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Die Zipfelmütze und die Talermütze.

Der Schnee, der ganz weiß und unberührt oben auf der Nordwiese lag, glitzerte in der Wintersonne.

Ein großer weißer Hase mit hoch aufgerichteten Ohren huschte und hüpfte auf seinen langen Beinen zwischen den mit Rauchfrost bedeckten Birkenbüschen umher. Er nagte an der Rinde und zwackte die dicken Knospen ab, setzte sich auf die Hinterbeine und kaute, während seine großen Augen im Sonnenlicht funkelten, spitzte ab und zu die Ohren, lauschte und sah sich um.

Zwar war keine Gefahr, aber einer wie er konnte nie achtsam genug sein.

Aber was war das? Dort oben über dem Rand der Anhöhe tauchte etwas Kleines, Spitzes, Rotes auf! Er sah es sofort, weil die Farbe so stark vom Schnee abstach. Er mußte sich wirklich ganz auf die Hinterbeine stellen und sich strecken so lang wie er war, um besser sehen zu können.

Ja freilich, es war eine kleine rote Zipfelmütze! Sie stieg langsam herauf, bald kam ein Kopf zum Vorschein, bald noch mehr, und kurz darauf stand ein ganzer kleiner Mann vor ihm. Ha, ha, ein richtiges kleines, feistes Heinzelmännchen auf Schneeschuhen! Ja richtig, jetzt erkannte er ihn auch. Gar manches Mal hatte er im Herbst hinter den Büschen gelegen und nach ihm ausgeguckt, wenn er Preiselbeeren pflückte oder Wachholderbeeren abriß, und spät abends, wenn er sich bis hinunter auf den Acker beim Neuplatz geschlichen, da hatte ein Frauenzimmer ihn hereingerufen und Jon genannt.

Er hieß also Jon und war vom Neuplatz; war gewiß nicht weiter gefährlich.

Der Hase blieb mäuschenstille sitzen und guckte – er ahnte nicht, daß er mit den Ohren wackelte, und daß seine Augen wie zwei blanke Gucklöcher dastanden; er wurde sicher nicht gesehen, er, der weiß war wie der Schnee!

Aber was war das? Jon machte ganz plötzlich halt, daß es wie ein Ruck durch ihn ging, riß die Augen weit auf, und da standen sie sich beide gerade gegenüber, hatte der ihn also doch gesehen! Ja, da war es das beste, Reißaus zu nehmen; er konnte zwar nicht weiter gefährlich sein, aber immerhin, es war immer eine so unsichere Sache mit den Menschen, wenn sie auch noch so klein waren.

Er machte ein paar lange Sätze, schlüpfte durch ein Loch im Zaun und lief darauf der Kreuz und Quer in das Weidendickicht auf der andern Seite hinein.

Dort setzte er sich wohlverborgen nieder und guckte.

Jon stand erst ein Weilchen still, darauf setzte er ihm nach, genau dorthin, wo er ihn gesehen hatte, hier blieb er von neuem stehen, ballte die Fäuste und drohte mit der Hand nach dem Loche im Zaun hin. Darauf klemmte er seine gestrickten Fausthandschuhe zwischen die Kniee, biß die Zähne zusammen und begann nach etwas Blankem zu tasten, das er um den Hals hängen hatte. Nachdem er das zu fassen gekriegt hatte, lief er zu dem Loche hin, als hätte es furchtbare Eile.

Nein wirklich, hatte er nicht, so klein er war, eine dieser dummen Messingdrahtschlingen! Und richtig, er knüpfte sie vor dem Loche auf!

Danke schön! Nein, das war zu bekannt, es gab noch genug andre Schlupflöcher im Zaun!

Bald war der Junge damit fertig, stellte sich auf seine Schneeschuhe, sah weit zurück und glitt dann abwärts. Das Letzte, was der Hase sah, war die Zipfelmütze, die hinter dem Hügel verschwand.

Jon war wohl jetzt ungefähr acht Jahre alt, aber trotzdem schon ganz wie ein Erwachsner; denn eigentlich war er es, der diesen Winter für den Neuplatz die Verantwortung hatte, er war es, der Häusler beim Storberger war, er, an den sich der Storberger zu wenden hatte, wenn es etwas auszurichten gab. Sie waren im Herbst sich darüber einig geworden, sie drei zusammen, der Vater, der Storberger und er, damals, als der Storberger den Vater fortschickte, um in dem großen Wald, den er weit weg ganz drin in Schweden hatte, Holz zu fällen. Ja, er hatte es unter der Bedingung übernommen, daß alles ordnungsgemäß vor sich gehen solle, in der Weise, daß er auf dem Hofe arbeitete, wenn der Storberger es verlangte, und daß sie darüber Rechnung führten; der Großbauer mußte, bitte, genau aufschreiben; er wollte nicht mehr haben, als was er verdiente.

Ja, das fanden sie alle nur recht und billig, und darauf war der Vater abgereist.

Jon hatte zusammen mit der Mutter und Klein-Ingrid auf dem Storberger Hofe beim Kartoffelausnehmen wie beim Schlachten mit geholfen, und der Storberger hatte ihn denn auch wie seinen vornehmsten Häusler behandelt und gelegentlich um Rat gefragt.

Das hatte so bis Weihnachten dauern sollen. Ungefähr vierzehn Tage vor Weihnachten war aber der Storberger selbst gekommen und hatte ihn gefragt, ob er so freundlich sein wolle, noch einen weitern Monat zu »fungieren«; es war so erbärmlich langsam mit dem Holzabfahren gegangen, weil der Schnee zu zeitig gekommen war; der Vater konnte deshalb nicht zu Weihnachten nach Hause kommen.

Ja, er hätte noch nicht weiter über die Sache nachgedacht.

Nun, er solle sich überlegen, was er dafür haben wolle, und morgen hinunterkommen, dann würden sie schon einig werden.

Jon sah sofort, daß die Mutter nicht gerade erfreut darüber war, und am Abend sagte sie denn auch, das werde wohl ein trauriges Weihnachten für sie werden, wenn der Vater nicht daheim wäre. Sie hatten es am Weihnachtsabend immer so gemütlich gehabt, und am ersten Feiertag hatten sie sich stets ein Pferd geborgt und waren zur Kirche gefahren, ja, daraus wurde nun dies Jahr nichts.

Da faßte Jon seinen Entschluß, und am Tag darauf war er unten beim Storberger und sagte, er sei willens, es auf sich zu nehmen, noch eine Weile zu »fungieren«, vorausgesetzt, daß er am Weihnachtstage für die Mutter und Klein-Ingrid freie Beförderung zur Kirche kriegte. Aber er wolle eins der Staatsgeschirre haben mit Schellengeläute.

Ja, das solle er kriegen. Aber so wolle er wohl auch selbst kutschieren?

Selbstverständlich!

Ob er denn aber auch daran gedacht hätte, daß es sich für einen Mann wie ihn nicht schicke, in der roten Zipfelmütze zur Kirche zu fahren; er müsse mindestens eine Talermütze haben. Ob er die hätte?

Jon kratzte sich unter der Zipfelmütze – daran hatte er allerdings nicht gedacht, und zu gute hatte er auch nichts mehr, also hatte er auch nichts mehr zu fordern.

Vielleicht möchtest du, ich soll dir für eine Talermütze Bürgschaft leisten?

Nein, ich will kein Gepfusche in unsre Abrechnung haben; ich muß in andrer Weise Rat zu schaffen suchen.

Darauf ging Jon nach Hause und sagte zur Mutter, nun habe er die Weihnachtsfahrt für sie bestellt: aber von der Talermütze erwähnte er gar nichts.

Er sann die ganze Woche darüber nach, bis er endlich auf den Gedanken kam, er müsse eben einen Hasen fangen. Deshalb war er heute oben auf der Nordwiese gewesen.

Als er nach Hause kam, sagte er zur Mutter, er müsse nach Storberg hinunter, er habe etwas mit dem Großbauern zu bereden. Daraufhin durfte er gehen.

Ob der Storberger einen Hasen von ihm kaufen wolle?

Freilich, gerne. Ob er ihn mithabe?

Nein, aber er würde ihn morgen oder übermorgen bringen. Er habe ihn oben auf der Nordwiese gesehen.

Wirklich!

Ja, er habe ihn heute gesehen.

Ob er ihn denn gezeichnet hätte, damit er ihn auch wiedererkannte?

Ihn gezeichnet? – Jon wurde ein bißchen unsicher – nein; aber – die Ohren werde er ganz sicher wiedererkennen! Er hätte noch nie solche Ohren gesehen.

Nun, den Hasen wolle der Storberger schon kaufen; was er denn kosten solle? Was er sich denn gedacht habe?

Er finde ihn so groß, daß er wohl eine Talermütze wert sein könne.

Na gut, da solle er den Talerschein kriegen und könne gleich hinunter zum Krämer gehen und sich eine Talermütze einhandeln; denn einen besseren Handel habe er, der Storberger, ja noch nie gemacht.

Jon trottete von dannen, und nicht lange darauf kam er mit einer feinen Pelzmütze zurück, die er gleich aufsetzen mußte, damit der Storberger sehen konnte, wie sie ihm stand.

Ja, da war er doch gleich ein ganz andrer Kerl! Nun konnte er sich auf der Kirchfahrt sehen lassen!

Jon packte die Mütze wieder ein, die Mutter sollte sie erst am Weihnachtsmorgen zu sehen bekommen. Und nun bekam er viel zu tun, – er mußte am nächsten Morgen in aller Frühe aufstehen, um den Hasen zu holen.

Als er gehen wollte, sagte der Storberger:

Ja, es ist wahr, ich hab da oben auf der Nordwiese einen Fuchs gesehen; du bist wohl so freundlich und siehst gleich mal mit nach dem, nicht wahr?

Oh ja, das wollte Jon schon tun.

Ich habe nämlich ein Fuchseisen gleich südlich unten am Abhang aufgestellt, du mußt dich aber in acht nehmen, daß du nicht hinein gerätst; so ein Eisen kann gefährlich sein.

* * *

Im Mondenschein am selben Abend hüpfte ein langbeiniger Hase auf dem leuchtenden Schnee oben auf der Nordwiese umher, fraß Knospen und spitzte die langen Ohren. Er fühlte sich so sicher – vor dem gefährlichen Loche wollte er sich schon in acht zu nehmen wissen.

Unter einem dichten Busche lag aber etwas Braunes, Flaches auf dem Schnee hingestreckt, und von dort leuchteten ein paar Augen wie glühende Kohlen. Der Hase huschte vorbei, merkte keine Spur – ein gewaltiger Satz, dann ragte ein langer brauner Schwanz, wie ein Steuer, hoch in die Luft – er fühlte einen Knacks im Nacken, und – dann fühlte er nichts mehr.

* * *

Als die rote Zipfelmütze am nächsten Morgen über der Anhöhe aus der Nordwiese auftauchte, war es still; nichts rührte sich, aber auf dem zertrampelten Schnee lagen Wollfetzen und ein paar abgerißne lange Ohren von einem Hasen, und über den Zaun und weiter weg über den Schnee hin führte die vorsichtige, verdächtige Spur eines Fuchses.

Jon wurde so wütend, daß er zitterte und ihn das Weinen ankam. Die Schlinge dort hing noch völlig unberührt, und hier hatte der Schelm seinen Hasen gerade in dem Augenblick gefaßt, wo er hineinspaziert wäre!

Er bekam mit einem Mal solche Lust, ihn zwischen die Fäuste zu kriegen, ihn zu schlagen, Rache an ihm zu nehmen, daß er blindlings seiner Spur nachsetzte. Die ging in vorsichtigen Krümmungen ein Stück aufwärts, dann abwärts. Aber er merkte es gar nicht, folgte bloß der Spur im Schnee, bis er plötzlich kopfüber den Abhang der Wiese hinunterkollerte.

Als er den Kopf aus dem Schnee hervorsteckte und nach der Spur sah, war sie weg. Er sah sich um. Da gerade hinter sich kriegte er etwas Braunes zu Gesichte – den Fuchs! Er erhob den Skistab, um nach ihm zu schlagen. Er rührte sich nicht, er war geradeswegs in die Falle gegangen, die ihm den Hals gebrochen hatte.

Eine Weile darauf schleppte sich Jon äußerst niedergeschlagen heimwärts; auf dem Rücken trug er einen Fuchs, der so lang war, daß er ihn förmlich rückwärts auf die Schneeschuhe hinunterzog.

Vorsichtig schlich er ums Haus herum nach der Vorratskammer, unter der er ein Bündel versteckt hatte, und dann machte er sich wieder auf den Weg und ging nach Storberg.

Bescheiden trat er, das Bündel in der Hand, in die Stube des Großbauern.

Nein? Ist da nicht der Jon schon wieder unterwegs? Bringst du den Hasen?

Nein, aber – ich – bringe die Mütze wieder, hier ist sie.

Bereust du den Handel?

Nein, aber – ich habe den Hasen nicht mehr. Ja, hier ist die Mütze. Und dann hab ich auch gleich deinen Fuchs mitgebracht, der hat meinen Hasen aufgefressen.

Man kann sich denken, daß der Storberger große Augen machte. Und Jon kam schließlich selber zu dem festen Glauben, der Storberger meine es im vollen Ernst, als er sagte, nun habe er den Hasen doch noch gekriegt, sintemal es sein Fuchs gewesen, der den Hasen gefressen hätte. Es könnte gar keine Rede davon sein, daß der Handel rückgängig gemacht würde, ein besseres Geschäft hätte er überhaupt noch nie gemacht. Ja, wenn sich Jon die Sache genau überlegte, so fand er im Grunde auch, daß das die volle Wahrheit war.

* * *

Am Weihnachtsmorgen stand dann Jon in der Talermütze und mit einem neuen Halsschal, den der Storberger ihm als Weihnachtsgabe geschenkt hatte, vor der Haustreppe auf dem Storberghofe und hielt den Rappen am Zügel. Die Mutter und Klein-Ingrid waren im Begriff, in den Schlitten einzusteigen. Da kam der Storberger heraus, trat an Ingrid heran, nahm ihr das Kopftuch ab und setzte ihr eine Pelzmütze auf, die ebenso fein war wie die Jons.

Ich finde, ich habe ein so gutes Geschäft gemacht, daß ich noch was drauf geben muß.

Jon vergaß vollständig, daß er ja ein Erwachsner sein sollte, stand da und lachte über das ganze Gesicht.

Der Storberger sah ihn an.

Na, Jon, worüber denkst du denn jetzt nach?

Ich muß eben daran denken, wie es wohl geworden wäre, wenn es mein Hase gewesen wäre, der deinen Fuchs aufgefressen hätte.

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