will ich sein, wenn ich mich nicht räche für den Schimpf! Und du mußt mir dazu helfen, Kathra!«

»Ich? Mir hat Jerza eigentlich doch nichts gethan! Wohl ist sie arg stolz, hochfahrend, doch nicht böse; ohne Falsch –«

»Du bist mein Herzensschatz, Kathra! Du mußt mit mir fühlen; wer mein Feind ist, ist auch der deine. Wir sind eins, Liebchen, Mann und Weib –!«

»Wenn wir es nur schon wären, Mathija!«

»Diese Zeit wird kommen; glaub es mir, Kathra! Doch frag ich dich nochmals: Willst du mir helfen?« Mathija zieht das Mädchen an sich, küßt ihre vollen Lippen stürmisch, in wilder Leidenschaft: »Mein bist du, mein bleibst du, Schatz!«

»Ja, bis in die Ewigkeit! Aber –«

»Nichts aber –!«

»Wie doch, Mathija, wenn Jerza eines Tages dir begehrenswerter erschiene als ich?«

»Verderben will ich die stolze Dirne, nicht lieben! Widerwärtig ist mir diese spröde Herbheit – ich will ein hingebendes Weib – süß, verlangend – gewährend wie du, mein Lieb!«– –

»Wer kann deinem Werben widerstehen – –«

»Fühlst du Reue, Kathra?«

»Nein, nein! Deine Liebe beseeligt – doch die Heimlichkeit bedrückt mich – gerne ward dir alles geopfert – doch –«

»Was doch?«

»... Doch niemals hast du bei allem Kosen je von Hochzeit gesprochen – –«

»Willst du thun, was ich von dir verlange, so sag' ich's jetzt: schick mir zur Brechelzeit den Rogou!« Nach einem alten slovenischen Volksbrauch zur Brechelzeit (Flachsernte) schickt ein liebendes Mädchen vor dem das Brechelfest abschließenden Mahle dem Geliebten den sog. Rogou, das ist ein Geschenk bestehend aus Zigarren, oder einer silberbeschlagenen Tabakspfeife, Lebzelten u. dergl. Das Geschenk wird mit einem roten Bändchen auf den Rogou (eine Holzgabel oder ein Fichtenwipfelchen) gebunden, und durch einen sicheren Boten übersandt. Nimmt der Geliebte den Rogou an, so muß er zum Brechelmahle mit Musikanten erscheinen, und mit der Spenderin den Verspruchreigen tanzen. Das Paar gilt dann für verlobt, und gewöhnlich folgt auch die Hochzeit bald darauf. (Vergl. Frz. Franziszi, 1892). – –

Mit überquellender Leidenschaftlichkeit wirft sich das Mädchen dem Burschen an die Brust:

»Mein Mann, mein süßer Mann! Hab Dank!«

»Willst du mir zu Willen sein?«

»Ja! Verlange, was du willst – Kathra hat keinen Willen mehr; sie ist dein Werkzeug als deine Braut!«

Heimlicher wird das Flüstern der beiden; stürmischer die Liebkosungen …

Grollender Donner rollt vom Dobratsch her über das Gelände; fahle Blitze zucken durch die schwarze Nacht. Mathija zieht die üppige Schöne tiefer in den dunklen Raum der überdachten Harpfe …

*

»Es hört zu regnen auf; laß mich heim, Mathija!« drängt Kathra, und legt ihre Hände auf die glühenden Wangen.

»Nicht eher, als bis du mir schwörst, den Plan zu vollführen!«

»Ich werde dir gehorchen!«

»Schwöre!«

»Ich schwöre! Doch wenn die Zeit drängen sollte, wirst du mich früher zum Altar führen …!«

»Ich habe deinen Schwur; nun geh! Vahko noč!«

Ein Rascheln, und Kathra ist weggehuscht gleich einem aufgescheuchten Reh.

Gemächlich dehnt und streckt der Bursch die Glieder im duftenden Heu, und leise murmelt er vor sich hin: »Ein liebetolles, widerlich albernes Ding! Will geheiratet sein – haha – als wenn man die gleich ehelicht, die leichtsinnig den Myrtenkranz opfert. Für meine Pläne brauch' ich dich, dummes Schätzchen, zur Rache! In den Staub muß die schöne Jerza gedrückt, ihr Stolz gebeugt werden; verachtet von allen, bis sie willfährig und die meine wird. Nach der stolzen, spröden Schönen gelüstet es mich, mein muß sie werden in glühender Liebe! Doch geheiratet wird auch Jerza nicht – hahaha!« …

Das Wetter ist verzogen, der Himmel hat sich geklärt. Im Morgengrauen steigt Mathija den Berg an, das Dorf im weiten Bogen umkreisend, um in die oberen Reviere zu gelangen. Ebbe ist in seinem Geldbeutel; die verd– Kathra kann nichts mehr geben, seit sie heimlich die Schatzgulden aus dem Wäscheschrank der Mutter genommen bis auf den letzten Strumpf. Viel wird auch ihr Vater nicht mehr haben; das Mädel ist dann auch noch bei aller Dummheit und vertrauender Liebe arm: ein Dirndl ohne Geld und Tugend! Ein Narr, der ein solches Wesen zur Bäuerin macht. Und in seine Gedanken versunken, sagt sich der Bursch selber, daß auch er vor der Gant steht; alles verspielt und vertrunken, Schulden über Schulden, und immer Durst! Arbeiten will er nicht, das ist Knechtes Sache, und Geld braucht er: bleibt nur noch das Versilbern von kostenlosem Wildpret, das dabei auch noch Vergnügen gewährt. Eine feine Partie für ein Mädchen! Den Rogou kann die Kathra schon schicken, je schöner und reicher, desto besser; aber ihr werden die Musikanten nicht zum Verspruchtanz aufspielen, und der Bräutigam wird in den Armen eines anderen Schätzchens schwelgen! Haha! Zum Fasching kann sie, wenn ihre schönen Waden nicht vorher einen Gimpel reizen, Bloch ziehen Zur Faschingszeit müssen im Gailthale die heiratsfähigen, jedoch sitzengebliebenen Mädchen einen schweren Sägblock mit Stricken durch das Dorf ziehen. Hinter ihnen gehen peitschenknallend die Dorfburschen. Am Schlusse der ergötzlichen Scene wird der Block versteigert, und der Erlös gemeinsam vertrunken. Dem Brauch liegt ein Aberglaube zu Grunde: Das Mädchen, das am besten zieht, kommt am ehesten unter die Haube. (Vergl. R. Waizer, 1890.) als sitzengebliebene Dirne mit entblättertem Kranze!«

In steter Steigung hat Mathija die Höhe der Feistritzer Alpe erreicht, doch weicht er den Siedelungen derselben sorgsam aus, und drückt sich durch den Hochwald der gigantischen Höhe des Osternig zu, mit der Absicht, am jenseitigen Hange, von wo sich ein Blick in das Kanalthal mit der italienischen Grenze bietet, auf Rehe zu pirschen. Lange sucht der Bursch mit dem scharfen Fernrohr das Terrain ab nach Anzeichen, die auf die Anwesenheit von Jägern schließen lassen könnten; allein es ist nichts wahrzunehmen: kein umgeknickter Ast, nichts von niedergedrückten Grashalmen; jungfräulich erglänzt der Tau auf den Wiesen, und ruhig blaut der friedliche Himmel über der Alpenlandschaft. Es glitzern die Felswände im Morgenstrahl, leichte Nebelstreifen zerstäuben in Dunst: ein köstlicher Morgen ist's, den Mathija ausnützen will für seine Zwecke. So gutes Jagdwetter bietet sich nicht alle Tage. Vielleicht hat er Glück in den Wänden oben! Es steigt der Bursch nach sorgfältigem Auslueg in ein langzungiges Kar, erklimmt ein Felsband, und klettert auf einem Gamssteig weiter, der ein Rondell zum Teil umkreist, dann aber zu einer Felspartie führt, die ein guter Einstand für Krickelwild sein könnte. Ein böser Pfad! Himmelhoch türmt sich eine Wand auf der einen Seite auf, ein tiefer Abgrund gähnt zur anderen Seite, aus deren Geklüft ab und zu ein knorriges Latschenstämmchen hervorragt, dessen Geäst abwärts hängt. Unbekümmert um die Gefahr einer solchen Wanderung strebt der Wildschütze aufwärts; ihn geniert nur das grelle Sonnenlicht, das seine Augen blendet, und ihm den Ausblick nach vorne vereitelt. Die Hand vor den Augen tastet Mathija vorwärts, die sonnige Stelle verwünschend, die ihn verraten wird, wenn unten ein Jäger mit dem Fernrohr die Wände absuchen sollte. Teufel! Was war das? Ist's nicht ein Steinchen gewesen? Sollten Gemsen roglig geworden sein? Dann muß auch eine Veranlassung zum Hochwerden gegeben sein! Hirten giebt es in dieser schwindelnden Höhe nicht, Gemsen stehen jetzt auf der Schattseite des Berges; sollte ein Konkurrent sich gamslüstern heraufgewagt haben?

Oder gar ein Jäger?! Dann wird die Situation sehr bedenklich; ein Entrinnen ist unmöglich, und zudem hat der Jäger die Sonne im Gesicht. Mathija muß trachten, in den Schatten zu gelangen und rückenfrei zu werden. Mit einem Blick überzeugt er sich, daß der Stutzen schußfertig ist; Mathija ist fest entschlossen augenblicklich zu schießen, sobald er des Gegners ansichtig wird. Aber es ist in der Blendung nichts zu eräugen, und noch sind es immer an zweihundert Schritte, bis der sichernde Schatten erreicht werden kann.

Da ertönt ein scharfes Kommando: »Halt! Stutzen weg!«

Wie vom Blitz getroffen zuckt der Wilderer zusammen, und augenblicklich legt er sich der Länge nach auf den Pfad. Mit einem raschen Griff zieht er den Stutzen vor –. Tod und Teufel! Krachend fährt ein Schuß hart an seinem Ohre vorbei, und klatschend schlägt die Kugel ins Gestein. Verdammt! Nun gilt es, sich zu retten in rasender Flucht! Wenn der Feind nur zu sehen wäre! Mathija erhebt sich, und winkt mit der Hand, als wollte er sich gefangen geben; dann dreht er sich vorsichtig, und flüchtet den schmalen Pfad zurück, so rasch es geht. »Halt! Halt!« tönt es hinter ihm; aber der Wilderer achtet nicht mehr darauf. Mag der verd – Jäger schießen! Alle Kugeln treffen nicht! –

Blitzschnell drückt sich Mathija um eine vorspringende Felsnase – ein Griff in die unter dem Felsplatt kümmernden Latschen – der Bursch ist verschwunden! – – –

Vorsichtig pirscht der Jäger heran, nachdem er den Wildererstutzen vorher in den Abgrund geschleudert hat. Möglicherweise lauert der Lump hinter der Nase auf ihn, da heißt es vorsichtig sein. Lange Minuten steht der Jäger knapp davor, um eventuell die Geduld des Wilderers auf eine harte Probe zu stellen, und den Burschen vielleicht doch zu reizen, Nachschau zu halten. Allein es regt sich nichts. Nun tritt der Jäger blitzschnell schußfertig vor – niemand zu sehen! Das ganze Rondell bis hinab ins Kar ist menschenleer! Wohin kann der Bursch gekommen sein? Die glatte Wand kann er nicht hinauf, vorwärts ist er nicht, sonst müßte er zu eräugen sein. Den Rückwechsel hat der Jäger blockiert – bleibt nur noch der Sprung in die Tiefe! – Ist der Wildschütz hinunter, dann sei Gott seiner armen Seele gnädig!

Viel wird von dem zerschellten Leichnam nicht zu sehen sein, auch ist es zu dunkel in der gähnenden Tiefe; aber einen Blick will der Jäger doch hinabwerfen. Heinz, der unermüdliche Jagdgehilfe legt sich platt auf den Gamssteig, und schiebt seinen Körper etwas über den Rand des Abgrundes hinaus. Barmherziger Gott! Freischwebend hängt der Wilderer über der gähnenden Tiefe, seine Fäuste halten das Geäst einer Legföhre – die einzige Verbindung, die der Unglückliche noch mit der irdischen Welt, angesichts des drohenden Todes, hat. Läßt er die dünnen Äste los, dann muß er hinunter in die tosende Klamm. – – –

Schon sind des Wilderers Augen weit aus den Höhlen getreten, die Arme zittern bereits – die Kraft ist im abnehmen – ein Röcheln nur tönt über seine Lippen: »Hiiilfe!«

Heinz bebt selbst vor Aufregung; Hilfe muß er gewähren, die Situation ist zu gräßlich. Er gürtet sich den Leibriemen ab, schnallt ihn zusammen, und reicht ihn hinab, auf daß der Wilderer ihn erfasse. Fest stemmt sich Heinz ein, um der Last gewachsen zu sein; für ihn selbst ist die Gefahr groß – ein ungeschickter, jäher Griff kann auch ihn vom Pfad weg- und hinunterreißen. Mathija greift mit einer Hand an den Riemen; pfauchend klingt es herauf: »Langsam ziehen!«

Heinz zieht aus Leibeskräften, doch unterstützt Mathija selbst die Rettung durch kräftige Griffe der linken Hand in das Geäst der Latsche, bis er ein Bein über den Rand bringt, und sich vollends heraufschwingen kann. So kniet der Wilderer denn auf dem schmalen, schwindelerregenden Pfad zu Füßen des Jägers, und läßt alsbald den Kopf vornüber sinken; er ist bewußtlos geworden.

Fürsorglich hält Heinz den Gegner am Arme fest, um einen Sturz des Ohnmächtigen zu verhüten; geduldig harrt er lange Zeit, bis das Bewußtsein wiederkehrt, und Mathija die Augen aufschlägt. Ein tückischer Blick streift ihn blitzähnlich, das Auge funkelt wölfisch.

»Bist wieder lebendig?« fragt der Jäger mitleidig, und läßt den Arm des Wilderers los. Blitzschnell greift Mathija nach dem Knicker (im Griff feststehendes Waidmesser) in der Messertasche an der rechten Seite des Jägers – der Stahl funkelt in der Sonne, und mit wuchtigem Stoß senkt der Wilderer die Klinge in den Rücken des Jägers. – Frei! – – Vorsichtig steigt Mathija ins Kar hinunter, eilt in den Wald, und durchquert in rasenden Sprüngen das nahe Kanalthal, und flieht über die italienische Grenze.


 << zurück weiter >>