Heinrich Zschokke
Der Flüchtling im Jura
Heinrich Zschokke

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15.
Fortsetzung der Erklärungen.

Sowohl Florian's, als Hermione's Erklärungen wurden bald dem Vater Staffard und der Frau Bell bekannt und Beide fanden darin eine Beruhigung. Florian ist ein Mann! sagte Staffard zu seinem Sohne; käme er, als Flüchtling; fände ein hübsches Mädchen, vergaffte sich, spräche von Liebe und Hochzeit; wahrhaftig, er würde ein Geck, ein Abenteurer sein. – Frau Bell urtheilte eben so; doch tröstete sie die entschiedene Abneigung Hermione's, sich über Florian auf irgend eine Weise vortheilhaft zu äußern, und daß das Fräulein ihm, wie jedem Gleichgültigen, weder auswich, noch entgegenging, ja sogar eine heimliche Furcht vor ihm blicken ließ.

Der alte Staffard aber lächelte dazu. Sein gesunder, kräftiger Menschenverstand lös'te das Räthsel auf andere Weise, als es Frau Bell lösen wollte. Liebe Nachbarin! sagte er zu dieser; es ist nicht Alles ohne Gefahr dabei. Ich will mich auf Florian zehn Jahre verlassen, er ist ein Mann; auf Hermione verlasse ich mich keine zehn Minuten, sie ist ein Mädchen. Sie liebt und ihr Mädchenstolz empört sich gegen ihre Neigung. Die kleine Königin will sich gegen sich selbst rechtfertigen. Sie erklärt: ich liebe ihn nicht, aber ich bin ihm durch die Gewalt übernatürlicher Schicksale, wie zugeworfen. Ihr wisset ja, die Schwärmerin findet Alles übernatürlich. Sie lebt mit ihrem Köpfchen in einer andern Welt, und so seid Ihr Weiberchen alle. Jedes von Euch ist Stifterin einer neuen Religion, einer neuen Philosophie, einer neuen Poesie. Die Alltagswelt ist Euch zu gemein; Ihr müsset sie mit Wundern füllen. Frau Morne geht mit Geistern um; Hermione schwimmt überall im göttlichen Walten; Sie selbst, Frau Bell! haben Ihren geheimnißvollen zwölften Oktober und andere Schicksalstage. Meine Frau, Gott habe sie selig! faßte keinen Entschluß, ohne ihr Orakel zu fragen, nämlich eine Stelle der Bibel, die im aufgeschlagenen Buche zuerst ihrem Auge begegnete. Sogar die leichtsinnige Claudine kann schwermüthig werden, wenn sie einen Traum gehabt, der ihr bedeutungsvoll scheint.

Frau Bell, durch Staffard's Unglauben ein wenig gereizt, erwiederte: Lieber Nachbar! Ahnung und Gefühl urtheilen oft sicherer, als der Verstand, welcher sich mit dem begnügt, was das Auge sieht und das Ohr hört. Ich kenne übrigens gar verständige Männer, welche die alte Morne für eine Närrin halten, und doch verblüfft dastehen, wenn sie Offenbarungen aus ihrem Geisterreiche bringt, die über den Verstand der Verständigen hinausgehen.

Herr Staffard merkte, daß von ihm die Rede sei und drückte freundlich die Hand der Frau Bell in seine beiden Hände: Keinen Krieg, liebe Nachbarin! Ich gebe ja zu, daß die alte Morne zuweilen mehr weiß, als unsereins; aber ich denke, sie findet das auf sehr natürlichen Wegen; denn da sie immer umherfährt, vernimmt sie tausend Sachen, die wir nicht erfahren. Ohne es zu wissen und zu wollen, gesellt sich in ihrem alten, welterfahrnen Kopfe das zusammen, was zusammen gehört; sie folgert glücklich, oft kühn; erstaunt über ihr eigenes Wissen, weil es ihr selber nicht klar wird, wie sie dazu gelangte und hält es für höhere Eingebung. Sie betrügt Niemanden, als auf die treuherzigste Weise sich selbst.

Also glauben Sie, Freund Staffard! sagte Frau Bell, die Morne habe es nur aus der Luft gegriffen, als sie an demselben Tage Mittags kam, und mich wegen Hermione warnte, da Abends Herr Florian bei Ihnen einkehren würde? Wie konnte sie wissen, daß er im Lande sei, wie für Hermione's Herz besorgt sein, die an demselben Tage mit Claudine in Neuenburg war?

Daß Florian im Lande sei, erwiederte Vater Staffard, griff sie keineswegs aus der Luft, denn sie hatte ihn auf dem Gipfel des Gros-Taureau gefunden; Florian hat mir's erzählt. Daß er in die Feenhalde und vielleicht zu mir kommen würde, konnte sie vermuthen, weil sie dem Flüchtling selber angerathen hatte, seinen Aufenthalt in der Feenhalde zu nehmen. Daß sie Ihnen den Wink gab, über Hermione's Herz zu wachen, erkläre ich mir daraus, daß Hermione vielleicht zu ihr, oder Claudine, einmal davon geplaudert und den Mann beschrieben habe, der im Bündnerlande auf das Mädchenherz einen flüchtigen Eindruck gemacht hatte. Frau Morne erkannte ohne Zweifel den Mann, sobald sie ihn sah, aus der Beschreibung.

Frau Bell erstaunte über die Lösung des Räthsels nicht weniger, als vorhin über das Wunder. Ach! sagte sie mit unwilligem Lächeln, und zog ihre Hand aus Vater Staffard's Händen; Ihr Männer wisset Euch immer den Schein des Rechts zu schaffen; wir Weiber haben nur das Herz, Ihr immer den Verstand. Ich aber liebe den herzlosen Verstand nicht, der die ganze Natur zum todten Uhrwerk macht.

Nicht doch, liebe Nachbarin! rief Vater Staffard; stiften wir Frieden zwischen Verstand und Herz. Darum eben sind sich Mann und Weib lieb und unentbehrlich, wie der Reiche und Arme in der Welt, weil nicht Jeder hat, was der Andere. Ich gebe ja gern zu, daß das Herz oftmals Recht hat; geben Sie aber auch zu, daß sich das Herz ein wenig verirren könne.

Warum nicht? erwiederte Frau Bell; nur mit dem Unterschiede, daß der Irrthum des Herzens seliger macht, als die größte Wahrheit des Verstandes.


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