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Hahnenkampf.

Die Vormittagssonne schien warm auf den breiten Hofplatz auf Opsal herab; die Schwalben waren bereits gekommen, huschten zwitschernd unter den Dachgesimsen in der Luft herum, flogen in langen Bogen mit kurzen, scharfen Wendungen quer über das Tal, um Insekten zu fangen, oder langsam über den Boden hin, um für ihre Nester Material zu sammeln, die sie gerade im Begriff waren zu bauen; dicht an der Wand des Vorratshauses hin schlich die graue Katze, um nicht von ihnen gesehen zu werden; unten längs der Kuhstallwand stolzierte der große prächtige Hahn mit allen seinen Hühnern vor sich her, und ihm dicht auf den Fersen kam vorsichtig Tor nachgeschlichen, eine Schöpfkelle voll Wasser in der Hand. Offenbar versuchte er, an die großen krummen Schwanzfedern des Hahns heranzukommen; so oft er aber einen schleichenden Schritt machte, jedesmal hob der Hahn den Kopf, sah sich um und machte zwei lange, stolze Schritte vorwärts.

Es war doch zu ärgerlich, daß er so achtsam war! heute war es nun schon der zweite Tag, daß er ihm auflauerte, aber vielleicht ahnte der, was es zu bedeuten hatte, der Schelm.

Das Hühnervolk bog um die Ecke. Die langen krummen Federn des Hahnensterzes waren das Letzte, was er sah.

Vielleicht gelang es jetzt, wenn er recht rasch nachsprang! Er machte zwei lange Schritte – nein, der Hahn hatte ebenfalls die Ecke bedacht und sich besonders beeilt, er war bereits unten bei der Stalltür.

Dort kam auch der Opsal-Bauer – ja, dann war es wohl Frühstückszeit, da kamen die Feldarbeiter mit den Pferden ebenfalls bald, und dann blieb es nicht länger so friedlich, daß es etwas nützen konnte. Er mußte es aufschieben, bis sie wieder auf dem Felde waren.

Der Bauer kam auf ihn zu, er wollte wohl mit ihm reden.

Heute war es der zweite Tag, den Tor auf Opsal zubrachte; er war erst gestern morgen in der Frühe gekommen; er sollte hier als Armenhäusler sein.

Als er eintraf, war der Opsal ungemein freundlich zu ihm gewesen, hatte ihn bei der Hand genommen und ihn selber in die Küche geführt, wo die Häusler und die Dienstknechte beim Frühstück saßen, und hatte zu ihnen allen gesagt, hier sähen sie seinen neuen Großknecht, der gewissermaßen das Oberkommando führen solle. Er war seiner Sache nicht ganz sicher gewesen, ob sie ihn nicht etwas zum Narren hielten; denn sie lachten ein bißchen, als er seinen Platz neben dem Großbauern im Herrensitz angewiesen bekam, aber sie waren doch alle sehr gemütlich gewesen, mit Ausnahme von Per, dem großen, vierschrötigen Dienstknecht, der witzig zu sein versuchte. Er sagte, ihm wäre, als könne er dem Tor von außen ansehen, daß er nicht einmal dazu tauge, ein Kalb am Schwanze zu halten. Da hatte aber Tor geantwortet, falls man es überhaupt einem von außen ansehen könne, wozu er tauge, so könne jedenfalls er sehen, daß der Per dazu tauge, tüchtig zu essen. Da hatten sie alle gelacht, der Bauer wie die andern, nur Per hatte geschwiegen, aber er hatte ausgesehen, als ob er furchtbar wütend wäre.

Er war übrigens nicht nachtragend, der Per; denn nachher hatte er ihm etwas so Merkwürdiges erzählt, daß er es nie geglaubt haben würde, wenn Per nicht so treuherzig drein geschaut hätte. Tor hatte erst die Kälber in den Kälberpferch hineingejagt – das sollte fürs erste neben der Aufsicht über die andern seine eigentliche Beschäftigung sein, hatte der Bauer gesagt, und dann hatte er sich auf dem Hofe umgesehen. Daß es überhaupt soviel Feines geben konnte, hatte er sich nie gedacht, aber etwas so Großartiges wie den feisten, glänzenden Hahn mit den herrlichen Schwanzfedern, das fand man wohl kaum anderswo; sie waren so lang, daß sie mit ihren Spitzen am Boden schleiften, und dabei, standen sie an der Wurzel kerzengrade in die Höhe. Er sah dem Hahn gerade nach, als Per herankam.

Er fragte, ob Tor Lust hätte, das Fliegen zu lernen.

Dazu hätte er freilich die größte Lust; er hätte es auch schon einmal versucht, hätte Rinde von den größten Birken, die er finden konnte, abgerissen und die Stücke sich an die Arme gebunden; darauf sei er zu Hause auf den Holzstoß geklettert und hätte versucht aufzufliegen, aber da sei er gerade auf den Hackeklotz hinunter gefallen und hätte sich schlimm ans Knie gestoßen. Das sei gewiß davon gekommen, daß die Rindenstücke wohl zu klein gewesen wären?

Nein, meinte Per, davon sei das nicht gekommen, vielmehr davon, daß er nichts zum Steuern gehabt hätte. Er könnte es ja hier an dem Hahn sehen, der hätte dazu seinen Schwanz.

Ja, daran hatte Tor allerdings nicht gedacht.

Aber es ginge auch nicht mit einem gewöhnlichen Schwanz; ein besonderer Kunstgriff gehöre freilich dazu. Er, Per, wäre der einzige, der wüßte, wie mans machen müßte; er hätte es von seiner Großmutter gelernt.

Hätte sie denn fliegen können?

Ja! Sie hätte über ein ganzes Hausdach fliegen können, als wenn gar nichts dabei gewesen wäre.

Ob er es denn nicht selber auch einmal versucht hätte?

Nein, er wäre doch ein bischen zu schwer dazu, genau ein halbes Bessemerpfund.

Ob er es denn nicht jemand andern gelehrt hätte?

Nein, er hätte der Großmutter versprechen müssen, es niemand andern zu lehren, nicht eher als genau dreißig Jahre nach ihrem Tode – und heute wären es gerade dreißig Jahre. Drum, wenn Tor verspräche, ein guter Junge zu sein, so wolle er es ihm gerne beibringen.

Ja, er könne verlangen, was er wolle – er könne gerne sein Taschenmesser kriegen.

Dessen bedürfe es gar nicht, meinte Per. Aber man könne nicht fliegen, ohne daß man die großen Schwanzfedern von einem vierzehnjährigen Hahn hätte, und zwar von einem, der angefangen hätte, Eier zu legen, ja, von genau so einem, wie der dort; denn der hätte heuer zu Ostern sein erstes Ei gelegt. Aber auch das genüge noch nicht, daß man sie überhaupt habe; es nütze nichts, etwa die Federn wegzunehmen, wenn er sie von selber verliere. Nein, man müsse ganz starkes Salzwasser nehmen, sich von hinten an den Hahn heranschleichen, während er in der Erde scharre, und dann das Salzwasser ihm auf den Sterz gießen – da verlöre er die Schwanzfedern auf einmal, und erst dann wären es die richtigen – so hätte es seine Großmutter gemacht.

Diese schwierige Arbeit war es, mit der Tor gestern wie heute beschäftigt war, und damit war er auch gerade beschäftigt, als der Bauer herankam.

Der Bauer blieb stehen und sah ihm zu.

Was er eigentlich vorhätte, fragte er.

Er wolle gern dem Hahne das Salzwasser auf den Sterz gießen.

Du, Tor, hast du nicht daran gedacht, daß Per dich vielleicht bloß zum Narren hat?

Nein, das wird er doch wohl nicht. Seine Großmutter –

Ja, ich weiß schon, er hat dir das alles erzählt; sahst du aber nicht, wie verschmitzt er dich ansah, als du gestern mit der Schöpfkelle herumgingst?

Allerdings, es schien mir auch so, aber –, er biß die Zähne zusammen und ballte die Faust in der Luft – das will ich ihm aber heimzahlen, dem Flaps, daß er Schabernack mit mir treibt.

Ja, kannst du ihm einen rechten Possen spielen, dann sollst du sogar den ganzen Hahn kriegen.

Der Bauer drehte sich um und ging ins Haus hinein.

* * *

Bald darauf hörte Tor, daß Per mit seinem Ackergespann vom Felde heimkam. Da nahm er die Kelle und begann hinter dem Hahne herzugehen, wie wenn er von nichts wüßte, aber von der Seite schielte er nach Per hinüber und bemerkte auch, daß der grinste und mit dem einen Auge einem Häusler zublinzelte.

Tor ging nicht mit zum Frühstücken ins Haus, sondern blieb draußen, bis sie gegessen hatten. Er wußte, daß Per gleich herauskommen würde; denn er pflegte nach dem Frühstück im Stalle, im Futtergang unmittelbar unter der Luke des Futterbodens, Rast zu halten.

Per kam auch ganz richtig, und da ging Tor immer noch hinter den Hühnern her mit der Kelle in der Hand, – er hatte die Tür zum Futterboden aufgemacht, und hatte die Hühner jetzt auf die Bodentreppe hinaufgetrieben.

Per rief:

Nun, hast du das Salzwasser immer noch nicht dem Hahne auf den Sterz gegossen?

Nein, aber nun glaub ich, wird mirs schon gelingen, wenn ich ihn auf den Futterboden hinaufkriege.

Per grinste und ging in den Stall. Tor hörte, wie er das Heu zusammenscharrte und sich hinlegte.

Sofort trieb er nun die Hühner in den Futterboden hinein und sah sich um. Dort stand der Bauer am Fenster, und Tor winkte ihm eifrig zu.

Der Bauer kam heraus.

Da schlich sich Tor auf den Futterboden hinauf und guckte durch das Futterloch hinunter. Gerade unter sich sah er das Gesicht von Per.

Er holte tief Atem, nahm darauf die Kelle und goß das Salzwasser dem Per gerade ins Gesicht.

Man kann sich denken, sie kamen beide sehr rasch auf die Beine, Tor wie Per, und die Hühner fuhren zur Bodentür hinaus, flatterten von der Treppe hinab in den Hof und liefen nach allen Zeiten davon.

Als Tor auf die Treppe hinaustrat, stand Per mit zusammengekniffenen Augen da und drohte mit den geballten Fäusten zu ihm hinauf, er war so wütend, daß er nicht ein einziges Wort hervorbringen konnte. Der Bauer lachte, daß er sich mit beiden Händen den Bauch hielt.

Da sagte Tor, als wäre er höchst ärgerlich:

Hat man je so etwas Dummes gesehen. Der Hahn ist entwischt, nicht einmal einen Spritzer hat er auf den Schwanz gekriegt.

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