Oscar A. H. Schmitz
Melusine
Oscar A. H. Schmitz

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XVIII

So ging der Winter dahin. Auch der Prinz wurde immer mehr in diese Vogelstraußlage hineingezogen, in der man sich nicht bekümmerte um das, was draußen vorging. So belebend die Besuche Erichs wirkten, und so sehr das, was dieser aus der in den Fugen krachenden Welt berichtete, sein eigenes Schicksal anging, Prinz Amadeus überraschte sich doch einmal dabei, nicht ganz angenehm berührt zu sein, als er eines Montags beim Frühstück erfuhr, daß der Gast, der immer etwas wie einen Luftzug in die gestaute Atmosphäre von Sensburg brachte, dieses Mal noch einen Tag länger bleiben würde. Schon hatte sich Amadeus auf den schönen Abend in der gewohnten Intimität zu dritt gefreut. Auch er hegte den unausgesprochenen Wunsch, der jetzige Zustand möge sich nie verändern, und er dachte nicht darüber nach, wie unmöglich das war.

Melusinen gewann er immer lieber, ohne sie aber im geringsten Ferdinand zu mißgönnen, vielmehr liebte er gerade ihr gemeinsames, so unaufdringliches Glück. War Sensburg auch der unmittelbare Ausdruck von Ferdinands eigenartigem Geist, so gab doch erst Melusine Schimmer und Wärme hinzu, wie sie nur von einer Frau ausgehen können. Im Herbst hatte sie schon damit begonnen, durch allmorgendliches Körnerstreuen die hungernden Vögel an die Fenster des Speisezimmers zu gewöhnen. Sobald seine Morgenzigarre über die Hälfte geraucht war, pflegte daher der Prinz zu sagen:

»Vergessen wir unsere Lieblinge nicht!« und so folgte auf das behagliche Frühstück eine anmutige Stunde der Vogelfütterung. Die Fenster wurden geöffnet, Cilli brachte den Herrschaften die Pelze herein, ein Fenster gehörte Melusinen, das andere dem Prinzen, der langsam die Frühstückszigarre zu Ende rauchte, während er mit Melusine wetteiferte, wem es besser gelang, die ordinären Spatzen zugunsten der selteneren Finken und Meisen zu verscheuchen.

Zwischen Melusinen und der weißen Angorakatze Cora bestand von Anfang an Abneigung. Wie alle etwas eigensinnigen Naturen, die mit sich selber nicht ins Reine kommen wollen, schätzte sie die problemlose Weltüberlegenheit der Katzen nicht, während sie aus demselben Grund eine übertriebene Zärtlichkeit für Hunde hatte, diese ewig schuldbewußten Sünder, die sich nicht zu einer befreienden Beichte entschließen zu können scheinen. Darum liebte sie Skanny sehr und war schon im Begriff gewesen, die Hausordnung in Sensberg zu durchbrechen, die dem Hund den Aufenthalt in den Zimmern verwehrte. Sie hatte sich indessen beugen müssen, als der Prinz einmal erklärte, Hunde seien ebenso unappetitlich zum Berühren, wie sie lieb und reizend zum Anschauen seien. So blieb Skannys Wirkungsfeld das Vorhaus und der Garten, während Cora auch weiterhin in den inneren Gemächern zwischen Kostbarkeiten ihre Tage verbrachte. Seitdem war das Wesen, das Melusine mit Skanny trieb, nur als Geheimkult möglich. Dadurch war es aber nur um so heftiger geworden. Sie glaubte, in ihm einen ungerecht Ausgestoßenen und Verkannten beklagen zu müssen.

Seit der Seidelbast, die ersten Schneeglöckchen und Weidenkätzchen blühten, sah man täglich Blumen und Gezweig, von Melusinen hereingebracht, in Glaskelchen in den Zimmern verteilt. Mit Humor wußte sie die allzugerne die Wintertage im Haus verhockenden Männer aufzurütteln und zu kleinen Wanderungen und Schlittenfahrten mit Einkehr in den freundlichen Dorfwirtshäusern zu veranlassen, in denen man von der Gesinnung der neuen Zeit wenig verspürte, desto mehr aber von der Freude, daß nun »der Krieg gar war«.

Auch die Dorfkinder liebten Melusinen sehr, und sie wußte abends von ihren Gesprächen mit ihnen zu erzählen, deren Mundart sie freilich mit wenig Glück nachzuahmen suchte. Der dadurch sehr erheiterte Prinz, der die Sprache des Volkes seit seiner Kindheit kannte, diente ihr da als Lehrer. Ein Höhepunkt war es, als sie zur Christmette um Mitternacht zum Entzücken des alten Pfarrers und der Gemeinde in der kleinen Dorfkirche zum Orgelspiel gegeigt hatte. Seitdem wurde sie auf allen Wegen ehrerbietig gegrüßt.


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