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II.

»Wo bin ich?« flüstert, wie aus langem Traum erwachend die schöne Jerza, und sieht sich erstaunt in dem ihr völlig fremden Gemache um. Durch das kleine, vergitterte Fenster lugen neugierige Sonnenstrahlen herein und erhellen in schmalen Streifen die kleine Kammer mit ihrem dürftigen Mobiliar. Draußen in nächster Nähe ein rauschender Wald, und darüber im Sonnenlichte weiß glitzernde Felswände; kirchenstill das einsame Gelände, und wie ausgestorben die Hütte; nur das Ticken einer Uhr in dunkler Ecke läßt vermuten, daß die entlegene Hütte die Wohnstätte eines Menschen ist. Jerza betastet sich, und fühlt eine Binde um die Stirne gewunden, doch verspürt sie keinen Schmerz. Und abermals fragt das Mädchen leise: »Wo bin ich?«

Ein Männerschritt, tastend, schlürfend, wird hörbar; leise klopft es an der angelehnten Thüre, und diskret steckt Heinz, der Jäger, den Kopf zur Hälfte durch den Thürspalt, und fragt: »Darf ich herein?«

»Ah! Der deutsche Jäger! Wo bin ich?«

»In meiner Diensthütte, Jerza! Hab' keine Angst! Du bist gut untergebracht und treu bewacht! Sei ohne Sorge!«

»Wie bin ich da herauf gekommen?«

»Mit mir, Jerza! Freilich bewußtlos! Der böse Steinwurf unten im Dorf bei der Linde spielte dir übel mit! Und – –«

»Da hast du mich in deiner Kammer untergebracht und mich gepflegt! Hab' Dank, Guter! – Ach, die wüste Scene unter der Linde! Wer hätte je gedacht, daß der Kirchtag ein solches Ende nehmen könnte? Ich denke mit Schaudern an den gestrigen Tag!«

»Es ist schon etwas länger her, Jerza!«

»Wieso?«

»Seit unserer notgedrungenen Flucht – es galt dein und mein Leben zugleich zu retten – ist die Sonne schon zweimal aufgegangen.«

»O Gott! So lange liege ich schon in deiner Hütte! Was werden meine Leute von mir denken?« Jerzas Blick streifte im selben Augenblick den am Fußende des Bettes stehenden Stuhl mit den festlichen Kleidern, und jähes Rot färbte die Wangen des Mädchens.

»Großer Gott! Wer hat mich zu Bette gebracht?«

»Verzeih' mir, Jerza! Du warst arg verletzt, bewußtlos, und mußtest rasch zu Bett gebracht werden. Eine Kammerzofe habe ich nicht; muß mich selber behelfen, und diesmal mußte ich Krankenpfleger und Arzt zugleich sein. Danken wir Gott, daß alles noch so gut ausgegangen ist! Doch nun werde ich dir ein Frühstück bereiten – ich bin auch Köchin nebenbei – wenn du erlaubst!«

Mit einem freundlichen Lächeln trat Heinz wieder von der Thüre zurück und zog sie ins Schloß.

Hastig beginnt Jerza sich anzukleiden; wohl geniert sie der festliche Schmuck der Nationaltracht, allein sie hat keine anderen Kleider zur Verfügung, und es drängt sie, die Hütte so bald als möglich zu verlassen. Nur die vielgefaltete Haube legt Jerza nicht an; sie läßt das rasch durchgekämmte Goldhaar offen auf die Schultern fallen, und schreitet dann zur Thüre, dem gastfreundlichen Jäger in holder Scham einen »guten Morgen« wünschend.

»Guten Morgen, Jerza! Gott sei gepriesen, daß du wieder gesund auf den Füßen stehst! Aber nun komm in meinen ›Speisesaal‹, im Augenblick wird die Köchin das Frühstück auftragen!« Und herzlich lachend geleitet Heinz das zierliche Mädchen in das mittlere Gelaß der Hütte, das den kleinen Kochherd, einen Tisch nebst zwei Stühlen birgt. Jerza nahm am Tische Platz und blickte dabei unwillkürlich in den halbblinden Spiegel an der Wand. Ein leiser Seufzer über die deutlich sichtbare Narbe an der Stirne entfuhr dem Gehege ihrer Perlenzähne.

Heinzens feines Ohr hatte den Seufzer vernommen, und eben den schön gekrusteten Schmarrn aus der Pfanne auf den Teller schüttend, tröstet der Jäger, daß alles vergehe auf der Welt, und wohl auch die Narbe wieder verschwinden werde. Der Schönheit Jerzas thue diese Erinnerung an den »freundlichen« Steinwurf keinen Eintrag; die Hauptsache wäre ja doch, daß das Leben gerettet sei. »Nun aber greif' zu, Jerza!«

Mechanisch nimmt das Mädchen den Blechlöffel und führt einige Bissen zum Munde; allein die fremde, ungewohnte Lage beherrscht sie zu sehr, ihr ist, es wäre ihr der Hals zugeschnürt.

»Kannst nicht essen, Jerza? Und hast doch schon lange Zeit gefastet! Und der Jägerschmaus wäre so gut! Die Köchin kocht famos! Freilich klein und nicht gerade nobel ist's in der Diensthütte. Aber die Luft ist ausgezeichnet da heroben!«

Unwillkürlich hat Jerza die Augen ringsum spazieren lassen, und auch einen scheuen Blick in das andere Kämmerlein geworfen.

»Aha! Jerza will wissen, was der andere Salon enthält!« lacht der Jäger. »Nicht viel, Mädel! Etwas Garderobe, wenn das Unwetter die Dienstuniform gar zu naß macht, zum Kleiderwechseln, Schießzeug und einen Bund Wildheu!«

»Dann hast du, Ärmster, aus Rücksicht für mich die Nächte auf dem Fußboden mit kargem Heulager verbracht?«

»Keine Spur! Ich habe auf Daunen und Seide geschlafen wie ein Fürst!«

»Ein Jäger auf Daunen und Seide?«

»Das glaubst du nicht, Jerza! Kann dir's nicht verübeln. Na, ich will dir nur sagen, daß ein reines Gewissen das weichste Federbett ersetzt, und ein richtiger Jäger überhaupt nicht übermäßig Zeit hat, die Glieder im weichen Pfuhl zu dehnen.«

»Dann bin ich wohl die meiste Zeit allein in der Hütte gewesen?«

»Im Anfang nicht, Jerza! Ich blieb zu deinem Schutze hier; auch mußte ja abgewartet werden, ob sich nicht Wundfieber einstellen wird.«

»Und dann?«

»Na, einige Reviergänge mußten gemacht werden, und während dieser Stunden war Jerza eben meine Gefangene!«

»Hat denn niemand von – von unten nach mir gesehen und gefragt?«

»Das war wohl nicht gut möglich! Wer hätte denn wissen können, wohin wir geflohen sind, als es uns ans Leben ging? Mich kannte ja niemand, auch Jerza nicht, und ich war zum erstenmale unten im Dorf!«

»Wie lange bist du schon da heroben?«

»Etwas über ein Jahr!«

»Und immer, Sommer wie Winter in dieser Einsamkeit?«

»Gewiß, Jerza!«

»Das muß ja fürchterlich sein, besonders im schneereichen Winter! Du könntest ja zu Grunde gehen, ohne Hilfe!«

»Na, na! Es ist nicht so gefährlich! Mit Kanonen würde freilich kaum geschossen werden, wenn der Jäger Heinz von seiner Diensthütte in die ewigen Jagdgründe hinüberwechseln würde. Allein so lange der Geist frisch, der Körper gesund und Proviant in der Hütte ist, hat es keine Gefahr!«

»Und wie lange mußt du da heroben bleiben?«

»Bis das Revier bezüglich des Wildstandes sich gehoben hat.«

»Da hat der Jäger wohl arg viel zu thun?«

»Der Jäger weniger als der Heger! Da gilt es, das Wild im Revier zu halten, was noch da ist; Gams einleiten, fleißig pirschen, das Revier studieren, Sulzen schlagen, die Steige richten, Heu eintragen für die Winterszeit, Raubzeug fleißig vernichten mit Gift, Fallen und sicherem Schuß, und nebenbei fürs tägliche Leben sorgen: kochen, scheuern, stricken und schlafen!«

»Stricken auch? Hihihi!«

»Lach nur, Jerza! Das ist ein gutes Zeichen! Aber du darfst es glauben, der einsame Jägersmann im Hochgebirg muß auch – stricken können: erstens werden die wollenen Strümpfe durch ständigen Gebrauch nicht besser und vermehren sich nicht, und zweitens ist das Stricken zu dämmernder Winterzeit, wenn man in der Hütte schier eingeschneit ist, eine wohlthuende Beschäftigung, ein nützlicher Zeitvertreib!«

»Dann hast du all das und auch das Stricken wohl schon von Klein auf gelernt?«

Heinz zögert etwas mit der Antwort; leicht verlegen stottert er: »Das wohl nicht!«

»Bist du denn nicht Jägersmann schon früher gewesen?«

»Nein! – Doch wenn wir bei Zeiten unten ankommen wollen, müssen wir uns bald auf den Weg machen; der Weg ist weit, und Jerza wird wohl noch bei Tageslicht im Dorfe ankommen wollen!«

»Gewiß! Verzeih' mein Zögern, und sei bedankt für deine Gastfreundschaft. Jerza wird dir Pflege und Hilfe nie vergessen!« Treuherzig reichte das Mädchen dem Jäger die Hand, und trat aus der Hütte, indeß Heinz rasch den Tisch abräumte und sich zum Reviergang rüstete.

Mit Verwunderung betrachtet Jerza die Umgebung, das herrliche Landschaftsbild des Hochgebirges mit seiner hehren Majestät, in das verblauend der Dobratsch herübergrüßt. Mit Entzücken atmet Jerza die balsamische Höhenluft ein, und trunken gleitet ihr Auge über Wald und Berge. Doch jäh zuckt sie zusammen – was ist das? Dort an einem Felsblock am Waldesrand – ist es nicht, als stünde ein Bursch auf der Lauer, mit finsterer Miene beobachtend?

Und scheu drückt er sich in den Schatten –.

»Um Gotteswillen! Das ist der teuflische Mathija!« flüstert angsterfüllt das Mädchen.

Im selben Augenblick tritt auch Heinz vor die Hütte, und verschließt die Thüre.

»So, Jerza! Nun können wir gehen mit Gott!«

Das Mädchen blickt noch immer wie gebannt hinüber zu dem Felsblock.

»Was ist dir, Mädchen? Ist dir unwohl?«

»Nein, nein! Es wird Täuschung sein?«

»Welche Täuschung?«

»Es war mir, als hätte ich eine verdächtige Gestalt dort am Felsblock gesehen!«

»Am helllichten Tag ein Wilddieb? Und in meinem Revier? Unmöglich, Jerza! Der Kerl würde um sein Leben spielen! Du wirst falsch gesehen haben!«

»Nein, Jäger! Ich habe richtig gesehen – o Gott, wie wird mir bang!«

»Mut, Mädel! Die tapfere Jerza wird sich doch nicht am lichten Tage vor Gespenstern fürchten!«

»Nein, nein! Aber dort im Schatten verbirgt sich – Mathija!«

»Alle Wetter! Der Bursch von unten? Wo?«

Heinz hat unwillkürlich Patronen in die Büchsflinte geschoben, und das Gewehr schußfertig gemacht.

Entsetzt legt Jerza die Hand auf Heinzens mächtige Schulter: »Um Gotteswillen, kein neues Blutvergießen!«

»Nur kalt bleiben, Jerza! Vorsicht ist nötig! Über den Haufen wollen wir uns denn doch nicht schießen lassen!« Und unwillkürlich sucht der Jäger, Jerza an der Hand packend, Deckung für beide zu gewinnen.

Ein höhnisches Lachen dringt über die freie Waldwiese herüber, und gleich darauf ein Ruf, der Jerza das Blut ins Gesicht treibt, und den Jäger fluchen macht. Alle Vorsicht bei Seite lassend stürmt Heinz, im Springen die Hähne aufreißend, zum Felsblock hin, um den frechen Burschen zu stellen, und angsterfüllt hastet ihm Jerza nach.

Der Bursch ist verschwunden, wie wenn ihn die Erde verschlungen hätte; alles Suchen ist vergeblich. Zornbebend schwört der Jäger dem frechen Verleumder Rache!

Und Jerza zittert; wie wird das enden!

Stumm verläßt das Paar die Höhe und schreitet, jedes in Gedanken versunken, hinab ins Thal, bis nach langer Wanderung endlich der gotische Kirchturm von Feistritz sichtbar wird, und aus der dämmernden Landschaft trauliche Lichter entgegenblinken.

Jerza verabschiedet sich mit hastigen Worten; knapp fällt ihr Dank für alles aus, und Gott möge den Jäger schützen! »Vahko noč!« (Gute Nacht!) Und eilig entschwindet Jerza durch die Schatten der aufziehenden Nacht.

Lange steht der Jäger in Gedanken versunken; hat Angst das Mädchen zu dem eiligen, schier frostigen Abschied getrieben? Will sie mit ihm nicht im Dorf gesehen werden? Oder schämt sie sich seiner Begleitung? Verletzt kann Jerza doch nicht sein durch sein Verhalten?

Sinnend wendet Heinz den Schritt, und stapft langsam wieder aufwärts, der entfernten, einsamen Hütte zu.

*

Wie ein aufgescheuchtes Reh hastete Jerza im Schatten der immer dunkler werdenden Nacht den Hang hinab, und läuft an den Häusern, deren Umrisse sich kaum mehr erkennen lassen, entlang, bis sie unten am Achomizbache endlich das heimatliche Gehöft erreicht. Aufatmend bleibt das Mädchen einen Augenblick stehen, und legt die Hand auf die wogende Brust, wie wenn sie die in ihr tobende Aufregung dadurch mildern wollte. Gottlob, noch ist Licht im Hause! Jerzas Hand drückt dann leicht auf die Klinke der Hausthüre, und zu ihrer größten Freude giebt das Schloß nach; sie kann hinein, ohne erst durch Klopfen Lärm machen zu müssen. Leise drückt das Mädchen die Thüre wieder zu, und eilt in die Wohnstube, in welcher bei Kerzenschein die Mutter mit einer Näharbeit beschäftigt am Tische sitzt.

» Mati (Mutter)!« ruft Jerza, und wirft sich der Mutter zu Füßen, den Blondkopf in deren Schoß legend, und Mütterchen mit den Armen umschlingend.

»Jerza, mein süßes, armes Kind!« ruft erschreckt und doch wieder beglückt die Mutter, und zieht die Tochter an ihre Brust. »Wo warst du, Jerza, so lange? Ich bin schier gestorben vor Angst und Sorge um dich! Wir haben dich suchen lassen, aber niemand konnte dich finden!«

»Mein süßes Mütterchen! Es war ein böser Tag oben bei der Linde!«

»Ich weiß es, und habe Schrecken genug ausgestanden – die Tochter verloren, und der Vater ward auf der Bahre mir ins Haus gebracht!«

»Um aller Heiligen willen! Auf der Bahre sagst du?«

»Ja, Gott sei's geklagt! Er endete schlimm, der Kirchweihtanz unter der Linde! Den Vater rührte der Schlag, und gelähmt brachten sie ihn mir!«

»Gelähmt der Vater! O Gott! Ist Gefahr für ihn? Kann ich ihn sehen?«

»Gemach, mein süßes Kind! Wir müssen ihn vorbereiten – das Krankenlager hat seinen Grimm über den deutschen Störenfried des Lindentanzes kaum gemildert. Doch sage, Jerza, wohin bist du gekommen? Man sah dich mit dem – Deutschen fliehen! Ist das wahr? Kann ein windisch Mädchen mit einem hergelaufenen Deutschen das heimatliche Dorf verlassen, untreu werden alter Sitte und Gebrauch, Verrat üben an der heiligen Nation?«

»O Mati! Lieb Mütterchen! Wie kannst du nur von Jerza solch' ungeheuerliche Dinge glauben?«

»Bist du nicht geflohen mit dem Deutschen?«

»Ja, Mütterchen!«

»Also doch!«

»Nennst du es fliehen, wenn ein Mann das bewußtlose Mädchen im Arm davon schleppt?«

»Wie sagst du?«

»Ohnmächtig geworden durch einen bösen Steinwurf auf die Stirne, trug mich des Jägers starker Arm von hinnen, als auch sein Leben bedroht schien –«

»Wie kamst du an des Deutschen Brust?«

»Ihn schützen wollte ich, als mordgierig der Knüttel über seinem Haupte schwebte!«

»Das versteh' ich nicht!«

»Und groß genug war mein Schrecken beim Erwachen –«

»Wo, sagst du, verbrachtest du die lange Zeit?«

»Ich erwachte in der Diensthütte des Jägers oben im Gebirge; heil und gesund durch dessen opferwillige Pflege!«

»Jerza im Hause eines Deutschen!«

»O, Mütterchen, wie magst du nur übles denken von deiner Jerza! Danken muß ich ihm für Rettung und Pflege! Und danken sollst auch du ihm!«

»Einem Deutschen? Niemals!«

» Mati! Willst du windischen Burschen lieber danken, die dein Kind mit Steinen töten wollten?«

»Hast du nicht das Feuer des Hasses entzündet und geschürt? Wenn die Flammen dich umwoben, ist's deine Schuld!«

»Sähest du Jerza lieber von windischen Steinen erschlagen?«

Eine Thräne im Mutterauge giebt dem Mädchen stille Antwort, und schluchzend umarmen sich die Frauen, bis Mütterchen, die Zähren trocknend, mahnt, zur Ruhe zu gehen. Morgen werde sich ja zeigen, was Vater dazu sagen wird. Ein böses Gerede werde im Dorfe freilich noch folgen! Jerza tagelang im Hause eines deutschen Jägers!«

»Kann dies Sünde sein, Mutter, bewußtlos zu liegen!«

»Nein, mein Kind! Aber wann erwachtest du gesund und heil? Und wann verließest du des Deutschen Hütte?«

»Heute früh, wenige Zeit nach Wiederkehr der Sinne. Kaum gefrühstückt, ging es eiligen Fußes der Heimat zu!«

» O Božca! (Du Arme!) Da hast du noch keine Atzung gehabt den langen Tag über?« jammerte Mütterchen, und holte eilig etwas Speise und Trank herbei.

Dankbar sprach Jerza dem Rauchspeck und Kukuruzbrode zu, und feuchtete die ausgetrocknete Kehle mit schwarzem Wein, dazwischen der aufmerksam zuhorchenden Mutter den gastfreundlichen Pfleger schildernd, der Jerza den todbringenden Steinen entriß und sie so lieb und zart behandelte.

»Zart, sagst du? Ein Jagdgehilfe, und zarte Manieren?«

»Sicher, Mütterchen! Und wie ist mir denn? Ward er nicht etwas verlegen über meine Frage, ob er von Jugend auf diesem rauhen Berufe angehöre? Sollte er mehr sein, aus besserem Stande, und dies nicht sagen wollen?«

»Dann hüte dich um so mehr vor ihm, Jerza! Je nobler, desto schlechter in ihren Sitten sind die Leute. Trau ihm nicht, dem tückischen Deutschen mit Honig auf den Lippen!«

»Aber Mati! Du bist ungerecht! Soll ich vielleicht dem erbärmlichen Mathija mehr Vertrauen entgegen bringen?«

Wie in Gedanken verloren, murmelt das alte Mütterchen vor sich hin: »Mathija – wie ist mir doch! War der Bursch mit den Schlangenaugen nicht auch bei Vatern, und ging er nicht von Haus zu Haus am Achomizbach bis hinauf ins obere Dorf? Und viel aufgeregter war nach seinem Besuch der Vater; kaum mehr zu beruhigen. Wenn nur der Bursch nicht auf Schlechtigkeiten sinnt und auf bösen Pfaden wandelt! – –«

»Was sagst du, Mutter? Der Mathija besucht den Vater, und geht von Haus zu Haus, auch herunten bei uns? Seit wann verkehrt dieser Mensch in unserem Hause?«

»Das erstemal erschien er, fahl im Gesicht, mit wutverzerrter Miene und blutunterlaufenen Augen am Tage des Lindentanzes; er flüsterte dem Vater etwas ins Ohr, was auf den Alten wie Gift wirkte, und völlig rasend eilte der Vater von dannen.«

»Am Kirchweihtage war das! Ha! Nun verstehe ich, was unerklärlich mir war. Der abgewiesene Tanzwerber eilt zum Vater und verleumdet die Tochter, schändet des Deutschen Ehre, hetzt und lästert, und drückt sich dann feig in die Büsche, als es ernst geworden! Pfui über den Feigling!«

Der erneuten Mahnung, zur Ruhe zu gehen, folgt Jerza, nun ebenfalls müde geworden, willig, und begiebt sich hinauf in ihr Kämmerlein im ersten Stockwerk. Durch das halbgeöffnete Fenster dringt das leise Rauschen des Achomizbaches, ein friedlich Gemurmel, voll Sanftmut, dem Jerza gerne lauscht auf ein Weilchen.

Das Mädchen kann lange den Schlaf nicht finden; all' die Ereignisse ziehen im Geiste vorüber, und wie eine Lichtgestalt erscheint ihr vor dem geistigen Auge der stattliche Jäger, der liebe Heinz, und wohlig wird es Jerza um's Herz. Wie anders dieser Deutsche im Vergleich zum tückischen Mathija!

War das nicht ein Steinchen, das am Fenster abprallte? Jerza zuckt zusammen; soll das ein Zeichen sein? Wer kann es wagen, zur stolzen, reinen Jerza fensterln gehen zu wollen?

Wieder klirrt es leise am Fenster, und der Nachtwind trägt einen geflüsterten Laut herauf; es ruft jemand in schmelzenden Tönen: »Jerza!«

Ein windischer Bursch kann es nicht sein; das ist unmöglich! Die Feistritzer Buben kennen den stolzen Sinn des Mädchens; nie hat auch nur im geringsten die sittenstrenge Jerza die leiseste Annäherung gestattet. Sollte Heinz unten sein, und eine Zwiesprache mit ihr wünschen? Der liebe, gute Heinz?! Was aber könnte er ihr zu später, bedenklicher Stunde zu sagen haben? Im Elternhause ist das Mädchen sicher wie in der Kirche; hier droht keine Gefahr. Ihr Beschützer war der Jäger; nun kann Jerza seines Schutzes entbehren wie seiner Warnung. Will er anderes sagen? Die Achtung sollte ihm den nächtlichen Besuch verbieten; der brave Mann muß den Ruf des Mädchens schonen. Oder kennt er die Gefahr nicht, die dem fremdzungigen Besucher droht? O Gott! Wenn die windischen Burschen seiner habhaft werden – es giebt ein Unglück!

»Jerza!« klingt es abermals leise herauf.

Es kann niemand anders unten sein und Zwiesprache heischen, als Heinz, und dringend muß der Grund sein, warum er die Gebote der Sitte mißachtet. Angsterfüllt huscht Jerza ans Fenster, und ruft leise in deutscher Sprache hinunter: »Wer ist da? Was giebt es?«

Eine Leiter wird angelehnt, und katzenartig klettert eine dunkle Gestalt zum Fenster empor.

»Jerza! Süßes Lieb!« schmeichelt eine Stimme.

Wie von einer Schlange gebissen, fährt Jerza zurück.

» Ljubca moja! (Mein Liebchen!) Dein deutscher Galan erwartet dich!« höhnt der nächtliche Besucher nun in windischer Sprache, und ein brutales Gelächter tönt von unten herauf. Und weiter lästert der Bursche auf der Leiter: »Für windische Buben ist die schöne Jerza zu stolz, aber auf deutsches Girren hört die erhabene Königin, hahaha! Bist herausgelockt worden, stolze Jerza, bist entlarvt! Nun hast du es nicht mehr nötig, anderen das Kosen zu verübeln! Schmecken deutsche Küsse süß, holdes Schätzchen?! Sei unbesorgt; slavische Burschen naschen nicht von entweihten Lippen! Morgen wird man im Dorfe wissen, daß die stolze Jerza das schwarze Querband Nach windischem Gebrauch im Gailthal (in früherer Zeit) durften gefallene Mädchen das schwarzsamtene Querband, das unter der zweiten Reihe der feinen Spitzen des leinenen Kopftuches hervorblickt, nicht mehr tragen; auch mußten sie auf das rote Bändchen, das unter dem Halse an einem Zipfel des Brusttuches befestigt ist, verzichten, und waren die so vervehmten Gitschen vom Tanz unter der Linde, insbesondere vom visoki raj ausgeschlossen. Wie R. Waizer in seinen »Kulturbildern« ausführt, wird diese Dorfmoral heutzutage nicht mehr so streng gehandhabt, was auch ein Schnaderhüpfl beweist.verwirkt hat! Hahaha! Nimm das Rotband vom Halse, schmuckes Schätzchen, bist seiner nicht mehr würdig, stolze Sittenrichterin!«

Und wieder antwortet der Chorus mit höhnischem Gelächter, indes der Spötter hinabsteigt.

Ein halberstickter Schrei des Schreckens und der Empörung entringt sich der Kehle des namenlos beleidigten Mädchens, das unfähig ist, den Schimpf zurückzuweisen. Mit wogender Brust und fliegendem Atem, mit glühenden Schläfen steht Jerza in Mitte ihres Kämmerleins; die Händchen ballen sich, ihr Atem keucht, es hämmert im Gehirn, und lähmend wirkt der entsetzliche Gedanke: Vernichtet der Ruf, geschändet die Ehre, Schimpf und Schande ruht auf ihrem reinen Namen! Unschuldig verurteilt aus Haß und Eifersucht! – – –

Langsam nur legt sich die furchtbare Erregung, und konzentrieren sich die Sinne auf das zunächst notwendige. Jerza will das Fenster schließen; da durchzuckt sie der Gedanke, daß der erbärmliche Spötter sicher die Leiter habe stehen lassen für morgen zum Zeichen nächtlichen Besuches, als Beweis für die Verleumdung. Ihre Finger tasten über den Fensterrand hinaus: richtig lehnt die Leiter noch am Gemäuer – ein Stoß, und krachend fällt sie zur Seite. Rasch schließt nun Jerza das Fenster.

Aufs neue erfaßt namenlose Erregung, ein heiliger Zorn des Mädchens Herz, und bitterlich weinend wirft sich Jerza auf das jungfräuliche Lager, das herzzerbrechende Schluchzen in den Kissen erstickend. »Weh' mir!«

*

Der alte Jabornigg sitzt am Morgen in der rauchgeschwärzten Wohnstube, wohin ihn die ehrwürdige Gattin geleitete. Noch muß man den weißhaarigen Alten führen; er humpelt mühsam, seit der Schlaganfall ihm die linken Körperteile lähmte. Allmählich hat er auch die Sprache wieder erlangt, und ist sein Gesamtbefinden besser, mithin auch seine Laune gemütlicher geworden. Mütterchen hat ihm den Napf mit der gewohnten Morgensuppe auf den Tisch gestellt mit dem slavischen Spruch: Z bogam! (Mit Gott!), und altgewohnt erwiderte Väterchen sein bog lonaj (ich danke!). Bedächtig löffelt er das Süppchen aus, und lehnt sich dann behaglich in die Ofenecke. Diesen Moment hat Mütterchen abgewartet, um ihr Anliegen vorzubringen. » Očele!« (Vater!) hebt sie an, und setzt sich zum Gatten an den Tisch.

»Was ist's?«

»Bist du kräftig genug, um eine frohe Botschaft zu vernehmen?«

»Frohe Botschaft? Was soll's?«

»Gott sei gelobt, unser Kind ist wieder da!«

»Jerza?«

»Ja, unsere Tochter weilt am heimischen Herd, sie ist brav und gut wieder gekommen!«

»War sie denn fort?«

»Du hast wohl alles vergessen, Očele?«

»Was vergessen? Ich weiß nicht –was meinst du?«

»Du warst arg krank, Alter! Drei Tage war ich in schwerer Sorge um dich – weißt Vater, nach – nach dem Lindentanz – –?«

» Hudobec! Peklenško! (Teufel! Verdammt!) Mir kehrt die Erinnerung wieder, und der Zorn über jene Entweihung des visoki raj! Ha! Wo ist Jerza geblieben, als man den Niemč niederschlug?«

»Sei ruhig, Alter! Jerza war gut aufgehoben und behütet, sorglicher hätte die eigene Mutter nicht über sie wachen können!«

»Wem gebühret der Dank hiefür?«

»Gestern Abend kehrte Jerza zurück, heil und rein; gottlob hat ihre Seele nicht Schaden gelitten, und niemandem ist Leid widerfahren! Nur du, Alter, bist krank geworden – vom Kirchtag her – nu, nu – nicht aufbrausen, Očele! Nicht wieder fluchen und aufregen! Gott sei gepriesen, daß die wüste Scene noch verhältnismäßig erträglich abgelaufen ist!«

»Warum ist Jerza nicht gleich vom Lindenplatz heimgekehrt?«

»Mit blutender Stirne, im Leben bedroht, ohnmächtig, konnte sie wohl nicht allein den Weg zum Vaterhause finden! Und dich selbst brachten sie auf der Bahre! Gott allein kennt meinen Schrecken, meine Angst und Sorge!«

»Jerza bedroht, blutend? Ich verstehe nicht!«

»Mit Steinen wollten sie unser Kind töten!«

»Nicht möglich!«

»Doch, Alter! Aber Jerza ist gerettet worden, und gesund ist sie wieder heim!«

»Wem gebührt unser Dank?«

»Einem braven Jäger –«

»Ha! Jenem Höllenhund, der die Linde schändete?«

»Bleib ruhig, Alter! Ein wackrer Mann ist's, der Jerza rettete aus fanatischen Händen!«

»Wo ist Jerza?«

»Gleich wird sie erscheinen, und dir die Lippen reichen zum Morgenkuß!«

Die Mutter tritt auf den Flur hinaus, und ruft nach der Tochter, die blaß und mit geröteten Augen die Treppe herab kommt. Erschrocken fragt Mütterchen, was um Himmels willen sich ereignet habe. »Bist du krank, mein Kind?«

Stumm verneint Jerza diese Frage, doch vermag sie nicht zu verhindern, daß helle Thränen über die Wangen rinnen.

»Was ist dir, Kind?«

Da ruft der Vater: »Jerza, sem pojdi!« (Komm her!)

»Dräng die Thränen zurück, Kind, und eile zum Vater!« mahnt Mütterchen, und beide treten in die Wohnstube ein.

Zögernd geht Jerza auf den Vater zu; demütig küßt sie seine zitternde Hand, und wünscht ihm einen guten Morgen. »Nimm Jerza wieder auf im Vaterhause, sie wird dir wie früher eine gute Tochter sein!« fleht das Mädchen mit bebender Stimme.

»Wo warst du, Jerza?«

»Hoch im Gebirge in einer Jägerhütte! Ich kenne die Gegend nicht. Bewußtlos ward ich hinauf und in Sicherheit gebracht, nachdem man versuchte dein Kind zu steinigen!«

»Bei wem warst du?«

»Bei einem braven Jäger, namens Heinz!«

»Einem Deutschen?«

»Ja, Vater! Er rettete dein Kind, und pflegte es drei Tage lang!«

»Fluch dem Niemč

»Nein, Väterchen! Dank ihm für seine gute That! Er war mir Samariter!«

»Ja, dank ihm!« schaltete jetzt auch die Mutter ein.

Im selben Augenblick klopft es an der Thüre, und ein Bübchen tritt ein, um ein Packet auf den Tisch zu legen.

»Von wem?« fragt erstaunt der alte Jabornigg.

Das Bübchen hat Eile, wieder hinaus zu kommen, und haspelt die Worte herunter: Es stünde schon drinnen im Päckchen!

Verwundert sind alle; solche Sendung ist etwas ungewöhnliches in einem windischen Bauernhause. »Öffne, Mutter!« ruft der Alte.

Raschelnd fällt die Papierumhüllung herab; Mütterchen hält eine vielgefaltete Haube nach windischer Art in der Hand, bar jeden Bänderschmuckes. Was soll das?

Doch hier liegt ein Zettel dazwischen.

»Lies!« befiehlt der Alte.

Mütterchen erblaßt bis in die Lippen, und hält sich für einen Augenblick die Hand über die Augen.

»Was soll's? Gieb her den Wisch!« ruft der Vater, und hält den ihm gereichten Zettel in der zitternden Hand zum Licht des Fensters. Stotternd liest er vom Zettel:

»Thu' 's Kranzele weg,
Trag 's Häubile laar;
Verwirkt is 's roat' Bandle,
Mit der Myrte is 's gar!«

Mit einem Schrei, der gellend durch das Haus hallt, sinkt Jerza zu Boden. Wie von einer Natter gestochen ist der Alte emporgefahren, hoch aufgerichtet wie ein rächender Gott steht er in der Stube; seine Augen funkeln, sie sprühen Blitze, und wie grollender Donner tönt seine Stimme: »Jerza! Verworfene, Fluch dir, dreimal Fluch für die Schande, die du über deinen Vater bringst! Hinweg, falsche Schlange! Hinaus! – Ich habe keine Tochter mehr!«

Und ächzend sinkt der alte Mann auf die Holzbank zurück; seine Arme greifen ins Leere, hart schlägt der weiße Kopf an den Ofenkacheln auf.

Kreischend ruft die Mutter um Hilfe; sie weiß nicht, wem sie zuerst beispringen soll: der ohnmächtigen Tochter, dem alten Gatten, den ein neuer Schlaganfall getroffen zu haben scheint.

Mägde springen herbei; mit Essig reiben sie die Schläfen Jerzas ein, und eilig wird der alte Jabornigg zu Bett gebracht, indes ein Knecht den Arzt holt.


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