Oscar A. H. Schmitz
Melusine
Oscar A. H. Schmitz

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XLI

Eines Morgens brachte Dr. Brunnthaler eine neue, bedeutsame Nachricht. Die revolutionäre Regierung in Rolfsburg wünsche den Gefangenen, da sein Fall nur ein Teil eines weitverzweigten innerpolitischen Prozesses sei, in ihre Gewalt zu bekommen. Dr. Brunnthaler sagte in seinem gewöhnlichen Plauderton, die Harringische Regierung habe natürlich nicht den geringsten juristischen Anspruch, den Urheber eines auf österreichischem Boden begangenen Verbrechens der hiesigen Justizhoheit zu entziehen, aber die Frage erhebe sich, ob es nicht für den Angeklagten ein großes Vorteil sei, vor dem Volksgericht in Harringen abgeurteilt zu werden.

»Gesetzlich können Sie nicht ausgeliefert werden, aber der Prozeß, der, wie ich immer mehr sehe, durch die Person dieses Prinzen, vulgo Dr. Schenk, einen ernsten politischen Hintergrund hat, ist unserer Regierung höchst unbequem. Man beabsichtigt daher Ihre Sache bis auf eine politisch ruhigere Zeit zu verschleppen, denn die derzeitige Regierung in Harringen wird sich nicht halten. Österreich könnte aber vielleicht – eine Form wird sich finden – in diesem Fall freiwillig auf seine Justizhoheit verzichten, und Sie, falls Sie einverstanden sind, an die Grenze schaffen, wo Harringer Polizei Sie in Empfang nehmen würde, überlegen Sie es sich ein paar Tage, lieber Herr Holthoff.«

»Ich habe nichts zu überlegen,« erwiderte Ferdinand, »ich will keine Verschleppung, sondern schnelle Verurteilung. Die Auslieferung ist mir daher erwünscht.« »Mir auch,« erwiderte der Advokat über das ganze Gesicht lachend, »nur wiederhole ich, es ist formell keine Auslieferung, aber für Sie ist das Hinüberspielen der Sache ins Politische ein Vorteil mehr, wenn Sie sich als Gesinnungsgegner Ihres politisch doch sehr rechtsstehenden Herrn Bruders hinstellen. Als Künstler können Sie das ja leicht glaubhaft machen.«

»Aber das alles hat doch nicht das Geringste mit Politik zu tun,« erwiderte Ferdinand erregt, »ich war nie politisch interessiert, und so weit ich etwas davon verstehe, teile ich die Ansichten meines Bruders.« »Pst ... Pst,« flüsterte Dr. Brunnthaler, »das dürfen Sie vor einem kommunistischen Volksgericht nicht sagen, sonst sind Sie im Vorhinein erledigt.«

Fast hätte ihn seine Gutmütigkeit verführt, Ferdinand, dem alles zuzutrauen war, in diesem Fall die Reise zu widerraten, aber dann siegte doch der Anwalt, der mit einem so eigensinnigen Klienten lieber nichts zu tun haben wollte, war doch zu erwarten, daß Ferdinand bei dem Prozeß seinen eigenen Verteidiger Lügen strafen würde.

In der folgenden Woche wurde Ferdinand von Gensdarmen an die Grenze gebracht. Dort empfingen ihn ein paar freche, etwas verwahrloste, Harringische Revolutionssoldaten, die aber ihm persönlich eine überraschende Art von Hochachtung bezeugten. Auf der Bahnfahrt, während sie ihn ins Gespräch zu ziehen versuchten, sollte er mit einer Mischung von Schrecken und Ekel den Grund ihrer Haltung erfahren. Man begrüßte in ihm den Mann, der in letzter Stunde durch seine Tat das Land Harringen vor der Wiederherstellung der Monarchie bewahrt hatte. So wurde Ferdinand Holthoff zu einer hochpolitischen Persönlichkeit.

Das geschah im September 1919, und als er am Abend in Rolfsburg die für ihn bestimmte Zelle betrat, fiel ihm ein, daß heute sein Geburtstag war. Vor einem Jahr hatte er ihn mit Melusine gefeiert und nach ihren Gesprächen noch auf mindestens ein Jahr stillen Glücks mit ihr rechnen zu dürfen geglaubt. Schluchzend warf er sich auf sein Lager.


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