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VIII.

Einen völligen Aufruhr im Innern hat die Ansprache des Geistlichen bei Heinz hervorgerufen; Jerza, das holde Mädchen, ist geflohen, weil Verleumdung ihre Ehre besudelte, und er selbst, der sonst so brav denkende Heinz, stand nicht gleich im ersten Augenblick auf Seite des die Heimat verlassenden stolzen, reinen Mädchens. Wohl hat er sie gesucht in jener rauhen stürmischen Nacht, und die tote Kathra hat er statt Jerza gefunden. Vor seinem geistigen Auge ziehen alle Ereignisse der langen Zwischenzeit vorüber, und wehe wird ihm im Herzen, daß Jerza noch immer ferne der Heimat, unbekannten Aufenthaltes ist. Die bittersten Vorwürfe über sein Verhalten macht Heinz sich selbst; und es ist ihm nun selber unbegreiflich, daß er die Nachforschungen nach dem Mädchen unterließ, daß er sich zufrieden gab mit der anscheinenden Unmöglichkeit, die Verschollene aufzufinden. Und nun hat der Pfarrer selbst es ausgesprochen vor allem Volk, daß Jerzas Mädchenehre rein sei, daß der Vater sich nach ihr sehne … Sehnt Heinz sich nicht selbst namenlos nach ihr? Heiß quillt es in ihm auf; ihm ist es nun klar geworden, daß er Jerza liebt, und er nur in Vereinigung mit ihr glückselig werden kann. Wo aber das Mädchen suchen? Und wenn er auch das lange Gailthal auf- und absucht, wird er sie finden? Hat er eine Gewähr, daß Jerza im Heimatthal geblieben ist? Wohin soll er die Schritte lenken?

Sinnend steht Heinz vor der geschlossenen Kirche; wehe und weich ist's ihm im Gemüt, und ein Sehnen nach dem Elternhause wird in ihm wach. Lange ist's her, daß er es verließ, um seinem Drange zu folgen: ein Jäger wollte er sein in freier Natur, und seiner Liebe zum edlen Weidwerk brachte er das Opfer, in der Einsamkeit der Berge zu leben; dem grünen Beruf zuliebe hat er das Elternhaus verlassen und ist, er der einzige Sohn, ein schlechtbezahlter Jagdgehilfe geworden. Heim, heim zu den Eltern! drängt es in seinem Herzen. Die Mutter will er küssen und dem Vater die Hand reichen. Und dann will er Jerza suchen … Aber der Dienst! … Darf er sein Revier schutzlos lassen, die Pflicht vernachlässigen, bloß weil die Sehnsucht ihn erfaßt.

Unwillkürlich hat Heinz wieder den Pfad hinauf in seine Berge, zur Diensthütte genommen, und wie er in langsamer Stetigkeit emporwandert, kommt ihm der tückische, in die Ewigkeit abberufene Mathija in den Sinn. Mit diesem Burschen ist der ärgste Feind seines Wildstandes verschwunden, das Revier hat nun Ruhe, und auf wenige Tage kann Heinz den Besuch seiner Eltern schon wagen.

So übernachtet er denn in der Diensthütte wie gewöhnlich, kocht am frischen Morgen das Süppchen, versperrt dann das einsame Häuschen, und tritt die Wanderung in der Weise an, daß er ins Mittelgebirge heruntersteigt, um zum Preseggersee zu gelangen, an dessen schilfumsäumtem Ufer der Hof seiner Eltern steht.

Freundlicher Sonnenschein begleitet den Jäger auf seiner Wanderung durch die verschneiten Gefilde; es glitzert und glänzt auf den Hängen, wie überzuckert ragen die Bergspitzen in den blauen Äter. Emsig piepsen die fröhlichen Meisen im Geäst der verschneiten Fichten und Föhren, die Amsel schnalzt, und die Finken tummeln sich im warmen Sonnenschein. Heinz hat die Stelle erreicht, von welcher sich der erste Blick auf die heimatlichen Fluren darbietet. Drüben steht noch wie hingeklebt das Wallfahrtskirchlein Sieben auf dem Felsvorsprung, ein Markstein gleichsam für die Sprachgrenze, und unten liegt in der Thalsohle der stille, traumumfangene Preseggersee. Blaugrün ist seine weiche Flut zur Sommerzeit, doch jetzt im tiefen Winter deckt ein grauweißer Krustenpanzer sein Gewässer, und nur dort, wo warme Quellen aus der Tiefe steigen, ist der See offen, und nagen die dunklen Wellen an der Eisschichte. Hilflos ragen die eingeklemmten Binsen aus dem Eise auf, und Schneeklumpen beugen das Röhricht tief darnieder. Und drüben am Seeende zu Füßen des dunklen Eggforstes steht das Gehöft, in dem Heinz das Licht der Welt erblickte. Traulich quirlt der Rauch aus dem Schornstein, und steigt langsam in die Luft. Mütterchen wird wohl kochen für den alten Vater und das Gesinde, ahnungslos, daß ein Gast kommen wird nach langer, langer Zeit.

Heimat, traute Heimat! Ein heller Juhschrei ertönt, und der dichte Forst giebt Antwort …. Eilig steigt Heinz hernieder, immer rascher werden seine Schritte. Er setzt den Bergstock ein und springt – der echte Bergjäger – in wuchtigen Sätzen den letzten Hang hinunter. Heim, heim! Nun noch den Hügel überquert, an den der erstarrte See sich anschmiegt; Heinz sieht schon die hellblinkenden Fenster des heimatlichen Gehöftes, nun ein rascher Dauerlauf von wenigen Minuten: der Jäger steht an der Schwelle. Hastig stößt er den Schnee von den Bergschuhen, lehnt den langen Stock ans Gemäuer, stellt die treue Büchsflinte in die Ecke des Flötzes und öffnet die Thüre zur Wohnstube:

»Grüß Gott!« –

»Heinz! – Jerza!« Ein doppelstimmiger Jubelruf erklingt, mit einem Satz ist der Jäger beim Mädchen und schließt es wonnetrunken in seine Arme.

Verwundert sehen die alten Eltern auf das schöne Paar. Hold erglühend entwindet sich Jerza der Umschlingung, und sanft mahnt das Mädchen in deutscher Sprache: »Aber Heinz! Was werden die Eltern denken?«

»Ja, richtig – die lieben Eltern! Verzeiht, Vater, verzeih, Mutter! Die Überraschung war zu groß! Grüß Gott! Euer Heinz ist wieder da!« Und nun halst der Jägerbursch die Alten ab, so lieb und heftig, daß sie gar nicht fragen können, woher denn Heinz das windische Mädchen kenne. Erst allmählich bringt der alte Bauer diese Frage vor, aber Heinz will vorher wissen, welcher Glücksfall Jerza just ins Haus der Eltern gebracht habe.

»Erst essen, Heinz!« befiehlt Mütterchen, und geschäftig holt Jerza für den Sohn des Hauses Tischzeug herbei.

»Ach essen! Ich habe keinen Hunger! Wer kann essen bei solch freudiger Überraschung!«

Und richtig ißt außer den Eh'halten niemand. Die Alten haben zu schauen genug an ihrem frisch und gesund so plötzlich heimgekehrten Sohne, und flugfeuerartig fliegen Fragen und Antworten hin und her. Doch Heinz in seiner Glückseligkeit muß immer wieder fragen, ob es Wirklichkeit und kein Traum sei, daß Jerza im Vaterhause wohnt. Und seinem Drängen folgt denn endlich die Mutter, um zu erzählen, daß Jerza, das Prachtmädel, schon seit Beendigung der Brechelarbeit im Hause weile. Müde habe sie zu später Abendstunde mit dem pausbäckigen Bübchen um Unterkunft für eine Nacht gebeten, weil sie zu ermattet war, um vollends bis nach Hermagor zu gelangen, und selbstverständlich ist die Bittende ausgenommen worden.

»Und dann?« fragt Heinz.

»Und dann ist sie dageblieben auf unser Bitten. Jerza hat uns alles erzählt, und ist uns eine liebe Tochter geworden!« erklärt Mütterchen mit einem liebevollen Blick auf das schöne Mädchen.

Und nun gings ans erzählen; Heinz rapportiert alles von jener Nacht an, nur den Kampf mit Mathija verschwieg er im Gefühle, sich nicht in den Vordergrund stellen zu sollen. Mit wachsender Erregung hat Jerza der Erzählung gelauscht; als aber Heinz auf die Ereignisse der Christnacht und die Ansprache des Pfarrers zu sprechen kam, da faltete Jerza die Hände zum Gebete, und inbrünstig klang es von ihren Lippen: »O Gott, ich danke dir für diese Wendung!«

Kaum aber hatte Heinz kund gegeben, daß der alte Jabornigg nach seiner Tochter verlange, daß er seinen Jähzorn bereue, und von der Unschuld seines Kindes überzeugt sei, da ist Jerza auch schon entschlossen, dem väterlichen Wunsch augenblicklich Folge zu leisten. Nur mit Mühe vermochten die Alten, wie Heinz das Mädchen zu bestimmen, doch noch über Nacht im Hause zu bleiben, weil der Weg zu weit sei für den kurzen Nachmittag, und Jerza doch nicht mit dem Bübchen in die finstere Nacht marschieren könne.

Die Erwähnung des Kindes brachte dem Heinz seine Sünde ins Gedächtnis, und demütig bat er Jerza vor seinen Eltern um Verzeihung, daß er auch nur einen Augenblick der Meinung gewesen, das Kind könnte Jerza gehören. Gerne verzieh Jerza, und verschwieg, wie sehr sie damals der Zweifel des Jägers kränkte.

Nun aber will Heinz wissen, was bezüglich des Kindes sich alles ereignete. Statt Jerza erzählte seine Mutter, was ihr das Mädchen anvertraute, und Heinzens Fäuste ballten sich vor Zorn über die der reinen Jerza angethane Schmach. Dann aber blickte er zu ihr auf wie zu einer Heiligen, und in Verehrung flüsterte er: »O du holde, fromme, liebe Dobratschrose!«

Und als das Bübchen Kathras in die Stube gebracht wurde, da herzte und küßte Heinz den Kleinen, und versprach dem drolligen Knirps, der schon prächtig deutsche Worte lallte, ihm ein braver Beschützer zu sein fürs ganze Leben, daß heißt, wenn Jerza es erlaubt.

Und Jerza floh erglühend und mit einem entzückenden Lächeln auf den Lippen aus der Stube.

»Und was wird aus dir, Heinz?« fragte nun der Vater.

»Ja, Vater! Du hast recht mit deiner Frage; aber ich weiß selber nicht, was ich antworten soll. Wenn du und Mütterchen mir Jerza zum Weibe gebet, dann will ich meinen Dienst kündigen, und wieder seßhafter Bauer auf heimatlichem Grunde werden!«

»Hm! An uns allein wird es wohl nicht sein, hier das entscheidende Wort zu sprechen. Ob aber der nach deiner Schilderung ziemlich fanatische Jabornigg von der Ehe seiner Tochter mit einem Deutschen etwas wird wissen wollen, das ist heute nicht zu sagen. Und selten ist es immer gewesen, daß windisches und deutsches Blut am Altar zusammengegeben wurde.«

»Wirst du, Vater, mir deinen Segen geben?«

»Ich und Mutter wollen deinem Glück nicht hinderlich sein; Jerza ist ein braves, edles Mädchen auch im windischen Gewande, treu und rein; Gott kann uns keine bessere Tochter geben!«

»Habt Dank, Vater und Mutter!«

Lange saßen die Eltern mit Heinz zusammen, bis der Bursch die Sehnsucht, sich mit Jerza auszusprechen, nicht mehr bezwingen konnte, und darum das Mädchen aufsuchte. Jerza saß am Fenster ihres Kämmerleins, und blickte thränenden Auges hinüber zum Dobratsch, dessen Höhe die Abendsonne vergoldete. Hell leuchtet das Dach des Kirchleins im letzten Strahle, ein unendlicher Friede liegt über dem stillen Gelände. Das Bübchen hat sich in Jerzas Schoß aufgerichtet, und legt die Ärmchen um den Nacken des Mädchens, sein Mündchen sucht die Rosenlippen Mammis, als wollte der Knirps die Thränen wegküssen.

»Jerza, liebe Jerza, warum in Thränen?« fragt Heinz, der geräuschlos in die Stube getreten ist, und nach des Mädchens Hand greift, die Jerza ihm willig überläßt. »Weinst du aus Glück, Jerza?«

Jerza nickt, und läßt die nassen Perlen über das Antlitz träufeln.

Unwillkürlich hat auch Heinz den Blick auf den Dobratsch gerichtet, und der Zauber des herrlichen Naturspieles ergreift auch seine Seele. Stumm beschauen beide Hand in Hand das schöne Bild des abendlichen Friedens, und wie Verheißung ist es ihnen, daß das Kirchlein sonnenvergoldet heruntergrüßt.

»Jerza, willst du mein Weib sein?« flüstert bebend Heinz.

»Wenn mein Vater den Segen giebt, ja, Heinz!« Heinz ist vor Jerza ins Knie gesunken, und eiligst sucht das Bübchen zu ihm hinzurutschen. »Schenk mir den ersten Kuß, du süße, holde Braut!« schmeichelt Heinz.

»Noch nicht, Heinz! Erst hören wir den Vater! Und muß ein windisch Herz sich gedulden, soll auch deutscher Sinn des Glückes harren. Und ihr Deutsche seid ja so gut!«

Dämmerung umfaßte die Gelände, dunkel ward's in der Kammer; das Bübchen ist auf Heinzens Knie entschlummert. Sanft drückt Jerza des Jägers Hand und mahnt, nun hinunter zu gehen zu den lieben, guten Eltern. Und leise übergiebt Heinz das Bübchen den sorgsamen Armen Jerzas, und verläßt die Stube.

»Ein guter Mensch, der liebe Heinz!« flüstert Jerza, und bettet das Bübchen weich in die Kissen.

Sittig und still ward am Abend bei traulichem Lampenschein Verlobung gefeiert; die Eltern küßten das herrliche Mädchen, und Jerza reichte in stummem Glück dem Heinz die Hand.

»Gott gieb uns Glück am morgigen Tage!«

»Das walte Gott!« betet der Jägersmann.


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