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VII.

Dichter Schnee bedeckt die Landschaft bis hinauf zu den Bergen, und steifer Nord hat bittere Kälte gebracht. Weihnachten ist nahe, die geheimnisvolle Zeit, auf welche sich die Kinder freuen, und welche das Bergvolk zur Erforschung der Zukunft durch allerlei abergläubische Bräuche zu benutzen sucht. Mit dem Thomastage (21. Dezember) haben die Rauhnächte begonnen, in denen Zauberei eine große Rolle spielt. Am Thomastage darf der Bauer nicht früher zur Ruhe gehen, als bis er das Vieh im Stalle mit Weihwasser besprengt hat, auf daß St. Thomas dasselbe vor Krankheit bewahre. Indes hält die Bäuerin mit einer Glutpfanne, auf deren Kohlen Speik und Weihrauch gestreut sind, im Hause Umzug, und die Eh'halten befragen während des abendlichen Aveläutens durch Bleigießen, Schuhwerfen, Zaunsteckentragen, Hütlgucken und Kranzwerfen das Schicksal. Mit besonderer Spannung harren jene Dirnen der kommenden Ereignisse, die am Thomasvorabend auf ihren Kammern ein Bad nahmen, und unabgetrocknet mit dem linken Fuß zuerst ins Bett stiegen. Der Traum dieser Nacht wird, so glaubt das Volk, sicher in Erfüllung gehen. Von symbolischer Bedeutung ist für die windischen Mädchen in der Thomasnacht das » jegrati« (Spiel), indem neue Gegenstände unter einen Hut gelegt, und von denselben dreimal mit geschlossenen Augen gezogen werden. Es bedeutet von diesen neun Gegenständen: Geld = Reichtum, Ring = Heirat, Betschnur (Rosenkranzperlen) = größere Frömmigkeit, Kohle = Tod, Wäschebündel = Wanderschaft, Fichtenzweig = Glück, Kamm = Witwer, Schlüssel = Bäuerin werden, ein Kind aus Lebzelten = Mutterfreuden.

Der heilige Weihnachtsabend ist gekommen, die wundersame Zeit mit ihren Geheimnissen; das wilde Gejaide durchzieht mit Musik die Lüfte, die Haustiere erlangen für diese Nacht die Sprache, und reden miteinander, und wer acht auf das Wetter giebt, und die Windrichtung sich merkt, kann für das ganze kommende Jahr Wetter und Ernte vorausbestimmen. Uralt sind die Überlieferungen von Mund zu Mund für die heilige Nacht: Wer sich um Mitternacht der Christnacht unter den Apfelbaum stellt, der im Frühjahr zuerst blühte, und während der Wandlung der »Mette« (Engelamt um Mitternacht in katholischen Kirchen) zum Stamme lauscht, hört entweder Musik oder ein Klopfen. Ersteres bedeutet Hochzeit, letzteres Tod. Um dieselbe Geisterstunde vollführen jene Leute einen Rundgang über den Friedhof, die im kommenden Jahre sterben werden, und auch für die Lotteriespieler ist die Christnacht bedeutungsvoll. Nach einer alten Sage soll man im Friedhof auf einen Totenschädel zwischen 11 und 12 Uhr alle neunzig Zahlen schreiben, und den Schädel über Nacht liegen lassen. Am nächsten Morgen werden die Zahlen bis auf fünf Ziffern von Geisterhand ausgewischt sein, die stehen gebliebenen Zahlen werden bei der nächsten Lottoziehung sicher als Gewinnnummern gezogen werden. Weil es jedoch gar so unheimlich ist, um die Geisterstunde im Friedhof zu verweilen, und man auch nicht gerne mit einem Totenschädel hantiert, wird diese Gelegenheit zum Lottogewinnen nicht benützt.

Noch sicherer als in der Thomasnacht ist das »Leas'ln« (Zukunftserforschen) in der heiligen Nacht, und zwar mit dem Bleigießen. Flüssig gemachtes Fensterblei wird aus einem Löffel in ein mit Wasser gefülltes Becken geschüttet, und die Form, welche das plötzlich abgekühlte Blei nun annimmt, für die Zukunft gedeutet.

Im Jabornigghofe ist das gesamte Gesinde in der Wohnstube versammelt, und auf Geheiß des alten Bauers hat die jüngste Dirne eben das flüssige Blei in das Wasserbecken geschüttet. Die Eh'halten umstehen den Tisch, und blicken gespannt auf den Bleiklumpen.

»Was ist's?« fragt der alte Jabornigg an der Ecke des Tisches, »sieh nach, mati

Die Bäuerin, die in ihrem Gebetbuche las, schiebt die Brille auf die Stirne, und guckt ins Becken.

»Was siehst du, mati

»Ich vermag es nicht zu deuten!« versichert die Bäuerin mit bebender Stimme, wiewohl sie die Form nur zu gut erkannt hat.

Der Alte hat sich über den Tisch vorgebeugt, das verlegene Zögern des Weibes, die scheue Zurückhaltung der Knechte und Mägde hat seine Neugierde und Spannung erweckt. Er richtet nun seine Frage an die Dirne, welche das Blei ins Wasser gab: »Was siehst du, Decva (Magd)?«

Und leise sagt die Dirne: » Es ist ein – Totenkreuz, Gospodar (Bauer)!« Lautlose Stille herrscht in der Stube; nur die Uhr in der Ecke tickt, und der Licht spendende Kienspahn knistert.

» Ein Totenkreuz!« flüstert der Alte vor sich hin. »Das wird mich angehen!« Und langsam läßt der Alte das Haupt sinken. Wie gebannt ruhen aller Augen auf dem Greise, dem das Bleiorakel das Ende verkündigte.

Nach einer Weile richtet der Greis sich wieder auf und fragt: »Was ist die Uhr?«

»Es wird gleich Mettenzeit sein!« erwidert die erschütterte Bäuerin.

»Meinen Mantel her, und die hohen Stiefel!«

»Aber, Očele, du wirst doch nicht!«

»Ich will zur Kirche!«

»Aber, bedenke, den steilen Pfad hinauf, vereist, die Kälte; bei deinem Alter kannst du den Tod davon haben!« mahnt die Frau.

»Ich will es! Noch bin ich der Herr im Hause!«

Bis auf einen Knecht, der zur Wache zu Hause bleiben muß, gehen sämtliche Insaßen zur Kirche. Die Knechte tragen Buchteln (Kienfackeln) voran, den Weg durch die Nacht zu beleuchten, der Altknecht und die Bäuerin stützen den Greis auf der für ihn mühsamen Wanderung auf den steilen Hügel, auf welchem die Kirche steht, deren hohe Fenster in wundersamen Farben durch die Glasgemälde leuchten.

Von den Bergen herab ziehen die Gläubigen mit Fackeln zum Gotteshause, flammende Lichtpunkte in finsterer Nacht, bald langsam sich bewegend, bald blitzschnell zur Tiefe huschend, wenn die Fackelträger auf Schlitten thalwärts fahren. Immer enger ziehen sich die Lichtstreifen zusammen, je mehr sich die Kirchgänger dem Gotteshause nähern. Vor der Friedhofmauer angelangt, werden die Kienfackeln mit dem Brand in den Schnee gesteckt, und zischend verlöscht die Glut. Harmonisch klingt das Geläute zu ungewöhnlicher nächtlicher Stunde über die tiefverschneiten Fluren: ein eindringlich Mahnen zu ernstem Gebete, eine feierliche Verkündigung der Geburt des Erlösers!

»Stille Nacht, heilige Nacht!«

Hell erstrahlt der Hochaltar im Kerzenschimmer, Weihrauchduft zieht durch die weite Halle; der Priester celebriert den mitternächtlichen Gottesdienst im weißen Meßgewande, der Farbe der Unschuld und Freude, mit mächtigem Organe stimmt er den während der erwartungsvollen Adventzeit unterlassenen Jubelgesang: Gloria in excelsis Deo! Und mit Trompetengeschmetter und Paukenwirbel fällt der Chor in den Jubelgesang ein: »Gloria, Gloria!«

Andächtig kniet die Menge nahe dem Altar, viele Gläubige lassen den Wachsstock vor sich brennen, um Licht zum Lesen im Gebetbuche zu haben, und junge Mädchen entzünden während des Engelamtes Wachskerzchen, die sie in den Schürzen in die Kirche getragen haben, nach dem Glauben, daß sich der Bräutigam einfinden werde nach Beendigung des Gottesdienstes.

So licht es im Vorderschiff der Kirche ist durch den Kerzenschimmer am Hochaltar und in den Betstühlen, so finster ist es im Hinterteile des Gotteshauses unter dem Chore. Die Teilnehmer an der mitternächtlichen Versammlung haben vorne Platz genommen im frommen Glauben, daß sie der Kraft des heiligen Engelamtes um so mehr teilhaftig werden, je näher sie dem celebrierenden Priester sind.

Eine weihevolle Stimmung hat die Gläubigen erfaßt; das Hauptmoment des Gottesdienstes ist nahegerückt: die Benedicierung der Hostie in der heiligen Wandlung. Die Ministranten rühren die sanft klingenden Schellen, und im Glockenhause zieht der Küster die Wandlungsglocke, deren Geläute weithin den weihevollen Augenblick der Fleischwerdung Christi verkündet.

Ein gedämpfter Schritt im hintersten Teile der Kirche wird hörbar, als der Priester die Hostie in seine Hände nimmt, sie segnet und in lateinischer Sprache die Worte spricht: »Nehmet hin und esset alle davon, denn das ist mein Leib!« Der Priester beugt das Knie zur Anbetung, dann hebt er die Hostie, die durch Gottes Kraft Christi Leib geworden ist, empor über sein Haupt.

Im selben Augenblick zieht eine schwarze Gestalt im dunklen Hinterraum der Kirche das Gewehr auf und zielt scharf auf die hocherhobene Hostie. Ein gräßlicher Frevel ist der Aberglauben der Wildschützen, durch das Zielen mit der scharf geladenen, eingestochenen Kugelbüchse auf die heilige Hostie über des Priesters Kopf in der Christnacht, dem Gewehr die »Kraft« zu verschaffen, alles Wild anzuziehen und sicher zu treffen. Wer es fertig bringt, mit festem Blick und sicherer Hand, den Finger am Stecher, das frevelhafte Ziel zu nehmen, wird schußsicher für Lebenszeit, doch darf die Kugel nicht dem Lauf entfahren, sonst verfällt der ohnehin schwer versündigte Mensch völlig dem Satan. Eine solche Kirchenschändung bestätigt J. G. Seidl in der Zeitschrift f. Deutsche Mythologie Bd. II, p. 28. Andächtig klopfen die Gläubigen an die Brust und verrichten das Gebet der Anbetung, da erhebt sich der alte Jabornigg von den Knieen, einem Geiste gleich steht er aufrecht, und streckt die Hände wie abwehrend gegen rückwärts und ruft: »Fluch dir, Kirchenschänder!« Im selben Augenblick zuckt der Wildschütz zusammen, sein Finger berührt unwillkürlich den Stecher am Büchsenschloß, und krachend fährt der Schuß aus dem Rohr, die Kugel streift den alten Jabornigg, der wie vom Blitze getroffen niederstürzt, und fällt klappernd auf den Steinfliesen vor dem Hochaltar nieder. Entsetzt ist alles in die Höhe gefahren, der Priester ist vom Altar in wilden Sätzen weggesprungen, die Ministranten sind in die Sakristei geflohen; jäh ist die gottesdienstliche Handlung unterbrochen, beherzte Männer schrieen: »Kirchenschändung!« und stürzen auf die schwarze Gestalt zu, die, das Gewehr wegwerfend, durch das Portal in die Nacht hinaus entflieht. Die Weiber drängen nach, eine Panik erfaßt alle, es droht Gefahr, daß Menschen niedergetreten werden. Da ermannt sich der Priester von seinem Todesschrecken, und mahnt zu bleiben, indes die Männer die Verfolgung des Frevlers aufnehmen. Und dann eilt der Geistliche dem im Blute schwimmenden Greise zu, um diesem die erste Hilfe angedeihen zu lassen. Man trägt den Verwundeten in den nahen Pfarrhof, löscht die Lichter aus, und schließt die entweihte Kirche. Gruppenweise haben die Leute den Heimweg angetreten, eifrig das unerhörte Ereignis besprechend. Wer wohl der Frevler und Kirchenschänder ist?

Bis in die entlegensten Häuser auf den Höhenrücken ist die Kunde gedrungen, und am Christtage kommen die Bauern trotz des gegen Morgen eingetretenen dichten Schneegestöbers zu Thal, um näheres über die Frevelthat zu vernehmen. Stundenlang haben kühne Burschen in der Nacht nach dem Wildschützen, der sein Gewehr »kräftigen« wollte durch einen kirchenschändenden Frevel, gefahndet, allein im Dunkel der Nacht verloren sie die Fährte, und der herabwirbelnde Neuschnee verwischte jede Spur.

Im Pfarrhofe ist der greise Jabornigg vom Dorfarzt verbunden worden. Vom Blutverlust arg geschwächt, liegt der Alte in einem Gastbett des Pfarrers. Gegen Morgen ist das Bewußtsein wiedergekehrt, und nun spricht der Priester dem Greise Mut zu. »Das Kreuz, es ist zur Wahrheit geworden; mich hat's ereilt, ich werde sterben!« flüstert der Alte. Milde fragt der Pfarrer nach den näheren Umständen, und belehrt dann, als er klar den Aberglauben erkannte, daß das Bleigießen nie und nimmer irgend welchen Einfluß auf die Menschengeschicke haben könne. Glaube der Mensch an solche Vorbestimmung eines Bleiklumpen, so begehe er einen Frevel, und stehe so ziemlich dem Frevler nahe, der durch das Zielen auf das Venerabile die Kirche entweihte. Ist es Gottes Wille, so müßte der gesündeste Mensch von hinnen, und will es der Herr der Heerscharen nicht, so werden auch dem Greise noch manche Tage stiller Beschaulichkeit beschieden sein. Als eine Mahnung, auf Erden gut zu machen, was noch der Besserung bedarf, solle das Ereignis in der Kirche betrachtet werden, und auch der Vater Jabornigg möge Einkehr halten in seinem Herzen, und sich fragen, ob er nichts gut zu machen habe im irdischen Leben. Der Mensch solle nicht in Starrheit verharren, weder im Fanatismus, noch in der Verdammung menschlicher Verhältnisse. Menschen, Brüder und Christen, die einen Gott anbeten, seien auch die Angehörigen der anderen Nationen, und Gottes Gebot sei es, den Nächsten zu lieben wie sich selbst. Warum den Deutschen hassen, den die Bestimmung Gottes uns zum Nachbar gegeben? Ist er nicht Christ wie jeder von uns Slaven? Ist er nicht Unterthan desselben Monarchen, dessen Liebe alle die Völker der Krone umfaßt? Und wer hat das Recht, Steine auf den Nächsten zu werfen? »Wißt Ihr denn, Jabornigg, ob gerecht war Euer Urteil über die eigene Tochter, die in ihrer Reinheit lieber die Schwelle des Heimathauses verließ, als auch nur mit einem. Wort ihre Schuldlosigkeit zu beteuern!«

»Was sagt Ihr?«

»Ich sage Euch, Jabornigg, ich glaube nicht an all das, wessen Heuchelei Eure Tochter bezichtigt!«

»Jerza, mein Kind!« flüstert der Alte vor sich hin, und läßt das Haupt in die Kissen sinken.

Eine Weile horcht der Priester nach den Atemzügen des Greises, dann verläßt er still das Gemach.

*

Wie von Furien verfolgt ist der Wildschütz aus der Kirche entflohen, mit wilden Sätzen stürmte er trotz der Finsternis den Hang hinan gegen den Göriacherberg, und mochte sich der Schnee noch so sehr in zähen Klumpen an seine Füße heften, der Bursch hastete aufwärts. Das Blut hämmert in seinen Schläfen, weit sind die Augen aus ihren Höhlen getreten, sie brennen; eine Glühhitze durchzieht den fiebernden Körper, es siedet das Blut, und dennoch fröstelt es den Dahineilenden über den Rücken, die Haare stehen zu Berg, Entsetzen erfaßt die Seele. Der Atem pfeift, es keucht die Brust; es giebt kein Rasten, kein Verschnaufen. Sie werden den Kirchenschänder verfolgen, sie wollen ihn haben lebendig oder tot; der Satan will die Seele haben, der Teufel ist hinter ihm her. Höher, immer höher hinan durch Schnee und Wald, hinauf zur Wildnis der Felsen; dort wird man ihn nicht finden. – Dicht wirbeln die Flocken hernieder – nur zu! Sie löschen die Fährte aus und sichern die nächtliche Flucht.

Dort winken die verschneiten Felsen, sie bieten Zuflucht. Die Gefahr ist vorüber, der Vorsprung der rasenden Flucht reicht aus. Ein kurzes Verschnaufen ist nötig, die Lunge versagt den Dienst. Wie es im Herzen pocht und klopft! Hier auf dem Baumstrunk kann er eine Weile rasten, ein kalter Sitz. Wie alles gekommen ist? So schön im Zuge, muß der Alte sich erheben und ihm fluchen! Wenn ihn die Kugel ereilte, geschah ihm recht. Wie heiß dem Rastenden ist! Alles Blut drängt zum Herzen, es ist übervoll zum zerspringen – ach!

Leblos fällt der Körper vorne über mit dem Gesicht in den kalten Schnee. Mitleidige Flocken decken den Toten zu, der Schnee ist ein Leichentuch – – –.

Im dämmernden Morgen hat der Jäger Heinz seine verschneite Hütte verlassen; heute am Christtage will er hinab zur Kirche, der Gnade Gottes teilhaftig werden durch das Anwohnen dreier heiliger Messen. Im bleichen Licht des jungen Tages muß er sich den Weg durch die dicke Schneedecke mühsam bahnen. Still ist's im Gelände; kaum pfeift eine Bergamsel, und selbst der Fink schweigt, als wollt' er die Ruhe der Berge nicht stören. Schnee, überall frischer, flimmernder Schnee! Keine Fährte, keine Spur in der »Neuen«. Die Wildraufen liegen höher oben, darum zieht hier auch kein Wild zur Fütterung. Doch ist das dort nicht die saubere Schnur des Fuchses, ein Stapf hinter dem andern? Sie zieht vom Walde gegen die verschneite Wiese hin, wo sonst ein Pfad von unten herauf führt. Was mag Reinecke wohl hier zu ergaunern hoffen? Und dort steht er ja bedächtig, der Rotrock, und beäugt einen verschneiten Klumpen. Wittert er Aas? Reinecke empfiehlt sich beim Nahen des Jägers, und ist augenblicklich verschwunden. Heinz besieht sich die seltsame Form des Schneehügels, und stochert mit dem Bergstock an ihm herum. Großer Gott! Ein Mensch – erfroren – tot. Rasch klopft Heinz den Schnee völlig von der Leiche – es ist der Wildschütz Mathija, den das Schicksal ereilte. Sein Todfeind – tot! Von hinnen gegangen in der Christnacht. Doch ist's ein Mensch, der in geweihter Erde liegen soll; nicht hier heroben in der Bergwildnis als Beute des Raubzeuges. Verletzt ist nichts am Körper, und dennoch ist der Bursche tot. Ein tragisches Geschick! Und wie einst drüben am Dobratsch nimmt Heinz hier auf der Höhe, nahe dem Poludnig, den Leichnam auf seine breiten Schultern, und trägt die Last hinab ins Gebeinhaus des Dorfes Feistritz.

Wenn Heinz Feuer gerufen hätte, wäre der Aufruhr im Dorfe kaum größer gewesen, als wie er mit der Leiche auf dem Rücken der von den Leuten dicht umstandenen, geschlossenen Kirche zuschritt. Hunderte von Fragen umschwirrten ihn, und kaum war der Tote als der Wilderer Mathija erkannt, da war alles einig darüber, daß dieser der Kirchenschänder ist.

Der Jäger muß erzählen, wie er den Wildschützen gefunden. Tot, ohne Verletzung! Gottes Wille, die Rache Gottes! Und nicht in geweihte Erde darf der Frevler gebettet werden, sein Platz ist außerhalb der Friedhofmauer; er soll selbst im Tode keine Gemeinschaft haben mit Christenmenschen! – –

Und immer größer wird die Erregung; die Einödbauern von den Höhen wollen in die Kirche und können nicht begreifen, warum sie am heiligen Weihnachtstage ohne Gottesdienst, ohne Amt und Predigt bleiben sollen. Die empörten windischen Bauern haben es nicht geduldet, daß Heinz die Leiche im Beinhaus unterbrachte; sie duldeten auch nicht, daß sie in einer Ecke des Friedhofs niedergelegt ward. Und so wurde der Leichnam bei einer nahen Scheune geborgen, und mit einem Sack zugedeckt; dort soll sie liegen, bis der Pfarrer gesprochen hat, dem begreiflicherweise rasch Bericht erstattet wurde. Nun stehen sie im Schnee auf dem Hügel vor dem Gotteshause, und allmählich beginnen die Armbewegungen, um die Kälte zu mildern; manche Burschen suchen durch Stampfen das Frostgefühl aus den Füßen zu bringen, und Ungeduld erfaßt alle. Warum nur der Pfarrer nicht kommt? Er soll sagen, wo der Kirchenschänder eingebettet werden soll, und die Bauern werden dafür sorgen, daß der Wildschütz nicht in den Friedhof komme. »Wir dulden es nicht! Fluch ihm ins Grab hinein!«

Die Pfarrhofthüre wird geöffnet, und heraus tritt im schwarzen Talar der Seelsorger des Dorfes, begleitet von seinem Auxiliarius. Die Bauern entblößen das Haupt, und horchen gespannt den Worten ihres Pfarrers, der wehmütig auf die entweihte Kirche blickt, und dann anhebt in windischer Sprache zu reden: »Geliebte in Christo! Tiefbetrübende Ereignisse sind in der heiligen Nacht eingetreten, Schande ist über unsere Gemeinde gekommen! Im heiligsten Augenblick des heiligen Meßopfers ist fürchterlich gefrevelt worden, mit der scharfgeladenen Waffe auf die heilige Hostie gezielt, und der alte Jabornigg geschossen worden, als der Greis sich wie in einer Ahnung des Kommenden aufgerichtet und seine Hände wie abwehrend gegen den Frevler erhoben hatte. Blut ist vergossen in unserer Kirche, sie ist dadurch entweiht, und darf nicht eher wieder benützt werden, bis der hochwürdigste Bischof oder ein von ihm ernannter Stellvertreter sie reconciliiert, sie mit geweihtem Wasser von der ihr zugefügten Schändung befreit haben wird. Groß ist unsere Trauer, groß unser Schmerz! Und um so schmerzlicher ist es für uns, daß wir heute am heiligen Christtag des Wortes Gottes entbehren müssen, des heiligen Meßopfers nicht teilhaftig werden können. So stehen wir denn vor den geschlossenen Pforten, nicht weit davon liegt als Leiche der vor Gottes Thron zur Rechenschaft geforderte Wildschütz, der zum Kirchenschänder wurde aus gräßlichem Aberglauben. Ja, hört genau zu, meine Geliebten! Nach uraltem, doch stets verwerflichem Aberglauben suchen die Wilderer ihr Gewehr treffsicher zu machen, indem sie einen Bund mit dem Teufel eingehen, und am Allerheiligsten freveln durch das Zielen mit eingestochener, geladener Kugelbüchse auf die heilige Hostie während der heiligen Wandlung! Verloren aber ist immer die Seele des Frevlers! Er steht jetzt vor Gottes Thron, und ist bereits gerichtet! Und Gottes rächende Hand hat ihn ereilt, als er noch in der heiligen Nacht abberufen wurde aus dieser irdischen Welt! Nun harrt die irdische Hülle der Bestattung, nachdem sie – eine Fügung des Himmels – derselbe Jäger mitleidig und voll christlicher Liebe von der unwirtlichen Höhe herabgetragen hat, dem der böse Mathija die Hilfe aus Todesgefahr mit tückischem Dolchstoß in den Rücken lohnte. Wahrlich, Gottes Wege sind oft wunderbar, und groß sind Deine Werke, o Herr! Christliche Liebe auch für den fremdzungigen Feind hat jener deutsche Jäger bekundet, und dabei ein leuchtend Beispiel für alle jene gegeben, die im Angehörigen einer anderen Nationalität einen Feind erblicken zu müssen glauben, den anderen verfolgen, hassen, verachten, bloß weil er anderer Nation ist, und eine andere Sprache spricht. Es mag vergeben und vergessen sein, was im Vorjahre unter der Linde unseres Dorfes gesündigt wurde. Beschämt seid ihr alle durch die heutige That des deutschen Jägers, wie ihr auch beschämt seid, soweit die Jugend hiebei die Hand im Spiele hatte, durch die Flucht von Jaborniggs reiner, edelfühlender Tochter. Jerza ging lieber Fremden zu dienen, sie dürfte Magd geworden sein, um sich ihre Reinheit zu bewahren, um unverdienter Demütigung, Haß oder Verleumdung auszuweichen. Jetzt fühlt auch der greise Vater, daß er in seinem leicht erregbaren Zorn sich mißbrauchen ließ zum Werkzeug erbärmlicher Rache. Es bereut der Greis die harten, ungerechten Worte und fleht zu Gott um sein Kind! Mögen auch jene bereuen, die in Jaborniggs Gehöft das Gift der Ehrenkränkung, der Verleumdung eines guten Mädchenrufes schickten! Euch aber, Geliebte in Christo dem Herrn, fordere ich auf, Mitteilung zu machen im Pfarrhofe, wenn euch zu Ohren kommt, wo Jerza, die brave, engelreine, weilet, und auch ihr wissen zu lassen, daß das Vaterherz sich sehnet nach ihr.«

Hier machte der Pfarrer eine Pause; die Bauern standen aufs Höchste überrascht mit offenem Mund, doch verhielten sie sich völlig stille, um ja kein Wort zu überhören. Dann fuhr der Priester mit erhobener Stimme weiter in seiner Ansprache: »Aus Staub ist der Mensch gemacht, und zur Erde kehrt er wieder zurück! Als Leiche liegt der Kirchenschänder vor uns, der Erde müssen wir ihn geben; über ihr darf er nicht bleiben nach den Satzungen unserer heiligen Religion. Wir dürfen ihn aber auch nicht nach Belieben irgendwo begraben; sein Leichnam muß innerhalb der den Toten eingeräumten Stätte geborgen werden. Dem Frevler aber ist die kirchliche Bestattung verwehrt, wie die Gemeinschaft in der geweihten Erde! Begrabt ihn dort, wo die Selbstmörder und ungetauften Kinder ihre Ruhestätte haben, und wer frommen Herzens ist, weihe dem von Gott Gestraften ein stilles Gebet. Möge der Allmächtige seiner Seele gnädig sein! Amen!«

Der Priester segnete nun die Versammlung vor der Kirche mit dem Zeichen des Kreuzes, und begab sich mit dem Kaplan in den Pfarrhof zurück. Eine Weile besprachen die Bauern und Burschen den seltsamen Fall, dann aber traten sie teilweise den Heimweg an, indes manche das Wirtshaus des Dorfes aufsuchten.

Und als die Dämmerung die flimmernden Gefilde umfaßte, schaufelte der Totengräber dem Wilderer die letzte Ruhestätte an der Friedhofsmauer.


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