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Epilog

Von der Unendlichkeit, die Rußland darstellt, hat man in knapp zwei Wochen gerade nur einen Blitz und Schimmer gefühlt. Als entscheidender Eindruck bleibt: wir haben alle unbewußt oder bewußt an Rußland ein Unrecht getan und tun es noch heute. Ein Unrecht durch Nichtgenugwissen, Nichtgenuggerechtsein. Denn wie es erklären, daß wir alle unserer Generation zehnmal in Paris, zehnmal in Italien, Belgien, Holland, daß wir in Spanien und Nordland überall gewesen sind und aus einem törichten läßlichen Hochmut nie einen Blick ins Russische getan? War es gestern bei den einen Vorurteil gegen den Zarismus, so heute bei den anderen Widerstand gegen den Bolschewismus: aber jedenfalls haben wir allzulange die ungeheure Vielfalt der russischen Leistung nachlässig aus unserem Blickfeld gelassen –, eines der genialsten und interessantesten Völker dieser Erde, zwei Eisenbahnnächte und zwei Eisenbahntage von unserem eigenen Lebensraum und doch in all seinen Werken und Wohnstätten den meisten Europäern unbekannt. Wieviel hat uns dieser westliche Hochmut gekostet, denn wie wenige sind heute unter uns im geistigen Europa, die aus eigener Anschauung und Erfahrung dieses neue Rußland mit dem alten gerecht zu vergleichen wissen, wie wenige darum auch, die ein Anrecht haben, jetzt autoritativ ein Urteil über dieses kühnste soziale Experiment zu wagen, das je ein Volk mit sich selbst versucht. Die Hälfte aller Urteile über das gegenwärtige Rußland sind leider heute Vorurteile, das heißt, vor das eigene Blickfeld geschobene starre Standpunkte, die andere Hälfte Nachurteile, das will sagen, anderen nachgeredete Meinungen. Und erfahrungsgemäß ändern solche persönlichen Prophezeiungen so wenig wie Zimmerprognosen das wirkliche Wetter, den unerschütterlichen Gang der Geschichte. Ich habe bewußt in diesen Notizen nichts dergleichen versucht und dies nicht aus Feigheit der Meinung, sondern aus bewußter Überzeugung von unser aller Unzuständigkeit. Wo ein ganzes Volk seit anderthalb Jahrzehnten so großartig duldet und mit heroischer Leidenschaft um einer Idee willen unzählige Opfer auf sich nimmt, scheint es mir wichtiger, zur Bewunderung des Menschlichen als zu politischen Einstellung aufzurufen, und angesichts eines so ungeheuren geistigen Lebensprozesses der bescheidene Platz des Zeugen redlicher als der verwegene des Richters.


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