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Soll man Eulen nach Athen tragen und Kaviar nach Rußland? Soll man wirklich noch einmal erzählen, was das russische Theater selbst in der schwersten Zeit des Überganges geleistet und geschaffen hat? Das alles hat Joseph Gregor mit René Fülöp in seinem trefflichen Werk über die russische Bühne so ausführlich getan, daß ich mir's ersparen kann. Und schließlich, man kennt einigermaßen Stanislawski, Tairoff und Meyerhold von ihren deutschen Gastspielen. Da bringen sie alles mit, ihre großen Schauspieler, wie Katschalow, Tschechow, Alice Coonen, sie haben längst unserer Generation die Meisterschaft ihrer Regie, ihre neuen schöpferischen Ideen gezeigt. Nur eines können sie nicht mitbringen, was hier so ungemein den Eindruck verstärkt: das Publikum, das neue russische Publikum der sowjetistischen Zeit. Dichtgedrängte Reihen, kein leerer Platz allabendlich, eine einzige festgefügte, einheitliche Masse. Der Unterschied zwischen Parterre, Logen und höchster Galerie restlos aufgelöst, da und dort Arbeiter, Frauen, Fremde, Soldaten und die spärlichen Reste der Exbürgerschaft, alles farblos und vollkommen durcheinander gemischt. Keine steife Hemdbrust, kein harter Kragen, kein Décolleté, kein Smoking, keine schroff brennenden Farben – alles wie mit Sepia überstrichen oder leicht verschleiert. Aber was dieses Bild des Zuschauerraumes an Buntheit verliert, gewinnt es an Einheitlichkeit. Nirgends habe ich das Publikum eines Theaters dermaßen als grauen, metallischen Block, als Meer, als Masse zusammengeschmiedet empfunden, wie dort in den Theatern der verlorengegangenen Eleganz. Gewiß: der Zuschauerraum liegt im Schatten der Gleichgültigkeit und Alltäglichkeit, er wirkt unfestlich, bloß als dicht angefüllter Menschenraum, aber man stelle sich's vor, wie scharf, wie verwirrend, wie zauberhaft eben darum dann der Kontrast wird, wenn hinter der Rampe die doppelt wirksame Magie, die blendende Vielfalt der Dekorationen auftaucht. Der Luxus, bei uns seßhaft im Parkett und in den Logen, hier ist er hinübergeflüchtet auf die Bühne: da hat er seine letzte Freistatt auf russischer Erde, hier darf er sich – fremd und sagenhaft geworden im wirklichen Leben – als ein Historisches und Kostümhaftes verschwenderisch innerhalb der imaginären Zone entfalten. Hier und hier allein verstattet sich Rußland noch Verschwendung; nicht Amerika, nicht die Pariser Singspielhallen zaubern solche koloristische Pracht her wie ein Ballett in der Leningrader Oper, und nirgends wirkt ihre schwelgerische Traumhaftigkeit feenhafter und unwahrscheinlicher als hier, wo diese Phantasmagorie dem Grau des Täglichen traumhaft gegenübersteht. Wirklich wie Niederstieg von oben in verschattete Zonen erlebt man dann die irdisch geschmückte Gestalt, etwa die neue zauberische Tänzerin, die Rußland geschenkt ist, die Semjonowa (der Name wird noch einmal Europa überstrahlen), zwanzig Jahre alt, gerade aus der Ballettschule in Tiflis gekommen und innerhalb eines Jahres schon Zauberin und Herrin der ganzen Stadt; wenn sie mit ihrem festen, elastischen Schritt, der nicht gelernt ist, sondern natürlich wie Saft aus der Rinde quillt, über die Bühne schreitet und im Wildsein eines Überschwanges sich flügelhaft aufwirbelt, dann bricht plötzlich über diesen armen gleichfarbigen, verdüsterten Alltag eine Art Licht herein, das diese Menschen taumeln macht. Und an dem Glück, das sie Millionen spenden, spürt und begreift man, warum alle Künstler hier so leidenschaftlich und hingebungsvoll, so aufopfernd und selbstvergessend dem gemeinsamen Werke dienen, – sie verwalten nach Jahren des Leidens, der Entbehrung und der Ermüdung hier einzig noch die heilige Flamme der Freude. Vielleicht hätte Rußland trotz all seiner Geduld, trotz seiner bewundernswerten Beharrlichkeit diese Epoche der Prüfung auf seiner blutigen und zerschundenen Erde nicht so sieghaft überdauert, hätten nicht seine herrlichen Künstler ihm über seiner allzu normalisierten und mechanisierten Welt die traumhafte und magische der schöpferischen Phantasie für gelöste Stunden aufgebaut.