Oscar A. H. Schmitz
Melusine
Oscar A. H. Schmitz

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XIV

Das etwas gealterte Gesicht des Prinzen Amadeus erinnerte an Bildnisse von Velasquez oder von Dyck. Der wohlgepflegte, noch halb braune Knebelbart verdeckte das vorspringende spanische Kinn, der ziemlich starke, wellige Schnurrbart ließ einen melancholisch-sinnlichen, aber fein, fast herzförmig geschnittenen Mund sehen. Die Stirn war ein wenig ausdruckslos in Anbetracht ihrer Höhe und zeigte daher unter dem einst starken, sich jetzt leicht lichtenden Haar eine etwas banale Schönheit. Bezaubernd waren noch immer die braunen, mandelförmigen Augen, an denen, wie es hieß, nicht wenig Frauenblicke begehrend gehangen hatten. Indessen war seine Ehe unglücklich gewesen. Nach zehn Jahren freudlosen Zusammenlebens hatte er die Gemeinschaft mit der bigotten Frau aus einem leiblich und seelisch erschöpften immediatisierten Fürstenhaus aufgegeben, denn die Prinzessin Emmerentia, die von Kindheit an eigentlich im Kloster ihre wahre Berufung sah, pflegte das heitere Epikuräertum ihres Gatten als heidnische Teufelei zu bezichtigen. Nach der Trennung von ihm tat sie dies wenigstens nur im Gebet, indem sie ihren und seinen göttlichen Richter tagtäglich anging, bevor es zu spät sei, das verhärtete Herz des Verstockten zu erleuchten. Darüber, daß sie dergleichen unternahm, hielt sie den Gatten in gelegentlichen erbaulichen Mahnbriefen auf dem Laufenden. Prinz Amadeus litt namenlos unter diesem Mangel an der Tugend des Taktes, von der man seiner Überzeugung nach auch im Verkehr mit seinem Schöpfer nicht entbunden sei. Er hatte schon lange vor, Dantes Hölle und Fegefeuer wieder einmal durchzulesen, und zwar daraufhin, ob es dort nicht auch einen Raum für Taktlose gab, war aber infolge der Vielfältigkeit seiner Beschäftigungen noch nicht zu dieser Arbeit gekommen, so wenig wie Ferdinand zur Widerlegung seiner jugendlichen Irrlehren.

Der Ehe des Prinzen war ein Sohn, Joseph Viktor, entsprossen, der dank der auf sentimentale Weise frömmelnden Erziehung durch seine Mutter als junger Mensch zunächst einmal stark über die Stränge schlug, seit Kriegsbeginn aber an der Front weilte und dort ernster geworden sein sollte. Merkwürdigerweise näherte er sich gerade jetzt mehr seinem heiteren Vater, dem er früher ein wenig ausgewichen war, während die törichte Mutter bei dem Sohn dieselben Schwächen zu decken gepflegt hatte, die sie an dem Vater, bei dem sie viel maßvoller und liebenswürdiger aufgetreten waren, so streng verurteilte. Der Prinz freute sich natürlich von Herzen der Annäherung seines Sohnes, obwohl ihm die plötzlich betonte nationale Gebärde des noch recht unfertigen Jünglings ebenso fremd war, wie das formlose Genießertum des Kavalleristen vor dem Krieg; aber das Ernste, sagte er sich, wirkt, besonders in der Jugend, zunächst vielleicht immer unsympathisch, absichtlich und borniert, und der Prinz war weise genug, zu hoffen, daß, nachdem sich dieses zweite Extrem in dem Sohn ausgelebt hätte, ein jenseitiger dritter Ort sympathischen Menschentums von ihm gefunden werden könnte. Eine solche Entwicklung durch freundliches Zuwarten und leises Andeuten zu fördern, hielt er nun für seine väterliche Pflicht, und so viel war schon erreicht, daß der junge Joseph Victor gern zu seinem Vater kam.

Gerade wegen seiner außerordentlichen Beliebtheit war Prinz Amadeus während der Revolution besonders gefährdet. Wie in allen Hauptstädten der Mittelmächte gelang die Absetzung des regierenden Herrn auch in Rolfsburg mühelos, weil der blindlings begonnene und gedankenlos geführte Krieg das Vertrauen zu den Führern selbst bei den ordnungwünschenden Klassen so tief erschüttert hatte, daß sich niemand fand, die Dynastieen zu schützen. Nichtsdestoweniger hatte der monarchische Gedanke noch tiefe Wurzeln bei den Gebildeten, und die Treue zu dem Herrscherhaus war auf dem Lande noch weit verbreitet. Sollten diese Kräfte aber noch einmal wirksam gemacht werden, bedurfte es, wenn nicht einer starken, so doch wenigstens einer bezaubernden Persönlichkeit als Thronanwärter. Eine solche war allein Prinz Amadeus, und darum ließen die Revolutionäre gerade diesen harmlosen Mann nicht aus dem Auge.

Von der Ungeeignetheit des alten Königs, der fast nur in seinen Jagdrevieren weilte und die Regierungsarbeit zwar pflichttreu, aber im Geist eines ausgedienten Kanzleibeamten erledigte, waren wohl auch treue Monarchisten überzeugt. Was für ihn sprach, war, außer seiner Ehrenhaftigkeit, nur die Tatsache, daß er mit den Bauern in ihrer Mundart und von ihren landwirtschaftlichen Interessen zu sprechen verstand und auf Jagden gelegentlich am derben Tisch eines ländlichen Gasthofs im Angesichte des Volkes ein geschwollenes Würstchen verzehrte. Er tat sich was darauf zu gut, daß er selber am liebsten das Leben eines alten Gemsbockes führte. Gern nächtigte er in einsamen Jagdhütten. Nach dem Frühstück legte er sich auf eine sonnige Halde, oder, wenn die Hitze stieg, unter eine alte Tanne, eine Bauernpfeife qualmend und in sein Land schauend. Gegen Mittag kehrte er zur Hütte zurück, wo ihm sein Leibjäger ein einfaches Mahl bereitet hatte, und den Nachmittag verbrachte er wieder wie den Morgen, ging dann nochmals auf Äsung und streckte sich kurz nach Sonnenuntergang auf sein Lager, ein hartes Feldbett.

Was gar den minderjährigen Prinzen Xaver betraf, so war er ein Stotterer, ein scheuer, etwas tierisch wirkender Knabe, der mit zehn Jahren noch nicht recht lesen und schreiben konnte, und sich, wenn man ihn ließ, stundenlang mit den Hunden am Boden balgte, deren verschiedene Stimmen er zum Verwechseln ähnlich nachmachen konnte, so daß er die Tiere selber täuschte.

Anders Prinz Amadeus. Gewiß hielt ihn niemand für eine Herrschernatur, aber gerade darum wäre er wie kein zweiter geeignet gewesen, ein moderner, konstitutioneller König im englischen Sinn zu sein. Er besaß keinen persönlichen Ehrgeiz, dafür Treue zu der Überlieferung und Ehrfurcht vor dem Werdenden und war gewiß imstande, sich kluge Minister auszusuchen, hinter denen er selber verschwinden würde. In den aufgeklärten Kreisen der Residenz hatte man schon vor dem Krieg, als sich die Unfähigkeit des Prinzen Xaver nicht länger verbergen ließ, von einem künftigen liberalen Königtum des Prinzen Amadeus geträumt. Wenn die Dynastie noch einen Stein im Brett besaß, so war es hier, und darum lebte die rote Regierung der Hoffnung, in dem allgemeinen Trubel der Revolutionstage den Prinzen auf die eine oder andere Weise wie von ungefähr umkommen zu lassen. Den ganzen Tag war er mit der Sicherheit eines mutigen Knaben den Anweisungen des besonnenen Holthoff gefolgt. Er hatte ihn in dessen Wohnung in der von ihm empfohlenen Kleidung erwartet, bis jener mit den Pässen zurückkehrte, die er gerade noch von einem alten Beamten erhalten hatte, und der Nachricht, daß er, Prinz Amadeus, bereits von Spartakisten gesucht werde und der sogenannte Generalissimus der roten Armee einen Aufklärungsdienst über das ganze Land organisiere. Die Fahrt ging unter kalten Regenböen durch Gegenden mit königstreuer Landbevölkerung ohne Schwierigkeiten vonstatten. Glücklicherweise hatte Erich das Auto auf seiner letzten Frontreise gut instand setzen lassen, denn im Hinterland war längst kein vollwertiges Material mehr zu beschaffen, das eine Parforcetour durch moorige Gegenden ausgehalten hätte. So bestand alle Aussicht, den Verfolgern in ihren plumpen Kriegsautos zuvorzukommen.

Der Grenzschutzoffizier begnügte sich auf eine Andeutung des früheren Staatsministers mit dem Einblick in die Pässe für diesen und den Kunstgelehrten Dr. Schenk und sah von einer Untersuchung des Autos ab. Die Herren des österreichischen Grenzschutzes waren um diese Nachtstunde überhaupt nicht zur Stelle, und so fuhr das Auto in's Land, mit hinreichenden Werten versehen, um Prinz Amadeus nicht in Not geraten zu lassen.

Nun löste sich die Spannung, in der dieser sich bis jetzt befunden. Mit Leidenschaft nahm er Erichs Rechte in beide Hände und schluchzte: »Mein lieber, alter Freund«.


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