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V.

Aus dem Süden streicht der Föhn ins Thal; der Neumond ist »schlecht« eingegangen, der Mondwechsel hat warmen Wind und Regen gebracht, beide nagen am verfrüht gefallenen Schnee, der rasch schmelzend von den Alpentriften schwindet, und selbst auf den Graten und Felsplatten dünner wird. Die Kuppen tragen Nebelkappen, Wolkenhauben von riesigen Dimensionen. Sulziger denn sonst sind die weiten Moore an der Gail durch den schmelzenden Schnee geworden, lehmfarbig treibt der Fluß hochgehende Wogen herunter.

»Ein heilloses Tratschwetter heute!« sagte der Hausvater des Feistritzer Krankenhauses zum Jäger Heinz, der nunmehr geheilt nach langer Krankheit, die der tückische Stich in den Rücken ihm eingetragen, das Ortsspital verlassen kann. »Nehmt euch in acht, Jäger! Der Bursch, der euer Mitleid mißbrauchte, wird vor neuer Tücke nicht zurückschrecken, wenn ihr beide wieder einmal aneinander geraten solltet!«

»Seid unbesorgt, Hausvater! Ich bin gewitzigt!«

»Ihr werdet doch nun Anzeige erstatten, nicht?«

»Wird nicht viel nützen, und macht mir nur Laufereien zu Gericht. Hier im Orte und oben im Revier wird der Wildschütz nicht sein und auch kaum warten, bis ihm die Gendarmen auf die warme Fährte kommen!«

»Das glaube ich fast selber! Ihr könnt von Glück sagen, daß ihr schwer verletzt auf grausigem Steig so bald von Hirten gefunden und herabgetragen wurdet! Die Geschichte hätte euch das Leben kosten können!«

»Darauf war es wohl auch abgesehen! Na, das nächstemal werde wohl ich derjenige sein, der früher abdrückt, wenn der Kerl mir vor das Rohr kommen sollte.«

»Wär euch nicht zu verargen! Doch bedenket, Jäger, nur in Notwehr ist der Waffengebrauch erlaubt, und die Rache ist mein, sagt der Herr!«

»Ich weiß es! Doch nun seid bedankt, Hausvater, für Pflege und eure Güte – hoffentlich komme ich sobald nicht wieder in dieses Haus der Barmherzigkeit.«

»Will es in eurem Interesse selber nicht hoffen! Und in diesem Hundewetter seid auf eure noch nicht besonders starke Gesundheit bedacht! Laßt euch lieber in ein anderes, weniger gefährliches Revier versetzen – «

»Das wäre Feigheit! Ich bleibe jetzt erst recht, und der Seligkeit will ich verlustig gehen, wenn ich den heimtückischen Menschen nicht einliefere!«

»Wie ihr wollt! Mein Amt ist ein anderes! Gehabt euch wohl, Jäger! Geht mit Gott!«

»Nochmals Dank! Und nun Adjes!« Die Büchsflinte umgehangen, den Schnerfer auf dem Rücken, tritt Heinz zum erstenmale nach monatelanger Zimmerhaft im Krankenhause wieder ins Freie. Die Zimmerluft wie die lange Krankheit haben ihm die Wangen gebleicht, das magere Gesicht umwuchert der volle Bart; etwas gebeugt geht der Jäger von dannen, langsam, unschlüssig, wohin er zuerst seine Schritte lenken soll.

Wo Jerza wohl weilen wird? Sie im elterlichen Hause aufzusuchen, dürfte doch ein etwas gewagtes Unterfangen sein; auf einen Willkomm bei dem alten Hitzkopf ist nicht zu hoffen, und eher wird ein Besuch dem Mädchen Unannehmlichkeiten denn Freude bringen. Und dennoch möchte Heinz das prächtige Mädchen gerne sehen und sprechen. Wie hat er sich in stillen, schlaflosen Nächten seiner Krankheit darnach gesehnt, ihr in die herrlichen Augen zu sehen!

Unwillkürlich hat Heinz den Weg zum unteren Dorf eingeschlagen, und geht langsam den Häusern entlang, deren Vorgärtchen öde und leer stehen. Entblättert stehen die Hollundergesträucher längs der Gehöftmauern, und die Vogelbeerbäumchen tragen nur noch die Beerenbüschel, an denen die Spatzen picken. An einem Gehöft bleibt Heinz unwillkürlich stehen; ihm dünkt eine Stimme, die durch das offene Fenster deutlich hörbar ist, bekannt. Ist das nicht Jerzas Stimme? Sollte das Gehöft ihr Elternhaus sein? Eine friedliche Auseinandersetzung scheint es nicht zu sein – man antwortet in höhnischem Tone. Heinz tritt näher; ihm ist, als müsse er zum Schutze des Mädchens in der Nähe bleiben. Ein Wimmern unterbricht die Unterredung – »hier ist Kathras Kind, das sie oben auf der Alm geboren und zurückgelassen hat. Ich habe es mit Mühe herabgebracht, nachdem ich einige Tage eingeschneit gewesen bin. Nehmt das unschuldige Kind der schuldbeladenen Mutter –«.

Ein Hohngelächter ertönt auf diese erregt gesprochenen Worte; dann wird eine Männerstimme hörbar: »Behalte die Frucht deiner Sünde, stolze Jerza! Wir lassen uns nichts aufschwatzen! Leg den Wurm anderen Leuten – hahaha! Willst wohl im eigenen Hause nicht damit erscheinen – glaub' es wohl, daß der alte Jabornigg nicht erbaut sein wird! Man kennt dich wohl, schöne Jerza, im Dorf, und deine Heuchelei täuscht niemanden mehr! Darfst ja nicht mehr unter der Linde tanzen, und mußt die Haube ohne Querband tragen!« –

»Ich beschwöre euch – hier das Bübchen ist Kathras eigenes Kind; sie hat es oben auf der Dobratschalm zurückgelassen!«

»So? Und wo ist denn dann unsere Tochter? Du mußt es doch genau wissen, Jerza, wenn sie bei dir oben gewesen ist – –«

»Ich weiß es nicht! Sie ist verschwunden – im furchtbarsten Schneesturm hat sie die Hütte verlassen – eine Nachsuche war mir unmöglich in der finsteren Nacht. Ich habe Angst, daß ihr ein Unglück widerfuhr!«

»Spare deine gleißnerischen Worte, Verworfene! Ich will es dir sagen, wo Kathra ist: Bei Verwandten drüben in Krain ist sie, wohlbehalten und gesund. Und wenn sie heimkehrt, wird sie abrechnen mit dir für deine Lüge und Verleumdung. Und nun marsch aus meinem Hause und trag den Balg mit fort! Laß dich nicht wieder sehen, betritt diese Schwelle nicht mehr – hier wohnen ehrliche Leute! Hinaus!«

Mit klopfendem Herzen hat Heinz diese ihm nur zum Teil verständlichen Reden vernommen; in seinem Gehirn jagen sich wirre Gedanken. Was soll diese Szene bedeuten? Jerza mit einem Kind, das sie fremden Leuten übergeben will?

Schritte werden laut; eilig zieht sich Heinz hinter einem Hollunderstrauch zurück. Weinend verläßt Jerza mit einem Kind im Arm das Haus. Wie blaß und abgehärmt das Mädchen aussieht!

Dem Jäger ist die Kehle wie ausgetrocknet – er möchte Jerza anrufen, mit ihr sprechen, und doch bringt er keinen Laut über die Lippen. Jerza mit einem Kinde! Heinz kann es nicht fassen. Ist es ihr Kind? Will sie sich desselben entledigen, und schiebt die rote Kathra als Mutter vor? – – Großer Gott! Es wäre schändlich, wenn dem so wäre!

Wie betäubt steht der Jäger in der Ecke, indes Jerza wie gebrochen die Gasse hinunter geht, bitterlich weinend. Dann rafft sich Heinz auf; er will Gewißheit haben, und um sich diese zu verschaffen, eilt er dem Mädchen nach.

Jerza ist ins elterliche Haus getreten. Bald darauf gellt ein schriller Schrei durch das Gebäude – Stimmen werden laut – Stühle poltern. –

Heinz, aufs höchste erschrocken, will eben zur Thüre hinein, um zu sehen, was sich drinnen ereignete; da schreitet in furchtbarer Erregung Jerza mit dem Wickelkind heraus – ein unheimliches Feuer glüht aus ihren Augen, es flammen ihre Wangen, stürmisch wogt der Busen, es bebt die ganze Gestalt wie vom Fieber durchrüttelt.

Betroffen über die unerwartete Begegnung hält Jerza einen Augenblick inne; ihren bleichen Lippen entfährt der Ruf: »Heinz!«

»Was soll das bedeuten, Jerza! Wie kommst du zu einem Kinde?« fragt der Jäger mit schneidender, hartklingender Stimme, obwohl ihm das Herz klopft in Erregung.

Mit einem großen Blick mißt Jerza den Jäger; ein Blick des Staunens, der sich rasch in Verachtung verwandelt. »Ha – auch du – auch Heinz im Zweifel! Hahaha! Alles glaubt, ich – – Pfui! Es ist schmachvoll! Doch glaubt, was ihr wollt – der Herr über den Sternen kennt Jerza besser! – Aus dem Weg jetzt, Jäger – gieb Raum! Nun sind auch wir mit einander fertig! Wir sind quitt!« Hoheitsvoll, erhobenen Hauptes, im Innersten verletzt, zürnend schreitet Jerza mit dem Kinde auf den Armen in die Dämmerung hinein, fort aus dem Heimatsdorfe.

*

Lange hat der Jäger dem enteilenden Mädchen nachgeblickt, ohne einen klaren Gedanken fassen zu können. Erst allmählich kommt ihm die Erkenntnis, daß er Jerza mit seiner Frage tätlich beleidigt haben muß, und bitter bereut er, den richtigen Ton nicht getroffen zu haben. Wie konnte er auch nur im geringsten an Jerza zweifeln oder glauben, daß – –.

Neugierige Nachbarn sind näher getreten und fragen die Dienstboten des alten Jabornigg, was denn geschehen sei. Geringschätzig genug lautet die Antwort: Nicht viel! Der Alte hat die Tochter samt dem Kinde aus dem Hause gewiesen und verflucht. Er habe keine Tochter mehr – und für eine feile Dirne gebe es keinen Raum in seinem ehrlichen Hause.

Heinz zuckt bei diesen Worten zusammen, namenloses Weh erfüllt seine Brust. Wie hat er sich versündigt an Jerza, die stolz in ihrer tief beleidigten Reinheit die Heimat verläßt ohne ein Wort der Verteidigung. Heinz hat nur noch einen Gedanken: Abbitte! Und mächtig ausschreitend, eilt er dem entschwundenen Mädchen nach in die aufziehende Nacht.

*

Vergebliches Suchen! Heinz ist Jerza nachgegangen zunächst auf der von Feistritz nördlich ziehenden Straße bis zur Einmündung derselben in das windische Dorf Nötsch; allein nirgends vermochte er das Mädchen aufzufinden. Den Pfad längs der Gail in das Moor wird Jerza kaum eingeschlagen haben; er ist bei Tag nicht ungefährlich und würde in finsterer Nacht den Tod bringen beim geringsten Abweichen vom Wege. Wo nun die Entflohene suchen? Heinz entschließt sich in einer Schenke einzukehren auf gut Glück; allein man hat hier kein Mädchen mit einem Kind gesehen. Auch im unteren Wirtshause wurde nichts wahrgenommen. Weh wird dem Jäger ums Herz; Jerza ist ihm verloren, zornerfüllt ist sie von ihm gegangen, heimatlos.

Je emsiger er die Suche nach der Flüchtigen betreibt, desto weiter entfernt er sich von seinem Dienstrevier; er verletzt seine Pflicht, und dennoch treibt es ihn weiter auf der nächtlich dunklen Straße. Und je mehr ihm der in West umgeschlagene Wind Eiskörner ins Gesicht schlägt, desto rascher werden seine Schritte. Er muß Jerza finden noch in dieser Nacht, er handelt unter einem unwiderstehlichen Zwange. Hügel auf und ab geht die Wanderung auf der durchweichten, holperigen Straße; in den meisten einsam liegenden Gehöften ist das Licht schon erloschen, die Bewohner sind zur Ruhe gegangen, und nur die Kettenhunde geben Hals, wenn der nächtliche Wanderer an ihnen vorüberschreitet.

Die Straße wird steiler; sie zieht sich eine Anhöhe hinauf, und dunkler Wald umsäumt sie zu beiden Seiten. Unheimlich rauscht es in den hohen Fichten, schwer schlagen die Tropfen durch das Geäst; finster ist's, daß man keine drei Schritte vorwärts sieht. Unbeirrt eilt der Jäger aufwärts, immer größer wird seine Sorge um das Mädchen. Wenn Jerza sich verirrte! Heinz ist an einer Straßenkreuzung mitten im Walde angelangt; vorwärts führt die Straße zu den Dörfern St. Paul und St. Stefan, rechts dagegen zieht ein Saumweg zur Bleiberger Höhe hinauf, dem Übergang ins Bleibergthal westlich vom Dobratsch. Wohin nun den Schritt wenden?

Ist Jerza auf der Distriktsstraße geblieben, so wird sie in einem der windischen Hügeldörfer ein Unterkommen für die Nacht wohl gefunden haben; gefahrvoller aber ist es für den Fall, daß sie nach Bleiberg über den steilen, dichtbewaldeten Sattel wandert. Die Höhe wird verschneit sein, pfadlos in stürmischer Nacht; vielleicht kann Heinz ihr oben Hilfe bringen. Er steigt den Berg an; sein an Finsternis gewöhntes Auge sucht stetig den Saumweg ab, und gespannt horcht Heinz nach dem leisesten Geräusch. In dünnen Faden träufelt der Regen hernieder, Bergwasser rauschen, es rieselt ein Bächlein auf dem steinigen Pfad herab, jegliches Erdreich wegschwemmend. Im Geschröff heult der Bergwind; es ächzen die Fichten und Föhren. Kein menschlicher Laut ist zu hören; das Knirschen der Bergschuhe auf dem Geröll des steilen Pfades ist das einzig wahrnehmbare Geräusch. Schon hat der Jäger die Sattelhöhe erklommen, über die schneidend der Wind streicht. Der dunkle Wald ist zurückgeblieben, nur Krummholz bedeckt stellenweise den steinigen, kümmerlich mit Gras bewachsenen Boden, und in tieferen Runsen liegt Schnee, an dem die Wasser nagen. Wenn Jerza wirklich hier herauf ist, müßte Heinz sie längst eingeholt haben; mit dem Kind in den Armen kann sie unmöglich das Tempo eingehalten haben, in welchem der Jäger aufwärts gestiegen ist. Was nun? Ein Weiterwandern hinunter ins Bleibergthal ist zwecklos wie das Umfragen in den Hügeldörfern zu nächtlicher Stunde. Ein Gedanke fährt dem Jäger durch den Kopf: Hat Jerza nicht in jenem fremden Hause gesagt, sie hätte das Kind von der Dobratschalm heruntergebracht? Wenn sie gar auf die Alpe gegangen wäre? Freilich müßte sie dann von Nötsch aufgestiegen sein, was auch ihr Verschwinden auf der Straße erklärlich machen würde. Wenn Heinz jetzt vom Sattel hinübersteigen, und dann zur Höhe der Dobratschalm klettern würde? Es ist freilich arg dunkel in dieser regnerischen Frühwinternacht, aber was hat das für einen Berufsjäger zu bedeuten! Kurz entschlossen verläßt Heinz den Saumweg, und wandert pfadlos durch den Hochwald, der sich längs der Schneide zu den Felswänden des Dobratsch hinzieht, die er nach mehrstündigem Marsch erreicht. Sein erfahrenes Auge sucht nach einer Einstiegsrichtung in die Runsen, doch will sich im Dunkel kein passender Kamin finden lassen. Auch liegt herunten viel Schnee, der die Karzungen verdeckt und den Anstieg erschwert. Heinz entschließt sich, für den Einstieg auf die Frühdämmerung zu warten, und sucht einstweilen Schutz vor dem stetig herniederströmenden Regen unter einer Felsgufel.

Langsam graut der Tag; tief hängen die Wolken hernieder, grau in grau das verhangene Firmament, und schwerer Nebel streicht, vom Westwind gejagt, durch den Tann. Noch ist's nicht büchsenlicht, doch kann der Einstieg begonnen werden. Heinz verläßt das schützende Felsloch, und steigt längs der Wände in das verschneite Kar. Was liegt dort? Ein dunkler, teilweise von Schnee bedeckter Körper! Großer Gott! Es wird doch nicht Jerza sein? Mit raschen Sprüngen ist Heinz oben, ein Mädchen liegt mit eingeschlagenem Schädel tot im Geröll. Der Regen hat den mitleidigen Schnee vom wachsbleichen Antlitz gewaschen und die roten Zöpfe aufgelöst, so daß das volle Haar in Strähnen vom Kopfe hängt. Abgestürzt! Ein Todessturz über eine furchtbare Steilwand! – Erschüttert steht der Jäger vor der Toten, deren verglaste Augen noch offen sind. Wer die Verunglückte wohl sein mag? Hat Jerza nicht von einer Kathra gesprochen, welche die Hütte verlassen hat, und um welche Jerza Angst empfand? Die rothaarige Kathra wird es sein, und nach jener Bemerkung Jerzas die Mutter des Säuglings, um dessen willen Jerza heimatlos geworden ist. Welche Versündigung ist an Jerza begangen worden! Und Heinz selbst beteiligte sich am Zweifel an der reinen Jerza! Der Jäger kniet an der Leiche nieder; er betet ein andächtiges Vaterunser für die Verunglückte, und drückt der Toten die glanzlosen Augen zu. Dann nimmt Heinz die leblose Last auf seinen Rücken, und trägt das verunglückte Mädchen hinab ins nächste Dorf, um von dort aus den Transport der Leiche nach Feistritz zu veranlassen.


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