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VI.

Das Frühlingsfest ist vorüber gegangen; die Sommersonnenwende, Kres Kres ist die Wurzelsilbe des Zeitwortes kresati = Feueraufschlagen. genannt, wurde mit all den alten Bräuchen gefeiert. Man pflückte am Johanninachmittage die Wiesenkönigin ( Kresnica), die Blume mit dem goldiggelben Stern und dem zarten weißen Blätterkranze, welche im Vorhaus und in den Zimmern verstreut wird, für jede Person eine Blume, gleichsam als Frage an das Schicksal. Nach slovenischem Aberglauben muß der am ehesten von der Erde, dessen Blume über Nacht am meisten verwelkt ist.

Die Mädchen haben nach vierblätterigem Klee gefahndet, der vor dem Betrogenwerden und vor Zauberei schützt, sofern er vor Sonnenaufgang mit dem Mund abgepflückt worden ist, und »ohne Wissen in der Tasche getragen wird«. Leute, die mit der Gicht behaftet sind, wärmten sich am Kresfeuer in der Hoffnung, dadurch die böse Gicht zu vertreiben und zum Kresfeuer sang man das uralte Lied Von Anastasius Grün ins Deutsche übertragen.:

»O scheine, Sonne, scheine,
Du gelbe Sonne du.

Ich kann dir nimmer scheinen
Vor großer Traurigkeit.

Wenn morgen ich erstehe,
Das Weibervolk schon greint.

Wenn abends fort ich gehe,
Das Hirtenvolk noch weint.

Wenn ich zu Berge scheine,
Nur arme Teufel giebt's.

Wenn ich zu Thale scheine,
Nur Bettelweiber trifft's.

Vorbei ist all der Zauber, vorbei die Zeit des Sonnenglanzes; ein Jahr ist verflossen, die Zeit der Wintersonnenwende ist herangerückt. Spätherbst ist's wieder geworden, die Zeit, von welcher Lenau singt:

Treulich bringt ein jedes Jahr
Welkes Laub und welke Hoffnung.

Wohl mag leise das fahle Laub von den Bäumen zur kahl gewordenen Erde rascheln und frostiger Wind durch das Thal streichen, es naht die » Brechelzeit«, die im Gailthal keine Traurigkeit aufkommen läßt durch die uralten, drolligen Brechelgebräuche. Es ist, wie wenn alle Kobolde munter und frei geworden seien zu tollem Spiel, Schabernak und Spuk. Sagt doch ein altes Gaildorfer Sprichwort: »Wenn die Brechelzeit kommt, geht unser Herrgott ins Wälschland!« Das soll so viel heißen, daß selbst dem Allvater der Brechelübermut zu toll wird, und er lieber für diese Spanne Zeit über die nahe Grenze wandert, wo man die tollen Bräuche während der Flachsernte nicht kennt. Ist nebst dem Vieh der gut geratene »Türken« das Um und Auf des Gailthaler Landwirtes, so ist der »Haar« (Leinpflanze, Flachs, Linum usitatissimum L.) der Bäuerin ans Herz gewachsen, für den »lieben Haar« thut sie gar viel; schon beim Haarsäen wird auf die Ernte Bedacht genommen, und dem Hausvater gut aufgekocht. Je besser der Hausvater zur Saatzeit ißt, desto besser gedeiht die Saat. Schon im tiefen Winter denkt die Bäuerin an das zarte Leinpflänzchen und an das »Haarlangfahren« (ernten). Je weiter man zu Dreikönig fährt, desto länger wird der Haar. Nach alter Sitte soll man am Dreikönigstage in die nächstgrößere Ortschaft fahren, dortselbst dem Gottesdienst beiwohnen, unterwegs Almosen spenden, und mit dem Fuhrwerk »umwerfen«, dann wird man schönen Flachs ernten. Der alte Brauch hängt mit den Götterumzügen der Mythologie zusammen, und wer dem »Haar« zuliebe eine Winterfahrt unternimmt, schützt irgend einen Vorwand vor. Allein man kennt die Absicht, und die Nachbarn witzeln dann: »Die N. N. fahren, damit ihre kurzen Haar länger werden.« Dem lieben »Haar« zuliebe wird um Sonnenwende ein Elfenstäbchen mit einem Feldblumenkranz in das Haarfeld gesteckt, in der Meinung, daß die Blumen den »Haar« in die Höhe ziehen: so hoch der Stab, so hoch der Haar! Freilich darf dabei nicht vergessen worden sein, daß die Blumen am Fronleichnamstage gepflückt, und während der Prozession an einem der vier Evangelienaltäre mitgesegnet wurden. Ebenso wichtig ist es aber, darauf zu achten, daß dieser Blumenkranz nicht verworfen wird. Er muß im Gegenteil sorgsam aufbewahrt und in der Brechelstube zuerst ins Feuer gelegt werden, auf daß der Flachs in der Dörre nicht verbrenne, und jegliches Unglück verhütet werde. Nicht minder ist darauf zu sehen, daß die Ofenheizerin ( slov. šešica) in der Brechelstube gute, reichliche Schmalzkost zu essen bekomme, damit der Haarsame besonders – ölig werde. Ihr obliegt es, den geweihten Kranz ins Feuer zu legen, und für diesen wichtigen Dienst erhält sie drei »Bösl« (Büschel) Haar als Eigentum. Die šešica verteilt die gerösteten Büschel an die Brechlerinnen, welche selbe zu reinigen, und die kleinen Teile zu beseitigen haben. Bei dieser »Bösl«abgabe herrscht arges Gedränge, weil wiederum ein Aberglaube mit im Spiel ist. Heiratslustige Mädchen wollen alle das letzte »Bösl« erhalten, das die »Braut« heißt, und die Wirkung haben soll, daß diejenige Brechlerin, welche die »Braut« erhält, am ehesten unter die Haube kommt. Lustig und laut muß die staubige Arbeit des Flachsbrechens vor sich gehen, dann werden im Winter die Spinnerinnen flink sein. Uralt ist der Volksspruch:

»A schläfrige Gspunst
Is a Arbeit – umsunst.«

Auch im windischen Dorfe St. Stefan, das stolz auf einem Hügel thront, sind die Vorbereitungen zum Brecheln getroffen worden. Fertig stehen auf freiem Felde die ausgemauerten Gruben, in welchen der Flachs geröstet werden soll. Die Dirnen sind zur Brechelarbeit bestimmt, der »Ofen« ist geheizt, und vorschriftsmäßig ist der Feldkranz den Flammen übergeben worden.

»Hurtig, Mädchen, es ist Zeit, mit dem Brecheln zu beginnen!« ruft die alte, verwitwete Bäuerin des Jaskahofes ihren zwei Dirnen zu. »Auch die Jerza soll mit; auf den Bubeč werde ich selber inzwischen achten!«

»Ich soll ebenfalls brecheln?« fragt Jerza die Bäuerin.

»Gewiß, mein Kind! Ich brauche deine flinken Hände, und glaube, daß deine Arbeit mir auch beim Brecheln Glück bringt. Bist ja ein Talisman für mich! Seit du eingezogen bist als Magd mit dem fremden Bübchen – dem Pfarrer, der dich unterwegs getroffen und mir empfohlen hat, dank ich's noch immer – ist der Segen im Hause, und eine bessere Dirn' könnt' ich mir nimmer wünschen. Drum spute dich! Mein »Haar« wird sicher gut, wenn du es brichst! Es schadet auch nicht, wenn du die tolle Zeit fröhlich mitmachst; mußt nicht immer so ernst und herb sein, Jerza! Sei fröhlich mit den Fröhlichen!«

»Wenn du befiehlst, Bäuerin, ist gehorchen meine Pflicht!«

»Nicht so, Jerza! Ich hab' den Glauben, daß unser Flachs besser wird, wenn du mitbrechelst! Drum möchte ich dich bei dieser Arbeit sehen!«

»Ich gehe! Doch behalt den Buben im Auge, Bäuerin! Der Knirps hat Quecksilber im Leibe!«

»Werd' ihn schon zähmen und hüten, diesen kleinen Rutschkobold!«

Wie die andere Dirne hat auch Jerza den Kopf zum Schutz gegen Staub mit einem Wolltuch umhüllt, und dessen Ende um den Hals geschlungen, und ist aufs Feld gegangen, um die staubige Arbeit des Flachsreinigens zu beginnen. Schier jedes Gehöft hat seine Brechlerinnen ins Feld geschickt, alle Mädchen sind verhüllt, kaum lugt das Gesichtchen hervor. Dichter Staub wirbelt auf, die Arbeit ist im Gange. Doch zeitweilig rasten die übermütigen Dirnen und schlagen klappernde Schwingen, deren Getöse in der Nähe ganz betäubend wirkt. Das ist das Zeichen, daß die fröhliche Brechelzeit begonnen hat. Alsbald schlendern neugierige Dorfburschen heran, halten sich aber in respektsvoller Entfernung; wenigstens bleiben die Gewitzigten zurück, und besehen sich die Dirnen von weitem. Das ist aber durchaus nicht nach der Absicht der fröhlichen Mägde, die daher Äpfel werfen, um naseweise, unerfahrene Burschen anzulocken. Jüngere Kerlchen bücken sich denn auch nach der rotbackigen Frucht, und nun sind sie verloren: im Nu umringen die Mädchen den Tölpel, und überschütten ihn mit dem Abfall des Brechelprozesses (windisch pezdirje); der Gimpel wird jämmerlich eingestaubt, und dann laut verhöhnt. Pustend suchen die Überlisteten das Heil in der Flucht, und Jung und Alt bespricht in schallender Heiterkeit dieses Ereignis.

Am stillsten geht die Brechelarbeit an der Grube vor sich, wo Jerza emsig hantiert. Sie will nicht mitmachen; der Lärm ausgelassener Freude und tollen Übermutes ist nicht nach ihrem Geschmack, und weil sie keinerlei Anstalten trifft, Burschen mit Äpfel zu ködern, unterlassen es auch die mit ihr brechelnden Dirnen. Dafür geht die Arbeit um so flinker vor sich; sie ist am Abend nahezu beendet, während in anderen Gruben noch Arbeit in Hülle und Fülle vorhanden ist.

So emsig arbeiteten die Jaska-Dirnen, daß ihnen völlig entging, wie eine Männergestalt an ihrer Grube erschien, und schier erschrocken fahren die Mädchen zusammen, als sie plötzlich angesprochen werden. »Fleißig seid ihr! Doch warum so still? Und so verhüllt, daß man nicht mal das halbe Gesicht sehen kann!«

Schnippisch meint eines der Mädchen: »Willst du pezdirje? Dann frage weiter!«

»Staub? Nein! Doch einen Silberzwanziger will ich spenden für ein »Bösl«!

Bereitwillig wollen die Mädchen das Verlangte reichen, da verhindert Jerza die Gabe. »Der »Haar« ist nicht unser, und fremdes Eigentum haben wir nicht zu verschenken.«

»Aber Dečva! Ein winzig kleines Flachsbüschel wird doch noch keine Eigentumsverletzung sein?«

»Ob kleinwinzig oder groß ist gleichgiltig; der »Haar« gehört der Jaskabäuerin und nicht uns.«

»So, der Jaskabäuerin! Na, dann gehört er auch mir!«

»Wieso denn dir, Fremder?«

»Bin nicht fremd hier, ich bin der Jaskabäuerin einziger Sohn, der heimgekehrt ist nach langer Militärdienstzeit. Willst du mir jetzt ein »Bösl« reichen?«

»Dem Sohne unserer Bäuerin, ja! Hier ist es, und möge es dir Glück bringen!«

»Hab Dank dafür. Doch wer bist du? Dein Name?«

»Ich heiße Jerza und –«

»Alle Wetter – Jerza – die schöne stolze Jerza von Feistritz etwa?«

»Die bin ich – doch was soll die Frage?«

»Gemach, schönes Kind! Nichts übles will ich sagen oder denken; ist doch das ganze Gailthal einig im Lobe deiner Schönheit! War mir Kummer genug, fortgemußt zu haben vor drei langen Jahren, ohne daß mein Auge Jerzas vielgerühmte Schönheit sah.«

»Laß die Schmeichelworte, und hindere nicht der emsigen Finger pflichtgemäße Arbeit!«

»Die fleißigste Brechlerin hat meine Mutter sicher! Nun, auf Wiedersehen beim Brechlermahl!« Die übrigen Dirnen grüßten, wie in Vorahnung der beim Brechlermahle winkenden Freuden, den Burschen lebhaft, indes Jerza ihm nur ein leichtes Kopfnicken gönnte. Emsig ward bei Fackelschein (Kienspähne) gebrechelt, bis richtig die staubige Arbeit in der Jaskagrube vor allen anderen beendet war. Jerza hieß den Mädchen, den »Haar« auf den bereit stehenden Schubkarren zu laden und ins Gehöft zu fahren. Dann band sich Jerza das schützende Wolltuch vom Kopfe los, schüttelte es staubfrei und eilte, die blonden Flechten dem fröstelnden Nachtwind freigebend, dem Hofe zu.

Schon unter der Thüre kommt die Bäuerin den Heimkehrenden entgegen, die Neuigkeit heraussprudelnd, daß unvermutet Juri, ihr Sohn vom Militär heimgekehrt sei.

Gelassen sagt Jerza: »Ich weiß es, doch wo ist mein Bubeč

»Drinnen spielt er mit Juri; die beiden haben sich rasch befreundet. – Nein, ist das eine Freude, und just zum Brechelmahl kommt er heim! Hoch soll es hergehen, die Jaska läßt sich nicht lumpen, und du, Jerza, sollst neben Juri auf dem Ehrenplatze sitzen. Ist es doch nur dir zu danken, daß der »Haar« so rasch und vortrefflich gebrechelt worden ist.«

»Du meinst es gut, Bäuerin! Doch bitt' ich dich, laß mich mit dem Bubeč allein auf meiner Kammer bleiben. Mein Sinn steht nicht nach lärmender Lustbarkeit!«

»Nein, nein, diesmal gebe ich dir nicht nach! Du mußt dabei sein, die bravste Dirn des ganzen Gailthales darf nicht fehlen. Wär' nicht übel, wenn ein Brechelmahl ohne die flinkeste Brechlerin stattfinden sollte!«

»Du bist sehr gütig, Bäuerin, ich danke dir für deine gute Meinung! Doch wäre ich dir aufrichtig dankbar, wenn –«

»Nein, nein! Es bleibt dabei! Du kommst zum Mahle!« Und wie in einer Art zärtlicher Gemütsaufwallung umarmt die Bäuerin das Mädchen, und flüstert: »Thu mir die Freude und ihm, du bist mir ja eine Tochter!«

Jerza zuckt zusammen, und läßt sich wortlos in die Stube führen, wo Juri den Bubeč auf den Knieen schaukelt zum hellen Gaudium des Kleinen. Der Junge jauchzt vor Vergnügen, und der Reservist ist bestrebt, den drolligen Knirps immer höher zu »schutzen«, so daß Jerza ängstlich wird, und zur Vorsicht mahnt.

Einen Prachtbubeč hast du, Mädel!« ruft Juri. Und die alte Bäuerin beeilt sich zu versichern, daß der Kleine der Liebling aller Hausbewohner geworden sei, wie Jerza selbst.

»Es ist spät geworden, der Kleine muß in sein Bettchen!« sagt Jerza, nimmt Juri den Knaben ab unter Dankesworten für die eifrige Pflege, und begiebt sich auf ihre Kammer, indes sich Juri auf Geheiß der Bäuerin fertig macht zum Brechelmahl.

Im Dorfe ist es allmählich stiller geworden; die Brechlerinnen sind von der Arbeit heimgekehrt, sie machen eilig Toilette für das fröhliche Mahl, das auf Vereinbarung der Bäuerinnen diesmal im Dorfwirtshause veranstaltet wird. Gar manche Dečva ist in die stille Kammer gegangen, um dort für den Herzallerliebsten den Rogou zusammen zu packen. Scheu schleichen die Mädchen jetzt aus dem Hause, den Schatz unter der Schürze verbergend, und an den Ecken der Gehöfte schauen sie aus nach den Boten, den Rogou heimlich zu versenden. Die Buben kennen den alten Brauch, sie harren solcher Aufträge bereits, und vollführen sie gegen die paar Kupferkreuzer Bringerlohn aufs beste. Ist der Rogou unterwegs, dann huschen die Mädchen zurück, schmücken sich zum Mahle vollends, und treten dann die kurze Wanderung paarweise an zum Wirtshause.

Munter schwatzend nehmen die Dirnen an den langen Tischen Platz, und bald ist das Mahl im Gange, die Brechelgerichte werden aufgetragen: Nudel, Selchfleisch mit Sauerkraut, Krapfen und Breinmus (Hirsebrei) verschwinden unter lustigen Gesprächen und Geklapper. Allmählich werden die Mädchen stiller, manche derselben, die den Rogou versandte, harrt in Spannung des Momentes der Ankunft des Geliebten, der damit bekundet, daß er die Gabe angenommen hat und Willens ist, die Dirne zur Lebensgefährtin zu machen. Die Gesichter hellen sich auf; blaß bis in die Lippen werden jene Mädchen, deren Gabe verschmäht ist. Aber die Zurückgewiesenen wissen sich zu fassen, manche bleiben zum Tanz in der Hoffnung, Trost und Ersatz für den Treulosen zu finden; andere drücken sich bei passender Gelegenheit zum Thore hinaus, um im stillen Kämmerlein sich auszuweinen.

Allgemeines Staunen ruft das Erscheinen des Jaska Juri hervor, der an der Spitze der Musikanten in den Saal tritt und scharf die Brechlerinnen mustert. Die nachdrängenden Burschen haben sich ihre Mädchen schnell herausgefischt, und sind zum Tanz angetreten. Juris Augen suchen Jerza vergebens; sie ist nicht zum Mahl erschienen, der Bursch ist bitter enttäuscht. Den Mädchen ist er durch eine dreijährige Abwesenheit mehr oder minder fremd geworden, zum Rogou geben bestand bei ihm keine Veranlassung, nun steht er im Festlärm allein und vereinsamt. Da durchzuckt ihn ein Gedanke, und augenblicklich schreitet er auch schon zur Ausführung desselben. Er bietet den Musikanten eine stattliche Summe, wenn sie die Jerza vom Jaskahofe mit Musik abholen und zum Wirtshause bringen, und sofort brechen die Musikanten auf. »Halt, halt!« rufen die anderen Burschen, und auch die kurzröckigen Mädchen protestieren laut gegen die Entfernung der Musikanten.

Da tritt Juri vor und erklärt, daß er nur für eine Viertelstunde die »Geiger« für sich haben wolle, dann stehen sie wieder zur Verfügung, und zwar werde er aus Dankbarkeit für diese Gefälligkeit für die Kosten der Tanzmusik allein aufkommen.

Noch murren die Burschen, die das Tanzbein juckt. Juri versichert daher nochmals, daß es sich nur um eine Viertelstunde Verzögerung handle, und zur Ausfüllung dieser knappen Spanne Zeit lasse er ein Faß Bier auflegen.

Das bricht die Opposition; doch wollen die Burschen wissen, wozu Juri die Musik brauche.

»Ich will Jerza mit Musik holen!« sagt Juri, und erregt dadurch allseitiges Staunen. Das ist eine Ehrung ganz gegen den alten Brauch. Ob für oder gegen den Brauch, Jerza ist an sich eine Ausnahme; Juri will es probieren, durch solche Ehrung die schöne Jerza aus dem Hause zu locken, und zur Teilnahme am Tanz bewegen.

Wir gehen mit, wir holen Jerza ab! rufen alle. Sie folgen den voranschreitenden Musikanten, die auf Juris Geheiß schweigend zum Jaskahof marschieren.

Dort angelangt, nehmen die Paare Aufstellung, die Musikanten bilden einen Kreis; Juri holt rasch aus dem Hause einige Kienfackeln, und brennt sie an. Dann beginnt auf ein Zeichen das nächtliche Ständchen, die Musikanten blasen einen flotten Marsch, dessen Töne Jung und Alt aus den Federn reißen und auf die Straße treiben.

Auch Jerza, die strickend am Bettchen des Knaben saß, erscheint am Fenster ihrer Kammer, erschrocken mehr als erfreut, und blickt hinab auf die von Fackeln rot beleuchtete Menschenschaar.

»Jerza!« tönt ein Ruf nach Beendigung des Marsches.

Unwillkürlich hat Jerza das Fenster geöffnet, und beugt sich nun hinaus. »Was soll's?«

»Höre, Jerza! Wir sind gekommen mit Musik, und bitten dich teilzunehmen am Brecheltanz!« ruft Juri.

»Wie, ihr kommt, mich zu holen? Das ist gegen Brechelbrauch!«

»Brauch hin, Brauch her! Wir wollen dich haben, die Dobratschrose soll in unserer Mitte sein! Drum säume nicht länger, wir geleiten dich im Triumphzuge zum Tanz!«

Jerzas Wangen sind rot geworden; sie fühlt die Ehrung und den guten Willen, nach langer Zeit der Verbitterung durchzieht Freude und eine Genugthuung ihr Herz: auf den Feistritzer Lindentanz ist ein Stefaner Ständchen gefolgt. Soll sie den Leuten die Freude verderben?

Wieder mahnt Juri herabzukommen und mit zu gehen. Und schier unbewußt entschlüpfen Jerza die Worte: »Ich komme!«

» Godci! Einen Tusch!« ruft Juri, und eine Fanfare schmettert durch die Nacht. Gleich darauf tritt Jerza vor die Thüre des Gehöftes, mit Jubel von den Mädchen begrüßt, die sie in ihre Mitte nehmen. Die Musikanten setzen mit einem flotten Marschlied ein, und mit Fackelbeleuchtung marschiert alles jauchzend zum Wirtshause. Von Mund zu Mund fliegt indes das Schmuckwort: »Dobratschrose«, das allen die richtige Bezeichnung für die schöne Jerza dünkt.

Bald drehen sich die Paare im fröhlichen Reigen, und Juri hat Jerza im Arm.

Heiß ist's im geheizten Saale, Staub und Tabaksqualm erfüllen die Luft, ein dicker Nebel liegt über den Köpfen der unermüdlichen Tänzer. Süßer Wein erhitzt die Gemüter; mancher Kuß wird von vollen Lippen genascht, es funkeln die Augen, und pochen die Herzen vor Glückseligkeit. Hoch aufschlagen die kurzen Röckchen, und rascheln die gesteiften blendend weißen Unterkittel; es wogen die Busen, und hoch geht der Atem. Die Wangen glühen, heißer wird der Taumel, und unermüdlich blasen die Musikanten.

Eine wahre Seligkeit hat Jerza überkommen! Ihr ist's, wie wenn nach langer Nacht endlich heller Sonnenschein über ihr Dasein ausgegossen wäre. Die ihr erwiesene Ehrung hat ein wohliges Gefühl erzeugt, und sie weiß am besten, welch Liebe und Verehrung zum Ausdruck gebracht ist durch das ihr verliehene Schmuckwort »Dobratschrose«. Wie hängt doch der Gailthaler an diesem Berg, so viel Unheil sein Sturz auch in grauer Vorzeit gebracht hat!

Und wie zurückhaltend doch der Juri ist; der Bursch hat ihr Ehren erwiesen in rührender Bescheidenheit, wie sie noch keiner Dirne erwiesen wurden. Dankbar hiefür konnte Jerza ihm doch den Tanz nicht verweigern, und da Juri mit keiner anderen tanzt, und Jerza von niemandem andern begehrt wird, weil sich die Pärchen zusammengefunden haben, und kein überzähliger Bursch vorhanden ist, so schwebt Jerza immer wieder in Juris Armen durch den stauberfüllten Saal.

Ist's der Wein, der ihm das Blut so stürmisch durch die Adern jagt, oder ist's die beseligende Liebe, die ihn kühner macht; immer zärtlicher sieht der stämmige Juri auf die zierliche in seinen Armen liegende Jerza herab, und lodernder wird der Glanz seiner Augen, wenn die Blicke sich begegnen. Fester drückt er das holde Mädchen an sich, und manch kosend süßes Wort murmeln seine Lippen, das indes im Lärm der Instrumente verloren geht, und das Ohr Jerzas nicht erreicht. Doch in einer Pause, die manches Pärchen benützt, um vor der Thüre etwas Luft zu schöpfen, beugt Juri sich zu Jerza, sein Mund sucht ihr Ohr, und bebend vor innerer Erregung flüstert er ihr zu: »Ich wollt', Jerza, ich hätte den Rogou von dir bekommen!«

Eine Blutwelle schlägt in Jerzas Wangen und ein Zittern läuft durch ihre Glieder; das Mädchen schließt die Augen wie vor Schreck, und doch ist es ihr auch gleichzeitig gewissermaßen froh ums Herz. Langsam schlägt Jerza die Augen wieder auf, sie zieht sachte den Arm aus seinem Arm, an dem er sie promenierend im Saale führte. »Es ist spät geworden, Juri, ich muß heim zum Bubeč! Hab Dank für alles!«

»O bleibe doch; noch ist der Tanz nicht zu Ende, und der Bubeč wird auch ohne die Mutter ruhig schlummern.«

»Es ist einer Freundin Kind, das ich pflege, und an dem ich Mutterstelle vertrete.«

Kaum vermag Juri einen Jubelschrei zu unterdrücken: »Nicht dein Kind! O du holde, süße, reine Jerza! O wie bin ich glücklich!«

»Wärst du's sonst nicht gewesen?«

»Doch! Ich sagte dir ja vorhin, daß mir der Rogou auch von des Bübchens Mutter hoch erwünscht gewesen wäre!«

»Hab Dank für deine gute Meinung! Doch nun laß mich nach Hause!«

»Ach, bleibe noch, süße Jerza!«

»Nein! Ich will heim!« Das klang so fest und bestimmt von Jerzas Lippen, daß Juri unwillkürlich sein Drängen unterließ. Nur noch einen Tusch möchte er für Jerza spielen lassen: einen Abschiedstusch. Allein Jerza verbittet sich das wie jede auffallende Maßnahme ganz entschieden; ihr sei Ehrung mehr als genug widerfahren, und sie könne nun still nach Hause gehen.

Juri fragt, ob er Jerza heimbegleiten dürfe?

»Selbstverständlich, wir wohnen doch im gleichen Hause!« erwidert das Mädchen, nimmt das Tuch um, und schreitet an der Seite Juris in die kühle Nacht hinaus.

Stumm gehen die beiden nebeneinander; wie hat sich Juri auf diesen Heimgang gefreut, wie wollte er sein Herz ausschütten, seine Liebe gestehen, und nun findet er die Worte nicht. Jerza ist viel zu sehr mit ihren Gedanken beschäftigt, um das Schweigen Juris auffallend zu finden. Ob er sie liebt? fragt sich Jerza, und sie bejaht in Gedanken diese Frage. Ob aber sie ihn liebt? Gewiß ist er ein stattlicher Bursch, der zukünftige Besitzer des Jaskahofes, eine gute Partie also; aber der hübsche Mann wird von einer anderen Erscheinung verdrängt: ein blonder Deutscher ist es, der Jerzas Sinne gefangen hält. Eine wahre Sehnsucht nach Heinz erfaßt Jerza. Wie es ihr nur möglich war, die lange Zeit über nie an ihn zu denken! Völlig vergessen hat sie ihn, und er aber auch sie. Nie hat er nach ihr gefragt oder Erkundigungen einziehen lassen. Aber kann er denn wissen, wo sie ist? Ist Jerza denn nicht in dunkler Nacht flüchtig gegangen, und spurlos verschwunden? Wie kann er wissen, wo sie weilt? Jerza hat doch die eigene Mutter nicht wissen lassen, daß sie in St. Stefan ein erträglich Unterkommen gefunden.

Ach, die liebe gute Mutter! Wie es wohl dem Vater ergehen wird? Und was wohl der liebe Heinz treiben wird? Ein langer Seufzer entfährt ihrer Brust.

»Fehlt dir etwas, Jerza?« fragt Juri, und ganz erschrocken blickt das Mädchen auf den Begleiter, den sie vergessen hat.

»Nein, nein!«

»Aber der Seufzer?«

»Ich gedachte meiner Eltern!«

»Hast du Heimweh?«

»Nein! Ich bin doch in der Heimat, das ganze Gailthal ist unsere Heimat! Doch wissen möchte ich, ohne selbst hingehen zu wollen, wie es steht im elterlichen Hause.«

»Kann ich dir dienen, Jerza?«

»Es wäre lieb von dir, wenn du Erkundigungen einholen wolltest.«

»Nach wem soll ich fragen?«

»Erkundige dich, wie es meinen Eltern geht, und frage auch nach dem –«

»Nach wem?«

»Doch hier sind wir ja am Hause. Vielen Dank dir für deine schützende Begleitung, und wegen der Feistritzer Angelegenheit reden wir morgen noch.«

»Jerza!«

»Was soll's?«

»Wenn du wünschest, gehe ich gleich morgen früh hinab.«

»Hab' ich über ein Jahr ohne Nachricht gelebt, kann ich wohl auch noch einige Tage warten. Doch nun gute Nacht!«

Juri ist voraus ins Haus getreten und hat Licht gemacht; er leuchtet nun dem Mädchen zum oberen Stockwerk hinauf, wiewohl Jerza ihm bedeutet, sie finde ihr Kämmerlein auch ohne Licht. War es ein Luftzug, der das Licht verlöschte? Dichte Finsternis umgiebt beide, der Leuchter fällt polternd zu Boden.

Einen leisen Angstruf stößt das Mädchen aus, als es sich plötzlich umschlungen fühlt. Doch nur für einen Augenblick währt der Schrecken; kraftvoll stößt Jerza den liebestoll gewordenen Juri von sich, ehe es ihm noch gelungen, ihr einen Kuß zu rauben, und sie erreicht trotz der Finsternis die Thüre ihrer Kammer, die sie rasch von innen verriegelt.

Draußen steht im Finstern auf dem Gange Juri, und schlägt sich ärgerlich die Hand vor den Kopf: »So dumm, so dumm! Nun ist sie mir verloren!« Dann schleicht auch er in seine Kammer.

*

Die Frühsuppe steht längst auf dem Tische der rauchgeschwärzten Gesindestube im Jaskahofe, und die Dirnen harren mit erhobenen Löffeln nur noch auf den Sohn der Bäuerin und Jerza, um die Mahlzeit zu beginnen. Bereits hat die alte Jaska einmal nach dem Mädchen gerufen, aber Jerza ist nicht herabgekommen, sie, die immer die erste bei der Arbeit ist. Völlig verwundert über ihr Fernbleiben am Frühstücktisch klettert die Bäurin selber die Treppe hinauf, und tritt in Jerzas Kammer.

»Alle guten Geister! Jerza! Bist du toll geworden über Nacht?«

» Dobro jutro!« (Guten Morgen) sagt Jerza, und fährt unbeirrt in ihrer Arbeit fort, ihre Kleider und Wäsche in ein Leintuch zu packen, und auch des Knaben Eigentum in dem Bündel unterzubringen.

»Was soll das Packen, Jerza? Du wirst doch nicht fort wollen vom Jaskahofe?!«

»Doch! Das will ich! Und deshalb bitte ich dich, mir das Dienstaufkünden zu erlassen! Ich kann nicht auf das Ziel warten!«

»Was ist vorgefallen, Jerza?«

»Ich kann keine Stunde länger in deinem Hause bleiben.«

»Was?«

»Es ist so, mati Jaska! Ich muß fort, so hart ich von dir gehe!«

»Wieso, weshalb, warum? Sprich, Mädel! Ich muß wissen, was geschehen ist!«

Lange sträubt sich Jerza, bis endlich unter Thränen der alten Bäuerin eingestanden ist, wie schmählich Juri sie in der Nacht überfallen hat. Mutter Jaska selbst ist empört, und sie wird ihm den Standpunkt gründlich klar machen. Aber Jerza soll doch deshalb nicht fort vom Hofe, und Juri wird es bleiben lassen, Jerza zu belästigen. Dafür werde die Bäuerin sorgen!

Das Mädchen bleibt fest; die Ehre fordert von ihr, zu gehen. Jerza will ruhig schlafen können, ohne befürchten zu müssen, daß sie nachts überfallen wird. Sie wäre ja keine Stunde vor Juri sicher, der erst geflissentlich den Zurückhaltenden, Bescheidenen spielt, Vertrauen erweckt, und dann heimtückisch die Ahnungslose überfällt, um sie in seine Gewalt zu bringen.

Die Bäuerin bietet all ihre Beredsamkeit auf, um Jerza umzustimmen, doch ohne Erfolg; das Mädchen zeigt einen eisenfesten Willen, der Entschluß ist gefaßt, und somit bleibt der Mutter Jaska nichts anderes übrig, als Jerza ziehen zu lassen mit der Versicherung, daß der Jaskahof ihr jederzeit offen stehe, und Jerza immer zurückkehren könne, stets freudig begrüßt und willkommen geheißen.

Wohin Jerza die Schritte lenken werde?

Sie weiß es noch nicht, vielleicht hinauf ins obere Thal, möglich aber auch, daß sie die Gail hinunter wandern werde.

Oben seien aber Niemci!

»Nichts für ungut, und tausend Dank für alles!«

»Muß es sein, daß du gehst, Jerza?«

»Ja, Mutter Jaska, es muß sein, und dein eigener Sohn treibt mich durch seine Schändlichkeit aus dem Hause! Adjes!«

Jetzt weint auch die alte Bäuerin am Hals des Mädchens, bis Jerza sich losreißt, das Bündel umhängt, den Knaben auf den Arm nimmt, und aus dem Hause wandert.

» Z bogam!« tönt es Jerza nach.

Mit nassen Augen kehrt die Bäuerin in die Stube zurück, wo indes die Dirnen die Suppe ausgelöffelt haben, um sie nicht kalt werden zu lassen.

Dann ging jede Dirne ihrer Arbeit nach, und schläfrig ruhig ward es im Hause.


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